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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.09.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-09-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189709127
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18970912
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18970912
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- Seiten doppelt vorhanden
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-09
- Tag1897-09-12
- Monat1897-09
- Jahr1897
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.09.1897
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Grogere Schriften laut unserem Preis« verzcichniß. Tabellarischer und Zifsernjatz nach höherem Tarif. vptra-Beilage» (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halb: Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. M. Aus der Woche. Das Interesse an den großen Manövern, will nnS bcdi'inken, war diesmal nicht das gewohnte des Boltes in Waffen an KriegSübungcn, sondern von anderer, neuer Art. Wenigstens die Berichterstattung zeigte sich in früher nicht beobachteter Weise auf das Sensationelle zugeschnittcn. Dabei sehen wir von der komischen Erscheinung ab, daß bayerische Particularistenblätter insofern einen „Ernstfall" zu erblicken schienen, als sie die Nachrichten über Erfolge und Miß erfolge der beiden Parteien unter dem Gesichtspunkte des national - bajuvarischcn Ehrenpunctes betrachteten unv viel von preußischer Mogelei und Aufschneiderei redeten. Das ist ja nur spaßhaft gewesen. Aber auch ernsthafte Blätter haben den Verlaus der Manöver so behandelt, als ob seine Bedeutung über die rein militairischen Hebungen hinauSginge. Die Preßarbeit muthete etwas französisch an. Das dürfte aber daher rühren, daß das Arrangement auf die Erregung nicht rein militairiscber Aufmerksamkeit zugestutzt war, daß ein Bestreben, die Augen auf sich zu ziehen, unverkennbar im unteren Mainthal vorhanden ge wesen ist. Dabei denken wir gar nicht einmal an das Bei werk, das der alte Eurs im Lager nicht gekannt hat und da§ denn doch nicht nur ästhetische, sondern wegen des dabei zu Tage tretenden Byzantinismus politische und elbische Be denken wachruft. Wenn, um ein Beispiel anzuführcn, in dein literarisch sündhaften Wiesbadener Festspiele die deutsche Kunst als „erstarkt in hoher Fürstengunst" eingcfübrt wordeu ist, so ist das gewiß nicht richtig, wenigstens für die Gegenwart nicht und am allerwenigsten für die heutige Kunstpslcge in Preußen. Tort ist man sich vielmehr völlig klar darüber, daß die dilettantische Eindämmung der künstlerischen Freiheit, die seit Jahren vom Hofe ansgeht, einen erschreckenden Nieder gang eingcleitet hat. Mit hochgespannten Erwartungen wird Kaiser Wilhelm in Ungarn erwartet. Die Ungarn sind immer scharfsinnige Politiker gewesen, aber guter Tact ist ihnen nicht unter allen Umständen eigen. Sie würden sonst nicht mit einer solch' unverhüllten Offenheit cs aussprechcn, daß sie den deutschen Kaiser deshalb so herzlich zu empfangen bereit pnd, weil sie seinen Besuch als Vorspann für ihre nationalen Aspirationen ausnutzcn wollen. In jedem Falle sollten sie sich darüber klar sein, daß cS dem deutschen Kaiser nicht cinfällt, ihnen diesen Gefallen zu tbun. Wenn sie meinen, der deutsche Kaiser werde gewissermaßen mit Absicht dazu beitragen, „daß das ungarische nationale Sclbstbewnßtsein gehoben werde", so sind sie stark im Irr- tbum. Kaiser Wilhelm II. weiß gut genug, daß das nationale Selbstbewußtsein der Ungarn schon mehr als genügend cnt- Somrtag dm 1 wickelt ist und daß es seinem Bundesgenossen, dem Kaiser Franz Josef, oft genug unbequem wird. Wenn er den Ungarn einen langen Besuch abstattet, so geschieht es, weil sie allerdings gegenwärtig die Hauptstütze des Dreibund- gedankenö in dem Gesammtstaate sind. In Homburg soll nichts entschieden worden sein und die »Voss. Zig." muß den von ihr zum Reichskanzler beförderten General von Bülow einstweilen in ihr NedactionS-Pan- optikum zurückstellen. Auch das Organ des Bundes der Land- wirthe bat sich vergebliche, freilich gern besorgte Arbeit ge macht, als es dem Fürsten Hohenlohe bereits einen regel rechten Nachruf widmete. Tas Blatt sah dabei den Horizont mit rosenrotben Wolken umzogen, es erwartet das Beste von dem Nachfolger des jetzigen Kanzlers, mag er beißen, wie er Wolle. Tenn die schon ernannten Mitarbeiter des Kommen den böten die beste Gewähr. Diese Zuversicht könnte aber doch getäuscht werden. Sie gehl von der Annahme ans, daß Herr von Miquel mit Erfolg „sammeln" werde. DaS glauben wir aber schon deshalb nickt, weil dieser Finanzminister selbst nicht wenig zur Vertiefung der herrschenden Mißstimmung beiträgt, so in seinem Ver halten zur Frage der Unterstützung der lieber- sckw em inten und in der der besseren Sicherung der Be, nützer und Beamten der Staats eisen bahnen. Da kann es nicht befremden, wenn der College im Ministerium des Innern die Verletzung der Gefühle der Bevölkerung in seinem Ressort mit ungeschwächten Kräften fortsctzt. Der „Fall Stülpnagel" braucht gar nicht tendenziös auSgebeutet zu werden, um als Wasser auf die Mühle der politisch unbrauchbaren Parteien zu fließen. Wir betrachten cs auch als die Aufgabe der Verwaltung, die socialrevolutionäre Agitation so viel als möglich vom flachen Lande fernzuhalten. Aber wer einer Frau, weil sie früher socialdemokratische Agitation betrieben bat, „Wasser und Herdfeuer" zu entziehen sucht, der bekämpft die Social demokratie nicht, sondern wirkt für sie. Die Hoffnungen der „Deutschen Tageszeitung", wenn sie aufrichtig fein sollten, und nickt nur diese, sondern auch die gereckten Erwartungen der La u dw irt hsck a »r kleinen uns augesicklS ocs Verbeulens Regierung wei ' cgn n>.er z> sein. Die Wahlaussichten verschlechtern sich zusehends, und mit dem guten Willen der Regierung ist es allein nicht gelban. Vieles kann die Negierung allerdings tbun und unter lassen, was die agrarische Agitation fordert oder bekämpft, ob zum Heil der Landwirlbsckafk, ist eine andere Frage. So wird z. B. noch sehr viel Wasser den Main hinablaufen, bis die vom Kaiser angeregte Canalisirung dieses Flusses von Frankfurt bis Aschaffenburg seiner Verwirklichung entgegen sehen kann. Tie ostelbischen Agrarier sind geschworene 2. September 1897. Feinde von Canalbauten im Westen und Süden; ihre ab lehnende Haltung ist, wie sich Herr v. Ploctz einmal ans- drückte, die der Industrie ausgestellte Quittung über die Zu stimmung zum russischen Handelsverträge. Durch eine Giftmischerei bekundet der „Reichsbote" seine christliche Gesinnung. In eine Betrachtung über innere Krisen läßt das fromme Blatt den Satz einfließen: „Es giebt Leute genug, die da glauben, daß, so lange der Mann im Sachsenwalde lebt, kein Kanzler aus dem vom Fürsten BiSmarck geschaffenen und ungern verlassenen Posten warm werden wird." Ein vollständig nach dem Recept des Sckeiter- haufeubriefes zubereitetes Gericht für die kaiserliche Tasel. Fürlt Bismarck hat die Position Hohenlohes untergraben! Vielleicht trägt auch an der Zurückziehung der Zedlitz'schen Schulgesetz novelle, die die Stellung Caprivi's erschütterte, uudandenLieben- bergcr Vorgängen, die seinen Sturz herbeiführten, der „Manu im Sachsenwalde" die Schuld. Einen besseren Beweis für die Fortexistenz des „protestantisch-jesuitischen Eifers", von dem sich Bismarck nach seinem eigenen Worte verfolgt sah, hätte das orthodoxe Blatt nicht beibringen können. Die zünstlerisch gerichteten Elemente des Reichstags haben in das neue Handwcrksorgan isationSgesetz mehr als eine Bestimmung hiueingebracht, die einen durchaus aristokratischen Charakter trägt und mit der vorgeblichen Absicht, das Herabsinkcn der kleinen Handwerker in das Proletariat zu verhindern, nicht in Einklang zu bringen ist. So die Bestimmung, daß die Zwangs innungen mit Ausschluß der nicht Gesellen oder Lehr linge haltenden Meister, also der hilfsbedürftigsten kleinen, errichtet werden können. Jenes aristokratische Moment tritt nun besonders stark hervor in einem Telegramm, das der antisemitische Neichktagsabgeordnete Vielbaben an den jüngst in Neumarkt i. d. Oberpfalz veranstalteten bayerischen Handwerkcrtag gerichtet bat und in dem es beißt: „Möge durch Ihre Verhandlungen den gelehrten Nationalökonomen klar werden, das; Selbnständigkeit in der Wirttnchasts- und Lebens führung, nicht aber Mittelmäßigkeit des Einkommens, das besondere Kennzeichen des deulschen Mittelstandes ist." Das heißt koch: an der Erhaltung des Handwerk«! mit mittelmäßigem — nickt etwa nur mit sehr kleinem — Ein kommen ist nichts gelegen. Deutsches Reich. X Verkitt, 11. September. Ten Werth des Begriffes der „Ebenbürtigkeit" beleuchtete einmal der Leipziger Staats rechtslehre!: Geheimrath Friedberg durch ein drastisches Beispiel aus ter Wirklichkeit. Ein Graf hatte eine Tänzerin geheirathet, und es hing nach dem Tode des Grafen von der 91. Jahrgang. Frage, ob die Gattin ebenbürtig gewesen sei, ibr und ihrer Kinder Erbrecht ab. Man wandte sich an den Intendanten der königl. Schauspiele zu Berlin, den verstorbenen Herrn v.Hülsen, als Sachverständigen. Tiefer entschied mit salomonischer Weis heit, daß, wenn die Tänzerin eine Solotänzerin gewesen, sie als wirkliche Künstlerlin und damit als ebenbürtig anzusehen sei, wenn sie aber unter dem Corps der Balletratten mitgelanzt hätte, so seien ihr Künstlerfchast und Ebenbürtigkeit abzu sprechen. An diese Ebenbürtigkeilsstreiligkeit gemahnt es, wenn kaum nach der Erledigung des ursprünglichen Lippe- fchen Erbfolgestreites nun schon wieder ein Streit darüber erhoben wird, ob die Kinder des neuen Regenten von Lippe ebenbürtig seien, weil ihre Mutter zwar eine geborene Gräfin Wartcnslebcn sei, aber ihrerseits von einer nichtadligeu Mutter abstamme. Mil dem Aufwerfen derartiger kleinlicher Streitigkeiten wird in der gegenwärtigen Zeit dem monarchischen Gedanken wenig genützt. Wenn in dem den mittelalterlichen Anschauungen doch etwas näberstebenden 17. Jahrhundert der alte Dessauer sich mit einer Bürger lichen verhcirathen konnte und wenn deren Nachkommen für snccessionsfähig erklärt werden konnten, ohne daß das An halter Land dadurch zu Schaden gekommen wäre, so wird es sicherlich kein Unglück sein, wenn im 20. Jahrhundert der Enkel einer Bürgerlichen den Thron von Lippe cinnimmt. — Zu derselben Angelegenheit schreibt man der „Nat.-Ztg", daß der Begriff „Ebenbürtigkeit" thatfächlich nur in Deutschland bekannt sei: „In Frankreich ist einem Jeden derselbe so frenid, daß die französische Sprache nicht einmal einen Ausdruck dafür bat. Gleicherweise in Italien. So konnte beispielsweise ein Prinz aus einer der ältesten souverainen Familien — vielleicht überhaupt der ältesten — der Prinz Amadeus von Savoyen, Herzog von Aosta, Bruder des gegenwärtigen Königs von Italien, eine italienische Dame — die Tochter des Fürsten Pozzo de la Cistcrna — heirathen, ohne daß cs irgend Jemandem auch nur eingefallen wäre, der selben Namen, Rang, Stellung einer Prinzession von Geblüt streitig zu machen. Selbstverständlich wurden wie die Mutter, so die dieser Ebe entsprossenen Kinder — es sind drei Söhne, der Herzog von Aosta, der Graf von Turin, der Her» zog der Abruzzen — ohne Weiteres anerkannt nnd als Prinzen des königlichen Hauses angesehen. — Ein interessantes Beispiel zeigt ferner England. Der künftige König von England, der Sobn des gegenwärtigen Prinzen von Wales, hat die Prin zessin Marh von Teck geheiratbcl. Großvater der Prinzessin ist Herzog Alexander von Württemberg, welcher 1835 eine Gräfin Nhötey heirathcte. Letztere durste nach deutscher Auffassung nicht einmal Herzogin von Württemberg werden, ihre Kinder wurden, als nicht ebenbürtig, Fürsten und Fürstinnen von Teck, und nun ist eine Prinzessin von Teck, Fourllets«. Ücamlenwirthschaft im vorigen Jahrhundert. Von Kurt Kersten (Dresden). Nachdruck verboten. Oft hat man von den entsetzlichen Folgen des Dreißig jährigen Krieges gehört und gesprochen, der Deutschlands Macht und Wohlstand ansgczehrt. Zwanzig Millionen Menschen bat dieser Krieg gctödtet und nngebenere Gebiete unseres Vaterlandes zu Einöden gemacht. Doch diese greif baren Frückte des Krieges kennt jedes Kind; man lebrt und lernt das in der Schule. Die unsichtbaren Wunden, die ter unselige Krieg dem deutschen Volksleben geschlagen bat, sind gleichwohl die schrecklicheren. Lange nachdem die verwüsteten Felder bebaut, die niedergebranntcn Dörfer und Städte neu errichtet waren, machten sich Liese inneren Wunden des Krieges bei dem in seinem Innern gebrochenen Volke be merkbar, in der beute kaum nock glaublichen und verständ lichen Willkür, mit der deutsche Fürsten und Fürstchen im vorigen Jahrhundert, noch an der Schwelle unseres Jahr hunderts, wirlhschasteten. Je kleiner daö Ländchen, das solch ein Duodezfürst beherrschte, je absoluter die Macht, mit der man darin wirtbschaftetc. DaS Volk wurde in jeder Weise mißachtet und mißhandelt. ES war nur eine ganz natürliche und beinahe unausbleibliche Folgerung, wenn Fürsten, die sich als die absoluten Herren über Eigentknm, Freiheit, ja das Leben ihrer Untertbanen betrachteten, in den Organen der Staatsverwaltung, den Be amten, nichts anderes sahen, als ihre persönlichen Diener, deren Ziel deö Handelns, wie es der Fürst - Bischof von Cpeier in einer Gesctztafcl für seine weltliche Dienerschaft noch im Jahre 178l ansdrückte, „kein anderes sein dürfe, als: die Erfüllung des Willens deö Herrn". Tie persönliche Behandlung, die die Beamten nur zu häufig seitens des gebietenden Herrn erfahren mußten, ent sprach vollkommen dieser ihrer niedrigen Schätzung. Ritter von Lang — desfen amtliches Wirken in daö letzte Viertel des vorigen und den Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts fällt — erzählt in seinen „Memoiren" auö seiner eigenen Erfahrung manche Züge davon. Das eine Mal, da Lang eine Zeitlang wegen dringlicher Geschäfte für den LandcSherrn selbst den Sitzungen des IustizsenatS nickt hatte beiwohnen können, drohte ihm dieser, ein Fürst von Octlingen-Wallerstein, in einem Anfall übler Laune, trotz der Berufung Lang's aus jenen Umstand: er werte ibn durch einen Corpora! ins Collegium bringen lasten. Ein anderes Mal erhielt Lang eine Einladung zur fürstlichen Jagd, jcdock zugleich die Weisung, „er habe dabei, gleich dem übrigen Iagtgcsolge, im Scknnrrbart zu erscheinen". Derselbe Fürst hatte, wic Ritter Lang berichtet, die Liebhaberei, seine Hosräthc, wic Friedrich Wilhelm l. seine Grcnaticre, nur auS laugen Lcuten, nickt unter sechs Fuß. zu nebincn. Von dem Kurfürsten und späteren König von Bayern, Maximilian, der dock erst 170', zur Regierung-gelaugte, wird erzählt, er habe Beamte, die dcin souvetaincn Willen den geringsten Gedanken von Selbstständigkeit cntgegcnzustcltcn gewagt hätten, mit den rohesten Schimpfwörtern belegt und nicht selten gedroht: „er werde diesen Kerlen fünfundzwanzig Prügel aufzählen lassen". Die gleiche Eifersucht auf die persönliche Unbcschränktheit des Souvcrains zeigten solche eigenwillige Fürsten dann auch wokl gegen ganze Collcgien im amtlichen Verkehr. Der schon erwähnte Fürst von Oettingcn-Wallerstein pflegte, um fein Regierungs-Collegium, seine eigene Allmacht und die Ohnmacht aller Beamten ihm gegenüber recht lcbhaft fühlen zu lassen, womöglich jedes Mal gegen das von diesem erstattete Gutachten zu resolviren. Derselbe Fürst batte die Gewohnheit, die zur Unterschrift an ihn gelangenden Sachen auf einen Hausen zu legen und nur von Zeit zu Zeit, wenn es ihm gefiel, irgend ein Stück aus diesem Stoße, gleichviel welches, bervvrznziebcn und zu erledigen. Da nun das Collegium sich öfters veranlaßt sah, in der selben Sacke wiederholt Bericht zu erstatten und um aller gnädigste Resolution zu bitten, so kam es vor, daß der Fürst auf jeden dieser verschiedenen Berichte besonders, und zwar oft im ganz entgegengesetzten Sinne, resvlvirte. So sei einmal, erzählt Lang, das Collegium in äußerste Verlegenheit gerathen, da in Bezug auf einen Angcschuldigteu, der mehrere Jahre (!) in Untersuchungshaft gesessen, schließlich drei ver schiedene Resolutionen gleichzeitig tingcgangen seien und man nun nicht gewußt habe, ob man den Angeklagten laut der einen hängen, oder laut der anderen auSpeitschen, oder nach der dritten des Landes verweisen wolle, — bis der Gefangene allen diesen Scrupeln durch seine Flucht ein Ende machte. — DaS nannte man damals in den meisten dieser kleinen Staaten, aber auch in manchen der größeren „regieren". In ihren persönlichen Verhältnissen waren die Beamten nicht besser gestellt als in ihren amtlichen. Die Besoldungen waren nickt nur unverbältnißmäßig gering, sondern wurden auch oft sehr unregelmäßig auSgezahlt. Ein Beamter, der der Bestechlichkeit angeklagt ward, führte zu seiner Ent schuldigung an, er habe sieben Iakre lang kein Gebalt bekommen! Daß halbe Jahre und länger keine Besoldung ausgezahlt wurde, weil alles Geld in Hoffestcn und der gleichen ausgcgangen war, berichtet z. B. aus Bayern der Geschichtsschreiber dieses Landes, Freiherr von Lerchcnseld. Damit nicht genug, wurden auch von den Beamten noch allerhand Opfer für die Laune, das Vergnügen oder die Ver schwendungssucht ihrer Gebieter gefordert. Herzog Karl Alexander von Württemberg ließ 1736 allen „Kanzleircr- waudten" anbefehlen, „bei Strafe des Verlustes einer viertel jährigen Besoldung" mit ihren Weibern und Töchtern aus den Nedouten beim Carneval zu erscheinen. Nicht minder despotisch, wenn auch seinem Endzwecke nach wenigstens ge meinnützig, War der Befehl König Friedrich Wilhelm's I. von Preußen, wonach jeder Beamte und Hofdiencr in Berlin sich an einem ihm dazu angewiesenen Platze (in der heutigen FricdrichSstadt) ein Haus, natürlich für sein Geld, bauen mußte. Es war gar nicht ungewöhnlich, daß die regierenden Herren, wenn sie Geld brauchten, ihre Rentmeister zur Ein sendung einer gewissen Summe befehligten, die diese, wofern sic nicht vorrätbig war, wohl oder übel vorsckießcn mußten. Daß die Bcamtungen selbst als ein Handelsartikel betrachtet wurden, mit dem die fürstliche Casse Schacher trieb, kann nach alledem nickt Wunder nehmen. In Bayern wurden Land richterstellen bis zu der damals ungeheuren Summe von 25 000 Tbaler verkauft. Auch Anwartschaften auf die Nachfolge in Stellen wurden gegen Geld den Kindern von Beamten ertheilt, oder man benutzte auch wohl dieses Mittel zur Versorgung von Beamtensamilien in Er mangelung eines geordneten Pensionswesens. Der Sohn erbte deö VaterS Stelle; war kein Sohn Vorbauten, auch Wohl die Tochter. So bekleidete ein Fräulein die Obcrforstmeistcrstelle zu Burglengefeldt, ein anderes batte die Anwartschaft auf die Greiizhauplmaniiöstclle zu Stadtimbof. Die Fräulein, die eine solche Anwartschaft hatten, ließen die Stellen entweder durch einen Bevollmäch tigten verwalten, oder traten sie gegen eine Abfindungs summe an einen Dritten ab. In der Pfalz war eS nock ärger, dort wurden nicht blos auf Verwaltungsstellen, sondern auch aus Professuren und richterliche Bcamtungen Anwart- sckaften verliehen. Tas Hofgerichl zu Mannheim zählte lange Zeit hindurch so viele Minderjährige, daß man cs „das jüngste Gericht" nannte. Mancher, der noch auf der Schulbank saß, war schon zum Professor in Heidelberg designirt. Erst 1801 hörte dort dieses Unwesen auf. Tie Vergebung von Beamtenstellen nach Hofguust, durch Protection einer sürstlichen Geliebten, durch Familieneinfluß, sowie die Bevorzugung vornehmer Geburt vor reellem Ver- licnste, erscheint neben jenem viel ärgeren Mißbrauch des Schachers mit Staatsämtern kaum nenncnswerlh. In beiderlei Beziehung machte Preußen unter Friedrich dem Großen, zum Tbeil auch Sacksen unter Friedrich August II. eine rühmliche Ausnahme. Wenn schon Friedrich der Große grundsätzlich den Adel im Civil und Militair bevorzugte, so berücksichtigte er dabei doch auch alle Zeit das persönliche Verdienst und sprach sich auf daS Stärkste wider die Anmaßung Solcher aus, die ohne derartiges Verdienst, bloö aus ihre Geburt pochend, auf Staatsbeförverungen Anspruch machten. Indessen war es dock schon seit Anfang des 18. Jahr hunderts allgemeine und feststehende Sitte geworden, die höheren Staatsstellen nur an Adelige zu geben. Bei den Verhandlungen zu Osnabrück und Münster waren noch viele deutsche Staaten durch bürgerliche Gesandte vertreten. Später ward es gebräuchlich, bei Beförderungen Bürgerlicher zu solchen höheren Stellen, diese zu adeln. Daß ein von obenher so behandelter Beamtenstand un möglich diejenige Berufstücktigkeit, Gewissenhaftigkeit nnd vor Allem Selbstständigkeit besitzen konnte, ohne die er, statt zum Segen, zum Fluch des Volkes wird, leuchtet ein. Zunächst war an geschäftliche Pünktlichkeit und Ordnung, wie solche heutzutage allgemeine unverbrüchliche Regeln sind, nicht zu denken Johann Jakob Möser erzählt auS seinem eigenen GeschäskSleben in Hessen-Homburg auS dem Jahre 1747: „Die Räthe kamen, wann nnd wie sie wollten; der Kanzlist, der Kanzleitiener und dessen nascweiscö Weib waren mit in der RathSstubc zugegen und gaben wobl auch ihr Gutachten; cS wurden keine ordentlichen Beratbschlagungen gepflogen, sondern jeder Natb kam, wann es ihm beliebte, nahm von den cinlaufenden Sachen, was er wollte, und Alles wurde wie ein DiscurS behandelt; im Uebrigen laS man Zeitungen oder unterhielt sich mit Gesprächen. Jeder blieb, so lange er wollte, und ging, wann er wollte." Von einer Würde ihres Berufs, von einer sittlichen Ver antwortlichkeit für getreue Pflichterfüllung, von Wahrnehmung allgemeiner Interessen batte das damalige Beamtenthum seiner großen Mehrzahl noch kaum einen Begriff. Ter nächste Zweck der allermeisten Beamten war die Ausbeutung ihrer Aemter, entweder zu ihrer pccuniären Bereicherung, oder zur Befriedi gung ihrer DeSpotcnlauncn und ihres Hochmuths, womit sie auf die von ihnen Beherrschten herabsahen, ihr weiteres Augenmerk dabei aber stets die Gunst ihrer Vorgesetzten, vor denen sie sich bis zur Selbstwegwerfung demülhigten und für deren Wünsche, mochten sie auch noch so ungerecht und selbst ungesetzlich sein, sie allezeit dienstfertige Werkzeuge waren. Tie Bestechlichkeit war in den Beamtenkreisen fast allgemein verbreitet. Wie der Unterbeamte sich von seinen Untergebenen bestecken ließ, so bestach er wieder seine Vorgesetzten, und je höher hinauf, desto mehr ward dieses Geschäft im Großen getrieben. An rühmlichen Ausnahmen hat cS natürlich auch hier nie gefehlt. Daß die Gcsammtzahl des Beamtcnpersonals in Deutsch land im vorigen Jahrhundert größer sein mußte als heutzutage, ergiebt schon ein einfaches Rcckcnexempel. Deutschland mit Oesterreich zerfiel damals in 300 felbstständig regierte Länder und Ländchen. Dazu kamen noch über 1500 rcichSritter- sckastliche u. a. halbsouveraine Besitzungen und ein halbes Hundert freie Reichsstädte. Alles in Allem kann man also nahezu 2000 in sich abgeschlossene Gebiete rechnen, deren jedes als ein selbstständiges Ganzes regiert und verwaltet sein wollte. Dieser wirkliche Bedarf an Verwaltungsorganen ward aber nock vermehrt durch den Ebrgeiz der Regierenden, die in einem zahlreichen Beamtenthum zugleich ein notbwcndigcS Attribut ihrer Hoheit und eine wesentliche Folie ihres Glanzes er blickten. Wenn schon der kleinste Reichsgraf, der vielleicht über nicht mehr als eine Quadratmeile gebot, mindestens sein RcgicrungScollezinm haben mußte, so begnügte sich ein Reichsfürst, selbst der winzigste, damit nicht. Er wollte schon Gcbeimrälbe, Kammerrätbe, Rcgierungsrätke, LegationSräthe, Consistorialrätbe und dergl. haben, natürlich jeden mit einem langen Schweif von Subaiternbeamten. Das war die viel gerühmte „gute alte Zeil". Seitdem ist das Volk zum Bewußtsein seiner Menschen würde gelangt, und an die Stelle jener Willkürwirtbschaft sind Reckt und Gesetz getreten, die zu schaffen und zu vervoll kommnen das Volk mit am Werke ist. Auch bei dem übelsten Wollen eines Einzelnen, wer es auch immer sei, können heute Ilebcrgriffe der Art nicht mehr Vorkommen, wie sie vor einem Jahrhundert der niedrigste Beamte straflos sich erlauben durfte. Aber je mebr die Machtbefugnisse der Beamten nach unten eingeschränkt sind, je mehr sind sie nach oben bin ge wachsen. Nicht der servile, nnterthänigste Diener seines aller gnädigsten Herrn ist der beste Beamte von heute, sondern der, der Gesetz und Reckt am Lbst.-n befolgt. Freilich, daß man nach abermals hundert Iabren manche Unvollkommenheiten unserer Tage als solche erkennen wird, wer wollte daran zweifeln? DaS Leben wäre des Lebens nickt wcrtb, wenn eS keine Vervollkommnung gäbe. Aber der Rückblick auf eine noch ziemlich nabe Vergangenheit zeigt nnS dock, wie gewaltig sich die Tinge in der Thal vervoll kommnet haben, und daS ist ein schöner Trost für die Zukunft der Menschheit.
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