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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.09.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-09-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970915021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897091502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897091502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-09
- Tag1897-09-15
- Monat1897-09
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Jndeß auch so gewährt der Be richt einen tieferen Einblick in daS Getriebe der Umsturz bewegung, tief genug, um die bürgerlichen Parteien, soweit sie wirklich von der Notwendigkeit einer ernsten Abwehr durchdrungen sind, wieder einmal an ihre Pflichten zu erinnern. DaS erste Capitel, „Allgemeines" überschrieben, be schäftigt sich mit der Organisation. Die Geschäfte der Partei werden, seitdem vor ungefähr zwei Zähren die Parteileitung als „politischer Verein" aufgelöst wurde, von einem provisorischen geschäftsführenden Ausschuß in Hamburg geführt. Der nächste Parteitag soll daher, nachdem inzwischen die Gerichte die wegen Uebertrelung deS Vereinsgesetzes an geklagten früheren Vorstandsmitglieder freigesprocheu haben, wieder den alten Parteivorstaud wählen. Außerdem wird überhaupt in Hamburg die Organisationsfrage „einen breiteren Raum einnehmen", weil, wohl in Folge der vor einigen Jahren durchgefübrten Tecentralisation, die Partcimaschinerie nicht mehr ordentlich functionirt hat. So sind die Partei orte mit der Anzeige der Vertrauensmänner säumig geworden und nur ein verschwindend kleiner Thcil der Vertrauens männer hat, trotz eines ihnen übersandten Formulars, die Berichte au die Centralleitung geschickt, die ihnen noch von dem letzten Golhaer Parteitage zur Pflicht gemacht worden waren. Weiter wird versichert, daß die Partei, da allerorts die Candidarenfrage geregelt sei, stündlich den Aufmarsch beginnen könne. Zum Schluß wird dann die Betheiligung an den preußischen Landtagswahlen dem Parteitage zur Entscheidung überwiesen. JmUebrigen bekundet dieses Eapitcl, daS sehr flüchtig über die völlig versumpfte „Existenzfrage der Partei", die „Landagitation", hinweggebt und sich mit nichtssagenden Worten über die Erlasse des preußischen KriegSministcriums gegen die socialdemokratische Heeresagitation äußert, daß das letzte Jahr ein Jahr der Stagnation war, außerdem aber, wie wenig dir Social demokratie sich durch die Vereinsgesetzgebung gehindert fühlt und wie thöricht es ist, den bürgerlichen Parteien, welche in der Umgehung des Gesetzes ein Unrecht erblicken müssen, die Bewegungsfreiheit zu erschweren, in der irrigen Erwartung, durch das Verbiudungsverbol die sccialistische Untcrwühlung eindämmen zu können. Von besonderem Interesse ist daö Capitel „Wahlen", wobei zunächst die Nachwahlen zum Reichstage behandelt werden, die aber nur vereinzelt gegen 1893 einen gering fügigen Stimmenzuwachs, in Wiesbaden dagegen sogar einen Rückgang von I lOO Stimmen aufwcisen. Bessere Geschäfte bat die Partei in dem letzten Jahre bei einzelstaatlichen Land tagswahlen gemacht. So wurden in Gotha sieben Mandate gewonnen, so daß jetzt acht Sccialdemokraten in der Gothaer Kammer sitzen; in Hessen wurde ein Mandat ge wonnen. Auch in einzelnen Gemeinden, wie Köpenick bei Berlin, ElmShorn in Holstein, Gräfralh bei Solingen und Grabow und Bredow in Pommern, in Mannheim und a. O. hat die Socialdemokratie in der Gemcindever- N etung Fortschritte gemacht. Mit begreiflicher Genugtbnung verweist dann die Parteileitung auf die Erfolge bei den Ge werbegerichtswahlen,die einen großen Theil der Gewerbe gerichte namentlich in großen Städten dem socialdemokratischcu Einfluß überlieferten. Mehr noch als bei den Wahlen zu den Vertretungskörperschaften ist aber hierbei in dem ver flossenen Jabre zu Tage getreten, wie zweifelhaft es um die Erfolge der Socialdemokratie bestellt sein würde, wenn ihnen die staatserhaltenden Parteien mit entsprechender Energie auch nur in Bcthätigung ihrer staatsbürgerlichen Pflichten entgegenträten. Besonders lehrreich ist die Uebersicht über die Presse und den Cafsenbe richt des Parteivorstandes. Aus der Preßrevue ergiebt sich, daß die Gesammtzahl der politischen Blätter gegen das Vorjahr um vier zurückgegangen ist. Davon waren zwei wöchentlich sechsmal, zwei wöchentlich dreimal erscheinende Blätter. Verfolgt man die Bewegung der socialdemokratischen Blätter von 1891 ab, also seit Erlöschen des SocialistengesetzeS, so ergiebt sich eine Curve, die bis 1895 fortgesetzt aufsteigt, dann aber bei den dreimal erscheinenden Blättern sehr schnell wieder fällt. Zieht man dazu in Betracht, daß noch im ver flossenen Jahre 69 331 und dieses Jahr einschließlich eines Betrages von 42 000 der für daS allen social demokratischen Organen beigelegte Unterhaltungsblatt „Die neue Welt" nachträglich bewilligt werden mußte, für Preß subvention 94 234 .//! ansgegeben wurden, so ergiebt sich, daß die Gründung eines socialvemokratischen Blattes schon seit mehreren Jahren kein gutes Geschäft mehr ist. Auch die Ein nahmen der politischen Organe sind zurückgegangen. So führt der „Vorwärts" diesmal nur 48 000 gegen 52 000 >L im Vorjahr an die Parteicasse ab. Ebenso steht es um den Gewinn der Parteibuchhandlung. Sie führt zwar große Zablen über den Vertrieb ihrer Broschüren an, aber sic klagt auch über die „Privatipecu- lation literarischer Freibeuter", welche mit ZukunftSstaats- phrasen arbeiten. Im verflossenen Jahre führte sie 20 000 .// an die Parteicasse ab, jetzt nur die Hälfte. Zugenommen haben dagegen die Gewerks chas tsorgan e; sie haben mit 55 wieder den Stand von 1893 erreicht. Begründet wird der Zuwachs mit der Schaffung neuer Gewerkschaflsverbäude. Es mag aber auch der geringere Erfolg der politischen Blätter darin begründet sein, baß die fruchtlose Hetzerei die großen Massen allmählich verdrießt. Und dies ist um so bemerkenSwerther, als doch die jetzige Zeit für eine „Opvo- sitionspolitik im großen Stile" nach Ansicht des Central organs so besonders geeignet sein soll. Der Cassenbericht verzeichnet eine Gesammteinnahme von 274 521 ein Sechstel davon heißt „DarlehnSconto", ein Fünftel brachte der „Vorwärts". Die Einnahmen waren gegen voriges Jahr um 4000 .E höher, die Ausgaben aber auch diesmal um rund 53 000 ./! Jnsgesammt wurden 283 093 -E ansgegeben, davon 10 000 .L an Genossen, die „wegen ihrer Parteitbätigkeit gemaßregelt oder sonstwie ge schädigt wurden". Dem gegenüber steht allerdings daS größere Conto von 28 229 Geldbuße und etwa 118 Jahre Gesängniß, wobei beiläufig „mit Genuglbunng" festgestellt wird, daß nur 7 Vcrurtheiluugen wegen Majestälsbeleidigunz entfielen. Und diese fallen der Parteicasse nicht zur Last. Die „allgemeine Agitation" bat 60 000 .// gekostet, 20 000 mehr als im Vorjahr; die Wahl-Agitation 26 000 .E, gegen 8700 jm Vorjahre; an NeichStagsdiäten wurden 27 529 ./! bezahlt, 3900 .// mehr als im Vorjahr. Ta die Zahl der wohl habenden Leute nur gering in der Partei ist, so müssen die minder wohlhabenden Kreise der Bevölkerung diese Beträge aufbringen. Und wenn man auch sehr bedauern mag, daß diese Summen, die vielfach nur mit Hilfe eines — namentlich in der Werkstatt und im privaten Verkehr sich äußernden — Terrorismus ausgebracht werden, in einer zerstörenden, als Selbstzweck behandelten Agitation Verwendung finden, so wird man auf der andern Seite doch nicht zum geringsten Theile gerade in dieser Opferwilligkeit die Erfolge der Umsturz partei zu suchen haben. Und das ist eine bedeutsame Mah nung für die Wähler der bürgerlichen Parteien, wenn sie sich jetzt rüsten, um im nächsten Jahre für ein halbes Jahr zehnt über ihre Mitwirkung an der Lenkung ihrer Geschicke sich zu entscheiden. politische Tagesschau. * Leipzig, 15. September. Schon kürzlich (s. Politische Tagesschau vom 10. September) wiesen wir darauf hin, daß das abfällige Urtheil, welches Fürst Bismarck neuerdings über die konservative Partei ge fällt hat, die sächsische» Conservativen nur in soweit treffen könne und solle, als sie im Reichstage an einem Strange mit ihren preußischen Gesinnungsgenossen gezogen baben, und daß der Fürst nicht daran gedacht haben könne, sie auch für das verantwortlich zu machen, was er an den Conservativen des preußischen Landtags zu tadeln findet. Wir wiese» auf die Haltung hin, die unsere sächsischen Con- servativen bei Wahlen und in den sächsischen Kammern zu den Nationalliberalen beobachten, erkannten an, daß diese Haltung in erfreulichem Gegensätze zu der Haltung der preu ßischen Conservativen stehe, und citirten eine Auslassung des „Schwäb. Merk.", in der nachgewiesen wurde, Laß gerade Fürst Bismarck die Rolle, welcke die preußischen Conservativen bei dem „planlosen Abenteuer" der VereinsgcsctzNovelle spielten, beklagen und tadeln müsse. ES hieß in dieser Ans- jassunz des Stuttgarter Blattes: „Es ist Cache einer nationalconservaiivcn Partei, der Negierung vollkommen selbstständig gegenüberzustehen und andererseits auf die Neubildung einer für eine nationale Reichspolitik schlechterdings zuverlässigen parlamentarisch en Mehr heit bedacht zu sein. Die heutige conservative Partei hat das gerade Gegentheil gethan. Sie hat sich in Preußen im letzten Jahre zusammen mit der Regierung in ein durchaus planloses Abenteuer gestürzt, dessen einzige mit Sicherheit vorauszusehende Wirkung die gegenseitige Entfremdung und Ent zweiung derjenige» Elemente war, ohne deren festes Zusammen halten eine zuverlässige nationale Parlaments - Mehrheit nicht denkbar ist. Was ist die Absicht der Conservativen bei diesem Abenteuer gewesen? Entweder haben sie wirklich die Einführung einer politische» Reaction im Sinne gehabt, die die Gemäßigtliberalen auf die Tauer in die Opposition treiben mußte, oder cs ist ihnen darauf angekommcn, die Gelegenheit zu benutzen, um den Einfluß der Nationalliberalen zu brechen. Die tendenziöse Anzweiflung der staatserhaltenden Natur der national liberalen Partei unter gleichzeitiger überschwänglicher Versicherung des eigenen Vertrauens zur Regierung läßt über das Letztere keinen Zweifel. Die indirekte Wirkung dieser Stellungnahme konnte auf jeden Fall nur die Befestigung der Ccntrumsherrschaft, die Verewigung der unbefriedigenden Verhältnisse im Reiche sein. Wem soll eine solche Politik einer „deutsch-conseivativcn Partei" Bewunderung abzwingcn? Fürst Bismarck ist als Mann von streng conservativen Anschauungen ins öffentliche Leben eingetreten. Wie hätte er sein gewaltiges Werk schassen und ausbaucn können, wenn er nach Art der „Kreuz- zeitung" die feste Zusammenschließnng aller Naiionalgrsinuten als eine verdammungswürdige Mischmaschpolitik von sich gewiesen hätte! Wollen die Conservativen das Werk ihres größten Parteigenosse» erhalten helfen, so wird ihnen allerdings eine „eingehende Selbst prüfung" sehr noth thun." Heute veröffentlichen nun die „Hamb. Nachr" abermals einen, „Fürst Bismarck und die Conservativen" über schriebenen Artikel, aus dem klar hervorgeht, daß in der Tbat den Unmulh des Fürsten ganz besonders und in erster Linie die preußischen Conservativen durch ihre Haltung bei der Berathung der Vereinsgesetznovelle erregt baben, weil diese Haltung zu Differenzen mit den Nationalliberalen führte, die Aussicht auf die Neubildung einer für eine nationale Neichspolitik zuverlässigen parlamentarischen Mehrheit ver schlechterte und die CenlrumSherrschaft im Reiche befestigte. Tie „Hamb. Nachr." citiren nämlich auS den: Werke „Fürst Bismarck nach seiner Entlassung" Stellen aus einer Rede, die der Fürst im April 1891 in Friedrichsruh beim Besuche des Vorstandes des conservativen Vereins in Kiel gehalten hat und in der er u. A. sagte: „Es giebt ein altes, gutes politisches Sprichwort: ljuietu non movere, das beißt, was ruhig liegt, nicht stören, und das ist echt konservativ: eine Gesetzgebung nicht mitmacheu, die beunruhigt, wo das Bedürfniß einer Aendcrung nicht vorliegt. Auch in ministeriellen Kreise» giebt es Leute, die einseitig das Bedürfniß haben, die Menschheit mit ihre» Elaboraten glücklich zu machen. Eine Regierung, welche unnöthige Neuerungen vertritt, wirkt anticonservativ, indem sie gesetzliche Zustände, die sich als brauchbar bewährt haben, ändert ohne Anregung durch die Bethciligtcn. Man wirft mir vor, ich sei als Minister präsident und Kanzler auch nicht konservativ gewesen, denn ich hätte viele alte Formen zerschlagen und viel Neues auf gerichtet. Nun, hierbei ist der Werth des Alten, welches vernichtet wurde, und des Neuen, welches errichtet werde» sollte, gegen einander abzuwägen.... Ten Vorwurf der Abtrünnig keit, welchen mir Viele der heutigen Conservativen machen, die ihrerseits keine erkennbaren Zwecke verfolgen, halte ich also für un gerecht. Tie Einigung Deutschlands war eine conservative That, und ich stehe mit reinem Gewissen vor jedem Examen, das mir darüber aus erlegt werden könnte. Ich glaube auch nicht, daß es nöthig ist, einer Fraktion anzugehören, um konservativ zu sein; so habe ich mir in den letzten Jahren meiner Amtsführung um das Car teil zwischen de» Conservativen und Nationalliberalen Mühe gegeben und hoffe, dieses Gebilde wird nicht ganz auseinander gehen, man wird auf konservativer Seite einen Unterschied machen zwischen den Leuten, mit denen zusammen ein staatliches Leben sich nicht führen läßt, und den anderen, die zu solcher Gemeinschaft ehrlich bereit sind " Daß die „Hamb. Nachr.", um den gegen die Conservativen gerichteten Tadel deS Fürsten zu begründen, gerade auf riese Worte des Fürsten Hinweisen, beweist schlagend, daß er eine andere Haltung der preußischen Conservativen der zwecklosen VereinSgesetznovelle und den Nationalliberalen gegenüber erwartet und gewünscht hatte und daß sein Tadel mithin hauptsächlich an eine preußische Adresse sich richtet. Die sächsische conservative Presse ist freilich nicht in der Lage, ihre Unschuld nachzuweisen, denn sie hat um die Wette niil ter „Krenzzlg." gegen die nationalliberalen Gegner der Novelle gehetzt und ihnen reu staatserhaltenden Charakter Ferirlletsn» Götzendienst. 9j Roman in zwei Theilrn von Wo Id em ar Urban. Nachdruck verboten. „Nun — und?" „Die Sache ist einfach: Sobald Sie nur wünschen, daß Sie in dem Hause des Herrn de Melida Jemand haben, der Ihr Interesse vertritt, ganz gleickgiltig in welcher Hinsicht — ich würde Ihnen z. B. im Falle gegenseitiger Gefälligkeit durchaus zu Diensten sein — haben Sie nichts zu thuu, als sich in einem gewissen empfehlenden Sinn über mich auözu- sprechen, wenn Sie dazu Veranlassung haben — und ich weiß, daß dieselbe unmittelbar bcvorsteht, vielleicht schon für morgen, gelegentlich eines Diners, zu dem auch wir zugegen sein werden." „Wir — wir?* „Georgette und ich. Don Salvatore hatte nämlich die Güte, uns eine Einladung zu übermitteln." „Ah!" machte Graf Victor etwas überrascht. Also auch daS noch! dachte er dann bei sich; sie waren nun im Hause des Millionairs sozusagen auch eingeführt. Dieser Umstand beschwichtigte vorläufig das »och immer ge sellschaftlich sehr scrnpulöse Gewisse» deS junge» Aristokraten, denn wen» sie einmal durch dieselben gesellschaftlichen Be ziehungen gewissermaßen gleichgestellt waren, so hatte er keinen Grund mehr, sich noch fernerhin ablehnend gegen Frau CourcelleS zu verhalten. „Also, Herr Graf, cS stände nun bei Ihnen", fuhr Frau Courcelles fort, „sich über die Angelegenheit zu erklären. Habe ich deshalb in Ihnen einen Gönner zu erwarten, oder — oder —" „Sie dürfen sicher sein, gnädige Frau, daß ich vorkom menden Falles in jeder Hinsicht zu Ihren Diensten sein werde." Frau CourcelleS blickte prüfend zu ihm auf; nur zu wohl wußte sie, daß Worte unter Umständen ebenso dehnbar sind wie lederne Handschuhe. Sie wollte daher klar sein, woraus Graf Victor hinauSzielte. „Herr Graf, eine Hand wäscht die andere! Ich bin aber immer noch nicht ganz sicher, wie Sie über die An gelegenheit denken, und vor Allem, wie Sie handeln werden; aber schließlich wird cS sich zeigen und je nachdem weiß auch ich dann meine Schritte cinzurichten. Ich hoffe, Herr Graf, Sie haben die Güte, mich zu verstehen." Und wie genan sie Graf Victor verstand! Frau Courcelles hatte eine Art, zu sprechen, die gleichzeitig höflich und vor nehm, aber auch scharf, bestimmt, fast drohend zu nennen war. Sie sagte ganz deutlich, nur vorsichtig ihre Gedanken in umschreibende Worte kleidend, daß sie gegebenen Falles Herrn de Melida reinen Wein über Graf Victor'S Situation einschenken werde oder daß sie ihn anderen Falles als Opfer familiärer oder anderer Jntriguen, jedenfalls aber als einen Mann von hohem Adel und tadelloser Gesinnung darstellen wolle. „Ohne Sorge, gnädige Frau", sagte er kurz, „Sie werden sehen, wie sehr ich Ihnen verbunden bin." Sie waren während dieser Unterhaltung auf dem Bou levard de Midi hin- und bergegangen und standen nun in der Nähe des Hotels, in dem Graf Victor wohnte. Er verabschiedete sich hier von Frau Courcelles, uni nach Hause zurückzukehren und Toilette für die Abendgesellschaft zu machen, zu der er eingeladen war. Als er das Portal des Hotcts durchschritt, überreichte ihm der Portier einen Brief, der seine Adresse trug. Die Schrift züge waren ohne Zweifel die einer Dame, dabei zittrig, nervös und offenbar in höchster Eile und Aufregung nieder geschrieben. „Wer hat da» gebracht?" fragte er den Portier. „Ein Tienstmaiin, Herr Gras", antwortete Lieser. Ohne jede Ahnung, wer der Absender sein könne, und neugierig öffnete Graf Victor LaS Billet; es enthielt nur wenige Zeilen und lautete: „Herr Graf! Ich muß Sie sprechen! Bei Allem, was Sie mir gesagt und womit Sie mein Herz bethörl haben, bei Ihrer Ebre, Herr Graf, beschwöre ich Sie, mir in passender Weise Ort und Gelegenheit anzngeben, wo ich Sie ungestört sprechen kann. Trauen Sie meiner Mutter nicht. Sie liebt Sie nicht. Nehmen Sie da« für den Nothschrri einer verzweifelnden Seele, Herr Graf, und hören Sie micb. Zwei Zeilen genügen. Ich erwarte dieselben bis morgen Mittags. Camilla.* Man sah den ungleichmäßigen, hastig und krampfhaft ver zogenen, hin- und hergezerrten Buchstaben die Aufregung und Exaltation an, in der die Schreiberin sich befunden haben mußte. Camilla, armes Mädchen! dachte Graf Victor, nach dem er gelesen hatte. Eine Ahnung des Vorgesallenen hatte ihn schon vorhin beschlichen, als er sie auf dem Boulevard gesehen. Was mochte sie wollen? „Bei Allem, was Sie mir gesagt haben!" — schrieb sie. Was halte er ihr denn gesagt? Kleine Scherze, Aeußeruugen jener wunderlichen Verliebtheit, in der sich junge Leute seines Schlages manchmal befinden, wenn das Herz im Jugendübermuthe lebhafter schlägt, wenn es sich von jugendlick-frisckeii Mädchencrsckei- nuugen kräftiger gepackt und hingerissen fühlt gelegent ¬ liche Liebesworte, Schwüre — aber, mein Gott! — daö nimmt man doch nicht gleich ernsthaft, das begreift man doch sozusagen — mit ein wenig Verstand. Sollte sie denn wirk- Uch an eine Heirath gedacht haben? Eine Heirath — jetzt und unter den gegenwärtigen Umstände». Das war ja un möglich! Er auf dem Trocknen und sie fast ohne einen Pfennig Geld — was sollte daraus werden? Das Mädchen war närrisch; die Mutter hatte unbedingt Recht, und man mußte ihr den Kopf zurechtsetzen. Er schob den Brief in seine Rocktasche und stieg in sein Zimmer hinauf. Gewiß, er wollte ihr schreiben, morgen früh, und er wollte auch mit ihr reden — dem armen Dinge. Denn im Grunde genommen war sie doch ein liebes, süßes Geschöpf, und er an ihrer Calamität dock» nicht so ganz ohne Schuld. Ja, in diesem Augenblick erschien cS ihm ganz natürlich, daß ein blutjunges, uncrfabrenes Mädchen unbe dingt Dem glauben müsse, was man ibr, wie er cS gethan, liebend und wiedergeliebt gesagt und bekannt. Aber nun galt eS, ihr das auSzureden; liebreich und schonend wollte er ihr mittheilen, daß doch Alles unmöglich war und er so lange mit ihr reden, bis sie daS begriff und sich beruhigte. Ta ihm aber die Einladung zum Essen jetzt keine Zeit mehr übrig ließ, nahm er sich fest vor, ihr das morgen früh be stimmt zu schreiben. Dabei hängte er den Rock mitsammt dem Briefe in den Schrank, zog den Frack an, setzte den Claque-Hut auf und ging aus. VII. Eifrig, geschäftig, von ihren weitfliegcuden Plänen völlig in Anspruch genommen, kam Frau CourcelleS bald nach ihrer Unterredung mit Graf Victor im Atelier ihrer Tochter Georgette an. Sie fand dieselbe allein, auf rem Sopba liegend und eine Cigarette rauchend. „Wo ist Camilla?" frug die Mutter. „Drinnen!" antwortete Georgelte kurz und machte mit dem Kopfe eine leichte Bewegung in der Richtung d?S Neben zimmers. Dann, als ihre Mutter hastig an ihr vorbei und in Len bezeichneten Raum gehen wollte, richtete sie sich etwas aus ihrer bequemen Stellung auf und fuhr fort zu sprechen: - „Apropos, Mama, was ist denn los?" „Warum fragst Du noch. Du warst ja dabei!" „Ich meine mit Camilla. Was sie nnr haben mag! Nach Hause kam sie, wie eine Wahnsinnige, stürzte durchs Atelier nach meinem Schlafzimmer und nun sitzt sie dort in einem Sessel und heult wie ein Kettenhund. WaS bat sie nur?" „Mein Gott, alberne Ideen, sie — sie ist mit einem Worte eine Gans. Was Jedes, das nur acht Tage auf ter Welt ist, einseben würde, das will ibr nickt in den Kops. Vielleicht stellt sie sich auch nur so und versucht auf jede An und Weise ihr Letztes, um den Grafen Victor zu hallen. Ick verstehe daS nicht. Ter Mann ist so anSgcqnctscht wie nur möglich. WaS sie noch von dem will, ist mir ein Nätbsel. Eine bessere Partie wird sich für sie Wohl auch noch finden lassen niiv wenn nicht — nun, wen» Tn erst Fra» Salvatore de Melida bist, wird für sie ebenfalls gesorgt sein. Nicht wahr, mein Engel? Dn wirst unS nickt vergessen, wirst vor Allein nie vergesse», wer Tein Glück schmiedete. Nicht wahr, Georgette?" Sie küßte Georgette auf die Wange und streichelte sie zärtlich, aber Georgette ließ sich das glcichmüthig gefallen und blieb kalt dabei. „Ich habe soeben mit dem Grafen Victor gesprochen", fuhr Frau CurcelleS dann lebhaft fort. „Tie Sacke wird sich macken; ich erzähle Dir daS ausführlich ein andermal. Denke Dn vor allen Dingen nur an Deine Toilette für morgen. Hörst Dn, mein Kind? Morgen ist der große Tag." „Laß mich ruhig gewähren, Mutter; ich denke schon Lie ganze Zeit darüber nach." „Du bist ein Engel, meine Georgette. Aber jetzt will ich mit Camilla reden; sie soll für'S Erste nach Contamine zurück. Ich bleibe hier. Sie soll mir meine Toilette her schicken und im Geschäfte nach dem Rechten sehen. Dieses verwünschte Geschäft! Wenn wir das nur erst los sein werden! Es ist nickt einmal einträglich und hindert Einen auch noch bei jedem Vorhaben, lieber kurz oder lang werden wir den Laden einfach schließen. Also, auf Wiedersehen, mein Schatz!" Georgette kebnte sich wieder in die Sophakissen zurück und rauchte gcmäcklich weiter. Die Muller ging in daö benachbarte Schlafzimmer, und nachdem ihr Auge sich an die darin herrschenLe, ziemlich fortgeschrittene Dämmerung gr«
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