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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.09.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-09-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189709050
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18970905
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18970905
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-09
- Tag1897-09-05
- Monat1897-09
- Jahr1897
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.09.1897
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Li» Morgrn-AnSgabe erscheint um Uhr, bi» Abend-AuSgabe Wochentag» um b Uhr. Re-action un- Erpe-ition: Johanne»,aff« 8. Di, Expedition ist Wochentag» »nnntrrdrochrN geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr, Filialen: ktt« Klemm'» Lortim. (Alfred Hahn), UniversitütSstraße 3 (Paulinum), Laut« Lösche, Kathariuenstr. 14, Part, und König-Platz 7. Bezugs-Preis Et der Hauptexpedition oder deu im Stabt- bezirk und den Vororten errichteten «uS- -e-estrll'n abgeholt: vierteljährlich»4^0, bei zvetmaliaer täglicher Zustellung in« Hau« b.SO. Durch di» Post bergen für Deutschland vnd Oesterreich: vierteljährlich 0—- Direkt» tägliche Krenzbanbiendnag in» Ausland: monatlich ^ii 7.L0. WpMcr TaMaü Anzeiger. ÄMtsvlatt -es Königliche« Land- un- Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes «n- Molizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. Anzeigen Preis die 6 gespaltene Petitzeile SV Pfg. l»eclam«u unt»r d«mRedactionSstrich (4g» spalten) bO/^, vor den Familirnnachricht,» (S gespalten) 40/ch. Eröhrre Schriften laut unserem Preis» Verzeichnis. Tabellarischer und Zisserasotz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), n»r mit der Morgen»Ausgabe, ohne Postbefürderung M.—, mit PostbesSrdernng 7V.—. Annahmeschluß siir Änzei-ea: Ab end«Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen j« »in, halbe Stunde früher. Anzeigen find stets an di« Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 452. Aus der Woche. Die Ursachen mögen sein, welche sie wollen, aber die Thatsache muß festgrstellt werden, daß die radikale Presse die Coblenzer Kaiserrrde mit einer Ruhe, die über die durch die Existenz einer Staat»anwaltsckaft gebotene hinauS- ging, erörtert bat. Insbesondere ist fast allenthalben varauf verzichtet worden, au« den allgemein gehaltenen kaiserlichen Worten über den monarchischen Beruf Capital im Sinne der Abwehr einer „StaatSstreichS"-Action zu schlagen. Eine Reihe von freisinnigen Blättern hat sogar ausdrücklich hervor gehoben, die Rede biete zu konstitutioneller Befürchtung keinen Anlaß. Mehrfach hat sich di« Besprechung sogar fast ausschließ lich vom ästhetischen Standpunkte auS vollzogen. Angesichts dieser Haltung der demokratischen und der Sensationspresse kann es nicht Wunder nehmen, wenn die gemäßigten Organe, sofern sie überhaupt daS Wort ergriffen, davor warnten, den Aussprüchen de» Kaisers über das GotteS- gnadenthum und die monarchische Verantwortung vor dem Schöpfer eine praktische politische Bedeutung anzuheften. Man hat sich hier darauf beschränkt, das Gewissen und seine unübertönbaren Forderungen als ein Gemeingut aller Menschen zu bezeichnen und dem Streit über daS GotteS- gnadenthum einen höchst theoretischen Werth beizumessen. Selbst mit der weitestgehenden Auslegung des Gottesgnaden- thums wäre ja auch gewiß nur dann eine Gefahr verbunden, wenn als einer seiner Ausflüsse die Unfehlbarkeit des Monarchen gedacht würde. Daß eS unfruchtbares Beginnen ist, an den Reden des Kaisers Commentatorenkünste zu üben, hat sich gerade in der verflossenen Woche in einem andern Punkte gezeigt. Bei dem Parademahl am Montag inCoblenz wurde vom Monarchen,nachdem ervon derHeereserneuerung durchWilhelmI. gesprochen, bemerkt: „Es liegt an unS, das Werk des großen Kaisers, die Armee, in allen seinen Theilen zu erdalten, gegen jeden Einfluß und Einspruch von außen zu vertbeidigen." FlugS war man mit der Erklärung bei der Hand, mit diesem Ausspruche solle die Reform des Militairstrafverfabrens ab gewiesen worden sein. Am Mittwoch aber ließ sich der Kaiser in Würzburg vernehmen, der vorzügliche Zustand des II. bayerischen Armeecorps biete die Gewäbr, daß die bayerische Armee im Ernstfälle sich ebenso bewäbren werde, wie vor 27 Jahren. Schon auf dem Paradefelde von Biebelried hat der Kaiser, der „Allg. Ztg." zufolge, den Prinz - Regenten Luitpold wiederholt zu den vorzüglichen Leistungen seiner Armee beglückwünscht. Mehr als vorzüg liche Leistungen würde man auch von der preußischen, sächsischen u. s. w. Armee nicht erwarten wollen und können. Im bayerischen Heere aber herrscht ein Strafverfahren, das den „modernen" Anforderungen mehr gewährt, als von sach lich erwägender Seite jemals einem künftigen deutschen Mili- tairstrafproceß angesonnen worden ist. ES wird Niemandem Sonntag den 5. beifallen, in denMainsranken,denRheinfranken und den Pfälzern, dieser lebhaften Bevölkerung, noch auch in den Altbayern ein leichter lenkbares Element zu erblicken, als in den Pommern, Westfalen oder Hessen. Umgekehrt ist Bayern hinsichtlich der Aufrechterhaltung derDisciplin in der That ungünstiger gestellt, als daS übrige Deutschland. Die dortige demokratische Presse steht an Zügellosigkeit keiner andern nach und genießt das „Vorrecht", ihre Ausschreitungen, die sich sehr häufig auf militairisches Gebiet erstrecken, von Schwurgerichten ab- geurtheilt zu sehen. Also trotz der Oeffentlichkeit des Ver fahrens und trotz des Mißbrauch-, dem sie stärker, als in Preußen möglich wäre, ausgesetzt ist, eine nach dem Zeugniß des BundeSfeldherrn vorzügliche Armee. Wir sind weit davon entfernt, aus dem dem bayerischen Heere ge spendeten Lobe schließen zu wollen, daß der Kaiser für ein der dortigen Militairstrafproceßordnung nicht unähn liches Gesetz für das ganze deutsche Heer gewonnen sei. Aber so viel ist gewiß, daß zwischen den Biebelrieder und Würzburger Aussprüchen und den Coblenzer Worten ein Widerspruch läge, wenn der Kaiser hier eine Reform des Strafprocesses hätte ablebnen wollen. Die Gerüchte, daß Fürst Hohenlohe im nächsten Monat und zwar, daß er wegen dieser Angelegenheit zurück treten werde, sind neuerdings wieder aufgetaucht. Wie es scheint, kann man allerdings nicht mehr erwarten, daß der jetzige Reichskanzler beim Zusammentritte des Reichstages noch in seinen Aemtern sein werde. Die Militair strafproceßordnung, über die in Berlin noch keines wegs endgiltig entschieden ist, dürfte aber mit diesem Ereigniß höchstens äußerlich in Zusammenhang gebracht werden. Dem Fürsten Hohenlohe würde wohl auch bei der Verwirklichung der auf diesem Gebiete von ihm angestrebten Reform das weitere Verbleiben auf seinem Posten nickt wünschenSwerth gemacht werden. Wenn die klerikale Presse in diesen Tagen sehr viel von dem Militairstrafversahren ge sprochen hat, so rührt daS daher, daß ihr der Rus nach Reform desselben als Wahlparole willkommen wäre. Das Organ des Bundes der Landwirtbe hingegen vermag nicht zu verhehlen, daß es eine solche Wahlparole fürchtet. „UnS fehlt der Culturkampf." Schleckt verhohlen, zieht sich diese Klage durch alle politischen Reden, die auf dem LandShuter„Katholikentage" gehalten worden sind. Herr Bachem hat freilick in den Eröffnungsworten daS Verlangen nack einem neuen Culturkampfe weit von sich abgewiesen, und damit ist zugestanden, daß der alte beendigt sei. Aber das Bedürfniß nack dem einst erprobten Kitt ist zu mächtig, als daß er in der Schlußrede nicht die Kirche als schwer bedroht hinstellen zu müssen geglaubt hätte: „Will man uns, die wir dem alten Glauben treu geblieben, die Grundsätze eines neuen Glaubens aufzwingen?" Von schlimmeren Absichten beseelt hat man auch in den siebziger Jahren die Regierung den Getreuen nicht vorgeführt. Der Feuerruf dürfte aber nichts nützen, es wird auch nirgends in katholischen Kreisen Eindruck machen, was September 1897. der Centrumsführer von „Entchristlichung" der Schule — behauptet bat, nämlich: „Langsam, Schritt für Schritt werden wir hier zurück gedrängt, nicht durch Gesetz, nicht durch wuchtige Angriffe, nicht polternd und lärmend, aber in aller Stille durch allerlei Ministerialverordnungen, die alle das Ziel versolgen: Ent fernung des kirchlichen Einflusses aus der Schule, Eroberung der Schule für den Staat allein." Das gerade Gegentbeil ist richtig. Namentlich in Preußen bat Herr Bosse so viel für den geistlichen Einfluß auf die Schule getban, daß ihm, vielleicht zu seinem Bedauern, zu thun fast nichts mehr übrig geblieben ist. DaS Schlimme ist nun freilich nicht, daß Nationalliberale die klerikalen Klagen als Heuchelei erkennen, sondern daß sogar das katholische Land volk weiß, daß ihm in religiöser Hinsicht jeder Wunsch erfüllt ist, ganz besonders in Bayern. Herr Schädler hat zwar in Landshut Zeter gerufen, daß man „gottgeweihten Jung frauen" das Ertheilen von Unterricht nn Stricken verbiete, aber er weiß sehr gut, daß der Nonnen-Unterricht anfängt, sebr unbeliebt zu werden. Nicht nur bauernbündleriscke Blätter, auch daS größte bayerische Centrumsorgan hat begonnen, gegen die mangelhafte Unterweisung der Schul kinder durch Schulschwestern Bedenken zu äußern. DaS wiegt viel schwerer, als die Hetzrede des Herrn Schädler, so sorg fältig ihre Form auch auf Wirkung beim Landvolk berechnet war. Die aufgewärmten Gerichte, auS denen sich das Landshuter Menu fast ausschließlich zusammensetzte, werden nicht schmackhaft befunden werden. Ob das einzige — für den „Katholikentag" wenigstens — frische Gemüse, die Kriegs erklärung gegen den Bauernbund, Liebhaber findet, muß ab gewartet werden. Großen Erwartungen geben sich die Parteiherren selbst nicht hin, vielmehr dürften sie die Ueberzeugung gewonnen haben, daß sogar die Gefahr der Lostrennunz des bayerischen CentrumS von der Gesammtpartei durch die Landshuter Rütli- Scene nicht beschworen worden ist. Und selbst für das nord deutsche Centrum ist nichts erreicht worden. Herr v. Ketteler hat seinen Antrag auf Forderung von staatlichen Mitteln zur Hebung der Getreidepreise zurückgezogen, nickt weil er anderer Meinung geworden war, sondern weil er „an dieser Stelle die Einigkeit für die Hauptsache" hielt. Da diese Stelle nun wieder verlassen ist, wird der Kampf von Neuem entbrennen. Wem kann solche ausdrücklich auf wenige Fest tage befristete „Einigkeit" imponiren? Communale Arbeiterwohlfahrtspflege. Im Anschluß an die Nachricht, daß die Centralstelle für Arbeiterwoblfabrtseinricktungen in Frankfurt a. M. dem nächst Erhebungen über die communale Arbeiterwohlfahrts- psiege in den größeren deutschen Städten veranstalten will, veröffentlicht der frühere Abgeordnete Stadtrath F. Kalle in Wiesbaden im „Preußischen Verwaltungsblatt" eine ebenso SI. Jahrgang. übersichtliche wie anziehende Betrachtung alles dessen, waS in den Kreis jener Wohlfahrtspflege hineingehört. Er legt zunächst klar, daß die allgemeine Aufgabe der socialen Reform- thätigkcit sich nicht darauf beschränken darf, die wirthschaft- liche Lage des Arbeiter« zu bessern, sondern daß der Arbeiter, namentlich der tüchtige, besonderen Werth auch auf seine Stellung in der Gesellschaft legt. Ist schon in Bezug auf die Gestaltung der wirthschaftlichenLage eine Einwirkung durch die Gesetzgebung nur in beschränktem Umfange möglich, so gilt dies in noch höherem Maße von der Hebung der gesell schaftlichen Stellung des Arbeiters. Hier spielt die Auffassung, das Fühlen und Wollen, und zwar nicht nur der arbeitenden, sondern aller Classen eine entscheidende Rolle. Die Richtung des Empfindens und Wollens ist aber in erster Reibe Product der Erziehung, und hier mitzuarbeiten, sind die Gemeinden ganz besonders berufen und befähigt, denn wenn auch die Universitäten und höheren Schulen StaatSanstalten find, so sind doch die Mittelschulen zumeist und die Volks schulen sämmtlich in den Händen der Gemeinden. Dort also können sie sehr wohl auf eine den Anforderungen der Gegenwart entsprechende Erziehung und Bildung sowohl des Heranwachsenden Arbeitergeschlechts als auch eines Theiles der Jugend der übrigen Stände einwirken. „Die Gemeinden vermögen durch entsprechende Ge staltung des Unterrichts in ihren sämmtlicken Schalen das Vcrständniß für die socialen Verhältnisse und da« sociale Pflichtgefühl zu Wecken, sie können daneben durch Ver besserung speciell des Volksschulunterrichts die Vorbildung der Arbeiterjugend soweit heben, daß sie, ins praktische Leben tretend, die höhere Stellung zu erringen vermag, nach der die Arbeiter streben und welche ihnen im Interesse einer glücklichen poli tischen und kulturellen Entwickelung unseres Vaterlande- werden muß Der Volksschulunterricht muß noch noch mehr wie bisher einerseits die sittliche Kraft zu heben, andererseits die Kennt nisse und Fädigkeiten zu mehren suchen. Zu diesem Zwecke müssen die Städte überall, wo der Fortbildungsschulzwang nicht gesetzlich besteht — insbesondere also in Preußen — ihn durch Ortsstatut einfübren und dafür sorgen, daß Fort bildungsschulen errichtet werden, welche den Knaben in den Jahren, in denen sie am meisten der Zucht bedürfen, die für eine spätere ersprießliche Lebensführung erforderliche Er ziehung angedeihen lassen und sie mit dem nölhigen Ver- ständniß für die socialen Verhältnisse und den den Da seinskampf erleichternden Kenntnissen auSrüsten. Mit unter wird es sich empfehlen, neben den allgemeinen obli gatorischen Fortbildungsschulen communale Lehranstalten mit freiwilligem Besuch zu errichten, welche den An gehörigen einzelner Arbeiterkategorien eine weitergehende, mehr fachliche Bildung gewähren und diese dadurch noch mehr heben. Für die weibliche Jugend deS ArbeiterstaudeS muß I insbesondere durch Einführung von HauShaltunHSunterricht I dafür gesorgt werden, daß die Mädchen die Befähigung er- I langen, einen kleinen Haushalt so zu führen, wie e» die Fairilletsn. Fenster Von Hermann Helberg. Nachdruck verdaten. Es sind zwei kleine Fensterlein In einem großen Haus, Da schaut die ganze Welt hinaus, Die ganze Wett hinein (Castelli.) Fenster besitzen wahrhafte Poesie! Bisweilen wendet sich unser Blick solchen immer wieder zu. Wir suchen die hübschen Töpfe, auS denen die Rosen, die Geranien, die Hortensien, die Myrten und Fuchsien mit ihren reizenden Blüthen und Blumen emporsprießen. Unser Auge weidet sich an den blanksteputzten Scheibe« der vornehmen Häuser. Selbst lichte Vorhänge, wenn sie auch die Flächen ganz bedecken, regen mit ihren kunstreichen Mustern unseren Schönheitssinn an. — Und wie anheimelnd die schneeweiß gewaschenen Schweizer Gardinen, die den Zimmern ein gedämpftes Lickt, die einem Fenster erst ein wirklich freundliche« Ansehen verleihen! Fenster ohne Gardinen! Sie gleichen tobten Augen; sie stoßen unS durch ihre Leere schier unheimlich ab. Man schließt auf Armuth ohne Ordnung und Sinn für Häuslichkeit. Die Fenster verrathen, welcher Geist in den Häusern waltet. Es giebt solche, die selbst in vornehmen Häusern selten blank geputzt werden, und wieder sehen wir emsige Bürger frauen, die sich nicht genug thun können, den Scheiben ein blitzende-, gar strahlende« Aussehen zu verleiben. Mit Eimern erschienen früher die Mägde und gossen den Inhalt über da- staubige GlaS, dann folgte der Fensterputzer und that noch das Uebrige. Wie die Fenster dann zuletzt leuchteten in Reinheit und Durchsichtigkeit! Wie bangt uns um ein geöffnete-, nicht angehakteS, vom Sturm erfaßte» Fensterl Welche webmüthige Musik, wenn von einem allzu ungestümen BvreaS erfaßt, die zertrümmerte Scheibe klirrend hinabfliegt. Große, kleine Fenster! Fenster mit Spiegelscheiben in Kaufmann-läden! Hinter ihnen all da» Verlockende, daS nickt nur daS Kiuderauge reizt: Sprisewaaren, Delicatessen, Früchte, Blumen. Blumenladenfenster in großen Städten mit all der Fülle, Schönheit und Kunst, die heute geboten wird! Hinter ihnen prangen weiße Fliederbäume, scharlachrothe Mohnblumen in gelben Majolicavasen, Kissen von blauen Vergißmeinnicht, Azalien, Weiße, lila, hellrothe, Rhododendron, rosenrothe Camelien, weiße mit smaragdnen Blättern. Wer trennt sich leicht von einem solchen Fenster? Kleine, runde, schwere Fenster in Dampfschiffe» I Wie eigen die Welt, durch sie gesehen, au-schaut! Kleine Fenster auf Heuböden, m den Angeln rostig, fast von Spinnen geweben bedeckt und doch bi»w«ilen einen Strom von Sonnen licht durchlafsendl Welche Poesie! Fenster in Ställen mit Scheiben und ohne Scheiben, durch die sich Spatzen und Schwalben, mit schwirrendem Hin und Her Eingang ver schaffen, nach Futter in den Pferdekrippen picken, bis plötz lich mit glühenden Augen eine gelbweiße Katze auch von dort den Eintritt gewinnt und die Todesgeänstigten, rastlos einen Fluchtort suchend, zur Decke emportreibt. Oben halbrunde, unten viereckige Scheiben mit Gitter stäben! Gefängnißfenster, hinter denen Diejenigen schmachten, die weniger geschickt waren, ihre Sünden zu verbergen, denn manche andere! Fenster in den Kirchen, lange gothische, mit bunten Heiligenbildern, mit Aposteln und Rittern! Und dazu die Sonne, die ihre rothen, grünen, blauen, gelben und violetten Farben wunderbar verklärt. Herrlich! Fenster in Grabgewölben, die hinter sich schwarze Finster niß bergen und mürrisch daS Gold von draußen abwehren. Kleine Dienstmädchenstubenfenster mit bunten Halbgar dinen, denen man e« ansieht, daß die Gebieterin des Hauses entschied: daß für Lene'« Zimmer die Hälfte genüge! Fenster in Eisenbahn-Coupss! Sie, die Beseitiget: unserer Langeweile, die Verkürzer langer Stunden, die Diener unserer SchönheitS-, die Tafelvecker unserer Natursinne. Aber die verführerischsten Fenster von Allen sind für Manchen die — WirthehauSfensier, und von dreien solcher will ich sprechen, weil sich eine kleine, wenn schon traurige Geschichte mit der Erinnerung an sie verknüpft. — Theodor Falk hieß mein Freund, der auf der Schule immer Allen voran war und das Gymnasium früher verließ, denn irgend Einer. Er war, bevormundet und getrieben von seinem Vater, der starb, als er die Prima erreicht hatte, ein sogenannter Muster-Di-cipulus. Er kannte nur sein Stübchen mit seiner Arbeit; er wußte nicht- von singenden Vögeln draußen, und nickt» von weißen Sternblumen, von rauschenden Buckenwäldern und geschäftig murmelnden Quellen, nichts von Walk, Flur und versteckten Hainen, nicht« von Drachenfliegen, Räuber- und Soldat- und Murmelspielen, nichts von Wettlaufen und lustigem Balgen, nichts von lackendem Schabernack und hinter den Garten zäunen heimlich verpafften Cigarren. Arbeiten, arbeiten! DaS war sei ABC. Und so ging er, ein armseliger Unwissender, ohne Vor geschmack der kleinen süßen Sünden, di« doch allein — und wenn die Wohlfahrtbesteller auch immer gegen solche Gott losigkeit zorneifrig wettern — der Jugend Weit und Leben so wunderschön machen — auf die Universität und legte sich von Neuem auf- Studieren. DaS ging auch so da» erste Jahr. Da aber nahm ibn einer mit, der ihm vorerzäblte, daß e» ein kleine- grmütblicheS Wirth-hau- mit klarem Wein und einer wunderschönen Wirth-iochter in der stillen Gasse gäbe. Er fordert« ihn auf, sich dort einmal gütlich zu thun, doch einmal den Philister abzustreifrn. Zurrst weigerte sich Theodor Falk. — DaS war nicht- für ihn, den künftigen Philologen, der die Jugend erziehen sollte, überhaupt nicht- für einen Mann von seinen Leben- anschauungen und bisherigen Gewohnheiten. Dann aber ließ er sich doch bereden, und sie gingen in die stille Gasse, wo selbst ein Dreieckhäuschen stand, in dem drei von wilden Rosen umrankte, tiefliegende Fenster, mit Inschrift zum Eintritt in eine dreifenstrige niedrige Wirthsstube einluden, wie sie gemütblicher nicht gedacht werden kann. Und dort bantirte die Tochter deS Hauses mit Hellem und dunklem Bier und Wein, bot Speisen an und setzte sie auf den Tisch, war hier und dort, immer geschäftig, immer zuvorkommend, immer lustig, immer unverdrossen. Sie glich einem schlanken Reh. Große, dunkle Augen lachten aus dem Angesicht, zierliche Obren, hübsch geformte kleine Hände und Füße entdeckte der Aufmerksame, und schnee weiße Zähne, Zähne von dem Wunderweiß der Fischgräte, saßen hinter den schwellenden rothen Lippen. Dem neuen Gast, Theodor Falk, begegnete sie gleich, als ob er schon jahrelang dort verkehrt habe, ohne Verwunderung über sein Erscheinen, ohne Fragen über sein Gehen, immer freimüthig liebenswürdig, mit dem schönen Kopfe nickend. Und von Stund an ging Theodor Falk täglich in das Restaurant „zum Wandschrank" in der stillen Gasse, und von Stund an lernte er Geschmack finden an Wein, Hellen ge brannten Wassern, Bieren und Likören. Gerade weil er nichts kannte, reizte ihn nunmehr das Neue sondermaßen! Er konnte es schon nicht erwarten in seine Ecke zu ge langen, von Tberese begrüßt, angesprochen, bedient zu werden, sie anzuschauen, sie zu beobachten, sich an ihrer Gestalt, ihrem Wesen, ihrem süßen Lachen, ihrem sanften Au-weichen zu ergötzen. Er war völlig verzaubert, und zuletzt schielte er nur noch zu seinen Büchern hinüber, schloß sich an Solche an, denen daS Trinken und da« Amüsiren über Alle- ging und verlor nach abermaliger Jahresfrist, immer in K. bleibend, so sehr an Halt, daß er am Tage den Rausch auSschlief, den er sich von Nachmittag bis zum Frühmorgen rinholte. Kein Tag verging aber, an dem er nicht im „Wandschrank" Schluß machte. Und da kam, weil er schon die Briefe seiner Mutter nicht mehr beantwortete, wohl aber seinen Vormund immer von Neuem um Geld ansprach, die verwittwete Frau Justizratb, unterrichtet von guten und schlechten Freunden, in Todesangst und Sorgen nach K. gereist, miethete sich dort völlig ein und zwang den Sohn, zu ihr zu ziehen. Eben war ich gerade, der ich inzwischen schon eine andere Universität besucht hatte, wieder hier mit ihm in Berührung gelangt und hatte zu meinem böchsten Erstaunen gesehen, welche Veränderung mit Theodor Falk vorgegangen war. Er, der einst so Fleißige, Solide, hatte alle Willenskraft verloren. Al» ick auf Bitten seiner Mutter eine« Tage- auf ibn einredete, er möge endlich umkebren, wieder ordentlich werden, arbeiten, der Justizrätdin dringendem Verlangen nachgeben und zur Stärkung guter Entschlüsse K. verlassen und eine andere Universität beziehen, sprach er die räthsrlbasten Worte: „Ja, wenn sie nicht mehr hinter den drei Fenstern wäre, dann ginge eS. Aber so lange sie da ist, muß ich hin! Sie locken mich unwiderstehlich! DaS ganze ErdenparadieS ist dort!" Erst am nächsten Tage erfuhr ich, WaS er damit gemeint batte, wurde mir bekannt, daß er sich »och in der Nacht hin schlick, sich von Tberese bedienen ließ, sie anstarrte und endlich mit Qualen der Trennung nach Hause schwankte. Nun ging ich zu dem Mädchen; ich stellte ihr vor, in welcher Verzweiflung die Mutter sei, daß Alles auf dem Spiele stehe; deö ManneS Zukunft und LebenSglück, der Mutter Seelenrube, Vermögen, gar Gesundheit und Leben. Ich bat sie und ihre Eltern, Theodor den Eintritt inS Local fortan zu verweigern. Gleichzeitig theilte ich Therese mit, waS er geäußert hatte. Nachdem ich gesprochen, bewegte sie still den Kopf und sagte, bald zu mir, halb zu ihren Eltern gewendet: „Wir sind Brautleute seit drei Monaten. Und deshalb. Wenn Theodor nicht mehr kommt, dann kann ich auch nicht mehr bei Euch bleiben. Ich muß mit, wohin er will! Heirathen!? Heirathen können wir unS ja nicht, wir warten dann so lange, bi- er Gymnasialprofessor geworden ist und bis ich alle- Aasehn verloren habe, WaS ich heute besitze. Dann aber wird er mich nicht mehr wollen, und ich kann'» ihm kaum einmal verdenken. Auch sehe ich nicht einmal für ihn einen guten AuSgang! Sie haben ihn in seiner Jugend verdorben, indem sie eS allzu gut zu machen glaubten!" Und nach den erschrockenen und zornigen Reden der Alten auf solches düster leidenschaftliche Verzichten auf Glück, resol- virte sie plötzlich: „Ich bitte, Herr Em», sagen Sie Theodor, er soll heute eine Stunde früher kommen. Ich will sehen, wie ich die Sache in« Reine bringe!" Sie sprach's, als ob sie Wohl bekehrt sei, als ob sie wenigsten- thun wolle, wa« in ihren Kräften stehe, um Alle« zum Guten zu wenden. — Am Frühmorgen deS nächsten Tages war'-, daß die ganze Nachbarschaft sich an die rosenumrankten, niedrigen Fenster des Wandschrank-Restaurant« drängte. Man batte mehrere rasch aufeinander folgende Schüsse gehört. — Alle« war aufgeschreckt, hinauSgestürzt: im Nu war'- be kannt geworden, daß drinnen in der Wirthsstube zwei Leichen lägen, und da die drinnen die Thüren verschlossen hatte», schauten jene durch die Vorhänge und Ritzen in'S Innere. Mei« Freund Theodor batte erst seine Braut und dann sich selbst erschossen. Auf dem Tisch lag ein Zettel, der also lautete: „Ich hab'- getban, weil ich von ihr, aber auch vom Trunk nicht lassen kann. So war ich unrettbar verloren, aber auch gezwunae», so zu handeln, da Therese mich ebenso liebt und ohne mich nicht auf der Welt bleiben will. Um sie weint und um meine arme Mutter! Si« habe» e- verdient, wie keine! Mein Tod mag Euch freue». Tage diebe, Trinker, Willenlose girbt'S schon gar zu viele auf Erden — —!"
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