02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.08.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-08-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970828024
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- LDP: Zeitungen
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- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-08
- Tag1897-08-28
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Größere Schriften laut unserem Preis» Verzeichnis. Tabellarischer und Ziffernfatz nach höherem Tarif. Evtra-Beilage» (gesalzt), nur mit da Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderun(> 60.—, mit Postbeförderung 70.—^» Ännuhmeschluß für Anzeigen: Abead-Au-gabe: Vormittag- 10 Uhr. Riorge n-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je et« halbe Stunde srnher. Anzeigen find stets an die Expeditta« zu richte«. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig HZA. Sonnabend den 28. August 1897. 81. IüHlMNA Der Zweibund. —Die Annahme, daß zwischen Frankreich und Ruß land nicht nur eine enteute cvräiale, nicht nur ein zu nicht» verpflichtendes Freundschaftsverhältniß, sondern ein geschriebener Bündnißvertrag, der beide Contrahenten für gewisse Fälle bindet, besteht, ist jetzt, nachdem in Peterhof daS Wort „befreundete und alliirte Nationen" gefallen ist, allgemein. Wir haben in Uebereinstimmung mit vereinzelten Preßstimmen schon im vorigen Jahre anläßlich des Besuchs Kaiser Nicolaus' in Frankreich, als in den damaligen Toasten von „freundschaftlichem Verhältniß", „werthvollen Banden", „zusammenstimmender Thätigkeit", „gegenseitigem Vertrauen" und „Union" die Rede war, unsere Ansicht dahin geäußert, daß alle diese Ausdrücke nur Umschreibungen des Wortes „Bündniß" seien. Wir schrieben am 8. October vorigen IahreS: „Es ist beute kein Zweifel mehr daran, daß man eS nicht mehr bloS mit einer auf die Gleichheit der Interessen fußenden Entente, einem bloßen Einvernehmen und Zusammengehen in wichtigen internationalen Fragen zu tbun hat. Als der Zar in Wien weilte, äußerte die „N. Fr. Pr.", auf alle Fälle von zuständiger Seite informirt, man wisse jetzt, daß zwischen Frankreich und Rußland thatsächlich ein Vertrag bestehe, eine bündnißmäßige Abmachung für einen bestimmten Fall, daß der ca8us tocäeris aber nur auf die Eventualität eines Angriffes einer dritten Macht auf eine der beiden befreundeten Staaten stipulirt sei, daß man es also mit einem dem Dreibund- verhältniß völlig analogen Vertrage zu thun habe. Ein Dementi dieser Meldung ist bisher in keiner Weise er folgt, und wir haben seitdem auch keinen Anstand ge nommen, von einem franco-russischen Bündniß zu reden." Als dann in ChalonS der Zar geäußert batte: „Sie haben Recht, zu sagen, Herr Präsident, daß die beiden Länder durch unwandelbare Freundschaft verbunden seien. Ebenso besteht zwischen unseren beiden Heeren ein tiefes Gefühl der Waffen brüderschaft", fügten wir dem u. A. hinzu: „Auch in diesem Trinkspruch kommt, wie voraus zusehen, das Wort „Alliance" nicht vor, ober das Wort „Waffenbrüderschaft", d. h. daS Zusammengehen selbst im Falle eines Defensivkrieges, kann nicht anders gedeutet werden. Es sagt genug, um auch Die zu belehren, Welche noch an dem Bestände eines förmlichen Bünd nisses gezweifelt haben, denn jene ist unmöglich obne dieses." In der Auffassung der an Bord des „Pothuau" ge wechselten „Alliance"-Toaste treffen wir mit den „Berliner- Politischen Nachrichten" fast bis auf den Wortlaut zusammen. Die in bekannten officiösen Beziehungen stehende Correspondenz schreibt: „Der Abfchiedstoast des Kaisers Nikolaus an die Adresse des Präsidenten Faure hat endlich das in Frankreich so lange und sehnlich erwartete Wort „ alliirt" ausgesprochen. Zn einem früheren Zeitpunkte und vielleicht noch vor Jahresfrist, bei der Anwesenheit des russischen Herrschers in Paris, gefallen, hätte dieses Wort hier und da möglicherweise zu Mißdeutungen Raum geben können. Heute erscheint die Möglichkeit einer solchen Mißdeutung — von tendenziösen Fälschungsversuchen natürlich abgesehen — wohl so gut wie ausgeschlossen. Kaiser Nikolaus selber hat durch den Zusammenhang, in welchem er sich des Wortes „alliirt" bediente, jeder alarmistischen Ausbeutung desselben etwa im Geiste des französischen Revanchepatriotismus einen kräftigen Riegel vorgeschoben. Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, daß russischerseits die Anerkennung des Allianzcharakters der Be ziehungen zu Frankreich nicht bis auf die Gegenwart hätte verzögert zu werden brauchen, wenn man dem jahrelangen Drängen des anderen Theiles schon früher hätte nachgeben wollen. Daß dies bislang nicht geschehen ist, läßt nur die eine Deutung zu, daß man in Petersburg entschlossen war, mit der Erfüllung des hierauf bezüglichen Wunsches der Franzosen nicht eher vor zugehen, als es unbeschadet der Präjudicirung der eigenen Politik durch die Spekulationen des revanchewüthigen Pariser Chauvinismus eintreten konnte. Indem Kaiser Nicolaus nunmehr dem Oberhaupte der französischen Republik das Wort „alliirt" als Abschiedsgruß mit auf die Reise gab, beseitigt er für den zur Ziehung logischer Consequenzen befähigten Beobachter der tagespolitischen Vorgänge auch den letzten Schatten von Un gewißheit, als könnte die Proclamirung der russisch - französischen Allianz ein novum für die Jnstradirung der russischen Politik schaffen, etwa als hätte der Zar sich zum Alliirten der französischen Patriotenbündler S, in Tärouläde machen wollen. Vielmehr erscheint nach Lage der Verhältnisse die Proclamirung dieser Allianz als gleichbedeutend mit dem Verzicht des heutigen republikanischen Frankreich auf jeden Versuch einer revanchelustigen Fructi» sicirung seines Verhältnisses zu Rußland. Ohne uns mit Conjecturenmacherei abgeben zu wollen, halten wir dafür, daß der in Rede stehende Abfchiedstoast des Zaren das Ergebniß der Eindrücke bezw. Abmachungen widerspiegelt, die erst von dem Eintreffen des Präsidenten Faure und des Ministers Hanotaux datiren und der Einsicht entspringen, daß Frankreich seinem eigenen Interesse den besten Dienst leistet, indem es gemeinschaftlich mit Rußland und also auch mit den analoge Ziele verfolgenden mitteleuropäischen Reichen durch Einsetzung seiner ganzen Macht „zur Aufrechterhaltung des Weltfriedens im Geiste von Recht und Billigkeit" beiträgt." In einem Pariser Blatte wird berichtet, der Alliance- vertrag fei erst nach den Entrevuen zwischen dem Zaren nnt Felix Faure, sowie zwischen Hanotaux und Murawjew unter zeichnet worden. Dies halten wir für unwahrscheinlich, Wohl aber darf man nach der Aeußerung des Zaren, er hoffe, daß der Aufenthalt der französischen Gäste in Rußland die Bande noch fester und enger knüpfen werde, der Vermuthung Raum geben, daß der Vertrag in Petersburg eine genauer um schriebene, vielleicht auch erweiterte Fassung erhallen hat. In Paris ist die Auffassung der Toaste eine getheilte. Unbedingter Enthusiasmus tritt in der Presse nur ganz vereinzelt zu Tage. Die Einen lesen aus den Worten „Alliance im Sinne von Recht, Gerechtigkeit und Billigkeit" heraus, der Zar, welcher sich der von der französischen Presse in Bezug auf die Wiederberausgabe Elsaß-LothringenS wiederholt gebrauchten Ausdrücke bediene, habe damit andeuten wollen, daß mindestens einer der Zwecke der Alliance die Befreiung der verlorenen Provinzen sei, während die ruhiger Denkenden der Ansicht sind, daß nach den Friedensbetheuerungen, die Kaiser Wilhelm und Zar Nikolaus sich gegenseitig gegeben, eine solcde Auf fassung jeden Halt verlieren müsse. Bei dieser Divergenz der Auslegung ist es nur begreiflich, daß die radikalen Blätter die Veröffentlichung des Wortlautes deS Alliance- Vertrages verlangen. In der englischen Presse kommt die Erkenntniß immer mebr zum Durchbruch, daß England die Rolle des betrübten Lohgerbers zugefallen ist. So schreibt die „St. James Gazette" sehr bezeichnend: „Und nun? Wie steht es denn eigentlich mit uns? Nun endlich genießen wir unsere prächtige Isolirung. ES ist ja etwas „Prächtiges", etwas Anderes zu sein, als die Nachbarn, mit denen man doch im Leben auSkommen muß. Und wenn dann die Nachbarn vorangehen, gleichgiltig, ob wir anderer Ansicht sind, dann wird die Stellung strahlend. England bleibt weiter nichts übrig, als nachzugeben oder die furchtbare Verantwortlichkeit zu übernehmen, den Frieden Europas zu brechen. Es besteht keine Verschwörung, uns zu ver nichten, wie erfindungsreiche deutsche Zeitungen uns glauben machen wollen. (?) Aber Niemand ist geneigt, uns zu unter st ützen, Jeder aber, Rußland zu helfen." Das genügt, England in eine Stellung zu treiben, daß eS ohnmächtig ist. Dem haben wir nichts hinzuzusügen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 28. August. Morgen tritt in Landshut der sogenannte deutsche Katho likentag, in Wahrheit der Parteitag des Centrums, zu sammen. Es fehlt nicht an klerikalen Stimmen, welche die alljährliche Veranstaltung der „Heerschau", wie Windt- horst diese Versammlung einmal genannt hat, für einen nicht unbedenklichen Brauch erachten. Man versteht das: der „Katholikentag" ist ein weiter Mantel, in den seit der Beendigung des Culturkampfes nur immer weniger zu stecken war, er schlottert um den Leib des Centrums, insoweit dieses eine politische Partei ist, und als solche möchte es von Freund und Feind angesehen werden. In seinem BräutigamSrock macht aber der Greis selten eine ganz ernsthafte Figur, und deshalb sind es Wohl die Klügeren, die eine Einschränkung der großspurig angelegten Versammlung empfehlen. Sie sind aber nicht zugleich die „Mehreren", noch überwiegt stark die Ansicht, daß das Centrum alljährlich einen gewissen äußeren Pomp entfalten müsse. In neuerer Zeit ist den Vertretern dieser Meinung ein kräftiges, aber unwillkommenes Argument hinzugewachsen; eS wird immer nothwendiger, die „Einigkeit der Partei zu documentiren". Nun vermag der „Katholikentag", bei dem Alles genau vorher bestimmt ist, wie bei einer Parade, und der selbstständige Regungen vollständig ausschließt, diesem Zwecke in den Augen Urtheilsfähiger nicht im Mindesten zu dienen. Auf die Urtheilöfähigen ist es aber nicht abgesehen. Diesmal ist zum Versammlungsort eine altbayerische Stadt gewählt worben, weniger weil dort der Gegenreformator Canisius gearbeitet hat, sondern weil man hoffte, es würde als sonderliches Selbst vertrauen angestaunt werden, daß man den Centrumsparteitag in der Nachbarschaft der Höhle des bauernbündlerischen Löwen sich abspielen läßt. Damit ist eS aber nicht weit her, denn tagen und Bankette veranstalten kann heutzutage in Deutsch land jede Partei überall, und wenn man sich einen sonder lichen Eindruck von der „Großartigkeit" der Veranstaltung auf die halb und ganz Abgefallenen versprechen sollte, so würde die Enttäuschung nicht ausbleiben. Was aus weiter Ferne zum „Katholikentag" kommt, gehört zu meist zu den den Bauernbündlern in jedem Gewände, selbst dem geistlichen, verdächtigen „Herren", und das aus der Nachbarschaft herangezogene Gros ist von den ehemaligen Parteigenossen zu gut gekannt, als daß es sonderlichen Respect einflößen könnte. Ein schwacher Lichtschimmer ist ja in den Landshuter Versammlungssaal noch rechtzeitig gefallen. Bei den jetzt abgeschlossenen Nachwahlen zur bayerischen Abgeordnetenkammer hat das Centrum nur einen Wahlkreis — Regen an Or. Sigl — verloren und ist es selbst in dem sehr gefährdet geglaubten Ingolstadt-Pfaffen- Hofen mit seinem ursprünglichen Candidaten Schädler siegreich geblieben und zwar mit großer Mehrheit. Die Ursache des letzteren Glücksfalles ist hauptsächlich in der, noch dazu spätern, Benennung eines seiner eigenen Ueberzeugung nach für den Wahlkreis nicht geeigneten bauernbündlerischen Candidaten zu suchen, int Allgemeinen muß im Auge behalten werden, daß die Nachwahlen von den 1893 als Vertrauensmänner des Centrums gewählten Wahlmännern vollzogen worden sind. Viel Staat ist mit diesen Nachwahlen nicht zu machen, aber Herr Lieber wird schon eine Wendung finden, die sie im Lichte eines Triumphes erscheinen läßt. Er wird auch" nicht in Verlegenheit sein, das einst im äußersten Norden Bayerns gesprochene Wort von den „Mußpreußen" im Süden des Landes zu variiren. An Particularismus, „Festhalten an den föderativen Grundlagen des Reiches" genannt, wird überhaupt Bedeutendes geleistet werden müssen im Hinblick auf die bündlerische Concurrenz. Es war Wohl als Vorspiel dieses Theiles der Landshuter Auf führungen gedacht, als kürzlich, wie mitgetheilt, der frühere Kammerpräsident Freiherr von Ow demonstrativ den Bischof von Regenshurg feierte für dessen schnödes Verhalten bei der Hundertjahrfeier. Wie weit übrigens auch das Centrum in der bayerischen Stadt seine Ab neigung gegen das Reich verrathen wird — wir wissen im Vorhinein, daß alles Gesagte hinter den wahren Empfindungen noch zurückbleibt. Als ein anderes Vorspiel ist anscheinend die soeben erfolgte Veröffentlichung einer Schrift des Jesuiten Gruber anzuschen, deren Kern die Vertheidigung der Verbreitung deS Taxil- und Bitru-Schwindels bildet und in der mit ebensoviel sophistischem Geschick als Dreistigkeit aus dem Miß Vaughan- und Bitru-Betrug ein „Taxil'scher Ent hüllungs-Betrug", verübt natürlich von der liberalen Presse, gemacht wird. Die Schrift richtet sich aber nicht gegen diesePrefse allein, sondern auch gegen Prosesfor Schell auö Würzburg, d:r gleichfalls der sonnenklareu Wahrheit gemäß den Jesuiten orden und die deutschen CentrumSblälter schwerer in der Taxil-Sache begangener Verbrechen an der Volksseele beschuldigt hatte. Man darf der Veröffentlichung in diesem Augenblick Wohl entnehmen, daß in Landshut über die peinliche Asfaire nicht gesprochen werden soll. Frhr. v. Hertling wird zwar anwesend sein, aber er dürfte sich nicht in der Lage sehen, seinen mit denen Schell's vielfach übereinstimmenden Ansichten über die Verdummungspolitik des Iesuitismus sreimüthig Ausdruck zu geben. Und doch wäre dieses Thema das einzige, dessen Erörterung dem „Katholikentag" eine Bedeutung ver schaffen könnte! Die österreichische Presse stand bis jetzt England freund lich und wohlwollend gegenüber, und man erinnert sich noch, daß, als nach dem bekannten Telegramm des deutschen Kaisers an den Präsidenten Krüger eine heftige Preßfehde zwischen deutschen und den englischen Blättern entstand, die österreichische Presse sich bemüßigt fand, die deutsche zur Mäßigung zu ermahnen. Wie sehr die Verhältnisse sich geändert haben, zeigt ein Artikel der „Neuen freien Presse", der an Schärfe die von der deutschen Presse an Ferrrlleton. Eine Sommermondnacht. Ss " Novelle von Wilhelm Jensen. Nachdruck vrrdoten. Der Blick des Arztes ging ein bischen ungewiß am Gesicht der mit dem eigenthümlichen Sinne Begabten vor bei und wandte sich zu den Bergwänden hinauf. „DaS hieße, heute wohl kaum mehr auf Erfolg hoffen, denn ich sehe Dutzende von Hütten, weit auseinander und hoch bis unter die Spitzen hinauf." „Jacob fürchtete sich nicht, um Lea sieben Jahre zu dienen, und Herkules holte den dreiköpfigen Hund aus der Unter welt. Damit will ich freilich meine Freundin nicht ver gleichen und verlange auch nicht, daß Sie selbst Ihre Füße in die Hand nehmen sollen, aber wir müssen erfahren, wo sie sich aufhält. Freilich kommen wir damit in der Hauptsache selbst noch nicht weiter, doch gehört'S nothwendig zu ihr. Im Uebrigen vergessen Sie ihre interessante Hypertrophie; die hat sich nicht übermäßig weit dem Himmel entgegen gehoben, rin Kundschafter braucht sich daher um die hohen Almhütten nicht überflüssig zu bekümmern, sondern kann sich jedenfalls mit ihrem unteren Mattenkranz begnügen. Aber möglichst leichtfüßig muß er sein und möglichst hurtig durch ihre gütige Vermittelung seinen Dienst antreten. WeSbalb vergönnen Sie mir so die Aufmerksamkeit Ihrer Augen?" Der Befragte hatte sie jetzt gerade angeblickt und er widerte: „Ick bewundere Ihre physiologischen Schlußfolge rungen, trotzdem Sie sich in dieser Wissenschaft so kenntnißlo« erklärt haben. Mir deucht. Sie wären gegen Ihre eigene Selbstbescheidenheit berufen, die Assistentin —. Fräulein Käthe fiel ein: „Ach, da» fliegt einem in lehr reichem Umganze nur so an; Sie überschätzen meine Berufs- erstrebunz und ich bitte Sie, mich al« von bescheidener Sinnesart anzusehen. Jedenfalls denke ich zunächst an nicht« al« an den nöthigen Kundschafter. Wie bekommen wir den?" Der Doctor zuckte mit der Achsel: Jemanden eine richtige BerufSerkenntniß wider seine Neigung beibringen zu wollen, empfiehl sich freilich nickt, und mir liegt gewiß nichts ferner, als derlei undankbare Experimente anzustellen. Dagegen, waS den erwünschten Leichtfüßler angeht, beucht mir, liegt er, als mit dem Beruf zum Jagdhund, eventuell zur Gemse, auf die Welt und hierher geratben, nabe, und ich will ihn sofort zum Antritt seiner uütziichen Thätigkeit in Dressur nehmen. Sie hatten Recht, mir sie nicht zuzumulhen, in meinen Jahren ist man schon zu steifknochig geworden und schlagen Dres- sirunasversuche nicht mehr an." „Ich kann mich auch nicht entsinnen", versetzte Fräulein Käthe, „daß ich es je an Respect vor Ihrem Alter hätte fehlen lassen, und bitte Sie, mich aufmerksam zu machen, falls ich mich wirklich einmal in dieser Richtung vergessen sollte." Das sagte sie, ihrer beutmorgendlichen GemüthSstimmung entsprechend, äußerst ernsthaften Tones, und da sie im Reden an daö Dorfgaslhaus zurückgelangt waren, verließ der Arzt sie jetzt für ein Weilchen, indem er die Treppe hinaufstieg und an die Thür des Zimmers klopfte, hinter dessen Fenster scheiben er bei seinem Weggang zur Aumühle das halbzurück- gezogen ausblickende Gesicht des künftigen Rechtsbeflissenen Hans Bachstelz wahrqenommen hatte. In der nämlichen Positur befand dieser sich auch gegenwärtig noch, sah, da er sich nicht zur kräftigenden Einnahme seines Frühstücks auS seiner Stube fortgetraut, gleichfalls noch immer bläßlich überwacht auS und fuhr beim Eintritt deS Besuchers einiger maßen verstört mit dem Kopf herum. Zu einer inneren Be schwichtigung konnte ihm auch die Bedenkliches ausdrückende Miene deS DoctorS nicht gereichen, der ihn begrüßte: „Mein Kommen wird Ihnen nicht unerwartet sein . . „Nein — das beißt gänzlich — durchaus nicht unwill kommen — unerwartet, mein' ich, stotterte der Angesprochene. „Ich weiß nicht, ob ich bitten darf, daß Sie sich sitzen, Herr Doctor — Nur ein« schwache Hoffnung drückte sich in der Frage au-, jedoch Gerlach Viereck erfüllte sie, ließ sich auf einen Stuhl nieder und fuhr fort: „Ich komme au« Theilnahme für Sie, um zu versuchen, ob die Ihnen drohende schwere Sühnung Ihrer Missethat noch eine Milderung zulätzt." „Einer — meiner — Misse — Missethat?" „Sie werden nicht ableugnrn wollen, daß Sie einen cooatus ckoliuczuencki begangen haben, um Mitternacht eine vornehme junge Frau ihrer ehelichen Pflicht abwendig zu mache«, sie zum Treubruch zu verleiten, iu tlagrauti dabei von ibrem Ehegatten betroffen worden sind, daS Opfer Ihrer sträflichen Absicht dadurch zur Flucht gezwungen haben, und die Schuld an dem spurlosen Verschwinden der Ent- flobenen, sowie a« allen sich daraus weiter ergebenden Folgen tragen." „O, mein Gott!" stammelte Hans Bachstelz. „Die Schuld — ! ich? Ich glaubte, der Andere . . ." „Ihre NechtSkundigkeit belehrt Sie, daß es sich bei einem ! crimen raptus nicht um subjectiven Glauben, sondern um objectiv festgestellte Thatsachen handelt, und als Jurist sind Sie ebenfalls von der Bedeutung des ckamnum illatum, und zwar eines ckamnum injuria et llolo clatum unterrichtet, daß Sie mit Ihrer gejammten Habe, Leib und Leben für den Ersatz des verursachten Schadens haften. Dieser besteht zu einem Haupttheil in der Unauffindbarkeit der durch Sie in ihre gegenwärtige Nothlage versetzten Dame, und eS liegt die Gefahr des Eintretens eines clamnum irreparabils vor, wenn eS nicht gelingt, in kürzester Zeit ihren Aufenthalt zu ent decken. Ihnen die Möglichkeit einer derartigen pracstatio ckoli, eines Belegs Ihrer Willfährigkeit zu eröffnen, den von Ihnen begangenen ckolrm «x proposito, soweit eS noch in Ihrer Kraft steht, zu sühnen, ist der Zweck meiner Hier herkunft." Es erweckte fast den Anschein, als ob der vr. mell. Gerlach Viereck im Verfolg seiner akademischen Laufbahn einmal „um gesattelt" und ehe er sich den leiblichen Schäden der Mensch heit gewidmet, eine Beschäftigung mit der Schadhaftigkeit ihrer Rechisbegriffe gepflogen haben müsse. HanS Bachstelz aber erregte, von einer Fluthwoge noch seiner eifrigen Er gründung harrender juristischer Geheimnisse überschüttet, etwas den Eindruck eines bis über die Ohren ins Wasser aeratbenen Pudels, der sich trotzdem nicht zu schütteln wagt, sondern, nur von inneren Schauern durchrüttelt, saß er äußerlich salzsäulenhaft-regungSlo-, erröthete und erbleichte abwechselnd und vermochte beim Schweigen des Arztes aus seinem zn völligstem Durcheinander gewürfelten Gedanken- und EmpfindungSvorrath nicht- herauszufinden als: „Aber — aber der Freiherr von der Hallen sagte — in der Nacht — doch nur, ich — ich wäre — ein dummer Junge . . ." „Er bat seine Ansicht von Ihnen durchaus verbessert oder vielmehr verschlimmert", entgegnete Doctor Viereck tiefernst, „und sieht in Ihnen einen der rafsinirtesten Versucher weib licher Unschuld, einen Rouö, wie unsere Zeit nur wenige bervorgebracht. Wenn Sie einen reuigen Drang fühlen, sich von dieser schweren Brandmarkung Ihre« Charakter« vor der Welt, soviel es noch möglich fällt, zu reinigen, halt« ich es de-halb für unerläßlich, daß Sie den Beweis dadurch liefern, indem Sie sich sofort auf den Weg machen und nicht «der zurückkehren, bi« Sie im Stande sind, über den Aufent- halt der Verschwundenen sichere Kunde zu bringen. Es ist Grund zur Vermuthung vorbanden, daß sie sich in Beglei tung der wohlbeleibten Dame, die gestern Abend mit uns hierher fuhr, in einer der untern Sennhütten über dem Thale befindet. Ihre Aufgabe wird also sein, bei diesen allen Nachforschungen anzustellen, doch in allerbehutsamster Weise, daß Sie wabrzunehmen suchen, ohne selbst gesehen zu werden, denn daraus könnte, wie Sie begreifen, daS Un heilvollste für Sie entspringen." Eine weitere Motivirung des letzteren fügte der Arzt nicht hinzu, und ein strenger Logiker hätte vielleicht über haupt auch an den vorher von ihm bewerkstelligten Causal- anknüpfungen etwas die Haltbarkeit vermißt. Doch Hans Bachstelz war nicht oder zum Mindesten heute Morgen nicht kritisch veranlagt, er begriff Alles vollkommen, sogar das in Wirklichkeit äußerst schwer Verständliche, wie für ihn Unheil vollstes daraus entstehen könne und müsse, wenn er bei seiner Auskundschaftung von Frau von der Hallen wahrgenommen würde, und er griff jetzt, einen zuerst gebrauchten Vergleich Viereck'S rechtfertigend, mit der Hast eines auf einer Wild fährte anschlagenden Jagdhundes nach seinem Strohhut. um aufs Schleunigste vor den Augen der auf ihn gerichteten Welt mit der Reinigung seines Charakters zu beginnen. Nur noch einmal wandte er sich an der Tbürschwelle auf eine Mahnung des Arzte«: „Vergessen Sie Ihren Bergstock nicht, er kann Ihnen nützlich sein und die Einweihung in seinen Beruf jedenfalls durck kein größeres Verdienst begehen, als Ihre Geschwindigkeit noch mehr zu beflügeln." Dann befand Gerlach Viereck sich wieder vorm Hause neben Fräulein Käthe von Wachenheim, die dem achtlos an ihr voriibcrgestürzten rassinirten Versucher weiblicher Unschuld nachblickend sagte: „War das Ihr Sendbote und der nächtliche Ständchen bringer? Dem thäte wirklich Ihr Iagdbundgleichniß himmel schreiendes Unrecht an, dagegen trifft daS mit der Gemse voll zu; man braucht nur einen Blick ans die Gelenkigkeit seiner Beine zu werfen, die noch nichts von der traurigen steif knochigen Umwandlung im spätern Alter ahnen läßt. DaS ist ja ein allerliebster Mensch und ich begreife vollständig Cilly'S Wunsch, sich von ihm im Mondschein ein Lied singen zu lassen." Eine Anerkennung warS, der Fräulein Käthe in einem bewundernden, fast begeisterten und dem ihrer innersten Natur gemäßen frohlaunigen Tone Ausdruck gab. Danach indeß fiel sie in den ihr beute Morgen von den Umständen fremd und widerwärtig aufgenöthigten zurück und äußerte au«
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