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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.09.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-09-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189709266
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18970926
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18970926
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-09
- Tag1897-09-26
- Monat1897-09
- Jahr1897
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.09.1897
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Bezugs-Preis ter Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen ab geholt: vierteljährlich ^4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau» b.üO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Directe tägliche Kreuzbandirndun^ In» Ausland: monatlich 7.bO. Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/,? Uhr, di« Abend-Ausgabe Wochentag» um b Uhr. —c»-— . . , , j . Nedartion und Erpeditio«: Jshanne-gaffe 8. Die Expedition ist Wochentags Ununterbrochett geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uh^ Filialen: vtt» klemm'» Tortim. (Alfred Hahn), UniversitätSstraße 3 (Pauiinum), Laut» LSfche, Katharinenstr. 14, Part, und König-Platz 7. KipMtr TiiMlllt Anzeiger. Ätttlsökakl des königlichen Land- im- Nmlsgerichies Leipzig. - -es Mathes nn- Motizei-Ämtes -er Stadt Leipzig. Dl. Sonntag den 26. September 1897. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclamen unter dem RedactionSstrich l4ge» spalten- 50^, vor den Familirnnuchrichten (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Taris. c».— Extra-Beilage» (gesalzt), nur mit dec Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbeförderung .al 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end »Ausgabe: Bormittag» 10 Uhr. Mvrge n-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halb« Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Truck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 91. Jahrgang. Aus der Woche. Wenn sich auch, aus natürlichen Ursachen, die Sinne für kaiserliche Kundgebungen in Deutschland abgestumpft haben, so sind die Vorgänge während des Aufenthalts des Monarchen in Pest doch nicht vorübergegangen, ohne Eindruck zu machen. Vor allen Dingen wird nicht nur oberflächlich die Frage erörtert, ob der fortgeschrittene, auf das parlamentarische Regierungssystem hinarbeitende Liberalismus, also namentlich die demokratische freisinnige Volkspartei, konsequent und klug handelt, wenn er sich von der Auslassung des Kaisers über die parlamentarischen Verhältnisse befriedigt zeigt. Es thut dies selbst Herr Richter, indtm' er schreibt: „Diese Werthschätzung des ungärischen Parlamentarismus ist erfreu lich. Bekanntlich bat. Ungarn ein? große liberale Mehrheit und eine ausgebildete Parkanientsregierung." Was den ungarischen „Liberalismus" .angeht, das müssen wir vorausschicken, so- ist. er- ein- Gebilde, auf bas die „Kreuzztg." und gesinnungsverwandte Blätter, unredlich zwar, aber nicht ' ungeschickt, unausgesetzt Hinweisen, um den Liberalismus überhaupt und besonders den in Deutschland zu discrepitiren. Es ist in der Thal ein Schreck bild, dessen Grundzug die Brutalität bildet. Die „große liberale Mehrheit" in Ungarn ist eine im übrigen Central- Europa unerhörte Verschmelzung von Gewalt und Corruplion und die jetzige, vor noch nicht langer Zeit gebildete Mehrheit trägt den Stempel dieses Ursprungs noch viel deutlicher an sich, als irgend eine ihrer Vorgängerinnen. Herr Richter kann sich auf seine'Kenntnkß ded parlamentarischen Verhält nisse wahrhaftig nichts einbilden. Indessen auch die Anerkennung, die diese Zustände durch den deutschen Kaiser gefunden haben, ist erstaunlich. Selbstver ständlich aus einem andern Grunde. Es ist richtig, Ungarn bat eine ziemlich ausgebildete Parlamentsregierung. Kenner des dortigen politischen Getriebes,zu denen aber die deutschen frei sinnigen Zeitungen ausnahmslos nicht gehören, wissen freilich, daß feit dem Jahre 1867 niemals ein ungarisches Ministerium gestürzt oder berufen worden ist, ohne daß der Kaiser und König Franz Josef das Eine oder das Andere für seine Person beschlossen gehabt hätte. Ist aber einmal ein Minister- vräsident berufen, so vermeidet es der König sorgfältig, zwischen seinen Berather und die Parlamentsparteien, ge- icknveige denn zwischen jenen und die breite Oeffent- lichkeil zu treten. Wie wenig er geneigt ist, in Ungarn die Verwirklichung des Programmes des von ihm mit der Leitung der Geschäfte betrauten Staatsmannes zu verhindern, hat Kaiser Franz Josef in der Angelegenheit der Civilehe ja bewiesen, einer Einrichtung, die dem Habs burger unmöglich sympathisch sein konnte. Ungarn besitzt also in der Thal ein, allerdings mit dem englischen nicht vergleichbares, parlamentarisches System. Aber in einem solchen System bedingt Eins das Andere auf der Grund lage, daß Krone und Parlament ihre beiderseitigen Rechte refpcctiren. Es liegt auf der Hand, daß Kaiser Wilhelm II. als Eklektiker verfahren sein muß, als er das ungarische Regierungssystem belobte. In Ungarn selbst kann mau sich diesem Eindruck nicht entzogen haben. Ein Pester Blatt rühmte zwar, daß eine officielle monarchische Kundgebung bei dem vielbesprochenen Mahl in der Ofener Hofburg ganz oder theilweise eigener Eingebung des kaiserlichen Redners ent sprungen sei. Es meinte aber damit den Trinkspruch des deutschen Kaisers. In Ungarn hat man kaiserliche Reden, die nicht mit dem verantwortlichen Minister vereinbart > worden waren, nie kennen gelernt, und wenn man solche auch im eigenen Lande wünschenswert!- und in das RegierungSsystcm passend gefunden hätte, so wäre das Verlangen darnach wohl schon laut geworden. Das ist aber niemals geschehen, auch im Anschluß an den selbstverfaßten Toast Wilhelm's II. nicht. Auch wird nw,i in Ungarn nicht erwarten, daß der König von dem Parlamentsgebäude als von seinem Gebäude spricht, obwohl dieses Wort aus dem Munde des Königs von Ungarn der Sach- und Rechtslage nicht schärfer widersprechen würde, als aus dem Munde des deutschen Kaisers. Es bleibt nach dem Allen unerfindlich, warum Herr Richter sich erfreut zeigt. Andere, die das parlamentarische System nicht ein mal für Wünschenswerth erachten, haben diese Stimmung aus den Pester Vorgängen nicht zu saugen vermocht. Auch in Bayern regiert man nicht parlamentarisch und will man nicht parlamentarisch regiert sein. Aber nicht nur dort, sondern im ganzen Reiche hat das Handschreiben des Prinz Regenten, in dem er durch Vermittelung des Kriegs Ministers nicht nur dem Heere, sondern sogar dem eigenen Sohne den Dank für die Leistungen bei den Manöver» aussprach, einen vor züglichen Eindruck hervorgerufen. In Preußen und im Reiche versteigen sich die kühnsten Wünsche in Bezug auf Heran ziehung der Minister zu staatlichen Actionen nicht so weit. Eine Improvisation der „Hamburger Nachr.", die die künftigen Reichstagswahlen betraf, ist allenthalben als alleiniges Eigenthum dieses Blattes anerkannt und demgemäß abgewiesen oder gar nicht beachtet worden. Der darin con- struirte Gegensatz zwischen Producenten und Nurconsumenten ist bei allen Wahlen, bei denen es sich um den Schutz der nationalen Arbeit, insbesondere um Getreidezölle handelte, gegenüber der S o c i a l d e m o k r a t i e und dem Freisinn in das Reich der Fabel verwiesen worden. Man hat den Wählern mit Erfolg die unbestreitbare Wahr heit dargethan, daß es Nurconsumenten, deren Interesse zu wahren wäre, nicht gäbe, daß selbst der von den Zinsen deutscher Staatspapiere Lebende ein Interesse an der wirlh- schaftlichen Prosperität Deutschlands habe. Wenn cs aber keine Nurconsumenten giebt, die zu berücksichtigen wären, dann kann man auch nickt solche an die Wand malen, die zu be kämpfen seien. Die Gegnerschaft gegen den Schutz der deutschen Erzeugung wächst nicht auf dem Boden des Ver brauchs-Interesses, sie wurzelt theils in den reichsfeindlichcn Tendenzen, die u. A. bei den Socialdemokratcn, theils in dem Erwerbsinteresse eines Theils des Handels, der in dem „Schutzverband gegen agrarische Uebergriffe" seine Ver tretung gesucht hat. Eines seiner Organe zeigt sich tief empört darüber, daß einem Münchener Blatte Folgendes berichtet worden ist: „Man ist in den maßgebenden Kreisen der Ueberzeugung, daß zn den Artikeln der vaterländischen Production, die einen erhöhten Schutz bei der Vorbereitung der neuen Handelsverträge zugebilligt erhallen müssen, in erster Linie mit Getreide, Fleisch und Gemüse gehören. Eine ausreichende Erhöhung des Zollschutzes für die deutsche Landwirthjchast wird als eine der wesentlichsten Voraussetzungen für das Zustandekommen neuer Handelsverträge angesehen." Wenn auf dem Weltmarkt keine Umwälzung bis 1892 stattfindet, so wird die hier vorgetragene Auffassung aller dings die Handelsverträge beherrschen müssen. Wir sind aber überzeugt, daß sie bei den Beamten und Professoren, den angeblichen Hauptvertretern des Nurconsumententhums, nicht auf Widerstand stoßen wird, wenigstens nicht auf einen Widerstand, der in der Berufszugehörigkeit begründet wäre. Kaiser Wilhelm's I. Persönlichkeit im Greisenalter*). Was Kaiser Wilhelm in seinem letzten Jahrzehnte seinem Lande bedeutete, das empfindet man bereits heutzutage mit größerer Klarheit als damals selbst. Die Zuversicht,, die uns damals erfüllte, wurzelte noch mehr, als wir es wußten, in seiner Person: deren Wegfall hat eS erwiesen. Fehlen freilich ließ man es an Dankbarkeit und an Liebe schon gegen den Lebenden nicht. Sie strömte dem greisen Herrscher in unübersehbaren Fluthen zu; er empfand es alle Tage, wenn beim Vorüberziehen der Wache der Jubel der Huldigungen an seinem Schlosse dalfin rauschte und die Tausende einen Blick „der treuen Augen aus den altersgrauen, verwitterten Zügen" zu lebenslangem Gedächtnisse zu ergreifen trachteten. Ihm selber war der Gruß vom Eckfenster hinunter wie eine Pflicht, der er sick gar nicht entziehen dürfe; er sprach wohl von den Zeiten, wo Niemand daran gedacht habe, so nach ihm zu schauen, und wie es dann langsam gekommen und immer gewachsen sei; er sprach von der Londoner Verbannung, die so weit hinter ihm lag, von den tröstenden Worten, mit denen ibn damals die Königin Victoria auf die Zukunft ver wiesen hatte, und fügte mit mildem Lächeln hinzu: „Es bat nur etwas lange gedauert!" Jetzt ging der Strom der inner lichsten Treue zwischen seinem Herzen und dem der Nation herüber und hinüber. Was er und sein Minister dem Fühlen gerade der Besten waren, das hat nach Wilhelm's Tode Rudolf von Ihering im Sinne Vieler classisch ausgedrückt. Er gedenkt des allgemeinen Niederganges der Monarchien nm die Mitte des Jahrhunderts. „Nie hätte ich damals geglaubt, daß ich noch einmal die tiefste Verehrung und innigste Liebe für ein gekröntes Haupt empfinden und der begeistertste Anhänger der Monarchie werden würde. Diesen Umschwung, den gewaltigsten meines ganzen Lebens, verdanke ich Kaiser Wilhelm. Seine historische Bedeutung reicht so in meinen Augen über Das, was er Deutschland geworden ist, weit hinaus." Der Kaiser erntete die Früchte, die er in Mühen gepflanzt, erst jetzr in ihrem ganzen Reichlhum, an Macht wie an Liebe; das ganz Persönliche an ihm entfaltete erst jetzt, da die Kräfte des Greises langsam sanken, seine volle Wirkung über die Nation. Wie warb er, wenn ihn einmal die Herbst manöver in ein ehedem lange widerstrebendes Bundesland führten, durch sein Erscheinen unwiderstehlich für das Reich! Mit einem Vertrauen, das etwas Selbstverständliches hatte, nahmen die Deutschen die glückliche Stetigkeit, die sichere Weltstcllung, den nationalen Glanz hin, deren Träger er war. Niemand überschätzte ihn Wohl, Jeder schätzte ibn und fühlte sich ihm nahe. Die deutsche Arbeit, verdeutsche Wohlstand hatten weiten Boden und sichern Schutz gefunden, daheim und in der Welt; sie erhoben sich in den 80er Jahren zu stolzen Erfolgen. Der Wolken standen freilich genug am Himmel; aber zwischen den wegbahnenden, harten Kämpfen der früheren, der rastlosen Unsicherheit der nachfolgenden Epoche erscheinen *) Durch das Entgegenkommen der Verlagsbuchhandlung Duncker L Hum blot in Leipzig sind wir in der Lage, aus der im genannten Verlage soeben erschienenen Biographie Kaiser Wilhelm's I. von Erich Marcks, Professor an der Universität Leipzig, die obige Probe zu veröffentlichen. Das Werk kostet drosch. 5 ./L, geb. 7 auch diese letzten Jahre Wilhelm's I. wie dereinst die stillen Zeiten nach dem Freiheitskriege, in ihrem Gleichgewichte, ihrer ruhigen Kraft und reichen Fülle dem rückschauendeu Blicke als Tage des Glückes: trotz aller Verschiedenheiten halkyonische Tage auch sie. Glücklich ist Wilhelm selber Wohl damals gewesen. Er empfand nicht nur, wie derLvhn seiner Saaten reifte; er konnte, vornehm- lich,vonHerzen billigen, was jetzt geschah, der Truck der liberalen Aera war seinem Bewußtsein und seinem Gewissen abge- nommen. In freudiger Einheit klang sein hohes Alter mit seiner frühen Manneszeit zusammen; e- sah sein eigenstes Wesen in dieser Gegenwart wieder siegreich vorwalten. Und auch seine Kirche war wieder in den Wegen, die er für sie ersehnt batte. Aus dem geistlichen Boden ist wohl die einzige stärkere Verschiebung seiner Gesinnungen vor sich gegangen: sein Glaube mochte fick nickt eigentlich verwandelt haben, aber- schärfer, ja schroffer kirchlich war er geworden. Bigott wurde der Kaiser nicht; gehalten und harmonisch blieb sein Leben bis zuletzt. Am schönsten harmonisch in dem Verhält nisse, das nun so lange schon das wichtigste seines Daseins war: zu Bismarck. Seit >877 bat Bismarck nie wieder ernstlich um seine Entlassung nachgesucht. Er hat im August 1878, nach den Attentaten, seinem Herrn versprochen, ihm den Dienst gegen dessen Willen nicht zu versagen, hat in den Mordversuchen „ein neues Band der Pflicht" für sich anerkannt. Es ist er zählt worden, wie fest die innere Wendung dann Kaiser und Kanzler zusammenfügte und wie im Herbste 1879 der Abschluß mit Oesterreich den letzten harten Conflict zwischen ihnen zur Ruhe brachte. Seitdem ist Bismarcks Stellung anscheinend ganz nnerschüttert geblieben. Der Kaiser übt, wo wir einmal beobachten können, auch künftighin seine Aufsicht. Bismarck und Moltke sind gelegentlick nicht ganz einig, der Zweite fordert (1881—1882) zur Deckung der Lstgrenze eine Mitwirkung des auswärtigen Amtes, die Bismarck verweigert; wieder zeigt es sich da, daß die ver schiedenen Oberbehörvcn getrennte Kreise bedielten und die oberste Einheit doch eben linmer nur im Kaiser selber ruble. Im Uebrigen aber muß Bismarck in diesem Jahrzehnt die Politik doch Wohl fast selbstständig geleitet haben. Ernste Meinungsverschiedenheiten lagen unseres Wissens nirgends vor, und der 80jährige Kaiser gab seinem vielbewährteu großen Minister freien Raum. Stapellauf des Panzers „Ersah Leipzig". * Kiel, 25. September. (Telegramm.) Der Stapel lauf des Panzers „Ersatz Leipzig" ist heule Mittag 12 Uhr glücklich verlaufen. Als Prinz Heinrich, Graf und Gräfin Wilhelm Bismarck, sowie Graf Rantzau mittels Salonpinasse aus der kaiscrl. Werft eintrafen, präsen- tirte eine dort ausgestellte Ehrcncompagnie. Hierauf erfolgte die Begrüßung im Pavillon durch den Vicepräsidenten des Staatsministeriums Finanzminister vr. v. Miquel, den Staatssecretair v. Thielmann und den Oberpräsidenten v. Köller. Alsdann bestieg die Gräfin Wilhelm Bismarck, geleitet vom Staatssecretair des Marineamts Tirpitz, Contreadmiral Büchse! und Oberwerftdirector Capitain zur Freund Lampe. Von William Marshall. Nachdruck verbeten. Menschen, Hunde, Wölfe, Luchse, Katzen, Marder, Wiejel, Füchse, Adler, Uhus, Raben, Krätzen, Jeder Habicht, den wir sehen, Elstern ja nicht zu vergessen — Alles, alles will ihn fressen. Wildungen. Freund Lampe? — Eine nette Freundschaft das, an der dem armen Langohr bitter wenig gelegen sein kann, wie denn überhaupt die Freundschaft der lieben Menschheit gegen die Thiere ein verzweifelt zweischneidiges Schwert ist. Die weitaus größere Mehrzahl unserer Mitgeschöpfe würde sich ohne die freundschaftliche, aber herzlich unerwünschte Beach tung, die wir ihnen schenken, weit Wohler befinden! Allen voran die Häseletn! — So ein armer Hase ist, wie uns des alten Wildungen obige Klageverse zu Herzen führen sollten, eine wohlgeplagte Creatur! Seine Schuld freilich, — warum schmeckt er so gut? Ja, ja: wohlschmeckend ist er, und das ist sein Ver derben. — Wie viele Tausende und Abertausende Hasen verden aber im westlichen Europa — die Ruffen verschmähen sie, — jährlich von der gedankenlosen Menge hineingegeffen, von der kaum fünf Procent eigentlich wissen, was sie ver schlingen. „Nun," höre ich einwerfen, „Fleisch von einem Säugethier, was sonst?" Von Einem und dem Andern, die es etwas besser wissen, „von einem Nagethier selbstverständ lich." Damit ist nicht viel gesagt, diese Antworten ver- rathen keine großen Kenntnisse. Es ist aber eigentlich eine gewisse Pflicht gegen uns selbst und eine Art dankbare An erkennung für unsere Schlachtopfer, daß wir wenigstens einigermaßen über ihre Naturgeschichte und über Alles was d'rum und d'ran hängt, unterrichtet sind, und Zweck der folgenden Zeilen ist, dem Hasen in diesem Puncte einiger maßen zu seinem Rechte zu verhelfen. — Wie Lampe aussieht, weiß ein Jeder, und ich kann mir daher viele Worte sparen. Nur will ich von vorn herein be merken, daß der Hase keine Beine sondern „Läufer" (die Hinteren heißen wohl auch „Sprünge"), keine Ohren sondern „Löffel," und statt der Augen „Seher" hat. Seine Haut ist nicht mit Haaren, vielmehr ist sein „Pelz" mit „Wolle" bedeckt. Wo andere Säugethiere einen Schwanz haben, blüht ihm eine „Blume," er hat kein Blut sondern „Schweiß", kein Fleisch sondern „Wildprett." Auch frißt er keine Nahrung in seine Gedärme hinein, er „äset" viel mehr „Aesung" in sein „Gescheide." Er liegt nicht an einer Ruhestätte, er „sitzt im Lager," und wenn er sich auf seine „Sprünge" erhebt, so macht er „Männchen" oder „Regel." Seine Mutter hat ihn nicht geboren, wohl aber „gesetzt." Ist er verwundet, und es geht mit ihm auf die Letzt, dann schreit er nicht prosaisch, er „klagt.* Die Körperbeschaffenheit des Hasen verräth, daß er wesentlich und ursprünglich ein Thier des freien Geländes und nicht des grünen Waldes ist. Seine Farbe entspricht prächtig der des Ackerbodens. Es ist mir als Junge mehr als einmal widerfahren, daß ich über einen, der vor mir mit offenen Sehern schlafend im Lager saß, weggestolpert bin, und es dürfte schwer zu entscheiden gewesen sein, wer in diesen Fällen von uns beiden an der Sache Betheiligten der Erfchrockenere war. Die niedlich, coquett getragene, oben schwarze, unten weiße Blume giebt dem Hasen namentlich von hinten etwas Munteres, Lustiges. In den Zeiten unserer Urgroßeltern benutzte man diese Blume beim Schminken, und einen Gecken nannte man damals, aller dings in grobem Verstoß gegen die Regeln der Kunst, einen „Hasenschwanz." Die an der Spitze schwarzen Löffel stehen beim männlichen Hasen, dem „Rammler", dichter beieinander als bei der Häsin. In der Ruhe und beim Laufen werden sie nach hinten gelegt, beim Arsen aber sind sie in fort währender Bewegung: bald werden beide mit der Höhlung nach vorn, bald nach hinten gewendet, dann wieder der eine nach vorn, der andere nach hinten. Die bedeutende Ent wickelung des schallauffangenden Abschnittes des Ohres ent spricht seiner inneren Entwicklung als schallempfindendes Sinnesorgan: die Hasen hören ausgezeichnet. Auch sehen und riechen sie sehr gut: wer so viel Feinde hat, der muß wohl über tüchtige Wachposten verfügen können, und das sind in diesem Falle die Sinnesorgane. Daß die Hasen, wie erwähnt, mit offenen Sehern schlafen, hat seinen Grund darin, daß ihre Lider zu kurz sind, um geschlossen werden zu können. Daher sind die frisch gesetzten Häschen auch nicht blind, sie haben aber noch schlaffherabhängendeLöffel, diesich erst nach einigen Tagen aufrichten. Die durch eine tiefe „Hasenscharte" getrennten Oberlippen sind mit langen, weißen Schnurren besetzt und führen, äußerst beweglich wie sie sind, ein fortwährendes, drolliges schnüffelndes Mienen spiel aus, dem man (wenigstens ich) immer mit Vergnügen zusieht. Die Körperbewegungen des Hasen sind von zweierlei Art: entweder schneller Lauf oder sonderbares, langsames Humpeln. Im Laufe leisten die Hasen, und besonders, wenn man ihre geringe Körpergröße erwägt, Bedeutendes, und es gehört schon ein besonderer schnellfüßiger und weit springender ansehnlicher Hund dazu, einen zu überholen. Dabei haben sie, wenn ihnen ein solcher Verfolger zu nahe auf die Fersen kommt, einen besonderen Kniff: sie „schlagen einen Haken", wie man das nennt, d. h. sie schwenken plötzlich und fast im rechten Winkel seitlich ab. Der ver folgende Hund kann natürlich nicht wissen, wann der Hase das Manöver auszufllhren beabsichtigt, und wird, wenn es stattfindet, unbedingt, nach dem Gesetze des Beharrungs vermögens, weit über den Hakenpunkt hinausstürzen. Dann heult und bellt er auf, ingrimmig und enttäuscht, er flucht in seiner Art, aber bevor er die Verfolgung wieder auf nehmen kann, ist Lampe schon ein gut Stück von dannen und hat es jeden Augenblick in der Hand, das Kunststllckchen zu wiederholen. Freilich, — geht die Hetze bergab, dann ist der arme Hase übel daran, darauf ist seine Beinart nicht eingerichtet, und er überschlägt und überkugelt sich bei seinen langen Hinterläufen nur gar zu leicht, was dem in den Gliedmaßen proportionirter gebauten Hund nicht geschehen kann. Hat der Hund Lampen erreicht, so faßt er seinen Hals von oben her, schüttelt den unglücklichen Wicht ab, daß die Löffel klappern, und man es ordentlich krachen hört. So bricht er ihm das Genick. Die armen, armen Hasen. Wir wußten als Studenten vor etlichen dreist^ Jahren gar wohl, welch' herber aber richtiger Vergleich in den Versen lag, die wir damals, jetzt ist das Lied veraltet und vergessen, fangen: Die Hasen und die Burschen leiden Allbeide gleiches Ungemach, Denn jenen stellen Jägerhunde Und diesen die Philister nach! — Die langsamere Art der Ortsbewegung des Hasen, das „Humpeln" oder „Hoppeln" gewährt einen komischen An blick und erinnert an die entsprechenden Bewegungen der Känguruhs. Der Hase setzt die beiden Vorderläufe dabei nicht neben, sondern kurz hintereinander voraus und zieht dann schwerfällig die beiden Hinteren zu gleicher Zeit nach. Im Schnee entsteht dadurch eine sehr charakteristische Fährte. Lampe hält freilich im Allgemeinen die Vorsicht für der Tapferkeit besseren Theil und verläßt sich, da er sich auf sein Gebiß und seine Wehrhaftigkeit nicht recht verlassen kann, auf seine Schnelligkeit. I^epu3 Iimiäu8 „den Furcht hafen" nannte ihn der alte Vater Linus und in früheren Zeiten steckten in Norddeutschland die zum Loosen ausge hobenen Bauernburschen, um sich freizuloosen, einen Hasen fuß als schützendes Amulett in die Jacke. Prächtige Selbst ironie, die im Kopfe eines großen Humoristen entsprungen sein mag! Und doch giebt es auch in Lampes Leben Augen blicke, wo ihn hoher Muth wenigstens gegen seines Gleichen beseelen kann. „Lfiorofio/. la kommv!" „Ruft nur nach der edeln Weiblichkeit" — natürlich! sie macht Weise zu Narren, aber unter Umständen, wenn auch selten, Feiglinge zu Hel den. Die alten Rammler kämpfen wilde Kämpfe um den Besitz der Schönen: sie beißen sich, sie kratzen sich, am lieb sten aber ohrfeigen sie sich in rafchem Tempo mit ihren Vor derläufen, sie „trommeln". Oft genug zu Winters Ende oder in den ersten Tagen des jungen Frühlings sieht man die leichte Schneedecke auf dem Felde draußen stellen weise zerstampft, hin und wieder durch Blutspuren geröthet und mit einzelnen Wollflocken bedeckt. Denkwürdige Stelle: hier haben zwei Rammler ein Duell ausgefochten. So ein alter Rammler ist überhaupt ein böser Geselle und imPunct der Liebe ein krasser Egoist. Es paßt ihm nicht, daß die Häsin ihn, wenn sie Junge hat, links liegen läßt, und den Grund ihrer Sprödigkeit gar wohl durchfchauend, setzt erAlles daran, das Hinderniß aus dem Wege zu räumen, und seine Nachkommen zu ermorden. Aber auch die Häsin ist verliebter Natur und oft genug zu temperamentvoll, um ihren Kindern eine gute Mutter zu sein. Die Häsin setzt zum ersten Male im März 1—2, zum
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