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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.09.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-09-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970918026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897091802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897091802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-09
- Tag1897-09-18
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Größere Schriften laut unjerem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zisfernsatz nach höherem Tarif. ^xtra-Beilagen (gefalzt), nur mit de» Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderunz t»0.—, mit Postbesörderung 70.^. Annuhmeschlnß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. -Morgen- Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen nnd Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. —— Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig - 477. Sonnabend den 18. September 1897. 91. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 18. September. Wenn im deutschen Reichstage ein Hoch auf den deutschen Kaiser ausgebracht wird, verlassen die Tocialdcmokratc» den Saal, oder bleiben, wenn sie ihren Heldenmuth ganz be sonders documentiren wollen, sitzen. Sie wollen damit gegen den Monarchismus deinonstriren, denn ihr Ideal ist eine republikanische Staatsverfassung. Nur in einer Republik sann nach ihrer Behauptung Freiheit herrschen, nur in ihr tann man das wahre Empfinden für die Lage der arbeitenden Klassen haben. Zwei Vorkommnisse der letzten Zeit zeigen, wie es thatsächlich mit der Freiheit und mit dem Wohlwollen für die arbeitenden Elassen in republikanisch regierten Ländern bestellt ist: das Gemetzel bei Hazleton in den Bereinigten Staaten nnd der Präfectenschub in Frankreich. Zn Hazleton ist ohne Weiteres auf streikende Arbeiter geschossen worben, als diese der Aufforderung des Sheriffs, auseinander- zugchen, nicht sofort Folge leisteten. Angriffe der Arbeiter auf den Sheriff sind nicht nachgewiesen. Einige 20 Arbeiter sind getödtet, eine noch größere Anzahl ist ver wundet worden. Erst auf Verlangen der ungarischen Gesellschaften ist gegen den Sheriff und seine Beamten ein- gesckritlen worden. Die amerikanischen Behörden haben sich zunächst nicht gerührt. Selbst wenn aber der Sheriff und seine Beamten bestraft werden, so wird aller Boraussicht nach die Strafe nicht allzu hart ausfallen. Weshalb wird in der amerikanischen Republik gegen Beamte, welche Arbeiter wie die Hasen bei einer Treibjagd zusammcuschießen lassen, lässig und milde vorgegangen? Weil die herrschende republikanische Partei auf die Hilfe Les Großcapitalismus, dem sie ihren letzten Sieg zu verdanken hatte, angewiesen ist und weil dieser Großcapitalismus nicht dadurch in seinem Egoismus eingeschränkt wird, daß eine über den Ständen, Elassen und Parteien stehende Monarchie sich bemüht, gleichmäßig für das Wohl Aller zu sorgen. Etwas Aehnliches bedeutet der Präfectenschub in Frankreich. Tort wird mit denjenigen Beamten aufgeräumt, die bei den nächsten Wahlen möglicher weise den radicalcn Parteien zu Hilfe kommen könnten. ES ist keineswegs allein derpolilische Gegensatz zwischen Conservativ undRadical, der die leitendcnMänuer in Frankreich aus jede Weise gegen die Möglichkeit radicaler Neuwahlen ankämpscu läßt. Pm Gegcuthcil: von Zeit zu Zeit gehoben sich auch die opportunistischen Republikaner in Frankreich politisch radical genug. Die Abneigung gegen den Radicalismus beruht auf materiellen Grundlagen. Wie in den Bereinigten Staaten, so herrscht auch in Frankreich gegenwärtig eine Partei, die einseitig die Interessen der wohlhabenden Elassen vertritt. Man gehl an eine gerechte Reform der Steuern und an einen ausgiebigen Schutz der Arbeiter nur ungern heran, und weil man besorgt, daß radikale Wahlen sociale Reform-Gesetze herbeisühren würden, sucht man auf eine Weise, die in Deutschland für ungeheuerlich ge halten werden würde, die Möglichkeit solcher Wahlen zu verhindern. Man sieht daraus, wie die gepriesene Frei beit und Brüderlichkeit in republikanischen Ländern wirklich beschaffen ist. Die Rücksichtnahme auf die Interessen der gerade nicht an der Herrschaft befindlichen Elassen — denn wenn die „arbeitenden" Elassen statt der „besitzenden" in Frankreich oder Amerika an der Herrschaft wären, würde die Ungerechtigkeit nach der andern Seite hin geübt werden — ist in republikanischen Ländern eben darum geringer, weil die Controle durch die Monarchie fehlt, die, um mit dem Dichter zu reden, mit „interesselosem Wohlgefallen" über ¬ allen Ständen steht, die Gegensätze zwischen ihnen zu mildern sucht und dies sicherlich in noch größerem Umfange tbun würde, wenn sie nicht von der Socialdcmokratie Tag für Tag auf das Gehässigste angegriffen würde. So ist das republi kanische Phantom der Socialdemvkrie nur ein Nachtbeil für die arbeitenden Elassen. Borfälle, wie die in den Ber einigten Staaten und in Frankreich, sollten aber die denkenden Kreise unter den Arbeitern dahin führen, zu erkennen, wie thöricht das Hetzen der Führer und der Presse gegen den Monarchismus ist. Wie der Telegraph bereits gemeldet hat, soll der schon vor einiger Zeit angekündigte couservative Parteitag gegen Ende Januar in Dresden stattsinden. An die Ausstellung einer Tagesordnung ist der „Kreuzztg." zufolge noch nicht gedacht, doch hält dieses Blatt es für selbstverständlich, daß in erster Linie die bei den nächsten Reichstagswahlen zu befolgende Taktik, dann die Stellungnahme zu den übrigen Parteien und der Ausbau der Partei-Organisation zur Sprache kommen werden. Das letztere Thema erscheint der „Kreuzztg." als das wichtigste und zwar wegen des Gcldpunctes. Das Blatt bemerkt nämlich: „Der Gcsammtvorstand der conservativen Partei hat vor einiger Zeit beschlossen, einen Fonds zu sammel», um dem Bureau die Entsendung von Rednern in die deren benöthigenden Wahlkreise und die Anstellung eines besonderen Beamten, dem die Leitung der Partei im Lande und zu deren besserer Organisation obliegen soll, zu ermöglichen. Bis jetzt ist es nicht gelungen, diesen Beschluß ins Werk zn setzen." Bor einigen Monaten erschien eine Broschüre von einem „Alten Conservativen" über den Bund der Landwirthe; sie ist viel besprochen und von der „Kreuzztg." sehr abfällig beurtheilt worden; jetzt aber scheint dieses Blatt mit dem Verfasser darin übereinzustimmen, daß es für die conser- vative Partei sehr unzuträglich sei, wenn die Beiträge der Parteiangehörigen nicht mehr der eigenen Eentralleitung, sondern der Centrale des Bundes der Landwirthe Zuströmen. Die „Kreuzztg." sagt nämlich: „Es ist ein verhängnißvollcr Jrrthum, wenn man etwa die Parteiorganisation in solchen Bezirken vernachlässigen zu dürfen glaubt, wo der „Bund der Landwirthe" unter couser- vativer Führung organisirt ist. Für jeden conservativen Mann muß die Pflege einer strammen Parteiorganisation in erster Linie stehen; denn für ihn ist unser Programm, nicht das eines wirthschastlichcii Verbandes, zuerst maßgebend. Ein wirlhschast- licher Verband kann, so nolhwendig und werthvoll sein Wirren sein mag, niemals die politische Partei ersetzen. Für sich allein wird ec sein Werk nicht auszurichtcn vermögen, sondern wird stets auf große positive politische Parteien, als auf den parlamentarischen Stützpunct für seine Ziele, angewiesen sein. Die beiderseitigen Organisationen also sollen friedlich nebeneinander laufen, miteinander Hand in Hand gehen; aber immer muß die politische Organisation in erster Linie hochgehaltcn und gepflegt werden." Daß zur Pflege ganz besonders die pecuniäre Unterstützung gehört, ist selbstverständlich, und wenn diese in erster Linie für die politische Organisation gefordert wird, so bedeutet daS für die wirthschaftliche eine Zurückdrängung, die auf das „Handinhandgehen" von nicht unwesentlichem Einflüsse werden kann. Kein Wunder, daß der „Kreuzztg." die Orgamsationsfrage als die wichtigste erscheint. Die nichtconscrvative Presse legt begreiflicher Weise daS meiste Gewicht auf das, was in Dresden über die Stellungnahme der Conservativen zu den anderen Parteien beschlossen werden wird. Daß der Versuch gemacht werden wird, die gesammte dcutschconservative Partei zur Befolgung des von den sächsischen Conservativen durch ihre Stellung zu den Nationalliberalen gegebenen Beispiels zu veranlassen, glauben wir aus der im heutigen Morgenblatte mitgetheilten Zuschrift des Herrn I)r. von Frege-Weltzien schließen zn dürfen. An dem Erfolge scheint leider auch er zu zweifeln. Kurz vor seiner diesjährigen Hauptversammlung, die am 3. October in Wien stattsinden wird, hat der deutsche Lchttlvcrcitt itt Wien eine Uebersicht über seine Thätigkeit auf dem Gebiete des Schulwesens veröffentlicht, die den Nach weis liefert, daß der deutsch-nationale Verein auch im ver flossenen Jahre eine segensreiche Arbeit zu Gunsten bedrohter deutscher Gemeinden an den Sprachgrenzen und in den Sprachinseln entfaltet 'hat, obwohl die Einnahmen sich stark vermindert haben. Gegenwärtig erhält der Verein 27 Schulen mit 64 Elassen in 65 Abthcilungen. Von diesen Schulen finden sich in Böhmen 14, in Mähren 5, in Schlesien und Galizien 4, in Steiermark und Krain ebenfalls 4. Die bedeutendsten Vereinsschnlen sind die zu Hollcschowitz, Lieban und Werschowitz bei Prag, in der Prager Vorstadt zu Pilsen, in Böbmisch-Trllbau, PoShart- Königinhof, in Trschcmoschna bei Pilsen, in Eisenberg und Mährisch-Bndwitz, in Lipaik in Galizien, in der Ratiborer Vorstadt zu Troppau, in Licklenwald und St. Egidi in Steiermark, in Laibach und Maierle in Krain. Nur eine neue deutsche Schule konnte im Vorjahre errichtet werden; in Michalkowitz in Schlesien dagegen ist es in den letzten Jahren gelungen, 12 Vereinsschulen in die Verwaltung der betreffenden Gemeinden überzuführen (Bösching, Groß- Gallein, Zoscfstadt, Königinhos, Watzlav, Wranowa, Frei berg, Königsfeld, Kollorcdo, Panlowitz bei Olmütz, Schreiben dorf und Jarkowitz-Wlastowitz). Die Zahl der VereinS- kindergärten betrug 41. Bou diesen befinden sich in Böhmen 22, in Mähren 12, in Schlesien 1, im südlichen Oesterreich 6. Weiter wurden im abgelaufcnen Pereinsjahre 37 Schulen und 48 Kindergärten subventiouirt, 12 Gemeinden größere oder geringere Beträge zum Bau neuer Schulgebäude bewilligt, 53 Bibliotheken erweitert und 65 Schulen mit Lehr- und Lernmitteln bedacht. TheilS zur Gewinnung, theils zur Erhaltung tüchtiger Lehrer an Schulen sprachlich bedrohter Orte wurden 105 Gehaltszulagen und Ehrengaben gewährt. In 33 Fällen wurde das Schulgeld für arme Kinder bezahlt, in 56 Schulen wurden Weihnachts- bcscheerungen veranstaltet. Die gesammten verrechneten Einnahmen des SchnlvereinS betrugen im Jahre 1896 230 611 fl. gegen 231606 sl. im Jahre 1895 und gegen 302 850 fl. im Jahre 1889, die Ausgaben beliefen sich auf 214 528 fl. Der unantastbare Gründerfonds, von dem nur die Ziuscn verwendet werden dürfen, ist auf 195 624 fl. gestiegen. Bis Ende 1896 gab der Wiener Schulverein weit über 3 000 000 fl. für Schulzwccke aus. Trotz der hervorragenden Bedeutung, die der deutscbe Schul verein für die Erhaltung des DeutschthumS an der Sprachgrenze hat, findet er bei vie len Deutschen O esterreichS immer noch nicht die Unterstützung, die ihm gebührt. Tic ultra montanen Deutschen, eine kleine Gruppe der Antisemiten, der größte Tbcil des deutschen Adels und der deutschen Geistlich keit, ein Theil der Beamtenschaft stehen ihm theils feindlich, theils glcichgiltig gegenüber. Der tschechische Schul verein wird vom gesammten tschechischen Volke unterstützt. Fände der Wiener Schulverein die Unterstützung» l l er Deutschen in Oesterreich, so wäre der größte Theil der langgedehnten Sprachgrenze und der Sprachinseln längst vor slawischer und welscher Begehrlichkeit gesichert. Zum Schluß der großen französische» Herbstmanöver haben der KricgSminister Billot und der Präsident der Re publik Trinksprüche gewechselt, die in eine beredte Verherr lichung der Armee und ihrer militairischen Tugenden auS- klangcn. Bon den führenden Organen der Pariser TagcS- publicistik wird diesen Kundgebungen noch ausdrücklich be scheinigt, daß sie den Gedankengang der öffentlichen Meinung ganz Frankreichs widerspiegeln. D. h., ganz Frankreich ist, wo es sich um die Pflege und Ausbildung der Armee bandelt, ein Herz und eine Seele, alle Franzosen stimmen darin überein, die Misflon der Armee — die man nicht näher desinirt, die aber notorisch in der Vorbereitung des TagcS der Revanche besteht — als cine „geheiligte" zu bezeichnen. Mehr ist fin den Augenblick in der That nicht nöthig und wird weder von den Chauvinisten in Frankreich, noch von ihren Ge sinnungsgenossen außerhalb Frankreichs verlangt. Alles Andere bleibt dem „Walten des der Weltgeschichte imma nenten GerechligkeilSprincips" anheim gestellt, wobei nach französischer Anschauung es sich von selbst versteht, daß daS Berdict der Weltgeschichte gegebenen Falls so ausfällt, wie cS nach chauvinistischer Lesart im Voraus festgestellt ist. Nur um diesen Preis, wenn er auch nicht ausdrücklich stipulirt ist, nehmen die Franzosen jahraus jahrein die ihren: Naturell und Temperament so wenig zusagenden militairischen Pflichten auf sich, welche die Nation in den Stand setzen sollen, auf ein gegebenes Signal nach einem Allen bekannten und von Allen gebilligten Ziel die gesammten lebendigen Kräfte der Nation in einer einzigen gewaltigen Kraft anspannung in Bewegung zu setze». Es liegt, wie man sieht, ein tiefer Ernst in den eleganten Verbeugungen, welche Präsident Faure nnd Kriegsminister General Billot vor den im Norden manövrircuden Corps machten. Die Frage, ob nach Abschluß des griechisch-türkischen Krieges die versprochenen türkischen Nesormcn endlich zur Durchführung gelangen werden, wird jetzt viel erörtert und namentlich sind eö russische Blätter, welche sich damit be fassen. So schreibt die „Nowoje Wrenija", der neue Ver treter Rußlands in Konstantinopel werde sich mit sehr kate gorischen Erklärungen an die Psorte wenden, da ein sanftes Vorgehen nur im griechisch-türkischen Eonslictc am Platze ge wesen sei, aber nicht in der Frage der Reformen für die christlichen Unterthancn des Sultans. In dieser Frage würden alle Großmächte, besonders aber Rußland, die größte Energie entwickeln, um die Türkei zur Annahme der Neformvvrschläge zu zwingen. Hiernach gedenkt also Rußland die Führung in der Reform-Angelegenheit zu übernehmen. Allein, abgesehen davon, daß England Alles daran setzen wird, um Uneinigkeit unter Len Mächten zn säen, d. h. ihre Action unwirksam zn machen, ist die Türkei gegenwärtig nicht daS mehr, was sic vor dem Kriege war. Das Selbstbewusstsein der Pforte nicht nur, sondern der gesammten muhamedanischen Bevölkerung ist gewaltig gewachsen und weit entfernt, von Europa sich bevormunden zn lassen, ergebt man sich in Dithyramben über den Panislamismus. So schreibt die Konstantinopeler Zeitung „Maluminat" in ihrer Nummer vom 13. September: Tie Gläubigen des Propheten durchleben in diesen Tagen unter der ruhmreichen nnd unvergleichlichen Regierung Abdul Hamid II. ein seltenes, kaum erwartetes Glück. Durch die gesammte islamitische Welt, von den Westen Marokkos an durch ganz Afrika nnd Asien bis zu den australischen Inseln hin geht das eine Gefühl, daß jetzt die Zeit gekommen ist, in der Las Reich des Propheten in feiner alten Herrlichkeit wieder ausgcrichtet werden soll. Rührend ist es, wenn unserem Herrscher von Sumatra und Java her, ja sogar aus dem durch die Engländer so völlig ausgeplünderten Feuilleton» Götzendienst. 12j Roman in zwei Theilcn von Wold em ar Urban. Nachtruck verboten. Eine derartige Auszeichnung mußte natürlich allgemein aufsallen. Der Maler sah sehr nett und anständig aus, das feierliche Schwarz kleidete den jungen Mann mit den ernsten treuen Augen und den leicht erregbaren Mienen wirklich gut. Auch Fräulein Felicia schien diese Wahrnehmung zu machen; sie plauderte sehr lebhaft auf ihn ein und offenbar mit großem Vergnügen. Der ihr vollständig fremde Typus des MalerS schien gleichwohl eine gewisse Vertraulichkeit und llngenirtheit bei ihr zu erwecken. „Wer ist das?" flüsterte Frau Courcelles leise und sah den Grafen Victor nicht wenig erstaunt an. „Der Maler", sagte dieser halb verlegen, halb verächtlich. „Haben Sie eine Ahnung, waS das bedeuten kann?" „Nicht im Geringsten." „Gleichwohl, wir werden eS später erfahren. Kommen Tie, Herr Graf, man nimmt Platz und auch wir wollen uns niederlassen." DaS Diner verlief, wie in der Regel alle derartigen An sammlungen einer Menge von Leuten verlaufen, die, aus ihre» Gewohnheiten gerissen, in ein steifes Eeremoniell hinein gezwängt werden und die sich nun mit völlig unbekannten, gleichgiltigcn Personen unterhalten müssen — nämlich sehr eeremoniell und steif, sehr vornehm und nobel und sehr — langweilig. Der Maire von Monte Carlo klopfte gleich nach ter Suppe zufolge des vorbei bis ins Kleinste festgesetzten Programms ans Glas, sprach eine Zeit lang von der Edel- miitbigkcit, der Freigebigkeit und wahren NoblcsseTonGraciaS te Melida'S , erzählte von den Thränen des Elends und Kummers, die er getrocknet durch seine wvhlthätigc Hand, und von einer Menge anderer schöner Dinge, von denen er schließlich selbst nickt das Geringste wußte, bis er schließlich die An wesenden anffordcrte, „das GlaS zu erheben" rc. rc. Dann fiel die Musik ein und die Gäste schrieen dreimal Hock', zer brachen beim Anstößen einige Gläser und waren sehr begeistert, bis der Fisch herumgereicht wurde. Nach dem Fisch erbat sich hinwieder Don GraciaS, kräftig an sein Glas klopfend, die Aufmerksamkeit der verehrten Gäste und laS von einem Zettel, den ihm der Sccretair zuzeschoben hatte, ein Langes und Breites von der Gastfreundlichkeit Europas — wobei sich Don GraciaS im Stillen auSrechnete, daß ihn diese Gastfreundschaft in den acht Tagen, die er sie bisher genoß, circa zweihundcrttausend Francs gekostet — von der fortgeschrittenen, hochentwickelten Cultur der alten Welt — wobei er, natürlich wieder ganz im Stillen, an die Bettclbriefstöße dachte, die ihm die Post täglich brachte — und trank schließlich auf das Wohl der hochedlen Ver sammlung, die, wie er genau wußte, zn zwei Dritteln ans Schnorrern und Halbgauncrn bestand. Andere Redner folgten ihm, die entweder etwas Anderes oder das Gleiche, nnr mit veränderter Wortfolge, sagten — eine endlose Kette langweiliger Einzelheiten, so daß schließlich Jeder befriedigt aufathmete, als der Hausherr die Tafel aushob, womit sozusagen die „osficielle Schinderei" ein Ende hatte. Die Gäste zerstreuten sich in die Nebensäle, die Herren setzten ihre Cigaretten in Brand, tranken Kaffee und plauderten in kleinen zwanglosen Gruppen. Hierbei war nun freilich auch Fräulein Felicia in ihrem Element, mehr als während der Tafel, wo sie zu ihrem Leidwesen nicht auch eine Rede halten konnte, sondern immer nur auf DaS hören mußte, WaS Andere sprachen. Um flattert von einer ganzen Schaar liebenswürdiger Schwere- nöther, die nach ihrer Meinung einige Millionen Mitgift sehr bequem unterbringen konnten, war eS ihr möglich, ihre Stimme und ihren mehr als naiven Geist in jeder Richtung zur Geltung zu bringen. „Bezaubernd! Entzückend! Unvergleichlich!" tönte eS in allen Nuancen einer faden und übertriebenen Schmeichelei um sie her. „Und WaS sagen Sie, Herr Hartwig", rief sie dem etwas abseits stehenden Maler zu, „was ist Ihr Unheil über meine Toilette?" Dabei drehte sie sich kreiselartig, mit emporgehobenen Armen vor dem Maler herum, um sich von allen Seiten bewundern zu lassen. Gerade an seinem Lobe schien ihr besonders viel gelegen zu sein. „Zu viel Gelb, gnädiges Fräulein", sagte der Maler einfach. Fräulein Felicia war einen Augenblick stumm vor Ent rüstung. Sie wußte sehr Wohl, daß sie durch ihren gelblichen Teint von ihrer augenblicklichen Umgebung abstach und mochte meinen, der Maler hätte sich eine dahin-zielende Anspielung erlaubt. „Sie meinen ohne Zweifel, mein Herr ", begann sie dann, den vermeintlichen Missethäter zornig von oben bis unten mit den Blicken messend. „Ich meine, gnädiges Fräulein, daß sich sowohl Ihre Gestalt als auch Ihr Kopf auö dunklen Farben, etwa ein ganz dunkles Grün ober Blau, oder auch Schwarz entschieden und besser abhebt, während Gelb das Auge bei Ihnen zu leicht ermüdet", antwortete der Maler etwas befangen nnd bescheiden, obgleich sein Urtheil vollständig begründet war nnd seinem Farbensinn alle Ehre machte. Aber Fräulein Felicia war durch ihre Umgebung zu sehr verwöhnt, als das; sie etwas Unangenehmes und wenn eö hundertmal der Wahrheit entsprach, nicht unangenehm hätte empfinden sollen. Gereizt erwiderte sie daher: „Ich weiß nicht, ob Sie sich nicht doch etwas täuschen, mein Lieber; gerade dunkle Farben —" „Stehen Ihnen weniger gut", warf Graf Victor plötzlich ein, der kleinen Gruppe näher tretend. „Ich für meinen Theil möchte an Stelle dieser gelben Farben nichts Anderes von der Welt sehen und halte Ihre Wahl, meine Gnädigste, für eine entschieden glückliche." Das war schon eine andere Tonart, und außerdem ver band Graf Victor seine Worte mit einem gewissen elegischen Augenausschlag, der, wie man zu sagen pflegt, keineswegs von schlechten Eltern war. Die Umstehenden kicherten, lachten den Maler ob seines unpassenden Unheils aus und raunten sich einander zu, daß man einen größeren Tölpel nie gesehen habe. Herr Hartwig fühlte das wohl anch heraus, wenn er auch die Worte der geflüsterten Unterhaltung nicht verstand. Eö wurde ihm unbehaglich, und er gestand sich selbst ein, daß er eigentlich in diese Kreise nicht paffe. Allein schon der ganz ungewohnte Anzug, der Frack, die weitauögeschnittcne weiße Weste, die Stiefeln, neu und unbequem. Alles im höchsten Grade lästig. Er kam sich in dieser peinlich empfundenen Situation etwa wie ein Aal vor, der durch Zufall auS dem heimischen Element auf Gartensand geratbcn ist. Weit weg wünschte er sich, und er war gerade im Be griff, sich aus Französisch zu empfehlen, las ihn Georgette plötzlich unter den Arm faßte und beiseite zog. Das konnte möglicherweise ein schlau beabsichtigtes Ma növer sein — jedenfalls nahm Elvira jetzt den Arm des Grafen Victor, um in eine Nische zu treten, wo sie sich niederließen, um den Kaffee einzunchmen. „Ich begreife Papa nicht", ereiferte sich Fräulein Felicia in ihrer langathmigen Weise, „wie er uns einen solchen Menschen auf den Hals laden kann, einen Menschen ohne alle Manieren und olmc jede Bildung." „Woher sollte er sie anch haben -, meine Gnädigste? Ein Maler — bah!" „Pfui! Und wie sah der Mensch neulich aus! Herunter gekommen, schmutzig und zerrissen in der Kleidung und noch dazu halb verhungert. Hätte ihm Papa nicht aus Mitleid einiges Geld gegeben, ich glaube sicher, er wäre verhungert. Und so ein Mensch nun will über meine Toilette urtheilen ?" Ueber Abwesende raisonnirt es sich bekanntlich sehr leicht, und Fräulein Felicia schien außerdem froh zn sein, einen Gesprächsstoff zn habe», an dem sie nach Herzenslust ihre Nedewuth auslassen konnte. Geduldig hörte ihr Graf Victor zn. Daß ihn aber dieses Anhörcn besonders glücklich gemacht, konnte auch der stärkste Mann nicht behaupten, aber er hatte gute Gründe, den Geduldigen und Aufmerksamen mit aller Seelenruhe zu spielen. Seine fünftausend Francs reichten ja nicht ewig, am allerwenigsten bei seiner jetzigen Lebens weise; aber ehe sie ganz und gar verbraucht waren, mußte die Entscheidung unbedingt gefallen sein. Eigentlich brachte ibn die kleine nervöse Stimme Felicias' und ihr unaufhör liches erregtes Sckmattern zur Verzweiflung; aber dennoch zuckte er mit keiner Wimper, dennoch hörte er mit der ge spanntesten Aufmerksamkeit, mit dem liebenswürdigsten Inter esse in einer Weise zu, wie sie eben nnr der vollendete Salon mensch zu heucheln vermag. Und daS Resultat war denn auch, daß Fräulein Felicia Gefallen an ihm fand, ihn für einen gebildeten, feinen und vornehmen jungen Mann ansab, der er ja doch schließlich auck» war. Für eine Menge von Menschen genügt cS eben, vollständig Len Anderen fein nnd vornehm zn finden, und zn diesen Menschen zählte offen bar auch Felicia. In diesem Augenblick trat Don GraciaS hinzu und hörte eine Weile der Unterhaltung der Beiden zu. Seine dicken Lider hingen schwer über den dunklen Augen herab und ver deckten sie fast ganz. Niemand wäre im Stande gewesen, an« diesen massigen, fleischigen Zügen heranszulesen, waS hinter ihnen vorging. „Ah, liier sind Sie, Herr Graf!" ries er diesen endlich an. Gras Victor cntsck'nldigle sich bei Fräulein Felicia höflich und stand mit einer Verneigung ihr gegenüber auf. „Sie haben mich zu sprechen gewünscht, Excelleuz?" „Eiu paar Worte wollte ich mit Ihnen allerdings wechseln, Herr Graf; Felicia, Tn verzeihst wohl einen Augenblick."
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