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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.09.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-09-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970901023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897090102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897090102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-09
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Umgeben von dein in Be gleitung fast sämmtlicher erwachsener Mitglieder des WittelS- bach'schen HauseS erschienenen Prinz-Regenten von Bayern, den Königen von Sachsen und Württemberg und anderen Fürstlichkeiten, wird der Kaiser das gesauimte bayerische Heer besichtigen, um es darauf seine Kräfte im friedlichen Ringen mit preußischen Truppen messen zu seben. Es ist das erste Mal seit dem Bestehen des Reiches, daß die ver einte bayerische Armee nicht-baherischen Truppen im Manöver entgegensteht. Wenn der Prinz-Regent seine fämmtlichen Truppen zusammengefaßt hat — auch die in Lothringen liegenden bayerischen Regimenter sind herangezogen —, so liegt diesem Unternehmen mit Nichten die Absicht zu Grunde, dir Sonderstellung des bayerischen Heeres im Reiche zu einem schroffen Ausdruck zu bringen. Denn das überhaupt zum ersten Mal stattfindende Manövriren gegen preußische Armee korps läßt gleichzeitig die Einheit der deutschen Armee als eines untrennbaren Nationalheeres in die Erscheinung treten. Alle Streiter in den Kriegsspielen in Franken und Hessen erkennen sich — dies die lheuerste Errungenschaft der Hundertjahrfeier — an der gemeinsamen Cocarde auch äußerlich als Kampfgenossen im Falle blutigen Ernstes. Die Theilnabme der BundeSfürsten, von der sich trotz der unvermeidlichen Anstrengung unser König zur dank baren Freude des SachsenvolkeS nickt ausgeschlossen hat, weist gleichfalls auf den deutschen Charakter der gewaltigen militairischen Veranstaltung hin. Nicht minder die Empfangs vorbereitungen der bayrisch - fränkischen Bevölkerung. Tie preußischen Soldaten werden manchen Punct passiren, an denen ihre Väter vor 3l Jahren den Vorfahren der jetzigen bayerischen Kameraden im Bruderkriege gegenüber gestanden haben. DaS friedliche Zusammentreffen in jenen Mainthälern bot daher einen Pcobirstein für die Nachhaltig keit des Umschwungs der Gesinnung, der sich nach jener ebenso unvermeidlichen wie schmerzlichen Auseinandersetzung im großen, vereint geführten Kriege gegen den Erbfeind voll zogen hat. Was aus Würzburg, Nürnberg und anderen Drten gemeldet worden ist, giebt die frohe Gewißheit, daß aus den Herzen völlig getilgt ist, was bei der verbältnißmäßig kurzen Spanne Zeit, die seit der unfriedlicheu Entscheidung der deutschen Frage verronnen ist, den Köpfen eingeprägt bleiben mußte. Es ist doch vor Allem der deutsche Kaiser, dessen bevorstehende Ankunft die Franken in so gehobene Feststimmung versetzt hat. Diese freudige Be wegung ist schon deshalb politisch nicht bedeutungslos, weil sich in Unlerfranken einer der Herde der endemischen bösartig - particularistischen Seuche befindet. Es ist außerdem nickt gesucht, wenn man hervorbebt, daß der Schauplatz der diesjährigen Kaisermanöver sich nicht allzu weit von der französischen Grenze befindet. Wir baden in Uebereinstiminung mit der aesammten deutschen Presse nicht anzuerkennen vermocht, daß die verflossene Woche an den bisherigen Beziehungen der europäischen Staaten etwas geändert habe. Ein Theil der Franzosen ist jedoch anderer Ansicht, und diesem wird eS heilsam sein, gewissermaßen aus der Nachbarschaft darüber unterrichtet zu werden, daß das unwiderruflich geeinte Deutschland sein Pulver trocken hält. Vom 13.—17. August hielten die großen deutschen Vereine Siebenbürgens, die neben der vorzüglichen Kirchen- und Schulorganisation den 200 000 Sachten einen festen Halt geben, ihre Hauptversammlungen in Distritz ab. Zuerst tagte der älteste der Vereine, der 1840 in Sckäßburg gegründete Verein für siebenbür gische Landeskunde. Er steht seit 18S4 unter der ausgezeichneten Leitung des früheren SeminarvirectorS und jetzigen Pfarrers vr. F. Teutsch, zählt über 700 Mitglieder, verfügt über ein Ver ¬ mögen von fast 23 000 fl. und eine Zabreseinnahme von mehr als 3000 fl. und veröffentlicht alljährlich im „Archiv" eine Reibe wertbvoller Abhandlungen aus der Geschichte Siebenbürgens. Der Vorsitzende eröffnete die Versammlung mit einer Dankrede auf den einstigen Führer der sächsisch nationalen Sache I. A. Zimmermann, in welcher er die hohen Verdienste dieses seltenen Mannes auf dem Gebiete der Kirche und der Sckule zeichnete. Zu Ebrennntglicdern wurden ernannt: der Geb. Kirckcnrath Prof. vr. Fricke in Leipzig, der Gebeimrath Prof. Or. Friedberg in Leipzig, Prof. Vv. Fischer in Marburg und Prost l)r. Brauer in Heidelberg. An demselben Tage hielt seine Hauptversammlung der Allgemeine evangelische Frauenverein ab, der seit seiner Gründung im Zähre 1884 146 877 fl. verwendet hat, um Kindergärten und Kinderbewahranstalten ins Leben zu rufen und zu erhalten, Gottesbäuser und Friedhöfe zu schmücken, Krankenpflegerinnen auözubildcn und Arme und Kranke zu unterstützen. Am 15. August tagte der Gustav- Adolf-Verein, der die Noth armer evangelischer Ge meinden nicht nur in Ungarn-Siebenbürgen lindert, sondern auch hilfsbedürftige evangelische Gemeinden im Auslaute unterstützt. Weiter fand am 15. August die Hauptversamm lung des Sächsischen Leb Verbundes und am 16. August die des Siebenbüstgischen Karpathen Vereins statt. Letzterer hat seit 1880 Großes in der Erforschung und Aus schließung der das siebenbürgiscke Hochland umspannenden Gebirge geleistet, wovon die 17 Bände des Zahrbucks Zeug- niß ablegen. Das vom Vereine errichtete Karpathenmuseum in Hermannstadt erfreut sich allgemeiner Anerkennung. Zm Jahre 1898 werden die Vereine der Sachsen in Kron stadt tagen. — Die „Hamb. Nackr." haben bis jetzt über die Rußland- reise Faure's und die Proklamation der franco-rusfischcn Allianz sich absolute Zurückhaltung auferlegt, da Friedrichsruh offenbar noch vorsichtig schweigt. Zn seiner gestrigen Morgen ausgabe giebt das Hamburger Blatt wenigstens einer Pariser Zuschrift Raum und stimmt ibr damit zu, die im Wesentlichen mit unserer Auffassung, namentlich der Vorgeschichte der Peterbofer Toaste, übereinstimmt. So heißt es in dem Artikel u. A.: „Die das französische Ministerium bekämpfenden Blätter erklärten, die russische Freundschaft fortan als lästig empfinden zu müssen, wenn sie nicht die nach Meinung der entsprechenden Leit artikler greifbarere Form des Bündnisses annehme. Mit Spannung erwartete man daher die Ansprachen, die Zar und Präsident austauschen würden. Die Toaste hatten eine besondere Wendung nicht genommen, und der in seinem redaktionellen Tdeile osficiöse „Matin" bemerkte Lies denn auch in sehr beredter Kürze in seiner Uebersicht über die Ereignisse vom 25. August. Er vergaß nicht hinzuzufügen, daß die französische Staatsrente gefallen sei. Die Enttäuschung war groß, und die in der Presse zum Ausdruck gekommene Stimmung dürste zur endgiltige» Fassung der Beschlüsse in Petersburg beigetragen haben. Die oppositionelle Presse rechnet sich denn auch das ganze Verdienst zu, den Ereignissen die Wege gewiesen zu haben, die sie nahmen." Eine Gefahr für Deutschland vermag der Pariser Mit arbeiter der „Hamb. Nachr." in der Allianz ebenfalls nicht zu erblicken. „Wenn dieselbe", sagt er, „eine Spitze bat, so richtet diese sich zweifellos gegen England, dessen Flotten- vermebrung und militairische Pläne Frankreich und Rußland in gleicher Weise beunruhigen und beide Länder Deutsch land nähern müssen. Die Anstrengungen der französischen Regierung zur Sicherung des Sudan und der Wettstreit um den chinesischen Handel, in den Rußland kräftig eingetreten ist, sind vielleicht die nächsten Anlässe zum Abschlüsse des Bündnisses gewesen, dessen wahre Bedeutung klarzulegen die englische Presse bisher ängstlich vermieden hat." Der Präsident der französischen Republik ist bei seiner Rückkehr nach Frankreich — wir geben die darüber vorliegenden Nachrichten an anderer Stelle — zwar, wie vorauSzusehen war, mit lebhaften Ovationen empfangen worden, aber von einem Taumel der Freude, von Ueber- schwang und Ekstase, wie die Pariser Eorrespondenten vorauS- sagten, ist nichts zu bemerken gewesen. Es erklärt sich dies aus verschiedenen Gründen: Einmal wirft die Brodver- lhcuerung ihre Schatten auf die Festesfreude, wie denn in Lille der Gemeiuderath beschlossen bat, die Mittel zur festlichen Beleuchtung der Stadt abzulebncn und nur das Ralbbaus zu beflaggen, dagegen 15 000 Francs zu Brod für die Orlsarmen zu verwenden. Tann aber, und dies kommt hauptsächlich in Betracht, ist es doch jedem irgend Urtheils- fäbigcn klar geworden, daß Faure nicht die russische An weisung auf Elsaß-Lothringen in seinem Neisekoffer miigebrackt bat, sondern daß im Gegentheil das Bündniß mit Rußland die Vertagung der Revanche uü calenckcrs graecas be deutet. DaS wirkt sehr uiederschlagend auf die große Masse, soweit sie den radicalen und socialislischen Wort führern folgt. Diese baben in dem „Radical", der „Libre Parole", der „Petite Republigue", dem „Jntransigeant" und anderen viel gelesenen Blättern die Parole ausgegeben: „Wir haben an dem Bündniß, das aller Wahrscheinlichkeit nach die Rückgabe der geraubten Provinzen nicht garantirt, kein Znteresse, folglich ballen wir uns fern!" Größere Demonstrationen gegen Rußland bat man allerdings von dieser Seite nicht ins Werk gesetzt, offenbar weil man den Wortlaut des Alliance-Vertrags noch nicht kennt und das „ckroit et sustice" immer noch einen, wenn auch nur imaginären, Schimmer von Hoffnung Raum läßt. Auf der anderen Seite stehen diejenigen Kreise, die aus geschäftlichen Rücksichten ein Znteresse an der Er haltung des Friedens haben — Handel und Industrie —, und diese begrüßen die Petersburger Friedenstaube mit aufrichtiger Genugthuung, aber auch mit jener Mäßigung, die dem Chauvinismus fremd ist. Die nächste Zeit wird es zeigen müssen, ob die besonnenen Elemente, welche die „friedliche Alliance" als die Hoffnung nicht auf neues Blutvergießen, sondern auf eine „Aera der Wohl fahrt" feiern, die Oberhand gewinnen werden. Etwas mehr Zuversicht als vor einem halben Zahre noch, darf man beute schon hegen, vorausgesetzt, daß die gegenwärtige durch Rübe, Besonnenheit und friedliche Tendenz sich auszeichnende gemäßigt republikanische Regierung sich noch geraume Zeit im Sattel erhalten kann. Sie selbst wird natürlich nichts unversucht lassen, um den Glorienschein, der sie von Petersburg her umlcuchtet, zu ihren Gunsten auszunutzen, und die Ofsiciösen sind schon eifrigst an der Arbeit. Eine Ver bindung wie die Frankreichs mit Rußland, sagen sie, müsse auf die Politik beider Theile mäßigend einwirken. Keiner von beiden dürfe sich in Unternehmungen einlassen, zu welchen sich der andere nickt verpflichten könne. Aber man dürfe auch eine heilsame Rückwirkung auf die innere Politik Frankreichs erwarten. Man sei der Nation, welche sich durch den berufensten Mund mit Frankreich soli darisch erklärt habe, eine gewisse Stetigkeit der Regie rung schuldig. Das Land müsse bei Len nächsten Wahlen daran denken. So schreibt daS „Journal des DebatS", und in demselben Geiste begründet der „TempS", das eigentliche Organ der Regierung, das Zaudern des Zars, ehe er das Wort Alliance gesprochen. „Ein Souverain",schreibt der„Temps", „kann sich über seine natürlichen Neigungen in Verfassungs angelegenheiten Hinwegsetzen und einen Vertrag mit einem Lande schließen, dessen Einrichtungen von denen seines eigenen Landes sehr verschieden sind, und er bezeugt dadurch eine Freiheit der Ansichten, für die man ihm dankbar sein muß. Aber dieser Souverain muß auch, bevor er einen Vertrag unterzeichnet, dagegen gesichert sein, daß der andere Unter zeichner morgen verschwindet. Offen gesagt: Der Zar mußte, ehe er sich öffentlich mit uns einließ, die Gewißheit haben, daß nicht nächstens durch einen plötzlichen Wechsel der Persönlichkeiten und der politischen Richtung Frankreichs Alles in Frage gestellt werden könnte." Von dieser Logik wird sich Mancher überzeugen lassen, und so stehen die Chancen für das Cabinet Meline trotz der Brod- vertheuerung, die man seinem Schutzzollsystem aufs Conto setzt, verdientermaßen im Augenblick nicht schlecht. Felix Faure sieht seine Position gleichfalls gebessert, die impertinenten Anwürfe gegen seine Person und Familie dürften sich kaum wiederholen, nachdem der Zar ihn umarmt und geküßt, er ist mit einem Male auf ein höheres Piedestal gestellt, mit einem Schlag ein großer Mann geworden. Zm republi kanischen Frankreich freilich kann so etwas leichi zum Ostracihmus führen und Herr Faure hat daher gewiß nicht absichtslos in seiner Dünkirchener Ansprache die Ver dienste der Demokratie an dem neuen Ruhme Frankreichs wiederholt nachdrücklichst betont. Zm Uebrigen quittiren wir ibm mit aller Anerkennung darüber, daß er den Muth ge funden hat, über die Anspielung des Dünkirchener Bürger meisters auf den „ewigen Grundsatz der Gerechtigkeit", welchem daS Bündniß „nicht schaden" könne, hinweazugeben, und offen zu sagen, daß die französische Demokratie in einem „gleichen friedlichen Ideal" die innige Einigung der großen Nationen zu gründen gewußt hat. Rußlands Zdeal ist sicherlich nicht dies, Deutschland die Reichslande wieder abznjagen, daher das Bündniß der französischen Republik mit Rußland der Verzicht auf dieses speciell französische Ideal. Tas hat Herr Faure deutlich durckblicken lassen. Es erübrigt nun noch zu erwähnen, daß der Präsident wie bei seiner Abfahrt, so bei seiner Ankunft von der üblichen Bombenexplojion begrüßt worden ist. Sie ist auch diesmal unschädlich verlaufen und die Polizei nimmt an, daß der Thäter kein Anarchist, sondern ein an Bomben-Monomanie leidender Narr sei. Wir haben unser Urtbeil über die letzten Pariser Attentate noch nicht ab geschlossen und warten auch heute weitere Aufklärung noch ab. Deutsches Reich. Q Berlin, 31. August. Von conservativer Seite wird, wie gemeldet, «»gekündigt, daß im kommenden Winter ein allgemeiner conservativer Parteitag abgehaltcn werden soll, der sich in erster Linie mit den für die Wahlen in Betracht kommenden Fragen und mit der Stellung zu den übrigen Parteien beschäftigen soll. In gleicher Weise dürften wohl alle Parteien vor den nächsten Wahlen noch mals die Fühlung mit den Gesinnungsgenossen im Reiche suchen. Es kann sich lediglich um die Frage bandeln, zu welchem Zeitpunkt die in der konservativen Ankündigung erwähnten Erörterungen fällig sein können. Die freisinnige VvlkSpartei versammelt ihre Delegirten zu diesem Zweck bereits am 12. September in Nürnberg, und aus einer Bemerkung der „Freis. Ztg." haben wir bereits entnommen, daß schon bei dieser Gelegenheit das Wahlprogramm be schlossen und die Wahlparole auSgegeben werden soll. Dieser Zeitpunkt ist aber auf alle Falle zu früh gewählt, wenn man Parteipolitik nicht nach dem bekannten Recept machen will: wir kennen die Vorschläge der Regierung nicht, aber wir mißbilligen sie. L. O. Berlin, 31. August. Zm Zahre 1895 ver unglückten in Preußen tödtlich 12 270 Personen (9755 männliche und 2515 weibliche) gegen 12 130 im Vorjahre, die Anzahl ist seit dem Jabre 1888 und nächst diesem die größte. Der socialen Stellung nach waren von den Ver unglückten Selbstständige in Besitz, Beruf und Erwerb 1268 oder 10,33 v.H., Angehörige derselben 1186 oder 9,67 v.H, öffentliche Beamte 263 oder 2,14 v. H., Angehörige derselben 157 oder 1,28 v. H., Privatbeamte 121 oder 1,00 v. H., Ange hörige derselben 94 oder 0,77 v. H., Gehilfen, Gesellen,Lehrlinge, Fabrikarbeiter rc. 2734 oder 22,27 v.H.,Angehörige derselben 861 oder 7,02 v. H., Tagearbeiter, Tagelöhner, Lohndiener rc. 2157 oder 17,57 v. H., Ängcbörige derselben 1068 oder 8,70 v.H., Dienstboten, Knechte, Mägde, Gesinde aller Art 823 oder 6,71 v. H., Angehörige derselben 287 oder 2,34 v. H, Personen des stehenden Heeres und der Kriegs flotte 121 oder 1,00 v. H., Angehörige derselben 3 oder 0,02 Feirilleton. Eine Lommermonduacht. ILj Novelle von Wilhelm Jensen. Nachdruck verboten. Ihrerseits nahm Cäcilie von der Hallen mit fortlächelndem Dank von beiden Seiten ihr wieder zum Vorschein gekommenes rechtmäßiges Eigenthum in Empfang, während ihrem Manne die eine Hälfte der zwiefachen Rückerstattung entgangen sein mußte. Denn er wandte sich gegen den Doclor Gerlack Viereck mit der offenbar für das seiner Frau Zugehörige vorsorglich bedachten Frage: „Haben Sie vielleicht auch einen Handschuh gefunden?" Darauf antwortete der Arzt diesmal mit einem laut herauSkommenden: „Nein, und als Anatom glaube ich auch nicht, daß Jemand drei solcher bei sich zu tragen pflegt." Darauf aber trat er rasch zu dem etwas unschlüssig und leitungSbedürftig mit seinem Bergstock dastehenden ThemiS- jünger heran, klopfte ihm auf die Schulter und sagte: „Nun, zanger Freund und College, ein Viertel vom Jochborn haben wir schon hinter un- gebracht, ich denke, wir machen uns ruhig daran, eS mit den dreien auch fertig zu bringen. Denn in der Absicht sind wir ja doch gekommen und haben hier nichts Vernünftiges weiter mehr zu thun." In diese Aufforderung fiel indeß ein lauter AuSruf Frau Adelgunde Vesenmeier'S hinein, die augenblicklich erst eine ihr bisher entgangene Wahrnehmung machte: „Um Gotte» willen, junger Mann, wie sehen Ihre Hellen Hosen auS! So können Sir ja unmöglich geben, ich will versuchen, sie Ihnen ein bischen auSzuwaschen." DaS war ein erfreulich für daS hilfsbereite Gemüth der Sprecherin Zeugniß ablegendes, mütterlich bedachtsames Anerbieten, doch ein etwas voreilig die notbwendige Be dingung der Ausführung nicht in Rücksicht ziehendes. Denn der an sich gewiß praktische Mangel jeglicher Gepäck beschwerung der grünen Cykladen und Sporaden auf Len Knien ließ zweifellos, daß er nicht in der Lage sei, während ihrer nachdrücklichen Hinterziehung mit Wasser, Seife und Bürste sich eines anderen Schutzkleidungsstückes zu bedienen, und Gerlach Viereck erwiderte beiter launig: „DaS ist sehr dankenswerth, verehrte Frau Stadtrath, doch machen die Umstände eS Wohl im Augenolick nicht rathsam, denn man kann auch bei einer Temperatur wie der beutigen zu einer Erkältung kommen. Uebrigens schaden solche Ehrenzeichen in den Augen von Bergsteigern nichts, außerdem wird uns schwerlich Jemand begegnen, und in der Nackt, wenn wir droben im Rasthaus verdienten guten Schlaf finden, werden schon Elfenbände dafür sorgen, baß sich morgen früh auch dies Andenken an den heutigen Tag ausgelöscht zeigt." Damit hatte der Doclor Gerlach Viereck nochmals seinen Vorsatz, HanS Bachstelz aufs Zochhorn hinauszngeleiten, be kräftigt, machte sich augenscheinlich zur Ausführung bereit und in Anbetracht deS ausgesucht schönen Tages, der eben solchen Abend versprach, konnte Niemand gegen die Ver nünftigkeit seines Vorhabens etwas einwenden. So geschah eS auch sonst von keiner Seite, als daß Fräulein Käthe von Wochenheim jetzt die spöttische Aeußerung nicht verhalten konnte: „Wollen Sie in Ihrem Alter ohne Ihre Bergstock krücke bis dort oben binaufsteigen?" Es batte den Eindruck gemacht, als ob sie diese oder eine ähnliche anzügliche Bemerkung schon vorher auf der Zunge gcbabt, als der Arzt zum ersten Male seine Zochborn-Absickt ausgesprochen; dock war jene damals nicht herausgekommen, und auch jetzt schien die innge Dame in Weiß den Worten eigrsitlich wider ihren Willen den Durchlaß zwischen den Zähnen verstauet zu haben, denn sie drückte diese sogleich danach, einem um ein biscken zu spat vorgeschobenen Riegel ähnlich, auf die Unterlippe. Gerlach Viereck aber wurde sichtbarlich von etwa- Zutreffendem in ihrer ironischen Kund gebung frappant berührt, schlug sich leicht mit der Handfläche vor die Stirn und gab zurück: „Ich danke Ihnen für die noch rechtzeitige Mahnung, verehrtes Fräulein. Zn meinen Jahren nimmt in der Thal die Gedächtnißscbwäche des Kopfes ebenso stark zu wie die Gelenkigkeit der Beine ab. Es ist richtig, junger Freund, ich habe meine Alterskrücke unten ver gessen und muß sie mir erst beraufbolen. Geben Sie nur einstweilen voran, mit dem Bergstock hoffe ich Ihnen schon wieder nachzukommen." Ziemlich vermessen klang dies letztere zwar, denn ein Katzensprung ward von der Buchenalp nach GraSeck hinunter und besonders, nach den Erfahrungen Frau Adelgunde's, wieder herauf, doch nicht grade, aber der Arzt mußte erkannt baben, daß er damit doch daS richtige Verfahren einschlage. Anderseits kam gleichzeitig Cäcilie von der Hallen ebenfalls zur Einsicht eines richtigen Handels, machte kurz einer Ohr muschel ihres Mannes Mittbeilunz davon und trat, als er lachend mit einem Nicken darauf erwidert, noch einmal zu HanS Bachstelz heran, und zwar zum Zweck, ihm die Hand zu reichen und hinzuzufügen: „Wenn die Göttin der Ge rechtigkeit Sie auch in unsere berühmte Universitätsstadt führt — und da» lhut sie gewiß einmal —, da vergessen Sie nicht, bei uns einzutreten und zu erzählen, wie es auf dem Joch horn aussieht. Ich habe mich einer Vergeßlichkeit schuldig ge macht, da ich Ihnen noch nicht für Ibr Geleit gestern Abend zur Aumühle und für Ihre freundliche Gesinnung gedankt. Das ist sehr unrecht von mir, denn es hielten sich gefährliche Leute um mich herum auf, und ich war Wohl eines guten Schutzes bedürftig." Dabei hob die junge Frau sich, um ihrem Dank Aus druck zu geben, rasch auf die Zehen, mußte sich jedoch noch des weiteren Hilfsmittels bedienen, einen ihrer Arme um de« Nacken des eum laucko absolvirten Primaners zu legen und dadurch sein Gesicht etwas gegen daS ihrige berabzuziehen. Er selbst verhielt sich dabei in so regungsloser Stellung wie ein indischer Säulensakir, blieb auch ebenso der wieder von ibm Fortgehenden uachblickend stehen, hatte nur daS seidene Knistern deS eiscnhutblauen AermelS im Ohr und auf den Lippen ein Gefühl, als ob einen Augenblick lang zwei andere mit einem weichen Anhauch über sie weggebuscht seien. Aber daS war wie in einem Traum gewesen, und nur eine über sein Gesicht bis an den blonden Haarrand aufschlagende Purpurwelle machte es außerordentlich glaubhaft, daß sich ihm dies Traumgesühl heute Nacht auf dem Zochhorn und wahrscheinlich noch manchmal später an anderen Aufenthalts orten wiederholen würde. Frau Cäcilie war zu ihrem Manne zurückgekebrt und schritt jetzt mit ihm Arm in Arm über die Matte abwärts. Sie halte vorder seine Beipflichtung ru ihrer geplanten DankeSäußerung eingeholt, konnte sich mithin versichert halten, keiner eifersüchtigen Anwandlung bei ihm ausgesetzt zn sein, und sah sich darin auch keineswegs enttäuscht, denn er sagte nur lachenden Mundes: „DaS war recht und hatte er vollauf von dir verdient." Und sie bestätigte hurtig diese Anschauung. „Za, er ist wirklich ein allerliebster Mensch, nur schade, daß er nicht ein bischen älter ist. Aber das wird ja in ein paar Jahren, wenn er zu nnS kommt, sein." Das traf wortgcnau mit der Bezeichnung zusammen, die Fräulein Käthe von Wackenbeim Hans Bachstelz bcigclegt und mußte also Wohl der Thalsächlichkeit entsprechen. Allein die Erwiderung brachte noch etwas Merkwürdiges zum Vor schein, daß cs offenbar auch nicht daS Erwünschte und Richtige sei, von gar keiner EifersuchtSreguug angcwandelt zu werden, sondern daß diese, mäßig verwendet, ein durchaus wichtiger Bestandtheil, etwa wie daS Gewürz bei einer schmackhaften Speise, für eine gemeinsame Lebensführung bilde. Allerdings muß mau bei der Zugabe solcher Würze keine groben Mißgriffe über daS zuträgliche Maß hinaus begeben, doch ihre feine Vcrwertbung brachte entschiede« einen reizvollen Genuß an der schöngedeckten Tafel mit sich. Und da Erhard von der Hallen dies gegenwärtig ei« bischen zu sehr außer Acht gelassen, batte Cäcilie von der Hallen, als der von der Natur weiblich bedachtsamer veranlagte Tbeil, durch ihre Antwort sein Versäumniß gut zu machen gesucht.
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