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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.09.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-09-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970923029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897092302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897092302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-09
- Tag1897-09-23
- Monat1897-09
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Dieser Wunsch ist begreiflich und nicht unberechtigt, aber ein praktisches Ergebniß würde die vom Kaiser gewonnene Erkenntniß doch nur dann haben können, wenn das deutsche Volk auch seinerseits aus den ungarischen Festen eine Lehre zöge. Es bat sich bei diesen Festen wieder einmal gezeigt, wie in Ungarn, wenn es sich nm die Interessen des Staats bandelt, die politischen Gegensätze schwinden, während in Deutschland der Hader der Parteien auch bei solchen Fragen entscheidend zu Tage tritt, die mit den parteipolitischen Principien nichts zu thun haben. Man denke nur an die Flott en frage. Wie soll der Kaiser vor dein Bolkswillcn Respect bekommen, wenn er sieht, daß eine Frage der nationalen Wehrkraft als eine Parteisrage an gesehen wird und daß gerade solche Parteien, die den Bolkswillcn am liebsten zum allein entscheidenden Factor machten, ihren Anhängern emzureden versuchen, mit jedem Schiffe, das der Negierung bewilligt wird, werde die Neaction gefördert? Vermögen diese Parteien von dem Verhalten der Ungarn nichts zu lernen, so wird auch ihr Wunsch bezüglich der Lehren, die der Kaiser aus seiner An wesenheit in Pest ziehen könnte, ein „frommer" bleiben. Aber auch noch Anderes könnten nnd sollten diese Parteien von den Ungarn lernen, und nicht sie allein. In Ungarn werden die Männer, die den Staat groß gemacht haben, von allen Parteien geehrt, einerlei, ob der große Mann ein Radikaler war, wie Kvssuth, oder ein Vertrauensmann des Königs, wie Andrassh. Die Ehrung, die dem Mitbegründer des deutsch-österreichischen Bündnisses, dem verstorbenen Grafen Andrasst), durch die Auszeichnung seines Sohnes zu Theil geworden ist, wurde auch von den radikalen ungarischen Blättern dankbar anerkannt, obwohl er politisch der ge mäßigten Partei angehört hat. Wie die ganze ungarische Nation sich über diese Ehrung gefreut hat, so müßte sich die ganze deutsche Nation schmerzlich davon berührt fühlen, daß weder in Homburg, noch in Pest des noch lebenden Staats mannes gedacht wurde, der der Hauptschöpfer des Dreibundes gewesen ist: des Fürsten Bismarck. Das officiöse Wiener „Fremdenblatt" empfindet diesen Mangel, indem es davon spricht, daß die Allianz mit dem „großen Kanzler des deutschen gleiches" abgeschlossen worden sei. Freilich, wenn auch des Fürsten Bismarck an den Festtagen von Homburg und Pest nicht osficiell gedacht worden ist, so haben doch sicherlich viele Hundcrttauscnde nicht nur in Deutschland, sondern auch in den befreundeten Staaten des genialen Be gründers des Dreibundes gedacht und ihm dafür gedankt, daß er für Feste, wie die von Homburg und Pest, die Wege gebahnt und den Boden geebnet hat. Zu den Parteitagen, die Vorboten der NeickStagö- wahlcn sind, ist nun auch der der süddeutsche» Volksparte gekommen, die sich am Sonnabend und Sonntag in Mann heim den Wählern mit tönenden Worten in Erinnerung gebracht hat. Das war der Hauptzweck; der zweite gine dahin, den Getreuen einzuschärfkn, wie sie in solchen Kreisen, in denen die Aufstellung eigener Candidaten sich nicht empfiehlt, sich zu verhalten haben. Die eminente Weit herzigkeit der süddeutschen Demokratie zeigte sich dabei wieder im hellsten Lichte. Wo eigene Candidaten eine Aussicht haben, sollen die nahestehenden Parteien unter- tützt werden. Das versteht sich eigentlich von selbst, da aber die Herren mit dem einen Aermel den Illtramontanismus und mit dem andern die Socialdemokratie berühren, so be deutet die Empfehlung nichts Anderes, als die Proklamation der politischen Grundsatzlosigkeit, die nur ein Ziel kennt: das ersprießliche Zusammenwirken des Bundesraths und des Reichstags zu verhindern. Daß bei der Preisung der eigenen Verdienste allerlei heitere „poetische Licenzen" mit unterliefen, ist verständlich aus der Natur der Agitation, welche eine so radikale Partei wie die süddeutsche Demokratie sich nun einmal ge statten kann. So wurde des Reichstags — zu dessen Majorität doch die süddeutsche Volkspartei selbst gehört — von den Führern Haußmann und Payer in folgender Weise gedacht: „Was nützen die schönsten Reden im Reichstag bei der bestehenden Mehrheit? Hier lahmt Alles unter dem Gefühl der Bedeutungslosigkeit." Das ist eine eigenartige Entschuldigung für die fortgesetzte Leere gerade auf den Bänken der süddeutschen Volköpartei, und sie nimmt sich um so seltsamer aus, als in demselben Atbemzug dieselben Herren sich für die nächsten Wahlen als Vorkämpfer eines — konstitutionellen Regiments empfehlen. Indessen wird man den Herren Payer und Haußmann genau dasselbe nachsagen dürfen, wie dem Abg. Richter: daß sie als erfahrene Politiker wissen, wie und womit agitirt werden kann. Und insofern ist es nicht rathsam, die Herbstparaden des partikularen Radikalismus wegen ihrer inneren Leere auf die leichte Schulter zu nehmen, wo er sich anschickt, als „Verfassungspartei" mit der „Sorge um das uns Deuische umschlingende Band der Reichsgemeinschaft" Wahlen zu machen. Mit solchen Parolen giebt sich die Demokratie nicht ab, wenn sie sie nicht für zugkräftig hält, und das sollte zu denken geben. Sonderbare Erscheinuungen zeitigt der jetzt auch in Lcstcrrcichisch Schlesien mit außerordentlicher Heftigkeit ge führte Nationalitätenkampf. Hier stehen sich drei Nation^ alitälen: Deutsche, Tschechen und Poleu gegenüber und zwar zu annähernd gleichen Theilen. Früher kämpften Tschechen und Polen oft gemeinsam Schulter an Schulter gegen die Deutschen. Heute herrscht aber zwischen den beiden slawischen Volksstämmen eine außerordentlich gereizte Stimmung. Die Polen, die früher in Schlesien immer über angebliche Ver gewaltigung durch die Deutschen klagten, beschweren sich auf ein mal über brutale Tschechisirung. Der in Lemberg erschei nende „Kurycr Lwowski" veröffentlicht eine ganze Reihe Einzel fälle mit Namesangabe, bei welchen den Polen die größten Ungerechtigkeiten in sprachlicher Hinsicht durch die Tschechen zu- gesügt worden seien. Der tschechische Terrorismus überschreite alle Grenzen. Die Tschechisirung einer größeren Anzahl pol nischer Gemeinden sei bis zu einem gewissen Grade bereits er folgt und in absehbarer Zeit bestimmt zu erwarten. Besonders beklagen sich die Polen darüber, daß in deu Kohlenbezirken die meist tschechische Beamtenschaft bestrebt sei, Einfluß au die Gemeindeverwaltung zu erhalten. Auch wenn in einem solchen Orte nur vier tschechische Beamte seien, etzten sie doch öfters ihre Candidatenliste durch und s,?''" s.°'e». sie bestrebt, die bisherige polnische Gemeinre- schule m eine tjchechljchc umzuwandeln. Wenn die Bauern lamlich nicht die lohnenden Kohlenfuhren verlieren wollten so muhten sie für die tschechische Candidatenliste stimmen' Die Gewcrbtreibenden, Gastwirthe, Kaufleute seien von den durch Tschechen geleiteten Grubenverwaltungen vollständig abhängig und so schon verschiedene polnische Schulen gänzlich ticheckisirt worden. In Wierzbica hätten zwei reiche inabhangige Bauern die drohende Tschechisirung der Gemeinde- chule nur dadurch verhindert, daß sie die polnische Schule ni eine deutsche umwandelten. Auch in Lazy, wo die -dlchechen nur einen verschwindenden Brucktheil der Bevölke- rung bildeten, wollten sie jetzt die polnische Gemeindeschule in eine t!chechi,che umwandeln. Schließlich rälh der „Kuryer ^wowsn den Tschechen an, in Böhmen und Mähren sitzen zu bleiben, und ihre Hände von Schlesien zu lassen, denn sonst konnten sic nock Verschiedenes erleben. Hiernack können die Polen sich einen Begriff davon machen, wie die Tschechen, denen sie jetzt gegen die Deutschen Handlangerdienste leisten, erst haujen würden, wenn sie die „herrschende" Nation wären. Ueber den Conflict zwischen dem spanische» Finanz minister Reverter und dem Bischof von Palma, be ziehungsweise über die Gründe, welche den Bischof ver anlaßten, über den Minister den Kirchenbann zu verhängen wirb jetzt ans Madrid des Näheren mitgetheilt: Auf der Insel Mallorca besteht ein großer Wald, dessen Werth am 1 900 000 Pesetas geschützt wird, der bis zum Jahre l855 einer frommen Stillung gehörte. Im genannten Jahre erloschen die Rechte der Stiftung auf den Wald und eS blieben ihr nur minder- werlhige, daranstoßende Liegenschaften, bestehend aus einer Capelle einer Wohnung und einem Gemüsegarten für Len fungirenden Geist liche». Obschon nun 1855 durch königlichen Beschluß der Wald sacularifirt wurde, so behielt doch der Geistliche durch eine Gefälligkeit des Staates die Verwaltung desselben für Rechnung des Staatsschatzes. Vor einigen Monaten erfuhr der Finanzminister, daß der Staatspriestcr den Wald in einer unqualisicirbaren Weife verwaltete; wie es scheint, ließ er die schönsten Bäume nmhauen und verlauste sie an catalonische Holzbändler. Viele uralte Stämme wurden einfach mittels Dynamits zu Fall gebracht. Herr Navarro Reverter unterbreitete darauf im Juli dieses Jahres der Königin-Regentin eine Verfügung, durch welche dem Stiftsgeistlichen die Verwaltung des Waldes entzogen wurde und der Fiscus sie übernahm. Damit war aber der Bischof von Palma nicht ein- verstanden und bat den Minister, er möge die Inkraftsetzung der königlichen Verfügung bis auf spätere Zeiten ausschieben. Hieran- antwortete Reverter, die Inkraftsetzung könne blos auf gerichtlichem Wege aufgcschoben werden. Zugleich ertheiltc er die nötkigen An- Weisungen zur staatlichen Besitznahme der Liegenschaft. Bewaffnete Fiscalbcamte besetzten den Wald und trieben die Angestellten Les Stiftsgeistlicheii hinaus. Da entbrannte der Zorn des Bischofs. Ohne weitere Reclamation einzureichen, ohne sich an Len Justiz minister zu wenden, erließ er ein Rundschreiben, worin er feierlich erklärte, daß Herr Navarro Reverter, Finanzminister, dem großen Kirchenbanne verfallen fei, weil er sich Kirchengüter widerrechtlich zugeeignet habe. Ter Bischof erstreckte den Kirchenbann auch aus die Fiscalbeamten, die in der Angelegenheit intervenirten, sowie eventuell gegen Alle, die sich unterstehen sollten, den Wald vom Staat zu pachten oder zu kaufen, sowie gegen deren Erben. Wie bei dieser Sachlage die spanischen Minister geneigt sein konnten, ihren College» fallen zu lassen — sie haben sich mittlerweile eines Besseren besonnen und wollen ein Memo randum an den Papst richten —, ist um so unbegreiflicher, als der Papst, wie gemeldet wird, den Eifer des karlistischen Bischofs, der entgegen den Weisungen des Vatikans die Exkommunikation veröffentlichte, entschieden miß billigt. Geradezu ungeheuerlich aber ist cö, daß die Regentin von Spanien die Abdankung des Ministers dadurch erzwingen zu wollen scheint, daß sie seine Ver- fügungen nicht mehr unterzeichnen will. Es crgiebt sich daraus, daß sie sich vollständig in der Gewalt des Klerus resindel. Cs braucht kaum erwähnt zu werden, daß bei olchen Verhältnissen die Autorität des Staates rettungslos ZU Grunde gehen muß; denn wenn ein Minister von einer Herrscherin brüskirt wird, weil er eS gewagt hat, einem Priester gegenüber das Interesse deö Staates zu wahren, so ist es nur logisch, daß der einfache Bürger oder Bauer jedem Bettelmönch eher gehorcht, als dem höchsten Beamten. Und wenn sich früher oder später einmal die Bettelmönche an die Spitze karlistischer Banden stellen werden, dann wird die spanische Regentin sich darüber klar sein müssen, daß sie das Unheil über das Land heraufbeschworen hat. Die traurige Lage auf den Philippinen und die Jammer geschichte Spaniens unter dem der Geistlichkeit unterworscncn Ferdinand VII. im ersten Drittel dieses Jahrhunderts hätte der Regentin von Spanien klar machen sollen, wohin ein Land kommt, das von dem Klerus regiert wird. Die in Rußland bis jetzt von den Schulbehörden geübte gewaltsame Heranziehung der Schüler nicht orthodoxer Consessionen zu dem Gottesdienste in den orthodoxen Kirchen bat nunmehr ein Ende genommen. Wie die „Juriditscheskaja Gazeta", das Organ des russischen Justizministeriums, meldet, bat der russische Minister des Innern Las Unterrichts ministerium davon verständigt, daß er angesichts der häufig vorkommenden Mißverständnisse zwischen der römisch-kaldo- lischen und der lutherischen Geistlichkeit mit den localen Schulbehörden in Bezug auf die Heranziehung der Scküler dieser Confessionen zu dem Gottesdienste in den orthodoxen Kirchen und zur Betheiligung an dem vor Beginn des Unterrichts abzuhaltenden allgemeinen Gebete mit den orthodoxen Schülern vom Kaiser Nikolaus II. folgenden Befehl erhallen hat: „1) Die Nöthigung nichtorthodoxer Schüler zum obligatorischen Besuche der orthodoxen Gottesdienste ist in sämmtlichen Lehranstalten des Reiches einzustellen; 2) das für alle christlichen Schüler vor Beginn deö Unterrichtes abzuhaltende Gebet hat fortan nach dem Ritus eines jeden Glaubensbekenntnisses stattzufinden." Diese Verfügung wird besonders im Weichfelgebietc freudig begrüßt werden, da von der früheren Praxis der gewaltsamen Heran ziehung nichtorthodoxer Schüler zu den orthodoxen Gottesdiensten die Polen am härtesten betroffen wurden. — In Verbindung damit verdient eine ministerielle Ver fügung Beachtung, die sich auf den evangelischen Re ligionsunterricht in den russischen Gymnasien und auf die Sprache, in der der Unterricht erthcilt werden soll, be zieht. Es ist bestimmt worden, daß den Anstaltsdirectoren nach wie vor die allgemeine Aufsicht über den evangelischen Religionsunterricht zuslehen soll; doch verbleibt den Predigern die Controle über die Unterrichtsmethode, über das Lehrprogramm, sowie über die Kenntnisse und Fortschritte der Schüler. Hin sichtlich der Sprache, in welcher der Religionsunterricht zu ertkeilen ist, wird bestimmt, raß man nach Möglichkeit das Russische zur Anwendung bringen soll; erweist dieses sich aber Fenrlletsn» Götzendienst. 15*j Roman in zwei Theilen von Woldemar Urban. Nachdruck verboten. Wider Erwarten war jedoch Graf Victor von der Mit- theilung der Frau Courcelles nicht sonderlich erbaut; er ver fiel in ein brütendes Nachdenken und äußerte endlich: „Herr de Mclida hat Ihnen das osicrirt?" „Gewiß — und ich sollte meinen, eS wäre nichts dabei, über das man nachdenklich den Kopf hängen lassen könnte, wie Sie es lbun. Gehen Sie getrost zu Herrn Delorme und nehmen Sie das Geld, das Don Gracias Ihnen offc- riren läßt. Geld nehmen ist in der Welt das Weiseste, was ein Mensch thun kann." „Nach Ihrer Ansicht, meine Gnädige; ich möchte jedoch in diesem Falle davon absehen." „Aber weSbalb?" Graf Victor blieb einen Augenblick stehen und malte mit seinem Spazicrstocke Figuren in den Sand. „Ich weiß eS eigentlich selbst nicht", antwortete er nach denklich; „aber ich habe daS ganz bestimmte Gefühl, daß ich unrecht handle, wenn ich das Geld annehme." „Lieber Freund, solche Fehler sind keine Fehler! Seien Sie um GottcSwillcn nicht skrupulös. Geld ist Geld — gleichgiltig, von wem eS kommt. Aus dieser Welt wenigstens ist eS die einzige treibende Kraft; wie es in jener anderen ist, von der die Pfaffen und Kinder reden, können wir nicht wissen und haben daö auch nicht nöthig. Hier aber ist nun einmal Geld der Haupttrumpf, der gilt, und da er sich Ihnen nun selbst darbietet, so greifen Sie doch zu und kümmern sich um nichts Anderes!" „Nein, gnädige Frau, so ist daS nicht! Es handelt sich vielmehr darum, ob ich durch Annahme jenes Angebotes in Abhängigkeit von Don GraciaS gerathe, oder er in Ab hängigkeit von mir bleibt, wie daS bisher der Fall war. Nehme ich sein Geld, so habe ich verspielt und muß nach *) In der gestrigen Abendnuminer ist aus Versehen ein späterer Theil des Romans zum Abdruck gekommen, der vorstehende bildet Len Anschluß an die Romanforlsetzung in der Diensiag-Abend- nummer. Der gestrige Romaniheil wird, um das Ganze richtig zu gestalten, an der gehörigen Stelle nochmal« zum Abdruck kommen. seiner Pfeife tanzen, während er augenblicklich noch an mich gefesselt ist." „Wieso denn an Sie?" „Haben Sie das noch nicht berausgefüblt? Nur von mir hängt eS eventuell ab, ob Herr de Melida am Hofe von 4*4 vorgestellt wird oder nicht, und da er darauf be steht, daß das geschieht — warum, daö ist sein Geheimniß und mag eS meinethalben auch bleiben — so ist er in dieser Hinsicht doch thatsächlich von mir abhängig. Es giebt ja eine Unzahl von eitlen Menschen, die Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um das zu erreichen, wonach ihre Eitelkeit verlangt, und da Don Gracias nun einmal darauf bestehen bleibt, so muß er sich eben nach mir richten. Je nachdem ich ibn in *** lächerlich mache oder nicht —, ich könnte zu dem Einen so gut Veranlassung nehmen, wie zu dem Andern — wird er reussiren oder nicht." „Lieber Freund, soweit ich die Welt beurtheilen kann, ist das bare Tborheit, was Sie soeben sagten. Nehmen Sie jedoch das Geld, so bandeln Sie richtig. ' Was dann kommt, werden wir ja sehen." „Gewiß werde ich nun sein Geld nehmen, aber doch unter einer anderen Form: nicht weil er eS bewilligt, sondern weil ich es zu fordern haben werde." „Zu fordern? Das verstehe ich nicht." „Und doch ist eS ebenso einfach, wie richtig. Als sein Schwiegersohn habe ich doch zu fordern, nämlich eine Mit gift, und ich sehe nicht ein, warum ich bitten soll, wo ich eventuell fordern kann. Ich weiß nicht, woher mir diese Be fürchtung kommt, aber ich traue dem Don Gracias nicht recht. Manchmal erscheint er mir so abgefeimt und schlau, so echt amerikanisch durchtrieben, daß mir ordentlich unheim lich vor ihm wird." „Warum nicht gar! Wo soll bei ihm die Schlauheit Herkommen? Im Fette steckt sie lange nicht, und Shakespeare hat recht, wenn er seinen Julius Cäsar sagen läßt: „Laßt dicke Menschen um mich sein, die Dünnen denken zu viel! Don GraciaS denkt am allerwenigsten." „Sei es, wie cs sei; ich halt« es in jedem Falle für prak tischer, wenn wir die Verlobung mit Felicia kurzer Hand vollziehen." „Ganz meine Meinung; aber das hängt nur von Ihnen ab. Warum erklären Sie sich nicht?" „Ei, zum Henker! Seit unserer ersten Begegnung im Parke bade ich mit Felicia Wohl nicht ein« Minute wieder allein sein können. Besorgen Sie mir nur eine Gelegenheit, einen Ausflug, eine alte Ruine, einen einsamen Spaziergang am Meer oder sonst wohin mit ein wenig Mondschein und murmelndem Wellenschlag und ich gebe Ihnen mein Wort, in einer halben Stunde ist die Sache abgemacht; denn hier ist sie ja immer von einem halben Dutzend Dienern oder von ihrem Bruder, dem Stiefel, oder von ihrem Vater, dem Fettklumpen, umgeben. Wo soll da — ich bitte Sie — Poesie und Liebe Herkommen, die nun einmal zu einer Ver lobung gehören? Unmöglich, meine Liebe, unmöglich! Sie werden das ja auch selbst einseben." „Hm!" machte Frau Courcelles nachdenklich, und erst nach einer Pause fuhr sie fort: „Und das soll hier noch geschehen?" „Sobald wie möglich." „Ich meinestheils würde eS jedoch für angebracht halten, wenn Sie bis zum Antritt der Reise warteten, oder bis dann, wenn sie vollendet ist; in Ihrer Heimath, im Zauber der epheuumrankten Scbloßthürme von Hablingen — —" „Bewahre, bewahre! Ich bestehe darauf, sobald wie möglich!" „Hm, hm, lassen Sie mich überlegen, Herr Graf. Wie war denn die Affaire mit dem Maler? Der Mensch spintisirt da immer draußen am Cap Martin herum; da ist Wald und Fels und Wellenschlag und Mondenschein obendrein — notabene wenn eS Nacht ist. Er malt wohl an jener Stelle das Pendant, das Don Gracias die Güte hatte, bei ihm für sechstausend Francs zu bestellen. Wie wär's nun, wenn wir die ganze Gesellschaft einmal dort hinausführlen, natürlich nur um Scenerie und Bild zu besehen. Es ist ein schöner Auöflug, und wenn Sie dabei klug sind, Herr Graf, so " „Arrangiren Sie das, meine Liebe, und lassen Sie alles Andere meine Sorge sein. Vortrefflich! Arrangiren Sie daS!" Dabei strich und drehte Graf Victor seinen Scknurrbart und war so ungeduldig und nervös, wie nur Jemand sein kann, der vielleicht um Millionen spielt und doch keinen Pfennig besitzt. Und er spielte nicht nur um Millionen, er spielte um seinen eigenen inneren Menschen. Und vor seinen inneren Blicken sanken alle die Blumen der Menschheit, sanken die Liebe und Treue, Aufrichtigkeit und Hingebung, Freude an Natur und Kunst, Unschuld und Jugendlichkeit — daS Alles sank vor ihm in den Staub seiner schmutzigen Berechnungen. Es galt ihm nichts, ob Felicia ibn liebe oder nicht, ob ihre Person und ihr Charakter geeignet seien, ibn glücklich zu macken, ob eS recht oder ge wissenlos sei, mit ihrer Jugend und Unerfahrenheit zu spielen und im Gegentheil gerade darauf seinen Plan zu bauen. Nur der nackte, entsetzliche Götze des Besitze« war die -prieb- feder seiner Calculationen und seiner Handlungsweise. „Gut, ich werde das einzurichten wissen", erwiderte Frau Courcelles dann. „Zunächst werde ich mit Georgette reden und denke, daß sick daraufhin die Sacke leicht und bestens macken wird. Vielleicht — hm — ja, sie kann den Maler aufstacheln, daß er selbst Don Gracias invitirt, sein Bild mit der Natur, die er copirt, mit dem Original zu ver gleichen, und ich meine, so sieht das sehr unschuldig aus und Niemandem wird es einfallcn, daß wir hinter dem Vorhaben stecken. Nicht?" „Machen Sie daS, wie es Ihnen beliebt, meine Gnädige, nur machen Sie es wirklich", rief Graf Victor wieder un geduldig. „Nur Geduld, immer nur Schritt für Schritt, mein Bester. Ich werde das Meinige schon vollbringen. Und nun — Adieu! Mein Weg führt mich hierber." „Aus Wiedersehen, gnädige Frau, auf Wiedersehen!" Es war nun gerade keine Kleinigkeit für Frau Courcelles, die engen, schmalen, in daö Atelier ihrer Tochter führenden Steintreppen hinaufzuklimiiien, und die hübsche, etwas zur Bequemlichkeit neigende Frau blieb fast auf jedem Treppen absatz stehen, um ein wenig auözuruhcn. „Nur Geduld", murmelte sie dabei, „daS soll nun sckon anders werden." Als sie oben anlangte, war sie erstaunt, durch die nur angelehnte Tbüre Stimmen zu bören, die ihren Töchtern nicht gehören konnten, und in diesem Augen blicke unterschied sie auch deutlich eine Männerstimme. Horchend stand Frau Courcelles still und rührte sich mit keinem Fuße — sie hatte die Stimme Don Salvatore'S erkannt. Also hier war der junge Mann! dachte sie bei sich etwas überrascht, that aber keinen Schritt vorwärts und vermied im Gegentheile Alles, was ihre Anwesenheit hätte verrathen können. Dann vernahm sie die Stimme Fclicia'S und zugleich die ihrer Tochter Manon. Es war also große Gesellschaft; demzufolge zögerte sie nicht länger einzutrete». Georgette stand mit Fräulein Felicia vor einer Staffelei und war im Begriffe, ihr verschiedene Handgriffe zur Pinselführuug, zur Farbenmischung und dergleichen mehr zu zeigen und zu erklären. Fräulein Felicia batte in ihrem Leben keinen Malerpinsel in der Hand gehabt, und Alles, was ihr Georgette erläuterte, war ihr daher durchaus neu und originell und schien ihr infolgedessen auch viel Spaß zu bereiten. „Sie haben entschieden Talent, gnädiges Fräulein", meinte Georgette, nachdem die Anwesenden ihre Mutter be grüßt hatten.
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