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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.09.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-09-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970927010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897092701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897092701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-09
- Tag1897-09-27
- Monat1897-09
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DezugS'PeelS A H« -«»IqZchMoii od« k» St«»« G»trk «nd den Kvrorte» ereichteten «»«- oabkstellka »tg»h»lt: vierteljährlich-^»^ v»t zweimaliger täglicher Zustell»»g n»< tza»-^k.ö0. Darch die Post bezog»» f»> Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Ltrert» tägliche Kreuzbaadseaduug 1»- Ausland: monatlich 7.bO. Di» Morge»«U>l»gabt erscheint um '/.7 Nhr. di» Abend-Ausgabe Wochentag« um b Uhr. Nrdarttlm und LrveLitio«: A,h«»»eSg»st» 8. DieExpedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- Wend- 7 Uhr. Filialen: vtt» Me««'» Sorti«. (Alfred Hahn), Universität-stratze 3 (Paultnum), Loni- Lösche. Katharinenstr. »4, v«L und O-»lM>tah 7!t Morgen-Ausgabe. MWM TagMatt Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Nathes nnd Nolizei-Ämtes -er Ltadt Leipzig. 482. Montag den 27. September 1897. Anzeigen-PreiS , die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Neclamen unter dem Arbaetion-ftrich (4g«e spalten) bO/-. vor den Aamiliennachi tchte» (kgefpaltrn) 40-^. Größere Schriften laut unserem Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Zis>rnja^ »ach höherem Tarif. Sxtra-Beilagen (gesalzt), nur mit de« Morgen-Ausgabe, ohne Postbefvrderung ^l 60.—, mit Postbefürderung 70.—. Annahmeschloß för Zeigen: Nbend-Au-gabe: Bonnittag- tO Uhr. Margen-Au-gabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen find stet- an die Erpeditia« zu richten. Druck und Verlag vo» E. Potg k» NeivffA 91. Jahrgang. Heinrich Laubes Leipziger Anfänge. n. L-v. Vielfach ist in Folge unserer Veröffentlichung vom letzten Montag der Wunsch ausgesprochen worden, den Wort laut von Laube'- dramaturgischen Erstlingen kennen zu lernen. Wir geben deshalb unten den betreffenden Aufsatz, wie er in den Nummern de-„Tageblatt-" vom 17. September und 22. October 1832 sich findet. Abgesehen von seinem theatergeschichtlichen und localhistorischen Interesse, enthält er manche allgemeinen Gesichtspunkte, die noch heute beachtens- werth sind. Die frische, rücksichtslose, scharfe Kritik, wie sie hier von Heinrich Laube geübt und gefordert wird, hat er selbst freilich später nur mit Einschränkungen gelten lassen. Die Beobachtung, daß scharfe Kritiker allmählich, je weiter sie an Jahren vorschreiten, die Dinge und Personen der Bühne und der Welt mebr mit Wohlwollen und Nachsicht, als mit kritischer Schärfe beurtheilen, hat sich auch bei Laube be stätigt , namentlich seit er am eigenen Leibe Freuden und Leiden eine- TheaterdirectorS erfuhr. Manche der aus gesprochenen Gedanken werden erst recht verständlich, wenn man die Zeitverhältnisse bedenkt. Theater und Literatur standen weit mehr als heute im Mittelpunkte deS Interesses für alle Gebildeten, da eine größere Theilnahme an der Politik ibnen nicht ermöglicht war. Nur die ersten Anfänge eines Ver- fassungSlebenS lagen in Sachsen in der alljährlich am 4. September mit feuriger Poesie und Prosa begrüßten Constitution von 1830 vor. Daneben aber drängten die Unterströmungen im Volksleben zu freiheitlichen und natio nalen Kundgebungen, die dann ihren Ausweg in der Literatur und wenn möglich auf dem Theater suchten. Es sind die Anfänge des „jungen Deutschlands", die sich hier geltend machten und in Laube's Aufsatz ihre Spuren zeigen. Die mitgrtheilte Randnote bei Beginn des zweiten Theils stammt selbstverständlich von der damaligen Redaction des „Tage blatts-". Theaterzustaiiv. (Nummer vom 17. September 1832.) Ich habe mich gewundert, als ich eine Zeit lang das hiesige Publicum, das klatschende und das schreibende be obachtet hatte. In der Mitte von Deutschland hätte ich ein solche-Eldorado der Zufriedenheit nicht gesucht, in der großen Bibliothek Deutschland- hätte ich lesenSwerthere Manuskripte vermuthet. In einer äußerst mittelmäßigen Aufführung des Don Juan war man außer sich vor Entzücken, und die Kritik lallte nach wie ein mit Zuckerwerk beschenktes Kind, wie äußerst schön jene Dame gesungen, wie vortrefflich derLepo- rello gewesen, während beide betheiligte Personen anderSwo schwerlich unangefochten die bergenden Coulissen erreicht hätten. In einem ganz schlechten Ritterreißer, die Scharfenecker, einem verwischten Steindruck von ein Paar Acten der Schiller- schen Räuber, geberdete man sich so äußerst vergnügt über die Fratze, daß ich eS nur bi- rum dritten Acte in dieser Disharmonie zwischen Scene und Proscenium aushalten konnte. DaS Stück war nun zwar eigentlich auch, dem Verfasser zum Trotz, der durchaus 5 Acte haben wollte, mit dem zweiten zu Ende; denn Vater und Sohn waren au-gesöhnt, Alles schwamm in Glückseligkeit, von geistigen Motiven, die noch zu berücksichtigen und zu ordnen gewesen wären, war nicht die Rede, denn solche existirten im Stück nicht — dennoch sprach die Kritik den andern Morgen mit vieler Ernsthaftig keit, Ehrbarkeit und Würde von diesem Ritterschauspiel. Woher mag diese sauguinische Anschauung, diese ungetrübt, ungestört seelenvergnügte Beurtheilung kommen? Da- Publicum ist lang« ohne Theater gewesen, eS ist natürlich erfreut, wieder eins zu haben, und in der ersten Freude krittelt eS nicht, ist nachsichtig und liebevoll, wie man die Fehler eine- lang nicht gesehenen Lieben in den ersten Tagen nimmer bespricht und rügt; — es ist ferner nicht zu verkennen, daß die Leitung und Anordnung der Bühne in den besten Händen zu sehn scheint, eS stärkt den Zuschauer ein klarer Geist der Ordnung und Sorgfalt, der mit sicherer Thätigkeit die Theile in einander reiht, eS ist für die Größe Leipzigs ein zahlreiche-Personal zusammengebracht, die Wahl der Stücke — jene Scharfenecker ausgenommen — zeugt von dem lobenswerthen Tacle der Direktion, den Gaumen der Genießenden nicht von vornherein durch „parfümirte Ouärkchen" zu überreizen, und selbst ein Meßrepertoir nicht aus drama tischen Sünden zu einem gewöhnlichen Beichtzettel zusammen zureihen, kurz, die Leitung der Bühne erweckt das beste Ver trauen, denn Publicum will unterhalten sehn, nnd wer daS will, ist leicht unterhalten, sie ist harmlos und beiter — wer möchte das aber hart tadeln. Ein vollblütig Parterre ist immer besser, wie ein kaltblütiges, nnd jedes Publicum sammelt erst nach und nach sein Gescbmaksheft; jeder Abend ist eine Vorlesung, ein neu zusammengetretenes ist, wie der Student sagt, ein Fuchssemester, und da verlangt man nur vor Allem Empfänglichkeit. Und diese ist da. Anders ists mit der Kritik. Diese soll nach längst geordneten Heften lesen, nicht aber langweilig mit den Zuhörern schwatzen. Das ist nun ein Herzäblen des ganzen Personals und ein Erschöpfen der erschöpften Redensarten: „Mad. X. entzückte — Hr. H. entsprach allen Ansprüchen — Mlle. Z. bezauberte durch die Virtuosität ihres Spiels — Hr. Tz. riß unwider stehlich fort" u. s. w. Einmal ists dabei nun, als ob Theater und Kritik nur der Schauspieler wegen da seh, als ob sie noch länger die Helden Deutschlands bleiben sollten, wie sie das in Ermange lung anderer so lange gewesen, zweitens ists eine unöko nomische Lob- und Wortverschwcndung: eine Bühne wie die hiesige kann all ihren Verhältnissen nach kaum einige gute Schauspieler haben — und sie straft den Satz nicht Lügen — nach unfern Recensionen liegt aber hier ein ganzer Napo leonischer Generalstab von Marschällen und Helden der Bühne. Je mehr die Kritik von der Bühne will, desto mehr leistet diese; natürlich gilt das auch umgekehrt — sie ist die freie Presse, welche vorauscilt auf der Heerstraße der Entwickelung. Aber eS kommt jener Mangel von dem schmalen Zugänge, den man sich zu dem Institut „Theater" zu bahnen weiß. Soll es wirklich nur eine Abendunterhaltung seyn, soll es wirklich nur, was man so im gemeine» Leben sagt, „amüsiren", wie irgend ein andres Spectakel? Dann haben allerdings die Nedensart-Necensenten Recht. Soll sie ein Moralinstitut seyn und Kanzel und Predigt ersetzen, wie die deutsche Gottesfürchtigkeit vielfach gefordert? Eigentlich gewiß keins von beiden; denn sie ist eine Knnstanstalt, am ersten aber das zweite. Nur ist dann von einer Moral im modernen Sinne die Rede, von einer staatsbürgerlichen, politischen. Bei den Griechen war sie ein Ausdruck der Oeffentlichkei«, der Nation, des Staats, denn die Götter selbst waren eine Staatsbehörde. Je mehr wir zu jener natürlichen Staats verfassung zurückkehren, desto mehr sollen wir auch unsere Bühne dahin bringen, und da sie bei uns noch meist der einzige Ort ist, wo ein öffentliches Verfahren zu finden ist, bestehe cs auch nur im Abstimmen über Lob und Tadel, so sollen wir sie zum reinen, wahren, richtigen Ausdruck der Öffentlichkeit machen. Die Bühne sey der Tele graph unsers Volkslebens, sie eile der langsamen Fahrpost unsrer bürgerlichen Freiwerdung voraus, sie begründe sich nationale Interessen und gestalte eine nationale Einheit, die außen fehlt. Nur dann, wenn sie sich dieses Ruders zu be mächtigen vermag, wird sie bei den ihr übrigens widrigen Winden der Zeit fortschiffen können, während sie sich am Strande mühsam hinschleppen muß, so lange sie die Flaggen, die auf offenem Meere kämpfen, zu salutiren nicht versteht. Große politische Zeitbewegungen sind nie den Künsten günstig, weil das Element dieser Ordnung und Ruhe ist, die Zeil, welche die Bühne nicht verstanden, hat diese gestürzt, und alle Possenreißereien Helsen unserm deutschen Theater nicht auf, sondern lediglich der Abschluß des Kampfes kann dich thun. Denn steht auf allen Plätzen die Bildsäule des neuen Interesses, was gewonnen, der neuen Gottheit, die erkämpft ist, dann bringt man diese errungenen Bilder auf die Bühne, und das Volk kommt, staunt und labt sich. Warum ergreift nun die Bühne, die so viel lebendige Elemente vor den andern Künsten voraus hat, warum er greift sie nicht daS wenige, was bereits gewonnen ist, und gestaltet eS zu stolzen Figuren aus blutlosen Begriffen; warum taumelt sie noch immer in verstorbenen Zeiten und Räume, in den platten Tagen der Scharfenecker herum? Weil die Wegweiser ins neue Palästina fehlen, weil man tböricht ein so wichtig Instrument wie die Bühne am Wege liegen läßt und vornehm darauf herabsieht, weil sie darum in die über zufriedenen Hände gefallen ist, die das alte A B C Buch immer wieder stammeln. Dich Blatt wird von der Bevölkerung einer ganzen Stadt gelesen, bei conscguenter Führung kann daS Bild des Theaters ui kurzer Zeit auf der Netzhaut einer ganzen Bevölkerung ein anderes geworden seyn: so wird ein junges Publicum, und durch das Publicum wird die Bühne geformt, wie um gekehrt: so wird also ein junges Theater. (Beschluß. Nummer vom 22. October 1832.*) Dieser Stab von Marschällen vortrefflicher Schauspieler, der in den oben erwähnten Recensionen herumspukt, schrumpft in 4 bis 5 lobenswerthe Mitglieder des Schauspiels zu sammen, sobald man jene fidele Zufriedenheit in die Kühle eines prüfenden Bades taucht. Das sind die Herren Kunst und Meyer, und wenn man bloß Ben David gesehen, Herr Porth: von den Damen Dlle. Wagner. HerrKunst, dessen Kunst vielen Kritikern schon so viel zu schaffen gemacht hak, ist eine der merkwürdigsten Erscheinungen in der Bühnen welt. Schon Klingemann bezeichnet ibn in „Knnst und Natur" als einen vollkommen originellen Typus. Die materielle Kraft stürzt sich in seinen besten Rollen wie ein siegendes und Alles niederwerfendes Heer auf die Idee der Rolle, erobert sie mit Ungestüm, und das Siegsgeschrei dringt von allen Seiten herbei wie eine nicht zu dämmende Fluth — d. b. das Publicum klatscht und ruft Bravo. Und eS ist keine Täuschung in den glänzenden Rollen des Herrn Kunst, der besonnene Zuschauer bat seine Erregung nicht hinterher zu bereuen, wie es ihm beim bloßen Coulisscneffect begegnet. Das Gewaltige des Gedankens, der die Situation be herrscht, ist es gewesen, was ihn gehoben, ja begeistert. Es ist der unerklärliche Funken, der mit überraschender Kraft plötzlich die geharnischte Pallas den Augen entgegensprengt. Es ist eine Kanonenschlacht Napoleons, die durch geschickt concentrirte physische Kraft den Sieg unwiderstehlich an sich reißt. Der Beleg dazu ist vorzüglich der erste und vierte Act der Räuber. Darin liegt nun keineswegs die Anerkennung, daß jener Schauspieler wie der Feldherr mit durchdachter Umsicht Terrain und Kräfte rc. klug berechnet, daß daS Resultat der Erfolg seines umsichtigen Geistes war; eS liegt nichts darin als die Anerkennung des Erfolgs und der ge waltigen Kraft. Ich bin sogar sehr der Meinung, Herrn Kunst für ein Krafttalent, für einen treffenden Schauspieler zu halten. Ich glaube nickt, daß er ein großer, wokl aber daß er ein bedeutender Schauspieler ist. Wo die Aeußerungen der überwältigenden Naturkraft fehlen, da tritt er in den Kreis lobenswerther Schauspieler zurück, die *) Den Anfang dieses Artikels siehe in Nr. 79 des Tageblattes. Obwohl derselbe teilweise gegen die Beurteilungen der Leistungen unserer Bühne in diesem Blatte gerichtet ist, so haben wir ihm dennoch die Aufnahme gern gewährt, theils weil er überhaupt geistvoll geschrieben, theils weil wir Meinungsfreiheit in jedem Dinge gern gestatten. Ueberdem theilen wir die Ansichten des ehrenwerthen Herrn Einsenders in vielen Beziehungen und beruht es auf einer irrthümtichen Unterstellung, daß unser Blatt nur Lob spende. Dieß kann höchstens von einigen früheren mit Namens unterschrift des Verf. versehenen Recensionen gesagt werden, welche wir eben dcßhalb weniger verantworten zu müssen glaubten, und welche schon seit längerer Zeit nicht mehr in diesem Blatte erscheinen. In allen übrigen Beurtheilungen aber wird Herr Ein sender, wenn auch vorwaltende Nachsicht, doch Lob und Tadel neben einander antreffen, namentlich scheint er die Recension der ersten Ausführung des Don Juan nicht mit Aufmerksamkeit gelesen zu haben, weil es ihm sonst nicht entgangen seyn würde, daß hier keineswegs „die Kritik" das Entzücken des Publicums nachgelallt, vielmehr die Ausführung dieser Oper „sowohl im Ganzen als in einzelnen Partieen für mißlungen" erklärt hat. Wir fügen noch die Bemerkung hinzu. Laß eine heftige Gegen schrift gegen den „Theaterzustand" eingekommen, um aber das Tage blatt nicht zum Tummelplätze unwichtiger Streitigkeiten zu machen, unaufgenommen geblieben ist. D. Red. in gewisser Sicherheit und Glätte einen wohltbuenden Ein druck machen. In Darstellung de- Hekdeneffects ist er der glücklichste, den ich gesehen. Aber es muß ein einfacher, offen da liegender Affect seyn, in den zusammengesetzteren, wie im Hamlet, verschwindet der Vorzug feines materiellen Ucber- gewichts, und die innere Krankheit fällt lähmend auf sein Spiel. Denn die Gesundheit und der gesunde Schmerz ist sein Element. Herrn Meyer und Dem. Wagner habe ick bis jetzt wenig gesehen; das Wenige aber bei wichtigeren Rollen ge läutert, bei leichtern angenehm. Herrn Porth in mehreren Nollen sehr mittelmäßig, wie in den Scharfeneckern, im Ben David als Zodik ganz gut. Ueber die Wahl der Stücke habe ich schon oben einige Worte gesagt: die eigentliche Prüfung, ob die Direction einen gewöhnlichen oder einen besseren Weg einschlage, kann erst nach ter Messe beginnen. Der Vorzug, letzteren erwählt zu haben, kann nicht leicht irgendwo so wohlfeil erkauft werden, als hier, bei einem jungen, äußerst empfänglichen, annoch un verwöhnten Publicum, was sich noch wie ein harmlos Mädchen liebend dem Theater hingiebt und Eindrücke, geistige Be wegungen wünscht. Wie selten wird einer Direction dieß Glück. Meist findet sie bereits die Theater-Lüderlichkeit vor, die darin besteht, daß man nur eben einen Ort auf eine Stunde sucht, wo Lichter brennen und Menschen sind, wo man nickt Comödie sehen, sondern svielen will, wo höchstens das Pikanteste einen Augenblick reizt, von eigentlicher Andacht aber nicht mehr die Rede ist. Ohne diese aber ist das eigentlich deutsche Schauspiel mit der neroenzertheilenden Ent wickelung seiner Motive verloren, das rasche französische kommt lediglich an die Reibe und reicht bald nicht mehr aus; Ueberraschung, Schreck, Plattheit, Spectakel — Alles muß zu Hilfe genommen werden, um daS abgelebte Interesse an zuspannen. Alles dessen bedarf es in Leipzig noch nicht; möge die Direction das nicht verkennen — „das Stündchen vor'm Potsdamer Thor" deutet freilich nicht auf diese Erkcnnlniß, ebenso wenig Abällino und das mehr erwähnte Prachtstück „die Scharfenecker". Die Aufführung der Stücke selbst bekundet einen gewissen Fleiß und eine Art Sauberkeit, die eine sorgfältige Inspectwn voraussetzt und wohlthut. Es fehlt aber den Vorstellungen eine Art von Leben, oder doch Lebhaftigkeit; das Stück spinnt sich oft in Ordnung, aber in einer Art von Schläfrigkeit ab. Da muß die einprodirende Regie mebr befeuern. Von den neuen größeren Stücken hätte Ben David, rücksichtlich deS Stoffs, der Spindler angehört, den meisten Werth; in der Behandlungsweise übertrifft Bahrdt, von dem die Grabesbraut und die dich le n stein er bearbeitet sind, den Herrn Neustädt an jugendlicher Frische. Es ist mehr Schnellkraft in seinen Sachen, wiewohl sie sich eben falls nicht über die untergeordnete Stellung in Acte ge- theilter Erzählungen erheben. Bahrdt klammert sich ge schickt an bekannte, scharfe Charaktere, wie Tilly, Wallen stein rc. und skizzirt sie mit einigen Strichen nicht übel. Das ist aber auch Alles; denn übrigens verwendet er nur die Begebenheit des Romans so gut als möglich, um die Leute zu unterhalten, und von höherer Nothwendigkeit im Verlauf deS Stücks ist nicht die Rede. Wenn sich nur die Sache fein deutsch und bürgerlich ausgleichen läßt, auf ein Paar zerfetzte Gemüther, die in einer Minute genesen, kvmmts ihm nicht an. Rühmlich zeichnet sich daneben Ben David durch die sehr lobenswerthe, durchgehende Idee au-, den Christen, die noch täglich über den Eifer für'S Christenthum, eine Kleinig keit desselben, das Bischen Liebe vergessen, einen Spiegel vorzuhalten, worin sie daS unchristliche Treiben feit 1800 Jahren sehen. Wahrlich, es ist ein wahres Wort der Simonisten: „die Juden kreuzigten Christum, die Christen kreuzigen dafür 1800 Jahre die Menschheit in einem Volke, den Juden" Man kann solche Stücke de- Stoff- wegen nicht genug empfehlen, denn der übermüthig» Hause ist harthörig, und ich bin schnell des IudenthumS verdächtig, weil ich es in FeeeiHetoir. Saboly's Denkmal. Humoreske von Pierr« Veber. Au» dem Französischen von E. Vilmar. Nachdruck verboten. Es war einmal ein kleines Städtchen irgendwo in der Provence, ein Städtchen ganz wie alle anderen kleinen Städte, mit einer Mairie, einer Kirche, einer Anzahl Häuser und Egoisten, Wahlversammlungen, polotischen und anderen Streitigkeiten und zwei Zeitungen. Und die Ein wohner? Die bestanden aus viertausend „Seelen", wie der officielle Ausdruck lautete. Eines Tages kamen die viertausend Bürger auf die Idee, daß ihnen etwas mangelte. Was ihnen fehlte, war: ein großer Mann. Man konnte niemals sagen: „Sie wissen doch, Soundso, der berühmte Soundso? Nun, der hat bei uns das Licht der Welt erblickt." Und dieser Mangel be trübte die armen Leute. Es war allmählich eine Art fixe Idee geworden und spielte bei den Wahlen eine große Rolle. Der Kandidat der Opposition gelobte hoch und heilig, der Stadt einen großen Mann zu verschaffen, und — er ward gewählt. Sofort begann er Nachforschungen anzustellen; er schnüffelte in alten Archiven umher, rief die Hilfe archäo logischer Vereine an und grub endlich Saboly aus. Du hast sicher einmal von Saboly gehört, lieber Leser? Er lebt« dort um das siebzehnte Jahrhundert, war Priester und hatte den guten Einfall, WeihnachtSliedrr im provrn- calischen Dialekt zu schreiben. Ob diese Lieder noch vor handen sind, weiß ich leider nicht zu sagen, aber der Name des Dichters treibt zum Mindesten auf der Oberfläche des „Meeres der Zeit". Und mehr verlangten die Bürger unseres Städtchens nicht. Die viertausend Seelen jauchzten. Sie beeilten sich, den Namen Saboly bei jeder Gelegenheit zu Ehren zu brin gen, und es währte nicht lange, da gab es eine Sabolystraße, einen Sabolyplatz und einen Sabolyweg, der zu einer Sabolhbank führte. Auf die Dauer genügte diese Kund gebung ihrer Verehrung des berühmten Mitbürgers den Be wohnern des Städtchens nicht, und so kamen sie auf den Gedanken, ein Sabolydenkmal zu errichten. Ein Zögling der städtischen Knabenschule hatte vor Jahren zeichnerische Begabung an den Tag gelegt, die man „bewundernswürdig" fand. In Folge dessen hatte der Ge meinderath Alles aufgeboten, ihn nach Paris zu senden, wo er seine Studien fortsetzen und Künstler werden sollte. Seit zehn Jahren sandte man ihm vierteljährlich seine sehr be trächtliche Zulage, aber der Undankbare gab kein anderes Lebenszeichen von sich als die jedesmalige Empfangsbeschei nigung. Allgemach brach sich die Erkenntniß Bahn, daß das Wunderkind ganz außerordentlich viel Zeit gebrauche, um es zum Bildhauer zu bringen, und nun bot das Saboly denkmal plötzlich Gelegenheit, sein Talent zu erproben. Man schrieb ihm dieserhalb und thrilte ihm Alles auf's Ge naueste mit. „Der berühmte Dichter hatte soundsoviel Jahre gelebt. Man besaß — leider! — kein Bildniß von ihm, glaubte aber au» verschiedenen Kleinigkeiten schließen zu müssen, daß seine Nase so und so und sein Haar so und so gewesen sei." Nach Verlauf von zwei Monden sandte daS Wunder kind einen Entwurf für ein Sabolydenkmal nebst einem Kostenanschlag ein. Auf einem etwa drei Meter hohen Sockel erhob sich die freundlich lächelnde Büste des großen Saboly. Am Sockel waren drei Basreliefs angebracht. Das Ganze wirkte ebenso schön wie großartig, und das Stadt wappen, das ebenfalls am Sockel angebracht war, trug noch wesentlich zur Erhöhung des Eindrucks bei. In der Ge meinderathssitzung fand der Entwurf allgemeine Billigung; nur einer der Herren nahm Anstoß an der Muse auf dem Basrelief: er fand es ganz unpassend, einen Priester in Gesellschaft eines Weibes abzubilden; dennoch wurde der Entwurf nach kurzer Berathung genehmigt. Ein Jahr darauf war das Denkmal fertig. Die Bas reliefs langten an und wurden geheimnißvoll hinter einem Holzverschlag geborgen. Nur die Büste fehlte noch. Das Wunderkind schrieb: „Ich muß nur noch die Nase fertigstellen. In zehn Tagen etwa kann ich die Büste zum Gießer bringen; dann rechne er noch circa fünf Tage für den letzten Schliff. Die Einweihung könnte mithin auf heute über vier Wochen festgesetzt werden. Ich werde Sorge tragen, daß Saboly zur Zeit da ist." O diese Künstler! Vertrauensvoll befolgte man den Rath des Bildhauers. Der Tag der Einweihung wurde bestimmt, die Gesangvereine entboten, der Tanzplatz für den unter freiem Himmel stattfindenden Ball aufgeschlagen, das Festessen mit zweihundert Couverts bestellt, die weißgeklei deten Jungfrauen, die Deputationen, die Ehrenpforten aus Tannengrün und Lampions für die Illumination — Alles war vorgesehen; auch hatte der Präfect verheißen, die Feierlichkeit durch seine Gegenwart zu verherrlichen. Nur noch acht Tage fehlten — kein Saboly! Und die Anschlagzettel prangten bereits an allen Straßenecken! Ein nicht sehr freundliches Briefchen wanderte gen Paris: „Senden Sie schleunigst die Büste. Die Sache ist eilig." Die Antwort lautete: „Sie brauchen sich nicht zu beun ruhigen. Die Büste wird am bestimmten Tage fertig, ich bin beim Retouchiren." Am Vorabend der Einweihung — kein Saboly. Man telegraphirte: „Sofort Büste senden, ob fertig oder nicht." Antwort: „Büste gestern Eilgut versandt, kommt morgen ersten Zug." Der große Tag brach an. Prächtiges, sonniges Wetter mit einem sanften Windhauch, der die sommerliche Tempe ratur angenehm abtühlte. In der Morgenfrühe hatte cä ein wenig geregnet, so daß es auch nicht staubig war. Wahrlich, ein herrlicher Tag! Mitten auf dem Sabolyplatz steht, mit Segeltuch ver hüllt, das Monument. Man braucht nur an einem Seil zu ziehen und die Hülle fällt. Für den Gemeinderath ist eine Estrade errichtet. Aber — die Büste ist noch nicht da. Der Gemeinderath bleibt geduldig, wenn auch sehr nervös. Der Telegraph überhäuft das Wunderkind mit Vor würfen und Beleidigungen. Zehn Uhr. Die Trommelschläger erschienen in Parade uniform, gefolgt von der Liedertafel in Galahllten, den weiß gekleideten Jungfrauen mit Palmenzweigen in den Händen, den Kindern der Stadtschule, den Deputationen — kurzum Alles ist zur Stelle, außer der Büste! Elf Uhr. Es ist Zeit, den Präfecten von der Bahn ab zuholen. Vielleicht kommt die Büste mit demselben Zug. Solche Augenblicke sind hart, das kannst Du glauben, lieber Leser. Der höchste Beamte de» Landes sitzt, des feierlichen Empfanges harrend, seit einer halben Stunde im Zuge und hat sich vor Ungeduld schon den halben Backenbart aus gerauft. Und das Volk ist immer noch ahnungslos! Halb Zwölf. Die Commission langt auf dem Perron an; der in sein silbergesticktes Äalahabit gekleidete Präfect
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