Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.08.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-08-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970818017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897081801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897081801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-08
- Tag1897-08-18
- Monat1897-08
- Jahr1897
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Die Morgcn-ÄuSqabe erscheint um '/,? Ahr. die Abend-Au-gabe Wochentag- um b Uhr. Filialen: Dtts Klemm'» Lortim (Alfred Hahn>, LniversitätSsirahr 3 (Paulinum), Louis Lösche. Antharlnenstr. 14, pari und KSuig-vl«tz7- Nedaciion und Lrveditto«: IohanneSgaffe 8. Di« Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- Abend- 7 Uhr. BezugS-PrelS Al der Hauptexpedition oder den Mr Stadt« beeirk und den Bororten errichteten Au«- gabrstrUrn abgeholt: vierteljährlich^4^0, bei zweimaliger täglicher Zustellung tns Hau- ^l 5.L0. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich ^l 6.—. Direkte tägliche Krruzbandsrnduog in- Ausland: monatlich 7L0. Morgen-Ausgabe. MiMtr TagMM Anzeigen-PrelS die 6 gespaltene Petitzeile L0 Pfg. Reclamrn unter demRedaction-strich i4go< spalten) bO^z, vor den Familiennachrichle» (6 gespülte«) 40/H. Größere Schriften laut unserem PrriS- verzeichniß. Tabellarischer und Zisjernjatz nach höherem Tarij. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit de« Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Anzeiger. AmtsökaLt des Hönigkichen Land- und Ämtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Volizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Ännahmeschloß für Anzeigen: Abend-Au-gabe: Bormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags -Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richte«. Druck und Verlag von E. Pol» in L-iost-» 418. Mittwoch den 18. August 1897. SI. Jahrgang. Militairproceßreform und Marinevorlage. LS In wenigen Wochen werden preußische und bayerische Truppen zum ersten Male gemeinsame Manöver abballen. Wenn so ein Bild der äußeren Einheit auch bei dem Volke in Waffen geboten wird, so steigt der Wunsch auf. Laß nun endlich die innere Einheit deS Heere- durch ein gemein sames Proceßverfahren vollendet werde. So weit etwa Schwierigkeiten darin bestehen, daß zwischen dem Reiche und Bayern eine Einigung über einzelne Punkte noch nicht erzielt ist, sollte man glauben, daß diese Einigung sich am besten während der bevorstehenden persönlichen Zusammenkunft der höchsten militairischen Persönlichkeiten bei der preußischen und der bayerischen Armee wird Herstellen lassen. Ist die- der Fall, so werden die Schwierigkeiten, die sich anscheinend in Preußen noch immer dem Gesetze entgegenstellen, hoffentlich baldigst gehoben werden. Denn über Zweierlei darf kein Zweifel bestehen. Einmal darüber, daß eine entsprechende Reform des Militairstrafpro- cesses vom deutschen Volke mit immer größerer Ungeduld er wartet wird. Nicht nur die feierliche Zusage des Reichs kanzlers, sondern auch gewisse Ereignisse des vorigen Jahre lassen diese Ungeduld als durchaus berechtigt erscheinen. Der Gegensatz, der darin besteht, daß in einer Armee, die mili- tairisch niemals rastet, unaufhörlich nach Fortschritt und Vervollkommnung strebt, in dem Rechtsverfahren seit vielen Jahrzehnten ein absoluter Stillstand herrscht, dieser Gegen satz macht sich immer störender bemerkbar. Und eS steht zu sürchten, daß bei dem Fortbestehen dieses Gegensatzes schließ lich die Neigung eines großen TbeilS des Volkes und der Volksvertretung aufhört, dem Verlangen nach Vervollkomm nung des Heeres Rechnung zu tragen, wenn nicht die innere Vervollkommnung einigermaßen Schritt hält. Dabei ist zu besorgen, daß nicht allein daS Landheer für das wird büßen müssen, was an dem Heere durch Unter lassen nothwendiger Reformen gesündigt wird, sondern daß auch die jüngere Schwester, die Marine, unter der Miß stimmung wird zu leiden haben. Und dies ist der zweite Grund, aus dem wir die Vorlegung der Militairproceß- reform wünschen. Wenn man einen klaren Ueberblick darüber Hat, wie sehr theilweise durch mangelnde« Verständniß, tdeil- weise durch direktes Uebelwollen die Erfüllung der berechtigten Wünsche der Marine erschwert wird, so muß der, der ein warmes Herz für die Entwickelung der deutschen Marine bat, wünschen, daß den demokratischen Gegnern die Vorwände genommen werben, hinter denen sie sich verstecken können. Es ist zuzugeben, daß die Milirairproccßreform mit den Forderungen für Ersatz und Erweiterung der deutschen Marine an sich nicht daS Mindeste zu tbun hat. Diese For derungen sollten lediglich aus dem Gesichtspunkte heraus geprüft werden, ob sie sachlich berechtigt sind und ob ihre Bewilligung mit den finanziellen Verhältnissen des Reiches sich verträgt. Wir sagen: eS sollte so sein. Als Politiker muß man aber mit den Dingen rechnen, wie sie sind. Und wenn die Gegner der Entwickelung der deutschen Marine wissen, daß eS ihnen gelingt, auS dem einen oder anderen Grunde Mißstimmung über daS Heerwesen überhaupt zu erregen, so werden sie viel leichteren Herzens die Marine forderungen ablehnen. Andererseits würde die endliche Er füllung der Zusage, welche die Regierung betreffs der Militairproceßreform gegeben hat, für die unausbleiblichen Marinefordrrungen die günstigste Stimmung machen. Die Einbringung einer zeitgemäßen Militairproceß- vorlage wäre eineThat, die der geplanten Politik der Sammlung hundertMal mehr zu statten käme al- die schönste ministerielle Banketrede. Die Socialdemokratie und die preußischen Landtagswahlen. Der diesjährige Parteitag der Socialdemo krat en, welcher am 3. October in Hamburg zusammentritt, soll, wie gemeldet, u. A. Uber die Theilnabme der social» revolutionaren Demokratie an den preußischen Landtags- wablen nochmal- Beschluß fassen. Seiner Zeit wurde jede Berührung mit dem Dreiclassenwahlrecht abgelehnt. Aber die Mehrheit der Führer scheint diesen Standpunkt unver fälschter Principientreue nicht mehr zu tbeilen. Namentlich sind eS die Genossen Bebel und Auer, welche Len Widerruf des zur Zeit noch geltenden, von den früheren Parteitagen wiederholt aufgerichteten Grundsatzes betreiben. Für Bebel ist also die mit dem Erzpbilister und KirchthurmSpatriolen Stegmüller gemachte Erfahrung nicht mehr von Belang. Sonst könnte er unmöglich die Hand dazu bieten, daß der kleinbürgerliche Geist, den Stegmüllcr in der LandlagStbätig- leit eingesogen bat, im Kreise der „Genossen" sich noch breiter machen darf. Bebel'S ganzes Dickten und Trachten scheint aber darauf hinzuzielen, wie sich binnen kurzer Frist die Partei zu einer ausschlaggebenden parlamentarischen Machtstellung emporbeben läßt. Auf welche nahe Gelegenheit zur Berwerthung einer solchen parlamentarischen Macht im Sinne deS social revolutionären oder zunächst wenigstens deS republikanischen Bestrebens der Partei mag Bebel wohl speculiren? Wir natürlich müssen diese Frage unbeantwortet lasten und blieben wohl überhaupt aufs Errathen angewiesen, wenn die „überzeugten Genossen" nicht wären. Ihnen aber wird Bebel die Antwort nicht lange verheimlichen dürfen. Die Fanatiker in der Socialdemokratie würden den angedrobten Austritt gewiß vollziehen, wenn ihnen nicht plausibel gemacht wird, daß durch ein LanbtagSwahlcartell mit Centrum und bürgerlicher Demokratie die Zahl der „Mitläufer" bei den ReichStagSwahlen außerordentlich vermehrt wird, und daß bei einem dementsprechend rascken Anschwellen der Partei im Reichstage ein Erfolg der socialrevolutionären und republikanischen Bestrebungen in nähere Aussicht gerückt wird. Also wir warten ab, welche Hoffnungen auf nahen Erfolg Bebel im engeren Kreise der „unentwegten" Genossen zu wecken vermag. Einstwnlen ist sein Bestreben dabin gerichtet, die für carlellfähig erachteten Parteien zur Offenbarung ibrer Ansichten über ein Wabl- bündniß mit der Socialdemokratie zu bestimmen. Bebel will eben am 3. October, wenn die Partei selbst in die Lage kommt, sich zu entschließen, nach Möglichkeit darlegen können, wie alle in Betracht gezogenen Parteien schon als zuverlässige Hilfstruppen gelten. Dem Parteitag in Hamburg soll es leicht werden, da- Wahlcartell zu sanctioniren. Thatsächlich hat das Centrum sich beeilt, den Geßlerbut zu grüßen. Der vom badischen CentrumSführer Wacker ressortirenve „Badische Beobachter" erklärt es, wie mitgelbeilt, für den Gipfel der Unmöglichkeit, für Feigheit und Thorheit, ja geradezu politischen Selbstmord, „einige Socialisten durch Nationalliberale fernzuhallen". Das bezieht sich zunächst nur auf die badischen Wahlen, aber die Bezirkstagswahlen in Elsaß-Lotbringen haben soeben wieder den Beweis erbracht, daß die klerikale Unterstützung den Eocialdemokraten nirgends fehlt, wo der bestimmte Einfluß des gemäßigt-liberalen und anti-particularistischen Elements gebrochen werden kann. Im socialdemokratischen Hauptquartier rechnet man denn auch so sicher mit den Wadlbiensten der klerikalen Seite, daß man bereits zur Aufstellung von klerikalen LandtagS-Candidaten in Bochum-Dortmund ermuntert, um ihnen Gegendienste leisten zu können. Das Cartell zwischen Socialdemokratie und Volks partei ist, soviel man seben kann, noch nickt ganz so weit gediehen; hier ist aber auch eine besondere Schwierigkeit zu überwinden. Es versteht sich, daß die Socialremokratie nicht in den Landtagswahlkampf in Preußen eintritt, nur um in so und so viel Kreisen je eine Minderheit von eigenen Wahl männern aufzubringen, die nachher an der Verdrängung von Nationalliberalcn durch Freisinnige oder Klerikale theil- aebmen. Wenn die Revolutionäre Len Wablapparat einmal in Bewegung setzen, wollen sie auch für sich selbst etwas erreichen, und darauf zielt ja auch ein Satz in der letzten Bebel'schen Auslassung deutlich ab. Doch verhehlt sich Bebel nicht, daß nur im Wege des ComproniisseS ein Socialist in den Landtag kommen kann, und — tue üaeret aqua — ein solches Compromiß wäre nirgends anders denkbar, als in Berlin selbst, wo der Freisinn über sichere Wahl- männermehrheiten verfügt. Mit anderen Worten: von den 9 Berliner Landlagsmandaten der Fortschrittspartei müßte mindestens eins den Socialisten geopfert werben, wenn dafür die Socialdemokratie anderwärts der freisinnigen Volkspartei Beihilfe leisten soll. Dem Centrum kann ein solches Opfer nirgends zugemuthet werden, — aus Gründen, die sich greifen lassen. Nun dürfte Herr Richter vergebens fick be müht haben, einen greifbaren Werth der socialdemokratischen Beihilfe in anderen Kreisen rechnerisch zu ermitteln. Einige Wahlmänner mehr oder weniger in der dritten Classe sind ohne entscheidende Bedeutung, wenn nicht in die erste und zweite Classe eine Brescke gelegt werden kann. Dort aber Beihilfe zu leisten, ist die Socialremokratie außer Stande. Allerdings wählen in Berlin Singer, I)r. Arons und einige andere Millionaire der Partei in der ersten Elaste. Aber diese SpecieS ist eben nur in Berlin zu Hause, in der Provinz ist die Volkspartei, wo sie in die erste und zweite Classe einbringen will, überall auf eigene Kraft oder auf die Centrumshilfe angewiesen. In Erwägung dessen kommt daS Berliner Organ der Volkspartei den Socialdemokraten noch lange nickt so weit entgegen, wie es von Seiten des CentrumS geschieht. Mit Bezug auf die Landtags wahlen sagt die „Freis. Ztg." vorläufig nur: „Die Frage der stärkeren Betheiliguna ter eigenen Parteigenossen ist für uns wichtiger, als die Frage der Betbeiligung der Social demokratie an den Lanbtagkwahlen." Dagegen weiß Herr Richter zu genau, daß im Jahre 1893 er selbst und seine 23 Fractionsgenossen im Reichstag erst aus Stichwahlen hervor gegangen sind, bei denen die Socialdemokratie in 20 Fällen den Ausschlag gab. Wenn man fick dies vergegenwärtigt, wird man verstehen, was die „Freis. Ztg." gesagt haben will, wenn sie im Hinweis auf die Reichst agswählen bemerkt: „In dem Maße, wie die freisinnige Volkspartei auf die Unter stützung anderer Candidaten angewiesen ist, bat sie alle Ur sache, ihre Unterstützung solcher Parteien in anderen Kreisen überall von einer Gegenleistung abhängig zu machen." Bebel kann demnach getrost vor den Parteitag hintreten und sagen, daß es betreffs der gegenseitigen Unterstützung bei den Stichwahlen von 1898 zwischen Freisinn und Socialdemokratie beim Alten bleiben wird, und zur Beruhigung seiner Getreuen kann er wenigstens hinzu fügen, daß diese ReichStagSwahlen zuerst stattfinden, also auch die politische Situation für die nachfolgenden Landtags wahlen schaffen, bei denen sich daS Weitere von selbst geben werde. Auf westen Unkosten und zu wessen Schaden diese Ab machungen zwischen Centrum und Volkspartei einerseits und Socialdemokratie andererseits getroffen werden, bedarf keines Wortes der Erläuterung. Wir wollen nur hinzufügen, daß die Beute, die hiermit so frühzeitig vertheilt wird, nicht im Osten, sondern westlich der Elbe geholt werden soll. Feurllstsn. Aerzte-Congresse. Zum Internationalen Aerzte-Congreß in Moskau, 19.—26. August. Von vr. weck. H. E. Brendel. Nachdruck verboten. Die ganze medicinische Welt rüstet sich, ihre Vertreter zu dem XII. internationalen mediciniscken Congreß zu entsenden, der vom 19.—26 August dieses Jahres in Rußlands heiliger KrönnngSstadt Moskau tagen soll. Aber wenn auch Aerzte auS aller Herren Ländern, wenn auch Teputirte aller Kliniken und Universitäten sich in Moskau versammeln werden, so kann man doch schon jetzt mit Bestimmtheit Voraussagen, daß der Congreß nur etwa halb so stark besucht sein wird, wie die beiden letzen, die 1890 in Berlin und 1894 in Riga statt fanden. Vielen, namentlich den sonst auf Eongresten stark vertretenen Deutschen, ist die weile Eisenbahnfabrt zu be schwerlich, und so wird daS Heer der sogenannten Congreß- bummler, die nur der geselligen Vergnügungen wegen mit- macken, ziemlich klein sein; andere wieder halten sich fern auS Zorn über gewisse gesellschaftliche Ungehörigkeiten und aus Aerqer über die wissenschaftliche Bedeutungslosigkeit der letzten Eongreffe. Das ist um so bedauerlicher, als gerade der bevorstehende Congreß sicherlich dazu beitragen wird, den internationalen Aerzletagen wieder zu ibrer alten Bedeutung zu verhelfen. Er wird daS eigentliche Ziel derartiger Veranstaltungen er reichen: er wird jeden Theilnehmer noch mehr von der absoluten Interessengemeinschaft aller Nationen in wissenschaftlichen Dingen überzeugen, und er wird eS jedem Einzelnen wieder ins Gedächtniß zurückrufen, daß die medicinische Wissenschaft ein einheitliches mächtiges Gebäude ist, da« auch von jedem Ar^t nur als ein großes Ganzes ausgefaßt werden darf. Die Hervorkehrung und starke Betonung diese« Satzes ist aber recht nötbig; denn eS läßt sich nicht leugnen, daß einerseits unsere Specialisten sich mehr und mehr ia die feinere Ausgestaltung ihre« Specialfache« verlieren und allen anderen Gebieten, soweit sie nickt zufällig irgendwie mit ihrem Fache verknüpft sind, mit Gleichgiltigkeit oder gar souverainer Nichtachtung gegenüber stehen, und daß anderer seits die große Menge praktischer Aerzte wenigstens in den großen Städten sich mit den allgemeinsten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen begnügt, jeden einiger Maßen bedeutenden Eingriff aber Specialärzten oder den öffentlicken Krankenhäusern überläßt. DaS mag im einzelnen Kalle prak tisch sein, drückt aber daS ganze Niveau der ärztlichen Wissen schaft. Einzeln« rühmliche Ausnahmen, wir z. B. ein bekannter Berliner Chirurg, der zugleich als der beste Diagnostiker innerer Krankheiten gilt, können an der Richtigkeit de« eben erhobenen Vorwurfs nicht- ändern. Gerade diese großen allgemeinen GesicktSpuncte fehlten aber auf den letzten Eongrefscn gänzlich, wie überhaupt die wissenschaftliche Ausbeute au« spater zu erörternden Grünten sehr gering war, während sie in diesem Jahr sehr groß ru werden verspricht. Zu dem nun einmal bestehenden Miß trauen in den wissenschaftlichen Werth der Aerztecongrcfle kommt, wie schon erwähnt, eine gewisse Verstimmung wegen der gesellschaftlichen Mißstände, d»e auf dem letzten Eongreffe zu Tage traten. In Berlin war daS nicht weiter schlimm; nur daS große Fest, daS die Stadt Berlin allen Theilnehmern in sämmtlichen Räumen Les Ralhhauses gab, artete zu einer so allgemeinen hochgradigen Animirtheil aus, daß nicht ganz mit Unrecht der Stadtverwaltung der Vorwurf gemacht wurde, eS seien ihr 100 000 zur Veranstaltung einer würdigen Feier, aber nicht einer wüsten Orgie bewilligt worden. Immerhin hatte selbst diese große Animirlheit noch ihre guten Seiten, denn sie äußerte fick zumeist in über triebenem Enthusiasmus, der z. B. eine Reibe älterer ameri kanischer Aerzte veranlaßte, den greisen Vlrckow unter lautem Iubelgesckrei auf den Schultern durch die Festsäle zu tragen. Ander- schon in Rom. Hier verstimmten von vornherein die maßlosen Preis« der Wohnungen, die man überhaupt nur durch Vermittelung deS FestcomitsS erhalten konnte. Und der sehr stark verbreiteten Behauptung, daß das Festcomits selbst erhebliche Procente von den Zimmervermielhern er halten , wurde eigentlich niemals ernsthaft widersprochen. Geradezu widerlich aber war eS, wie bei den Festmahlen, besonders bei dem Frühstück in den alten jThermen, fick eine ganze Reihe Festtheilnehmer wie hungerigc Wölfe auf die Speisen stürzten, als ob sie fick sckon seit Jahren nicht sattgegeffen hätten. Daß die Hauptfllnber dabei wirklich blutarme italienische Provinzärzte waren, die gewiß oft hungerten und darbten, konnte daS Peinliche deS Ein drucks nicht verwischen. Recht unangenehm berührte auck die echt italienische Unordnung, die bei allen Veranstaltungen herrschte. Trefflich harmonirle damit das Arrangement der wissenschaftlichen Sitzungen. Für die allgemeinen Sitzungen, an denen also alle Congreßmitglieder theilnebmen sollten, batte man ein Tbeaterchen gewählt, in daS statt 8000 höchstens 600 Menschen hineingingen. Die Sitzungen der Sonter- abtheilungen aber fanden in einem fern von Rom gelegenen, schwer zu erreichenden neuen Gebäude statt, in dem eS un erträglich nach Farbe, frischem Mörtel rc. roch. Ein be kannter BreSlauer Piofessor gab damals der allgemeinen Stimmung trefflich AuSdruck durch ein drastische» Wort, das seiner Zeit die Runde durch die Presse machte: „II cougrssso S un grau mumipirio«. Doch auch der wissenschaftliche Werth der beiden letzten Congresse war gering und mußte der Natur der Sache nach gering sein. Während di« siebziger Jahre unter dem ge waltigen Eindruck de« anfänglich antiseptischen (Fäulniß hemmenden), später aseptischen (Fäulniß auSsckließendcn) WunvbeilversahrenS standen, da« auf dem Gebiete der Chirurgie und der Geburt-bilfe täglich neue, überraschende, bedeutungsvolle und stet« für die Menschheit glückbringende Fortschritte krackte, während der Anfang der achtziger Jahr« völlig unter dem Einfluß der neu aufblüyenden bacterioloziscken Wissenschaft stand, war zu Ende der achtziger Iabre eine Art wissenschaftlicher Stagnation eingetreten. DaS Wund heilverfahren konnte nur kleine Verbesserungen, keine neuen Resultate mehr bringen; r« war ziemlich abgeschlossen, nach dem dir Resultate theoretischer Forschungen fick in der Praxis, ja selbst in ter PrariS unter erschwerenden Umständen, also r. B. im russisch-türkischen Kriege, bestätigt batten (im deutsch französischen Kriege konnte da- damal- schon bekannte Ver fahren au- Mangel an geeignetem antiseptischen Verband material bekanntlich nicht auSprobirt werden). Die baklerio- logisch« Forschung hatte auch «in« Art Höhrpuuct «rreichl. Die Entdeckung eines neuen Bacillus, eines neuen Krank heitserregers, rief keine Sensation mehr hervor. Man be hauptete— ob mit Reckt oder Unrecht bleibe dahingestellt—. daß zur Entdeckung einer neuen Bacillenart bei unseren glänzenden bakteriologischen und mikroskopischen UntersuchungSmelhoden mehr Sitzarbcit als Hirnarbeil gehöre. Auch über die LebenS- bedinzungin der neu entdeckten Bakterien war man größlen- theils im Klaren, man wußte, was ihre Entwickelung günstig, waS schädlich und waS sie tödtlich beeinflusse. Aber gerade weil man bei diesen glänzenden theoretischen Kenntnissen so absolut keine praktische Verwendung gesunden batte, begann sich allgemach in Aerztekreisen an Stelle der ursprünglichen Begeisterung für die Erforschung dieser kleinsten, gefährlichen Lebewesen eine Art spöttischer Opposition einzustellen. Auch die bedeutsamste Entdeckung aus der Mitte der achtziger Jahre, die Pasteur'sche Behandlung der Tollwuth durch Schutzimpfung, blieb zunächst eigentlich eine Art Wissenschaft licker Kuriosität, ein Uuicum, dessen vollen Werth man erst fast ein Decenium später gänzlich würdigen lernte, als sich die ZmmunisirungStheorien bei der Krankheitsbehandlung einen breiteren Spielraum eroberten. So stand der Berliner Congreß unter dem Zeichen einer gewissen wissenschaftlichen Sättigung, nicht unter dem frischen zielbewußten Strebens. Die bedeutsamste Mittbeilung des CongresseS, nämlich die, in der Robert Kock andeutele, daß er ein Mittel gegen Tuberkulose gefunden habe, ging wegen der Allgemeinheit und Undeutlichkeit der Angaben fast spurlos vorüber. Man erinnerte sich ibrer erst recht wieder, als die Rede des Ministers von Gvßler den Anlaß zu jener unseligen flübzeiligen Veröffentlichung des Kock'schen Heilverfahrens gab. — Daß der Congreß einzelne hochinteressante Vorträge brachte, z. B. auf dem Gebiete der Gehirnphysivlogie, soll nicht bestritten werden. Dem niederschmetternden Eindruck, den der Mißerfolg deS Koch'scken Tuberkulins hervorrief, ist eS Wohl zu ver danken, daß auf rem Congreß in Rom im Frühjahr 1894, also kurz vor Veröffentlichung deS Bchring'schen Diphtherie- Heilserum«, so sehr wenig über die Resultate und den Stand der Serumforschung verlautete, obwohl man durch eine Reibe von Veröffentlichungen und vorläufigen Mitthcilungen wußte, wie eifrig in den letzten Jahren auf diesem Gebiete gearbeitet worden war. Aber man hütete sich Wohl, nochmals durch eine verfrühte Mittheilung sich einen eventuellen peinlichen Mißerfolg zuzuziehen. Der diesjährige Congreß zu Moskau steht unter einem günstigeren Stern. Die Darbietungen der russischen Re gierung sind zunächst nicht rein materieller oder gar kuli narischer Natur. Sie bestehen u. A. in freier Fahrt auf allen russischen Eisenbahnen biS herunter zum Kaukasus. Und wer im Anschluß an den Congreß eine derartige Reise unternimmt, der wird statt deS physchen oder moralischen Katers nach einem schweren Gelage eine Fülle von Anregung und Frische mit nach Hause bringen, und er wird vor Allem in Verkehr mit den College« au- den versckiedensten Ländern wieder lernen, daß eS über daS politische TageSgeschwätz hinaus etwa- giebt, WaS alle Menschen, alle Nationen verbindet: die Wissenschaft. Und Wissenschaft ist Friedel Viel bedeutsamer aber ist natürlich für den Verlauf und Erfolg des CongresseS, daß uns die letzten Jahre zwei Er- rungeaschaften gebracht habe«, von Leuen di« rin« auf rria medicinischem Gebiete liegt, die andere wenigstens ihre bisher wichtigste Verwertbung auf medicinischem Gebiete gefunden hat: daS Behring'sche Heilserum und die Röntgenstrahlen. Als Behring mit seiner Veröffentlichung hervortrat, begegnete man ibr natürlich wieder unter dem Eindruck der Tuberkulin- Enttäusckung mit recht viel Mißtrauen. Und auch als die ersten Nachprüfungen an andern Orlen den Erfolg bestätigten,warf man nock em, daß diese Erfolge nichts bewiesen, da es von jeher Diphtberieepidemien mit geringer Sterblichkeit gegeben habe. Inzwischen sind die Zweifel verstummt und der diesjährige Congreß wird zur Evidenz beweisen, daß das Heilserum zwar nicht alle, aber annähernd alle Hoffnungen erfüllt bat, die man daraus gesetzt bat. Vor Allem aber ist das Behring'sche Verfahren kein Unikum geblieben, sondern hat Versuche bei allen Krankheilsgebieten angeregt. Und bei dem Congresse werden die zum Theil sckon in Wissenschaftlicken Zeitschriften veröffentlichten Versuche von Forschern aus allen Staaten zu lebhaften Erörterungen Anlaß geben. Ob diese Versuche jetzt schon Erfolge erzielt haben oder nicht, eins haben sie alle gemein: sie zeigen, daß der Weg, der mit der Serumtberapie beschritten wurde, der richtige ist, und sie werden nicht verfehlen, zu neuen fruchtbringenden Arbeiten aus diesem Gebiete anzuregen. Auch in Bezug auf die Verwertbung der Röntgenstrahlen in der Medicin wird der Congreß viele interessante Zu sammenstellungen und neue Resultate zu Tage fördern. Kaum 1'/, Jahre sind seit der Entdeckung der X-Strablen verflossen, und sckon heute gehört der Röntgenapparat zum unentbehr lichen Bestand jeder chirurgischen Klinik. Aber auch für die Erforschung innerer Krankheiten und in der gynäkologischen Praxis erobert sich der Apparat immer neue Gebiete. Und es läßt sich noch gar nickt absehen, inwieweit etwa noch Ver besserungen an den Pholograpbieen eine völlige Umgestaltung unserer Diagnostik Hervorrufen wird. Der frische Zug, der in der medicinikchen Wissenschaft weht, macht sich überall geltend. Man begnügt sich nicht mehr mit dem, was man schon für möglichst vollendet hielt. So verlangt z. B. der berühmte Chirurg Mikulicz — und er wird diesen Standpunkt sicker auch auf dem Congresse vertreten—, daß man alle Operationen mit desinsicirtcn Handschuhen vornehmen solle, da eine wirklich zuverlässige DeSinfectiou der Hände unmöglich sei. Die Zumuthung klingt zunächst fast komisch, aber der Erfolg in der eigenen Klinik scheint dem Gelehrten Recht zu geben und daS Ver fahren wird kann zweifellos sofort von vielen Kliniken nach geahmt werden. Ebenso sind z. B. noch in der Augenheilkunde ganz über raschende Behandlungsmethoden und Heilerfolge bei hoch gradiger Kurzsichtigkeit sowohl wie bei Blindheit zu ver zeichnen. Es ist hier nicht möglich, aus der Fülle deS Materials, daS auf dem Congresse erörtert werden wirb, auch nur das Wichtigste auSzulesen. Aber sicherlich wird er überaus reich sein an wissenschaftlicher Anregung und nach haltigen Nutzen bringen zum Heil« der Menschheit.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite