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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.09.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-09-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970908024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897090802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897090802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-09
- Tag1897-09-08
- Monat1897-09
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Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/,7 Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Lrdactio» und Lrveditio«: Iohanne-gasfe 3 Di«Expedition ist Wochentag- ununterbrochen , geöffnet von früh 8 bi- Abend» 7 Uhr. Filialen: Kit« Klemm'- Eortnn. (Alfred Hahn), UmversitätSstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche, Katharinrnstr. 14, pari, und KönigSplad 7. VezugS.PreiS Kl her Hanptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen ab geholt: vierteljährlich ^l4.öO, bet zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau- b.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich S.—. Direcrr tägliche Kreuzbandiendnug tu» Ausland: monatlich 7.SV. Abend-Ausgabe. UchMer.TaMalt Anzeiger. Ämtsvlatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Natljes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Auzetgen.Pret- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Nrclamen unter dem RedactionSstrich (4ge» spalten) öO^j, vor den Familirnnachnchte, (6gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz uach höherem Tarif. Extra-Beilage» (gesalzt), nur mit de» Morgen-Ausgabe, ohne PostbeförderuW 60.—, mit Postbeförderung 70.—» Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. -Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen find stets an die Expedition zu richten. —c>« Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig Mittwoch den 8. September 1897. S1. Jahrgang. Es sei hierin eijie Anerkennung der Fortschritte zu erblicken, welche Ungarn, gestützt auf seine nationale Einheit und staatliche Selbstständigkeit, in den letzten dreißig Jahren aufzuweisen hat. Auf diese hohe Anerkennung könne die ungarische Nation ohne Uebertrcibung und ohne Scrvilismns stolz sein, und sie dürfe dem Besuche des deutschen Kaisers mit Neckt eine für Ungarn schmeichelhafte Bedeutung bcimessen. Ter parteilose „Magyar Hirlap" schreibt, es gehöre weder nationale Eitelkeit, noch kriechender Byzantinismus Lazu, um sich des hohen Besuche- von Herzen zu freuen. Derselbe habe sür Ungarn keine geringere Bedeu tung, als daß der deutsche Kaiser die Habsburgische Monarchie nicht alö ein Reich, sonder» al- zwei, durch die Person Les Herrschers und durck gemeinsame Angelegenheiten ver bundene, allein staatsrechtlich selbstständige Länder betrachte, daß er den ungarischen apostolischen König vom Kaiser Oester reichs zu trennen wisse und die Gleichwerthigkeit der Beiden anerkenne. „Wir ehren uns selbst durch die Ehrung des deutschen Kaisers". Die Bewillkommnung des Kaisers wird sich sowohl in der Haupt- und Residenzstadt Pest, wie in den Provinzgegenden, die er bereist, um so herzlicher gestalten, alS au derselben nicht nur daS osficielle Ungarn, sondern dessen gesammte Bevölkerung spontan und freudig theil- zunehmen sich anschickt. Was hat der italienische Ministerpräsident di Rudini mit seinen devoten Verbeugungen vor Frank reich erreicht? Wie die Annäherungsversuche Italiens in der französischen Presse stets gehässigen Mißdeutungen begegnet sind, so auch jetzt wieder. Die französischen Blätter, vom „Journal deS Debats" bis zum „Figaro", haben die Ver sicherungen der italienischen NegierungSorgane, daß die Reise des KönigSpaares nach Deutschland keinerlei Spitze gegen Frankreich habe, mit einer fast beleidigend gering schätzigen Gleichgiltigkeit gewissermaßen als schul digen Tribut entgegengenommen. „Figaro" meint zwar, daß die Erklärungen des Herrn Li Rudini durchaus lobenSwerth feien, aber „sie werden die Franzosen nicht von ihrer etwas egoistischen Gleichgiltigkeit gegen das abbringen können, WaS nicht unmittelbar auf das andere soeben verkündete Bündniß Bezug hat", und wie weit diese Gleichgiltigkeit insbesondere in Bezug "uf da- Thun und Lassen Italiens geht, zeigt daS Blatt in der bis vor Kurzem in Frankreich ganz rmmöglichen Behauptung, es würde geradezu eine Gefährdung des Friedens darin sehen, wenn Italien aus dem Dreibünde ausschiede (und mit England einen Zweibuno einginge. D. Red.). So weit gehen die „DöbatS" nicht; auch sie weisen die Be hauptung zurück, daß man in Frankreich irgendwie wegen der Reise des Königs Humbert nach Deutschland besorgt sei, aber sie sind nicht abgeneigt, Italien als verlorenen Sohn wieder gnädig aufzunehmen, und riehen auS der Ankündigung, daß Visconti-Venosta demnächst Herrn Hanotaux einen Besuch abstatten würde, folgenden Schluß: „ES genügt unS, zu erfahren, daß die Italiener zu fühlen beginnen, daß ihnen daS Bündniß mit Deutschland zu nichts gedient hat, und daß sie sihrea Vortheil nur durch eine An näherung an unS finden werden." Da- ist dieselbe hochmüthige Sprache, welche England gegen unS anzu- fchlagen pflegt, und wie dieses Deutschland gegenüber sich eine Art Vormundschaft anmaßt, so blickt man in Frankreich mit geradezu beleidigender Ueberhebung auf das „minderwerthige" Italien herab, daS man zu ewiger Dankbarkeit gegen die Republik verpflichtet meint. Unter diesen Umständen ist eS höchst bedauerlich, daß italienische Journale die nationale Würde soweit vergessen konnten, das; sie wegen eines Besuchs deS Königs in Deutschland die Franzosen um Verzeihung baten. Um so erfreulicher ist es, daß König Humbert, der zwei RessortS, daS deS Heeres und der auswärtigen Politik, sich selbst Vorbehalten hat, in Homburg sich nicht damit begnügte, die Freundschafi und Bundesgenossenschaft zu betonen, sondern erklärte, das; er die Reise nach Homburg eigens zu dem Zwecke unter nommen habe, um einen neuen Beweis des innigen Bandes zwischen Deutschland und Italien zu geben. Durch diese selbstbewußte königliche Aussprache wird di Rudini's Kriecherei wenigstens in etwas paralysirt. Die Action Englands in der Lricntfrage ist auf dem Wege, mit einer gründlichen Blamage abzuschließen. Nach dem eS den Standpunct, den Deutschland in der Frage der Kriegsentschädigung und der Sicherstellung der alten, wie der neuen Gläubiger Griechenlands von Anfang an einnimmt, lange genug bekämpft hat, siebt es sich jetzt zu Vorschlägen genöthigt, die der von Deutschland von vorn herein eingenommenen Ausfassung verzweifelt ähnlich sehen. Denn wenn die „Times", bald nachdem Deutsch lands Vorschläge in Betreff der Finanzcontrole gemacht worden waren, Deutschland unterstellte, eS wolle die ge lammten Einkünfte Griechenlands unter osficielle europäische Eontrole genommen wissen, so wurde damals deutscherseits fofort festgestellt, daß Deutschland nur so viele von den Ein nahmen der Eontrole unterwerfen wollte, als zur Deckung der Zinsen und sonstigen Interessen der alten und neuen Staatsgläubiger erforderlich wären. Genau denselben Standpunct nimmt nach den neuesten Vorschlägen SaliSbury'S nunmehr auch England ein. Es ist also zu hoffen, daß nun endlich diese Frage ihre Erledigung findet, zumal wie uns heute telegraphisch aus London gemeldet wird, die Botschafter einer Konstantinopeler Nachricht der „Times" zufolge am Montag nach Eingang der Instructionen ihrer Regierungen die Vorschläge SaliSbury'S mit geringen redaclionellen Aenderungen angenommen und dieselben in nicht officieller Werse dem Minister des Aeußeren vorgelegt haben, auf den sie einen günstigen Eindruck machten. Die Verhandlungen in Tophane werden am Donnerstag wieder ausgenommen werden. Hoffentlich entsteht im Verlaufe derselben nun nicht noch Streit darüber, wie viele von den Einnahmequellen Griechen lands unter Eontrole genommen werden müssen, um die er forderlichen Zinsen zu decken. Da die Einnahmen selbst verständlich schwankende sind, so wird eS sich empfehlen, lieber eine größere Zahl von Einnahmequellen des griechischen Staates unter Eontrole zu nehmen, als unbedingt erforder lich erscheint, damit auf jeden Fall eine Schädigung der Gläubiger unterbleibt. Deutsche- Reich. * Berlin, 7. September. Wie die „Voss. Ztg." hört, ist das Entlassungsgesuch, das der Unterstaatssecretair des Reichspostamts Wirklicher Geheimer Rath vr. Fischer be reits vor längerer Zeit eingereicht hat, genehmigt und zu seinem Nachfolger der Director der ersten Abtheilung des Reichspostamts Fritsch ernannt worden. — Daß Herr Politische Tagesschau. * Leipzig, 8. September. Mehrere nationalgesinnte Blätter hatten mißgestimmte Betrachtungen darüber angestellt, daß in diesem Jahre die Sedanfetcr etwas dürftig ausgefallen sei. Daß solche Betrachtungen das Entzücken der nitramontanen Presse er regen würden,war vorauszusehen, denn von jeher ist dieser Presse der Sedantag ebenso verhaßt gewesen, wie dem verstorbenen Windthorst, in dessen Wahlkreise der Tag noch jetzt der Satans tag genannt wird. Die „Germania" bringt dieses Entzücken dadurch zum Ausdrucke, daß sie jene Betracktungen abdruckt und mit höhnischen Glossen versiebt. So knüpft das Blatt an solche Stellen, in denen bervorgehoben wird, daß allerdings die Schulen und die Kriegervereine daS Fest feierlick begangen hätten, die höhnende Bemerkung: „Der Bien muß!", womit gesagt werden soll, daß die Sckulen und die Krieger vereine gezwungen worden seien, das Fest zu feiern. Hinter einer Stelle, in der gesagt wird, daß an einzelnen Orten auch ein großer Theil der Bevölkerung an der Feier theilge- nommen habe, macht daS 'klerikale Blatt zwei Fragezeichen. Am empörendsten aber ist es, daß die „Germania" dem Satze, der Tag von Sedan habe dem Vaterlan-e die böchsten Güter gebracht, die Frage hinzusügt: Welche Güter? So empörend eine solche Frage ist, so wenig kann sie, wie gesagt, überraschen. Uebcrraschen aber wird es Manchen, wenn er in derselben Nummer des ultra montanen Blattes die Behauptung findet, die auf dem Landshuter „Katholikentag" versammelt gewesenen Katholiken hätten sich als Söbnc eines gemeinsamen deutschen Vaterlandes gefühlt. Wir wundern uns jedoch auch darüber nicht. Die „Germania" weiß ganz genau, daß von den in Landsbul versammelt gewesenen deutschen Katholiken ein großer Theil die Errungenschaften von Sedan kennt und würdigt. Um diesen zahlreichen Katholiken nach dem Munde zu reden und außerdem, um den deutschen KatholiciSmus einer höheren Stelle alö patriotisch zu empfehlen, preist die „Germania" die patriotische Gesinnung der Landshuter Versammlung; ihre eigenen Gefühle und Gesinnungen, sowie die ihrer engeren Freunde bringt sie in ihren höhnischen Glossen zu den mißgestimmten Betrachtungen nationalgrsinnter Blätter zum Ausdruck?. AebnlicheS kann man in dem führenden Blatte des deutschen Eentrnms oft genug finden, und cs kann nicht befremden, daß der vater landslose internationale UltramontaniSmus sich eS ruhig gefallen läßt, wenn neben seinen eigenen Anschauungen und Wünschen auch die der wirklich deutsch gesinnten Katholiken in der „Germania" gelegentlich zum Ausdruck kommen. Denn die Bermuthung liegt nahe, daß die Letzteren allmählich ihre deutsche Gesinnung einbüßen, wenn sie sich daran gewöhnen, sie in der ultramontanen Presse gleich zeitig gepriesen und verhöhnt zu sehen. Um so weniger aber ist es zu verstehen, daß die dcutsckgesinnten Katholiken nicht energischen Protest erheben gegen die An maßung der ultramontanen Presse, sich als Vertreterin des deutschen KatholiciSmus auszuspielen und gleichwohl die vaterländische Gesinnung seines größeren und besten Theilcs zu verspotten. Erfolgen solche Proteste nicht, so kann der deutsche KatholiciSmus sich nicht darüber Wundern, wenn er in einen Topf mit dem Ultramonlanismus geworfen wird. Lange Zeit ist angenommen worden, daß der stellvertretende l Staa tssecretair von Bülow, der bisherige Botsckaster, I nach dem Rücktritt LeS Fürsten Hohenlohe auch Reichskanzler f werden solle. Später tauchte ebenso bestimmt die Mel dung auf, daß ein General zum Reichskanzler aus ersehen sei. Neuerdings wurde hinzugefügt, eS sei ein General, der Herrn von Bülow nicht fernstehe. Unter diesen Umständen findet das in politischen Kreisen umgehende Gerückt, Laß der cvmmandirende General des 1t. Armeccorps znm Reichskanzler bestimmt sei, vielfach Glauben. Damit wäre auch die frühere LeSart leicht erklärt. Denn der Ge neral heißt ebenso wie der Staalssccrctair: v. Bülow. Adolf v. Bülow ist am 11. Januar 1837 in Berlin geboren, also erst 6V Jahre alt. Er trat am 21. Mär^1851 in das zwölfte Husarenregiment und wurde am 7. Februar 1856 Ofsicicr. Vom Juni 1871 an war er über ein Jahrzehnt zur Botschaft in Paris commandirt. 1874 wurde er Flügeladjutant, später Gencraladjutant, am 27. Januar 1895 General der Eavallerie und commandirender General deS Vlll, später deS XIV. Armee corps. Die „Voss.Ztg." meint, seine Ernennung würde bedeuten, daß Herr I)r. v. Miquel der wirkliche Leiter der inneren Politik würde. Der wirkliche Leiter? Dann müßte er die Zustimmung des Kaisers zu einem festen Programme haben oder die Fähigkeit besitzen, unter scheinbarem Verzicht auf ein Programm dem Kaiser ein solches zu „suggerircn". Aber würde General v. Bülow Neigung haben, den Reichskanzler nur zu spielen und in Wirklichkeit von Herrn v. Miquel sick leiten zu lassen? Und würde dieser sich dazu verstehe», die Arbeit des Kanzlers zu thun, ohne die Ehren eines solchen zu genießen? Das alles sind Fragen, auf welche der »Voss- Ztg." jedenfalls die Antwort ebenso fehlt, wie anderen Blättern. Es giebt auch nichts Zweckloseres, als über solche Fragen sich den Kopf z» zerbrechen. Vorläufig ist Fürst Hoheulvhe noch im Amte, und daraus, daß er gestern in Homburg eine längere Unterredung mit Herrn v. Miquel gehabt hat, scheint hervorzugehen, daß sein Rücktritt nicht unmittelbar bevorsteht. Bevor derselbe erfolgt, können Zwischenfälle aller Art eintreten, welche die Wahl seines Nachfolgers beeinflussen. Und da bei uns im Reiche seit Jahren das Unwahrscheinlichste an» häufigsten sich zu ereignen pflegt, so verzichten nachgerade selbst die müßigsten Leute darauf, daS Wahrscheinliche herauSzuklügeln. Tie öffentliche Meinung Ungarns blickt mit gespanntem Interesse und aufrichtiger Freude dem Besuche Kaiser Wilhelms in Pest entgegen. Die hauptstädtische, sowie die Provinzpresse steht seil Wochen unter dem Eindrücke der bevorstehenden Ereignisse. Man entwirft sympathische Charakterbilder des Monarchen und würdigt hauptsächlich vom ungarisch-nationalen Standpunkte die politische Be deutung, welche dem Pester Aufenthalte Kaiser Wil helm'S innewohnt. Man hebt die selbstbewußte Energie, die vielseitigen Talente, die glänzende Rednergabe, sowie namentlich die Friedensliebe deS mächtigen Herrschers hervor, betont, daß die ungarische Nation längst mit Wilhelm II. sympathisirt und daß auch er für Ungarn längst hohes Interesse und entschiedene Zuneigung bekundet. Um nur einige Journalstimmen jüngeren Datums zu erwähnen, sei hier vorerst der „Pesti Hirlap", das verbreitetste liberale I Organs, citirt. Dasselbe constatirt, daß Kaiser Wilhelm II. ! die Angelegenheiten Ungarns von jeher mit besonderer I Aufmerksamkeit und auffallender Sympathie verfolgt habe. Götzendienst. 3s Roman in zwei Theilen von Waldemar Urban. Nachdruck «nbotkn. Dieses „wenigstens Sie" schien Graf Victor geradezu klassisch in seiner ungenirten, naiven Grobheit und klang schier ebenso, als hätte sie mindestens einen Fürsten oder König anzutreffen erwartet» ihr den rechten Weg zu weisen. Aber Graf Victor war weit entfernt, ihr diese niedliche Ungezogenheit übel zu nehmen und war er anfangs um eine treffende Antwort verlegen, so gelangte er bald zur Einsicht, daß bei dieser übersprudelnden Plauderthätizkeit eine Antwort überhaupt übel angewandt war. Sie ließ ihm dazu keine Zeit; unermüdlich fuhr sie in ihrer Plauderei fort, die einen so ungezwungenen, natürlichen und gleichzeitig auch so kühl unschuldigen und unnahbaren Eindruck machte, daß Graf Victor die beobachtende Reserve, die er anfangs bewahrt, bald in eine unverhohlene Bewunderung umschlagen fühlte. Er hätte sie gern gefragt nach Hcimath und Herkunft, um jenes glückliche Land in Erfahrung zu bringen, daS noch solche Wunder von naiver Menschlichkeit bervorbringt; aber sie ließ ihn nicht zu Worte kommen. Dagegen schien sie seinen Gedankengang zu erralhen und fuhr aus freien Stücken in ihrer Plauderei fort: „Vor sechs Wochen noch waren wir in Buenos AireS; aber diese Hitze dort! Sie müssen nämlich wissen, daß jetzt Sommer dort ist, weil es nämlich auf der andern Seite der Welt liegt" — Graf Victor mußte unwillkürlich lächeln — „und wenn hier in Europa Winter ist, so ist eS dort Sommer und umgekehrt. Aber ich finde es hier recht bübsch und wir werden wohl noch einige Tage oder einige Wochen hier bleiben. ES ist wirklich nicht übel — die Palmen, die Eacteen und die Agaven sind freilich nicht so groß und so schön wie bei unS; auch ist hier Alles so klein und so eng. Die Gärten, die Felder und Wälder, sogar die Länder sind kleiner al- bei uns. Man befindet sich ja hier alle Augen blicke in einem anderen Land! Da sollten Sie nur mal nach Argentinien zu unS kommen! Dort hat man wenigstens Platz und ich glaube, eö ließen sich bequem aus PapaS Weizenfeldern allein zwanzig solche Herzogthümer wie Monaco machen. Aber dennoch gefällt eS mir ganz ausnehmend hier. und wenn eS in Europa überall so auSsieht wie hier, kann es gar nicht so übel sein." Nachdem Europa mit dieser glimpflichen Kritik der kleinen, wohl kaum siebzehn- oder achtzehnjährigen Weltreisenden von der „anderen Seite der Welt" weggekommen war, sprach sie ihre Verwunderung darüber auS, daß hier so viele Leute vorhanden seien, die nicht daS Geringste thun und gleichwohl so viel Geld auSgeben. Woher sie daS hätten? Wer eS ihnen gegeben habe? Und warum sie denn nicht arbeiteten? wollte sie wissen; aber sie wartete die Antwort nicht ab, sondern cchauffirte sick plötzlich wieder darüber, daß man im Casino von Monte Carlo, wie sie gehört habe, um Geld spiele. DaS sei in einem Lande, wo man das Geld ohne Zweifel auch erst erarbeiten müßte, einfach eine Barbarei, deren sich ein gesitteter Staat und ein gesittetes Volk niemals schuldig machen dürfte. Graf Victor war wie auS den Wolken gefallen und während ihre sittliche Entrüstung über die Entartung der alten Welt anhielt, um dann unvermittelt auf einen anderen Gegenstand überzuspringen — wie bei einem Kinde, dessen kleines Gehirn die Massenhaftigkeit der einstürmenden Eindrücke noch nicht richtig verarbeiten kann — fragte sich ihr Begleiter im Stillen, WaS sie wohl dann erst sagen würde, nachdem er ihr seine Lage und deren Ur sache mitgetheilt. So naiv und kindlich der Eindruck auch war, den daS oberflächliche, sorglose Geplauder seiner Be gleiterin machte, eS barg sich bei alledem doch ein Kern darin, der seine Nachdenklichkeit anregte und zugleich seine innersten Ueberzeugungen inS Wanken brachte. Kein Priester und kein Philosoph hätte bei ihm auch nur annähernd DaS erreicht, WaS daS unabsichtliche Geplauder eines jungen, noch nicht einmal „gesellschaftlich" gebildeten Mädchens zu Stande gebracht. Graf Victor erschien sich selbst plötzlich in seinen Standesvorurtbeilen ungemein be schränkt, in seiner Vergangenheit wie in dem beabsichtigten letzten Schritt geradezu verbrecherisch. Die Welt war doch viel, viel größer, als er eS gewöhnlich annahm, verschiedener die Menschen und ihre Ansichten in derselben und unbegrenzter und verheißungsvoller daher auch die Möglichkeiten und Aus sichten seiner Zukunft. Er verbarg den Revolver, den er noch immer unter dem Rocke versteckt trug, unbemerkt und mit einem energischen Entschluß in der Tasche. Mittlerweile waren sic in die Nähe des Hotels de France gelangt, und schon von Weitem bemerkte Graf Victor vor demselben einen aufgeregten Menschenauflauf, ein Hin- und Herhasten von Dienern und Kellnern, einen aufgescheuchten Schwarm von allerlei Menschen, die, auS dem gewohnten süßen NichtSthun aufgerüttelt, plötzlich in eine fieberhafte Thätigkeit versetzt waren. Dann schrien verschiedene Stimmen: „Da ist sie! Sie ist da!" Uno eine andere dazwischen: „Wo? Wo? Felicia! Ist cs wahr? Wirklich da? O mein Kind!" Und dabei stürzte ein dicker, fetter Mann hervor und umarmte die kleine zierliche und schmächtige Felicia mit einer gewissen demonstrativen Zärtlichkeit, die ihm ersichtlich einige Anstrengung kostete, und die wohl sicher unterblieben wäre, wenn der fette Mann nicht geglaubt hätte, daS „gehöre zum guten Ton". Er mochte ungefähr achtundvierzig bis fünfzig Jahre zähle»: sein Haar war stark ergraut, aber noch sehr dicht und „wie eine Bürste" ver schnitten. Gesicht und Hände batten eine gelblichbraune Farbe und seine Bewegung etwas Mühsame-, dabei keuchte er in Folge seiner Starke bei jeder hastigen Bewegung. Sein Rücken und sein Genick waren stiernäckigbreit, solid und mächtig. Er erschien in einer Wolke von gelben und braunen Dienern, die ihn wie einen Monarchen umgaben und jeden seiner Befehle noch vor der Aussprache zu errathen suchten. Sie trugen dabei sämmtlich Salontoilette: Frack, weiße Cravatte und weiße Weste, während ihr Gebieter mit einem bequemen hell wollenen Jacketanzug von etwas affectirter Einfachheit be kleidet war. Jedenfalls stach er von seinen Dienern, die man nichts destoweniger für seine Herren hätte halten können, be deutend ab. Und nur die Besichtigung seiner Hände und die Würdigung seiner ShlipSnadrl ließ vermuthen, daß man einem Manne gegenüberstand, dem Geld- und GeldcSwerth untergeordnete Begriffe sind. Die Brillanten seiner Nadel und seiner Ringe, mit denen er alle Finger, sogar den Daumen, besteckt hatte, mochten mehrere Hunderttausende repräsentiren. „Felicia, mein Kind", keuchte er nun wieder mit ziemlicher Umständlichkeit und mit einer Rührung, die er wohl nur äußerlich zu zeigen sich verpflichtet hielt, um den „guten Ton" nicht zu verletzen. „Sag', wo warst Du nur? Wir haben eine Todesangst um Dich auSgestanden." „Wo ist Salvatore, Papa?" „Er sucht Dich seit einer halben Stunde in der ganzen Stadt." „Und ich ibn. Denke Dir, ich hatte mich verlaufen!" „Verlaufen? Um'S Himmelswillen!" „Ja und ich fürchtete mich — fürchtete mich schrecklich — bi- ich diesen Herrn hier traf, der so gütig war, mich zurückzuführen." „Gut, gut, man wird ihn natürlich angemessen — königlich belohnen, daS versteht sich! Er soll " „Aber Papa! Es ist ja ein Graf! Mache doch keine Dummheiten!" Graf Victor befand sich in der einfältigsten Situation von der Welt und ärgerte sich im Stillen, daß er daS Hotel überhaupt betreten, daß er sich nicht schon draußen ver abschiedet hatte. Er griff an seinen Hut und wollte sich mit einer stummen Verbeugung zurückziehen, als er bemerkte, daß sich der dicke, braune Mann vor ihm hock aufrichtete, ihm die dicke, fleischige Hand bot und ihn nöthigte, Platz zu nehmen. „Mein Herr", sagte er dann, „ich beiße GraciaS de Melida; entschuldigen Sie, wenn mich die Ueberraschung ver hinderte, meine gesellschaftlichen Verpflichtungen Ihnen gegen über zu erfüllen? Nie in seinem Leben war Graf Victor einer derartigen Form- und Geschmacklosigkeit begegnet und er frug sich er staunt, das also ist der berühmte Weizenkönig auS Argen tinien, von dessen fabelhaften Reichthümern seit einigen Tagen Wunder erzählt werden und dessen Name allein schon das gesammte Speculanten- und Lumpengesindel der Stadt auf die Beine zu bringen im Stande ist? Welch' ein Protz! Ein deutscher Bierbrauer oder Fleischermeister war mit ihm verglichen geradezu ein Apollo. Unwillkürlich bemühte sick der junge Mann, in dem Gefickte deS Südamerikaners irgend etwa- Sympathisches, etwas rein Menschliches zu entdecken, etwa-, WaS noch nicht durch den erstarrenden Einfluß, den da- Geld auf ungebildete Leute auSübt, verdorben war. Hatte der Mann keine Seele? Konnte man ein derartig immenses Vermögen wie daS seinige ohne Verstand zusammen scharren und verwalten? O doch! Und Don GraciaS de Melida besaß unzweifelhaft eine dementsprechende Eigenschaft, nur entging eS in diesem Augenblicke noch dem oberflächlichen Blicke des jungen Mannes. Nur daS Halbwilde, Uneuro päische, das Ungeübte in der Etikette, in der der junge Edel mann aufgewachsen war, verstand und begriff er an der Persönlichkeit vor ihm und gerade auS diesem Grunde fühlte er sich dem Amerikaner weit überlegen. Graf Victor machte eine kurze Verbeugung und erwiderte, kurz sich vorstellend: „Graf Kreuz!" Mit offenem Munde blieb Don GraciaS bei Nennung dieses NamenS stehen; seine Augen, die sonst immer wie halb eingrschlasen hinter den dicken Lidern lagen, traten hervor
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