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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.09.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-09-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970914010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897091401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897091401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-09
- Tag1897-09-14
- Monat1897-09
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Denn die gegenwärtigen Mißstände geben den in der Praxis stehenden Juristen, von denen die Reform bewegung in der Hauptsache getragen wird, täglich neue Gelegenheit, neuen Anreiz und neue Argumente, die sie fach schriftstellerisch in den Dienst der Reformideen stellen können. So ist jüngst aus der Feder des Landrichters A. Borzi in Aurich eine Schrift erschienen, die sich mit der „Reform der Unter suchungshaft" beschäftigt. (Verlag von H. M. Markus, Breslau.) Ter Verfasser beschränkt sich nicht auf die ja auch Wohl schon er schöpfend behandelte Frage der Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft, sondern erörtert auch in ein gehender Weise, daß und wie Rechtsgarantien zu schaffen seien dagegen, daß die Untersuchungshaft verhängt werde auch da, wo die Zwecke der Untersuchung sie gar nicht er fordern. Daß diese Fälle sich in der Praxis ständig wieder holen, daran trägt das Gesetz in viel höherem Maße die Schuld als der Richter, weil es ihn überall in die Ver suchung führt, über die Nothwendigkeit der Anordnung der Untersuchungshaft zu befinden, ohne daß er über die Gründe hierzu in genügender Weise sich klar zu werden und in eine hinreichende Abwägung des Für und Wider einzutreten braucht. Denn daS Gesetz verlangt keine irgendwie detaillirte Angabe von Gründen, sondern begnügt sich damit, daß ent weder „festgestellt" wird, daß der Angeschuldigte „mit Rücksicht auf das Vorliegen eines Verbrechens der Flucht verdächtig erscheint" oder „Thatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, daß der Angeschuldigte Spuren der Thal vernichten oder daß er Zeugen oder Mitschuldige zu einer falschen Aus sage oder Zeugen dazu verleiten werde, sich ihrer Zeugniß- pflicht zu entziehen." Eine solche „Begründung" ist doch gar zu bequem, weil sich das Gericht darüber gar nicht zu äußern braucht und sich regelmäßig auch nicht äußert, welche concreten Thatsachen zu seiner Kenntniß gekommen sind, die den Verdacht rechtfertigen, daß der Angeklagte durch Flucht der Untersuchung sich entziehen oder Zeugen ünd Mitschuldige in unerlaubter Weise beeinflussen würde. Wir halten zwar die von Bozzi vor geschlagenen Ersatzmittel wie Hausarrest und Entfernungs verbot als für den Untersuchungszweck ungenügend und undurchführbar, müssen aber mit ihm die Forderung auf stellen, daß das Gesetz den Richter nöthigt, die Noth wendigkeit der Untersuchungshaft eingehend zu begründen, einmal deshalb, weil hierdurch der Richter zu gewissenhafterer Abwägung der für und gegen die Untersuchungshaft sprechenden Gründe geführt und zweitens deshalb, weil dem Angeschuldigten Lurch Bekanntgabe dieser Gründe die nothwendige Handhabe gegeben wird, in der Beschwerde-Instanz die Gründe für die Untersuchungshaft zu entkräften. „Wer", fragt Bozzi mit Recht, „stellt den durch die Hast geschädigten Ruf des An geklagten wieder her? Wer ersetzt ihm seine geschädigte Gesundheit? Wer giebt ihm sein Familienglück und seinen Erwerb zurück, nachdem sich die Kundschaft von ihm ab gewandt? Wer entschädigt ihn endlich für die seelischen Qualen, die er im Gesängniß erduldet?" Genau dieselben Mißstände, möchten wir unsererseits hinzufügen, treten in vielleicht noch höherem Maße auf einem anderen Gebiete unseres Strafverfahrens zu Tage, nämlich bei der Beschlußfassung über die Eröffnung des Hauptverfahrens, die darüber entscheidet, ob daS Verfahren wegen ungenügender Verdachtsgründe einzustellen oder ob der Angeschuldigte in öffentlicher Gerichtsverhandlung vor die Schranken deS erkennenden Gerichts zu stellen sei. Steht isier für den Angeschuldigten viel weniger auf dem Spiel? Ist sein Ruf und sein Familienglück weniger gefährdet? Ist die seelische Qual, auf dem exponirten Posten der Anklagebank zu stehen, geringer? Auch wenn er hinterher reigesprochen wird: aliguiä semxer Hasret! Und welches ind die Garantien dafür, daß in dein Beschlüsse darüber, ob das Hauptverfahren zu eröffnen sei oder nicht, das Richtige getroffen wird? Auch hier bedarf eS der Angabe keiner' weiteren Gründe, als daß der Angeschuldigte „hin reichend verdächtig" erscheine, lieber das „warum?" darf ich die Beschlußkammer ruhig ausschweigen und sie thut es auch in 99 von 100 Fällen. Eine schriftliche Würdigung des Beweis materials wird nicht verlangt. Und das Merkwürdigste an der Sache ist, daß das Gesetz hierbei noch insofern Sonne und Wind ungleich vertheilt, als sie wohl der Anklagebehörde ein Beschwerderecht giebt, wenn das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnt, dem Angeschuldigten dasselbe aber versagt, wenn es dieselbe beschließt. Was Bozzi als noth- wendig zur Vermeidung eines Fehlbeschlusses bezüglich der Anordnung der Untersuchungshaft bezeichnet, nämlich daß in kontradiktorischer Gerichtsverhandlung über dieselbe zu befinden sei, möchten wir auch für die Beschlußfassung über die Er öffnung des Hauptverfahrens mit der Maßgabe fordern, daß eine solche mündliche Verhandlung auf Verlangen des An geschuldigten stattzufinden habe. Die Justiznovelle ist für diese Legislaturperiode tobt. Daß sie aber in dieser oder jener Form in der nächsten Periode wiederkommt, erscheint angesichts einer Reihe schwerer, durch das Gesetz geschaffener Mißstände, unausbleiblich. Und des halb ballen wir eS für eine sittlich-ernste Pflicht ver Presse, der Reformbewegnng nach Möglichkeit Vorschub zu leisten, das Volk über die Quellen der von ihm empfundenen Fehler unserer Strafrechtspflege aufzuklären und dem künftigen Reform werke in der öffentlichen Meinung die Wege zu ebnen. Die Armeesprachl im österreichisch-ungarischen Heere. Zur theilweisen Heranbildung der Ofsicicrc der ungarischen, aus 28 Infanterie-Regimentern mit zusammen 94 Bataillonen und aus 10 Husaren-Regimentern bestehenden Landwehr (Honved) diente bisher die Lu dowica-Akademie in Pest, in der in vier Jahrgängen 360 Zöglinge ausgebildet wurden. Ein großer Tbeil der Honvedofficiere aber ergänzte sich aus den Einjährig-Freiwilligen der ungarischen Linien-Rcgimcntcr und aus freiwillig von der Linie zur Landwehr übertretenden Ofsicieren. Die aus den ungarischen Linien-Regimentern stammenden Ofsiciere waren sämmtlich der deutschen Sprache mächtig, da in den Linien - Regimentern das Deutsche als Dienstsprache gilt, oder da sie auS den nach deutschen Grundsätzen geleiteten Cadettensckulen hervorgingen, während bei den gesummten Landwehrtruppcn die ungarische Sprache die Dienstsprache bildet. Dieses war dem ungarischen Volke schon längst ein Stein des Anstoßes, und es ist nun den jahrelangen Bemühungen der ungarischen Volksvertreter gelungen, auch für die Landwehr vollständig unabhängige Einrichtungen zu schaffen. Im österreichischen Verordnungsblatt für das kaiserliche und königliche Heer vom 7. August d. I. wird ein Gesetz veröffentlicht, demzufolge die bestehende Ludowica-Akademie in 3 Jahrgängen je 100 Zöglinge auS- stldet und überdies noch 2 ungarische Landwehr-Cadetten- chulen mit 4 Jahrgängen zu je 100 Zöglingen errichtet werden, sowie endlich als Vorbereitungs-Anstalt für die Ludowica-Akademie eine ungarische Landwehr-Oberrcalschule mit 3 Jahrgängen zu 50 Zöglingen. In die Landwehr- Oberrcalschule und in die Cadetlenschulen werden Knaben im Alter von 14 bis 16 Jahren ausgenommen, die die unteren 4 Elasten einer Bürgerschule — ohne Deutsch und ohne Latein — absolvirt haben, in die Ludowica-Akademie aber solche im Alter von 17 bis 20 Jahren, die die oberste Elaste einer Mittelschule durcbgcmacht haben, und es sind somit die Anforderungen an die Schulbildung nach deutschen Be griffen äußerst geringe. Alle Zöglinge müssen in den Ländern der ungarischen Krone heimatbsberechtigt sein. Die Zahl der in der Ludowica-Akademie vorhandenen StistungS l§rei-)Stellen wird um 25 vermehrt und es werden für die Oberrealschule 20 freie Staatsstellen gewährt. Bei Errichtung dieser neuen Officiers-Bildungsaustalten scheut Ungarn keine Kosten, und es sind für die nöthigen Bauten 2pr Millionen Gulden bewilligt, die in 60 jährlichen Tilgungsraten in den Haushalt der ungarischen Landwehr eingestellt werden, während zur Ausstattung 420 000 sl. bestimmt wurden. Während bisher jährlich nur 90 Ofsiciere aus der Ludowica-Akademie als Ofsiciere in die Landwehr übertraten, werden jetzt im Jahre 300 junge Leute auS nur unga rischen Anstalten hervorgehcn, und es ist hierdurch der gesammte Ersatzbedarf der Landwehr gedeckt, ein weiterer wichtiger Schritt zur vollen Unabhängigkeit deS unga rischen Heeres ist gemacht. Da in diesen Ofsicier- Bildungsanstalten der Landwehr — entgegen den in Ungarn befindlichen Eadettenschulen des gemeinschaftlichen Heeres — die Unterrichtssprache ungarisch ist, so wird sehr bald die verhaßte deutsche Sprache aus den ungarischen Landwehrtruppen v o l l st ä n d i g verschwunden sein, und cs gilt alsdann vor Krönung des Werkes nur noch den letzten Schritt zu thun, nämlich die deutsche Sprache auch aus den ungarischen Linienregi- mentern zu verdrängen, wo sie jetzt schon nur noch schwache Wurzeln bat. Zwar ist bei allen Truppen des gemein- schäfklichv» Hecrec' die Eo mm and o spräche deutsch, es verstehen also die Soldaten aller Völkerschaften die deutsch gegebenen Eommandos: da aber nicht wie in Preußen ein hoher Werth aus die Erlernung der deutschen Sprache auch durch die Mannschaften gelegt wird, so sind diese im großen Ganzen der deutschen Sprache nicht mächtig, und meist erhält man von den ungarischen, böhmischen, slova- kischen n. s. w. Soldaten auf deutsche Fragen nur die Ant wort: „Nix deutsch, Magyar" u. s. w." Auch bei den Unter ofsicieren ist eS in Folge ihrer kurzen Dienstzeit Wohl nicht besser bestellt, und nur die wenigen älteren Unterossiciere sind auch des Deutschen mächtig. Die Ofsiciere des gemein schaftlichen Heeres aber müssen einer zweiten Sprache mächtig sein, und diejenigen Ofsiciere, die innerhalb eines Zeitraumes von 3 Jahren die Regimentssprache nicht er lernt haben, werden von der Beförderung ausgeschlossen. Welch ungemeiner Gefahr im Falle eines Krieges das gemeinschaftliche Heer sich aussetzt, wenn allmählich die Kenntniß der deutschen Sprache aus den Reiben verschwindet, liegt, so schreibt die „Köln. Ztg ", klar am Tage, und cs zeigt sich diese auch jedes Jahr bei denjenigen großen Truppen übungen, bei denen deutsche und ungarische Truppen zusammen üben. Hier kommt es sehr häufig vor, daß die dringendsten Meldungen oder Befehle von den Ofsicieren der anders- 'prachigen Truppen nicht verstanden werden, und eS er eignete sich u. A. bei den großen Kaisermanövern in Ungarn im Jahre 1893, daß österreichische Batterien infolge nicht verstandener Befehle viel zu spät in Thäligkeit traten. Im Kriege, im Gefechte hat man keine Zeit, noch Dolmetscher zu Rathe zu ziehen, die Minuten sind kostbar, ein mißverstan dener Befehl, eine schlechte Meldung kann über das Schicksal des Tages entscheiden. Die ungarische Landwehr ist dazu bestimmt, im Kriege neben den Truppen der Linie im Verbände des Eorps zu fechten, zu allen Landwehrtruppen- Divisionen treten überdies Batterien der Linie, da lassen ich Mißverständnisse nicht vermeiden, wenn keine gemeinsame Heeressprache besteht. Wenn von den deutschen Ofsicieren, die in ungarischen oder böhmischen und anderen Regimentern dienen, mit voller Berechtigung die Beherrschung der Regimentssprache verlangt wird, so müssen andererseits die sämmtlicben Ofsiciere und Unter- officiere aller Truppentbeile des großen Heeres der deutschen Sprache mächtig sein, wenn nicht das Heer gefährdet werden soll. Leider hat man dies in den letzten Jahren im Reichs- Kriegsministerium außer Acht gelassen, und während die Verfassungsgesetze der einzelnen Lande im Verkehr der Be hörden den Gebrauch beider Sprachen verschrieben bezw. im schriftlichen Verkehre nöthigenfallS die Uebersetzung in die deutsche Sprache, bat das ReickS-Kriegsministerium schon im Jahre 1893 aus Anlaß eines Streitfalles zwischen einer ungarischen Landesbehörde und einem höheren österreichischen Truppencomniando leider dahin nacbgegeben, daß den ungarischen Behörden der Schriftverkehr mit den öster reichischen Truppencommandoö in ungarischer Sprache gestattet wurde. Heutzutage weisen ungarische Be hörden deutsche Schreiben einfach zurück; wohin ein solches Verfahren im Kriege führen muß, ist klar: zur Ge fährdung des HecreS. Wenn jetzt durch Errichtung rein ungarischer Ossicier- bildungsanstalten ein weiterer Schritt auf der schiefen Ebene gethan wird, so wird wieder ein Stein der Grundfesten des gemeinschaftlichen Heeres, aber auch ein Stein des Hauses Habsburg gelockert werden. Heute noch verbindet die deutsche Sprache die Völker des österreichischen Heeres, deutsche Bildung und Gesittung haben Jahrhunderte lang die ver- scbiedcnsprachizen Stämme zusammcngebalten und ihnen die Richtung gegeben zum Wohle des gejammten Reiches. Die widrigen Vorgänge, die sich gegenwärtig in Böhmen abspielen, zeigen die Gefahr, die auch dem Heere droht, wenn cs daS alle umschlingende deutsche Band lockert. Langsam vollzieht sich auch im ungarischen Heere die LoSreißung von deutscher Sprache und deutscher Gesittung, und bald wird, wenn cs so fortzeht und wenn nicht eine starke Hand hier „Halt" gebietet, nur noch der Mann fehlen, der sich an die Spitze stellt. Heute noch hält der ritterliche Kaiser Franz Joseph Heer und Reick zusammen, mit inniger Verehrung blicken die Regimenter, wenn der Kaiser und König, an ihren Fronten berabgesprcnzt, zu dem Kaiser auf, der mit der Geschichte des Kaiferstacnes so innig verknüpft ist, der in nahezu fünfzigjähriger Regierung Freude und Leid mit seinen Völkern getragen bat und der auf den Schlachtfeldern Italiens inmÄten seiner Truppen im Feuer stand. Wird der jugendliche Thronfolger die Kraft haben, da immer lockerer werdende Gefüge zuscunmenzuhalten? FerriHetsn. Aus der Hunstliteratur. Der von uns in einem früberen Berichte*) gekennzeichnete bemerkenswerthe Aufschwung der Kunstliterakur hält nicht nur an, sondern tritt immer sichtlicher und bedeutender zu Tage. In jüngster Zeit wirkt als ganz besonders an spornendes Moment in dieser Richtung der Umstand, daß unsere Kunst sich nicht mehr auf die „große Kunst", in erster Linie also ans die Malerei nnd Bildhauerei, beschränkt, sondern sich immer entschiedener der Kunst des praktischen Lebens, dem Kunstgewerbe, zuwcndet. Die neue Kunstmöbel- Tischlerei, die Buchausstattung, die moderne Tapete, die Kunsiwebereien — man denke an die Arbeiten der Scherre- beker Schul«! —, die Möbelstoffe, die Porzellan- und GlaS- kunst, das Placat, — all' diese und zahlreiche andere Zweige deS neuen Kunsthandwerks gehen ersichtlich einer großen Zukunft entgegen, und es unterliegt kaum einem Zweifel, daß auch unsere Künstler dem Beispiele ihrer englischen und französischen Genossen folgen und in größerer Zahl sich kunstgewerblichen Entwürfen und Arbeiten znwenden werden, wie eS Obrist, Eckmann, Mohrbuttrr, Köpping, Gcyger u. A. m. bereits gethan haben. Durch diese Bewegung aber wird die Stellung unseres Publicum» zur Kunst nothwendiz völlig verändert. Stand sie ibm bisher als eine Begleiterin deS Reicktbum» und als Mit arbeiterin an der monumentalen Architektur im Ganzen doch ziemlich fern, so sieht auch der in einfachen LebenSverhältnissen stehende Bürger jetzt die Aussicht vor sich, daß die Kunst in sein eigene- Heim eintritt, eS auSschmückt, ja mehr als da-: eS gestaltet. E» besteht die begründete Hoffnung, daß wieder, wie in den Tagen der hellenischen Eultur und denen der Renaissance, di« Kunst zu einem festen und unablösbaren Bestanvtheile der allgemeinen Lebensführung wird. So sind die Aussichten der Kunst literatur, sich ein große- Publicum zu erobern, ganz erheblich gestiegen, zugleich aber entsteht ihr auch d'e Aufgabe, die >unge Bewegung richtig zu erkennen, sie zu fördern, sie mit dem Publicum durch Freimuth und Belehrung nach beiden *) Nr. 116 d«S „Leipz. Tagebl." vom 5. März d. I. Seiten hin — an die Künstler wie an daS Publicum — in Verbindung zu setzen nnd zu halten. Es muß im wohlverstandenen Interesse der deutschen Kunstliteratur offen ausgesprochen werden, daß sie diese Aufgabe noch nicht klar erfaßt und zielbcwußt in An griff genommen hat. Als eine Ausnahme muß in ge wissem Sinne der von Georg Hirth heraus gegebene „Classische Formenschatz" gelten. Hirth, der geistvolle und scharfdenkende Verfasser der eben in einer neuen (zweiten) Auflage herausgekomniencn „Aufgaben der Kunstphysiologie", war wohl einer der Ersten bei uns, der die beginnende kunstgewerbliche Bewegung richtig verstanden und zu ihr Stellung genommen hat. Der „Formen schatz" basirt auf dem Gedanken, daS Kunstgewerbe der Ver gangenheit im unmittelbaren Zusammenhänge mit den anderen Künsten zu zeigen, und eS haben die zahlreichen in diesem Werke veröffentlichten Blätter unzweifelhaft viel dazu bei getragen, daß sich bei uns das unsere neuere Kunst kenn zeichnende historische Ctilverständniß entwickelte. Es wäre jetzt vielleicht an der Zeit, vaß daS Unternehmen die Gegen wart in seinen Kreis hineinzöge und auch hervorragende Arbeiten des modernen in- und ausländischen Kunst gewerbes publicirte. Stoff bierzu wäre ja in Menge vorhanden und es würde diese Neugestaltung dem verdienten nnd mit Recht geschätzten Unternehmen gewiß zahlreiche neue Freunde zusühren. Was unsere Kunst zeitschriften angeht, so nimmt ja die altbekannte „Zeit schrift für bildende Kunst" (Leipzig, E. A. Seemann) insofern eine besondere Stellung ein, als sie von Hause aus einen wissenschaftlichen, wenn auch nicht fachlichen Charakter trägt; und das gilt ebenso für daS mit ihr verbundene „Kunstgewerbeblatt". So finden sich hier sehr werth volle Studien aus dem Gebiete der Geschichte der Kunst — wie neuerdings Justi'S höchst geistreiche nnd weitgreifende Arbeit über den kretischen Maler Domenico Greco — und des Kunstgrwerbe«, die man anderwärts bei uns vergeblich suche» würde. ES ist erklärlich, daß auch im modernen Kunstgrwerbe die Zeitschrift den Arbeiten einen gewissen Vorzug giebt, die an das Historische anknüpfen, und den Versuchen, in denen der Geist unserer Zeit, oft noch un sicher tastend, seinen eigenen Weg sucht, nur beschränkte Aufmerksamkeit widmet. Immerhin bat die Entwickelung der Plakatkunst und des neuen Stils in der Ornamentik Be achtung gefunden, wie andererseits von Malern der geniale Ludwig Dill in München und der begabte, aber noch suchende Ludwig Dcttmann in Berlin in reich illustrirten Aufsätzen gut behandelt worden sind. Ein Vorzug der „Zeitschrift für bildende Kunst" ist ihre stete Pflege der Radirung, der sie manches junge Talent zugesührt bat. Nun bat sie ihren langjährigen hochverdienten Leiter Earl von Lützow durch Len Tod verloren. Wer sein Nachfolger wird, ist noch nicht bekannt geworden. Möchte cs dem Verlage gelingen, eine Kraft zu finden, die mit Liebe und Vcrständniß für unsere künstlerische Vergangenheit einen offenen Blick und Interesse für die Bestrebungen der Gegenwart in der Kunst vereint. Unsere ausschließlich modernen Knnstzeitschriften stehen im Allgemeinen noch immer auf dem Standpunkte, Len Werken der „angewandten Kunst" eine untergeortnete Stellung an- zuweiscn und ihnen nur gelegentlich nnd ausnahmsweise ein Theilchen ihres Raumes einzuränmen. Hoffentlich ist eS ein Anzeichen der Ucberwindung Lieser Anschauung, daß die Hansstängl'sche „Kunst unserer Zeit" jüngst einen mit zahlreichen Illustrationen — leider nur kleinen Antotvpicn im Texte — versehenen Artikel über das moderne Placat auö der Feder von I. L. Sponsel in Dresden brachte, bei welcher Gelegenheit dieser unterrichtete Verfasser übrigens ein größeres Werk über diesen Gegenstand angekündigt bat. Gerade die „Kunst unserer Zeil" würde sich bei den großen künstlerischen Mitteln, die dem Verlage zur Verfügung stehen, ein entschiedenes Verdienst er werben, wollte sie sich des modernen KnnstgewerbeS textlich wie illustrativ mit ganzer Energie annehmen. Welch' reicher Schatz köstlicher Arbeiten harrt hier noch der Mittbeilnng an weitere Kreise und der Verwendung durch deutsche Kräfte! Es sei nur an die färben nnd formcnschönen Tapeten und Möbelstoffe Englands, an die entzückenden Porzellane Kopen hagens, an die französischen Arbeiten eines Earabin, Jean Dampt, SelmerSbcim, an die neu entstehende Kunst deS Bucheinband» (England, Dänemark) erinnert. Bei unS liegen all' diese Tinge noch in den Anfängen; wer aber diese An fänge sorgsam verfolgt, bemerkt, zu wie großen Hoffnungen sie berechtigen. Nur muß das Publicum für sie interessirt werden; sollte sich hierfür unter den so rührigen deutschen Kunstverlegern kein Dalberg finden? Für den Augenblick müssen wir unö vom Auslande ge schlagen bekennen. Die in London erscheinende Monatsschrift „The Studio" ist fast ein Ideal der Kunstzeitsckrift, wie wir sie gegenwärtig brauchen. DaS zu Tode gehetzte Wort vom Ausfüllen einer Lücke — hier trifft cs einmal ganz zu. lnd es darf als eine Bestätigung unserer Auffassung von den Ausgaben unserer Kunstliteratur gelten, daß „The Studio" einen ganz außerordentlichen, die Grenzen Englands weit überschreitenden und in der Geschickte der Kunstzeit christen wobt noch nickt dagcwesenen Ersatz gefunden bat. Tas Geheimniß dieses Erfolge» liegt zunächst in dem Grnnd- atze, den der Nebentitel der Zeitschrift ,,.V Naxariue c>t b'iuo null .Lpplieck ^rt' offen bekennt. DaS Kunstgewcrbe ist ganz in seinem Reckt anerkannt; die kunsthandwerklicken Bestrebungen aller Länder werden so sorgfältig verfolgt, daß z. B. Berner'S bemerkenSwerther, jetzt in München aus gestellter Theekessel ebenso bald in dieser Londoner Zeit schrift wie in Deutschland abzebildet erschien. „Tbc Studio" hat es sich zur Aufgabe gemacht, die kunstgewerbliche Bewegung in England zu pflegen; eS ist sich klar darüber geworden, daß in dem großen Kampfe um den Weltmarkt aus vielen Gebieten schließlich die Nation siegen wird, deren Waaren ein künstlerisches Gepräge tragen, und daß daher diese künstlerische Bewegung auch cine eminent wirthsckastlicke Bedeutung bat. mark tliis! Ein sehr geschicktes Mittel ist die Ausschreibung zahlreicher, besonders kunstgewerblicher PrciSconcurrenzcn durch die Zeitschrift, die so Bewegung und Interesse ins Publicum trägt und neue Anregungen ver anlaßt; manche dieser Bewerbungen haben, z. B. für Bucheinbände, sehr hübsche Diteltantenarbeiten gezeitigt. Auch für die tiuv beachtet „Tbe Studio" den Satz, daß die Kunst, mit dem Wallensteinischen Wachtmeister zu reden, sich immer neu gebären muß. So finden wir hier neben Arbeiten über neueste englische Maler (die übrigen» immer nur von Neuem beweisen, daß die eigentlich englische Malerei der Manier verfällt) Aussätze über den markigen Italiener Segantini, den stimmung-tiefen norwegischen Land schafter Fritz Thaulow, ja sogar über unseren Han« Thoma (auS Singer» Feder); und das letztere ist doch in Rück sicht auf Tboma'S specifisch deutsche Kunst febr ancrkennen«- werth. Nimmt man hinzu. Laß dieser reiche Jnbalt in jeder Hinsicht geschmackvoll geboten wird, der illustrative Tbeil mit großer Sorgfalt behandelt ist und der Prei» jedes Heftes 1 Schilling beträgt, so wird der Erfolg de» „Studio" erklärt sein, und unsere deutschen Kunstzeit schriften werden fick nicht wundern dürfen, wenn die Ver breitung des englischen Eoncurrenten auch in Deutschland schnell zunimmt.
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