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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.09.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-09-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970928027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897092802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897092802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-09
- Tag1897-09-28
- Monat1897-09
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Vor läufig bleibt die Gruppe beisammen, nachdem die in jenen Anträgen schroff zu Tage getretenen Gegensätze durch Vermittclunasanträge übertüncht worden sind. Bei den nächsten Reichstagswahlen werden diese Gegensätze aber um so schärfer sich geltend machen, denn damit, daß die feindlichen Brüder gemeinsam erklären, sowohl die social demokratische Partei mit allen tauglichen Mitteln bekämpfen, als auch die nationalen Parteien, soweit sie egoistische Classen- interessen vertreten, als Gegner betrachten zu wollen, ist eine Wahlparole nicht gegeben und eine Entscheidung darüber, wie die Parteimitglieder im Falle von Stichwahlen zwischen socialdemokratischen und nationalen Candidaten sich zu stellen haben, nicht getroffen. Und aus den Reden der Herren v.Gerlack und Göhre geht ebenso bestimmt hervor, daß sie in solchem Falle auf die Seite der Socialdemokraten treten werden, wie aus Sohm's Auslassungen hervorgeht, daß er zu einer solchen Stellungnahme sich nicht entschließen wird. Nun können sich ja die National-Socialen darauf berufen, daß das Centrum zu einer festen Stellungnahme zur Socialdcmokratie auch nicht gelangen kann, bald für, bald gegen sie bei Wahlen eintritt und doch nicht zerfällt. Aber das Centrum hat ein Bindemittel, welches die National-Socialen nicht besitzen. Es sucht in erster Linie die Forderungen der römischen Kirche durchznsctzen und wechselt lediglich zu diesem Zwecke in poetischen Fragen seine Farbe, je nach Ort, Zeit und Umständen. Die National-Socialen verbindet die Absicht, sociale Reformen herbeizusübren; bei ihnen bedeutet also ein Zwiespalt über die wichtigste praktische Frage den Mangel eines einheitlichen Zieles. Und macht man dem Centrum wegen seiner gelegentlichen Stellungnahme zur Socialdemokratie mit Neckt den Vorwurf der Doppelzüngigkeit^ so könne» die National-Socialen diesem Vorwürfe erst recht nicht entgehen, sofern sie in dem eine» Wahlkreise für, in dem anderen gegen die Socialdemokratie eintretcn. Und zerfällt die Partei auch nicht infolge dieses Vorwurfs, so bildet der Mangel eines einheitlichen Zieles den TodcSkeim, dessen Entwickelung durch keine Cvmpromißresolution aufgebalten werden kann. Einen Vortheil hat von der vorläufigen Uebcr- tünchung der Gegensätze nur die Socialdemokratie. Was sie zu fürchten hat, ist der vom Fürsten Bismarck so warm empfohlene Zusammenschluß der staatserhaltenden Par teien bei Reichstagswahlen, ihre Hoffnungen nähren sich an allen Lücken, die in die Phalanx der natio nalen Parteien gerissen werden, und an jeder Stimme, die aus wissenschaftlichen und geistlichen Kreisen heraus gegen diese Parteien und ihren angeblichen Mangel an Arbeiter freundlichkeit sich erhebt. Den Nachtheil hat der „vierte Stand", für den schon weit mehr hätte geschehen können, wenn er nicht von der Socialdemokratie sich beherrschen ließe, die ihn zu unerfüllbaren Forderungen reizt, ihm das Vater- landSgefühl und die Religion aus dem Herzen reißt und ibn dadurch in immer schrofferen Gegensatz zu den übrigen Ständen bringt. Zu den: Inventar der socialdcmokratischcn Rüstkammer gehören bekanntlich die beiden „Tbatsachen", daß die llnter- nehmer in jedem Falle Ausbeuter und bei Streiks die Forderungen der Arbeiter stets gerechtfertigt sind. Der Göhre'sche Flügel der National-Socialen hat sich diese „Thatsackcn" ohne Prüfung für seine Zwecke angeeignet. Mit welchem Rechte, das lassen zwei Vorgänge der neuesten Zeit recht klar erkennen. Die am lautesten betonte und bis zu einem gewissen Grade berechtigte Klage ter Hamburger Hafenarbeiter betrifft die Unregelmäßigkeit der sich ihnen bietenden Arbeitsgelegenheit. Nur ein Thcil der Hafenarbeiter kann mit Gewißheit auf beständige Arbeit rechnen; eine große Anzahl findet bald Arbeit vollauf, so daß dann die Nachtarbeit bis an die Grenze des Möglichen ausgedehnt wird, bald ist cs ihnen Tage, selbst Wochen hin durch unmöglich, Arbeit zu finden; für den Arbeiter, zumal wenn er der Ernährer einer Familie ist, eine verzweifelte Situation. Während nun der Arbeitgeber-Verband Hamburg- Altona durch Errichtung von Arbeitsnachweisen versucht, diesem Uebel beizukommen, ging vor Kurzem der größte Arbeitgeber Hamburgs, die Hamburger Amerika-Linie, diese kolossale Dampfschifffahrts-Gesellschaft, die einen größeren Etat als manches Großherzogthum auswcist, direct auf das Ziel los und schlug ihren Schauerleuten vor, durch Unterzeichnung eines Schriftstückes in ein gegenseitiges festes Arbcitsverhältn i ß mit I ktägiger Kündignng zu treten. Die Gesellschaft wollte den gewöhnlichen Schauer leuten 29 .Zk, den Kvrnschauerlcntcn bei ihrer staubigen Arbeit 3k pro Woche geben, glcichgiltig, ob sie die einzelnen Leute immer beschäftigen könnte oder nicht. Hierdurch wäre eine gewaltige Zahl von Arbeitern nebst den betreffenden Familien einer sorgenfreien Zuknnst eutgegcngcfnhrt worden. Und was geschah'? Die Versammlung der Schauerleute lehnte unter allerhand Winkelzügen den Vor schlag ab. Unter Anderem wurde betont, daß daS Ein treten in ein festes Arbeitsvcrhältniß für die Schauer leute eine Freiheitsberaubung bedeute. Natür lich würde man der Socialdemokratie wieder Unrecht thun mit der Annahme, sie hätte den Schritt ver hindert, weil ihr unzufriedene Arbeiter lieber sind, als zufriedene. Aber — die Unternehmer sind n jedem Falle Ausbeuter. Der zweite Vorgang ist die Arbeitseinstellung in der Hamburg-Bergedorfer Stuhlrohrfabrik von Nud. Sieverts. Der Inhaber dieser Fabrik, der nach allseitigem Zcugniß stets bestrebt gewesen ist, durch Wohl- fahrtSeinricktungen für seine Arbeiter in weitgehendem Maße zu sorgen, beschäftigt im Durchschnitt 350 Arbeiter. Wie cs in der Natur dieses Betriebes liegt, wechseln hier Zeiten lebhafterer Thätigkeit mit denen flaueren Geschäftsganges ab. In eigenem, vor Allein aber auch in dem Interesse der Arbeiter war Herr Sieverts stets bemüht, auch in Zeiten fallender Conjunctur seinen Arbeitern Beschäftigung zu verschaffen. Als aber in diesem Jahre Ende Juli alles nur Mögliche auf Vorrath fertig gestellt war, wurde die Entlassung einiger Arbeiter zur unab weisbaren Nothwendigkeit. Wohl wissend, daß nun sofort das Schlagwort „Maßregelung" fallen würde, versuchte Herr Sieverts, auch jeden Schein einer solchen Maßregelung zu vermeiden, entließ in bestimmter Reihenfolge, ohne Aus nahme und Ansehen der Person „nach Arbeitstischen", ver säumte auch nicht, vor und nach dieser Maßnahme münd- jich und schriftlich und öffentlich sein Vorgeben zu rechtfertigen und zum Ueberfluß zu versprechen, daß die Entlassenen bei Bedarf zuerst berücksichtigt werden würden. Alles vergebens. Eine Commission verlangte die Wieder einstellung der Entlassenen, obgleich absolut keine Arbeit für sie vorhanden war, und als die Erfüllung dieses Wunsches für unmöglich und unausführbar erklärt wurde, legten 350 Arbeiter die Arbeit nieder. Ächt volle Wochen wurde dieser so frivol vom Zaune gebrochene Streik aufrecht erhalten und erst in diesen Tagen beschloß eine Arbeiter versammlung die Wiederaufnahme der Arbeit, nachdem schon lange vorher der Betrieb der Fabrik durch Arbeits willige und durch Heranziehung auswärtiger Kräfte fast in dem Umfange wie vorher hatte ausgenommen werden können. Natürlich hat Liese so leichtfertige und deshalb auch für die Arbeiter völlig resultatlose Arbeitsniederlegung, die nicht einmal ein Professor Tönnies zu vcrtheidigen sich getraute, schwere Wunden nach beiden Seiten hin geschlagen. Aber — die Forderungen der Streikenden sind stets gerechtfertigt. „Möge niemals der böse Geist der Zwietracht und dcS Mißtrauens sich wieder zwischen uns stellen!" Diese Worte, die klönig Lskar II. von LchwcScn-Rorwrncn bei seinem norwegischen Regierungsjubiläum in Christiania an die ihm huldigenden Norweger gerichtet bat, enthalten eine ernste Mahnung an das Volk, die wohl nickt ohne Bezug auf die gegenwärtig schwebenden StorthingSwahlen ist. Denn cs be steht ernste Gefahr, daß dieser Geist der Zwietracht und deS Mißtrauens in den nächsten Jahren in Norwegen regiere und die Zustände des Landes verwirre und vergifte. Der bis herige Ausfall der Wahlen ist wenig erfreulich; die Linke hat nicht allein ihre bisherigen Sitze behauptet, sondern anch in Finnmarken und in dem einen Bcrgcnhus Amte je zwei Sitze von der Rechten erobert. Freilich sind diese Wahlsiege, genauer betrachtet, Siege eigener Art. In BcrgenhuS ist der Sieg durch die Stimme ciucö einzigen Urwählers für die Linke entschieden worden, und eS besteht thatsächlich in dem Wahlkreise eine Urwählermajorität von 500 Stimmen für die Rechte, die allerdings in Folge der örtlichen Vertheilung der Wählerschaft eine'höchst knappe Wahlmänncrmehrheit für die Linke ergeben hat. Ebenso verdankt die Linke in Finnmarken ihren Sieg einer WabliiiannSstimmc. Auch die Stadt Hamar bat sie erobert; eS heißt jedoch, daß sie diesem Sieg „Mhhrmänd" verdanke, — „Sumpslcuten", d. h. Leuten, die in der Eile zu Besitzern irgend eines Stückes werthloscn Landes gemacht wurden, nm dadurch die Wahlberechtigung zu erlangen. Sei dem, wie ihm wolle, so bleibt so viel sicher, daß auch eine verstärkte Mehrheit der Linken im Storthing an der That- sache nichts ändern kann, daß in der Wählerschaft Norwegens die beiden großen politischen Richtungen deS Landes etwa gleichmäßig vertreten sind. Dies müßte jede Partei vor extremer Parteipolitik bewahren. Nur die Verständigung könnte den tobten Punct der norwegischen Politik überwinden; hoffentlich hilft des Königs ernstliche Mahnung hierzu. In der letzten Zeit wurde in einem Theile der fran zösischen Presse die Forderung nach Veröffentlichung des franco-russischen Allianzvortrngos lebhaft diScutirt. Einer der eifrigsten Verfechter dieserForderung war Herr Lanessan, welcher vorgab, daß eine derartige Veröffentlichung das Interesse Frankreichs erheische, und zweifellos wird bei dem bevorstehenden Wicderzusammentritte des Parlaments von radicaler Seite diese Frage, natürlich zu dem Zwecke, um der Negierung Verlegenheiten zu bereiten, wieder aufgeworfen werden. Es dürfte daher angezeigt fein, der Sache etwas näher zu treten. Vor Allem muß constatirt werden, daß die Verfassung Frankreichs den Radikalen keine Handhabe zur Begründung ihrer Forderung bietet, denn diese bestimmt ausdrücklich, daß „der Präsident der Republik die Verträge mit auswärtigen Mächten vereinbart und ratificirt und dieselben den Kammern zur Kenutniß bringt, falls das Interesse und die Sicherheit des Staates es gestatten." Daraus folgt, daß die Entscheidung über das Zutreffen dieser Bedingung, an welche die Bekanntmachung von Vcr trägen mit auswärtigen Mächten ausdrücklich geknüpsr ist, nach dem Wortlaute der Verfassung ausschließlich dem Präsidenten der Republik zustehe. Es muß demnach die erwähnte Forderung der Radicalen so lange hinfällig bleiben, als der Präsident eS nicht für angezeigt findet, in den Inhalt der franco-russischen Allianz einen weiteren Kreis einzuwcihen. Bei der gegenwärtigen internationalen Situation ist jedoch kein zureichender Grund für einen derartigen Schritt des Präsidenten der Republik erfindlich. Die Beziehungen Frankreichs sind in diesem Augenblicke zu allen Mächten friedliche, und es könnte demnach der Sache des Friedens durch die Veröffentlichung des mehr genannten Allianzvertrages, welcher immer sein Inhalt sein möge, keinerlei Dienst geleistet werden. Ganz anders lagen die Dinge, als sich die deutsche und die österreichisch ungarische Negierung (am 3. Februar 1888) entschlossen, den zwischen ihnen am 7. October 1879 abgeschlossenen Bündniß- vertrag zu publiciren. Damals glaubten sich die beiden Vertragsmächte durch diese Veröffentlichung gegen eine von außen drohende Gefahr — bekanntlich war das Verhältniß zu Rußland um diese Zeit ein sehr gespanntes — zu schützen, dienten somit durch die Publilation des zwischen ihnen bestehenden Allianzvertrages der Erhaltung des Friedens. Wenn sich somit die französischen Radicalen bei ihrer gegen wärtigen Forderung von der Erinnerung an die Veröffent lichung der deutsch-österreichischen Allianz leiten lassen, so gehen sie irre, denn eS besteht zwischen den beiden Fällen keinerlei Analogie. Deutsches Reich. * Leipzig, 28. September. Herr Professor vr. Bieder mann, dem an seinem 85. Geburtstage aus allen Theilen des Reiches von den hervorragendsten Vertretern der natio nalen und liberalen Bestrebungen Grüße und Glückwünsche zugegangen waren, ist nachträglich durch das folgende Tele gramm aufs Höchste geehrt und erfreut worden: Mainau, L7./9. Ich entnehme den Zeitungen, daß Sie in voller Rüstigkeit den 85. Geburtstag begehen durften. Gestatten Sie Mir den Ausdruck herzlicher Glückwünsche zum Eintritt in ein neues Lebensjahr, dem noch viele folgen mögen. Verehrend gedenke Ich Ihrer stets freudigen patriotischen Thätigkeit. Friedrich Großherzog von Baden. * Berlin, 27. Septbr. Die Hauptversammlung der deutsch socialen Reform Partei für die Provinz Brandenburg und Berlin wurde am Sonntag hier unter dem Vorsitz deS Herrn Christoffers abgchalten. Die „Tägl. R." berichtet über den Ver lauf Folgendes: „Der Austritt des Abg. Prof. Paul Förster aus der Reformpartei hat den Provinzialverband in so weit auch berührt, als diese Organisation damit ihren ersten Vorsitzenden verlor. Die Stellungnahme des Abg. Förster gegenüber der Fraction wurde allseitig gemißbilligt; es wäre seine Pflicht gewesen, hieß es, innerhalb des Partei- Verbandes den Hebel anzusetzen, sein Anschluß an den Germanischen VolkSbund des Herrn FeitiHetsn- Götzendienst. 19j Roman in zwei Theilen von Woldemar Urban. Nachdruck verboten. Denn Herr Delorme war die rechte Hand des Herrn de Melida und genoß sein unbegrenztes Vertrauen. Und da bei war dieser Herr so aalglatt, so gar nicht zu fassen, und es war Frau Courcelles unmöglich, auch nur eine schwache Seite an ihm zu entdecken. Sie hatte versucht und probirt, gehorcht und gefragt — ohne Erfolg. Herr Delorme war und blieb so steif und gemessen, so ernst und streng, so ab strakt wie seine Zahlen. Ja, fragte sich Frau Courcelles zuweilen, ist das denn nicht ein Mann? Ist er nicht wie die anderen Alle voller Wünsche und Begierden, voller Schwächen und Fehler? Ist er von Holz? . „Graf Victor war hier", flüsterte Frau Courcelles nach einer Pause wieder. „Ich weiß es; er war auch bei mir." „So? Nun, das hätte ich mir eigentlich denken können! Der arme Junge! Sie sollten ihn wirklich nicht so grau sam behandeln." Felicia lachte. „Das thue ich ja gar nicht. Noch heute hat er mir drei mal die Hand geküßt." , „Er meint es so gut." „Ich weiß." „Noch eben hat er mir erzählt, daß er glaube, den Ver stand zu verlieren. Ueberall sieht er Sie, gnädiges Fräulein, in jeder Fensternische, auf der Promenade, im Club, Nachts im Traume, überall umschweben Sie ihn, seine Phantasie weiß nichts, rein nichts mehr als Sie, sein Auge betrügt ihn allerorten, seine Hand zittert und sein Herz bebt, wenn er an Sie denkt — wahrhaftig, ich habe so etwas noch nicht erlebt. Eine gleich tolle Verliebtheit ist mir noch nicht vorgekommen." Fräulein Felicia sah träumerisch über ihr Buch hinweg zum Fenster hinaus. „Sagen Sie, Frau Courcelles," begann sie plötzlich, »waren Sie je in Deutschland?" „Nie, gnädiges Fräulein." „A — dann kennen Sie auch Schloß Heblingen nicht?" „Doch, Graf Victor hat mir eine Photographie des Schlosses gezeigt." „O die hat er mir auch gezeigt." „Es ist ein altes schönes Schloß, ein wahrer Adelssitz, wie ja auch die Familie Derer zu Kreuz eine der vor nehmsten, der feudalsten in Deutschland ist." „Kennen Sie seine Mutter?" „Ja, aber auch nur nach der Photographie." „Sie soll eine sehr stolze Dame sein." „Mein Gott, so stolz wie sie eben ihrem Range nach sein muß." „Nun, wir werden Sie ja nächstens sehen." „Wie?" „Ei, ich meine, wenn wir nach Deutschland abreisen, was doch wohl in der nächsten Woche geschieht." „Ist schon ein Termin festgesetzt?" fragte Frau Cour celles rasch und begierig. „Noch nicht, das richtet sich eben nach Papas Zustand." „Nun, wenn der Himmel meine Gebete erhört, so ist er sehr bald hergestellt," meinte Frau Courcelles mit gerührtem Äugenaufschlag. „Wie gut Sie sind, Frau Courcelles", sagte das junge Mädchen leise und andächtig. Dann nach einer Pause fragte sie wieder: „Haben Sie den Maler Hartwig nicht in letzter Zeit gesehen?" „Nein, meine Gnädige." „Was mag er nur treiben?" „Mein Gott," antwortete Frau Courcelles obenhin, „was treiben denn solche Leute? Ihr Papa hat meines Erachtens nicht ganz richtig gehandelt, ihm eine so große Summe in die Hand zu geben. Das steigt dieser Sorte Menschen in den Kopf, sie werden dann übermllthig, ein- gebildet, leichtsinnig und faul, machen dumme Streiche, verprassen das Geld und werden erst wieder einigermaßen genießbar, wenn das Geld alle ist und sie erst wieder Jemanden suchen müssen, der ihnen aus der Klemme hilft. Das ist so die gewöhnliche Künstlerlaufbahn." „Er hat aber seine Karte unten abgegeben; ich habe sie unter anderen herausgesucht — da ist sie." „Pah — das ist wohl seine Pflicht; Ihr Vater ist ja doch sein Retter." „Aber weshalb ist er denn nicht heraufgekommen? Er hätte uns doch auch einen Besuch machen können, wie so viel andere Leute." Weiter fehlte nichts! dachte Frau Courcelles. Sie wußte, daß Herr Hartwig auf der Treppe zurückgewiesen worden war und daß dies ihre eigene, erste Heldenthat im Hause des Herrn de Melida gewesen. „Daran sehen Sie eben, meine Gnädige", entgegnete sie dem jungen Mädchen, „wie wenig Lebensart diese Leute haben. Was soll er denn auch hier? Er paßt ja doch nicht her und es ist daher wohl am besten, er bleibt, wo er ist." XV. Es waren vier Tage seit dem Unfall des Herrn de Melida vergangen; aber diese kurze Zeit hatte genügt, an dem Patienten schreckliche Veränderungen hervorzubringen. Machten schon die weißen Bandagen, die man breit und dick um den Kopf geschlungen hatte, einen besorgnißerregenden Eindruck, so wurde dieser durch das fahle, fast grünliche Gesicht, durch die todesmatten Augen, deren Weiß bereits ins Gelbliche hinüberzuspielcn begann, durch die apathischen Gesichtszüge, durch die Bewegungslosigkeit, mit der die fette Gestalt auf dem Bette lag, die außerdem bei dem ge ringsten Diätfehler die schwersten Complicationen herbei führen konnte, geradezu zu einem gespenstigen. Wer den Mann so in seiner Hilflosigkeit liegen sah, der mochte wirklich auf den Gedanken kommen, es handle sich hier um einen aufgegebenen Kranken. Und doch war Herr de Melida nicht gefährlich krank, doch waren seine Verletzungen lediglich nur äußere, die bei richtiger Behandlung in einer absehbaren Zeit heilen mußten! Die starken Morphium- dosen waren es eben, die man dem Kranken zur Aufhebung seiner Schmerzen gegeben hatte und die auf seine schwer fällige Constitution einen lähmenden, fast bleiernen Einfluß gehabt, und die Don Gracias apathisch, faltig im Gesicht, in einer andauernden Bewußtlosigkeit erhielten. Es war in den Abendstunden und Herr de Melida lag auf seinem Bett in einer Art Halbschlaf, in einem dämmern- den, trüben Zustand, in dem er wohl fühlte und sah, was um ihn vorging, der ihn aber zu apathisch, zu matt und un lustig machte, irgend welchen Antheil daran zu nehmen. Mit halb offenen Augen bemerkte er, wie Herr Delorme bei ihm eintrat, wie er leise näher kam und wie er ihn auf merksam und fast erschrocken eine Weile beobachtete. Sah er denn wirklich so auffallend ungünstig aus? Herr de Melida hatte freilich nicht die Kraft, darüber weiter nach zudenken, auch war das ihm Alles sehr glcichgiltig. Herr Delorme mochte zunächst der Meinung sein, daß sein Gebieter schlafe, und betrachtete ihn daher ziemlich lange und ziemlich aufmerksam. Erst als er näher trat, bemerkte er die offenen Augen. „Excellenz!" sprach er ihn an. „Sie sind es, mein lieber Delorme?" fragte Herr de Melida schwach. „Zu dienen, Excellenz." „Was giebt's? Geben Sie mir Ihre Geschichten her; ich will unterschreiben und dann lassen Sie mich in Ruhe." „Es handelt sich diesmal nicht um Geschäftsangelegen heiten, Excellenz, sondern um viel Wichtigeres, und ich möchte Sie im eigenen Interesse ersuchen, mir mit so viel Aufmerksamkeit wie möglich zuzuhören." „Ach, lieber Gott, was haben Sie denn schon wieder?" „Excellenz, ich komme soeben von Nizza." „Nun gut, von Nizza —was geht das aber mich an?" „Excellenz, Sie haben mir oft Beweise Ihres un begrenzten Vertrauens gegeben, wie es eigentlich nur ein Mensch genießen dürfte, der über alle Verirrungen und Versuchungen erhaben ist " „Machen Sie nicht so viel Redensarten, mein lieber Delorme. Wir kennen uns doch, sollte ich meinen — nicht? Muß ich Sie erst an die Salzsteppen von Tukuman, an Ihre Mutter und an Ihr Schwesterchen erinnern? Also lassen Sie die Redensarten, zwischen uns haben Sie keinen Sinn. Leute, die sich gegenseitig belügen und betrügen wollen, die mögen solche Gemeinplätze gebrauchen. Sie aber haben das nicht nöthig, wenigstens bei mir nicht. Also kurz und bündig, was giebt's?" „Excellenz, Ihr Zustand macht mir Sorge. Tag täglich versichern mir die Aerzte, die Sie hier haben, daß keine Gefahr vorhanden und Ihre Heilung sicher in einer absehbaren Zeit erfolgen müsse, und doch sehe ich tag täglich, wie Sie elender, kraftloser und apathischer werden.
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