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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.08.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-08-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970820023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897082002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897082002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-08
- Tag1897-08-20
- Monat1897-08
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Ihre gesuchtesten Mittelchen reichen aber nicht aus, um die — längst feststehende — Wahrheit in ihr Gegentheil zu ver wandeln. Das Blatt beginnt gleich mit einer plumpen Un wahrheit, denn es sagt: „Vom Sachsenwald ging in diesen Tagen eine feine Machination aus. Anscheinend ohne jeden Zusammen- bang mit actuellen politischen Fragen, erschien in dem Berliner Bismarck-Organ eine Neuauflage der Ge schichtsklitterung, welche von bismarckfreundlicher Seite an den bekannten Besuch des verewigten LentrumssührerS beim Fürsten Bismarck geknüpft worden war." Hierzu wird uns von unserem L2-Mitarbeiter geschrieben: Das ist nicht nur objeclive Unwahrheit. Die „Germania" muß wissen, daß die neuerliche Erörterung des interessanten Besuches nicht vom Sachsenwalde aus angeregt worden ist, sondern von ter „Kölnischen Zeitung", die, um den Nationalliberalen die nationale Zulässigkeit eines Bünd nisses mit den Ultramontanen einzureden, ihr Gedächt- niß verleugnet und erzählt und gefolgert hatte, Bismarck müsse ja auch das Centrum für reichspolitisch brauchbar erachtet haben, als er Windthorst um eine Unterredung bitten ließ. Die „aphoristisch" lautende ursprüngliche Mittbeilung der Berliner „Neuesten Nachr.", die die „Germania" den Aus gangspunkt einer wohlüberlegten, gegen die „Sammlung" der Parteien gerichteten Action nennt, war in Wahrheit eine Richtigstellung der falschen Angabe der „Kölnischen Ztg." und ausgesprochenermaßen durch das rheinische Blatt veranlaßt. Sie war auch gar nicht aphoristisch, sondern gab den wahren Sachverhalt erschöpfend wieder. Diesen weiß die „Germania" nicht zu erschüttern. Sie wiederholt ihre ausweichende Darstellung von 1891, derzufolge weder Fürst Bismarck, noch Windthorst die Unterredung veranlaßt, beziehungsweise nachgesucht habe; es läge doch nahe genug, an eine Mittelsperson zu denken. Tie Dazwischenkunft einer Mittelsperson brauchte man aber nicht erst zu vermutben, sie war von Anfang an Gewiß heit. Daß Herr v. Bleichröder aus eigenem Antriebe die Unterredung berbeigefübrt habe, glaubt kein Mensch, wird auch von der „Germania" nicht zu behaupten gewagt. Bismarck hat ihn nicht beauftragt. Dann bleibt eben nur Windthorst übrig, der seine Klugheit nicht vermissen ließ, als er zur Herbeiführung einer Unterredung, die Bismarck compromittircn sollte, sich einer Persönlichkeit bediente, mit der der damalige Reichskanzler notorisch geschäft liche Beziehungen unterhielt. Wenn die „Germania" sagt, noch lebende Zeugen könnten behaupten, daß Windthorst den Sturz Bismarck's bedauert habe, so ist daran so viel richtig, daß der Welfe diesem Bedauern Jedem, der davon hören wollte, Ausdruck gab. Daß es ihm Ernst damit gewesen, hütet sich selbst die „Germania" zu versichern, das würden nicht einmal ihre Leser glauben. Der „Schmerz" paßte ja ausgezeichnet zu dem vorgeblich in bismarckfreundlicher Absicht abgestatteten Besuch. In der Redaction der „Germania" hat Windthorst offenbar keine Schule gemacht. Das Blatt hat den früheren Führer schlecht „durchgelogen". Der „Vorwärts" veröffentlicht den Bericht über die „Thätig- keit" der focialdemokratischen Reichstagssractton während des Tagungsabschnitles 1896/97. Tie Verfasser desselben haben sich weitgehender geistiger Oekonomie befleißigt und zumeist auf wörtliche oder auszügliche Wiedergabe stenographischer Reichs tagsberichte sich beschränkt. Das Opus ist höchstens deswegen erwähnenswerth, weil auS der Schlußstelle bervorgebt, baß die Parteileitung entschlossen ist, ihre Agilationsgegenstände bei den nächsten Wahlen um die Marinefrage zu gr'uppiren, und weil sich ferner eine Bemerkung über die socialdemokratischen Consumvereine versinket, die gerade in Sachsen interessirt. Sie ist von der Absicht eingegeben, den berechtigten Klagen, die über die Socialdemokratie als Arbeitgeberin unausgesetzt laut werden, wenigstens für die Consumvereine die Spitze abzubrechen. Daß die Lagerhalter und sonstige Angestellte der sächsischen Consumvereine, im focialdemokratischen Idiom zu reden, ausgebeutet werden, daß die socialdrmokratische Profitwuth ihnen sogar den heiligen Weltfeiertag vorenthält, das wagt der Bericht freilich nicht in Abrede zu stellen. Er fürchtet die Tocumenle, die ibn Lügen strafen würden. Aber da jene Klagen einerseits sehr unbequem sind und man andererseits entschlossen ist, ihnen nicht durch ein billiges Entgegenkommen gegen die Genossen „Lohnsclaven" die Unterlage zu ent ziehen, so ist der Bericht auf das Anskunstsmittel verfallen, den von der Socialdemokratie gegründeten und unterhaltenen Consumvereinen den socialvemokratischenCbarakter abzusprechen. Unter etlichem Schimpfen auf die politische Niedertracht res Concurrenzneides wird die Sacke so rargestellt, als ob die Socialdemokraten an den Genossenschaften nicht als solche,sondern gewissermaßen als Privatpersonen betheiligt wären, baß die Consumvereine einen neutralen Boden bildeten, auf dem sich zu fällig — meist freilich „ausschließlich", das kann der Äerrcht nicht verhehlen — Socialdemokraten zusammengefunden hätten, „in Civil" sozusagen. Den Lagerhaltern rc. soll damit zu verstehen gegeben werden, daß sie kein Recht haben, sich innerhalb der Partei über schlechte Entlohnung und Behand lung zu beschweren, denn die Consumvereine gehen die völker befreiende Socialdemokratie gar nichts an. Wohl auS- gesonnen, Pater Lamormain! Nur schade, daß diese Ausrede mit der ganzen Politik der Socialdemokratie im schreienden Widerspruche steht. Diese Partei zieht in ihren Versammlungen und Reden bei jeder Erwähnung eines angeblichen oder wirklichen Mißstandes in Geschäftsbetrieben regelmäßig den Unternehmer in seiner Eigenschaft als „Bourgeois", als Natio nalliberalen, Conservativen rc. als Verantwortlichen heran. Auf der andern Seite tritt die Socialdemokratie bei allen ihren Unternehmungen, selbst bei ihren Vegnügungen, als Partei auf, scharf von dem Bürgcrtbum sich sondernd. Sie rühmt sich sogar, ein politisch und social nach außen streng abgeschlossenes Ganzes zu bilden. Und nun kommt sie auf einmal und läßt sich, um ungestört in den Consumvereinen ungenügendes Personal in übermäßig langer Arbeitszeit „an die Kette geschlossen" halten zu können, eigene Visiten karten drucken, auf welcher sie sich anstatt als „Proletarier partei" als „Privatere" vorstellt. Ob die arbeilnebmenden „Genoffen" sich mit dieser Zweiseelen-Theorie ihrer Ausbeuter den Mund stopfen lassen werben? In Böhmen tritt der Sprachenkampf in eine neue Phase. Die Regierung des Grafen Badeni bat eingeseben, daß es den vitalsten Interessen der österreichisch-ungarischen Monarchie zuwider ist, das culturtragende deutsche Element zum Ausharren in einer Oppositionsstellung zu zwingen, deren Festigkeit der polniscke Graf offenbar weit unterschätzt batte. Das Cabinet Badeni macht daher den Versuch einzulenken, oder giebt sich wenigstens den Anschein, indem eS die Parteien zu einer AuSgleickSconferenz zusammenberuft, der sie den Vorschlag einer Abänderung der Sprachenverordnungen und der Votirung eines neuen Landessprachengeseyes unterbreiten will. Tas Wiener „Fremdenblatt" bespricht, wie unS telegraphisch berichtet wird, die Einladung der Re gierung und betont dabei: Es handele sich um »in umfangreiches Reformwerk, das den alten und neuen Beschwerden abhelfen und gesunde, fest gefügte Zustände schaffen solle. Graf Badeni habe damit einen neuen Schritt vorwärts auf dem alten Wege gemacht. Die Stürme des Sprachen st reitS haben die Regierung von dem ursprünglich eingeschlagenen Wege nicht ab- bringen können. Die einzelnen sechs Theile des Reform werks bildeten ein organisch zusammenhängendes Ganzes. DaS „Frcmdenblatt" führt auS, daß alle Programmpuncte mit Aus- nähme der Sprachensrage verhältnißmäßig leichter von beiden Parteien angenommen werden dürften. Den meisten Stoff zur Debatte werde die Sprachenfrage bilden. Das Project der Regierung lehne sich in der Hauptsache an den Vorschlag Pfersche-UIbrich's an, der drei Sprachenzonen annebme, eine rein deutsche, eine rein tschechische und eine sprachlich gemischte, nach denen auch die Geschäftssprache der autonomen Behörden zu regeln sei. Die Regierung beabsichtige, an der Sprachenverordnung vom 5. April solche Veränderungen vorzunehmen, die diese Verordnung mit dem neuen Landesgejetze in Einklang brächten, so daß dir Bestimmungen nicht nur für die autonomen, sondern auch für die staatlichen Be hörden Geltung erlangen würden. Die sinngemäße Abänderung solle zu dem gleichen Zeitpuncte mit dem neuen Landessprachen- Gesetze selbst in Wirksamkeit treten. Die dreitheilige Unterscheidung ergebe sür die Staatsverwaltung Complicationen, die Regierung sei aber, gleichwie die Einigung beider Parteien ohne beiderseitige Opfer undenkbar, jederzeit bereit, Opfer zu bringen. Dieie patriotische Nachgiebigkeit und Opserwilligkeit, sowie der gute Wille bildeten aus allen Seiten die unentbehrliche Voraussetzung für das Einigungswerk, indem es weder Sieger, noch Besiegte geben dürfe. Der gesammte Vorschlag der Regierung biete demnach den seit längerer Zeit ge stellten tschechischen Forderungen Erfüllung, beweise sicher lich aber auch den Deutschen nicht geringes Entgegenkommen. Man sollte daher erwarten, daß beide Tbeile dem Rufe der Negierung zu der Vorconserenz willig Folge leisten und ihre Hand bieten würden, damit endlich feststehende Verhältnisse im Lande geschaffen und ein wahrer Kriegszustand beendet würde, der jedem Theile Schaden bringe und sür das Staatsganze auf die Dauer mit großen Gefahren und ernstlichen Nachtheilen verbunden sein müsse. Wenn auf den deutschen Parteitagen versickert werde, die Vertreter der deutscken Partei könnten an der Berathung nur theilnehmen, wenn zuvor die Sprachenverordnung vom 5. April ausgehoben werde, so zeige sich hiermit wieder der traditionelle Kampf zwischen Sache und Form. Der merilorijche Inhalt teS Regierungsvorjchlages sei ebenfalls geeignet, die Deutschen zum Eintritte in die Unterband- lungen auszufordern. Das „Fremdenblatt" schließt mit der Bemerkung, es könne nicht glauben, daß die Formsrage über die Sachfrage obsiegen solle, umsoweniger, als die zu einer augenblicklich unnatürlichen Bedeutung emporgeschraubte Formfrage gegenüber den dauernden Wirkungen eine» Mißerfolges von größter Be- deutungslosigkeit sei. Wie uns weiter gemeldet wird, werden anläßlich der Einberufung der AuSgleickSconferenz nach Wien die deutschen Abgeordneten aus Bödmen am Sonntag in Prag eine Vorbesprechung halten, in der die Regierungs vorlagen für den böhmischen Landtag beratben werben sollen. Man glaubt zu wissen, die Deutschen würden als erste Bedingung für den Eintritt in die Cvnferenzen an der Forderung der Zurücknahme der Sprach verordnungen auch jetzt noch festbalten. Gestern Nachmittag fand in Wien ein längerer Ministerrath statt, in dem die böhmischen Fragen beratben wurden. Man spricht von einer tbeilweisen Ministerkrise als Folge der fortgesetzten ablehnenden Haltung der Deutschen. Nach den letzten Meldungen dürfte der Ausbruch eines enalisch-afghanische» Krieges nicht mehr zu umgehen sein. Der Emir von Afghanistan hat alle hervorragenden Geist lichen seines Landes nach der Hauptstadt berufen, um mit ihnen die Lage von Afghanistan, sowie das Verhältniß zum indischen Kaiserreich zu besprechen, und der Sohn des Emirs erhielt den Auftrag, die Wafsensabriken und Ausrüstungsplätze des Reichs, in denen eine rege Tbätigkeit herrscht, zu besuchen. In England finden denn auch die Stimmen kein Gehör mehr, die, wie die „Pall Mall Gazette", den Emir als den wohlgesinnten Freund der Engländer hinstellen, dem es gar nickt einfalle, den Glaubenskrieg zu predigen. Der „Standard" läßt sich aus Konstantinopel tele- grapbiren, der Emil zögere zwar, die panislamitische Synode aber werde ihn zur Erfüllung ihrer Befehle zwingen. Einer der religiösen Intriganten sagte einem Freunde: „Jetzt haben wir die Brabminen auf unserer Seite, um mit uns gegen das britische Jock zu kämpfen. Der Pfeil ist vom Bogen abgeichoffen. Der Krieg des KoranS gegen das Evan gelium beginnt. Nichts kann verhindern, daß daS geschieht, was geschrieben steht." Wie ernst man diese Drohungen in London nimmt, zeigt die folgende Auslastung der „St. James Gazette": „Es erklärt sich genugsam, daß der Emir von Afghanistan sich zum Führer des Islams aufgeworfen hat. Nicht der geringste Grund besteht, daß Rußland hinter ihm ist und ihn anspornt. Wir haben die Sachen so prächtig gedreht, daß wir die Feindschaft der Mohamedaner erworben haben und Rußland der Schutzherr der Türken ist. Rußland braucht sich nicht Sorge zu machen. Es braucht nur still zu sitzen. Die natürlichen Ursachen werden sür Rußland wirken. Wir haben sie zum Vortheil Rußlands in Bewegung gesetzt. Es gab eine Zeit, wo man in ganz Mittel-Asien, in der Türkei und in Afghanistan Rußland fürchtete. Jetzt ist Rußland der Freund des Sultans und seiner Glaubensgenossen, und England ist der allgemeine Feind geworden. Wir haben vergessen, daß wir eine moha- medanische Macht sind. England hat sich durch eine El qur von Gefühls- mensche» verlerten lassen, der Türkei Schrecken einzujagen und jede Agitation, die den Namen christlich trägt, zu jörderu. Ist es da zu verwundern, daß der Emir meint, baß die Engländer den Glauben angreisen wollen, welchem er angehörl, und der Herrschaft des Sultans ein Ende macken wollen? Bisher haben wir noch nicht gezeigt, daß wir so furchtbar sind. Wir haben weder den Armeniern, noch den Griechen genützt, obgleich eng lische Sympathie sie verlockt hat. Die Mohamedaner I müssen England als Feind betrachten und glauben, Feuilleton. Eine Sommermondnacht. 2j Novelle von Wilhelm Jensen. Nachdruck verboten. Einstweilen indeß gab sie sich augenscheinlich noch Mühe, die Gesichter im Innern Halbwegs unterscheiden zu lassen rznd auf dem Golddeckel der kleinen Uhr zu glimmern, die unter dein Gürtel der von Fräulein von Wachenheim Frau Cäcilie von Eisenbut benannten jungen Dame halb niedergeglilten hing. In der Thal konnte die letztere an die gleichnamige Blume erinnern, sowohl durch die schlanke Gestalt als durch die Farbe ihres im vollendeten Maße elegant zugeschnittenen seidenen Kleides, und auch die dunkel blauen Augen beflissen sich, zu dieser Aehnlichkeit mit bei zutragen. Denn daS zartfeine, oder richtiger außer ordentlich schöne Gesicht war jetzt wahrnehmbar geworden; die schwüle Nachtluft im Wagen drückte zu sebr, so daß die junge Frau den Schleier zurückgeschlagen. Aller dings war es sehr heiß, doch schien sie noch empfindlicher dafür zu sein als ihre Reise-Umgebung, da sie auch die hell perlfarbigen Handschuhe an den Händen nickt ertrug, sondern abstreifte. Leicht rosige und sehr schmale Finger gelangten dadurch zum Vorschein und an ihnen ein paar kunstvoll ge arbeitete Goldreifen, welche die Lampe in ihrer Trübsal nutzte, um aus einem Brillanten und einem Saphir blitzende und sanfte Lichtstrahlen hervorzuzieben. Die Züge der Ring trägerin wechselten zwischen Blässe und einer ausfliegenben Röthe; man sah ihr an, daß sie eine Bedauernswerthe sei, die trübe und schwere Gedanken in sich trage, wenn auch Niemand auS ihrem MienenauSdruck die ganze Tiefe ihres Unglückes, den Verrath eines ihr erst seit zwei Monaten angetrautrn, treulosen Gatten abzulesen im Stande war. Da sie den Kopf beharrlich nach ihrer Fenstersrite gekehrt hielt, vermochte der neben ihr sitzende Inhaber der Handtasche mit der Freiberrnkrone sie kaum noch im Profil zu gewahren, und sein Blick heftet« sich nun ab und zu auf ihre berabbängcnde schöne Hand mit dem vornekmen und kostbaren Edelstringlanz. Ein bischen mehr von ihrem Gesicht ward, ihr gegenüber, dem jüngsten Wageninsaffen sichtbar, der, seitdem sie den Schleier auf geschlagen, dann und wann mit groß staunenden, doch halb furchtsamen Augen kurz an ihr vorüberglitt. Einigermaßen von vorn konnte allein sein Nachbar in der Ecke zur Reckten sie wahrnebmen und lhat dies, ebenso ohne Scheu wie ohne Aufdringlichkeit, in seiner ruhig betrachtenden Art. Dabei erwies er sich sowohl nachdenkend und schlußfolgernd, als tbeilnebmend, denn er unterbrach die im Wagen herrschende Schweigsamkeit einmal durch eine an die junge Tame ge richtete Frage: „Wenn Ilmen etwa an Ihrem Gebirgs aufenthaltsort für die Erkrankung eines Kindes ärztliche Hilfe mangeln sollte, gnädige Frau, so bitte ich, über meinen Beistand zu verfügen." Nach den Umständen und dem Gesichtsausdruck der Fahrt- theilnehmerin war ihm wohl diese Annahme als die nächst liegende erschienen, sie stellte sich jedoch sogleich als Täuschung heraus. Die junge Frau schrak merklich etwas zusammen, von einem fremden Herrn angesprochen zu werden, und er widerte nur, halbverständlich hervorgebrackt, unter kurzem Kopfschütteln: „Ich danke." Dann indeß fügte sie erröthend nach. „Ich kann nicht in Besorgniß um ein Kind sein, da ich keines besitze, und die Heilkunst eines Arztes wäre bei mir umsonst." Es legte Zeugniß von feiner Bildung und der Höflichkeit deS Herzens bei ihr ab, daß sie sich gedrungen gefühlt batte, ihrer ersten kurzen Entgegnung auf daS freundliche Anerbieten noch den erklärenden Nachsatz hinzuzugesellen. Doch zugleich drückte sich in diesem, gewissermaßen zwischen den Worten, eine Ablehnung weiterer Gesprächsfortsetzung aus, und der Arzt zeigte sich auch von feinfühligem Verständniß, erwiderte nur mit einer leichten Kopfneigung und lehnte sich stumm in seine Ecke zurück. Seine Aeußerung schien indeß daraus hingewirkt zu haben, auch von anderer Seite ein Zungen lösen zu veranlassen, denn unerwartet bog jetzt der Besitzer der eleganten Handtasche den Kopf ein wenig vornüber und sagte laut: „Baron AlfonS von WolfSkeel." Ueberraschend kam», daß der aristokratische Mißvergnügte sich derartig vorstellte. Er tbat e» dem Arzt gegenüber, der durch eine kaum merkbare Regung der Mundwinkel kunvgab, er faßte vermuthlich den Vorgang richtig dahin auf, daß er die Bekanntmachung weniger ihm als der interessanten jungen Lame geltend ansehe. Doch mit höflichem Gleichmuth ent gegnete er: „Doctor Gerlach Viereck", und lebnte sich aber mals zurück. Auf einen Weitergang der Anknüpfung setzte er offenbar keine Erwartung, täutcbte sich darin diesmal auch nicht, denn der Freiherr, der niit der Möglichkeit gerechnet haben mochte, sich doch einem Standesgenoffen gegenüber zu befinden, machte nickt Miene, zu einer Unterhaltung mit dem bürgerlichen Namen geneigt zu sein. Dafür unterbrach nach einigen Augenblicken der Doctor Viereck wieder die zurück gekehrte allgemeine Schweigsamkeit, indem er, den Kopf zu seinem unmittelbaren Sitznachbar nmwendend, äußerte: „Ich habe mich in gewisser Weise als Reisegefährte auch Ihnen vorgestellt, junger Herr. Es steht der Jugend wohl an, meinen leider sckon vorgeschrittenen Jahren mit dem gleichen eine Gunst zu erweisen." Der Angeredete ward ein wenig roth, murmelte verlegen: „Menn Sie mir verstauen, Herr Doctor", zog ein Tascken- büchlein hervor, dem er eine Visitenkarte entnabm und sie dem Arzt hinreichte. Dieser näherte die Karte etwas dem Lichte, laS laut: „Hans Backstclz", und fügte nach: „Was darunter steht kann ick bei der Beleuchtung mit guten Augen und dem besten Willen nicht berauSbringen". „8tuäiosu8 ,iuri8 utriusque", erklärte der indirekt Befragte. „Ab, Sie sind Jurist und sogar zweifacher? Ihr Name hat Ihnen allerdings Wohl die Vorbestimmung mitgrgeben, munter über Gesetzesparazrapben binwegzuwippen. Seit wie vielen Semestern befleißigen Sie sich schon deS bürgerlichen und geistliche» Rechts?" Die Lippen des Fragestellers bewiesen augenblicklich, daß sie unter ernsthaftem Anschein eine recht schalkhafte Regung verbergen konnten. Wenigsten« ging auS einer solchen seine letzte Erkundigung hervor, denn in seinem Lächeln stand un schwer zu lesen, er stehe mit der Antwort daraus bereit» im Voraus auf vertrautem Fuß. Ter blondhaarige Jüngling zögerte und schluckte ein bischen, ehe er hervorbrackte: „Ich bin erst — ich stehe im ersten Semester—." „DaS heißt, Sie sieben wobl noch nicht ganz, sondern be finden sich nock auf einem kleinen Zwischenspaziergang bi« zum Eintritt über die Schwelle diese« Semesters? DaS ist die köstlichste Wanderzeit de« Lebens, mein junger künftiger Tribunalpräsident oder Oberstaatsanwalt; beeilen Sie sich nicht mit der Abkürzung, üben Sie Ihre Steigkraft und Klctterkunst auSgirbig an den Bergen draußen, gute Lungen sind das Wertbvollste, waS der Mensch in« Leben mitbringen kann, und dafür wird Ibnen bis vor acht oder vierzehn Tagen die Atmosphäre in der Prima nicht sonderlich gesorgt haben, denn prima Sorte pflegt sie nicht zu sein. Also nützen Sie Ihren Bergstock gut, den Weg können Sie ja nicht ver fehlen, dafür baden Sie Ihre Karte mit dem stuck, jur. utriusczue sicher in der Brusttasche." Von freundlichem Lächeln begleitet, war eS eine so gut- müthige Erlustigung an dein ersten stolzen Flugversuch des eben aus der Puppe geschlüpften oder eigentlich sich erst noch berausarbeitenden Schmetterlings» daß nichts von einer Kränkung daraus zu entnehmen war, sich vielmehr nur als eine Erfrenung am Anblick des hübsch gezeichneten, flügel prüfenden Falters kundgab. Das drückte der Doctor Gerlach Viereck auch noch extra durch die Nachfügung aus: „Sv jung waren wir alle einmal, und wenn das ein Fehler ist, bringt doch seine Verbesserung keinen Vortheil mit sich." Ins letzte Wort klang ein sckwermüthiger Pfiff der Loco- motive, wie aus versagender Brust, als sei sie für ihre Constitution zu schnell gelaufen und könne nicht weiter, sondern müßte sich auf eine Weile verschnaufen. Demgemäß hielt sie an, wie sie'S unterwegs schon zweimal getkan; der Schaffner aber sah sich diesmal, vielleicht mit Rücksicht nahme auf den deplacirten erstklassigen Fahrgast, veranlaßt, die Wagenthür unter der Bemerkung zu öffnen, die Bahn sei eingleisig und der Zug müßte bier eine Viertelstunde daS Eintreffen eines entgegenkommenden abwarten. Ver muthlich war diese sinnreiche Einrichtung aus der Voraussicht des Ruhebedürfnisses der greisen Locomotive getroffen, und weiter ließ sich noch mutbmaßen, der Zug stebe auf einer Station vor irgend einem Gebäude still. Doch entsprang die letztere Conjectur lediglich einer Schlußfolgerung des Verstandes oder der Erfahrung, denn die Augen boten sür sie keinerlei Unterstützung. Man sab nichts als einen kleinen rotbzitternden Schein, der ein verglimmender Laternendocht, ebensowohl indeß da« Brandmal einer Cigarre sein konnte, und nur dem Odr ward der Genuß zu Tbeii, jetzt beim Anhalten laut auS der dritten Classe das Zanken und Schreien eines halben Dutzend stark angeheiterter Bauern herüber zu hören; ein Sonnabend-Abend war«, und sie hatten sich offenbar in der Fremde auf die würdige Begehung der Sonntagsfeier in ihren HeimathSorten vorbereitet. Nur ein Passagier befand sich zwischen ibnen, der augenscheinlich, obwohl er «ine sehr einfache ländliche Joppe trug, nicht ihrem Stande und wohl auch nicht der Gegend angebörte. Die Wagenbeleuchtung verhielt sich zu derjenigen der zweiten Classe etwa noch wie 4:1, so daß ein reckt ungewöhnliche» Sehvermögen zu einer wirklichen Unterscheidung der Gesichter nötbig war. Immerhin doch reichte da« Licht aus, di« Er scheinung de» Fremden nicht besonder» anziehend oder, Wohl richtiger gesagt, nicht gerade vertrauenerweckend zu über dämmern. Ein breitbekrämpter, tief in die Stirn gedrückter
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