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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.09.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-09-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970911024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897091102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897091102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-09
- Tag1897-09-11
- Monat1897-09
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Größere Schriften laut unserem Preis» verzeichaiß. Tabellarischer und Zisfernjaz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen lgesalzt), nur mit de. Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderunz 60.—, mit Poslbesördrrung 70.—^ Ännllhmeschlnß für Anreizen: Ab end-Ausgabe: Vormittag« 10 Uhr. Viorge n-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Hei Len Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Srpkditiaa zu richten. ——— Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig ML Tonnabend den 11. September 1897. 81. Jahrgang Politische Tagesschau. * Leipzig, 1l. Seplcmber. ES ist ein böses Zeichen des überwuchernden Parteiwescns in Deutschland, daß sogar Angelegenheiten, die, wie die in der letzten Zeit in so bedauerlicher Weise sich hausenden ikiscnbahnunsälle, mit dein Parteiwesen nichts zu thun haben, dennoch zu parteipolitischen Zwecken ausgebeutet werden. So benutzt die „Freisinn. Ztg." die Unfälle, um gegen die Marineforderungen lvszuziehen. Man solle keine Schiffe be willigen und das dadurch zu ersparende Geld zu Reformen und Verbesserungen im Eisenbahnwesen verwenden. Das Be dauerliche einer solchen Taktik liegt darin, daß, sobald derartige Dinge in die Arena deS Parteikanipfes bineingezerrt werden, die Aussichten auf Verbesserung sich verschlechtern. Und das wäre sehr schmerzlich, da die erschreckende Häufung der Eisenbahn unfälle in der letzten Zeit eine Verbesserung dringend er heischt. Daß die Mittel für Verbesserungen vorhanden sind, kann gewiß nicht bestritten werden. Gerade in Preußen, wo die meisten Unfälle stattgefunden haben, waren im letzten Etat die Ueberschüssc auS der Eisenbabnverwaltung ganz ungeheuere. Es ist gewiß sehr erfreulich, wenn diese Ucberschüsse zu Zwecken der Tilgung der Staatsschulden verwendet werden, aber wir glauben, daß das preußische Volk, das ja die Lasten der Ver zinsung der Staatsschulden zu tragen hat, lieber etwas schwerer an dieser Last trägt, als durch einen nicht genügenden Eisenbahndienst sich gefährdet sieht. Denn die Hauptschuld bei den Unfällen scheint der nickt genügenden Wahrung deö Dienstes zuzuschreiben zu sein. Ob in dem einen Falle die Gleise schadhaft waren oder in anderen Fällen das die Züge be gleitende Personal unmittelbar die Schuld trug, ist ziemlich einerlei, da in jedem Falle Personen und nickt Zufälligkeiten die Unfälle herbeiführten. Nun verlangt zwar der preußische Eisenbahnminister neuerdings, daß die bei dem Bahnbetriebe angestellten Personen nickt nur die Vorschriften des Betriebes genau kennen, sondern sie auch anzuweuden verstehen. Da mit wird aber schwerlich viel erreicht werden. Es genügt nicht, daß Jemand die Ansprüche, die sein Amt an ihn stellt, genau kennt, sondern er muß auch körperlich und geistig frisch und elastisch genug sein, um die Aufmerksamkeit uuv die Geistesgegenwart, die von ihm verlangt werden, entwickeln zu können. Selbst der pflichttreueste und kenntnißreichste Beamte muß versagen, wenn Ler Dienst zu viel von seinen MnSkeln und Nerven ver langt. Diese Ueberanstrcngung aber scheint im Eisenbahn betriebe vorzuwalten. Erklärt Loch beute die „Nordd. Allgem. Ztg." in einer ofsiciösen Kundgebung, ein Theil der Unfälle sei auf „Nachlässigkeiten" solcher Angestellten zurückzuführen, „die sich bisher in Wahrnehmung der ihnen übertragenen Functionen durchaus bewährt batten". Daß solche Leute plötzlich auS der Art geschlagen seien, ist jeden falls weit weniger wahrscheinlich, als daß ihre Spann kraft infolge der dauernden starken Anstrengung ver sagt habe. Und abgesehen von der Ueberanstrengung, scheint auch nicht genug für die Erhaltung der Gesundheit der im Betriebe thätigen Personen gethan zu werden. Die Betriebsbeamten sind den Unbilden der Witterung, der Hitze, cer Kälte, dem Sturme, mehr als Andere ausgesetzt; sie sind durch die Art ihrer Beschäftigung kaum im Stanke, eine regelmäßige Lebensweise zu führen. So ist es kein Wunder, daß gerade diese Beamten früher als andere Beamte oder Arbeiter ihre volle Arbeitskraft und ihre Frische cinbüßen. Es wird deshalb in zweierlei Weise zu wirken sein: einmal für den genügenden gesundheitlichen Schutzs der Beamten und zweitens für die Vermehrung des Personals, damit kein Beamter eine zu lange Arbeitszeit hat und sich während seiner Ruhezeit genügend für die neue Arbeit kräftigen kann. Wenn irgendwo, so liegt hier ein Arbeiterschutz im weitesten Sinne des Wortes nicht nur im Interesse der betheiliglen Personen, sondern auch in dem Les gesammlen Publicums. Die -cntfch conservativc Partei sieht sich in den nächsten Monaten zwei schwierigen Ersatzwahlen zum Reichs tage gegenübergestellt. Die Aussichten für die^Wahl in der Westpriegnitz haben sich allerdings dadurch etwas gebessert, daß der Bund der Landwirthe nicht, wie anfänglich an genommen wurde, für den antisemitischen, sondern für den conservaliven Candidaten einzutreten sich entschlossen hat. Der Hauptgegner des Letzteren wird also nun doch wobl der freisinnige Bewerber sein. Ebenfalls nicht ganz leicht dürfte für die Eonservativen die durch den Grafen Holstein notbwendig gewordene Ersatzwahl im 9. schleswig - hol- steinscken Wahlkreise sein. Wohl hat der Graf diesen Wahl kreis fast 20 Jahre ununterbrochen vertreten, aber daß sein regelmäßiger Sieg zu einen« wesentlichen Theilc auf seinem persönlichen Ansehen beruhte, kann man daraus entnehmen, daß bei den Wahlen vor 1878 der Kreis keineswegs durchweg konservativ war. Im Jahre l87l siegle ein Fortschrittler, im Jabre 1874 ein Socialdemokrat, und im Jabre 1877 kam der konservative Bewerber erst in der Stichwahl gegen den Socialdemokralen zum Siege. UebrigenS hatte auch Graf Holstein bei der vorigen Wahl eine ziemlich erhebliche Gegner schaft gegen sich, denn den für ihn abgegebenen 9200 Stimmen stanken etwas über 7000 freisinnige und socialkemokratische Stimmen gegenüber Zweifellos werben diese beiden Par teien bei ter bevorstehenben Ersatzwahl all ihre Kräfte an spannen. Tie Meinung, der denkende', verständigere Theil der Franzosen habe die Idee der Rückgewinnung des Reichs land es aufgegeben — ganz abgesehen davon, raß die nicht denkende unverständige Masse, wie an so manchen andern Stellen, auch in Frankreich den Ausschlag zu geben pflegt entspringt einer politischen Halliicination, die nur siebt, was sie wünscht. Als neuestes Zeugniß für Liese Behauptung mögen die beiden letzten Monalsnummern deS Pariser „Friekens"- BlatteS ,.l.u nouvollv Imiope" dienen, in welchem unter dem Titel „4/vmpvleui ll'.^Uoina^ue pout-il venir ü l'expn- sition universelle <le l900?' eine literarische HeereSschau über die Stellung der ganzen französischen Presse zu dieser Frage abgehalten wird. Aus dieser Heeresschau gehl hervor, daß nur die Herausgabe von Elsaß-Lotbringen io zu sagen den kaiserlichen Eintrittspreis am Wendepunkt des Jahrhunderts darstellt. Wenn nicht, nicht! Ganz verschämt will sich eine einzelne Stimme damit zufrieden geben, wenn der kaiserliche Herr, der durch die Entlassung BiSmarck's den französischen Empfindungen eine gewisse Genugthuung gegeben hak, durch daö suttra^o uiiiversel das künftige Schicksal der Elsaß Lothringer ihrerseits selbst bestimmen läßt, aber dies ist eine einsame Friedenstaube. So zu lesen in den Nummern der,,>'ouvelle Lurope" vom 1. August und 1. September 1897. Mil Len Wass en in Ler Hand freilich die verlorenen Provinzen wieder- zugcwinnen, die>e Hoffnung lassen besonnene französiscye Politiker sich vergeben Zu ihnen zählt in erster Linie Ler couservative AbgeorLnete Jules Delafosse, einer Ler hervor ragendsten Kenner der auswärtigen Politik. Der frei- müthige Schriftsteller sormulirt im „Gaulois" daö Ergebniß ter Neisx Faure'S nach Petersburg dahin. Laß Lie Franzoscu ersten« wieLcr einmal ein Beispiel unglaub licher nationaler Sclbstäußerung, ja Selbsterniedrigung gegeben haben, indem sie aus Mangel an Vertrauen aus sich selbst den« russischen Autokraten nachliefen und zweitens nickt den von Allen erhofften Erfolg aus dem Bündniß ziehen werden. Schon dreimal innerhalb Ler letzten sechs Jahre sei ei» Rückschlag eingetreten, nach Kronstadt, nach Avellans Besuch in Toulon und Paris und nach dem Oktober besuch des Zaarcnpaares. Auch jetzt werde die Ent täuschung nicht ausbleiben. Rußland falle cS nicht ein, eine Patrone für Elsaß-Loihringen zu verschießen und die Republik selbst habe einen angeborenen Abscheu vor dem Wasfenhantwerke, sie habe es daher nur zu einer großen Miliz gebracht, tie zwar „vielleicht" für die Vertheidigung ausreiche, nicht aber für die Eroberung Elsaß - Lothringens. Telasosse zieht aus dieser militairischen Schwäche Frankreichs den Schluß, daß sich die Wiedergewinnung der Provinzen nur auf diplomatischem Wege erzielen lasse, und zwar bei einem etwaigen gemeinsamen Vorgehen Frank reichs, Rußlands und Deutschlands gegen Eng land. Delafosse sagt darüber: „Wenn diese Eoalilion sich vollzieht, so kann sie den Untergang Eng lands bedeuten. Aber falls wir dabei thätig sind, so kann das wohl nicht nur den Zweck haben, die Deutschen auf Kosten ter Engländer zu bereichern. Ohne unsere Mitwirkung geschieht nichts: unsere Diplo maten werden daher wobl wissen, um welchen Preis dies geschieht." Es handelt sich hier offenbar um Zukunftspolitik, für welche die Voraussetzungen der Gegenwart schwer Passen; immerhin aber ist es interessant, von einem spruchsähigeu Politiker den Preis des Zusammengehens mit Frankreich zu erfahren. Ein interessantes französisches Zugeständniß betreffs der italienischen Politik ist zu verzeichnen. Tie in Deutsch land vielfach — auch von uns — gehegte Auffassung, daß der Träger des Dreibunds gebaute ns in Italien König Humbert selbst ist, wird jetzt auch von dem „Figaro" bestätigt. Dieses Blatt entschuldigt das italienische Ministerium gegen die Angriffe, daß es die Reise nach Homburg zugelassen habe. Der „Figaro" will daraus nicht gefolgert wissen, baß der Marchese di Rudini ein aufrichtiger An hänger des Dreibundes sei, vielmehr habe Rudini nur dem ausdrücklichen Willen des Königs sich nicht widersetzen können und wollen. Man müsse berücksichtigen, daß König Humbert seine eigene Politik mache. Die politischen Ausfassungcn, die der König habe, seien am entschiedensten von Erispi, wenn auch vielleicht mit einiger klcbertreibung, so doch mit großer Treue, in die Wirklichkeit übertragen worden. Der „Figaro" giebt damit also zu, daß König Humbert persönlich ein überzeugter Anhänger des Drei bundes sei. Wenn er trotzdem weiterhin sagt, daß Rudini „durch einen Wirbelwind von Jntrigue, Lüge und Vorurtheil dorthin getrieben worden sei, wo er nickt hätte hingetrieben werden wollen", so liegt im Zusammenhänge mit dem Vo>aiigega»genen in diesem Satze eine grobe Be leidigung des Königs Humbert. Wenn sich das französische Blatt der französffcken Gerechtigkeitsliebe rühmt, weil die Franzosen den Marchese Rudini nicht angrisfen, obgleich er die Reise nach Homburg zugelassen habe, so liegt der ein fache Grund für dieses Wohlwollen darin, daß man den für sranzoscnsreundlich gehaltenen Minister gern unterstützen will. Die von den Franzosen selbst aber zugegebene Treibundslreue teö italienischen Königs ist tie beste Garantie dafür, daß die Hoffnungen Ler Franzosen auf einen Abfall Italiens vom Drei bunte sich nicht sobald erfüllen Werken. In französischen Blättern ist unmittelbar nach den Homburger Trinksprüchen, um den Eindruck derselben zu verwischen, die Nachricht ver breitet worden, der französische Minister deS Auswärtigen Hanotaur werde binnen Kurzem eine Begegnung mit dem italienischen Minister Marchese Visconti-Venosla haben. Wie der „Polit. Eorresp." aus Rom gemeldet wird, findet diese Ausstreuung in italienischen RegierunzSkreisen keine Be stätigung. Es wird betont, daß wenigstens bisher keine An zeichen sür eine derartige Zusammenkunft vorhanden seien. Auch wird hervorgehoben, daß nach ter Monarchenbegegnung von Homburg die Richtung der auswärtigen Politik Italiens vor aller Welt so klar liege, daß eine Aussprache zwischen den beiden genannten Ministern Wohl kaum nothwendig erscheine. Zum gegenwärtigen Stande der griechisch-türkischen Frievrnsvrrdanvlungrn erhält die „Intern. Eorresp." aus Athen unterui 5. September folgende Mittheilungen: Die neuere Wendung in den Verhandlungen über die Höhe der Kriegsentschädigung und die Einsetzung einer theilweisen Finanzcontrole wird in unterrichteten Kreisen al« eine Rückwirkung Ler jüngsten in Petersburg ge troffenen französisch-russischen Vereinbarungen bezüglich der Oricnlfrage angesehen. Während nämlich bisher die französische Regierung wiederholt der griechischen Negierung ihre Geneigtheit zu erkennen gegeben hatte, dem eng lischen Vorschlag behufs Beiseitelassung der Finanzcontrole und Ukbernahmc einer Garantie für die KriegsentschädigungSanleihe unterstützen zu wollen, vertritt sie seit der Rückkehr Faure's von seiner russischen Reise eine wesentlich andere Anschauung. Man erklärte von Paris auS dem Athener Eabinet, Frank reich werde nach wie vor auf eine Herabsetzung der Kriegsentschädigung einwirken, jedoch nur unter der Bedingung, daß sich Griechenland der Forderung der fest ländischen Mächte betreffs der Finanzcontrole füge. In diesem Falle sei sogar Aussicht vorhanden, daß der an die Türkei zu zahlende Betrag auf zwei Millionen Pfund herab gesetzt werken könne (?). Hieraufhin erklärte sich die griechische Regierung auf vertraulichem Wege bereit, die Finanzcontrole, vorbehaltlich der näheren Bestimmungen, anzunehmen. Erst nachdem diese Besprechungen beendet waren, trat England mit seinen „neuen" Vorschlägen hervor, so daß diese wohl nur dem Wunsche entsprungen sein dürften, der vollständigen Jsoliruug LeS britischen Eabinels zuvorzukommen. Deutsche- Reich. Hs Berlin, !0. September. Wie wir hören, hat sich der StaalSiulnister Graf Posadowsky, welcher heute in Berlin wieder eingetroffen ist, an der Abnahme des Dvppel- schraubendampser« „Bremen", welcher vom Norddeutschen Lloyd in die ostasialische Reichspostdampfer-Linie ein gestellt werden soll, hauptsächlich deshalb betheiligt, um von den neuesten Sicherheitsvorrichtunge n gegen Echisssunfälle, insbesondere von der Herstellung des EollisionsschutzeS, Kenntniß zu nehmen. Es scheint, daß die Prüfung einen durchaus befriedigenden Erfolg Götzendienst. 6j Noinan in zwei Theilen von Wold em ar Urban. Nachdruck verboten. „Mein gnädigstes Fräulein —", stotterte Graf Victor- verwirrt. „Bitte. Und nun besehen Sie sich gefälligst einmal im Spiegel und wenn Sie mir nur ein ganz klein wenig Wohlwollen, so loben Sie wenigstens auS Höflichkeit meinen Geschmack. Ich habe die Juwelierläden durchsucht, um etwas Hübsches für Sie zu finden. Sollte Ihnen die Nadel aber zufällig nicht gefallen, nun, so werfen Sie dieselbe meinethalben zum Fenster hinaus. Unten — irgendwo wird LaS arme Ting vielleicht mehr Beifall finden." Inmitten der Nadel saß ein dicker, großer Diamant und Gras Victor erkannte daran jene Nadel wieder, die er einmal im Schaufenster eines Juweliers gesehen und um die er damals gehandelt batte. Aber der Juwelier hatte acht tausend Francs dafür verlangt, welcher Preis ihm schon damals zu theuer gewesen, damals, als er noch obenauf und ter reiche, flotte Graf war. „Gnädiges Fräulein, Sic beschämen mich außerordentlich. Für jenen kleinen, ganz selbstverständlichen Dienst, den ich so glücklich war, Ihnen leiste» zu können " „Gebe ick Ihnen ei» kleines, ebenso selbstverständliches Andenken, was weiter? Und wollen Sie es wirklich mir zu Ehren tragen?" Er verbeugte sich stumm und küßte wie zum Danke für rin derartig über alle Maßen reiches Geschenk nochmals die Hand. „Und nun wollen wir zu Tische gehe»", rief sie darauf im alten lebhaften Tone, „ich sterbe vor Hunger. Sie solle» nun auch Salvatore sehen, meinen Bruder; er ist zwar ein einfältiger Kerl, aber er wird Ihnen schon gefallen. Weiter baben wir heute keine Tischgäste. Ach Gott, wir schön ist daS! Wenn Sir wüßten, welche Unmenge von Gästen sonst immer mit uns zu Tische sitzen — es ist unglaublich! Und mitunter sind es sogar zwanzig — dreißig auf einmal. Man hört kaum sein eigenes Wort und Sie glaub«» nicht, wie unangenehm das sein kann!" Graf Victor mußte ihr beipflichten; war er doch der Uebcrzengung, daß die kleine Herrlichkeit, die er am Arme nach dem Speisezimmer führte, überhaupt Niemanden in der Welt so gerne sprechen hört als sich selbst. Wenn sie plauderte, und sie that es in einem fort, rollten und sprudelten ihr die Worte nur so von den Lippen; dabei klang ihre Stimme gar nickt unangenehm, sie war vielmehr in allen Tonarten zu Hause. Ein scharfer, etwas nervöser Klang ging aber doch hindurch, der schließlich nicht verfehlen konnte, den Zuhörer selbst nervös zu machen, nachdem er gezwungen war, sie ununterbrochen anzuhören. An Ler Einganzsihür zu dem außerordentlich luxuriös ausgestalteten Speisezimmer stand ein jüngerer Herr im Frack, weißer Eravatte und weißen Handschuhen. „Sehen Sie, Herr Graf", fuhr Fräulein Felicia in ihrem Redeflüsse fort, „das ist Monsieur Horace Telorme, der Secrctair Papas — ein schrecklicher Mensch! Er läßt dem armen Papa Tag und Nacht nicht Ruhe mit seinen endlosen Briesen, Karten und Depeschen, mit seinen Aufstellungen, seinen Tabellen, Rechnungen, Vorträgen und so weiter. Ich sage Ihnen, ein geradezu fürchterlicher Mann! Sehen Sie? Nun hat er schon wieder einen ganzen Stoß Briefe und Papiere aller Art, die Papa nun alle lesen und Lurchsehe» soll, und auf jedem sind die schreckliche» Dinge ausgezeichnet, so Laß einem schon beim Lesen der Appetit vergeht. Be sonders seitdem wir in Europa sind, komme» alle Tage eine solche Menge Bettelbriefe, daß ich schon immer gedacht habe, die Europäer müssen gar kein Geld, aber so viel Schulden besitzen, daß sie nicht wissen, wo aus noch ein. Ja, selbst die Staaten und die Städte haben, wie mau mir sagte, Schulde», und zwar von solcher Höhe, daß man bei Nennung der Zahlen schon ordentlich erschrickt. Ist das nicht seltsam, ist das nicht " So ging die Mühle endlos weiter und beförderte ihr Wasser, tiefes und seichtes, wie eS gerade kam, mit ein töniger Geschwätzigkeit immerfort zu Tage. Dem Grasen Victor verging schier Hören und Sehen. „Wa« haben Sie wieder, mein lieber Delorme?" fragte Herr de Meliva. „Hier sind die Briefe von diesem Morgen, gnädiger Herr", antwortete der Secretair. „Die bekannte Sorte?" „Zum großen Theil. Es sind darunter drei Grasen, elf gewöhnliche Adelige, ferner je ein Biltschreiben zu Gunsten einer Kinderbewahranstalt, eines Blindeninstituts, einer Dorf ¬ kirche, die ausgeschmückt werden soll, der hiesigen Armcnunter stützungscasse, der " „Gut, gut, mein lieber Delorme; arrangiren Sie daö Alles in der bisherigen Weise. Der Unterstützungscasse für die Armen tausend Francs, den gewünschte» „Darlehen", von denen wir ja doch nie etwas Wiedersehen, die Halste als Geschenk na. Sie wissen ja, wie ich das haben will. Noblesse odlij-o, sagt man hier zu Laude. Daö ist freilich nichts als eine Dummheit; aber mit den Wölfen muß mau heulen. Adieu, mein lieber Delorme." „Pardon, Herr Le Melida, eS liegt noch ein weiterer Bries vor, der sehr sonderbar klingt " „Mein Gott, ich habe Hunger! Ich kenne ja diese Briese schon zur Genüge; sic klingen alle sehr sonderbar." Don GraciaS wandte sich zum Geben. „Aber dieser, gnädiger Herr ", wagte der Secretair noch einmal einzuwcudeii. „Meinetwegen denn, so lesen Sie ihn rasch. Was ist's? Sie sehen, man wartet schon auf mich mit dem Essen." „Es ist ein deutscher Maler, gnädiger Herr; er bittet im Namen der Kunst — die Kunst ist nämlich in Europa und besonders in Deutschland ein Gegenstand, den zu unterstützen zum guten To» gehört " „Gut also, geben Sie dem Manne, was er verlangt. Nur lassen Sie mich zum Essen gehen." „Ja, gnädiger Herr, das ist es ja eben. Er verlangt nichts. Er wünscht nur, daß Sie ihm in seinem Atelier einen Besuch macken, um seine Werke in Augenschein zu nehmen. Die Herrschaften in Europa pflegen in ter Regel solchen Künstlern den ersten Besuch zu machen, daS gehört unbedingt ebenfalls zum guten Ton." „Ich soll ihm einen Besuch machen? Wie heißt denn dieser ebenso kühne als drollige Mensch?" „Adolf Hartwig." „Wie — waS?'." fragte Don Gracias noch einmal heftig und leicht erblassend. „Hier ist der Brief, Herr de Melida." „Gut — sehr gut, Herr Delorme; ich beeile mich, iho zu lesen. Adieu!" * * Er schob daS Schreiben mit einer raschen Bewegung in die Brusttasche und folgte den klebrigen in den Speisesaal. Wennschon draußen das Tageslicht noch voll und breit in den Straßen lag, hatte er doch die Vorhänge an den Fenstern niedergelassen und die Kronleuchter angezündet; Herr de Melida liebte daS so. Im klebrigen machte der Saal einen mehr als fürstlichen Eindruck. Von allen Wänden glitzerten tie Lichter im Widerschein, und die Tafel war reich geschmückt mit prangenden Blumen im frischesten Frühlingsglanz und Tust. Hinter jedem Stuhl standen zwei Diener, die auf Len leisesten Wink des Speisenden zu achten batten. Einer eigeu- thümlichcn, natürlichen und subjektiven Regung zufolge sollte gerade beim Essen all die königliche Pracht, mit der fick ter Weizenkönig in Europa zu umgeben trachtete, zur Entfaltung gelangen. Er liebte das so, und für die Anderen war es somit Befehl. Graf Victor batte die flüchtige, nur halblaut geführte Unterredung zwischen dem Hausherrn und seinem Secretair wohl gehört, trotz des ununterbrochenen Geräusches der klappernden Mühle, bis ihm seine Begleiterin plötzlich einen jungen Mann vorstellte, der ziemlich schwächlich aussah. Große dunkle Augen mit langgeschwciften Wimpern blickten aus einem gelblichen, etwas kränklichen Gesicht; hager, eckig und ungeschickt in seinen Bewegungen, die Hände lang und dürr mit stark hervortreteudcn Knochen und Abern, im Ge sicht ein Ausdruck, als verursache jeder Gedanke eine unaus sprechliche Mühe, dazu der Auzug übermäßig luxuriös und etwas gigerlhaft, so stand der junge Mann vor ihm da. „Das ist nun mein Bruder", plauderte Fräulein Felicia munter, „er heißt Salvatore, aber er sieht keineswegs so aus, wie man es nach seinem Name» erwarte» sollte. Meinen Sie nicht auch? Eigentlich ist er auch nur ein dummer Kerl — Pardon, Herr Gras; aber er ist wirklich keiu Licht, klebrigen« schadet ihm das nicht allzu viel; denn Papa ist reich genug, so daß sich mein Bruder das bische» Dummheit schon leisten kann. Wenn er hingegen auch einer von den arme» Teufeln wäre, ja dann allerdings müßte man ihn bedauern; aber so geht das zur Nolh schon au." Graf Victor machte trotz der etwas eigeuthümlichcn und formlosen Vorstellung eine höflich-vornehme Verbeugung „So rede doch nicht so Lummes Zeug", meinte Don Salvatore auf die drollige Charakteristik feiner Schwester hin, „was würdest Du wohl sagen, weuu ich Dich auch eine alberne Gans nennen wollte?" Fräulein Felicia war natürlich tief beleidigt, und selbst Gras Victor fühlte sick durch diese sonderbar geschwisterliche Zärtlichkeit einigermaßen aus dem Sattel der Form- und SituationSbeberrschunz gehoben. Und so etwas wollte bei Hose cingesübrt sein? DaS würde ja dir ganze Etiguette au-rcnkcn. „Papa", rief nun schon wieder Fräulein Felicia, „hast Du
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