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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.08.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-08-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970828018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897082801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897082801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-08
- Tag1897-08-28
- Monat1897-08
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NrclaMtN unter demNrdartionSstrich (4gM spalt»») SO^, vor den gamMennachrichteo (6 gespalten) 40 Eröhrr« Hchrlften laut unserem Preis« Verzeichuih. Tabellarischer und Ziffernsatz »ach höherem Larss» Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit btt Morgen»Ausgabe, ohne Postbelördrrung ^l SO.—, mit Postbeförderung ^l 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Ab end »Ausgabe: vormittag- 10 Uhr. Morgen. Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag vou E. Pol« t» Leivzit» 91. Jahrgang: Oie stculare Weltzählung vom Jahre 19V0. X-u. „Zahle» beweisen I" — Diese Auffassung ist dem modernen Kulturmenschen so in Fleisch und Blut über gegangen, daß er überall nach statistischen Belegen fragt. Die wissenschaftliche Statistik selbst ist gegenwärtig zu Achtung gebietender Höhe emporgedieben und die Technik der Volks zählungen und anderer statistischer Erhebungen zeigt eine außerordentliche, stetig gesteigerte Vervollkommnung. Dennoch ist auch auf dem Gebiete der Statistik da« Bessere der Feind des Guten; auch hier giebt es noch eine Reihe von Uebel- ständcn, die der Beseitigung harren. Gerade hervorragende Statistiker empfinden diese Mängel am meisten. So hat jüngst vr. Josef von Körösy, der Director dcö Pester communal - statistischen BureauS, eine Denk schrift veröffentlicht*), die in dankenswerther Weise auf Ziele der Statistik hinweist, die bisher eine auffällige Vernachlässigung gesunden. An der Hand dieser interessanten Schrift, die eine Weltzählung im Jahre 1900 in Aussicht stellt, wollen wir diese statistischen Mängel und ihre voraus sichtliche Beseitigung hier erörtern. Die internationalen statistischen Congresse wurden ins Leben gerufen, um eine Vergleichbarkeit, also Einheitlichkeit, jener vielfachen Arbeiten zu ermöglichen, die aus den statistischen BureauS verschiedener Staaten bervorgehen. Trotz der be sonderen Pflege aber, welche die Congresse der Gleichartigkeit der CensuSanfuahme zuwandten, ist dennoch die Klage all gemein, daß die großangelegten uno so kostbaren CensuSwerke nur zu einem sehr geringen Theile vergleichbares Material enthalten. Au den Regierungen oder deren statistischen Acmtern lag dieser Uebclstand nicht, er beruhte vielmehr darauf, daß die Congresse sich wohl eingehend damit be schäftigte», was und wie zu erbeben sei, nicht aber damit, nach welchen Gesichtspunkten die Millionen der erhobenen Angaben zu verarbeiten, in Tabellen niederzulcgen seien. Nur das Rohmaterial wurde in internationaler Weise gleich mäßig geregelt, die Art der Verarbeitung aber übergangen. Die Forderung einer Vergleichbarkeit der CensuS-Ergebnisse aber steht und fällt mit der Einheitlichkeit oder Verschieden artigkeit der Aufarbeitung, d. b. technisch gesprochen mit der Gleichartigkeit oder Verschiedenartigkeit der in den Census- werken enthaltenen Rubriken. Unter diesen Umständen ist eS nur dem Zufall zu danken, wenn dir Zählungswerke der verschiedenen Staaten in ge wissen Puncten dennoch eine Gleichartigkeit aufweisen. Im Allgemeinen jedoch herrscht große Verschiedenheit, wie einige Proben beweisen sollen. Schon bei der Angabe des Alters sind internationale Vergleiche kaum möglich. In den meisten Staaten erfolgt zwar die Aufarbeitung des Alters nach einzelnen Jahren, in manchen anderen aber werden nur größere Altersgruppen nachgewiesen, oft fünfjährige, hier und da sogar nur zehn jährige. Wie will man nun z. B. internationale Zusammen stellungen über die schul- oder miiitairpflichtiHe, über die arbeitsfähige, strafmündige, im fortpflanzungssahigen Alter stehende Bevölkerung rc. anstellen, wenn man die nöthigen *) Die säculare Weltzäblung vom Jahre 1900. Denkichrift an die Et. Petersburger Session des Internationalen Statistischen Instituts. Berlin 1897. Putkammer L Mühlbrecht. Altersa»baben in den Censuswerken nicht findet? So werden in Frankreich, Griechenland, Irland, den Nieder landen und Schottland nur die jüngeren Altersklassen nach den einzelnen Altersjabren nachgewiesen, das Alter der Erwachsenen aber nur in fünfjährigen Altersgruppen mitgetheilt. In England werden vom 25. Jahre ab sogar nur zehn jährige Gruppen (also 25—85, 35—45 jährige rc.) nach gewiesen. Zum Ueberfluß wechselt aber auch jene Alters grenze, bis zu der die Verfolgung der einzelnen Altersjahre möglich ist, auf da« Willkürlichste. Ja, selbst eine so einfache Frage, wie die nach der Anzahl der über 100 Jahre alt ge wordenen Leute, läßt sich (trotz eines halben Jahrhundert langen Bemühens um Herstellung einheitlicher Volkszählungen) nickt für alle Staaten Europas beantworten, weil in der Volkszählung Englands die Nachweisung der gezählten Alters klassen mit dem 85. Lebensjahr abbricht. Auch der Familienstand kann nicht verglichen werden, weil er zwar in den meisten Staaten nach den üblichen vier Kategorien der Ledigen, Verhriratheten, Vcrwittweten und Geschiedenen verzeichnet wird, aber in England, Griechen land, Irland, Portugal, Rumänien, Spanien und Schott land die Geschiedenen fehlen, in Finland sie mit den Ver- wittweten gemeinschaftlich behandelt werden. Sehr schlimm steht es auch um den Nachweis der Geburtsländer und der Staatsangehörigkeit. Will man gar untersuchen, wie viel Frauen z. B. in den verschiedenen Staaten Europas im Alter von 30—35 Jahren bereits verwittwet sind, so findet man in Griechenland, Spanien Wohl die Anzahl der Ver witweten, e« fehlt aber die Angabe ihres Alters. Auch in England ist die Anzahl der Verwitlweten bekannt, aber die der 30—35jährigen ist mit den 25—30jährigen in einer ge meinsamen Rubrik enthalten, in Ungarn wieder mit jener der 35—40 jährigen u. s. f. Es ist nun das Verdienst jener statistischen Vereinigungen, die das Erbe der internationalen statistischen Congresse an getreten haben, nämlich der internationalen demographischen Congresse und des internationalen statistischen Institutes, der Forderung einer einheitlichen Aufarbeitung der Census- aufnahmen nicht nur allgemeine principielle Anerkennung er worben, sondern zur Sicherung dieses Zweckes auch eine positive Grundlage geschaffen zu haben. Aus dein inter nationalen hygieinischen und demographischen Congreß zu Genf 1882 brachte Körösy zum ersten Mal die Nothwendig- keil einer einheitlichen Bearbeitung zur Sprache; er unter breitete dem Congreß zugleich ein internationales Schema für jenes Minimum der Zählungs-Ergebnisse, das in allen civilisirten Ländern gleichmäßig zu veröffentlichen wäre, um zu einer Weltzählung, einer einheitlichen statistischen Be schreibung der ganzen civilisirten Menschheit zu gelangen. Die Versammlung beschloß, alle statistischen BureauS zur Annahme dieses internationalen Schemas aufznfordern. Drei Jahre später bot daS fünfzigjährige Jubiläum der Londoner statistischen Gesellschaft Gelegenheit zur weiteren Propaganda für die Weltzählung innerhalb der Fachkreise. Gerade in England mußte man die bisherigen Uebelstände scharf em pfinden. Mußte man doch hier in den zahlreichen Fällen, wo man die Kenntniß der einzelnen AlterSjahre braucht (z. B. bei Mortalitätstabellen) oder wo man die Bevölkerung innerhalb gewisser Altersgrenzen kennen muß (z. B. die sckul- pflichtigen, militairpflichtigen, stimmberechtigten Altersklassen), zu dem merkwürdigen Mittel greifen, die nach einzelnen Jahren veröffentlichte Altersabstufnnz fremder Staaten als mehr oder minder passende Schlüsselzahlen auf die eigene Bevölkerung anzuwenden, also fremde Schätzungen vor der eigenen Zählung den Vorzug zu geben! So beruht die ganze englische AlterSjahrSstatistik auf solchen Schätzungen. Die so angesehenen englischen Mortalitätstabellen, soweit sie sich auf die ganze Bevölkerung beziehen, beruhen demnach auf un zuverlässigen und schwankenden Grundlagen. Bald wurde die Nothwendigkeit und die Möglichkeit einer einheitlichen Weltzäblung zur Ueberzeugung aller Fachgenossen. Im Jahre 1887 tagten kurz nach einander zwei internationale Versammlungen, das neugeschaffcne statistische Institut zu Rom und der 6. internationale Congreß für Hygieine und Demographie zu Wien. In beiden Versammlungen wurde der Vorschlag einer einheitlichen ZäblungSbearbeitung, durch die zugleich eine einheitliche Weltzählung ermöglicht wird, von den berufensten Vertretern der Wissenschaft mit Ein stimmigkeit angenommen. In der Sitzung des Statisti schen Instituts zu Bern 1895 stand die gleichmäßige Bearbeitung der Zählungen bereits im Princip fest; eS handelte sich nur noch um die Art der Durchführung. Guillaume, der verdienstvolle Director des eidgenössischen statistischen Bureaus, berichtete über die Möglichkeit, diese Weltzählung im Jahre 1900 ins Werk zu setzen. Um sie möglichst am gleichen Tage durchzuführen, schlug er die Bil dung eines aus den Direktoren sämmtlicher statistischer Bureaus zusammengesetzten Comitös vor, welches das Datum der Weltzählung und die überall gleichmäßig zu stellenden Fragen festzusetzen und für eine einheitliche Desinirung der Begriffe sorgen hätte. Dieser Antrag wurde auch in der Plenarversammlung gut geheißen. Das internationale Schema für diese säculare Welt zäblung vom Jahre 1900 ist in Körösy's Schrift mitgetheilt, die auch sonst noch eine Anzahl Tabellen und Schemata ent hält. Wir heben daraus nur hervor, daß sich die Fragen bei der Volkszählung jedenfalls auf folgende Umstände be ziehen sollen: Namen und Vornamen, Geschlecht, Alter, Ver- hältniß zum Haushaltungs-Vorstande, Familienstand, Berus, Religion, Nationalität, Kenntniß des Lesens und Schreibens, Geburtsort und Staatsangehörigkeit, Wohnort, Gebrechen. Die Bearbeitung der Ergebnisse soll wenigstens für einige allgemeine Gesichtspunkte in allen Staaten gleichmäßig ge schehen; die Art der Bearbeitung ist in dem erwähnten „Internationalen Schema" festgesetzt. So ist die Frage, innerhalb welcher Grenzen sich der internationale Theil der Volkszählungen zu bewegen habe, im Lause der letzten anderthalb Jahrzehnte auf 5 inter nationalen Vereinigungen der Fachmänner endgiltig erledigt worden. Es bedarf nur noch der Zustimmung deS Instituts zu den Vorschlägen Guillaume'S, um in der ganzen Welt und zur selben Zeit ein Heer von etwa einer Million geschulter Zählungsagenten zu mobilisiren, um im Dienste der Wissenschaft auf einem Gebiete von über 70 Millionen Quadratkilometern, die Jnventarisirung und statistische Beschreibung von acht- bis neunhundert Millionen Menschen vorzunebmen. „Es ist ein erbebender Gedanke", so ruft Körösy aus, „sich vorzustellen, wie diese Million demologischer Forscher auf allen Puncten der Erde in die Behausungen der ganzen civilisirten Menschheit ein dringen wird, sowohl in die Schneehütte deS Eskimos, wie in die Zelte der Beduinen, in die Wigwams der Indianer, wie in die Bungalos Ostindiens, wie diese Armee nack ge meinsamen Principien die größte der je dagewesenen socio- logischen Erhebungen vornehmen wird, um dann das so zusammengetragene ungeheure Beobachtungsmaterial einer einheitlichen Bearbeitung zuzuführen." Fürwahr ein großes Ziel! Wird es erreicht, so wird dieses Werk für immer einen Markstein nicht nur in der Geschichte der Statistik und der Sociologie, sondern auch in der Culturgeschichte der Menschheit bilden. „Himmlischer Lohn." Anläßlich der jüngst in Linz stattgehabten Versamm lung deS katholischen Universitäts-Verein es ist es von Interesse, einer Flugschrift zu erwähnen, welche vom Zweig vereine in der Bischofsstadt Brixen unter Redaction des nun mehrigen Reichsraths-Abgeordneten Theologie-Professors Aemilian Schöpfer von Brixen abgesaßt und im Volke ver breitet wurde. In jener Flugschrift wird die Nothwendig keit einer katholischen Universität damit begründet, „daß die staatlichen Universitäten sammt und sonders auf unchristlichem Boden stehen und weitaus die meisten ihrer Professoren für den Unglauben Propaganda machen". Die Universitäts-Frage gehe daher alle Katholiken an. Die Flugschrift soll auf die unteren, urtheilsloseren Volksschichten wirken. Es wird in derselben nach der „N. Fr. Pr." gesagt: „Mit einer Fünftelmillion Gulden wäre für die zu errichtende neue Universität das Auskommen zu finden; Bischöfe, adelige Damen, katholische Versamm lungen, ja sogar alte Mütterchen, Näherinnen, Arbeiter und Dienstboten haben schon namhafte Beträge geleistet, und wöchentlich Einen Kreuzer und täglich ein kleines Gebet kann der Aermste beitragen. Da wird's Augen geben, wenn einmal der himmlische Lohn aus- gctheilt wird für alle Verdienste, Vie durch Unterstützung der katholischen Universität erworben wurden!" Für Jene, welche sich etwa entschuldigen könnten, daß sie ja schon zu anderen katholischen Vereine» beisteuern, bringt die Flug schrift folgende fromme Aufmunterung: „Auf den Elysäischen Feldern zu Paris hielt der Große Napoleon einmal eine Parade ab und ließ alle Soldaten seiner Armee an sich vorübermarschiren; da bemerkte er unter den vielen Soldaten einen, dessen Züge ihm bekannt vorkameu; er ließ Halt machen und fragte ihn, ob er schon an mehreren Schlachten theilgenommen habe. „Ja wohl", war die Antwort des wetterharten Soldaten. Nun fragte ibn der Kaiser nach den einzelnen Schlachten. „Warst du bei Arcole?" — „Dabei gewesen," war die Antwort. — „Bei Rivoli?" — „Dabei gewesen." — „Bei Marengo?" — „Dabei gewesen." — „Bei Eylau?" — Dabei gewesen." — „Bei Austerlitz?" — „Dabei gewesen." Und dieser tapfere Held sollte als Gemeiner in den Reihen der Anderen marschiren! Das konnte Napoleon nicht sehen. Auf der Stelle beförderte er ihn zum Hauptmanne und heftete ihm in Gegenwart aller Soldaten das Kreuz der Ehrenlegion an die Brust. — Nun, so ähnlich wird eS dir gehen, lieber Leser, wenn Gott beim Gerichte einmal die große Parade abhält. Haupt verrieth sich nur in wenigen Spuren das Greisen alter: unter den Augen bildeten sich allmählich Säcke, seine Zähne schienen gelitten zu haben, auch das Gehör war zuletzt geschwächt. Ueberans deutlich erkennt man die Ent wickelung des Zeus-Typus bei Goethe an Jagemann's schöner Kreidezeichnung in Profil vom Jahre 1817 (Zarncke Nr. 39u), von der ich das Gefühl habe, daß sie eine große Portraitäbnlichkeit besitzt. Der kräftige Hals, das starke Kinn (Goethe protestirte gegen die „Spitzfindigkeit", die ihm manche Maler zuschrieben), die charakteristische Nase sind hier vortrefflich wiedergegeben, und gerade die schlicht realistische Auffassung bringt die olympische Majestät der Züge so recht zum Bewußtsein. Hat doch Heine erzählt, er habe, als er ihm gegenüberstand, unwillkürlich zur Seite ge sehen, ob er nicht den Adler mit den Blitzen neben ihm fände. In der Kunst hat Meister Rauch den Zeus-Charakter am Vollendetsten zum Ausdruck gebracht. Gewiß ist Rauchs wundervolle Büste so wenig absolut portraittreu, wie es die Trippel's ist, und dennoch sind eS mit vollem Reckte gerade diese beiden, die das deutsche Volk als LieblingSdarstellungen seines Dichters schätzt. Denn sie geben die Quintessenz seiner äußeren und inneren Entwickelung: den Goethe-Apollo und den Goethc-ZcuS. Die realistische Erscheinung des Goethe-Zeus können wir uns aus zahlreichen anderen Werken ergänzen; der greise Dichter ist unter so ver schiedenen Gesichtspunkten conterfeil worden, daß zwischen Schwerdtgeburth'S einfacher Zeichnung, die uns einen hoheitsvollen, wohlwollenden alten Mann zeigt, und David's eigenthümlicher Büste, die Goethe selbst „curios" fand, und die ihre Eigenart der starken HerauSarbeitung der Schädel bildung in erster Linie verdankt, eine ganze Welt liegt. Ander« steht eS um den jugendlichen Goethe, den Goetke- Apollo. ES mangelt viel daran, daß wir seine Er- scveinnng realistisch getreu un« vorstellen könnten. Der Dichter selbst scherzte: Als ich »in junger Geselle war, Lustig und guter Ding», Da hielten di» Mal»r offenbar Mein Gesicht für viel zu gering». Nun, das wohl aber nicht: vielmehr waren eher die Maier „zu geringe", die« herrlich» Menschenbild voll zu erfassen. In jtdem Werke erkennen wir etwa« von ihm, eine gewisse Seite; den ganzen Goethe hat selbst Tischbein uns nicht erhalten. Nur so viel merken wir überall, daß Goethe in der Jugend wie im Alter den Künstlern eine tiefe Be geisterung eingeflößt hat. Die Gewalt, die von der echten Schönheit ausgeht, empfindet der Beschauer selbst im schlich testen der zahlreichen Goethe-Bildnisse. Feerrlletsn. Wie sah Goethe ans? Ein Tkizzenblatt zu Goethe« Geburtstag, 28. August. Von Alexander Härlin. Nachdruck «erboten. Goethe lebt in unserer Vorstellung nicht nur als der Gcistesgewaltiae, der dichterische Genius, sondern auch als der körperlich Vollendete, der Schöne. Seit den Hellenen — und gewiß noch seit älteren Zeiten — ist ja das Ideal der Menschheit immer die Vereinigung körperlicher und geistiger Vollendung gewesen, und eben jetzt, wo man der Pflege des Leibes erneute Aufmerksamkeit zuwendet, gewinnt dies Ideal eine neue, sozusagen eine moderne Bedeutung. Da ist eS uns denn eine Freude, zu wissen: Goethe war schön. Aber wir möckten mehr als diese allgemeine Schilderung, wir möchten gern wissen: wie sah Goethe wirklich aus? Und das Material zur Bearbeitung dieser Frage ist ja reichlich genug. Kaum ist ein zweiter Mensch so oft portraitirt worden als Goethe. An Zeichnungen und Gemälden, an Stichen uno Silhouetten, an Büsten und Medaillen zählt Zarncke's grundlegendes Vcrzeichniß nicht weniger als 124 Nummern auf. Aber wer sich in die Betrachtung dieser Goethe-Galerie vertieft, muß von großem Erstaunen, ja fast einer gewissen Bestürzung er griffen werden. Ist daS wirklich ein und derselbe Mann, den alle diese Darstellungen geben? Der hier eine spitze, dort eine stark gekrümmte Nase hat; hier mild und freundlich, dort ernst, beinahe mürrisch blickt, hier in fast unglaub würdiger Weise dem Ideale elastischer Schönheit gleicht nnd dort eher häßlich aussieht? Wir verstehen, daß von den 124 keiner uns den ganzen Goethe giebt, und daß wir, wollen wir ein treue« Bild erkalten, am besten selbst einmal versuchen, uns seine Erscheinung aufzubauen. Schon als Knabe zeichnete sich Goethe durch seine gerade Haltung in fast auffälliger Weise auS. Diese Haltung bat er Zeit seines Leben« behalten, und sie ist für seine Er scheinung charakteristisch geblieben. Sie brachte den Wuchs deS Jüngling« besonder« glücklich rur Geltung. Goethe war al- Jüngling von geschmeidiger Schlankheit. Am besten er kennen wir da- auf einem interessanten Aquarell« von Tisch bein, da- den Dichter von rückwärt« zeigt, wie er in leichtem Nrgligse zum Fenster hinauSblickt. Wie fein und harmonisch da Alles geformt ist! Man gewinnt sofort den Eindruck, daß die Bewegungen dieses Körpers graziös gewesen sein müssen; und in der That werden seine anmutbigen Be wegungen wiederholt gerühmt. Er war als Jüngling lebhaft, fast stürmisch, doch ohne das Maß zu überschreiten. So sagt Jungstilling von ihm: „Es kam Einer mit großen Hellen Augen, prachtvoller Stirn und schönem Wuchs mutbig ins Zimmer." Lavater erzählt, daß die Leute, wenn Goethe ins Speisebaus trat, Gabel und Messer nieder- I egten und ibn anstaunten. Und wohl erscheint dies begreif lich, wenn wir das schöne Portrait, das Georg Oswald May 1779 von dem Dichter ansertiate, betrachten. Es ist ein Portrait der Wertherzeit, und Wertherstimmung verrätb sich auch in diesem Gesichte. Um den feinen blühenden Mund ein Hauch von Wehmuth, und milde blicken die großen, glän zenden braunen Augen. Goethe war brünett, sein Haar war braun; bis 1806 trug er es in einem Zopfe. Seine Kleidung war sehr sorgfältig; in seiner Leipziger Studentenzeit wird sogar einmal ihr „närrischer Gollt" getadelt. So war seine Erscheinung im Ganzen gewiß von hoher Schönheit; er galt für den schönsten jungen Mann und an dem Bildnisse Angelika Kauffmann's, in dem JünglingSzartheit mit geistiger Bedeutung und seelifchem Reichthum sich reizend vereinigt, spüren wir ordentlich, wie verliebt die Malerin in ihr Modell war. Wir wissen aber auch, daß Goethe's Gesichts bildung einige Mängel hatte, die seine Portraitisten uns verschweigen. Vor Allem waren von den Blattern, die Goethe in seiner Jugend hatte, Narben zurückgeblieben. Als die „lebhafte Tante Melber" den Knaben nach der Genesung zum ersten Male wieder gesehen hatte, hatte sie ausgernfen: „Pfui Teufel, Vetter, wie garstig ist Er geworden!" Goethe wollte es nun allerdings nicht Wort haben, daß Blatter narben zurückgeblieben seien, aber die Gipsmaske, die er einmal von seinem Gesichte anfrrtigen ließ, zeigt un«, daß in der Tbat die Narben in einzelnen Theilen des Gesichtes deutlich sichtbar Warrn. Ferner wissen wir, daß Goethe's linke GesichtSseite merklich länger war als die rechte, so daß das rechte Auge tiefer als da- linke stand. Goethe sagte darüber, „die Natur habe ihm einen Nicksang gegehen". Wenn diese Eigentbümlichkeiten auf den Darstellungen Goethe's nicht hervortreten, so erklärt sich daö unschwer daraus, daß diefe kleinen Mängel vor dem Gesammteindrucke ganz ver schwanden. I» reifer sich Goethe'« jugendliche Schönheit ent faltete, um so bestimmter wurde da« Apollinische seiner Er- fchrinung. Wir können di»s»n Typu« in seinen Bildnissen ganz gut verfolgen: er klingt bereit« in Klauer'S Büste vom Jahre 1778 an; er kommt in Tischbein'« bekanntem Gemälde vom Jahre 1786, da« Goethe m überaus edler Haltung auf den Trümmern der Campagna gelagert zeigt, zu voller Gel tung, und er erreicht seinen Höhepunct in Trippel's herrlicher Büste von 1787. Ist die« berühmte Bildwerk als gan^ portraitähnlich anzuseben? Ich denke nicht; ich meine, e- giebt eben nur den frappantesten Zug dieser Persönlichkeit gesammelt wieder. Auch Hufeland erzählt ja, daß Goethe in der Rolle des Orest „ein Apoll war, herniedergestiegen, um die Schönheit Griechenlands zu verkörpern". Allmählich nahm Goethe's Gestalt die Zeichen behäbigerer Reife an. Sein Gesicht, das in der Jugend sogar blaß erschienen war, röthete sich in Folge seiner Vollblütigkeit; es machte gewöhnlich einen gesund gebräunten Eindruck und chien ernst, fast entschlossen. Aber sein ausdrucksvolles Auge, das Schiller so entzückte, milderte diesen Ernst und gab Goethe einen wohlwollenden Zug. Das Haar war frei und war an der Stirn straf hinaufgestrichen, die gewaltige Stirnwölbung frei lassend. Der Hals war stark, und darum trug Goethe das Halstuch gewöhnlich locker. Die stärkste Veränderung seiner Erscheinung wurde durch seine zunehmende Beleibtheit veranlaßt. Entweder dadurch oder durch den un günstig wirkenden langen Rock des 19. Jahrhunderts wurde der bekannte Eindruck bervorgebracht, daß seine unteren Gliedmaßen im Verbältniß zum Oberkörper zu kurz seien. Huselaud bestätigt dies Mißverhältniß und meint, daß Goetbe vielleicht darum das Schließen zu Pferde, wie er selbst er zählt, nicht vollkommen gelingen wollte. Diese Eigenthüm- lichkeit bat Wohl wesentlich dazu beigetragen, daß Schiller z. B. zuerst von Goethe'« Erscheinung enttäuscht war; auch wir können, wenn wir die Darstellungen betrachten, die den Dichter in seinem Arbeitszimmer bictirend oder über die Straße gebend zeigen, nickt verkennen, daß die Gesammt- erschcinung deS jungen Goethe vollendeter harmonifch sich rarstellt. Wunderlich ist, daß sich über seine Größe die ver- schiedensten Angaben finden. Schiller nennt ihn „von mitt lerer Größe", David Veit „von wett mehr als gewöhnlicher Größe". Wir wissen jetzt, nach Rauch'S Messungen, genau, daß der Dichter im Jahre 1824 174 Centimeter maß; erschien er dennoch höher, so erklärt der erwähnte Bildhauer dies au« seiner breiten Brust und geraden Haltung. Es ist ja be kannt, daß noch an dem tobten Dichter Eckermann die „überaus mächtige, breite und gewölbt- Brust" bewunderte; Goethe übte übrigens regelmäßig eine Art Brust- und Lungen gymnastik, indem er die Hände auf dem Rücken kreuzte, daS war beim Spazierengehen, bei der Unterhaltung, beim Dictiren rc. seine gewöhnlich« Haltung. Hatte Goethe in seiner Jugend einem Apollo geglichen so näherte er sich in seinem ManneSalter mehr und mehr dem Zeus-Typu«. Physiognomisch erklärt sich da« darau«, daß seine feinen Züge mit den Jahren immer breiter und mäch tiger wurden. Die Nase, eine kühne Nase, die merkwürdiger Weise auf den Jugendbildnissen fast immer gerade erscheint, während sie in der Mitte leicht gekrümmt war, senkte sich etwas herab, der Ausdruck deS Gesichts wurde der einer „klassischen Ruhe", die gewaltigen, wahrhaft zeusähnlichen Augen beherrschten daS Antlitz. Sein braunes Haar war silberweiß geworden, aber voll und weich geblieben. Ueber-
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