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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.09.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-09-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970916022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897091602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897091602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-09
- Tag1897-09-16
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Filialen: ktta klemm's Sortim. «Alfred Hahn), UmversitätSslraße 3 (Paulinum), Lonts Lösche, katharineuftr. 14, patt, und könig-plad 7. Abend-Ausgabe. WxziM TagMaN Anzeiger. Ämlsölatt -es Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Molizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Arrzeigerr.Prei- «Hie ö gespaltene Petitzeile Neelamen unter dem NedactionSstrich (4a» spalten) b0-4, vor deu FamUieuaachrichtr, (6 gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis» verzeichniß. Tabellarischer und Aissernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit de» Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderunz 60.—, mit Postbesörderung 70.-- Innahmeschluß für Änzeizen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filiale» und Annahmestellen je eia» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig 473. Donnerstag den 16. September 1897. 91. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 16. September. Den Gegnern einer zeitgemäßen Entwickelung unserer Marine, die mit der Warnung vor „uferlosen Flotten- plänen" Anhänger zn gewinnen hoffen, hat Prinz Heinrich von Preußen eine» starken Strich durch die Rechnung gemacht mit der Rede, die er vorgestern in Wilhelmshaven bei der Taufe des Panzerschiffe» „Kaiser Wilhelm II." gehalten hat. Der Prinz pflegt bei seinen seltenen Kundgebungen nicht zu improvisiren, am wenigsten bei feierlichen Gelegenheiten und bei Aus lassungen, die das politische Gebiet streifen. Mau darf daher mit Sicherheit annehmen, daß er seine vor gestrige Rede im Einvernehmen mit seinem kaiserlichen Bruder abgesaßt und gehalten hat. Um so bemerkenS- werther ist, daß er erklärte: „Unübertroffen stark z u L a n d e, w e h r h a f t z u r S e e, so möchte der deutsche Kaiser das deutsche Reich in Unabhängigkeit gefestigt dastchen sehen." Der Gegensatz zwischen den beiden Aus drücken ist augenfällig. Durch ihn wird festgestcllt, daß cs des Kaisers Streben ist, Deutschland den Eharakter der bedeutendsten Militairmacht Europas zu erhalten, daß er aber diesen Ehrgeiz nur in Bezug auf das Landhecr hat und die Nothwendigkeit erkennt, sich mit einer wehr haften Marine zu begnügen. Prinz Heinrich ist mit Leib und Seele Marineofficier und cS ist zweifellos, daß ihm die Förderung der Marine ebenso am Herzen liegt, wie dem Kaiser. Seinen Worten ist daher zu entnehmen, daß auch ihm „uferlose Flotten pläne" und die von den Erfindern dieses Ausdrucks den „Flottenschwärmern" unterstellte Sehnsucht» die deutsche Marine der englischen gewachsen zu sehen, vollständig fern liegen. Durch seine Rede erhält auch die im heutigen Morgen blatte mitgetheilte Erklärung der „Marinepolit. Eorr." über den nächstjährigen Etat besondere» Gewicht. Wenn eS in ihr heißt, daß bei der Aufstellung dieses Etats die wirth- schastlichen Verhältnisse des Reiches besonders berücksichtigt werben würden, so steht das in voller Uebereinstiinnnkng nut ter Rede des Prinzen Heinrich und berechtigt zu der be stimmten Erwartung, daß die Forderungen für di: Marine über das, was als nothweudig sich erweisen laßt, nicht hinauSgehcn werden. Bei den badischen LandtagSwahlcn, deren weittragende Bedeutung im Leitartikel des heutigen Morgenblattes dar gelegt ist, wird die Hauptentscheidung in Karlsruhe fallen, wo drei Abgeordnete neu zu wählen sind. Gelingt es, die nationalliberalen Bewerber zu verdrängen, so ist die national liberale Landtagömehrheit Wohl als beseitigt anzusehen, da kaum anzunehmen ist, daß die Nationalliberalcn in den anderen Wahlkreisen, in denen Ersatzwahlen staltfindcn müssen, den Gegnern drei Mandate abnehmen werden. Nun ist die Wiederwahl der nationalliberalen Abgeordneten in Karlsruhe durch ein Compromiß zwischen den Socialdemokraten und den Demokraten gefährdet, und wenn eS nach dem Wunsche der ultra montanen Führer geht, so geben ihre Anhänger den Ausschlag gegen die National liberalen. Wären nicht zwei Socialdcmokraten und nur ein Demokrat, sondern drei Demokraten aufgestellt, so würden die ultramontanen Karlsruher Wähler keinen Augenblick zögern, ihre Stimmen deu Demokraten zu geben; aber offen für zwei Socialbemokraten einzutrcten, das geht denn doch gar manchem klerikalen Wähler gegen den Mann, besonders wenn er sich! erinnert, daß vor noch nicht allzulangcr Zeil, als in Karls ruhe in Gegenwart deS Großherzogs von Baden der Grund-1 stein zur Bernharduskirche gelegt wurde, der Weihbischvf I)r. Knecht in einer zündenden Nere die gesummte Geist lichkeit gegen die Socialdemokratie anfrics. Die Erinnerung au diese Rede zn verwischen und alte Bedeuten gegen eine offene Unterstützung der socialdemokratischeu Eanridalen zn beseitigen, ist nun das heiße Bestreben deS Pfarrers und geistlichen Ratbö Wacker, des badischen EcntrumSführerS, dessen Organ, der „Bad. Beobachter", schon vor Wochen erklärte: „Wir werden sagen: Socialisten zn wählen, ist uns un möglich; aber einige Svcialistcn durch Nationalliberale fern zu halten, ist uns noch unmöglicher; das wäre Feig heit und Thorheit, ja geradezu politischer Selbstmord; denn zwei Eocialisicn mehr oder weniger in der Kaniin-r werfen den Staat nicht um, wenn sie auch ihre Schnurren loslnssen; eine cultnrkämpseriiche nationalliberale Majorität aber tecrvrisirl das ganze Land und bekämpft uns bis aufs Messer." Jetzt legt er in diesem Blatte selbst mit eigener Namcns- unterschrist wörtlich dar, daß die Socialbemokraten immerhin noch „bessere Freunde der katholischen Kirche" seien, als die Nationallibcralen, und daun klingt der Artikel aus: in Baden gebe eS noch schlimmere Elemente, als die Socialdemokratie, nnd auf diese schlimmeren Ele mente stütze sich di: Regierung. Wenn das nicht ganz dirccte Aufforderung zur Unterstützung der socialdemo kratischen Eandidaten ist, so giebt cS überhaupt keine. Und trotzdem wagt es der „Bad. Beob.", den Borwurf, daß die katholischen Wähler in Karlsruhe zur Wahl von Social demokraten aufgesordert würden, für tendenziöse Lüge zu er kläre»! Brutalere Jesuiterei ist kaum denkbar. Aber eben deöbalb ist di: Hoffnung »och nicht ganz aufzugeben, daß die Bemühungen des Herrn Wacker erfolglos bleiben werden, denn im Großhcrzogthum Baden sind KatholiciSmuS und Ultramontanismns weniger als anderwärts identisch, und mancher brave Katholik bürste gerate durch die jesuitischen Manöver, mit denen ihm der socialdemokratische Wahlzettcl in die Hand gepreßt werden soll, bewogen werden, sich mit Entrüstung von einer Führung abzuwenden, welche die ^Ziele ihrer Herrsch sucht mit so verwerflichen Mitteln zn erreichen sucht. Jedenfalls zeigen diese Borgänge aus das Klarste, welche Berblenduug jene — glücklicherweise nicht zahlreichen — Kreise beherrsch!, die in der „Köln. Ztg." einer Annäherung zwischen Nationalliberalcn und Eentrum das Wort reden. In Baden ist für solche Kreise und ihre Wortführer kein Boden mehr und anderwärts hoffentlich auch nicht. Und wenn die „Krcuzztg." nnd andere conscrvative Blätter, denen ein Zusammengehen mit dem Ultramontanismns lieber ist, als mit dein Nationalliberalismus, sich darüber Wundern, daß Fürst Bismarck gelegentlich seinem Unmuthc über die Eonservativcn Ausdruck giebt, so mögen sie sich der Worte und Tbaten des Ultramontanismns in Baden erinnern; cs wird ihnen dann vielleicht klar werden, wodurch sie die Gunst deS getreuen Eckart des deutschen Bolkes am meisten verscherzt haben. Die Anwesenheit des Königs von Liam in Paris hat zu einem Austausch von Erörterungen zwischen der fran zösischen und der englischen TageSpresse geführt, zwischen deren Zeilen der beiderseitige Evncnrrenzneid ziemlich unver- hüllt zu Tage tritt. England betrachtet den König Tsckula- longkorn mehr ober weniger als sein Geschöpf. Er ist in englischen Anschauungen erzogen, spricht als einzige Cultur- sprache die englische und bewegt sich wesentlich in eng lischen Jdeenkreiscn. Frankreich dagegen möchte dem Könige Tsckulalongkorn begreiflich machen, daß sein eigenes Heil und das seine» Landes nirgend» besser aufgehoben sei, als in dem Schutze der französische» Freundschaft. Tie absolute Uneigennützigkeit der französischen und die Perfidie der englischen Politik bilden daher das von der Pariser Presse mit Bezug auf den siamesischen Herrscher mit Borliebe variirle Thema. Für Frankreick, hätte bie Herstellung sreundschaft- licher Beziehungen zn Siam großen Werth, da seine Hand lungsfreiheit in Ostasicn infolge dessen erheblich gewinnen würde. Siam ist seit dem Jabrc 1880 durch England zahl reicher wichtiger Gebiete beraubt worden und sucht sich nun für daS im Westen Berlorene durch Ausdehnung nach Osten, also nach der französischen Interessensphäre, zu entschädigen. Wenigstens wird der siamesischen Politik von französischer Seite der Borwnrf gemacht, daß sie gegen Frankreich rücksichtslos und aggressiv vorgehc, obwohl Frankreich nichts sehnlicher wünsche, als mit Siam in Frieden und Freundschaft zu leben. König Tschnlalongkorn befindet sich zwischen der Rivalität der West Mächte in einer schwierigen Lage, nnd er müßte kein orientalischer Herrscher sein, wenn er einer unbequemen offenen Entscheidung nicht durch alle möglichen diplomatischen Kunstgriffe aus rem Wege zn gehen sich bemühte. Einstweilen bietet ihm der Zweck seiner Europareise ein sehr brauchbares Argument, indem er sich darauf berufen kann, daß politische Intentionen seinem Besuche unseres Welitbcils völlig fern liegen und er nur darauf ausgehe, mit Hilfe der europäischen Eivilisation die mannigfachen Hilfsquellen seine» Landes zn entwickeln. In der Tbal eröffnen sich für capitalskräftige und über die nöthigcn technischen Beihilfen verfügend: Unternehmer in Siam sehr verlockende Aussichten. In England möchte man natürlich den Rahm allein abschöpfen, da» scheint in dessen nicht dem Wunsche des siamesischen Herrschers zu ent sprechen, er vielmehr vorznziebcn, das Terrain dem inter nationalen Wettbewerb möglichst sreizuhalien. Die günstige Wendung der griechisch-türkischen FricdcnL- verhandlungcu scheint, soweit die Mächte in Betracht kommen, wirklich eine entscheidende zu sein. Wie gemeldet, sollen sich Deutschland und England über die Fassung der bisher zwischen ihnen streitigen Pnncte, nämlich bie Artikel 2 und 6 deS Pcäliininar-EntwnrseS, geeinigt unv die Botschafter die Morte von der vollen Einmüthigkeit aller Mächte nut dem Ersuchen verständigt haben, eine Sitzung zn bestimmen, in welcher die Präliminarien unterzeichnet werden sollen. Die Fassung bcr Artikel 2 und 6 setzt die Kriegs entschädigung definitiv auf 4 Millionen Pfund fest und stipulirt die Einsetzung eines europäischen Ausschusses in Athen, welche mittels Gesetzes durch die griechische Kammer beschlossen und dem bie Aufsicht über die zur Bcrzinsung der KriegSentschädigungs-Anleihe und der anderen öffentlichen Schulden bestimmten Einkünfte übertragen werden soll. So bald dieser internationale Ausschuß die Bedingungen zur Auf legung der Kriegsentschädigungs-Anleihe als gegeben erachtet, dort der Kriegszustand auf, und die Türkei hat binnen Monatsfrist die Räumung von Thessalien zu beginnen. Auf Wunsch jener beiden Mächte hat Rußland diese Fassung den übrigen zur Annahme empfohlen und diese haben ihre Zustimmung erklärt. Immerhin würde eS voreilig sein, an zunehmen, daß der Friedensschluß nun thatsächlich alsbald erfolgen wird, denn noch ist die Zustimmung Griechenlands und der Pforte zu dem Vertrage euizuholen und eS ist durch ¬ aus nicht ausgeschlossen, daß von beiden Seiten neue Schwierig keiten erhoben werden. Die Frage übrigens, welche Quote Griechenland für seine auswärtigen alten Schulden zu zahlen hat, wird in den Friedenspräliminarien nicht erledigt werden können. Wie verlautet, werden die Großmächte eS vielmehr den sechs von ihnen zur Finanzükxr- wacbung ernannten Vertretern überlassen, nach Kenntuißnahme vom Finanzzustande Griechenlands die Einzelheiten der Schuld- regulirung und namentlich die ZinSquoten und Amorti sationen zu bestimmen. Daß Griechenland bei diesen Ver handlungen nur eine berathende Stimme hat, wird als sicher betrachtet, seine Interessen erscheinen durch die Unparteilich keit der Großmächte und die Thatsache, daß drei derselben an der Ordnung der alten Schulden direct nicht betheiligt sind, als vollkommen gewahrt. Erst hieß eS, bei dem Blutbad von Hazleton seien nur Polen und Ungarn gelobtet, rcsp. verwundet worden, wie uns aber heute gemeldet wird, behaupten zwei der aus ständigen Arbeiter, auf welche der Hilfs-Sheriff schießen ließ, deutsche Unterthanen zu sein. Bestätigt sich dies, so wird bie deutsche NeichSrezierung jedenfalls nicht zögern, in Washington Rcclamaticnen zu erhebe» und ev. Schadenersatz ansprüche anzumcldcn. Ein Agent deS österreichisch-ungarischen EonsulatS ist damit beschäftigt, die Aussagen der Ausständigen über den Tbatbestand aufzunehmen. Nach den bisher vorliegenden Berichten scheint es, daß 750 unbewaffnete Streikende von Hazleton nach Latimer marschirten, um die dort arbeitenden Leute zu bewegen, ebenfalls die Arbeit nieder- znlegen. In der Nähe bcr Kohlengrube trafen sie aus den Sheriff Martin mit llO — nach einer anderen Angabe 102 — bewaffneten Bürgern, welche seine polizeiliche Begleitung bildeten. DerShcriff befahl den Streitenden,Halt zu machen,was dieselben auch lhaten, und rief ihnen dann zu, sich zn zerstreuen. Die Führer der Leute machten dagegen Einwendungen, allein der Sheriff beharrte auf seinem Befehl, und da feine Worte keinen Eindruck hervvrzurufen schienen, so verlas er die Anfrnhracte. Die wenigste» von den Streikenden verstanden Englisch nnd umringten den Sheriff, um zu erfahren, was er von ihnen verlange. Sie versichern auf daS Bestimmteste, daß sie denselben in keiner Weise verletzt haben. Ter Sheriff drängte sich jedoch durch die Menge nnd gab seinen Leuten Befehl, in kurzer Entfernung eine Salve auf die Masse der Streikenden abzugeben. Dntzendc derselben fielen und die klebrigen flohen. Trotz dem ließ der Beamte seine Leute noch eine Salve auf die Streikenden abfeuern. Der Sheriff behauptet, daß er angegriffen worden sei und daß die fremden Arbeiter verzweifelte Charaktere gewesen seien, die wenig Nespcct für Menschenleben hätten. Uebrigens sei die erste Salve über die Köpfe der Streikenden hinweg abgegeben worden. Tamil stimmt nun allerdings nicht die Thatsache, daß so viele Leute schon bei dem ersten Schießen fielen. Als Erklärung für die Kopflosigkeit deS Sheriffs und seiner Leute ist wohl nur die Angst anzusehen. Der Präsident der St. George-Gesellschaft, welcher die meisten Getödteten an gehören, hat Haftbefehle gegen den Sheriff und 102 deputies, welche au der Schießerei tbeilgcnommen haben sollen, erwirkt. Unter den Letzteren befindet sich eine Anzahl hervorragender Bürger von Hazleton. , Feuilleton. Götzendienst. 10s ' Roman in zwei Theilen von Wotdemar Urban. Nachdruck verboten. Ein langer Seufzer, ein leises Stöhnen scholl aus dem Nebenzimmer herüber. Erschrocken brach Georgette ab und lauschte mit verhaltenem Atbem. „Camilla?" rief sie dann fragend. Mittlerweile jedoch war es vollständig finster geworden. Georgette zündete eine Lampe an, und während dieser Be schäftigung trat Camilla aus dem Schlafzimmer der Schwestern in das Atelier. Die Strahlen der Lampe sielen voll auf ihr Gesicht und ließen es doppelt bleich und geisterhaft hervor treten. Groß und leuchtend schimmerten die hübschen dunklen Äugen, und die langen, kastanienbraunen Haare, die ihr auf gelöst über die Schultern hingen, umflossen in weichen und zärtlichen Wellen ihre schöne, schlanke Gestalt. „Wo ist die Mutter?" fragte sie tonlos, wie geistesabwesend. Die beiden Schwestern aber starrten sie erschreckt an» als wäre sie ihnen gegenüber eine Fremde. „Die Mutter eilte ins Geschäft", antwortete Georgette dann und besah dabei prüfend Camilla von oben bis unten, „hat sie Dir das nicht gesagt?" „O ja — o dock!" murmelte Camilla stockend, als müsse sie sich erst darauf besinnen." „WaS ist Dir, Camilla?" fragte nun auch Manon, „fühlst Du Dich nicht wohl?" „O doch — mir fehlt nicktö." „Aber, mein Gott, Dn siehst ja aus wie ein Gespenst; es muß unbedingt ein Arzt geholt werden." Camilla versuchte ein Lächeln; aber ihre Mienen sahen dabei so trüb unv gezwungen aus, daß sich die Schwestern überrascht ansahen. Ihre Blicke begegneten sich und schienen beide zu sagen: DaS arme Ding! Ist sie närrisch geworden? Ganz lieblos waren diese Blicke nickt zu nennen, aber eS lag doch so viel Kälte und Gleichgiltigkeit darin, daß man überzeugt sein durste, Camilla war ihnen mehr ein Gegen stand der Verwunderung und Neugier, als der schwesterlich liebevollen Theilnahme. „Ich brauche keinen Arzt", sagte Camilla, und nach einer Pause fragte sie stockend: „Ist kein Brief für mich abgegeben worden?" „Nein", antwortete Georgette und fragte zugleich über rascht: „Von wem erwartest Dn Briefe?" „Hm — cS fuhr mir gerade durch den Sinn." „Du solltest Dich schlafen legen, Camilla." „Du hast Neckt, Georgette, ich werde zur Ruhe geben." Es war ihr offenbar lieb, sich wieder znrückziehen zu können. Die Blicke ihrer Schwestern ruhten so verwundert und forschend auf ihr, daß ihr diese unausgesetzte Beobachtung geradezu peinlich wurde. Rath und Hilfe konnte sie von Beiden ebenso wenig erwarten, daher drehte sie sich denn kurz um und schritt auf die Thür zu. Aber ehe sie das Zimmer verließ, bat sie noch einmal: „Wenn ein Brief für mich abgegeben wird, bringe mir ihn gleich, Georgette — willst Du?" „Natürlich!" „Und wenn ich auch schlafen sollte, wecke mich nur — willst Du? ES ist ein wichtiger Brief." „Schon gut. Ich bringe ihn, sobald er kommt." „Gute Nacht!" Die beiden älteren Schwestern blieben allein im Atelier zurück nnd sahen sich fragend an. Georgette deutete dann mit dem Zeigefinger nach der Stirn; Manon zuckte die Schultern. „Seit wann ist sie so?" fragte Manon leise. „Ich weiß nicht; auch mir fällt sie zum ersten Mal auf. Mama meint, eS wäre die Geschichte mit dem Grafen Victor. Sie hat eS sich ja immer in den Kopf gesetzt, er würde sie heirathen." „Ah — und von dem erwartet sie den ersehnten Brief?" „DaS arme Kind; eS wird ihm natürlich zu viel sein, ihn zn schreiben." „Wie einfältig! Ich »sllte ihn schon " In dem Schlafzimmer, in das Camilla eingetreten war, stand in einer Wandnische ein kleines, aus Elfenbein kunstvoll geschnitztes Muttergottesbild. Unter diesem Bilde sank sie in die Knie und streckte flehentlich die weißen, gefalteten Hände zu ihm empor. „Du siebst mein Herz, daS Niemand verstehen will, er barme Du Dich meiner! Ick bin aus der Welt so allein, so mutterseelenallein, daß ich nicht verlassener sein kann, wenn ick unter der Erde liege. Hilf mir, Maria! Du hast mir diese Liebe ins Herz gelegt, die mich verzehrt mit ruhe loser Qual. Du weißt, ich will — ich kann nicht leben ohne ihn, den Einzigen. Und wenn ich ihn nicht haben soll, wenn die Welt ihn mir entreißt mit ihrem ekelhaften Götzendienst, so nimm Du mich zu Dir, heilige Maria!" Dann erstarken ihr die Worte im Munde, nur ein leises Schluchzen rang sich hin und wieder auS der bekümmerten, hoffnungslosen Brust, das deutlich genug sür bie Innerlichkeit und die Tiese ihre» Schmerzes Zeugniß ablezte. „Was soll ich noch hier — ohne ihn?" murmelte sic dann schmerzverloren weiter. „Die Welt ist so klug, so witzig und so gefühllos — ich mag sie nicht. Du weißt, wie er mir Stück nm Stück meines Herzens fortgeschmeichelt, und nun geht er selbst fort, nm vielleicht einer Andern dasselbe zu sagen, was er mir gesagt hat. Und ich glaubte an ihn, ich glaubte so fest an ihn — v heilige Maria, Du weißt, wie sehr — und nun verläßt er mich, um deS — Geldes willen. Schmerzensmutter, Du kennst mein Leid und meinen Jammer, so hilf Dn mir, Du Gnadenreiche!" Dann legte sich Camilla angekleidet ausS Bett. Allerlei gaukelnde Bilder der Hoffnung erfüllten sie, allerlei Auswege juchte ihre bedrängte Seele. Vielleicht hatte er ihren Brief nicht einmal bekommen, vielleicht kam am andern Tage noch eine Nachricht von ihm. In jedem Falle blieb ihr immer noch ein Tag Zeit, konnte sie selbst morgen zu ihm geben, auch wenn er nicht schrieb, um ibn zum letzten Mal zu fragen, ob sie betrogen sei oder nicht. Noch einen Tag! Schließlich siel sie, ermattet von Grübeleien undSchmerzcnS- auSbrüchen, in einen unruhigen Schlummer. VIII. Monte Carlo ist keine große Stadt; selbst das unbe deutendste Ereigniß spricht sick herum im Handumdrehen und namentlich unter den Fremden, die den ganzen Tag im be schaulichsten Müßiggang verbringen und die den Verkehr von Hotel zu Hotel, auf die Promenade oder im Casino immer leicht und sicher zu bewerkstelligen wissen. So kam eS auch, daß am anderen Tage, dem Tage deS großen ofsiciellen Diners bei Don GraciaS de Melida. schon in den Vormittags stunden eine gewisse Aufregung allerorts zu bemerken war. Die Hoteldiener liefen mit Schachteln, Packeten und zahl reichen BlumenbouquetS hin und her, die Putzmacherinnen und ProbirmamsellS hatten schwere Stunden, um den Launen ihrer vornehmen Auftraggeber, die beim Diner in möglichst auffallender Toilette glänzen wollten, vollauf gerecht zu werden. Auf den Straßen und namentlich vor dem „Hotel de France", wo ganze Wagenladungen voll der seltensten und theuersten Pflanzen und Blumen zur Ausschmückung deS Vestibüls, der Treppen, deS Corridorü und des SaaleS abgeladen wurden, standen die Neugierigen in Hausen, um daS Ereigniß zu be sprechen und je nach Witz und Laune zu glossiren. Glücklich aber schätzten sick Diejenigen, die von Herrn Delorme, dem Secretair LcS WcizenkönigS, mit einer Einladung bedacht worden waren unv die Zeugen sein sollten von all der Pracht nnd Großartigkeit, die in Len Räumen deS „Hotel de France" entfaltet w:rden würde. Graf Victor erhob sich, seiner Gewohnheit gemäß, gegen Mittag von seinem Lager; er frühstückte eine Kleinigkeit im Hotel und ging dann aus, um einen kurzen Spaziergang zu machen und einige Zeitungen zu lesen. Aber an diesem Morgen wurde dieses harmlose Programm in fast unlieb samer Weise unterbrochen, denn gleich, als er den kleinen Vorgarten deS Hotels durchschritt, trat ihm eine dicht ver schleierte Dame in den Weg. „Herr Graf!" rief sie ihn mit einer weichen, diScreten Stimme an. Ueberrascht blieb Graf Victor stehen und sah die Dame prüfend an. „Camilla!" rief er staunend aus. „Sie haben mir auf meinen gestrigen Brief nicht geant wortet, obwohl Sie sich selbst sägen mußten, daß ich Ihre Antwort wie eine Heilsbotschaft erwarten würde", fuhr Camilla mit sanfter, vorwurfsvoller Stimme fort. „Mein Gott", entsckuldigte er sich, „das ist ein un gewollter, unglücklicher Zufall. Und ich wollte doch wahr haftig bestimmt schreiben! Aber gestern Abend ließ mir die Toilette zur Abendgesellschaft bei Madame de Lery nicht Zeit nnd heute bin ich ebenso wenig dazu gekommen. Eben wollte ich nun nach dem Kaffeehause gehen, um Dir von dort einige Zeilen zu senden." Er log nnd er wußte es selbst, daß er eine Lüge aus sprach, deshalb auch klang seine Stimme etwas unsicher. Ueberdies war ibm die ganze Begegnung höchst unlieb. Gestern Abend freilich hatte er sich mit der bestimmten Absicht getragen, Camilla zu schreiben; aber eine kurze und ebenso entschlossene Ueberlcgnng heute Morgen batte eS ibn „ein facher" finden lassen, überhaupt nicht zu schreiben, die Ant wort eben — zu vergessen. WaS hätte er dem Mädchen auch mittheilen sollen? Dafür war der Entschluß in ihm zur Reife gelangt, über kurz oder lang mit Camilla s Mutter zu reden und diese zu bestimmen, jede unüberlegte Handlung Camilla s zu Hintertreiben, die sie in ihrer Exaltation nur
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