Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.09.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-09-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970901011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897090101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897090101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-09
- Tag1897-09-01
- Monat1897-09
- Jahr1897
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Die Morgen-Au-gabe erscheint um '/,? Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentags um b Uhr. Filialen: Lite» «lcmm's Sortim. (Alfred Hahn), Universitätsslraße 3 (Paulinum), Louis Lösche. Katbarinenstr. IS, Part, und Löiüg-V^atz 7- Redaclion und Lkvediti-n: JohanneSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- Abend- 7 Uhr. DezugS-PreiS kn der Hauptexpedition oder den km Stadt bezirk und den Bororten errichteten Aut» gabestellen ab geholt: vierteljährlich ^(4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in« hau- -ck 5.5V. Durch die Post bezogen sür Deutschland und Oesterreich: viertelläbrlich X 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandsendung in- Ausland: monatlich 7.50. 111. Morgen-Ausgabe. Anzeigen-PreiS Pie 6 gespaltene Petitjeile ^0 Pfg. Meclamen unter dem Redactionsstrich (4ge- spalten) 50 .H, vor den Familiennachrichte» (6 gespalten) 40 Erobere Schriften laut unserem Prell« v.rzeichniß. Tabellarischer und ZifscrnsaA »ach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mrt Postbesörderung .4 70.—. —— Anzeiger. Amtsblatt des Aöniglichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes nnd Volizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Mittwoch den 1. September 1897. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet- an die Expedition zu richten. Druck und Berlag von E. Polx tu Leipzig S1. Jahrgang. Anger-Crottendorf Herr Lodert (Zretuor, Zweinaundorfer Straße 18, Eutritzsch Lobort Xltnor, Buchhandlung, Delitzscher Straße 5, Gohlis Lodert Altnor, Buchhandlung, Lindenthaler Straße 5, Lindenau Herr Albert Llutlner, Wettiner Str. 51, Ecke Waldstr., Buchbinderei, Neustadt 8elieit's Anuoneen-LxpetLtlon, Eisenbahnstraße 1, Ranftsche Gasse 6 Herr Lrleär. Llseder, Colonialwaarenhandlung, Ranstädter Steinweg 1 Herr 0. Lu^eliurmir, Cvloniallvaarenhandlung, Schützenstratze 5 Herr 6ul. 8eI)Umielie», Colonialwaarenhandlung, Westplatz 32 Herr L. Llttrled, Cigarrenhandlung, Aorkstratze 32 (Ecke Berliner Straße) Herr L. Lördolä, Colonialwaarenhandlung, Zeitzer Straste 35 Herr V. Lüster, Cigarrenhandlung, in Plagwitz Herr L. klrütziuruiln, Zschochersche Straße 7», - Reudnitz Herr LuKmauu, Marschallstraße 1, - - Herr Leritü. Weder, Mützengeschäst, Leipziger Straße 6, - Thonberg Herr L. Lllutsed, Reitzenhainer Straße 58, - Bolkmarsdorf Herr 0. A. Laumaun, Conradstr. 55 (Ecke Elisabethstr.). Für kann das Leipziger Tageblatt durch alle Postanstalten des deutschen Reiches und Oesterreich-Ungarns zum Preise von 2 bezogen werden. In Leipzig abonnirt man für 1 65 mit Bringerlohn 2 und nehmen Bestellungen entgegen sämmtliche Zeitungsspediteure, die Hauptexpedition: Johannesgasse 8, die Filialen: Katharinenstratze 14, Königsplatz V und Universitätsstratze 3, sowie nachfolgende Ausgabestellen: Arndtstraste 35 Herr L. 0. Littvl, Colonialwaarenhandlung, Beethovenstraste 1 Herr ^dvoü. keter, Colonialwaarenhandlung, Brühl 80 (Ecke Goethestraße) Herr Lerm. Llosske, Colonialwaarenhandlung, Frankfurter Stratze(Thomafiusstraßen-Ecke) Herr Otto Lrauz, Colonialwaarenhandlung, Löhrstraste 1L Herr Lüuru'ü Lot^or, Cvloniallvaarenhandlung, Ararschuerstraste 9 Herr Lax 8lrdiuMor, vorm. kaut 8edrirLder, Drogengeschäft, Nüruberger Straste 45 Herr U. L. Aldreodt, Colonialwaarenhandlung, in Anaer-Crottendorf Herr Lodert 6retuer, Zweinaundorfer Strane 18, Das protestlerthurn in Elsasr-L'othringen. Frullletsn Czicou. Ein Kinderleben in Zanzibar.*) Von Ida Gräfin Ponti. Nachdruck verboten. Gab es Wohl ein glücklicheres Negerkind in Zanzibar, als die kleine Czicou? Schwerlich. Czicou glaubte es wenigstens nicht. Allerdings bis vor Kurzem war die Kleine die denkbar misshaudellste, elendeste Ereatur gewesen, aber wie batte sich Czicou'S Leben gewandelt, seit sie in da- Haus de- deutschen Bana') Nickoll kommen durfte, um mit der kleinen blond lockigen Eva zu spielen! Welch ein Glück, daß Eva's alte Ayab erkrankt war, und wie gut von ihr, die Weiße Bibi") zu bitten, gerade die kleine Ezicou als Eva's Spielgefährtin zu wählen, — wenigstens bis Ayab selbst wieder gesund sein würde! „Lass' die Ezicou holen, Bibi, sie ist gut und sanft, bester, als die meisten Negerkinder. Eva wird nichts Schlechte- von ihr lernen, nnd das Kind wird Dir dankbar sein, sie bat den schlechtesten Herrn in ganz Zanzibar und wird grausam von ihm behandelt. Abdullah bin Nasor, den Allah strafen möge, bat viel auf dem Gewissen, seine Sclaven erzählen grausige Sachen, wie er die arme Mahewena, Ezicou'S Mutter, zu Tode gepeinigt hat." *) Diese Erzählung beruht auf eigenen Erlebnissen der Ver fasserin. ') Bann --- Herr. ') Bibi — Herrin, Frau. Nach der kürzlich erfolgten Wahl deö Reichstagsabgeordneten Preiß in de» vberelsässischen Bezirkstag und den Vorgängen nnd Umtrieben, die sich dabei abspielten, ist das Proteftler- thum der Elsaß-Lothringer in der Presse diesseits und jen seits des Rheines wieder eifrig erörtert worden und manches bittere Wort ist in den altdeutschen Blättern über die fort dauernde störrische und trotzige Haltung der reichsländischen Bevölkerung gefallen. Und jedenfalls wären alle diese Vor würfe vollkommen berechtigt, wenn die Wahl deö Herrn Preiß wirklich als ein Symptom für die Stimmung der gejammten reichsländischen Bevölkerung gellen dürfte und diese durchweg von denselben Gefühlen sich beseelt zeigte, wie diejenigen Kreise, in deren Händen bei ;ener Wahl der maßgebende Einfluß lag. Ein inter- cpanter Bericht, welcher der „Voss. Ztg." aus Straßburg zugcht, tritt dieser Annahme aber mit Entschiedenheit entgegen. „Um — so führt der Verfasser aus — die gegenwärtige Gesinnung der Esaß-Lolhringer richtig zu beurtbeilen, ist cs nöthig, vorher den scheinbar klaren Begriff des Protcstlerthnms genau festzustelleu; denn die Gefahr liegt sonst allzu nahe, daß man jede unwillkommene Opposition, jeden unschönen politischen Auswuchs mit diesem gehässigen Namen belegt. Dieser Begriff ist entstanden in der ersten Zeit nach der Erorberung Elsass-Lothringens. Als damals die elsaß-lothringischen Abgesandten in der National versammlung von Bordeaux gegen die Abtretung der beiden Provinzen protcstirten, als die Abgeordneten zum Reichstag diesen Protest dort später wiederholten, da sprach man von dem protestlerischen Verhalten der Bevölkerung, und man batte dabei die Gesinnung im Auge, die die Verbindung mit Deutschland nur als eine vorübergehende ansah, auf eine baldige Wiedervereinigung mit Frankreich hoffte und sich von dem politischen Leben Deutschlands völlig fern hielt. Denkt die Masse der Bevölkerung nun auch heute noch so? Hat die Zeit noch keine der Wunden, die einst die Trennung von Frankreich schlug, geheilt? Ist die Arbeit eines Menschenalters spurlos und fruchtlos vorübergegangen? Hat sie nirgends ein Band zu knüpfen vermocht, das hinüber reicht über den trennenden estrom und das einst entfremdete schöne Greuzland wieder, verbindet mit dem großen deutschen Valerlande? Ich glaube doch. Allerdings vor Illusionen, die einzelne schöne Erfolge Wecken könnten, muß man sich hüten; die Männer sind noch selten, die sich offen unv rückhaltlos an Deutschland ange- schlosscn haben, die sich freudig unv stolz als Deutsche fühlen. Doch finden sich auch solche mehr und mehr, und glücklicher weise sind es dann in der Regel die tüchtigsten Persönlich keiten, starke, unabhängige Charaktere, die sich nicht bethören und beeinflussen lassen von dem Urtheil der Menge; gebildete, ideale Naturen, die freuoig die alte Stammesverwandtschaft anerkennen und in einer reichen Vergangenheit die Gewähr einer schöneren Zukunft sehen. Man könnte eine Reihe von Namen nennen, und sie würden unsere Behauptung beweisen. Natürlich gehört dieser echt patriotisch gesinnte Theil der Bevölkerung vorwiegend den gebildeten Ständen an. Siebt man aber von ihm, der zwar an Zahl gering, durch seinen inneren Werth aher bedeutungsvoll ist, ab, so findet man im klebrigen gerade in den höheren Schichten die heftigsten Gegner Deutschlands, die wärmsten Verehrer Frankreichs. Es hat das verschiedene Ursachen. In diesen Kreisen war einst die Verwälschung am meisten fortgeschritten, die Beziehungen zu Frankreich am zahlreichsten und innigsten. Ihre deutsche Sprache und Sitte hatten sie verloren, ihr ganzes Leben und Treiben nach französischer Art eingerichtet. Vielfach hatten sie sogar ihre Namen französirt, allerdings meist auf originell: Weise, um so ihre deutsche Abkunft ganz vergessen zu machen. Und so haben sie eS bis heute gehalten, die junge Generation ist in denselben Ueberlieserungen aus gewachsen , sorgfältig behütet vor der Berührung mit deutschem Wesen und meist in Frankreich erzogen, wo sie dann den Haß gegen Deutschland von selbst einsog. Dazu kam die Störung im wirthschaftlichen Leben, der materielle Schade», den man in Folge der Vereinigung mit Deutsch land erlitt und von dem insbesondere die oberelsässische Industrie betroffen wurde. Und endlich empfinden sie eS heule als eine Schande, daß die Negierung, daß die Be amtenstellen fast ganz in den Händen Nichteingeborener sind, ohne zu bedenken, daß die Ursache davon größtentheils bei ihnen liegt, weil sie sich von Anfang an systematisch von dieser Laufbahn fern gehalten haben. Unter der Heran wachsenden Generation der Beamten befinden sich allerdings viele eingeborene Elsässer, aber sie stammen fast alle aus dem niederen Bürger- oder Bauernstände. So hat denn nirgends im Reichslande deutsche Bildung und Sitte geringere Fortschritte gemacht als in diesen vor nehmsten Kreisen, nirgends wirlhschaftlicher Verkehr und ge schäftliche Verbindung weniger zu einer verständnißvollen Annäherung geführt. Bei dieser Geldaristokratie — eine andere giebt es im Neichsland nicht —, bei den Fabrikberren der Indnslriebezirke, insbesondere den Millionairen des Ober- clsasseS, bei der reichen Bürgerschaft der großen Städte, Mülhausen, Kolmar, Straßburg, Metz, bat Deutschland noch wenig Anhänglichkeit gefunden, ist die Abneigung durchweg noch sehr stark, hier finden sich noch echte und wahre Pro testler, ja Chauvinisten, die selbst einen Krieg mit Freuden begrüßen würden, vorausgesetzt, daß er mit einem Siege Frankreichs endigte. Eine hartnäckige, conseqnente Opposition wagen sie der Regierung freilich nicht zu machen; sie kommen So hatte Ayab gesprochen, und das Wort der alten treuen Dienerin galt viel bei Bibi Nickoll. Czicou durfte kommen, auch selbst dann noch, als Ayab genesen war; die kleine Eva hatte ihre schwarze Spielgefährtin zu lieb gewonnen und wollte sich nicht wieder von ihr trennen. Er war ein harter, grausamer Gebieter, Abdullah bin Nasor, der Araber; unbarmherzig prügelte er seine Sclaven bei der geringsten Kleinigkeit, und am unbarmherzigsten war er gegen Czicou. Er haßte das Kind, das ein steter Vorwurf für ibn war. Die großen traurigen Kinderaugen erinnerten ihn immer wieder an die zu Tode mißhandelte Mahewena. «schwere Arbeit hatte das achtjährige Kind schon lange verrichten müssen, Wasser schleppe», Steine und Sand tragen, daß der kleine schwache Körper oft vor Erschöpfung zusammen gebrochen war, aber e« gab keine Hilfe für sie, — arbeiten, arbeiten und Geld verdienen. Abdullah war geizig und geld gierig, er nutzte die Kräfte seiner Sclaven auf das Er barmungsloseste aus. Seit ihrem fünften Jahre hatte Czicou zuerst drei, dann vier und im letzten Jahre fünf Pesa') täglich abliesern müssen; wie und wo sie das Geld verdiente, darnach fragte der Araber nicht. Und wehe ihr, wenn sie die Summe nicht zusammenbringen konnte, — Vie Narben an ihrem armen kleinen Körper redeten eine traurige Sprache von den grausamen Mißhandlungen, die das Kind erfahren. Hunger, Schläge und schwere Arbeit, — so war das Leben der Kleinen bisher verlaufe». Und nun war Alles ander- geworden; der Bana hatte zwar ungern eingewilligt, Czicou in das Hau- des Christen zu geben, allein die acht Pesa, die er täglich dafür erhalten sollte, waren doch zu verlockend gewesen. So hatte er seine *) Pesa eine Geldmünze im Werthe von 2 ihr sogar, allerdings nur unter der Devise „ckc> ut ckos", recht liebenswürdig entgegen, um aber sofort wieder eine andere Miene zu machen, wenn sie unter sich sind. Daß aber durch dieses Verhalten der naturgemäß zur Führung bestimmten Elaste das ganze politische Leben einen gezwungenen, unfriedlichen, krankhaften Charakter annehmen muß, daß ein vertrauensvolles Einverständniß zwischen Re gierung und Volk sich nicht bilden kann, ist einleuchtend. Und leider übt sie auf die übrige Bevölkerung bedeutenden Einfluß. Durch ihr Beispiel beherrschen sie die Kreise der Gebildeten, die sich an Reichthum mit ihnen nicht messen können; der Krämer oder Bauernsohn, der sich durch redlichen Fleiß empor gearbeitet hat, glaubt, durch Nachahmung des französischen Wesens jenen Ton sich anzueiguen, wie er dem selbstbewußten Elsässer geziemt. Und vereinigt wissen diese Kreise auch die Haltung der Masse der Bevölkerung zu bestimmen, diese oft zu Kundgebungen zu veranlassen, wie sie ihrer wirklichen Ge sinnung nicht entsprechen. Denn, fassen wir die Mehrheit der Bevölkerung ins Auge, den niederen Bürger-, den Bauern-, den Arbeiter stand, so erhalten wir ein wesentlich anderes Bild: Jene Hinneigung zu Frankreich, jene Abneigung gegen Deutsch land, die man als eine protestlerische bezeichnen könnte, finden wir hier im Großen unv Ganzen nicht. Aller dings auch noch keine ausgesprochene Anhänglichkeit an das neue Vaterland, denn so schnell ändern diese Menschen mit ihrer echt deutschen Schwerfälligkeit ihre Gesinnung nicht, und man niuß ohne Weiteres zugeben, daß auch in ihren Kreisen ehemals ein lebhafter französischer Patriotismus bestand. Am stärksten war diese Vorliebe sür Frankreich vielleicht bei den Fabrikarbeitern in den industriellen Bezirken. Wenn diese Ouvriers in ihrer blauen Blouse, in Leinenhosen und Holzschuhen, auf dem Kopfe die wälsche Mütze, stolz die gerühmte französische Freiheit priesen, dann dünkten sie sich ein würviges Mitglied der xraucko nution zu sein. Doch der Ruhm dieser großen Nation ist seither arg geschmälert worden, von Deutschland aber haben jene Arbeiter Wohllhaten empfangen, wie man sie von Frank reich niemals erhofft, und so wurde cs dieser Classe nicht allzu schwer, dem ehemaligen Vaterland den Rücken zu wenden, allerdings um mehr und mehr — der Socialdemokratie in die Hände zu fallen und es als ihren Stolz anzusehen, sich zu keiner Nation zu bekennen. Am günstigsten liegen sinfolge dessen die Verhältnisse bei der niederen städtischen und bei der ländlichen Be völkerung. Wenn hier infolge mancher wälschen Angewöh nungen und Einrichtungen, die sich bis heute erhalten haben, wenn infolge aller Erinnerungen oder infolge der gegen wärtig noch bestehenden Verbindungen sich noch Sympathien sür Frankreich finden, so sind sie in der Regel doch zu schwach, Erlaubniß gegeben und nur die eine Bedingung gestellt, daß Czicou des Abends um sechs Uhr zu Hause sein müsse. Wie war doch die Welt so schön geworden für Czicou! Kein Hunger mehr, keine schwere Arbeit, den ganzen langen Tag durfte sie spielen mit der lieben kleinen Bibi Eva, Esten bekam sie, so viel sie wollte, Reis und Fisch und Früchte, und die gute Bibi halte ihr die schönsten bunten Kanzus^) ge schenkt» und sogar ein prächtiges glitzerndes Halsband. Herrlich, herrlich! Könnte es wohl im Himmel ein schöneres Leben geben? In dem Himmel, von dem die gütige Bibi den Kindern so viel erzählte? Gewiß nicht. Czicou's Dank barkeit kannte aber auch keine Grenzen, sie verehrte die weiße Bibi unv die kleine Eva mit aller Kraft ihres kleinen Herzens, nie batte die Bibi eine aufmerksamere Dienerin gehabt, als dieses kleine Mädchen, Czicou war glücklich, wenn sie den kleinsten Dienst für die angebetete Bibi verrichten durfte. Unv nun sollte ihr Leben noch schöner, noch glücklicher werten! Tie kleine Eva batte ihre Eltern so lange mit Bitten bestürmt, die geliebte Gespielin frei zu kaufen, bis die Eltern eingcwilligt batten. Was konnten Sic wohl dem einzigen Kinde versagen? Czicou sollte dann für immer da bleiben und brauchte nie, nie mehr in das verhaßte HauS Abdullah bin Nasor'S zuriickzukebren. Heute hatte Vie Bibi der kleinen Schwarzen die frohe Botschaft mitgetkeilt. Czicou batte kein Wort des DankcS hervorbringen können, ihre kleine Brust war wie zusammen geschnürt gewesen, nnd dann war sie in Schluchze» aus gebrochen und in einen solchen Thränenslrom — selbst bei den schwersten Züchtigungen ihre« Herrn hatte sie nie so geweint. Liebevoll nahm die Bibi das kleine Mädchen in ihre Arm? und beruhigte sie, aber selbst ihr traten die Thränen in die ') Kanzu — Baumwollbeind der Neger. um nicht von den realen Interessen der Gegenwart in den Hintergrund gedrängt zu werden. Und die weise» alle aus eine rege Theilnahme an dem öffentlichen Leben Deutschlands hin. Denn ihr gesunder Menschenverstand sagt diesen einfachen Leuten, daß die Hoffnung auf eine Wieder vereinigung mit Frankreich eine lhörichte ist, wozu dann also sich in die unvermeidliche Gegenwart nickt schicken und von ihr Bortheil ziehen? Wozu über das Unabwendbare kindisch schmollen und es unterlassen, kräftig seine Interessen geltend zu machen? Kein Zweifel, daß diese Classen, also die über wältigende Mehrheit der Bevölkerung, mit der bisherigen Politik des Protestes, die auf ein Fernbleiben von allem politischen Leben hiuauSlief, unzufrieden sind und sie aus zugeben wünschen. Es giebt sich da« in mannigfachen Zeichen kund. Und im Geheimen wünschen sie gar nickt einmal eine LoSlösung von Deutschland und eine Wieder vereinigung mit Frankreich, sie haben sich den gegenwärtigen Verhältnissen angepasst, sie sehe», welch großen Aufschwung ihr Land trotz der kolossalen Auswanderung seit 1870 ge nommen hat — hat sich doch z. B. die Bevölkerung Strass burgs in dieser Zeit nicht weniger als verdoppelt —, und sie wissen sehr Wohl, daß es auch jenseits der Vogesen an Mängeln nicht fehlt. Allerdings herrscht augenblicklich in diesen Kreisen noch grosse Unzufriedenheit, und zwar besonders — das darf nicht verschwiegen werden — über den Dictaturparagraphen und die sogenannte Ausnahmegesetzgebung. Wohl leidet der ruhige Elsässer unter ihnen nicht im geringsten, und die meisten wissen gar nicht, was es damit eigentlich auf sich bat, aber gerade von den protestlerischen Kreisen sind diese Bestimmungen immerfort als eine willkommene Handhabe benutzt worden, um durch eine unausgesetzte wüste Agitation das Volk aufzuhetzen. In Folge dessen geben diese Gesetze jedem Wühler ein gefährliches Agitationsmillel in die Hand, und wenn sich die Bevölkerung dadurch zuweilen zu thörichten Kundgebungen hinreißen läßt, darf man nimmermehr ohne weiteres aus eine protestlerische Gesinnung schließen." — Daß Las hier entworfene Bild im Wesentlichen richtig ist und daß in der Thal die Masse der reichsländischcn Bevöl kerung von dem Protestlerthume nichts mehr wissen will, aber theilS von Agitatoren, die mit dem Dictaturparagraphen und mit den sogenannten Ausnahmegesetzen krebsen, theils Durch das Beispiel der „vornehmen" Gesellschaftsklassen von der Betheiligung an dem politischen Leden der Nation ab gebalten wird, ergiebt sich aus zahlreichen Kundgebungen der elsässischen Presse und Vorgängen des öffentlichen und des Vereinöleben im Reichslande. Dieses Bild gleicht fast aufs Haar dem, das die Provinz Hannover zeigt. Das letztere unter scheidet sich von dem ersteren namentlich dadurch, daß man in Hannover weder Dictaturparagraphen, noch Ausnahmegesetze Augen, als sie die seligen, dankerfüllten Worte des Kindcs hörte. Sie erzählte dann den Kindern, daß sie alle Morgen, nachdem der Herr mit Abdullah gesprochen, nach der Schamba 5) fahren wollten, um die heißeste Zeit dort zu ver leben. Wie jubelten die Kinder! Nach der Schamba, immer im Freien spielen dürfen, unter den dunkeln Mangobäumen, die auf dem großen Platze vor dem Hause standen und so hoch und dicht belaubt waren, daß selbst zur Mittagszeit die heißen Sonnenstrahlen nicht durchdringen konnten, und dann die vielen schönen Früchte, die eS auf der Schamba gab, Bananen, Mangos, Ananas, Orangen, — alle, alle durften sie pflücken und einsammeln! Pläne auf Pläne entwarfen die glücklichen Kinder, sie waren so erfüllt von all' dem Schönen, Herrlichen, daS ihnen bevorstand, dass sie ganz vergessen batten, auf die Zeit zu achten, und sechs llbr war längst vorüber, als Czicou sich endlich auf den Heimweg begab — zum letzten Male. Noch einmal den gefürchteten Bana bei Tische bedienen müssen, — zum letzten Male. Hoffentlich hatte sie sich nicht gar zu sehr verspätet, es war schon so still geworden auf den Straßen, sollte cS schon sechs Uhr sein? Richtig, am Sullanspalaste war schon die rotbe Flagge herabgezogen — wie böse würde der Herr sein! Heftig erschrocken lief die Kleine, so schnell die Füßchen sie tragen wollten, der Wohnung zu. „Weshalb kommst Du so spät, Czicou?" fragte Marjani, die alte Köchin, „der Herr hat schon drei Mal nach Dir gefragt. Abiba hat ibn bei Tisch bedienen müssen, und Du weißt doch, Abiba ist so ungeschickt. Gehe nur schnell hinein, und nimm den Kaffee mit." ') Tchambu — Sommervilla
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite