01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.08.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-08-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970825012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897082501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897082501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-08
- Tag1897-08-25
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Gröbere Schriften laut unserem PkeiS- »erzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz »ach höherem Taris. Ertra-Beilagen (gesalzt), nut mit del Morgen-Ausgab«, ohne Postbeförderung »l vO.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmeschluß für An)eigen: Abend-Ausgabe: Bormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an di« SrpeditisN zu richten. —- Druck und Verlag von L. Pol» in Leipzig ZZs. Mittwoch den 25. August 1897. 91. Jahrgang. Der König von Siam. Auf seiner Rundreise durch die europäischen Staaten hält sich der König von Siam nun auch in Deutschland auf und wird mit )ener Achtung behandelt, die wohl einem Manne zukommt, der von seinem Regierungsantritte an bis auf den heutigen Tag unablässig bemüht gewesen ist, sein Land kulturell und wirthschastlick vorwärts zu bringen. Uns Deutschen ist der König noch aus einem be sonderen Grunde sympathisch. Es ist uns das Gefühl einer warmen Theilnahnie für den Schwächeren eigen, für denjenigen, der sich redlich bemüht, seine Selbst ständigkeit zu bewahren, und der doch nur ein Spielball in der Hand Mächtigerer ist. Wohl bemüht sich der König, sein Land dadurch, daß er es wirthschaftlich hebt, auch widerstandsfähiger gegenüber dem äußeren Feinde zu machen. Aber einmal ist bei der Trägheit des siamesischen Volkes die rasche Durchführung der Cwilisirung und Kräftigung des Landes nicht möglich; es ist eben etwas Anderes, ob ein ganzes Volk selbst das Streben nach Entwickelung bat, wie es bei den Japanern der Fall ist, oder ob dieses Streben nur seinen Führern innewobnt. Zweitens ist Siam nicht von einer einheitlichen Rasse bewohnt, denn die eigentlichen Siamesen bilden nur etwa die Hälfte der Bevölkerung; ein wirklicher, das ganze Volk durchdringen der und zu den höchsten Opfern befähigender Patriotismus ist hier also ausgeschlossen. Drittens befindet sich Siam in einer gar zu ungünstigen geographischen Lage zu seinen mächtigen Nachbarn, den Franzosen und den Eng ländern. Im Südosten, Osten und Nordosten ist es von französischen, im Nordwesten und Westen von englischen Be sitzungen völlig eingeklammert. So können England und Frankreich mit Siam spielen, wie die Katze mit der Maus, und die einzige Aussicht für die arme Maus besteht darin, daß keine der Katzen der anderen den ganzen Bissen gönnen mag. England und Frankreich haben deshalb im Winter 1896 einen Vertrag geschlossen, der den mittleren Theil von Siam neulralisirt. Aber auch dieser Vertrag wird dann hinfällig, wenn sich entweder die beiden Mächte über die Ausrheilung von Siam einigen, oder wenn eine von ihnen durch irgend welche anderen Ereignisse, z. B. durch einen unglücklichen Krieg, derart geschwächt wird, daß die andere eS sich glaubt gestalten zu können, Siam ganz für sich in Anspruch z» nehmen. Denn gerade weil Siam außerordent lich entwickelungsfähig ist, erscheint es den beiden Groß mächten als eine wünschenswerthe Beute. Von diesem Standpunkte aus kann man vielleicht sagen, daß die Be mühungen des Königs Tschulalongkorn, das Land wirlh- (ckaftlich zu erschließen, für die Selbstständigkeit von Siam bedenklich sind, denn je reicher das Land wird, desto er- strcbenswerlher wird sein Besitz auch für die mächtigen Nachbarn. Deutschland kann es nur erwünscht sein, wenn Siam seine Selbstständigkeit so lange als möglich behält. Denn wenn Siam wirthschaftlich sich entwickelt, so ist es möglich, daß dann auch zwischen diesem Lande und Deutschland ein reger kommerzieller Verkehr entsteht. Diese Aussicht aber hört auf, sobald England und Frankreich, bezw. England oder Frankreich, Siam völlig unterworfen haben. Freilich kann Deutschland, selbst wenn eS auch anders möchte, Siam doch seine Sympathien nur platonisch beweisen. Denn Deutschland ist nickt im Stande, den Aspirationen der beiden größten colonialen Großmächte, die auch die größten Flotten haben, gegenüber zu treten. In Asien siebt man so recht, wie England und Frankreich schalten können, wie sie wollen, und allenfalls nur auf Rußland Rücksicht nehmen müssen, weil dieses eine asiatische Macht ist. Unwillkürlich müssen wir, wenn wir den König von Siam begrüßen, an die vorjährige Anwesenheit Li-Hung- Tschang's in Deutschland denken. Deutschland batte ein Jahr vorder bei dem Abschlüsse des chinesisch-japanischen Friedens China einen wertbvollen Dienst geleistet. Es bat dann in seiner gewaltigen wirthschaftlichen und militairiscken Entwickelung sicherlich einen großen Eindruck auf den klugen Bicekönig gemacht. Trotzdem sehen wir, wie Frankreich, Eng land und Rußland die wirthschaftlichen Vortbeile der Er schließung Chinas für sich einheimsen. Der Grund dafür ist einfach genug. Wie die Naturvölker, die eine gute und eine böse Gottheit verehren, nicht etwa der guten Gottheit, sondern der böien Gottheit die meisten Opfer bringen, um den Zorn dieser bösen Gottheit zu beschwichtigen, so ist China am entgegen kommendsten gegen die Mächte, die ihm am meisten schaden können. Man entsinnt sich dort zu gut, wie England und Frankreich in den fünfziger Jahren mit dem chinesischen Reiche umgesprungen sind, um nicht eine Wiederholung jener Ereignisse vermeiden zu wollen. Deshalb wird Deutschland in Südasien wie in Ostasien, wie vielleicht auch anderwärts, immer erst hinter anderen Großmächten rangiren. König Tschulalongkorn ist ein kluger Herr und darum wird er, so sehr ihn der sympathische Empfang in Deutsch land erfreuen wird, doch erkennen, daß Deutschland, selbst wenn es wollte, nichts für ihn thun kann. Er wird deshalb, so sehr er Engländer und Franzosen als die ständigen Be- droher der Selbstständigkeit seines Volkes hassen muß, dock das, was er etwa zu vergeben bat, diesen Staaten geben; denn auch er muß eben den „bösen Gottheiten" die reich lichsten Opfer darbringen! Etwas mehr Lürgerstoh. Fürst Bismarck hat, wie bekannt, neulich u. A. bemerkt, wir seien eigentlich immer noch eine UnterofsicicrSnation. Jeder sei aus die Tressen erpicht. Durchschnittlich habe jeder im öffentlichen Leben «Liebende nur das Maß von Selbst gefühl, das seiner staatlichen Abstempelung, seinen staatlichen Rang- und Ordensverhältnissen entspreche. Ausnahmen seien rühmlich, aber selten. Der „Schwäb. Merk." knüpft hieran folgende Betrachtung: „Das ist gewiß kein Compliment für die deutsche Nation. Aber wir dächten, die Letztere und mit ibr die Conservativen thäten gut, statt sich nutzlos zu ärgern, aus der Schale den richtigen Kern heraus zu nehmen zum Zweck einer heilsamen Selbst prüfung. WaS BiSmarck mit der die ganze Nation betreffenden Bemerkung hat sagen wollen, ist offenbar nichts Anderes, als daß es den Deutschen im Großen und Ganzen an dem reckten Bürger stolze mangelt. Hat er damit so unrecht? Wir Deutsche können, was die öffentliche Moral anlangt, ohne selbstgerecht zu sein, kühn den Vergleich mit den besten Völkern ausbalten, die in der Geschickte aufgetreten sind. Trotz aller socialdemokratischen und sonstigen Anklagen werden nirgends so wenig, wie bei uns, die öffentlichen Ein richtungen auSgebeutet, um sich auf Kosten Anderer zu bereichern. Aber wir leiden an einer Sucht nach „staatlicher Abstempelung", die anderen Culturvölkern ganz unbekannt ist. Mag man die Franzosen wegen ihrer Prahlereien mit dem rotben Bändchen im Knopfloch, die Italiener wegen ihrer Wichtigthuerei mit dem „cavaliers" verspotten, was will das besagen gegen das Titelunwesen in Deutschland! Wo ist in England, in Frank reich, in Italien, von Amerika gar nicht zu reden, der Hof lieferant, der Commissiousratb, der Commerzienratb, der Geheime Zommerzienrath? Und dazu ist noch obendrein der OrdenSdurst bei uns unersättlicher, als irgendwo sonst. Ee giebt Großkaufleute und Industrielle, die, aus eigener Kraft zu den höchsten Höben bürgerlichen Ansehens emporgestiegen, Frendentbränen über jede Vermehrung ihres Ordensschatzes ver gießen können. Ganz einzigartig aber stehen wir da mit unserem durch alle Civilverhältnisse hindurch zur Schau ge tragenen „Neservelieutenant". Die Verlobungskarten, in denen das militairische Verbältniß dem bürgerlichen Berufe des glücklichen Bräutigams sogar vorangestellt wird, scheinen ja immer mehr in Aufnahme zu kommen. Hat da Fürst Bismarck nicht Reckt, wenn er sagt, „jeder sei auf die Tressen erpickt?" Man findet sich mit alledem ab, indem man es als „kleine Schwächen" behandelt. Aber die Sache hat doch ihre ernste Seite. ES mag dahingestellt bleiben, ob und in welchem Grad die bürgerliche Gesellschaft derartige Aeußerlickkeiten zum Maßstabe für die Werthschätzung des Einzelnen nimmt. Ganz anders fällt in die Waag schale, wenn der im öffentlichen Leben Stehende seinen eigenen Werth, wie der alte Staatsmann sagt, nach seiner staatlichen Abstempelung bemißt. Er wird dann das natür liche, ibm selbst vielleicht kaum bcwußte Bedürfnis haben, seine öffentliche Tbäligkeit so einzurichten, daß sie der Er langung von Rang und Orden zum mindesten nicht im Wege steht. DaS führt denn auf die Klage, die Fürst Bismarck so oft schon über die parlamentarische Streberei erhoben bat. Er meint damit weniger die nicht selten zu beobachtende Erscheinung, daß staatliche Beamte ein parlamentarisches Mandat benutzen, um sich bei der Re gierung in Gunst zu ketzen und Beförderung zu erlangen. Derartigem Unfug ist leicht dadurch abzuhelfen, daß die Wähler Beamte, die solcher Streberei verdächtig sein könnten, überhaupt nicht ins Parlament entsenden. Was Fürst Bis marck im Auge hat, ist das Trachten von Abgeordneten, die in unabhängiger bürgerlicher Stellung sich befinden, nach irgendwelchen staatlichen Auszeichnungen. Es ist klar, daß, wenn ein solches Trachten weitere Kreise des Parlaments beherrscht, das letztere der Regierung gegenüber nicht die von einer Volksvertretung ihrem Wesen nach zu fordernde Selbstständigkeit bewahren wird. Aber das ist nickt der einzige Schaden. Wenn sich einem Parlament mit Recht nachsagen ließe, daß ein Streberthum gedachter Art in ihm überhandnehme, so würden alle wirklich un abhängigen Charaktere, um nicht mit den Strebern auf gleiche Linie gestellt zu werden, leicht in die Versuchung einer mehr oder weniger oppositionellen Stellung gerathen, und eS würde die Unterstützung der Regierung auch da, wo sie vom Stand» punct einer unbefangenen Beurtbeilung der Bedürfnisse deS Ge meinwohls durchaus geboten wäre, überaus erschwert werden. Man wende nicht ein, es sei nutzlos, sich über solche Hypothesen den Kopf zu zerbrechen! Wenn es bei uns in Deutschland noch immer so leicht ist, die sich zur Regierung freundlich stellenden Parteien bei den Wählern in Mißkredit zu bringen, so erklärt sich das zum guten Theil daraus, daß sich der einfache Mann ein solches Verbältniß zur Regierung ganz von selbst als ein Streben nach der Gunst derselben vorstellt. Daß bei solchen Anschauungen ein wirklich gesundes öffentliches Leben nicht gedeihen kann, braucht nicht erst gesagt zu werde». Anders wird das nur werden, wenn das deutsche Bürgertbum sich gewöhnt, den Maßstab für sein berechtigtes Selbstgefühl lediglich in dem eigenen Werthe, nicht in der „staatlichen Abstempelung" zu suchen. Etwas mehr Bürgerstolz! ist die Mahnung, die aus den Worten des Altreichskanzlers spricht. Man sollte über sie ernstlich nachdenken!" Deutsches Reich. * Berlin, 24. August. Staatsminister a. D. Freiherr v. Berlepsch schreibt der „Voss. Ztg.": „In der „Voss. Ztg." vom 18. d. M. wird der Uebergang der Wochenschrift „Sociale Praxis" an eine neubegründete Gesellschaft m. b. H., deren ÄufsicktSratb ich Vorsitze, als ein Act der Rache gegen den bisherigen Redacteur der „Socialen Praxis" Herrn Ör. Jastrow aufgefaßt. Diese Auffassung ist nicht zutreffend. Einem so kleinlichen oder, richtiger gesagt, gemeinen Motiv würde ich nicht zugänglich sein. Ter Fall Jastrow ist für mich mit der gerichtlichen Bestrafung und Erklärung abgeschlossen, die dieser in der „Socialen Praxis" vom 2. Juli 1896, anknüpfend an den Artikel „Das Ministerium Berlepsch" am Schluß abgegeben hat, wenn ick diese Erklärung im Uebrigen auch nicht für zutreffend halte. Das Disciplinarverfahren vor der philosophischen Fakultät der Universität Berlin habe ick weder beantragt noch ge wünscht. Der Hergang bei Errichtung der Gesellschaft m. b. H. „Sociale Praxis" war der, daß ursprünglich die Herausgabe einer neuen Wochenschrift oder ZeitungS- correspondenz beabsichtigt war. Das Institut für Ge meinwohl zu Frankfurt am Main war geneigt, sich hieran zu betheiligen. Die eingeleiteten Verhandlungen führten dazu, daß dieses die bestehende Wochenschrift „Soc. Praxis" der Gesellschaft anbot, die das Angebot an nahm. Bei der Auswahl eines Nedacteurs war lediglich der Gesichtspunkt maßgebend, daß dieser nickt nur zur Führung der Redaction wissenschaftlich und journalistisch geeignet sein, sondern sich auch mit den Gesellschaftern in voller Ueberein- stimmung der Auffassung über socialpolitische Fragen befinden müsse. Ein weiterer Jrrtbum in der Notiz der „Voss. Ztg." vom 18. d. M. findet sich in der Bemerkung, daß in dem Rundschreiben, in dem die Veränderung, die mit der „Soc. Praxis" vorgeht, anzekündigt wird, die künftigen Mitarbeiter des Blattes genannt werden, vr. Jastrow sei nicht darunter. In dem Rundschreiben sind nicht die Mitarbeiter, sondern die Gesellschafter genannt und diejenigen Personen, die das Unternehmen durch pecuniäre Beiträge unterstützen." Feuilleton. Aus Siam. Von Otto Leonhardt. Nachdruck verboten. Der „Herr deS weißen Elepbanten" ist nun auf seiner Rundreise durch die Staaten Europas auch nach Dresden gekommen. Köniz Tschulalongkorn und sein Land verdienen wohl, daß das Interesse sich auch bei unS ihnen lebhafter, als bisher, zuwende. Es ist ein echt orientalisches Land alter Wunder, in deren Geheimnisse bisher nur noch wenige euro päische Forscher tiefer eiugedrungen sind, obwohl schon Adolf Bastian's Reisen in den 60er Jahren eine Fülle eigenartigen LebenS offenbarten. Ein echt orientalisches Land auch in seinen Gegensätzen. Wer, den mächtigen Menam hinauf fahrend, Bangkok zu Gesichte bekommt, erblickt sofort die charakteristischste Erscheinung deS Landes: jene seltsamen, phan tastisch geformten Tbürme und Tempel deS Buddhismus, die ihn bis in den Urwald und bis in die »dürftigste Nieder lassung begleiten. Golden funkeln die zahllosen Spitzen in der Gluthsonne Asiens, Denkmale der Buße, der frommen Götterverehrung, vor Allem der unbedingten Herrschaft, die der Buddhismus in Siam besitzt. Geben diese Bauten dem Bilde der Start einen ganz eigenthümlichen fesselnden Charakter, so wird der Eindruck noch durch das Leben auf dem Flusse erhöht. Da Bangkok aui Alluvialboden steht und die Straßen daher leicht der Ueberschwemmuiig ausgesetzt sind, so bildet der Menam mit seinen Canälen die Hauptverkehrsader. Schwimmende Häuser säumen ibn, in deren offene» Inner« man überall ungestört hineinblickt. Man sieht die Bewohner arbeiten, mit ihren Kindern spielen, Vorlesungen eine» Priester« zuhören, schwatzend beim Thee zusammensitzen. Manche baden auch ungescheut im Flusse, — denn den Krokodilen ist es obrig keitlich verboten, zu beißen. Zu Dutzenden schießen die kleinen Kähne der Eingeborenen hin und her, von Frauen in eng anliegenden weißen Jacken geführt; ein lebhafter Tausch- und Kaufverkehr ist im Gange; die Frauen preisen ihre Maaren an, Chinesen bieten in schwimmenden Garküchen ihre Lecker bissen an. Vornehme machen in Lustbooten eine ErfrischungS- tvur auf dem Strome» und ab und zu stiebt das Gewimmel auseinander und macht einem StaatSboote Platz. Da» ist rin echte« Stück Ali-Siam. Aber gewaltsam und mit jedem Tage stärker drängt sich Neu-Siam dazwischen. Dir mächtigen Dreimaster der euro päischen Nationen ragen hoch Uber die einheimischen Fahr zeuge empor, die rauchenden Schlote der Dampfer bilden einen wunderlichen Gegensatz zu den charakteristischen schrägen Dächern und blitzenden Pratschedih« oder Thürmen. Und hier sehen wir die Drähte einer Telegraphenleitung; dort erhebt sich der höchst stattliche Bau des neuen Gymnasiums, und vor dem Paläste kalten siamesische Soldaten in ganz europäischer Uniform Wacke, — nur daß sie barfuß gehen, da das Tragen von Stiefeln ein Vorrecht der Ossiciere ist. Sehr viel von diesen Neuerungen ist das persönliche Werk des Königs Tschulalongkorn. Allerdings war bereits sein Vorgänger und Vater, der gelehrte König Monkut, ein un gewöhnlich aufgeklärter Monarch; denn ihm verdankt der König eine freisinnige Erziehung, an der Europäer einen erheblichen Antheil batten. Aber Tschulalongkorn bat diese Erziehung so vortrefflich benutzt, daß mit ihm, wie Carl Bock, einer der besten Kenner SiamS, bemerkt, eine neue Zeil sür Siam angebrochen ist. Eine seiner ersten Handlungen nach seinem Regierungsantritte (1868) war, daß er den alten Zwang aufbob, daß jede vor dem Herrscher erscheinende Person sich zu Boden werfen mußte; seit damals kann jeder Besucher dem Könige frei in daS feine, intelligente, von strahlenden Augen verschönte Gesicht sehen. Später folgten Maßregeln zur Aus hebung der Sclaverei. Seitdem ist König Tschulalongkorn unbeirrt auf seinem Wege fortgeschritten. Vor einiger Zeit hat er seinen Bruder »ach Europa gesandt: den von seinen etwa 50 Nachkommen, der nach ihm den Thron von Siam besteigen soll, läßt er in Deutschland erziehen, und in seinem neuen Palaste finden sich nicht allein die mannigfaltigsten europäischen Baustile neben einheimischen Formen, sondern auch die Zeitschriften Englands und Amerikas, die er mit Eifer liest, wie er denn überhaupt vielleicht der fleißigste Mann in seinem weiten Reiche ist. Man siebt wobl, daß dies keiner von jenen zweideutigen Fortschrittlern des Orient« ist, deren „Civilisation" in einem Paar moderner Beinkleider und dem Besitze eines Leierkastens besteht; wie selbstständig vielmehr seine Persönlichkeit ist, beweist der Umstand, daß er noch beute ein warmer Anhänger der Landesreligion, deS BuddhiSmu«, ist und seine Gebräuche bei aller Toleranz gegen andere Religionen treu befolgt. Sind in dieser Hinsicht er und sein Volk eins, so muß im Uebrigen gesagt werden, daß zwischen Tschulalongkorn'« rastloser Reformarbeit und dem geistigen Zustande d«S siamesiscken Volke« eine tiefe Kluft besteht. Die zablreichen Verwandten de« König« folgen zum Theil seinen Bestrebungen; da« Volk glaubt an Buddha, verrichtet die üblichen Opfer und huldigt naivem Aberglauben. Als l88l die Cholera in Bangkok auftrat, traf der König verständige bygieinijche Maß nahmen, die Siamesen aber trauten ihren Zaubermitteln, fürchteten die Pi oder bösen Geister und steckien Nacht« auf Hoden Bambusrohren Laternen vor ihren Häusern auf. Opfer scheinen ihnen wertbvollrr al« Mrdicameute. Je weiter man in da« Inner« des mächtigen Landes dringt, um io völliger erlischt natürlich der Schein deS neuen Lichte«, da« in die Urwälder, die Heimath de« Elepbanten, nicht dringt, wenn auch der König im ganzen Reiche gefürchtet und verehrt ist. ES ist im Allgemeinen ein gutmülhiges, wenn auch gegen Fremde — „ForangS" (koreignors) — mißtrauisches Volk. Wie die meisten orientalischen Völker nehmen sie das Leben nickt besonders schwer; charakteristisch dafür ist die generelle Säumigkeit der Staatsbeamten, nicht allein die Zahlungen zu leisten — was man kaum einen specisisch siamesischen Zug nennen dürste —, sondern auch die Außenstände einzu- cassiren. Zu den Leidenschaften des Volkes gehört vor Allem das Spiel. In Bangkok finden sich zahlreiche chinesische Spielhöllen, in denen das Spiel Nachmittags beginnt und bis tief in die Nacht betrieben wird. Oft entscheidet ein Würfel über ein ganzes Vermögen. Und die sieben- oder achtjährigen Kinder, bereits vom selben Teufel besessen, lungern um die Spieler herum und wetten, wie Bock in Nord-Siam beobachtete, untereinander auf das Glück der Spieler. Oft macht ein Mann, der zu einem Einkäufe auS- ging, unterwegs am Spielhause Halt und verliert sein Geld; die wüthenden Spieler versperren manchmal den Verkehr aus der Straße. Harmloser ist die Vorliebe der Siamesen für die Musik. Sie ist eS vielleicht hauptsächlich, die sie in das sogenannte Theater zieht; denn die eigentliche Vorstellung besteht hier größtentheils „im Durcheinanderschlingen der Hände, Finger und Arme, derart, daß die Glieder förmlich auSgerenkt zu sein scheinen". Die Schauspieler — oder richtiger Tänzer — sind ausschließlich Mädchen, Lakon-Mädchen, die für den Europäer des Reizes entbehren, wenn man nicht die Gewohn- heit, daß ihre Gesichter über und über weiß gepudert sind, oder die Sitte, daß sie >2—15 Centimeter lange, am Ende gekrümmte, durch Futterale geschützte Fingernägel tragen, als Reize estiniiren will. Kann man also in dieser Beziehung von einer Kunst in Siam nicht wohl sprechen, so müssen doch die siamesischen Silber- und Perlmutterarbeiten mit hoher Anerkennung genannt werden; die Versuche in der Malerei sind, einer gewissen Begabung unerachtet, meist hilflos, ent behren der Perspective und neigen zur Caricatur. Dagegen sind viele Götterstatuen eigenartig und der Baustil pittoresk, oft von interessanter Silhouette und höchst eigenartiger Wirkung. Zuweilen allerdings nur auS der Ferne. Denn in der Nähe machte z. B. ein Reisender an dem Wat-Tsckang (Elephankentempel) zu Bangkok die fast ungeheuerliche Eul- deckuig, daß die kühnsten Ornamente, Blumen und Thiere, zum Theil in Hochrelief, ja sogar freistehend, au« einer Unzahl von — Scherben in Verbindung mit der dort häufigen Porzellanscknecke bergestellt seien. Aber von der Ferne macht dies« wunderliche Arbeit den Eindruck eine zarten, funkelnden Gewebe-. Die Zahl der Priester ist in diesem tempelreichen Lande natürlich überaus groß, und ihre Bedeutung spricht sich darin aus, daß eigentlich jeder Siamese mit dem 21. Jahre in den Priesterstand eintreten soll, eine Ceremonie, die doch nur noch die Vornehmen erfüllen. Bon einer Priesterherrschaft ist indeß keine Rede. Die glattrasirten, gelbgekleideten Priester, die man alltäglich in langen Reiben ihren Lebensunterhalt erbetteln sehen kann, sind gar zu wenig imponirende Persön lichkeiten, und ihre geistliche Tbätigkcit ist ähnlich, wie die der Priester in China, rein mechanisch. Wenn sie zu einem Gotte beten, so befestigen sie an seinem Bilde einen Faden, dessen anderes Ende sie in der Hand halten; so wird der Verkehr mit dem Geiste bergestellt. Theoretisch werden hohe An forderungen an sie gestellt: 200 Gebote hat der niedrigste, 500 der höchste Priestergrad zu erfüllen. Praktisch führen sie ein müßiges Leben, dessen Beschäftigungen außer dem obligaten B.ttel das Läuten der Glocken, das Schlagen der Trommel und das Aufsagen von Gebeten ist. Wie ihnen die Sorge für das Jenseits, so überläßt der Durchschnitts-Siamese die schweren Arbeiten, besonders bei der ReiSernte, der Frau, und nur der Verliebte soll sich dazu verstehen, dem Mädchen hierbei zu Helsen, um so eine be queme Gelegenheit zu zärtlichen Rendezvous zu erlangen. Doch ist die Stellung der Frau bei den oberen Classen eine andere. Bastian Hal bereits hervorgehoben, daß die alte Geschichte Hinderindiens geradezu aus eine Bevorzugung der Frau hinzubeuten scheint, und tbatiächlich üben nock heute viele Frauen in Siam einen große» Einfluß auS. Die gesetzlich bestehende Monogamie wird allerdings dadurch beeinträchtigt, daß die wohlhabenden Personen sich zahlreiche Sklavinnen halten. Doch besteht ein großer Unterschied zwischen ihnen, rie ma», wenn man ihrer überdrüssig ist, weggiebt, und der ordnungsmäßig geheiratbeten Frau. Bei der Eheschließung spielt in den besseren Ständen die Liebe kaum eine Rolle. Der Maas» oder HeirathSvermittler ermittelt die passenden Persönlichkeiten und fübrt sie zusammen, und unter vielen Ceremonien und vielem Pompe wird die Hochzeit gefeiert. So steht im Reiche des weißen Elepbanten Alt und Neu recht unvermittelt und oft recht befremdlich nebeneinander. Uebrigen« sei zum Schlüsse bezüglich diese« berühmten mythischen Thieres, das bekanntlich als heilig verehrt und in eigenen kostbaren Ställen gehütet wird, bemerkt, daß r- gar nicht — weiß ist. Die „weißen" Elephanten zeigen nur ein paar hellere, zuweilen weiße Flecke, und die ganz echten sind Albinos, d. h. von röthlich-brauner Farbe und haben rin paar weiße Haare auf dem Rücken. Aber der Fang eine» solchen Tbieres ist noch beute ein außerordentliche« Ereigniß, daS in den Cbroniken verzeichnet wird und allen Betbeiligten reiche Geschenke einträgt. ES ist „ein Abkömmling deS Engels der Brabminen", „gleich dem Krystalle vom höchsten Werthe" und „eine Ouelle der Macht der Anziehung von Regen". Und unter all' seinen vielen und langen Titeln führt König Tschulalongkorn keinen mit größerem Stolze al« den de« „Hrrrn de- wrißrn Elephanten".
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