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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.08.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-08-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970824029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897082402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897082402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-08
- Tag1897-08-24
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Auzeigeu-Prei- di« S-espalt«, Petitz«ik X) Pfg, Neclamen u»te» de« Redaetiondstoich («am spalten) Lo^, vor den Famili«nachrichie» (tzgespalten) chröhere Schrift« laut unserem ^Vwjs- »erzeichnih. Tabellarischer und giffnafatz nach HSHerem Tarif. llW>»» i > Extra-Beilage« (gesalßt), an, mit dm Morgen - AnSaab«, oha« Postbrfürdermm ^l SO.—, Mit PostbesördrrnN« 70.—. —> n-v > > ÄnnnlMefchluß fir Alyrt-tir: Abend-Ansgab«: Vormittag« 10 Uhr. -7 » rg « »- Ansgab«: Nachmittag« 4 Uh». Bet den Filialen und Annabmestell« je eine halbe Stunde seither. A«,etgea find stet« au die OxPedttt-, t» richt«. Druck nnd Verlag von «. Polz tu Leipzig Dienstag den 24. August 1897. Sl. Jahrgang. Präsident Faure beim Zaren. p. Der große Moment ist gekommen: der Präsident der französischen Republik weilt auf russischem Boden: daS erste Mal. daß daS Staatsoberhaupt Frankreichs den Zaren besucht, da« erste Mal, daß ihm die Volksvertretung gestattet hat, sich außer Lande« zu begeben, nm dem russischen Autokraten seinen Gegenbesuch abzustatten. Die Erwartungen, welche man in ganz Frankreich an diese Begegnung geknüpft, waren aufs Höchste gespannt, um so mehr, al» derselben der so glänzend und herzlich verlaufene Besuch de« deutschen Kaiser« in Petersburg und die gegenseitige Versicherung beider Monarchen, gemeinsam treue Wacht über den Weltfrieden zu halten, voraufgegangen war. Frank reich — darüber ließ die absick lich dürftige Berichterstattung über die Petersburger Festlichkeiten und das offen bekundete Mißtrauen in die Aufrichtigkeitjder russischen Freundschaft keinen Zweifel — war verstimmt, ja deprimirt, sah schon den neuen Dreikaiserbund im Werden, und «in Theil seiner Presse forderte kategorisch, daß der Zar nunmehr in seinem Trinkspruch auf die französische Republik und d«ren Präsidenten daS Zauberwort „Alliance" ausspreche, widrigenfalls dir ganze russisch-fran zösische Freundschaft sich als werthlose, ja für die Republik höchst unprofitable Comödie sich entpuppen müsse. Nach dem Vorschlag einiger Blätter hätte Paris im Augenblicke der Ankunft Faure's und der Begrüßung durch den Zaren in Flaggenschmuck prangen sollen. Dieser Aufforderung waren indessen nur einige wenige Gastwirthe nachgekommen, das übrige Paris wollte erst die telegraphische Mittheilung der in Petersburg ge wechselten Trinksprüche abwarten. Jetzt sind sie gewechselt. Man berichtet uns darüber das Folgende: * Petersburg, 23. August. (Meldung der „Agence Havas") Bei dem heutigen Galadiner brachte Kaiser Nikolaus folgenden Trinkspruch in französischer Sprache aus: „Ich empfinde ein ganz besondere- Vergnügen, Sie willkommen zu heißen, Herr Präsident, und Ihnen für Ihren Besuch zu danken, welchen ganz Rußland mit lebhafter einmüthiger Freude aufnimmt. Die reizvolle Erinnerung der zu kurzen, in Frankreich im vorigen Jahre verbrachten Tage bleiben unauslöschlich in Meinem Herzen und demjenigen der Kaiserin «ingegraben. Gerne hoffen Wir, daß Ihr Aufenthalt unter Un« und di« Aufrichtig keit der Gefühle, welche er erweckt, die Bande der Freundschaft und der tiefen Sympathie nur noch enger knüpfen können, welche Frankreich und Rußland vereinigen. Ich trinke auf Ihre Gesundheit, Herr Präsident, und auf die Wohlfahrt Frankreichs." Präsident Faure erwiderte mit folgendem Trinksprnch: „Ew. Maj. hatten die Güte, an die zu kurzen Tage zu erinnern, welche Ew. Majestät mit Ihrer Majestät der Kaiserin letzten Oktober in Paris verbracht haben. Ganz Frankreich hat seinerseits die wärmste Erinnerung daran bewahrt. Dem tiefen Gefühle der ganzen Nation entsprechend, kommt der Präsident der Republik in die Hauptstadt des Reiches Ew. Majestät, um die Bande zu bekräftigen und noch enger zu knüpfen, welche unsere beiden Länder vereinigen. Indem Ich den Boden Rußlands in dem Augenblick betrete, wo da- Herz der beiden Völker im Einklänge schlägt, in dem gleichen Gedanken der gegenseitigen Treue und des Frirdens erhebe Ich mein Glas zu Ehren Sr. Majestät deS Kaisers aller Reußen, Ihrer Majestät der Kaiserin und ganz Ruß lands." Das Orchester spielt« hierauf die russische Hymne. Ob Paris nun flaggen und gar illuminiren wird? Der Toast deS Zaren bietet ihm jedenfalls keinen zureichenden Anlaß, denn der Zar hat auch diesmal wieder, gerade wi« am 6. Oktober vorigen Jabre» im Elysöe da« höchst unpolitische Eom- pliment für die Reize der Seine-Metropole an die Spitze seiner Ansprache gestellt und im Uebrigen, weit davon entfernt, sich deS Wortes „Alliance" zu bedienen, wieder nur von „Banden" gesprochen, die Frankreich und Rußland vereinigen, und diese, als wollte er absichtlich den Glauben an das Bestehen eine« formellen Bündnisses, einer „Alliance", entgegentreten, nur solche der „Freundschaft" und „Sympathie" genannt, während er in Pari« f. Z. doch wenigstens noch von „werthvollen" Banden und von dem Gefühl der Waffenbrüderschaft ge sprochen hatte. Aber noch mehr: der Zar qualificirt den Besuch Faure's nicht, wie man doch billig erwarten müßte, als eine Bestätigung der Festerknüpfung jener Freund schaftsbande, sondern er spricht nur die Hoffnung au«, daß diese letztere erfolgen werde. Ist daS nicht über die Maßen vorsichtig und — zurückhaltend? Macht es nicht den Eindruck, als ob der Zar befürchte, Frankreich könne, da eS immer noch auf die Hilfe Ruß lands bei der einstigen Revanche rechne, über kurz oder lang, nachdem es sich in dieser Hoffnung endgiltiß getäuscht gesehen, sich wieder zurückliehen und den Zaren in feinem unerschütterlichen Entschluß, den Weltfrieden zu erhalten, im Stiche lassen? Als Beweis für die Richtig keit dieser Auffassung mag die Antwort Faure's dienen, welche sich mit ihrer positiven Versicherung von der französischer- seitS beabsichtigten Bekräftigung und Festerknüpfung der gegenseitigen Bande und dem treuen Festhalten an einer Politik des Friedens wie eine Beschwichtigung der Bedenken deS Zaren ausnimmt. Jedenfalls klingt aus den Worten, die der Zar vor wenigen Tagen an den deutschen Kaiser richtete: „die neue Bethätigung (mumlestatiou) der traditionellen Bande, weiche uns einigen, und der guten Beziehungen, die in so glücklicher Weise zwischen unseren beiden benachbarten Reichen geschaffen worden sind, ist zugleich eine werthvolle Bürgschaft für die Aufrechterhaltung des Weltfriedens, der den Gegenstand unserer andauernden Bemühungen und unserer glühendsten Wünsche bildet", ein ungleich größeres Vertrauen des russischen Herrscher- auf die Zuverlässigkeit des deutschen Nachbars heraus, und man gebt Wohl nicht zu weit, wenn man behauptet, in dem Zarentoast auf den französischen Präsidenten sei ein wärmerer Ton geflissentlich vermieden, um die Bedeutung jenes Kaiser Wilhelm gewidmeten Trinkspruchs nicht abzu- schwäcken. Frankreich ist, wie großen Werth man auch in Petersburg auf seine Freundschaft legt, nicht mehr die einzige Macht, auf welche Rußlands Friedenspolitik sich zu stützen begehrt: das konnte Faure auS dem gestrigen Toaste Nikolaus' II. deutlich herauShören. In Paris wird man ein feines Ohr dafür haben und — wahrscheinlich wieder gute Miene zum „bösen" Spiel machen, ein Spiel, von dem man, ohne eS freilich offen zuzugeben, sich allgemach überzeugt hat, daß es auch ohne die Gewähr dereinstiger Revanche doch einige recht gute Treffer für Frankreich enthält, die man sich keinesfalls entgehen lassen darf. Zwar der russische „Verbündete" hat, als der „Potbuau" mit dem Präsidenten der Republik an Bord bei Kronstadt ankerte, diesem nur den Großfürsten Alexis ent gegengeschickt, während er das deutsche Kaiserpaar persönlich an Bord der „Hohenzollern" begrüßt hat, aber, so wird man calculiren, das erfordert die höfische Etikette, und last uot least am Fallreep der „Alexandria" haben Kaiser und Präsident sich zweimal geküßt! WaS will man mehr'? Dieser Kaiserkuß spricht mehr als alle Toaste. Er beweist ucl ooulos das Bestehen eines wirklichen Bündnisses, denn ein russischer Zar würde niemals den ehe maligen Gerber Faure, jetzigen Präsidenten der französischen Republik, geküßt haben, wenn er in ihm nicht den — Alliirten erblickte. Nun, in dem kühler urtheilenden Deutschland wird man diese Logik schwerlich als zwingend anerkennen und sich richtiger an den Wortlaut der vielsagenden Kaisertoaste vom 7. und vom 23. August halten, aber sich doch aufrichtig darüber freuen, wenn man in Frankreich in der Begegnung Faure's mit Nikolaus II. trotz alledem einen neuen Anlaß zum Festhalten an dem „Bündniß" mit Rußland erblickt. Der „Zweibund" Frankreich und Rußland hat bis jetzt den aufsässigen Nachbar jenseits der Vogesen fest im Zügel gehalten, hoffen wir, daß er mit dem gleichen Erfolge weiter bestehen bleibt! Politische Tagesschau. * Leipzig, 24. August. Wenn führende Preßorgane der freisinnigen Vereinigung jetzt dem Ausbau unserer Marine daS Wort reden, so zeigen sie damit, daß sie Verstäudniß für die im Volke sich voll ziehende Wandlung haben. Aus Ueberzeugung freilich dürfte die freisinnige Vereinigung kaum für den Ausbau der Flotte eintrelen; vielmehr berechtigt ein Artikel der „Nation" zu der Vermuthung, daß die freisinnigen „Wadenstrümpfler" in erster Linie als gebranntes Kind das Feuer fürchten, das durch die „unentwegte"Ablehnung unerläßlicher Forderungen zur Verstärkung unserer vor Allem der nationalen Production zu Gute kommenden Seemacht am Ende doch entfacht werden könnte. Herr Eugen Richter beharrt natürlich „voll und ganz" auf seinem Standpunkt und arbeitet in der „Freis. Ztg." mit Hochdruck gegen die Rickert und Genossen. Er schreibt: „Die freisinnige Vereinigung ist, wie jetzt scharf hervortritt, in der Militair» und Marinesrage zu ihrem nationalliberalen Ursprung klipp und klar zurückgekehrt. Gerade die schwächliche Haltung der Nationalliberalen aber bat seil t874 die Militairconflicte im deut schen Reich veranlaßt. (!) WaS unterscheidet denn nun gegenwärtig überhaupt noch die freisinnige Bereinigung von dem Nationallibera lismus? Höchstens der Freihandel. Da wäre es doch der freisinnigen Vereinigung zu empfehlen, zu Muttern zurückzukehren nnd innerhalb der nationalliberalen Partei als ein freihändlerischer Flügel derselben zu versuchen, «ine größere Be- deutung zu erlangen." Herr Richter sucht des Weiteren gegen die Marine forderungen dadurch Stimmung zu machen, daß er sie als nur durch den Wunsch des Kaisers entstanden dar stellt. Er sagt, diese Forderungen ließen sich nicht auS sach lichen Gründen, sondern nur aus besonderer persönlicher Vorliebe erklären; an anderer Stelle spricht er noch etwas unhöflicher von einzelnen subjektiven Liebhabereien. Herrn Richter ist offenbar der Beifall zu Kopfe gestiegen, den er für seine Rede vom 18. Mai auch in nicht radicalen Kreisen erntete. Er glaubt, dem deutschen Volke sei eine Sache deshalb unsympathisch, weil sie dem Kaiser sympathisch ist. Darin zeigt sich wieder jene fundamentale Unkenntniß deS deutschen Volkscharakters, die dem linken Flügel deS Liberalismus schon so oft verderblich geworden ist. Wohl ist in weiten Kreisen des Volke« Mißstimmung über gewisse Aeußerunaen und Handlungen de- Herrschers vorhanden, und dieser Mißstimmung ist auch offen Ausdruck gegeben worden; aber eS widerspricht dem monarchischen Em pfinden deS deutjchen Volke« durchaus, nun etwa ständig mit dem Herrscher deswegen zu schmälen. Vielmehr ist eS dem weit über wiegenden Theile deS deutschen Volke« ein sehnlicher Wunsch, mit dem Herrscher im Einklänge zu leben. Dieser Wunsch geht nicht so weit, daß Volk oder Volksvertretung geneigt wären, der Meinung des Herrschers zuliebe zu tbun, wa« sachlich nicht begründet ist. Nickt nur die Parteien der Linken, sondern auch andere Parteien haben mehr al« einmal gezeigt, daß sie keineswegs einem Gedanken darum allein zustimmen, weil er vom Monarchen ausgeht oder ihm zum Mindesten sympa- tisch ist. Wir erinnern nur an die der Vorlage über die Er richtung einer Gedenkhalle zu Theil gewordene Behandlung. Bei der Marinesrage handelt r« sich aber nicht um ein» persön liche Liebhaberei, sondern um eine Ueberzeugung, die außer von dem Monarchen von allen sachverständigen Männern getheilt wird. ES ist nicht nur die Auffassung des Kaisers, daß die coloniale und handelspolitische Entwickelung Deutsch lands noch nicht an ihrem Ende angelangt sein dürfe. Ein Volk, daS keine Ziele mehr hat, muß nothwendigerweise zurück gehen, und nur ein Volk, da« sich hohe neue Ziele steckt, kann seine Blüthe erhalten. In der richtigen Erkenntniß, daß Deutsch land an dem Punkte angelangt ist, wo eS Gefahr läuft, zu verkümmern, wenn eS sich nickt neue Ziele steckt, strebt der Kaiser die Entwickelung der Marine an, keineswegs, weil diese ibm Selbstzweck ist, sondern weil sie ihm als Mittel zum Zwecke erscheint. Und darin darf er sich ein« wissen mit allen sachverständigen Patrioten. Graf Badeni wollte au« der Tentschenhetze in Pilsen einen Judenkrawall machen, aber polnische Telegramme haben kurze Beine. Niemand hat ihnen inDeutschland geglaubt, jeden falls auch die „Kreuzzrituug" nicht, di« ihren Lesern sagt«, die Erbitterung in Pilsen habe sich gegen ein» bestimmte Menschenclasse (die Juden) gericktet, und die Gelegenheit ergriff, andeutungsweise die Daseinskämpfe der Deutsckdöbmen überhaupt als jüdische Macke hinzustellen. Da« Berliner Junkerblatt fängt nicht erst an, du Partei der Bademer zu nehmen; eS hat von Anbeginn an versteckt den Tod feinden der Deutschen Waffen zu liefern versucht. Jetzt, wo eS Tag für Tag um die Unterstützung der Con- servativen in Preußen durch den katholischen Adel bettelt, wird man sich nickt wundern dürfen, wenn es offen für den polnischen Standes- und Glaubensgenossen der Umworbenen und gegen daS eigene VolkStbum eiutritt. Di« ,Frruzztg." kann unmöglich im guten Glauben gehandelt haben, al« sie die Angaben der Pilsener Lügrndeprscke für baare Münze nahm. Selbst die antisemitische „StaatSbürgerzeituna", die über den Verdacht erhaben ist, eine Gelegenheit, den Juden Eins an- rubängen, ungenützt Vorüberzehen zu lasse», hat sofort die Täuschung erkannt und — im directeu Gegensatz zur ,^kreuz- zeitung" — einem Berliner „Judenblatt" etwas wie An erkennung ausgesprochen, weil dieses die Deutschenhetze nicht als Judenhetze behandelt hatte. Die „Kreuzzeitung" kann übrigens thun, was sie will. Für da« „Wolsfsche Telegraphen bureau" würde es sich aber kaum empfehlen, dem Grafen Badeni zu Liebe mit der Verbreitung falscher Nachrichten über die Deutschen in Böhmen fortzusahren. FreerHeton- Eine Sommermondnacht. ks Novelle von Wilhelm Jensen. Nachdruck verraten. Ganz deckte sich allerdings die Abschiedskundgabe der letzten Strophe nicht mit ihrer Ausführung, insofern der Gesang nicht recht mit dem „stillen" Hinlegen deS Hand schuhs übereinstimmte. Doch der absonderliche Text batte hübsch nach der volksliederartigen Melodie und auch ihrem Ton entsprechend geklungen, und da der Verfasser jedenfalls zur Herstellung deS ersteren nur über wenig Zeit verfügt gehabt, war ihm da« Durchschlüpfen eines kleinen logischen Widerspruch« nicht sehr zu verübeln, sondern als eine, selbst berühmter Vorbilder nicht entbehrende dichterische Licenz aus- zufaffen. Wie ein aufgewecktes Echo aber, als er nun inne hielt, erscholl ein Klang durch die offene Verandathür her: „WaS für eine Nachtigall schlägt da in der Mondnacht? Mich druckt^ ich kenne Vie Stimme." Die Stimme, die diese Frage stellte, war auch un verkennbar, konnte nur der einsamen Bewohnerin der Aumühle angehören. Doch der Angesprochene schien vlötzlich sprach unfähig geworden zn sein, e- erfolgte keinerlei Antwort, und die junge Frau sah sich genöthiat, fortzufahren: „DaS war hübsch von Ihnen, mich so zu überraschen und zu erfreuen. Woher wußten Sie denn, daß ich Gesang so sehr liebe, besonder« bei Nacht? Da« muß eine Ahnung Ihnen gesagt haben, — und ich bin noch wach — wie wunderbar daS Alle« ist — al« ob ich auch geahnt hätte, daß mir noch etwas so Artige« bevorstände. Und Sie singen also nicht nur, sondern sind auch rin Dichter? DaS hätte ich Ihnen freilich au« den Augen lesen müssen — aber warum kommen Sie nicht auS dem Schatten hervor und zu mir an die Veranda, daß wir un« traulich unterhalten können? Ich bin immer noch durchaus nicht müde." Die Sprecherin war au« dem Zimmer herausgetreten und stand wie taghell überstrahlt vor der Thür. An der linken im Schatten liegenden HauSseite tönte vom Gebüsch her rin leise« Geraschel, doch sie achtete nicht darauf, sie trat noch einen Schritt weiter gegen die zur Sommerlaube hinaufsührenden zwei Holzstusen vor. Im Ton ihrer Worte war eigentlich keinerlei Erstaunen zum Ausdruck gelangt, ein Klang hatte in ihnen gelegen, al« ob sie in ähnlicher Weise von der Aufführung des Singspiels gewußt, wie ein Regisseur, der solches sorglich in Scene gesetzt, und so auck batte sie, wie eine zur Mitwirkung an dem kleinen Stück Berufene, nun die Anknüpfung zu einem Dialog eingemischt. Wenn der Vorgang Zuschauer und Zuhörer gehabt hätte, wäre für sie ein Zweifel ausgeschlossen gewesen, daß alles Bisherige die Einleitung zu einem Mondschein-Rendezvous dargestellt habe, dem als Haupthandlung ein Austausch von Liebeserklärungen nachfolgen werde. Und jetzt siel auch der Schatten einer zögernden Menschengestalt auf das freie Plätzchen, bewegte sich schüchtern Schritt um Schritt vor, und die wundervolle Mondhelle ließ den zukünftigen Be flissenen beider Rechte, HanS Backstelz, deutlich erkennbar werden. Stotternd brachte er vom Munde: „Ich konnte noch nicht schlafen — und wenn Sie auch noch nicht — und ich Ihnen nicht ungelegen komme —." „Wie können Sie das glauben?" Ein Klang deS Vor wurfs lag in der einfallenden Erwiderung Frau CäcilienS, und sie fügte hinterdrein: „Einer, die so verlassen ist, wie ich, muß eS natürlich wohlthun, wenn ein Freund um Mitternacht seinen Schlaf opfert, um ihr in ihrer Einsamkeit Trost zu bringen." WaS bis hierher vorgegangen, entsprach dem Beginn eine« DramoletS, der von Frankreich her importirten Art tändelnder oder auch zu etwas ernsterm Charakter vorschreitender „Canserie", die sich naturgemäß am liebsten auf nur zwei Weiterführer deS Wechselgesprächs beschränkt. Jetzt indeß zeigte sich unerwartet, daß da« Stück doch für eine Theil- nahme von noch mehr Personen veranlagt worden sei. Zu nächst freilich traten diese nur stumm in die Handlung ein und obendrein von der Vorderansicht der Scene auS nicht wahrnehmbar, so daß auch die beiden bisherigen Allein inhaber derselben nichts von ihnen bemerkten. Au« der nächtlichen Finsterniß unter den Laubbäumen zur Linken de« Hause- tauchte auf rin bi-chen weniger schwarzem Grunde und deshalb schattengleich sich von ihr abhebend, eine dunkle Gestalt hervor und schwang sich so behend - lautlos wie der Nachtschwärmer durch da« offene, sebr niedrige Seitenfenster in daS Schlafzimmer der jungen Frau hinein, die gleich zeitig merkwürdigerweise eigentlich da« Gegenthril von dem eben Gesagten über die Lippen brachte. Sie mochte nunmehr doch von Müdigkeit befallen worden sein oder welch anderer Grund sie veranlaßte, jedenfalls äußert« sie gegen den auf ihre letzt« Aufforderung bin zur Veranda herantrrtenden jungen Dichter und Sänger: „Nein, ich handle eigensüchtig und denke nur an mich, nicht an Das, was Ihnen noth thut. Sie müssen Nachtruhe haben, darum gehen Sie jetzt in Ihr Gasthaus zurück, wo Alles schon längst schlafen wird, und morgen hoffe ich Sie bei Sonnenlicht wieder zu sehen — vielleicht fasse ich den Entschluß, mit Ihnen und unter Ihrem Schutze Sie auf das Jochborn zu begleiten." Da erschien urplötzlich noch eine vierte Person auf der Bühne, allerdings vorderhand ebenfalls nicht für den Blick, doch dem Gehör machte sie sich durch einen lärmenden Ton laut bemerklich. Aus dem Busch zur Linken her, indeß etwa« mehr im Vordergrund, hatte sie offenbar das schattenhaft« Huschen der dritten durch das Fenster wahrgenommrn, flog gegenwärtig in der wirklichen Richtung nach und scklug hinter >hr ein paar außen angebrachte Läden deS Fensters unter heftigem Knall zu. Dann bog sie ebenso fluggeschwind um die Hausecke nach vorn. WaS danach aber sowohl äußerst rasch al« höchlichst überraschend geschah, trug sich Alle« im tageshellsten Mond licht zu. Frau Cäcilie von Eisenhut war wohl bei dem Krachen der Läden leicht zusammengefahren und drehte un willkürlich den Kopf ein wenig zur Seite um. Doch that sie's, ohne ein Anzeichen wirklichen Schrecks, vielmehr so, al« gehöre nach ihrer Vorbekanntschaft mit dem ausgesührten Stück dies Geschehniß zu ihm, und sie habe nur nicht genau den Zeitpunkt gewußt, wann r« eintrrten werde. Fast zugleich aber mit ihrer Kopfdrebunz fühlte sie sich von zwei Armen umschlungen, in ihrem Rücken vom Wohnzimmer her tauchte da« Gesicht de« Freiherrn Alfon« von Wolsskecl auf, der halb athemlo« vom Mund stieß: „Hab' Dank, Geliebte, daß Du mir endlich dies Rendezvous heul' Nacht bewilligt hast!" Und die junge Frau heftig noch fester in die Arme schließend, brmübte er sich gegen ihre mechanisch ringende Abwehr, »inen Kuß auf ihre Lippen zu drücken. Wir zur Salzsäule erstarrend über diese jäh unglaubliche Verwandelung de« Auftritt«, stand einige Schritte davor Han« Bachstelz. Er befand sich noch in aufrechter Haltung mit dem Kopfe nach oben, doch ihm war«, al« ob er auf einmal mit diesem voran au« dem Himmel herunter auf den Boden gestürzt sei, und demgemäß gebrachs ibm eigentlich an Ver mögen zn irgend welcher Grdankenfäbigkeit. Nur zweierlei zog ihm wie «in verworrener Wirbel durch« Gehirn, daß er im Eisenbahnwagen blind gewesen sein mußte, nickt« von einem Liebesverhältniß zwischen seiner bezaubernden Nackbarin und dem Baron bemerkt zu haben, und daß ihre letzten Worte eben den Zweck verfolgt hätten, ihn rechtzeitig wegzuschicken. Ganz auS unfaßlichem Dunkel herau« kam ihm »och als dritte« eine schamhafte Vorstellung oder Empfindung, er habe irgend eine Rolle gespielt, die ihm au« irgend einer Absicht nur des Erwarteten willen eingegebe» worden, und entweder sei sein Abgang doch nickt rechtzeitig genug geschehen oder jener in seivem Liebhaberungestüm noch vor dem Falle» des richtigen Stichwort»« zu frühzeitig ausgetreten. Zu diesem ersten Einblick seine« Leben« i» de» Abgrund lächelnder weiblicher Verschlagenheit, Berechnungskunst und Falschheit ward aber dem auSgeschlüpften Primaner kaum mehr al« Secundenfrist eingeräumt, denn die dramatische Entwickelung deS neuen Stücke«, bei dem er jetzt zum Zu schauer geworden, hatte noch nicht ihren Höhepunkt erreicht, sondern überstürzte sich noch schleuniger und räthselhaft-un- begreislicher. Um die HauSecke von dem zugeschlagenen Fensterladen her war ganz unverkennbar der Intrigant der nächtlichen Handlung aufgriaucht, dem man seine Arglist und bösen Ränke schon vom Aeußerrn der Erscheinung abla«. Der tiefbehutete und bartbestoppelte Zugpafsagier dritter Classe war'«, nur gegenwärtig ohne die Binde über dem linken Auge, da ihm offenbar für seinen mitternächtlichen Umtrieb daS Sehvermögen beider hochnöthig bedünkte. So sah er mit ihnen «inen Augenblick durch starr aufgrweitete Lider auf die von den aristokratische» Armen umschlossene jung« Frau, ehe ibm zu einem schneidenden Auflachen von bebende» Lippen der Au«ruf flog: „Also darum bist du weggelaufe» — zu einem Liebhaber — listige Katze!" Diese Betheiligung einer völlig ne« und jählings aus tretenden Person übte nun rasch» und doppelt« Wirkung. Der Freiherr fuhr, die Umschlungene loSlassend, ei» wenig, doch nicht übrnnäßig schreckhaft zurück und fragte näselnden Tone«: „Wer ist der Mann? WaS will er hier?" während Frau Cäcilie von Eisenhut den Namen Erhard! au«rief nnd, den Fuß vorsrtzend, von den Holzstufen auf den freien Platz hinunterlief. In ihrer Miene drückt« sich vtrworren« Be stürzung au« und i» ihr«« Thun, wie e« schien, etwa« Geistesabwesende«, denn bride Arme in di« Löhe hebend, eilte sie auf d«n Angerufeneu ru. Doch dieser schleudert« sie mit einem keineswrg« nur bübnenbräuchlich fingirten Stoß nnd den eb«»so gewaltsam herauSgestoßenen Worten: „Falsche Schlange!" von sich ab. Ein Schrei de« Entsrtzen« brach ihr au« dem Mund, durch ihr« Augen lief «in G«flacker irrer Besinnung«losigkeit, und sie stürzte gerade»»« in drn schwarzen Laubschatten davon. Nun befanden sich wiederum nur zwei handelnde Per-
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