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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.09.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-09-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970927025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897092702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897092702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-09
- Tag1897-09-27
- Monat1897-09
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In dankbarer Ehrung für den großen Staatsmann fühlen in Deutschland Kaiser und Volk sich ein«. In dem Namen deS Fürsten Bismarck verkörpert sich eben der Gedanke der deutschen Einheit, der Wiederherstellung eine- starken nationalen deutschen Reiche-, und ebenso führt auf ihn die Tradition deS kräftigen Schutzes der im AuSlande lebenven und wirkenden deutschen Unter- thanen zurück. Fürst Bismarck ist derjenige gewesen, welcher zuerst dir Bedeutung dieses Schutzes der Angehörigen ver deutschen Nation für daS Ansehen und die gedeihliche Ent wickelung unseres Vaterlandes erkannt hat. Niemand weiß auch besser als Fürst Bismarck, wie wichtig, ja unentbehr lich für Wahrnehmung dieser Verpflichtung gegenüber unseren Vaterlandsgenoffen im AuSlande eine starke deutsche Flotte ist. Deshalb wird man eS überall mit besonderer Gcnug- thuung begrüßen, daß ein so hervorragendes Schiff unserer Flotte, wie dieser erste Panzerkreuzer, den Namen deö Fürsten BiSmarck trägt." — Gewiß, in Vieser wohlverdienten Ehrung deS großen Staatsmannes fühlen in Deutschland Kaiser und Volk sich eins; aber gerade weil das deutsche Volk bei dieser Gelegenheit mit seinem Kaiser sich eins fühlt, kann eS die Erinnerung an andere Gelegenheiten, bei denen eine solche Uebereinstimmung schmerzlich vermißt wurde, nicht bannen und die Besorgniß nicht unterdrücken, daß die von dem StaatSsecretair Tirpitz im Auftrage des Kaisers gehaltene Taufrede nur eine Episode ohne nachhaltige Folgen bedeute. Auch der Umstand, daß der Vicepräsident des preußischen Staatsministeriums vr. v. Miguel zweifellos auf Anregung des Kaisers nach dem Taufacte dem Fürsten BiSmarck einen Besuch abstattete, verbürgt die Dauer der bei diesem Acte hervoraetretenen Uebereinstimmung zwischen dem Ober haupte deS Reiches und dem auf das Urtheil der historischen Wissenschaft sich stützenden VolkSurtheile noch keineswegs. Als bei der Jahrhundertfeier zu Ehren Kaiser Wilhelm's I. Fürst Bismarck überhaupt nicht erwähnt wurde, besaß Herr vr. v. Miguel schon denselben persönlichen Einfluß, den er beute besitzt; reichte dieser damals nicht auS, um eine Unter lassung zu verhüten, die im ganzen Reiche und weit über seine Grenzen hinaus schmerzliches Befremden erregte, so wird Herr vr. v. Miguel auch die Wiederkehr solcher Unterlassung nicht zu verhüten vermögen, selbst wenn er es versuchen sollte. Aber gerade hieraus erwächst dem deutschen Volke die Pflicht, seinerseits dem Schmiede der deutschen Kaiser krone zu geben, was ihm von anderer Seite etwa ver sagt werden mag. Den äußeren Ehren, die ihm geworden sind, kann daS Volk keine neuen hinzufügen; er geizt auch nicbt nach solchen. Der Dank, der seinem Herzen am wohlsten tbut, ist die patriotische Thal, die Opferwilligkeit für daS Reich und seine innere und äußere Sicherheit. Gerade bei der Behandlung der Marinefragen im Reichstage bietet sich Gelegenheit, dem Manne, der zuerst di: Bedeutung d:S Schutzes der Deutschen im Auslande für das Ansehen und die gedeihliche Entwickelung unseres Vaterlandes erkannt hat. den Beweis zu liefern, daß die bei der Taufe des Panzer-1 kreuzers „Fürst Bismarck" die Nation erfüllende Freude nicht! eine vorübergehende Emotion, sondern nur eiu Symptom! unauslöschlicher und Thaten zeugender Dankbarkeit und Verehrung war. DaS Schwurgericht zu Graudenz hat am Donnerstag und Freitag über die Angriffe von Polen auf den deutsche» Lehrer Grütter, die dessen Tod herbeifübrten, verhandelt. Wir haben den Sitzungsbericht und das Urtheil mitgetheilt. AuS dem letzteren geht hervor, daß die Geschworenen den polnischen Zeugen, welche in der Schlußverhandlung nur von einem Angreifer des Todten zu erzählen wußten, keinen Glauben geschenkt haben. Eine Mehrzahl von Angeklagten ist der gemeinschaftlichen vorsätzlichen Körperverletzung schuldig gesprochen worden. Die Zeugenaussagen reichten aber hin, die Geschworenen nicht zu der Ueberzeugung vordringen zu lassen, daß die Angreifer Grütter aus die Plattform des Eisenbahnwagens gedrängt und von dort aus seinen tödt- lichen Sturz u. s. w. bewirkt hätten. Als erwiesen dürfte nur noch angenommen werden, daß der starke, körper gewandte, muthige Mann auf die Plattform zurückgewichcn und sich dort trotz des langsamen Tempos des Secnnvair- bahnzuges, in dem das Drama sich abspielte, nicht halten konnte. Nur für die Mißhandlung, die ter Deutsche erlitten, konnte eine Straft verhängt werden, sein Tod mußte un gesühnt bleiben. Von dieser, wie von den früheren Gerichts verhandlungen, in denen polnischer Haß gegen die Deutschen die Triebfeder der strafbaren Handlungen bildete, wird man unwillkürlich an denStu hm er MeineibSproceß erinnert, dessen kennzeichnendeBedeutuiigNiemand weniger entging,als der ultramonlancn Presse, die jenen höchst merkwürdigen Gerichtsfall so lange todtschwieg, bis sie reden mußte, wenn anders sie nicht anerkennen wollte, daß die Interessen der polnischen Propaganda über der Heiligkeit des Eides stünden. Bei dem Vorfall, dem der Lehrer Grütter zum Opfer fiel, ist — namentlich nach den Bekundungen in der Hauptverhandlung — so erstaunlich viel nicht gesehen worden, daß selbst der Vor sitzende im Graudenzer Proceß sich der Bemerkung nicht enthalten konnte: „Es ist doch eigentlich erstaunlich, daß gewisse Vorkommnisse von vielen Zeugen nicht beobachtet wurden" — eine Aeußerung, beiläufig bemerkt, die sich in dem Bericht der „Germania" nicht findet. Trotz der schwer discutablen,außerordentlich günstigen „Umstände", die den Ange klagten zur Seite standen, ist die von der polnischen Presse zur Schau getragene Erwartung,der Aue-gangdeSProccsseSwerdedie von Unbefangenen gewonnene Vorstellung von der Natur der polnisch-klerikalen Agitation Lügen strafen, nicht in Eisüllnng gegangen. Diese Erwartung ist wohl auch nicht ernstlich gehegt worden, sonst hätte man wohl in der polnifchen Presse vermieden, von Anbeginn und b:S zur Fällung des Unheils Stimmung gegen den todten Deutschen und für seine polnischen Angreifer zu machen. Der Proceß hat — trotz alledem! — die Wahrheit, auf die es außergerichtlich ankommt, zu Tage gefördert. DaS Deutschlhum in reu Ostmarkcn sieht sich einer Verfolgung ausgesetzt, bei der nicht einmal die Sicher heit deS einzelnen Deutschen gewährleistet ist. Lehrer Grütter — alle gegentheiligen polnijch-ultramontanen Behauptungen haben sich in der Verhandlung als Lügen erwiesen — war ein ruhiger, nüchterner, im Berufe gewissenhafter, seine Muße stunden harmlosen Zerstreuungen und von den Fachmännern geschätzten Naturstuvien widmender Mann. Er ist auck — dies wurde ebenfalls ausdrücklich bezeugt — kein politischer oder nationaler Agitator gewesen. Aber er war ein Deutscher, hatte am Wahltage von Sckwetz, der sein Todestag werden sollte, für einen Deutschen gestimmt und hatte cS nicht ruhig hingenommen, als er von Polen wegen dieses seines und seiner Stammesgenossen Bekenntnisses zum eigenen Volks- thunl geschmäht wurde. Dafür wurde er — wir halten uns hier nur an daS Urtheil — von Angehörigen des andern VolksthumS überfallen und mißhandelt. Der Deutsche hat noch in der Abwehr seine Friedensliebe bekundet. Nach der Aussage des Zeugen Wisniewski hat Grütter auf die Be merkung eines jener Angreifer, des nunmehr verurtheilten Franz Lewandowski: „Sie haben mir meinen Hut eingedrückt, jetzt müssen Sie mir den Hut bezahlen", geantwortet: „Gut, ich werde den Hut bezahlen." Auch die Aufzeichnung dieser charakteristischen Episode hat die „Germania" nicht für zweckmäßig befunden. Sehr begreiflich: Gerechtigkeit für den Todten hat man im polnischen Lager und in dem der ultramontanen Helfershelfer so wenig gekannt, wie aufrichtiges Bedauern über die Vernichtung eines blühenden Menschen lebens. Alles Sinnen und Trachten galt und gilt der Weiß waschung der polnischen Uebelthäter. Die großpolnische Agi tation hat Deutschen gegenüber gleich dem MenschlichkcilS- gefühl die Begriffe von Recht und Unrecht bei den Slawen in den Ostmarken verwischt mit- Hilfe sich „katholisch" nennender, aber gänzlich in einem haßerfüllten Nationalismus ausgehender Geistlicher. Dies ist der düstere politische Hinter grund des Trauerspieles vom Schwctzer Wahltag. Die aufgeregten Debatten im österreichischen Abgeord netenhause haben, wie gemeldet, zu einem Tucll zwischen dem Ministerpräsidenten Grafen vavent und dem Cchönerianer Wolf geführt, aus dem der erstere mit einer — nicht gefähr lichen — Armwunde hervorgegangen ist. lieber das Befinden des Grafen und die Theilnahme, welche seine Verletzung hervorgerufeu hat, liegt unS heute folgende Meldung vor: Wien, 26. September. Das Befinden des Ministerpräsidenten Grafen Badeni ist dem Umständen entsprechend ein lehr gutes. Die Nachtruhe war wohl gestört, doch stellte sich kein Wund fieber ein. Heute war der Ministerpräsident außer Bett und führte die Regierungsgcschäfte fort. Der Heilungsproeeß dürfte 14 Tage Lauern. Dem Kaiser wird täglich über Len Zu stand deS Patienten nach Pest telegraphisch berichtet. Erzherzog Rainer erkundigte sich telegraphisch nach dem Befinden. Aus dem Inland« und Auslande treffen ununterbrochen nach vielen Hunderten zählende Briefe und Telegramme ein. AuS diesen Kundgebungen mag der Abgeordnete Wolf, welcher den Minister durch den Vorwurf der Schufterei zu der Ducllforkerung reizte, ersehen, daß er der von ihm ver tretenen Sache einen oesonderen Dienst nicht erwiesen hat. Immer lenken sich bei derartigen Asfairen dem, dessen Blut in Vertheidigung seiner periöulichcn Ehre geflossen ist, die allgemeinen Sympathien zn, und auch saevliche Gegner kommen ihm menschlich näher. Zweifellos ist die Politik des Grasen Badeni den Deutschen gegenüber auf daS Schärfste zu verurtheilen, um so mehr, als er sein Wort nicht eingelöst hat, die Sprachenver ordnungen nicht ohne vorherige Befragung und Zustimmung der Deutschen zu erlassen, und man kann eS der Opposition nicht verdenken, wenn sie einer deutschfeindlichen, um den Grafen Badeni sich schaarenden Mehrheit gegenüber zur parlamentarischen Obstruktion, als einem der letzten Ver zweiflungsmittel greift. Daß bei der Ausführung einer ivlcken Tactik nicht jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werden kann, versteht sich von selbst. Allein in allen Dingen 91. Jahrgang. giebt es ein Maß, das ohne Schuld nicht überschritten werden kann. Das ist in diesem Falle die Grenze der Wohlerzogenheit, der Gesittung und deS AnstandeS. Ucber diese hat die radikale deutsche Linke des Abgeordneten hauses, die Schönerer-Gruppe, Allen voran der Äbg. Wolf, geflissentlich sich hinweggesetzt. Sie wollten verletzend werden und ihre Absicht war persönliche Beleidigung. Daß bei dieser Art der Obstructiv» auch für Den, der sie treibt, nichts Ersprießliches herauSkommt, haben ja die wüsten Debatten der letzten Tage gezeigt, und die Mehrzabl der oppositionellen deutschen Abgeordneten hat den Schönerer, Iro und Wolf so wenig den ChornS bei ihren persönlichen Ausfällen gegen das Ministerium gestellt, daß Abg. Wolf sich einmal veranlaßt sah, der Linken in höchster Erregung zuzu rufen: „Wacht daS deutsche Volk? Wo bleibt die Opposition?" Nein, das GroS der Partei ist der Ansicht, daß die Obstruktion sich auck in anständigerer und darum vielleicht wirksamerer Form durchführen läßt und es wäre weit mit ihr gekommen, wenn sie sich die Gepflogenheit deS Straßenpöbels oder gar die des verflossenen Wiener GemeinderatheS zum Vorbild nehmen wollte. Wenn nicht Alles trügt, ist es die Krisis in der Majorität, welche die Obstruction deSorganisirt hat. Von dem Augenblick an, wo die Gerüchte, daß die katholische Volkspartei auS der Mehrheit auSzutreten gedenke, auftauchten, wurde auch die Frage deS Eintrittes der deutsch-liberalen Gruppe actuell, was auf die radikale Obstruction, die keinen Vergleich will, aufreizend gewirkt zu haben scheint. In der Bcurtheilung deS Schritte-, den Graf Ba deni zur Wahrung seiner Ehre gethan bat, stimmen wir mit der „N. Fr. Pr." darin überein, daß eS eine oontrellictiv in nckjocw ist, wenn der oberste Functionair der Staatsgewalt, der erste Hüter der Gesetze, das Beispiel verbotener Selbst hilfe durch eine Ueberschreitung der Gesetze giebt. Darüber kann eS umsoweniger einen Zweifel geben als parlamentarische Duelle in Oesterreich bis jetzt nicht üblich waren und daß die öffentliche Meinung darüber weit schärfer urtheilt als in Frankreich und in Ungarn. Nach österreichischem Gesetz ist daS Verbrechen deS Zweikampfes mit tödtlichen Waffen, wenn eine Verwundung stansindet, mit Kerker von einem Jahre bis zu fünfIahren zu be strafen. Die Wiener Staatsanwaltschaft hat die Pflicht, ent» weder die in ihr Bereich fallenden Schritte wider die Be- tbeiiigtcn einzuleiten, oder, wenn sie dies unterläßt, eine gesetzliche Basis hierfür zu finden. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird aber durch kaiserliche Entschließung daS strafgerichtliche Verfahren niedergeschlagen werden. Das schützt den Ministerpräsidenten vor schwerer gerichtlicher Bestrafung, nicht aber vor der Nothwendigkeit des Rücktritts von feinem Amte, daS auSzu- fullcn ihm so wie so die Kraft fehlt. Vielleicht war die Znveclive Wolf's für den Grasen nur eine willkommene Gelegenheit, sich einen guten Abgang zu verschaffen. Heutewird die Acte desgriechisch-türkischcnDorfriedenS- Vertrages in Griechenland notificirt werden und wie es scheint, wird Grieckenland, nachdem daS Strohfeuer der Ent rüstung über die „Vergewaltigung" der Nation verflogen — nur noch einige Exaltatos regen fick auf und suchen mit leeren Drohungen von dem Kampf bis zur Vernichtung ver geblich Eindruck zu machen —, sich in daS Unvermeidliche fügen. Man meldet uns darüber: * Athen, 26. September. („Agence Havas".) Nach der Sprache der einflußreichsten Blätter zu schließen, erklärt sich die öffentliche Meinung für Annah me der Friedensbedingungen, FettrHrtsn. Götzendienst. 18s Roman in zwei Theilen von Waldemar Urban. Nachdruck »erkotcn. Graf Victor kam täglich mehrmals nach dem Hotel des Herrn de Melida, um Neuigkeiten über den Zustand des Kranken zu hören. Frau Courcelles, die gleich am Tage Nach dem Diner auf dem Cap St. Martin ihre Functionen als Repräsentantin im Hause de Melida's angetreten hatte, empfing ihn regelmäßig und theilte ihm mit, was sie selbst wußte. Sie zeigte sich natürlich ganz aufgelöst in Schmerz und Trauer, machte einen sehr ausgiebigen Gebrauch von ihrem Spitzentaschentuche und bestürmte den Doctor Nouvere fast stündlich, ihr zu versichern, daß wirklich keine Lebensgefahr vorhanden sei. Herr Doctor Rouvere gehörte zu dem Bekanntenkreise der Frau Courcelles und hatte es nur diesem Umstand zu danken, daß er sich mit seinem berühmten College» Professor Simonis in die Behandlung des Herrn de Melida und natürlich auch in die entfallenden Honorare theilen durfte. Er fühlte daher wohl die Ver pflichtung gegenüber der Frau Courcelles und that infolge dessen Alles, um ihr wieder behilflich zu sein. „Also wirklich nicht?" fragte Frau Courcelles wohl schon zum zwanziastenmal. „Liebster Freund, verbergen Sie mir nichts — ist wirklich nicht die allergeringste Lebens gefahr vorhanden?^ „Für den Augenblick nicht, gnädige Frau", antwortete Doctor Rouvere. „Also nur für den Augenblick nicht, aber vielleicht für später", rief nun Frau CourcelleS exaltirt und schluchzte wie besessen in ihr Spitzentaschentuch. „O Sir dürfen mir nichts verbergen, Sie müssen eS mir unbedingt sagen, wenn unser theurer Herr in Lebensgefahr schwebt." „Ich müßte lügen, wenn ich daS von seinem augenblick lichen Zustand sagen wollte, oder daß er mehr als Irgend jemand anderer in Gefahr wäre, sein Leben zu verlieren. Denn wir Alle find ja täglich — stündlich in Gefahr, durch einen Zufall vielleicht mit dem Leben abschließen zu müssen, aber —" „Sehen Sie, mein bester Freund, sehen Sie!" unterbrach ihn Frau Courcelles wieder schluchzend, „o, ich ahnte es, mein Herz sagte es mir bereits, daß wir ihn verlieren werden. O — o, welch ein Unglück, welch ein Unglück!" Dann erklärte Doctor Rouvere — zum zwanzigstenmal, seitdem er das Haus betreten — daß zu einem derartigen Jammern und Klagen durchaus tein Anlaß vorliege, worauf dann Frau Courcelles sich ebenso rasch beruhigte, nach dem Kaminsims ging und sich aus einer dort befind lichen Cognacflasche ein kleines Gläschen zur Stärkung ihrer Nerven eingoß. Das erste- und zweitemal fiel dem Dr. Rouvere an solchen Scenen nichts auf, als sie sich aber dann immer in derselben Weise wiederholten, mußte er sich doch im Stillen fragen, was wohl die Hartnäckigkeit und Heftigkeit der Besorgniß der Frau Courcelles und die eigenthümliche Art und Weise, wie sie zu Tage trat, zu be deuten habe. Offenbar hatte sie ein geheimes Interesse an seinem Leben oder vielleicht gar auch an seinem Tode. Nun war Dr. Rouvere gerade nicht der Mann, der an Herzdrücken litt. So fragte er ziemlich ungenirt und offen, nachdem Frau Courcelles die übliche Nervenstärkung zu sich ge nommen: „Sagen Sie mal, gnädige Frau, was hätten Sie denn davon, wenn Herr de Melida nun stürbe?" „O — o, Herr Doctor — aber wie Sie auch fragen! Nein — so etwas!" „Sie wollen es nicht sagen?" „Aber, mein Gott, Sie wissen doch, wie es in der Welt geht, Herr Doctor: deS Einen Unglück ist des Anderen Glück." „Ja stehen Sie denn im Testament?" „Ich? — O von mir ist gar keine Rede; ich bin nur eine arme Frau, Herr Doctor, der daS Glück ihrer Kinder allein am Herzen liegt. Wollen Sie auch ein Glas Cognac?" „Bitte! Aber ich verstehe Sie nicht — was hat der Tod deS Herrn de Melida mit dem Glück Ihrer Töchter zu schaffen?" „Bs —s — st!" machte Frau Courcelles, denn ihr feines Ohr hatte auf dem Teppich deS Nebenzimmers Schritte ge hört. Zwei Sekunden später öffnete sich auch wirklich die Thüre und Herr Horace Delorme trat mit Don Salvatore ein. Auch die beiden Herren waren in ein Gespräch ver tieft, das sie vor anderen Ohren nicht gern weiter erörtern mochten; sie verstummten daher sofort, als sie des Paares ansichtig wurden, und begrüßten dasselbe schweigend. Ader Frau Courcelles schien zu errathen, um was es sich zwischen den beiden Herren handelte, während Dr. Rouvere plötzlich sehr nachdenklich wurde und bald Frau Courcelles, bald Don Salvatore staunend von der Seite ansah. Er schien plötzlich zu verstehen, was der Tod des Herrn de Melida mit dem Glück der Töchter der Frau Courcelles zu thun hatte. „Ist er wieder knickerig, Don Salvatore?" fragte Frau Courcelles etwas geradezu. „Gnädige Frau!" unterbrach sie Herr Delorme ernst und gemessen. Es war überhaupt nicht zu spaßen mit diesem Herrn Delorme; das sah alle Welt und auch Frau Cour celles ward dessen inne. Gleichwohl fuhr sie fort, sich in einer gutmllthig mütterlichen Weise an Don Salvatore wendend: „Ei was! Don Salvatore ist ein junger Mann; er will auch etwas von seinem Leben und hat doch als Sohn seines Vaters außerdem gewisse Pflichten —" „Das habe ich ihm auch gesagt", fuhr Don Salvatore dazwischen. „Kommen Sie, Don Salvatore", sagte Herr Delorme und schickte sich an, ihn wieder fortzufllhren. „Immer setzen Sie ihm nur gehörig zu, Don Salva tore", rief Frau Courcelles dem jungen Herrn nach, „und wenn das nichts nützt, so kommen Sie nur zu mir. Darin wollen wir uns schon verständigen. Ei — weiter fehlte nichts! Sie sind der Sohn und Erbe. Und will er Ihnen wegen ein paar lumpiger tausend Franc» die Hände binden, so kommen Sie nur zu mir, Don Salvatore!" Herr Delorme hatte sich unterdessen mit dem jungen Manne entfernt und Frau Courcelles stand nun wieder dem Arzt allein gegenüber. „Hm, ja", machte sie, ihr Gegenüber scharf fixirend, „also Morphium habenSie ihm gegeben?" „Ja. Er klagte über Schmerzen, und um diese zu be seitigen, bin ich mit Professor Simonis übereingekommen ihm kleine Dosen Morphium einzugeben." „Ein Wunder — ein reines Wunder ist dieses Mor- pbium doch in der Medicin, ein Arcanum, ein Heilmittel für Alle-." „Man muß seine Anwendung nur nicht übertreiben." „Wieso?" „Weil man auf diese Weise leicht sterben könnte." „Am Morphium?" „Gewiß, wenn man zu viel nimmt." „Zopferei, pedantische Zopferei! Die Pariser Aerzte verordnen Morphium in solchen Dosen! Unsinn, Doctor! Man stirbt von Morphium ebensowenig wie von einem herzhaften Cognac. Wollen Sie noch einen?" „Das ist denn doch etwas Anderes!" „Warum nicht gar? Uebrigens — was ich sagen wollte — der alte Simonis scheint mir eine rechte Schlafmütze zu sein, zum mindesten ein rechter lederner Pedant. Sie dürfen sich nicht um ihn kümmern und wenn der Herr de Melida wieder Schmerzen hat —" „Still!" Die Unterhaltung der Beiden, dem einfachen, trocknen Wortlaut nach kaum verständlich, wurde in eigentümlicher Weise durch Ton und Gesten ergänzt und dadurch bekamen erst die leisen, kurz hingeworfenen Worte und abgerissenen Sätze ihre richtige Bedeutung. Ueberdies thaten Blicke, kleine Wendungen und merkwürdige Handbewegungen das Ihrige, um ein gegenseitiges, volles Verständniß herbei zufuhren. In diesem Augenblick wurde jedoch diese Art der Verständigung abermals unterbrochen, indem Graf Victor rasch ins Zimmer trat und sich laut und angelegentlich nach dem Befinden des Herrn de Melida erkundigte. Herr Dr. Rouvere wurde unruhig dabei, denn schon der Umstand, daß er von dem steifen, immer ernsten und strrnaen Delorme in der Unterhaltung mit Frau Courcelles betroffen worden, war ihm unangenehm gewesen. Doctor Rouvere vermied nach Kräften den Anschein deS sog. „Gesellschaftsarztes", eines Arztes, der sich mehr um alles Andere kümmert, als um seine Patienten. Er liebte eS daher, sich den Anstrich eines pflichtgetreuen Dieners der strengen Frau Wissen schaft zu geben und er war sicher, auf diese Weise eine kleine, vortheilhafte Reclame in Scene zu setzen. Die Kranken- zimmer und nicht die Salons sollten sein Wirkungskreis sein, oder man sollte das wenigstens von ihm glauben. Kaum hatte er daher dem Grafen Victor einen kurzen, an gemessenen Bescheid gegeben, als er auch schon sehr eilig that und nach wenigen Minuten ganz vrrfchwunden war. Ueber diesen mehr al- plötzlichen Abschied war Graf Victor
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