01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.09.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-09-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970924012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897092401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897092401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-09
- Tag1897-09-24
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Morgen-Ausgabe M. Freitag den 24. September 1897. Die Morgen-Bu-gabe erscheint um '/,7 Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentags «m b Uhr. Filialen: vtt» Klemm s Lartim. (Alfred Hahn), UniversitätSsiraße 6 (Paulinum), LouiS Lösche, Nathannenstr. r4, pari, vnd KünigSvlnh 7- Ne-action un- Erveditiou: JohanneSgasse 8. Li« Expedition ist Wochentags ununterbrochen grössuet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nattzes und Nolizei-Ämtes der Stadt Leipzig. BezugS-PreiS Kl der Hauptexpedition oder den km Stadt« bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich^14.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus ö.53. Durch die Post bezogen für Leutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direkte tägliche Nreuzbandiendung in- Ausland: monatlich 7.ö0. Anzeigen-PrelS die 6 gespaltene Petitzeile -r0 Pfg, Mrclameo unter dem RedartiooSstrich (4gv« svaltea- bO/>j, vor den Famtlirnnach: tchte» ik gejpalte») 40^. Gräherr Schrislrn laut unserem Preis verzeichnis. Tabellarischer und Zif/ernsatz nach höherem Tarif. Extra-veilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesorderung 60.—, mit Postbrsörderung 70.—i» Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen. Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von L. Polx dr Leivff» S1. Jahrgang. Das Schicksal der Strafproceßnovelle. k. Nachdem der Entwurf der Strafproceßnovelle, welcher sich hauptsächlich mit der Einführung der Berufung gegen Urtbeile der Strafkammern und mit der Entschädigung unschuldig Berurtheilter befaßte, Schiffbruch erlitten hat, ist man be kanntlich darauf bedacht, den Entwurf, wie er sich in der Commission gestaltet bat, als Initiativantrag einzubringen, um damit weitere Commissionsberalhungen überflüssig zu machen und dem Entwurf doch in der nächsten Reichstags sitzung noch Gesetzeskraft zu verschaffen. Zn einem Artikel der „Deutschen Juristcn-Zeitung" über „den jetzigen Stand der Frage über die Einführung der Be rufung" erörtert Reichsgerichtsrath vr. M. Stenglein, der Mitherausgeber der gedachten Zeitschrift, auch die Frage, welche Aussicht vorhanden ist, die Annahme des Entwurfes, dem er durchaus feindlich gegenübersteht, noch zu erreichen. Nach seinen Ausführungen ist eine solche Aussicht nicht vor handen. Er bezweifelt, daß der Plan, welchen die Anhänger der Novelle entworfen haben, die Majorität des Reichstages für sich hat. Wenn man die Novelle überhaupt zum Gesetz erheben wollte, so hätte sich für eine dritte Lesung immer noch ausreichende Ze:t finden lasten, denn sie hätte „mit Weiser Selbstbeschränkung in der Redseligkeit" in einer Sitzung erledigt werden können. Aber nicht nur der Reichstag, sondern auch die Reichsregierung war in ihrem Interesse für die Novelle nach und nach bedenklich abgekühlt. Das ist mehrfach, zum Leidwesen der Anhänger der Beruiung, zu Tage gelreien. Woran bas bei der Regierung haupi- zächlich lag, stellt Stenglein in folgenden Worten fest: „Der Entwurf war ein Product jener Zeit, in welcher die Agitation für Wiedereinführung der Berufung in Strafkammersacken noch lebhaft genug war, um glauben zu macken, sie habe die öffentliche Meinung in erheblichem Maße hinter sich. Mittler weile haben aber die Personen in der Reichs- wie in der preußischen Negierung gewechselt, jedoch nicht das System. Infolge besten fühlen sich die neuen Machthaber zwar in so weit solidarisch mit ihren Vorgängern, daß sie den Entwurf nicht wollten osficiell fallen lasten, aber doch auch nickt der maßen als Väter desselben, daß es ihnen großen Gram bereitet hätte, wenn andere daS ungerathene Kind todt- fütlerten." DaS übersehen nach Stenglein's Meinung die, welche jetzt zu Wiederbelebungsversuchen der Novelle die Hand bieten wollen. Wie Stenglein über die Wieder einführung der Berufung gegen die Urtheile der Strafkammern denkt, haben wir bereits in einem früheren Artikel an dieser Stelle dargethan. Er ist ein erbitterter Gegner derselben, der sie in jener schneidigen Weise bekämpft, wie seiner Zeit Bähr die Civilproceßordnung und neuerlich das Bürgerliche Gesetz buch. Ohne zu den unbedingten Gegnern der Berufung zu gehören, haben wir doch einige der Ausführungen Stenglein's als berechtigt hervorgehoben und in dem oben erwähnten Aufsatze verdient daS, was der Verfasser über die Ent schädigung unschuldig Verurtheilter sagt, bedingungslose Zu stimmung und gerade den Dank aller Derer, welchen diese EntichärigungSpfl cht am Herzen liegt. Was die Enstübrung der Berufung anlangt, so beschäftigt sich Stenglein neuerlich mit dem Kostenaufwand, der durch sie verursacht werden würde. Er ist der Meinung, daß der Köder, welchen die Väter des Wiederbelebungsversuches, bez. des Initiativantrages, der Neicksregierung hinwerscn wollen, indem sie eine Besetzung der Strafkammern mit drei, der Berufungssenate mit fünf Richtern befürworten, nichts helfen wird, da auch bei einer solchen Besetzung Mehrkosten nicht erspart bleiben können. Man Hal aber gerade eine Ersparniß von Kosten im Auge. „Wo aber bleibt in diesem Fall", fragt Stenglein, „die Reichstags-Majorität, was sagt sie ihren Wählern? Es be währt sich glänzend, was die Gegner der Berufung dem Entwurf von Anfang an entgegenhielten: Ein Stichwort ohne Inhalt, wie das der Wiedereinführung der Berufung, ausgeben, ist leicht; man kann dafür agitiren, auch Majori täten gewinnen. Gcebt man dem Stichworte aber eine concrete Gestalt, dann kommen die Bedenken. Wir haben es erlebt, daß Anhänger der Berufung auSriesen: „Wir haben eine Berufung gewollt, aber nickt diese Berufung!" Was hilft es, eine doppelte Prüfung der Tbatsachen zuzulasten, wenn der zweite, definitiv urtheilende Richter in dem Dunkej verlesener Protokolle herumtappt? Der Gesetzgeber macht es sich leicht, wenn er vorschreibt, die Ergebnisse der Ver handlung seien im Protokoll, sei eS des Untersuchungs richters, sei es der Hauptverhandlung, genau wieder zugeben. Hätte man die Mittel dazu gehabt, so würde nicht eine gewaltige Neaction daS schriftliche Verfahren beseitigt haben und jetzt will man ein schriftliches Berufungsverfahren dem mündlichen als Correctur an die Seite setzen! Man kam aber nickt einmal so weit, sich über das Einruführende zu einigen. Die Majorität, welche in der zweiten Lesung des Entwurfs sich feslgcfahren bat, müßte noch ganz andere Con- cessionen macken, um ihr Flickiverk der Regierung annehmbar zu machen. Würde dieses dann aber wirklich noch der Ma jorität, würde es dem Volle, d. h. den Wählern, schmackhaft erscheinen? Wir glauben es nicht, das sind die Aussichten ee« beim nächsten .Reichstag, cinzubr'ngenden Irncinliv- Antrages." Auch wir glauben nicht, daß der Initiativ-Antrag von Erfolg gekrönt sein wird, die Strafproceßnovelle hat durch das fortgesetzte Amputiren und Ansetzen von Gliedmaßen in der Tbal zuletzt die Figur eines Krüppels erhalten, der sich nicht lebensfähig erweisen würde. Was Stenglein über das schriftliche Verfahren sagt, ist ebenfalls richtig. Keineswegs ist aber sicher, daß es nicht bei erneuten Berathungen doch I gelingen sollte, „dem Stichwort einen concrelen Gehalt zu I geben", tzui vivr-L, verraI Was Stenglein gegen den Entwurf einwendet, so weil er die oben erwähnte Entschädigung unschuldig Ver urtheilter betrifft, ist Wort für Wort zu unterschreiben und schon mehrfach auch in der Presse eingewendet worden. Nach dem Entwurf soll der Vermögensschaden ersetzt werden, den der im zweiten Urtheil Freigejprochene ober milder Bestrafte durch die inzwischen erfolgte ^Strafvollstreckung er litten bat. Das kann zu der Deutung führen, daß nur die Einbuße zu ersetzen wäre, welche der Vermögensbestand, der zur Zeit der Verurtbeilung vorhanden war, durch dieselbe erleide. Wir sagen, es kann zu dieser Deutung führen, daß es dahin führen muß, möchten wir mit Stenglein nicht an nehmen. Denn zu einem Schaden gehört so ipso auch der entgehende Gewinn bei der Ersatzfrage. Aber es ist zweifel los richtiger, im Gesetz auszusprecken, baß auch der entgehende Verdienst ersetzt werden muß. Daß es Schwierigkeiten be reiten wird, zu fixiren, was der unschuldig Verurtheilte in der in Frage kommenden Zeil erworben haben würde, ist richtig, aber es giebt im Proceßleben noch weit schwierigere Fälle der Feststellung des lucrum co88uus, als es gerade solche Fälle sein würben. Volltcmmen einverstanden sind wir damit, daß Stenglein die Bestimmung für überflüssig erklärt, daß die Entschädigung ausgeschlossen fein soll, wenn der Verurtheilte die frühere Verurtheilung vorsätzlich herbeigeführt oder durch grobe Fahr lässigkeit verschuldet hat. Der erstere Fall wirb so selten vorkommen, baß er in das Ermessen der erkennenden Behörde gelegt werden kann und für den zweiten Fall läßt sich eigentlich kein praktisches Beispiel Lenken. Sollte man es schon für grobe Fahrlässigkeit ansehen wollen, wenn Jemand seine Rechlsbehekfe ungeschickt angewandt, die Verkheidignng in verfehlter Weise geführt bat? Das würde zu ganz unhalt baren Zuständen namentlich in unserer Zeil führen, wo von einer wirtlichen Popularität des Rechtes leider noch nicht die Rede sein kann. Wenn man daran gedacht bat, die Entscheidung über die Entschädigungspflicht des Staates in die Hände der Justiz verwaltung zu legen, so ist Las ein verhängnißvollcs Be ginnen. Die Justizverwaltung steht dem in Frage kommen- ten Rechlöfall meist kühl und fremd gegenüber, so daß sie sich mühsam und mangelhaft in den Proceß einarbeilen muß, der dem Gericht in allen, seinen Phasen bereits bekannt ist, durch welches daS aufhebende Erkennlniß herbeigefübrt wurde. Dazu kommt noch ein von Stenglein hervorgehobeneS, wir möchten sagen psychologisches Bedenken, „daß die Entschädigung, welche die oberste Justizverwaltung gewährte, in den Augen des Volkes nicht Len Cbarakler einer Entschädigung für erlittenes Unrecht gewinnen wird, sondern nur den eines Gnadenactes. Das wird dadurch nicht ausgeschlossen, daß die Berufung auf den Rechtsweg zuläisig sein soll. Diese Berufung aber ist ein zweischneidiges Schwert. Sie wird langwierige, compli- cirte Civilproceste um so mehr heraufbeschwören, als gerade die Justizverwaltung geneigt sein wird, in der Entschädigungs frage sehr peinlich zu verfahren, da sie sie ja aus dem Staats säckel zusprechen muß, den zu schwächen sie sich möglichst zu hüten hat. „Den mit der Sache befaßten Strafgerichten", meint Stenglein, „würde in den meisten Fällen die Ent scheidung einige Zeilen in dem ohnehin zu fällenden Strafurlheile kosten und die Einheit der Justiz wäre gewahrt." Stenglein ver tritt die Anschauung, ein Sp ecialgesetz zu schaffen, in welchem die Frage der Entschädigung unschuldig Verurtheilter geregelt wird. Er giebt dafür folgenden Entwurf, der am Schluffe unserer Betrachtungen stehen möge: „8 1. Personen, gegen welche eine im Strafverfahren rechtskräftig erkannte Strafe ganz oder theilweise vollstreckt worden ist, können, wenn sie auf Grund des 8 397 der Slr.-P.-O. oder im Wiederausnakmeverfabren freigesprochen, oder in Anwendung eines milderen Strafgesetzes mit einer geringeren Strafe belegt werden, Ersatz des durch das frühere Verfahren verursachten, in Geld anzuschlagenden Schadens beanspruchen. Den gleichen Anspruch können Personen erheben, welchen der Verurtheilte zur Gewährung des Unterhaltes gesetzlich verpflichtet war, wenn der Verurtheilte vor Geltendmachung des Anspruchs verstorben ist, oder auf denselben verzichtet hat. § 2. Wie §413ck des Entwurfs der Strafproceßnovelle. 8 3. Der Anspruch auf Entschädigung muß bei Ver meidung des Verlustes binnen drei Monaten nach Rechtskraft res das frühere Strafurtbeil aufhebenden Unheils gellend gemacht werden. Wenn der Verurtheilte vor Ablauf der Frist stirbt, so können die in 8 t« Abs. 2, bezeichneten Personen den Rest dieser Frist zur Erhebung des Anspruchs benützen. Der Antrag auf Zuerkennung der Entschädigung ist schriftlich oder zu Protokoll des Gerichtsschreibcrs zu stellen und muß den Betrag, welcher als Entschädigung verlangt wird, angeben. Auf einen höheren als den beantragten darf nicht erkannt werden. Darüber, ob eine Entschädigung zuzuerkeunen ist, und über den Betrag derselben, entscheidet das Gericht, welches das das frühere Urtheil aufbebende Urtheil erlassen hat, nach öffentlicher und mündlicher Verhandlung und nach Gehör des StaatSanwaltS, nach freiem Ennefsen mittels eines Nachtrags- urtbeilS. Ist der Antrag rechtzeitig gestellt, so kann die Ent scheidung mit dem das frühere Urtheil aufhebenden Urtheil verbunden werden. Gegen daS über den Entschädigungs anspruch entscheidende Urtheil findet daS Rechtsmittel der Revision statt." Deutsches Reich. * Leipzig, 23. September. Herr Or. von Fr ege- Weltzien schreibt der „Leipziger Zeitung": „Auf Grund des 8 11 des Preßgefetzes ersuche ich um Auf- Feurlleton. Reserve hat Ruh'! Von Theo Seclmann (Halle a. S) Nachdruck «erboten. „Reserve hat Ruh'!" Diese ebenso ihrem dichterischen Werth nach anspruchslose, wie ihres thatsächlichen Inhaltes wegen nachdrucksvoll gesungene Strophe schallt jetzt von den Lippen Tausender junger Männer, die den bunten Rock abgelegt haben und mit gerollten Achselklappen, der schiesgezogenen Mütze auf dem Kopf und dem betroddelten Spazierstöckchen in der Hand ihre Schritte heimwärts lenken. Die militairische Ausnahmestellung ist vorüber, sie gehören nun wieder dem Civil an und sind dasselbe wie früher. Und trotzdem sind sie nicht dieselben, wie vor ihrer Dienstleistung. Denn wenn sie, auch des Königs Rock auf der Kammer zurückgelassen haben, so nehmen sie doch etwas mit sich fort, was sie sich ganz unbewußt erworben haben und was ihnen langdauernd anhaftet: körperliche Geschicklichkeit, körperliche Kräftigung und körperliche Selbstbeherrschung. Wenn ein jedes Training die Leistungsfähigkeit des Körpers erhöht, so trifft dies noch in viel höherem Maße beim Militairdienst zu, der seiner Dauer und seiner Durch bildung nach als ein Training erster Klaffe zu betrachten ist. Der Rekrut wird bei seinem Eintritt, um in Unteroffiziers ton zu sprechen, von oben bis unten umgekrempelt, es wird ihm seine Civilhaut abmassirt und er lernt erst das vor schriftsmäßige Stehen und Gehen. Bei der oberflächlichen Betrachtung erscheint der Drill leicht in manchen Stücken übertrieben und unbegründet. Zu dieser Annahme könnte schon das militairische Stehen verleiten. Allein diese Stellungsart ist keineswegs willkürlich erdacht, sondern sie hat den Zweck, den Oberkörper für den Gebrauch der Waffen möglichst frei zu halten und einen leichten Uebergang aus der Ruhe in die Bewegung zu ermöglichen. Der Soldat soll beim Stehen sich vorn hineinlegen, die Kniee durch drücken und den Bauch zurücknehmen. Außerdem sollen die Bewegungen des Schultergürtels unabhängig von den jenigen der Hüften und der unteren Gliedmaßen vor sich gehen. Das Erlernen dieser Haltung bietet dem Rekruten große Schwierigkeiten, da sie eine Reihe von Anforderungen an ihn stellt, die ihm bis dahin ganz ungewohnt waren. Ein wesentlicher Punkt hierbei ist der, daß die Schwer linie, die bei dem gewöhnlichen Stehen etwas vor der Verbindungslinie der Fersen den Boden trifft, bei der militairischen Stellung bis nahe an die Verbindungslinie der Ballen rückt. Dadurch wird die Erhaltung deS Gleich gewichts erschwert, und dieses umsomehr, als durch das Zusammennehmen der Hacken die Unterstützungsfläche ver kleinert ist, und als die zum Ausgleich der Gleichgewichts schwankungen verfügbaren Bewegungen sehr beschränkt sind. Durch daS Durchdrücken der Kniee sind zudem die Be wegungen in diesen Gelenken fortgefallen, sodaß nun ge wissermaßen der Oberkörper und der Unterkörper zwei große, von einander unabhängige Theile bilden. Die Schwankungen der Oberschenkel, die sich sonst dem ganzen Körper mittheilen würden, können sich aus diesem Grunde nicht aus den Oberkörper übertragen. Die Gesammtwirkung dieser Stellungsart ist die, daß der Soldat die einzelnen Muskelgruppen zweckmäßig und ohne störende Neben bewegungen gebrauchen und die Hemmungen der Gegen muskeln unterdrücken lernt. Hierin beruht der dauernde Nutzen dieser Haltung. Das militairische Gehen ist nicht weniger verschieden von der gewöhnlichen Gangart. Der militairische Gang ist weitschrittig gestreckt. Während beim gewöhnlichen Gehen das schwingende Bein beim Aufsetzen im Knie ge krümmt ist und die Weite des Schrittes durch den Hoch stand oder Tiefstand des Beckens bedingt ist, wird beim militairischen Gang das Bein gestreckt aufgesetzt und das Becken, obwohl der Schritt weit ist, hoch getragen. Der weite Schritt wird nur dadurch erreicht, daß das Becken selbst eine beschleunigte Bewegung nach vorn erhält, was wiederum nur durch die nach vorn gelegte Haltung des Körpers möglich ist. Der Körper würde in dieser Stellung bei einem jeden Schritt eine starke Erschütterung erleiden, wenn der Soldat wie beim gewöhnlichen Gange mit dem Absatz zuerst den Boden berührte. Daher wird befohlen, die Fußspitze zu senken, was zur Folge hat, daß der Mann mit der ganzen Sohle zugleich auf den Boden kommt. Galt es beim Stehen, den Oberkörper unabhängig vom Unter körper zu machen, so bezweckt das Gehen umgekehrt, eine Beeinflussung des Unterkörpers durch den Oberkörper zu verhindern. Außerdem wird die Beinmuskulatur durch den militairischen Gang außerordentlich gekräftigt, d. h. die Marschfähigkeit und damit die Kriegstüchligkeit in hohem Maße gehoben. Welcher Unterschied in der Arbeitsleistung liegt, die bei dem gewöhnlichen und militairischen Gehen von der Beinmuskulatur gefordert wird, wird man sogleich erkennen, wenn man dieselbe Strecke zuerst in gewöhnlicher Gangart durchschreitet und sie darauf exercirend zurücklegt. Eine wesentliche Unterstützung der körperlichen Aus bildung gewährt das Turnen. Es'läuft in erster Linie auf die Entwicklung der Gewandtheit des Soldaten hinaus und ist darauf berechnet, ihm das Maß seiner Leistungsfähigkeit sichtbar vorzuführen, so daß dadurch die Zuversicht auf seine körperliche Tüchtigkeit erhöht wird. Es kommt daher beim militairischen Turnen nicht sowohl auf die Entwickelung grober Muskelkraft an, als vielmehr auf die Herbeiführung der Muskelbeherrschung und Muskelfreiheit, einer Fähig keit, die eine Schulung des Centralorgans voraussetzt und befördert. Die körperliche Durcharbeitung darf aber auch beim Soldaten nicht mit einer Ueberanstrengung verbunden sein. Bestimmte Vorschriften und erprobte Erfahrungen treten einem Allzuviel entgegen. So ist für den Laufschritt nach je 4 Minuten Lauf eine Schrittpause von 5 Minuten vor geschrieben, und die Uebung darf nicht länger als 22 Minuten dauern. Mit feldmarschmäßigem Gepäck ist eine Dauer von 16 Minuten festgesetzt. Hier folgten immer schon auf 2 Minuten Lauf eine Schrittpause von 5 Minuten. Mit vollem Kriegsgepäck werden in einem Tagesmarsch 3—4 Meilen zurückgelegt. Rastpausen, von denen eine ein stündige nach der größeren Hälfte des Weges eingeschaltet wird, mildern zudem die Marschanstrengung. Wenn die feldmarschmäßige Ausrüstung auch noch gegen 30 Kilo gramm schwer ist, so wird doch durch die zweckdienliche Ver- theilung des Gepäcks gegenwärtig eine bedeutende Erleich terung geschaffen. Der Tornister wird jetzt nicht mehr von den Schultern wie früher getragen, sondern die Last ist auf den Rücken, die Hüften und das Kreuzbein verlegt. Ferner beengt die jetzige kranzförmige Tragweise des gerollten Mantels um den Tornister herum nicht mehr die Athem- thätigkeit, was vordem, als der Mantel schärpenartig um die Brust getragen wurde, leicht eintrat. Bei der neuen Infanterie-Ausrüstung der deutschen Armee sind außerdem für alle Gegenstände Höchstgewichte angegeben, die nicht überschritten werden dürfen, und es ist für sie als aus schlaggebend der Gesichtspunct aufgestellt worden, daß sie die Bewegungsfreiheit und Leistungsfähigkeit des Mannes nicht hindern dürfen. Infolgedessen sind alle Riemen und Bänder, welche einen Druck auf die großen Blutgefäße und Nervenstränge ausüben, nach Möglichkeit vermieden. Wer seinen Körper anstrengen soll, der muß auch unter Verhältnissen leben, die ihm die Erhaltung des Kraft- vorrathes verbürgen, und daher erfordern die Ausgaben auch Einnahmen. Die Naturalverpflegung des Militairs ist heutigen Tages auf Grund der letzten Verfügungen der artig, daß die Friedensportion der deutschen Armee den jenigen der anderen europäischen Heere gleichwerthig ist und auch den wissenschaftlichen Berechnungen über den Nähr menge eines erwachsenen Menschen entspricht. Die Kriegs portion übertrifft sogar das in anderen Staaten bestimmte Kostmaß beträchtlich. Der bekannte Nationalökonom Roscher hat den Aus spruch gethan: Zeige mir, wie Du wohnst, und ich will Dir sagen, wer du bist. Legt man diesen Maßstab auf die militairischen Wohnungseinrichtungen an, so muß man erklären, daß der Soldat nicht schlecht gestellt sein kann. Rian baut jetzt in Deutschland die Kasernen nicht inehr nach dem Centralisationssystem, wo eine möglichst große Anzahl von Menschen unter einem Dach untergebracht ist, sondern hat dem Decentralisationssystem weitgebende Einräumun gen gemacht. In dem Kasernierungsplan des ReichSheereS vom Jahre 1885 sind als Muster angegeben kleinere, höchstens dreigeschossige Wohngebäude für 1—2 Corn» pagnieen. Alle sonstigen Gebäude, wie Speiseküche, Wasch küche und Oeionomiebaulichkeiten werden von der eigent lichen Kaserne getrennt. Ausreichende Höfe sind unerläßlich. Auch sonst sorgt man für Licht und Luft. Für jeden einzelnen Mann ist ein Luftcubus von 15—16 Kubikmetern vorgesehen. Alles in Allem lebt demnach der Soldat, wenn auch nicht in einer Feriencolonie, wie sich einmal ein preußischer Parlamentarier ausdrückte, so doch in einem sehr erträg lichen Zustande. Der günstige Einfluß des Militairdienstes äußert sich denn auch an dem einzelnen Mann in einer ganz bestimmten Weise. Schon während der Ausbildungszeit zeigt sich fast durchweg eine Zunahme der Ausdehnungs fähigkeit der Brust und eine Erhöhung des Körpergewichts. Diese letztere rührt zum größten Theil von einer Ver mehrung der Muskelsudstanz her. Hand in Hand hiermit geht eine größere Ausdauer im Ertragen körperlicher An strengungen, sowie eine Zunahme der Widerstandsfähigkeit gegen Witterungseins'usse. Der Einfluß des Militairdienstes auf den allgemeinen Gesundheitszustand überhaupt findet seinen zahlenmäßigen Ausdruck in den jährlichen Krankenzugangszisfern, sowie in dem Abgang durch Tod. Im Jahre 1893—94 betrug der Abgang durch den Tod 4,1 pro Mille der Iststärke. Namentlich diese letzte Angabe beweist, bei einem Vergleich mit früheren Jahren, die gesund heitliche Hebung der Armee. Denn die Sterblichkeit betrug bei dem preußischen Heere 1846—63 9,69 pro Mille, 1867—73 noch 6,61 pro Mille, 1874—78 dagegen 5,5 pro Mille und 1878—82 nur 4,4 pro Mille. Die angeführten Zahlen zeigen also, daß die Sterblichkeit in dem deutschen Heere stetig zurückgegangen ist, und sie bedeuten zugleich, daß sie erheblich unter der Durchschnittsziffer der Sterblich keit der gleichen Jahresklassen der Gesammtbevölkerung steht. Es ist klar, daß eine jährliche Abgabe von körperlich hochentwickelten Männern, wie sie in der Entlassung der Reserve erfolgt, eine Rückwirkung auf die Gesammt- bevölkerung ausüben muß. Innerhalb eines zehnjährigen Zeitraumes wurden nach den Veröffentlichungen des kaiser lichen Gesundheitsamtes 8 495 086 Personen auf ihre Militairdiensttauglichkeit untersucht. Es ergab sich, daß die Zahl der Tätlichen von Jahr zu Jahr zugenommen hatte, während die maßgebenden Bestimmungen für die Tauglichkeit unverändert geblieben waren. Dementsprechend hat die Zahl der für dauernd untauglich erklärten Militair- pflichtigen von Jahr zu Jahr abgenommen, sodaß also eine Aufbesserung der körperlichen Entwicklung der Gesammt- bevölkerung erfolgt ist. Reserve bat Ruh'! Aber doch nur auf eine kurze Zeit, denn nun heißt es, wieder werkthätig schaffen. In dem Kampf um's Dasein, der sich von Neuem entspinnt, wird und soll die erworbene körperliche Leistungsfähigkeit und Gesundheitssteigerung dem Reservemann nutzbringend zur Seite stehen!
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