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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.09.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-09-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970913018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897091301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897091301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-09
- Tag1897-09-13
- Monat1897-09
- Jahr1897
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DezugS-PrelS kn der Hauptexpeditlon od^ de« km Stadt, bezirk und den Vororten errichteten Au<- gabestellen ab geholt: vierteljährlich^ 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in» - Haus 5.53. Durch die Post bezogen für Lentjchland und Oesterreich: vierteliährlich 6.—. Directe tägliche Krruzbnndiendung ins Ausland: monatlich 7.50. Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/,7 Uhr. die Abend-Ausgab« Wochentags um 5 Uhr. Re-action und Lrpe-ition: Morgen-Ausgabe. Uchniacr Tagtblalt JohanneSgafse 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: Otto Klemm'» Sortim. Mlfreö Hnhu), UniversitktSstraße 3 (Paulinum), LoniS Lösche. Kaihann,nstr. 11, pari. und Könla-dlatz 7- Anzeiger. Amtsblatt -es Aömgticljen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Rathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. z u Ilifi. Montag dm 13. September 1897. I AnzeigenPreiS die 6 gespaltene Petitzeile XO Pfg. Melanien unter dem Ned«tionsstrich l»a» spalten) 50^, vor den Famllieanach-chte» (6 gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Ztfjrrnfatz nach höherem Taris. Sptra-Beilagen (gesalzt), nur mit de« Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung ^l SO.—, mit Postbesürderung 70.-^. Jinnahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morge n-Au-gabe: Nachmittag» 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je rin» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Er-editisN zu richten. Druck und Verlag von E. Pol» la Leipzig 91. Jahrgang: Vie Explosion -er Eitadelle von Laon am d. September 1870. Ein Gedenkblatt aus dem Tage buche eines preußischen Jägerosficiers. von A. v. H. Die glorreiche Schlacht von Sedan war geschlagen, Napoleon gefangen und die Armee Mac Mahon's exislirte nickt mehr. In ergreifendem Feldgottesdienst hatte das 4. CorpS an der Höhe von Harricourt dem Allmächtigen seine Dankesgebete dargebrachl, als dasselbe der Morgen des 4. September zum Aufbruch und weiteren Bormarsch mahnte — Paris, das Seine-Babel — war das Ziel. — lieber Vendresse, Rethel, durch die fruchtbaren Departements ter Aisne und Oise, durch dir herrliche dsw do Graues sollte es sich dem Herzen Frankreichs nähern und den bereits gezückten Todesstoß vollenden. In nicht zu an strengenden Märschen bei dem wundervollsten Herbstwetter brachte ein jeder Tag daS CorpS, überall freundlich von der eingeschüchterten Bevölkerung empfangen, unbelästigt vom Feinde, dem Ziel seiner heißesten Wünsche näher. Biel hörte man schon von Franctireurs, dem heimtückischen, hinterlistigen, aber feigen Thun und Treiben dieser ungeordneten Banden, ohne jedoch von ihnen irgendwie belästigt zu werden. Am 7. September rückten wir, die 2. Compagnie des Magdeburgischen Jäger-Bataillons Nr. 4, Mittags in das Dörsckcn Wagnon ein. Alle Ossiciere der Compagnie lagen in einem freundlichen Bauernhause im Quartier, und wobl mußten dessen Bewohner mit dem gehaßten, als grausam und barbarisch geschilderten Feinde zufrieden sein, denn nach eingenommenem Mittagsmahl saß die ganze Familie mit uns in trautem Gespräch beim Kaffee um daS lustig flackernde Holzfeuer, und — kaum zu glauben — der Wirth machte den Vorschlag, daß am Nachmittag ein Schwein aus seinem eigenen Stalle geschlachtet werden solle, um seine Gäste, wie er uns nannte, am Abend mit Wurstsuppe und frischer Wurst zu erfreuen. Und so geschah cs; ohne daß Jemand dem bisherigen, so treuen borstigen Hausgenossen eine Thräue nachweinte, starb er grausamen Todes im Angesichte von Freund und Feind. Cs war auch dies ein denkwürdiger und wobl der Aufzeichnung weither Moment auf unseren Streiszügcn in Feindesland. Herrlich — ja unvergeßlich mundete uns das duftende, gewürzige Nachtmahl, und selbst der Wirth und seine schönen Töchter gestanden, noch niemals so schöne Wurst gegessen zu haben — und sie war noch dazu von Feindes band bereitet! Wie so oft im Leben genossene Freude nicht immer von langer Dauer ist, so erging es auch uns. Wir batten uns soeben in dem uns bereitwilligst zur Ver fügung gestellten Familienbett zur Ruhe begeben, als an unser für jedes Geräusch leicht empfängliches Ohr Huf schläge drangen, und schon im nächsten Moment wurde an daS Hausthor geklopft. Nichts Gutes ahnend, waren wir, eins, zwei, drei, in unseren Sachen, und richtig brachte eine Husaren-Ordonanz den schriftlichen Befehl, unverzüglich alle Wagen und Pferde des Dorfes zu rcquiriren, das Jäger- Bataillon sollte in der Nacht vom 8. September einen künstlich beschleunigten Vormarsch antreten. Wohin? Wir wußten es nicht, — aber ein Jeder glaubte, das giebt einen Zug gegen die Franctireurs! — Es ist nicht leicht, mitten in der Nacht Wagen und Pferde zu reguiriren — und doch um 1 Uhr Nachts, also nach zwei Stunden, nahmen wir Abschied von dem gastlichen Hause in Wagnon, und die 2. Compagnie des 4. Jäger-Bataillons fuhr den Rest der Nacht hindurch, um sich bei Tagesanbruch mit den übrigen drei Compagnien auf der Straße nach Laon zu vereinigen. Nur Derjenige allein, welcher einmal längere Strecken auf französischen zweirädrigen, einspännigen Leiter karren, die auf dem Balancirsystem beruhen, gefahren ist, richtiger gesagt, geschwebt hat, weiß, was man leidet! Und doch giebts auch wieder ein altes Sprüchwort: „Schlecht gefahren ist besser als gut gegangen". Die Wahrheit dieses Sprüch- worts schienen am 8. September die meisten Jäger an sich selbst erproben zu wollen, denn Fahren und Gehen wechselten fortgesetzt ab; ich selbst bin beute aber noch nicht einig, was besser ist, und auch mir scheint der wahre Werth und Nutzen in der ermöglichten Abwechslung zu liegen, Füße und Rücken wechselnd zu schonen, namentlich bei einem säst 22stündigen, ununterbrochenen Marsch, zu dem sich unsere Expedition nach Laon gestaltete! Am Morgen war das Marschziel „Laon" schon bekannt. — „Zur 6. CavaUerie-Division", lautete der Befehl, welche unter Len Felsenwällen von Laon stand. — Der Feind soll sehen, daß auch unsere Infanterie heran ist, dann wird er capituliren! Um 9>/j, Ubr Abends, also nach 22 stündigem Marsche, trafen wir, zwei Stunden von der Festung entfernt, in dem Torfe Eppes ein. Alle Ortschaften die wir passirlen, waren von Truppen der 6. Cavallerie-Tivision belegt, oftmals wurden frische Pferde vor die Wagen gespannt, welche von den Ulanen, Husaren, Dragonern und Panzerreitern immer schon bereit gehalten wurden. Seit Mittags 1 Uhr sahen wir in grauer Ferne die hochliegcnden Tbürme der altehr würdigen Kathedrale von. Laon, welche viele Meilen weit ihr vielthürmigcS Haupt auf steiler Felswand erbebend, im Jahre 1115 erbaut, Jahrhunderte lang stolz und Achtung gebietend die weite Ebene beherrschten! Seit mehreren Tagen batte der Herzog Wilhelm von Mecklenburg schon mit seiner Division vor den Wällen Laons gelegen, und mit dem Commandanten General Thörcmin d'Hamm über die Capitulation verbandelt, ohne ein Resultat zu erzielen. Am 9. September sollte Laon fallen, entweder durch freiwillige Capitulation oder durch List und Handstreich; denn es beherrschte die große Eisenbahn nach Paris. Trüb und regnerisch brach der Morgen des 9. Sep tember an. Um 8'/r Uhr stand daö Bataillon am nordwest lichen Ausgang von EppcS und trat unverzüglich seinen Vor marsch gegen die Felsenfeste an. Auf einem 543 Fuß Koben felsigen Berge liegt sie Citadelle von Laon, an deren Fuß sick die Eisenbabn nack Paris durchwindet. Die Stadt, von einer alten Mauer mit Zugbrücken umgeben, kann man nicht sebcn; nur die fünf Vorstädte und der Dom treten außer der sturmfreien Citadelle dem Ange entgegen. Von der Eisen babn zieht sich die Kunslslraße, theilweise in Felsen gesprengt, in Schlangenlinien den steilen, wo eS angängig, mit Ge büsch bepflanzten Bcrghang hinan. Die Straße selbst ist von Kastanien- und Akazienbäiinicn eingefaßt. Finster blickten die Kanonen auf die Anmarschstraße gerichtet, das beran- Zlehende Häuslein Jäger an. Jeder Schuß mußte Tod und Verderben in unsere Reibe bringen, und wiederum in athem- loser Stille zog das Jäger-Bataillon dabin. Bald konnte man deutlich die Bedienungsmannschaften, bei den Geschützen stehend, erkennen, bald zeigten sich auch größere Trupps französischer Soldaten auf den Wällen, düster und resignirt den Anmarsch deS Feindes aus ihrer imposanten Stellung betrachtend. Stolz flatterte auf der Zinne noch die französische Fahne. Da plötzlich IlO'/r Uhr senkte sie sich. Die Festung Laon, unter deren Mauern vor über 50 Jahren Blücher mit den verbündeten Heeren einen glänzenden Sieg über Napoleon erfochten, hatte capitulirt. Unmittelbar an der Eisenbahn, wo zwei Batterien reitender Artillerie abgeprotzt standen, die Mündungen auf die Stadt gerichtet, empfing der Herzog Wilhelm von Mecklenburg mit seinem Stabe daS Bataillon. Der Herzog begrüßte cs mit lautem „Guten Morgen, Jäger" und ein freudiges „Guten Morgen, Königliche Hobest" ertönte zurück. Der Herzog sagte: „Er freue sick, das alte Bataillon wieder unter seinem Commando zu haben, das im Jahre 1866 schon bei der fliegenden Colonne nach Preßburg unter ihm gestanden." Lobend erwähnte er den anstrengenden 22stündigen Vormarsch vom vergangenen Tage und schloß seine Worte „Jäger, Laon bat capitulirt, nun sollt ihr oben gute Tage haben." Weiter fuhr er fort: „Hauptmann von Neibnitz, ich ernenne Sie zum Commandanten von Laon! Hauptmann von Basedow zum Commandanten der Citadelle; Sie werden mit Ihrer Compagnie die Ehre haben, die Franzosen zu entwaffnen"; und kurz darauf marschirte das Bataillen mit Ausnahme der 4. Compagnie, welche die Thore der Stakt besetzen mußte, unter den lustigen Klängen der Jägerbörner „Der Jäger ans Kurpfalz", den Herzog von Mecklenburg an der Spitze, in die Thore der stolzen Felsenfeste ein. Freudig stürmten uuS die Bewohner entgegen und begleiteten das Bataillon, wie wenn cs in seine eigene Heimatbsstadt eiuzöge. Sie waren hocherfreut, daß ihre Start von Feuer und Schwert verschont blieb. Um nicht Stockungen in den engen Straßen einlreten zu lassen, beorderte der Herzog die an der Spitze befindliche 1. Compagnie unter Lieutenant Dräger in die Citadelle; die 2. und 3. Compagnie nahmen Aufstellung auf dem schönen, alten Marktplatz und setzten die Gewehre zusammen. Der Marktplatz von Laon wird nach Norden durch die stilvolle neue Präfectur, einem Colossalbau, im Osten durch das neue Theater, gegenüber durch das große Hotel de la Hure und im Süden durch die offene Straße mit prachtvollen, dem französischen Geschmack eigenen, reich drapirten Läden abgeschlossen. In dem Moment, Wo die Ossiciere der beiden Compagnien sich vereinigt batten, nm sich vor der Präfectur an dem dargereichten Bier und Cigarren zu laben, schwankte plötzlich merkbar der ganze große Platz. Ein furchtbarer Knall, dem im Moment eine zweite gleich starke Detonation folgte, ließ die Luft erzittern und verwirrte momentan die Sinne; die Präfectur zeigte in der Mitte einen großen Sprung, das Dach deS Theaters war zertrümmert, fämmtliche Fensterscheiben ge borsten. Die noch geladenen Jägerbüchsen und Jäger durcheinander geworfen, und der größte Theil der Mann schaften nach der westlichen Seite ves Marktes zusammen gedrückt. Es war dies Alles im Nu des Augenblicks ge schehen. Gleich darauf ertönte schon daS laute Commando „an die Gewehre", und in wenigen Minuten standen die beiden Jäger-Compagnien gefechtsbereit an der früheren Stelle. WaS war geschehen? Hatten die Franzosen Ver rats) geübt und die Kanonen der Wälle gegen nnS ge wendet? Die nächsten Augenblicke sollten uns darüber belehren. In der Carriöre, über nnd über mit Staub be deckt, kam von der Citadelle ein Ulanenofsicier, den gespannten Revolver in der Hand, ans den Markt gesprengt. „Verrath, Verrath!" waren die ersten vernehmbaren Worte. „Der Herzog, Ihre Compagnie, viele Ossiciere, sie alle sind ver- rathen, in die Luft gesprengt!" Fast im gleichen Augenblick kamen athemlos französische Soldaten ebne Waffen, mit den Taschentüchern in der Hand winkend, wie gehetztes Wild die Straße herunter gelaufen, die meisten sich in die Hauser flüchtend, andere wieder über die Wälle kletternd; die Ein wohner schlossen die Läden, überall hörte man Jammer nnd Geschrei, und noch Niemand hatte eine Ahnung von der Größe des Unglücks, das geschehen. Die 4. Compagnie, welche das Stadttkor besetzt batte, versuchte vergeblich, die slüchtiaen Franzosen in ihrem Lauf zu hemmen, und so wurden auch l-er noch eine Anzahl dieser Unglücklichen Opfer des köstlichen Bleies. Während sick dies auf dem Markte und an den Mauern der Stadt abgespielt hatte, war die 1. Compagnie mit dem Herzog und vielen Osficieren zur Entwaffnung in die Citadelle einmarschirt. Auf dem äußersten nach Osten vorspringenden Felsengrat liegt die geräumige, starke Citadelle. Von der Stadt trennt sie ein tiefer Graben mit Zugbrücke, dann zwei bohe Wälle, zwischen denen sich I ein zweiter, breiter und nickt so tiefer Graben hinzieht. ' Tunnelähnlicke, mit starken Eisenthüren versehene Thore Feuilleton. M-Leipzig als Ehestifter. Eine lustige Ausstellungsgeschichte von L. Glaß. Tante Minna wollte zur Ausstellung reisen. „Zwar, liebe Kinder", sprach sie, „werden solche Aus stellungen in der Zeitung immer mächtig 'ransgestrichen, und wenn man binkommt ist cs nichts, aber die Messe bleibt doch 'ne historische Sacke, die ein paar Jubiläen verdient hätte, außerdem bin ich aus Leipzig und halte cs für Pflicht, seine Veranstaltungen vor dem Deficit zu bewahren und schließlich habe ich auch Lust. Also fahre ich und lasse was draufgchcn." Der Kranz von Neffen und Nichten um Tante Minna ries einstimmig: „Nimm nnS mit, dann gebt noch mehr draus zu Leipzigs Wohl." „Aber Kinder", wehrte Tante Minna ah, die keine Kinder hatte und deshalb eine ganze Menge unberechtigter Leute so nannte, „das wird mir zu üppig — eins allenfalls" — „mich" riefen acht junge Stimmen. „Natürlich Alle! immer wollen Alle Alles, daher kommt daS ganze Elend auf Erden. Wenn schon, dann natürlich die Aelteste, der kommt es zu. Jettchen, Du wirst Weihnachten zwanzig, da kann man schon ein bischen Verstand verlangen und das Fehlende werd ich Dir von meinem Ueberschuß borgen." Jettchcn'S Angen glänzten noch etwas mehr als in Alltagsstunden, und einer der Neffen, der einzige, den man schon für voll nehmen mußte, nach Schnurrbart und Stattlichkeit, behauptete Tante Minna, müsse jetzt noch einen zweiten männlichen Gast auswählen, das verlange die Gerechtigkeit. „Ach ja", rief Jettchen, „auch den Aeltesten". Tante Minna sab Jettchen stumm und strafend an, dann sagte sie zu dem Neffen: „Franz, Du bist ein tüchtiger Mensch, Tein Chef lobt Dich und spricht von Beförderung; aber Du könntest bescheidener sein, Du drängst mir Deine Gesellschaft neuerdings geradezu auf. Versteh' mich nicht falsch — ich mag Dich gern — aber ich bin im Ganzen mehr für ge trennte Geselligkeit — rechts die Schaafe, links die Böcke; und nun vollends lobe ich mir weibliche Reisen: Damencoupe, Schaufensterbummel — so'n Stündchen von Sleckner bis Pölich, — Behaglichkeit mit Schlagsahne bei Felfche und Hennersdorf und Umgehung der räucherigen Kneipen — meine Lunge soll aushalten, so lange ich lebe. Also cs bleibt bei dem einzigen Jettchen — übermorgen um Zehn Abfahrt — guten Abend Kinder." Jettchen freute sich und sagte doch schade im tiefsten Grunde ihre« Herzens und während das Herz schade sprach, ruhte der Blick auf dem abgewiesenen Franz. — Franz aber schwenkte den Hut hinter Tante Minna drein und sagte laut und deutlich: „Es giebt neben dem Damencoups za noch ander« dergleichen, in denen ein junger Mann nach Leipzig gelangen kann. Und kurz und gut — ich habe Muth — ,ch —" DaS sang er so unternehmend, daß Jettchen .eilig Tante Minna nachhuschte. Sie wußte ja ganz genau, daß die Strophe weiter lautete: „ich liebe Dich, herzinniglich" — daS genügte ihr einstweilen. Pünktlich zwei Tage später reisten Tante und Nickte ab; ganz weiblich: Damencoupe und sehr viel Handgepäck. — Unwillkürlich ließ die Nichte ihre Blicke über den Bahnsteig schweifen, aber nirgends war eine Spur von Franz zu sehen. Also Rederei wars gewesen; Tante Minna behielt recht — von Allem, was ein Mann zu jungen Mädchen sagte, war noch kein Zehntel ernst gemeint. Beinah hätte sich Jettchen Lin Schleier über die Vergnügungsreise gebreitet, aber die Sonne lachte zu goldklar vom Himmel, und alle Leute, die da gen Leipzig fuhren, schienen voll Erwartung und Freude; also ließ auch sic den Kopf nicht hängen, sondern erwartete Freudiges. Kaum Waren sie eingesabren, so kam wenigstens etwas Unerwartete-: ein junger Mann stand grüßend auf dem Bahnsteig, sagte: „Willkommen, in Leipzig!" und faßte nach dem reichlichen Handgepäck. „I du Schlingel", rief Tante Minna, nachdem er sich so ziemlich Alles aufgeladen hatte, „ich wollte. Dich ja nicht mitnebmen." „Weshalb ick allein fuhr und die erste Kneipe hab' ich auch schon zwischen meinem und diesem Zuge abgenossen. Baarmann, wenn Dick das intercssirt, Tantchen." „Nein", antwortete Tante Minna ungerührt und eilte auf die Droschkenmarke los. Inzwischen flüsterte Franz dem erröthenden Jettchen ins Obr: „Ich bin natürlich nur Tan- tcns und der Ausstellung halber hier, außerdem aber möchte ich aufpassen, daß Euch kein Großstadtleid geschieht — also laß mich wissen, wo ihr seid, denn Tantchen, scheint mir, hat Neigung zum Schnödesein." Wirklich, Tantchen war schnöde. Kaum saß sie mit ihrer Tractirnichte in der Droschke, kaum batte Franz das Hand gepäck eingeladen, so klappte sie kräftig Len Wagenschlag zu und sagte: „Adieu, mein Junge, viel Vergnügen in Leipzig." Dem Kutscher aber rief sie: vorwärts! zu, so daß Jettchen nur noch hastig flüstern konnte: „Im Palmbaum". „Was sagst Du?" fragte mißtrauisch die Tante. „Viel Vergnügen", antwortete Jettchen und wußte kaum, daß sie log; ein glückseliges Rauschen und Brausen tönte ihr durch Kops und Herz, brandete in allen Gliedern; er war da, er war um ihretwillen da, und sie hatten ein Complot geschlossen, da» sie zusammenstellte und alle anderen Men schen, selbst die spendesrohe Tante Minna, im Gegensatz zu ihnen. Deshalb war Jeitchen fröhlich, obgleich die Tante Minna Franzen zudringlich nannte, und blieb es auch im Laufe des Tage-, als seine Findigkeit und Beharrlichkeit Tanten- Laune in Essig verwandelte. Als die Damen vor den Gasthof traten, siehe, da stand Franz; als sie eine Stunde lang von Steckner bis Pölich wanderten, wanderte er mit — geduldig, ja — aber er zog Jettchen ab. Wenn die Tante ein Cape lobte, starrte die Nichte ein Jacket an, wenn die Tante grüne Töne nett fand, sagte die Nichte: „ach ja, roth ist die schönste Farbe von allen"; wahrscheinlich, weil die ganze Welt rosenroth sie anlachte. Tas war verdrießlich für Tante Minna, die was drauf gehen lassen wollte, aber dafür doch auch eine gewisse Be achtung beanspruchte. Sie überschlug Hennersdorf und drängle nack der Ausstellung; in der Ausstellung wurde cS fast noch schlimmer. Sobald sie sich recht genußsroh in etwas versenkte, verschwanden die Beiden um irgend eine Ecke, und wollte sie sich mittheilen, so stand sie allein zwischen Banausen. Der Mitthcilung willen hatte sie das Jettchen mit, nicht daß ein rosiges, lächelndes, irgendwo durch die Lüfte der Phantasie gaukelndes und schaukelndes Frauenzimmerchen neben ihr stehe. Gott sei Dank, daß dies Ding wenigstens am Seile ihres Portemonnaies festgehalten wurde, wie der Fesselballon dort hinter der Halle — ganz fest. Jettchen besaß nichts und Tante Minna batte ihr Aussteuer, oder im besseren Falle des Ledigblcibens, die große Hälfte ihrer Hinterlassenschaft zngesprochen. Ter Käfer hing fest. Als Tante Minna sich in der Deutsch-ostafrikanischen plötzlich einem Zähne bleckenden Schwarzen allein gegenüber sah, was ihr Herzklopfen machte, nnd Jettchen kurz daraus einen Thecstrauch Theerose nannte, wurde die Mißhandelte energisch. „So! nun will ich Euch mal was sagen: ich bin zu meinem Vergnügen nach Leipzig gereist und wenn ihr euch jetzt nicht um mich kümmert, jag ich den Franz endgiltig fort — ein feinfühliger Mensch wäre längst von selber gegangen." Eine Viertelstunde lang half es, Tante Minna wanderte zwischen zwei aufmerksamen jungen Menschen dabin, was Franzen eine Mittagscinladung eintrug. Sie setzten sick zusammen in eine Laube des Restaurants, aßen und tranken, und sahen schwärmend in die steigenden und fallenden Wasser der Fontaine. Dabei kam eine unglaublich behagliche Nachtischstimmung über sie; Tante duselte beinahe und die beiden jungen Men schen kamen in ein weltvergcsscndcS Geflüster. AuS dieser Paradiesstimmung fanden sie sich nickt wieder heraus, auch als eS nachher weiter ging zu neuen Tbalen. lind da im Paradiese Adam und Eva allein waren, kam die Tante als Nummer drei wiederum zu kurz. In Alt-Leipzig war-, wo ihre Geduld völlig zu Ende kam. Sie wollte Jettchen auf dem Markt etwas Nettes kaufen, als sic aber dreimal ohne Antwort gefragt hatte: „Gefällt Dir daS?" da brach eS los. „So? ich bezahl, ich traclir, ich schenk und der aufdring liche Mensch hatS Plaisir? Jetzt gehst Tu und kommst nicht wieder — keinesfalls! sonst bist Du mein Neffe gewesen — Sie nenn ich Dich! und Du Jettchen bist vergnügt, sehr vergnügt! ich bezahl' Tein Vergnügen, und wenn Du jetzt etwa wirklich heulst, dann, kann nenn ich den Franz erst recht Sie!" Franz batte schon Jettchcn'S Hand zu so festem Druck ergriffen, daß sie am liebsten anfgeschrieen hätte — aber das Weinen verging ihr dabei. Ter Druck sagte: Hab' guten Mntb, eS wird Alles gut, und wenn sie auch durchaus nickt einsab, wie, so glaubte sie diesem Druck dock unbedingt. Darauf küßte Franz Tante und Jettchcn'S Fingerspitzen und sagte etwas zu feierlich: „Ich gehe, auf Deinen Befehl, willig, aber schuldlos, und zwar gehe ich in Auerbach's Keller, falls Ihr mich sucht — nicht doch, damit Ihr mich nicht etwa aus Versehen wiederfindet." Weg war er; Tante sah ihm gallig nach. „Ein zudring licher Mensch und macht auch noch Witze, wenn ich böse bin. Nein, ich lobe mir bescheidene Zurückhaltung unter allen Um ständen, besonders bei jungen Männern. Und jetzt sehen wir unS das Theater an von Anno dazumal — und lachen! wir lacken unbedingt, auch wenn- schlecht ist! er soll nicht etwa denken —" „Die verlorne Nadel" begann — nun, das lachte sich ja ganz von selber — es war zwar anders, als man sich das Theatervergnügcn ungewohnt batte, aber lustig waren diese derben Schwänke, von einer friscken, kräftigen Lustigkeit, wie Märzwind, ter auch gern aller Orlen Schabernack treibt. Das Lachen der beiden, von Zudringlichkeit verfolgten Frauen klang ganz echt vom Herzen heraus. Später aber kam ein Stück, da wurde ihnen das Lachen knapp. DaS Jungfcrnnest hieß eS, und vier alte Wesen drängten und rissen sich mit HeirathSgelüsten um einen Lands knecht, dem mehr nach gutem Essen als nach einem Eheweib zu Mulde war. Tante Minna äugle seitwärts, waS wohl die Nichte für ein Gefickt mache zu dem Spiel, daß ihre Weisheit von vorhin so recht all absurdum zu führen schien. Ernsthaft und nachdenklich sah sie auS, natürlich. Als der Schwank zu Ende kam und ringsum daS Bravo der männlichen Lackcr erklang, stand die Tante plötzlich auf. „Ich habe genug. Zudringliche Männer sind nicht sckön, aber zudringliche Frauen sink schlimmer; überhaupt, gewisser maßen ist es tas einzig Richtige, wenn der Mann hinter der trein läuft, die er haben möchte. Was meinst Tu, Jcttckcn?" Jettcken meinte eine ganze Menge, aber sie schwieg. „So? Das meinst Du? Nun — ich habe genug von der Weiberverspottung, ich gehe in Auerbach's Keller." Eine Feuerfahne schlug Jettchen über'S Gesicht. Du willst — wir wollen —" stammelte sie. „Ja wohl, ich will — er will", antwortete Tante Minna mit Nachdruck. „Jetzt will ich und bei dem Schwankmacher da oben kannst Du Dich dafür bedanken." Mil Schritten, beinah so lang wie die der beiratbSlustigen Alten oben auf der Terrasse, eilte sie Auerbach's Hof zu, wo Franz bisher an einem AuSguck gesessen hatte um sick wenigstens am Anblick der Herzallerliebsten zu freuen. Als die Tante beranstürmte, zog er sich tiefer in den Keller zurück, wenig Minuten später standen ihm dort beide gegenüber: die Nichte etwas roth, die Tante etwas athemlos, aber doch gut bei Stimme, als sie sagte: „Da hast Du sie, Franz, mit- sammt meinem Segen und meiner Aussteuer. Cs ist vielleicht immer noch besser, sie wird Deine Frau als eine alte Jungfer — man kann nicht ganz genau vorher wissen, wie Eine sich dabei benimmt." DaS zweifelhafte Zutrauen Tante Minna'S konnte die Glücksstimmnng der Beiden nickt stören, sie umarmten sich mitten in Auerbach's Keller und e» war ihnen ganz gleichgiltig, daß die Schwestern Barrison von ihrem Besenstiel lachend auf sie herabschauten.
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