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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.08.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-08-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970816020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897081602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897081602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-08
- Tag1897-08-16
- Monat1897-08
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Heute geschieht dasselbe in den „Hamburger Nackr.", die sich in einem Artikel über „Anarchismus und Socialdemokratie" wie folgt vernehmen lassen: „Der durch die preußische BereinSzesetznovelle herauf beschworene Streit über die richtige Behandlung der social- revolütionären Bewegung lag noch zu nahe, als daß er in den Betrachtungen über die Ermordung des spanischen Ministerpräsidenten nicht hätte wieder auf leben sollen. Unseres Erachtens thut man aber nicht wohl daran, diese Gelegenheit zu erneuten Recriminationen gegen Diejenigen zu benutzen, welche der Novelle ihre Zustimmung versagt haben. Diese ganze VereinSgesetzaction war von vornherein unheil bar verfahren, und es schiene uns das Klügste, den Streit über sie möglichst zu vergessen, da sonst die Ent zweiung von Parteien, welche in der Vertheidigung der bestehenden Ordnung auf einander angewiesen sind, noch immer erweitert wird." — Ausführlicher beschäftigt sich die „Schlesische Zeitung" mit den „neuen Actions plänen gegen den Umsturz". Das conservative Blatt, daS zu den Befürwortern der Vereinsgesetznovelle gehört hat, nimmt sehr energisch gegen die „Post" Stellung; es hält die in der „Post" ausgesprochenen An- und Absichten nicht nur für „außerordentlich wenig staatsmännisch", sondern cs tritt denselben auch aus allgemeinen grundsätzlichen Gesichtspunkten „auf das Entschiedenste" entgegen. Die Einberufung des Landtags wegen der Wasserkatastrophe be kämpft die „Schles. Ztg." mit derselben Begründung, mit der wir es thaten: die augenblickliche Noth kann ohne Weiteres gelindert werden, im klebrigen bedarf eS weitschichtiger Er mittelungen, die sich nicht über daS Knie brechen lassen. Die Verquickung dieser Angelegenheit aber mit der Vereinsgesetz- novelle sei „so unglücklich und unstaatsmännisch wie mög lich"; denn: „In der Bereitschaft, den unglücklichen von der lieber« schwemmung Betroffenen zu helfen, sind alle Parteien deS Landtages einig. Die Berathung der Vorschläge zu solcher Abhilfe würde unzweifelhaft daS erfreuliche Bild einer Harmonie bieten, wie wir es in unserem parlamentarischen Leben lange nicht mehr erblickt hoben. Nichts Ungeschickteres ließe sich denken, als wenn in die Zweckbestimmung dieser Be- rathungen, die auf die Bewilligung eines rein menschlichen Mitempfindens gerichtet wären, ein Gegenstand ausgenommen würde, der von vornherein ein Moment wildester partei politischer Leidenschaften in sie hineintragen müßte. Wir könnten uns nicht wundern, wenn die voraussichtliche Harmonie in der Frage der Hilfsaktion durch die gleichzeitige Hineinziehung eines neuen Umsturzgesetzes in die Verhandlungen zum Schaden der guten Sache ebenfalls sehr wesentlich beeinträchtigt werden würde." Die weitere Ausspinnung des Grundgedankens der „Post" und seine Consequenzen findet die „Schles. Ztg." auch vom conservativen Standpunkte aus „kaum discutabel": „Die „Post" droht mit Auslösung des Abgeordnetenhauses im Falle wiederholter Ablehnung deS Vereinsgesetzes. Sie thut das in einem Tone, welcher einigermaßen wie Conflictsbereitschaft sich anhört. Auch wir sind der Ansicht, daß diejenigen Berather der Krone, welche vor Gott und ihrem Gewissen die Verantwortung für die Integrität de» Staatsgedanken» za tragen haben, vor einem von der Volksvertretung ihnen aufgedrängten BerfassungS- conflict nicht zurückschrrckea dürfen. Diese letztere Bedingung muß allerdings nothwendig erfüllt sein, und wir glauben nicht, daß ohne Uebertrelbung behauptet werden kann, der preußische Landtag habe die Regierung in einen Conflict hineingedrängt. Für das VereinS- gesetz sind auch wir eingrtreten, weil wir dasselbe für eine sinn- gemäße und zweckmäßige Auslegung und Ergänzung der schon bestehenden gesetzlichen Bestimmungen hielten. Dir geringen Ver schärfungen aber, welche die Novelle gegenüber dem geltenden Rechts zustand« aufwie», konnten derselben unmöglich den Charakter eines zur völligen Niederwerfung der Umsturzbestrebungen geeigneten Rüstzeuges verleihen. Selbst von der Abänderung der Novelle in ein preußisches Socialistengesetz ließ sich das unmöglich behaupten, schon deshalb nicht, w»il das Gesetz eben nur für Preußen und nicht für das ganze Reichsgebiet gegolten haben würde. Wir haben uns für das Gesetz in beiden Fassungen ausgesprochen. Aber gerade aus den zuletzt angeführten Gründen halten wir dasselbe als Aus- gangspunct eines Verfassungsconflicts für völlig ungeeignet.... Sind die Aussichten etwaiger Neuwahlen schon an sich zweifel haft, so fehlt uns vollends das Verständnis für den Vorschlag, gerade jetzt, in der Erntezeit, Neuwahlen vornehmen zu lassen. Würden aus Neuwahlen in dieser Jahreszeit die conservativen Abgeordneten etwa in verstärkter Zahl hervorgehen? Diese Frage stellen, heißt, sie verneinen. Die Gründe brauchen wir der „Post" gegenüber wohl nicht näher auszuführen. Und was den Conflict anlangt, so wüßten wir nicht, wie der Landtag aussehen sollte, mit dem sich ohne Conflict auSkommen ließe, wenn schon mit dem gegen wärtigen preußischen Abgeordnetenhause ein Conflict unver meidlich wäre. Sollte es der „Post" wirklich entgangen sein, daß die Gefahren, welche der nationalen Entwickelung des Vaterlandes drohen, nicht von den einzelnen Parlamenten der Bundesstaaten und am wenigsten vom preußischen Landtage, sondern einzig und allein vom Reichstage ausgehen? Welchen Sinn hätte es nun, die Kraft der Executive in Preuße» in einem wegen relativ minder erheblicher Streitpunkte begonneueu Kampfe zu schwächen, dessen für die Staatsleitung selbst siegreicher Ausgang an der gefahrvollen parlamentarischen Constellation im Reiche nicht das Mindeste ändern würde?" Die Betrachtung der „Schles. Ztg." klingt sehr pessimistisch in die Befürchtung eines „großen ConflicteS" aus, der den verbündeten Regierungen „über kurz oder lanH, sehr gegen ihren Willen, wird aufgedrängt werden". Wir sind etwas hoffnungsvoller. Wir glauben, im Reichstage dürste man für absehbare Zeit nach Conflictslüsternheit vergebens suchen. Wäre sie aber ein Mal vorhanden, so wäre daö wirksamste Mittel zu ihrer Beseitigung eine einheitliche, aus sachverstän digen Männern gebildete, ihrer Verantwortlichkeit gegenüber Krone und Parlament sich bewußte, feste Ziele beharrlich und geschickt verfolgende Regierung, die eine Politik der Sammlung nicht nur in Tisch- und sonstigen Reden sondern auch durch Thaten betreibt. Einer solchen, in Wahrheit führenden Regierung wird ein Conflict nicht „auf gedrängt" werden. Die badische LandtagSwahlbetvegung gerätb in Fluß und zeigt bereits die gewohnte Physiognomie, die Verbrüderung der Parteien gegen die Nationalliberalen. Die Seele der Coalition ist natürlich wieder daS Centrum mit seinem Pfarrer Wacker an der Spitze. Man sieht: wenn die Nationalliberalen auch Willens wären» die Staatsklugheit per „Köln. Ztg." zu der ihrigen zu machen und mit dem UltramontaniSmuS Freundschaft zu schließen, der andere Theil wäre nicht dazu zu haben. Freilich ist jener Wille nie und nirgends vorhanden gewesen. Gegenüber dem Centrum bleibt eS bei der alten, gesunden Feindschaft. Für den Natio- nalliberaliSmuS kann die Unterstützung klerikaler Candidaturen bei Stichwahlen nur in Betracht kommen, wenn eS gilt, den Sieg von Socialdemokraten zu verhindern. DaS geschah aber auch bisher, und zwar ungeachtet deS entgegenflesetzten Ver haltens deS CentrumS, welches regelmäßig, zuletzt m Dortmund, diePartei der Socialdemokratie gegenüber den Nationalliberalen genommen hat. Auch hierin wird sich nichts ändern. DaS Organ der badischen Centrumspartei, der „Badische Beobachter", schreibt soeben: „Wir werden sagen: Eocialistrn zu wählen, ist un» unmöglich; aber einige Socialisten durch Nationalliberale feruzuhalteu, ist un» noch unmöglicher. DaS wäre Feigheit und Thorheit, ja geradezu politischer Selbstmord, denn zwei Socialisten mehr oder weniger ia der Kammer werfen den Staat nicht um." Auf das Letztere gehen bekanntlich die Nationalliberalen aus. Man darf übrigens nicht glauben, daß die vom „Beob." proclamirte passive Unterstützung der Socialdemokratie in Aussicht genommen ist. DaS Centrum ist vielmehr ent schlossen, wie früher, Socialdemokraten die Stimmen zu geben, wo solche gegen Nationalliberale stehen. Hinterher wird man die Auslieferung der Schule an die Kirche verlangen, damit diese daS „socialvemokratische Gift" auS dem Volks körper auSscheide! Auf die Zustände des englischen Heerwesen» werfen die neuestens zur Veröffentlichung gelangten amtlichen Aus weise kein allzu günstiges Licht. Es ist ja bekannt, daß daS in England übliche Werbesystem den festländischen Heeres- organisationen nicht entfernt gewachsen ist, aber auch VaS Werbesystem selber wird zur Aufrechterhaltung deS mili- tairischen statu8 quo Englands mit jedem Jahr untaug licher. Der letzte Jahresausweis ergiebt, daß von den am 1. Januar dieses Jahres activen Dienst thuenden Mannschaften aus heimathlichem Boden — im Ganzen 81 477 Köpfe — nicht weniger al» 44 Proc. oder 36 21L Mann ihrem eigenen Geständnisse zufolge unter 21 Jahre alt waren. Von dieser Zahl waren wiederum 24 964 Mann unter 20 Jahre alt, also bestimmungsmäßig für den Dienst auf überseeischen Stationen unverwendbar. 25 934 Mann maßen weniger als 5'/, Fuß an Körpergröße und 25 135 weniger als 35 Zoll Brustumfang. Es ist amtlich aner kannt, daß nicht rin einziges Bataillon de» eng lischen HeereS im Stande ist, ins Feld zu rücken. Ferner stimmen alle Werbeofficiere darin überein, daß brauchbare Leute sich überhaupt nicht mehr zum Heeres dienste anwerben lassen, daß die Recruten alljährlich jugend licher werden, und daß, wenn sie nicht in einem Alter und in einer Körperbeschaffenbeit genommen würden, wo sie in Wahrheit noch als Knaben angesprochen werden müssen, die Heeresverwaltung überhaupt keine Recruten mehr bekommen würde. Diese Erscheinung hängt mit der wachsenden Unbe liebtheit des Heeresdienste» in der Bevölkerung zusammen, und diejenigen Vorgesetzten, welche einigermaßen über die Gesinnungen der activen Soldaten urtbeilen können, erklären, daß mindestens 75 Procent der Leute vom Fleck weg desertiren würden, wenn sie nur wüßten, wovon sie am anderen Tage leben sollen. Und dabei ist die Heeresverwal tung niemals mehr al» gegenwärtig um da» körperliche und geistige Wohlbefinden der Mannschaft besorgt gewesen, auch die Officiere thun, was sie können, den Dienst für den gemeinen Mann so wenig brückend als irgend möglich zu gestalten. Einen wesentlichen Grund der mangelnden Volksthümlichkeit des englischen Armeedienstes glauben Viele in der mangelnden Für sorge für das Fortkommen de» au-grdienten Soldaten zu er blicken. Von privater Seite ist schon manches geschehen, um ausgedienten Militairö eine Unterkunft in bürgerlichen Lebens stellungen zu verschaffen, während auffallenderweise die Behörden bis jetzt so gut wie gar nichts in dieser Richtung gethan haben. Die Regierung verfügt über eine Unmasse Stellungen, für welche sich entlassene Soldaten bestens eignen würden, aber io neun von zehn Fällen werden Civilisten den aus gedienten MilitairS vorgezogen. Unter diesen Umständen wird daher die Misere in den englischen HeereSzuständen sich stetig vergrößern. Es scheint fast, als suche man an maß gebender Stelle eine Entschuldigung für die Vernachlässigung deS HeereS in den riesenhaft «»schwellenden Marine rüstungen, die selbst mit der entferntesten Möglichkeit auf räumen sollen, als könne jemals der Fuß eines feindlichen Soldaten ein so furchtbar vertheidigteS Jnselreich betreten. Die Einnahme von Abu Hammed durch die englisch- indische Armee läßt die Aranzosen wieder einmal über die rgvptische Frage nachdenken. So schreibt daS „Journal deö DSbatS", daß die Engländer Verstärkungen nach Egypten senden wollten, was dafür spreche, daß die Operationen eine größere Ausdehnung haben sollten, als ursprünglich geplant worden sei. An dem Erfolge dieser Operationen sei nicht zu zweifeln, und wenn England erst Khartum und Kassala im Besitz haben würde, dann würde eS, sofern und sobald es ihm passe, bis zum Bar el Gbasal gehen und sich zum absoluten Herrn der Aequatorial- provinzen machen. Niemand könne glauben, daß England dann auch nur einen Augenblick bereit sein würde, Egypten zu räumen. So sei die Einnahme von Abu Hammed mit ihren nothwendigen Consequenzen ein weiterer Schritt zur dauernden Festsetzung der Engländer in Egypten und im Sudan. DaS französische Blatt bat vollkommen Recht, aber wenn die Franzosen in der egyptiscken Frage völlig ohnmächtig sind, so sind sie selbst völlig Schuld daran. An demselben Tage, an dem das „Journal de- DöbatS" die wrbmütbige Klaye über die Besitz ergreifung Egyptens durch England führt, schreibt Paul de Cassagnac, Kairo könne Frankreich, nicht Metz und Alexandien nicht Straßburg ersetzen. Etwas ganz AehnlicheS haben wir vor einigen Wochen in einem sonst nicht chauvinistischen Blatte gelesen. Würden die Franzosen nicht so in ihre Revancheidren verrannt sei», so würden sie ein viel kräftigeres Wort in der egyptischen Frage reden können, während die Folge ihrer gegenwärtigen Politik sein wird, daß sie, um im Tone Cassagnac's zu sprechen, weder Kairo, noch Metz, noch Alexandrien, noch Straßburg erhalten werden. Der oben erwähnte Artikel Cassagnac's beschäftigt sich ausführlich mit der Petersburger Reise vcs Präsidenten Kaure, indem er verlangt, daß dem ungeduldigen Frankreich jetzt endlich da« Wort Allianz von den Ufern der Newa her zugerufen werde. „Es giebt nur ein Mittel, die Situation zu retten", schreibt er, „und dieses besteht darin, durch rin schon lange ungeduldig erwartetes Wort daS Band mit den mehr oder minder gelockerten Knoten, daS uns an Rußland knüpft, zu charakterisiren. Das Wort „Allianz" sollte endlich gesprochen werden. Man sollte endlich nach den Umarmungen, welche dem Kaiser Wilhelm ge spendet worden sind, mehr .alS je zuvor, wissen, ob zusällig das FerriHeton. „Harmonier»". 17j Roman von A. Fischer-Löher. Alle Rechte Vorbehalten. „Anforderungen an sich selbst wollen ebenso geübt sein, wie jede körperliche Kunst, wenn man sie gebrauchen will kleine Frau", sagte er zu ihr, als er sie am Nachmittage allein ließ. Etwas AehnlicheS hatte ihr einmal Renate gesagt. ES siel ihr auf, daß eS Wohl fast dieselben Worte gewesen waren. Und darüber kam ihr der Ausspruch deS Bruders in daS Gedächtnis zurück, sowie die ganze Eifersucht, die sie gestern empfunden hatte. Sie begann plötzlich instinktiv Renate Eberstein zu hassen. Wer keine klaren Gründe für seinen Haß hat, ersetzt sie durch die Leidenschaft. Alles, was sie von Renate besaß, Geschenke und Photographien, schaffte sie sich mit einer Be- karrlichkeit auS den Augen, welche ihre passive Natur nur hervorbringen konnte, die fest an einem Gefühle hielt. Sie besann sich eines Tages, daß im Arbeitszimmer ihre« Manne» neben Bildern vom Grafen Lothar und der Gräfin anch eine» von Renate gestanden hatte. Der Gedanke schreckte sie auS ihrer trägen Ruhe auf, in der sie nach dem Spazier gange mit ihrem Gatten auf ihrem Divan gelegen hatte. Sie erhob sich und ging sofort in das Zimmer hinüber. Sie wußte, daß ihr Mann zu einer Unterredung mit dem Güter director fortgeritten war. Sie fand zuerst da» Bild nicht, so viel sie auch suchte. Es stand und lag so unendlich viel hier umher, Tischchen, EtagSren, Ständer, mit Mappen und Büchern bedeckt. End lich zog sie eS unter einem Stoß Broschüren hervor. Gerade als sie eS an sich nehmen wollte, trat ihr Gatte herein. Er war angeregt vom Ritt und von der Luft und freute sich, seine Frau hier anzutreffen. „Wolltest Du Dir etwas holen?" rief er lebhaft. „Komm, bleibe hier, setze Dich zu mir, während ich meinen Bericht an den Grafen schreibe. Wir können zwischendurch auch plaudern", fügte er hinzu, als er auS ihrem Gesicht nicht viel Einver- ständniß mit seinem Vorschläge herauSlaS. Sie ließ sich aber doch von ihm zu einem Sessel geleiten, der seinem Schreibtische gegenüber dicht an dem hohen Fenster stand. Während er sich nun auch setzte, fragte ibn Clarissa: „Wann werden Ebersteins wiederkommen? Sie sind bei nahe sechs Wochen fort." „Ich weiß eS selbst nicht", gestand er. „Sehnst Du Dich nach ihnen?" Statt zu antworten, lachte sie. Sie wußte selbst nicht, ob über die Frage oder über sich selbst. Sie legte da« Kinn in die Hand und stützte den Arm aus die Sessellehne. Sie saß im Hellen Fensterlicht, und wenn der Fürst von seiner Arbeit aussah, hatte er ihr Profil vor sich. Es hatte die Fülle verloren, und die Haut war blaß und durchsichtig. „Das bringt der Zustand eben mit sich", tröstete sich TituS, als er eS beobachtete, „sie wird wieder wohl und gesund werden." Er stand aber doch auf und ging zu ihr hin. Er nahm ihren Kopf zärtlich in seine Hände und drückte einen Kuß auf ihren braunen Scheitel. Dann setzte er sich wieder auf seinen Platz. „Sind sie denn wirklich noch in Baden?" fragte nach längerem Stillschweigen seine Frau. Sie selbst correspondirte weder mit der Gräfin noch mit Renate. Sie liebte r» nicht, Briefe zu schreiben. „Ja", gab er zur Antwort, „noch sind sie in Baden, aber sie wollen zur Nachcur in die Schweiz gehen, doch nur auf höchstens drei Wochen. ^Graf Lothar sehnt sich nach Eberstein." „Dann kommt Renate wieder mit?" Clarissa hob nicht den Kopf auf, al» sie da» sagte. Ihr Haß war mit keinem Mißtrauen gegen ihren Gatten gemischt. So entging eS ihr, daß über sein Gesicht ein Schatten huschte. „Renate kommt nicht mit nach Eberstein", beantwortete er ihre Frage. „Sie hat wieder Lust zu reisen. Sie ist ja unabhängig." „Das paßt für sie auch besser, als hier in Eberstein still zu sitzen." Clarissa'» Stimme klang schroff und bestimmt. „Am besten wäre e», sie heirathete endlich." Der Fürst hob daS Auge von seiner Schreiberei und ließ eS durch daS Zimmer schweifen. Er ärgerte sich plötzlich, ohne recht zu wissen, warum. Es war doch nicht so leicht, einen Bericht abzusassen und dabei von so nebensächlichen Dingen unterhalten zu werden. Neugierig war er aber doch, mit wem seine Frau Renate Eberstein verheirathen wollte. Seit einiger Zeit hatte sie eine Art, über Renate zu sprechen, die ihn jedesmal reizte. Und sie suchte förmlich die Gelegenheit, bas Mädchen er wähnen zu können. ES war besser, er brachte sie auf eine andere Unterhaltung. „Ich bin beute Schleiden begegnet", erzählte er, sich zu einem harmlosen Ton zwingend. „Findest Du nicht, daß sie schon alt geworden ist?" be gann seine Frau wieder. „Wer?" fragte er und schrieb weiter. „Nun Renate, wer denn sonst? Wie Du unaufmerksam bist, TituS." „Bist Du jünger?" Wie komisch ihr die Frage erschien! Sie hob den Kopf und sah ibn an. „Ein Jahr", sagte sie kurz. Er wollte ein Scherzwort darauf erwidern, al- nun der Diener mit der Posttasche cintrat. „Ah, von Feilath Nachricht!" rief er lebhaft au», al» er die Briefe übersah. Doch nahm er zuerst einen Brief de» Grafen Lothar in die Hand und öffnet« ihn. ES giebt Tage, an denen einen Menschen eine Persönlich keit wie ein Gespenst verfolgt. Der Fürst war von seinem Schreibtisch aufgestanden und legte, ehe er den Brief laS, einige Broschüren, die gekommen waren, auf da» Tischchen zu den anderen. Da fiel ihm die Photographie Renate'» in» Auge, die Clarissa vorhin herauS- gesuckt hatte. Er wußte eS genau, sie lag schon seit Wochen vergraben unter den Büchern. Er hatte sie darunter geschoben, um jede Erinnerung von sich abzuhalten. Clarissa hatte an diesem Tischchen gestanden, al» er hereintrat. Die Broschüren waren durcheinander geworfen wie von einer suchenden Hand, und nun daS Bild herau»- geholt. Es war unzweifelhaft, Clarissa hatte es gesucht. Er starrte auf daS Bild nieder, da» Renate im knappen englischen Costllm zeigte. Sie hatte etwa» Majestätische» in der Haltung und in der Wendung des schönen Kopfes. Ihm siel eS ein, was Clarissa vorhin sagte, daß Renate heirathen müsse. Wem würde sich dieses vollendete Geschöpf zu eigen geben? Wer war ihrer Werth? Freund Feilath? Der Fürst schob mit einem Ruck die Photographie wieder unter die Bücher. „Du hast da Renate", rief in diesem Augenblick seine Gattin, „nicht wahr?" „Ja, wolltest Du da» Bild haben?" fragte er mit plötz lichem Entschluß. „Es paßt doch eigentlich nicht in Dein Zimmer. Gieb eS mir." Clarissa hatte Recht — daS Bild Renate'» paßte nicht in sein Zimmer! Er holte eS sofort hervor und brachte eS ihr. Mit einem leisen Aufathmen setzte er sich wieder an seinen Schreibtisch und laS deS Grafen Brief. Dieser schrieb, daß er sich jetzt sehr rüstig fühle, noch einige Wochen nach Reichenball gehe» aber in spätesten» drei Wochen mit seiner Gattin wieder in Eberstein sein werde. Renate hingegen würde sich von Reichenhall an den Genfer See begeben und im Hochsommer in Chamonix fein. Wieder Renate! Der Fürst legte den Brief weg und strich mit der Hand über seinen Bart. Dann öffnete er den Brief seines Freunde-. ES stand darin, daß der Freund der Ungewißheit endlich ein Ende machen wolle und selbst nach Baden reisen werde. Graf Lothar'» Antwort auf seinen eigenen Brief sei sehr diplomatisch, aber ohne alle Verbindlichkeit. „Wenn Du meinen Brief erhältst, bin ich schon unter wegs", schloß er. „Ich schieße mir eine Kugel vor den Kopf, wenn dies bezaubernde Wesen nicht mein wird. Du kannst darau» ermessen, wie rettungSlo» ich Renate Eberstein verfallen bin." Der Fürst lehnte sich in seinen Stuhl zurück und drückte die Lider über die Augen. E« tanzten ihm rothe Lichter vor den Augen, wohl weil di« Sonne auf die Zeilen gefallen war, al» er la». Al« er sie wieder öffnete, rief seine Gattin: „Bitte, TituS, lasse die Jalousie herunter. Die Sonne incommodirt mich." Er stand sofort auf und begab sich zu ihr. Den Brief de» Freunde« hielt er noch in der Hand und wurde «» erst gewahr, als er beide Hände für die Jalousie braucht«. So legte er den Brief in den Schooß Clarissa'», um die zweite Hand frei zu bekommen. „Soll ich den Brief lesen?" fragte sie. „Wenn Du willst. Er ist von Jano»." Sie blickte flüchtig binein. Erst als sie Renate'» Namen laS, gewann sie Interesse und sagt«: „WaS will er von Renate?" „Er will sie heiratbea", antwortete der Fürst kurz. „Er — Renate? Da» hätte ich nicht für möglich ge halten. Nrin, wirklich nicht."
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