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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.10.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-10-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971002029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897100202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897100202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-10
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s<-s 8L8 88kS88§. .8888 88S ZI I > » 3 2 r. o » 0 o o o 0 s >0 pl«p »O» VL». Abend-Ausgabe Filiale»: Dtt» Klemm'» Sortim. (Alfred Hahn), Universität-straße 3 (Paoliniun), Lo»»i» Lösche, Kolhariuenstr. 14, -art. und König-Platz 7. Die Morgen-Au-gabe erscheint um '/,7 Uhr, die Adend-Au-gab« Wochentag» um b Uhr. Re-actio» »n- Erve-Mo»: Aohan«e»»affe 8. Die Expedition ist Wochentag» uounterbrochen . »eöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. lttMgcrTllgMalt Anzeiger. ÄMtsvlatt des Hömgttchen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Rothes und Rolizei-Amtes der Ltadt Leipzig. Vezug-.Prei- Al tz« Hanptexpedttioa oder den t« Stadt» bezirk uud den Vororten errichteten Aus- oahestellen abgeholt: vierteljährlich^l4.S0, bet'zweimaliger täglicher Zustellung in» hau» ^l Ü.K0. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteliährlich ^l . Dtrrcrr tägliche Kreuzbandsenduag in» Au-laud: monatlich 7.V0. Sonnabend den 2. Octobcr 1897. Anzeigen-Preis die -gespaltene Petitzeile 20 Pf^ Neclameu unter dem Redaction-strich läge» spalten) vor den Familteanachrichte» (Sgejpalten) 40^. Gröbere Schriften laut unserem Preis- verzrichaiß. Tabellarischer vud Zifsernsas nach höherem Tarif. Extr«-Beilagen (gefalzt), nur mit bei Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderun^ SO.—, mit Postbeförderung ^l 70.—. Anvahmeschl«- für Anzeigen: Ab end «Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Biorgeu«Ausgabe: Nachmittag» »Uhr. Sri den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen find stets an die Expedition zu richten. Druck uud Verlag von S. Polz in Leipzig 91. Jahrgang: Politische Tagesschau. * Leipzig, 2. October. Da» „Wolff'sche Telegraphen-Bureau" verbreitet folgende Depesche: Karlsruhe, 1. October. Nach dem Hofbericht der „Karls ruher Ztg." hat S. M. der Kaiser an die Großherzogin an« läßlich deS Geburtstages der Kaiserin Augusta ein Tele« gramm gerichtet, in welchem eS heißt, daß an diesem unver geßlichen Tage sein« Gedanken besonders bei der geliebten Tochter ihrer großen Mutter verweilen. „In unwandel« barer Treue und Dankbarkeit ruht das Bild Der« jenigen in Meinem Herzen, zu der die Nation in Bewnn« derung, Dankbarkeit und Liebe als zu einem Vorbilde für alle Zeit aufblicken wird. Ihr wird die Geschichte das Denkmal setzen, das Niemand zu zerstören vermag. Ich aber werde mit Dir den heutigen Tag immerdar als einen Segenstag Gottes betrachten." Wir vermuthen, daß der Hofbericht der „KarlSr. Ztg." die ersten der zwischen Anführungszeichen gestellten Wort- des Kaiser» falsch wiedergegeben habe. Denn eS ist doch kaum anzunehmen, daß der Kaiser tclegraphirt habe, das Bild der Kaiserin Augusta ruhe „in unwandelbarer Treue und Dank barkeit" in seinem Herzen. Wenn ihm aber doch ein solcher Flüchtigkeitsfehler in der Eile untergelaufen sein sollte, so hätte der Verfasser deS Karlsruher Hofberichts, wenn er sich nicht getraut haben sollte, diesen Fehler zu corrigiren, den Wort laut unterdrücken und lediglich dem Sinne nach berichten müsse», welcher zweifellos der ist, der Kaiser trage in unwandelbarer Treue und Dankbarkeit das Bild der Kaiserin Augusta im Herzen. Jedenfalls würde eine derartige sinngemäße Wiedergabe der kaiserlichen Worte weit mehr monarchischen Sinn verrathen haben, als die AuSposaunung eines Flüchtigkeits fehlers verräth. Der Großherzog von Baden ist sicherlich mit dieser Art von Berichterstattung nicht einverstanden. Seinem Wunsche entspricht es auch sicherlich nicht, daß der letzte Passus des kaiserlichen Telegramms wörtlich mitgetheilt wird. Er kennt das Wirken der Kaiserin Augusta viel zu genau, um nicht zu wissen, wie das Urtbeil der Geschichte über die Gemahlin Kaiser Wilhelm'S I. lauten wird und muß, und überdies kann er nicht im Zweifel darüber sein, daß dieser Passus deS am 30. September verfaßten Telegramms sich direct gegen den Fürsten Bismarck richtet, der sich kürzlich nach einem vielbesprochenen Berichte der „Zukunft" über die Kaiserin Augusta folgendermaßen ausgesprochen hat: „Die hohe Frau hat an der Abnutzung meiner Nerven sehr stark mitgearbeitet. Sie war selbst eine nervöse, unstete und unruhige Natur, trieb gern Politik und war gleich Feuer und Flamme, wenn man auf ihre Pläne nicht einging, eingehen konnte. Unsere Frictionen begannen früh. Als der Prinz von Preußen 48 nach England gehen und ich ihn auf suchen wollte, um ihm dringend zu rathen, er solle in Potsdam bleibe», die ganze Armee und ein großer Theil der Landbevölkerung sei für ihn und seine Reise würde schlecht wirken, wollte sie mich nicht zu ihm lassen. Sie war aufgeregt, schlug sich, wie immer in solcher Stimmung, mit der flachen Hand ausS Knie und erklärte mir, sie müsse vor allen Dingen für die Zukunft ihres Sohnes sorgen. Später erfuhr ich von einem merk würdigen Plan, der iu ihrem PalaiS ausgekocht worden war. Vincke sprach mich im Landtag an und sagte, er wolle den Antrag stellen, der Prinzessin von Preußen die Regentschaft zu über tragen; wie ich darüber dächte. Ich fragte zunächst, warum denn der Prinz nicht Regent werden solle. Ter Prinz, meinte Vincke, sei im Lande unmöglich geworden. Schon, sagte ich, wenn Sie Ihren Antrag stelle», werde ich beantragen, Sie als Hochvcr- räther verhaften zu lassen. Der Antrag unterblieb, weil er ohne die Unterstützung der äußersten Rechten aussichtslos war. Meine Beziehungen zu der Prinzessin wurden dadurch nicht besser und sie konnte, auch als sie Königin und Kaiserin geworden war, ihren eigen- thümlichen Groll gegen mich nie ganz verbergen. Ihre Neigung für alles Französische und Katholische wirkte dabei mit, an ihrem Hofe entstand im Lause der Zeit eine Camarilla, die nicht immer unbedenkliche Mittel anwandte, um ihr Ziel zu erreichen, und ich Hütte Vieles nicht durchsetzen könne», wenn der alte Herr, der unter diesen Dingen übrigens nicht weniger litt als ich, in der Stunde der Entscheidung nicht doch schließlich bei der Stange ge blieben wäre. Diese Kümpfe kosteten aber Nervenkraft, — besonders, als sie in der Conflictzeit den König zur Abdankung überreden wollte und ich ihn energisch beim PortepLe fassen mußte. Ich kann wohl sagen, daß dieser langjährige Damenkrieg meine Gesundheit mehr angegriffen hat, als alle offenen Gefechte im Parlamente und im diplomatischen Dienste." Der Karlsruher Hosberichterstatter hat durch seine Mit theilung über den Wortlaut der kaiserlichen Antwort auf diese Auslassung BiSmarck's den Beweis erbracht, daß die beim Stapellauf des Panzerkreuzers „Ersatz Leipzig" dem Altreichskanzler erwiesene Ehrung nur eine ganz flüchtige Episode bedeutet. Der morgen in Hamburg zusammentretende social- »cmokratische Parteitag regt abermals die Frage an, ob die Berathungsgegenslände wirklich so wichtig und dringlich für die Partei waren, nm einen so kostspieligen Apparat da für in Bewegung zu setzen. Verneinen mußte man diese Frage nach dem Berichte deS ParteivorstandcS, verneinen nach Veröffentlichung der Anträge, die im Centralorgan als Be lege für die statutenmäßige Mitwirkung eifriger Anhänger im Lande veröffentlicht wurden. Beide waren un Grunde interessant nur in Rücksicht auf die Dinge, an denen sie ge drückt vorüb ergingen, vor Allem an der Landagitation, die vor wenigen Jahren noch als „Lebensfrage" so eifrig behandelt wurde. Sodann aber enthielten beide Veröffentlichungen das stumme Eingeständniß, daß selbst diese Partei, der doch der Agitationsstoff nimmer ausgehen dürfte, weil sie alle Ein richtungen und Folgeerscheinungen des Gegenwartsstaates sich dienstbar machen kann, nicht recht mehr weiß, wie sie ihre Kessel Heizen soll. Und die Vorerörterungen, die, wie man laS, aus Anlaß der bevorstehenden Tagung in den einzelnen Organisationen und Wählerversammlungen stattsanden, haben diesen Eindruck lediglich verstärkt. Ja noch mehr, sie ließen sogar eine steigende Verstimmung darüber erkennen, daß die fortgesetzte Negation der programmfesten Führer, ihr beständiges Drängen auf den Kampf um die Macht und die damit verbundene zwecklose Anfeindung der bestehen den Staats- und Gesellschaftsordnung lediglich den Be mühungen um Besserung der wirthschastlichen Lage der Arbeiterschaft auf dem Boden der Staatsordnung hinderlich sind. Man kann diese Stimmung um so mehr begreifen, je näher das Jahr herangerückt ist, für das namhafte Führer in der Maienblüthe der Hoffnungen den Anbruch der Zu- kunstSordnung vorauSgesagt hatten. Es hieße indeß der socialdemokratischen Führung Unrecht thun, wenn man bei ihr allein die Ursachen dieses Rückganges der social- revolutionairen Bewegung suchen wollte. Gewiß hat zu diesem Rückgänge der Umstand nicht unwesentlich beigetragen, daß es gerade den bedeutendsten socialistischen Wortführern gelungen ist, sich zu einer Stellung und Lebenshaltung herauf zuarbeiten, die sich durchaus nicht von der des „Bourgeois" unterscheidet, Len man mit Hilfe des Zukunftsstaates deposseoircn will. Aber trotz dieses erfolgreichen Strebens nach einträglichen Stellungen haben die Führer in der „Revolutionirung der Kopfe" derer, „welche die Bajonette tragen", in der letzten Zeit noch so viel Eifer bekundet, daß ihr guter Wille, das alte Geschäft „mit Dampf" weiter zu be treiben, nicht in Abrede gestellt werden kann. Der alte Wille hat jedoch nicht mehr den allen Erfolg; denn die Zeiten sind andere geworden und die Verhältnisse haben sich geändert, welche bisher das Wasser ausschließlich auf socialdcmokratische Mühlen leiteten. Zunächst darin, daß eine auf Massen wirkung berechnende „populaire", übertreibende, grobkörnige Agitation nicht mehr socialdemokratisches Monopol ist. Diese wird jetzt in einer Anzahl von Organen des bürgerlichen und namentlich des wirthschastlichen Radikalismus genau mit derselben Fertigkeit und Scrupellosigkeit betrieben. Zn dieser Concurrenz haben sich dann auch noch politische Mißerfolge gesellt, zu denen wir die letzten schweren Mandatverluste bei unS in Sachsen gar nicht einmal rechnen wollen, da die allen Mandate unter verändertenBerhältnissen zu vertheidigen waren. Auch die letzten ReichtagSnachwahlen haben unter dem „Zeichen deS Krebses" gestanden. Alles in Allem genommen: die Arbeiter selbst bekommen es offenbar satt, die alte, öde „Schaltenjagd" auf unerfüllbare Principien fortzusetzen. Sie sehen mit jedem Jahre, das ihrem Alter zuzelegt wird, mehr und mehr ein, daß sie am klügsten handeln und für die eigne Zukunft am besten sorgen, wenn sie nach dem Beispiele wohl- situirter Führer auf Hebung ihrer wirthschastlichen Lage hin arbeiten, die sich nur in Versöhnung mit der alten Ordnung der Dinge für die nächsten Menschenalter erreichen läßt. Darin liegt eS begründet, daß, so lange die alte Führung starr mit dem Finger auf das Erfurter Programm weist, von dem noch kein frierendes „Proletaricrkind" bisher warm geworden, das ^niereffe auS der Politik sich mehr und mehr zur Gewerkschaftsbewegung hinüberflüchten muß, und aus dieser hoffentlich auf den Weg, der allmählich zur Versöhnung mit der bürgerlichen und monarchischen Staatsordnung führt; daß vor Allem die Schaar der „Mitläufer" wie Flugsand zerrinnt und damit das Hauptagitationsmittel sich ver flüchtigt: das Bild deS Massenaefolges mit seiner faScinirenden Wirkung auf die übrige Masse. Solche Maffenerfolge werden sich auch nicht einstellen, wenn wirklich in Hamburg die Betheiligung der Genoffen an den preußischen Land tagswahlen beschlossen werden sollte. Socialdemokratische Mandate für das preußische Abgeordnetenhaus sind so gut wie ausgefchlossen und so würde der kostspielige Apparat, der in Bewegung gesetzt werden müßte, der Masse der „Genoffen" nur noch mehr zum Bewußtsein bringen, daß trotz allen Geklappers kein Mehl aus der socialistischen Mühle kommt. Das wird auch der Eindruck sein, den jeder unbefangene Beobachter von dem Hamburger Parteitage erhält. Durch künstlich verschärfte Debatten wird man die Theilnehmer über diesen Eindruck hinwegzutäuschen suchen, aber sie werden, wenn sie heimgekehrt sind und das Resultat der Berathungen überdenken, sich nicht darüber täuschen können, daß alles Debattiren nicht mehr vorwärts, sondern rückwärts bringt. Der Bocksprung, den die griechische Kammer noch vor Annahme des VorsriedenSvertrageS gemacht und mit dem sie das Cabinet Ralli auf den Sand gesetzt hat, wird das müh- fam anfgerichtete Friedenswerk der Mächte nicht zu er- schultern vermögen. Selbst wenn die Kammer mit ihrem Mißtrauensvotum gegen die Regierung hat auSdrückeu wollen, daß sie die Annahme der Friedensbedingungen perhorrescire und lieber den Krieg aufs Neue ent brennen sehe, so schreckt das Niemanden. Eine Wieder aufnahme der Feindseligkeiten wäre Wahnsinn. Noch ehe ein griechisches Regiment zusammengetrommelt wäre, hätten die Türken ihren Einzug in Athen gehalten. Aber auch wenn die Mächte dies verhindern zn sollen glaubten, würde Vas Erscheinen einiger ihrer Kriegsschiffe im Piräus die Annahme deS Friedens einfach erzwingen. Allein wir halten eS nach den übereinstimmenden Meldungen der letzten Zeit nicht für wahrscheinlich, daß die Kammer, falls sie zu einer so obstinaten Politik sich entschließen sollte, das Land hinter sich haben würde. Dies fehnt sich ehrlich nach Frieden und erwartet von der Finanzcontrole nur Gutes. Wie es scheint, hat das Votum der Kammer sich aber gar nicht gegen die Annahme deS Friedensvertrags, sondern gegen den Ministerpräsidenten Ralli gerichtet, der zwar das Verdienst hat, in kritischer Zeit das Ruder in die Hand genommen und die hochgehende Erregung der öffentlichen Meinung in Griechen land allmählich beschwichtigt zu haben, in seiner gestrigen Kammerrede aber eine höchst unglückliche Rolle spielte, indem er der Kammer znmuthete, dem Cabinet das Vertrauen zu votiren auf Grund der Erklärung, die Regierung könne der Kammer die Annahme deS Friedensvertrages nicht empfehlen, sei aber doch entschlossen, den Mächten sich zu fügen, einer Erklärung also, deren beide Hälften mit einander in schreiendstem Widerspruch stehen. Ralli ließ die Kammer völlig ohne Direktive, indem er ihr eine schwankende Regierung zeigte; wen» er trotzdem ein Vertrauens votum verlangte, gab er allzudeutlich zu erkennen, daß eS ihm nur darauf ankam, am Ruder zu. bleiben. Eine so charakterlose Haltung konnte die stutzig gewordene Kammer nur mit einem Mißtrauensvotum beantworten. Wie sehr ein erheblicher Theil derselben der persönlichen Politik und des Parteizwistes müde ist, geht daraus hervor, daß, nachdem die meisten thessalischen Abgeordneten aber auch solche anderer Districte erklärt hatten, sie seien des Parteihaders in diesem kritischen Augenblick müde, 40 Abgeordnete sich der Abstimmung enthielten. ES ist also keineswegs ausgeschlossen, daß dieselbe Kammer einem anderen, die Annabme des Friedcnsvertrags empfehlenden Ministerium das gewäbrt, was sie Ralli verweigert hat. Ueber den Stand der Krise liegt uns heute folgende Nachricht vor: * Athen, l. October. Der König ließ Delyannis durch seinen Adjutanten den Wunsch ausdrücken, daß Delyannis jedes Ministerium, das der König bilden werde, unterstütze. Delyannis erwiderte, trotz seines Wunsches, den König zufrieden zu stellen, könne er ein derartiges Versprechen nicht abgeben. Hierauf ersuchte der KönigZaimis, die Cabinctsbildung zu übernehmen. Dieser zögerte, den Auftrag anzunehmen, unter dem Hinweise, Laß Delyannis der Führer der Mehrheit sei. Der König richtete sodann an Zaimis Las dringende Ersuchen, den Auftrag zu übernehmen. Zaimis hat daraufhin endgiltig die Ausgabe der Cabinetsbildung über- nommen. Delyannis erhebt starken Widerspruch gegen die Zu sammensetzung. Wahrscheinlich wird Sculudis das Portefeuille des Aeußcren behalten. Delyannis meldete dem König, daß er nur ein unter seiner Präsidentschaft gebildetes Ministerium unter- stützen würde. Indeß sind die Verluste seiner Partei durch eine in derselben cingctretene Spaltung so zahlreich, daß diese Drohung hinfällig wird. FeiNlletsn. Götzendienst. L3j Roman in zwei Theilen von Woldemar Urban. Nachdruck verboten. „Den Teufel auch, glaubst Du, man braucht den Tag über kein Geld? Feierabend? — Heut ist Sonnabend und da mußt Du Geld bringen". „Ja doch, aber die Miethe für diesen Monat ist noch nicht bezahlt". „Ach was, Miethe! Diese Blutsauger von Hauswirthen haben genug Geld; erst kommt Essen und Trinken — ver standen?" „Sie werden uns aber auf die Straßen setzen, Vater", antwortete Lieschen nun wirklich mit Thronen im Auge. „Sie sollen's nur wagen! Sie sollen's nur riskiren! Da reden wir doch auch noch ein Wörtchen drein, da " Er ballte die Faust und holte aus, wie um einen ein gebildeten Feind niederzuschlagen; dabei schimpfte er in der gemeinsten Weise. So erreichten sie endlich Beide die Dach stube, die ihnen als Wohnung diente. Dieselbe machte wohl einen ärmlichen, aber doch nicht gerade armseligen oder un sauberen Eindruck, wie man es nach dem Familienvater hätte erwarten sollen. Sie bestand aus einer größeren Wohnstube mit zwei Fenstern, zwei kleinen einfenstrigen Schlafkammern und einer Küche. Die Einrichtung war sehr bescheiden; aber doch ordentlich, und wenn sogar hier und da noch ein kleiner Zierat, wie zum Beispiel die Stutz uhr und die sauber eingerahmten Bilder des alten Kaisers, des Fürsten Bismarck und des Grafen Moltke dem Versatz amte entgangen war, so lag das wohl weniger an dem guten Willen und der besseren Einsicht des Herrn Leopold Hartwig, sondern mehr an dem Umstand, daß er auf dem Bersatzamte zu gut bekannt war, als daß man ihm diese Gegenstände beliehen hätte. In einer kleinen Stadt — die Residenz war doch immer nur eink solche — konnte man die Verhältnisse schon genügend übergehen, als daß solche „Diebstähle an sich und der eigenen FamilH" hätten vorkommen können. . - Als die Beiden in die Wohnstube eintraten, fanden sie daselbst Frau Hartwig und drei kleinere Kinder, Mädchen im Alter von vier bis acht Jahren. Frau Hartwig, die infolge von Ueberanstrengung der Augen beim Sticken und Nähen, das sie bis vor Kurzem noch halbe Nächte betrieben, nur um damit wenigstens etwas zu verdienen — hochgradig augenleidend war — trug eine große dunkelblaue Brille. Augenblicklich war sie beschäftigt, das Mittagsmahl der Familie herzurichten. Vieler Umstände bedurfte es dazu allerdings nicht. Kartoffeln und Quark und ein Stück Brod sind bald beisammen. Auch sonst herrschte Mangel, wohin man auch blickte. Und Frau Hartwig war das keines wegs gewohnt. Sie stammte aus einer guten Familie; aber die Verwandten hatten sich von ihr zurückgezogen, zumeist, weil sie eben den Tischler Hartwig geheirathet hatte, der schon damals nicht der beste Staats- und Stadtbürger war. Das wurde dann, wie es gewöhnlich geschieht, mit der Zeit immer schlimmer, bis eben das Elend über die Familie hereinbrach, unter dem aber doch Frau Hartwig, weil sie es ungewohnt und unverdient traf, am meisten litt. „Was hast Du da für Packete, Josephine?" fragte sie nun ihre Tochter. „Muster, Mama". „Warst Du auswärts?" „Ja, in Heblingen bei Gräfin Kreuz". „Ah, warst Du auch beim Großvater?" „Ja, Mama". „Wie geht's bei ihm?" „Gut. Aber denke Dir, Mama, er fängt wieder an zu tischlern. Neue Hobel hat er sich gekauft und eine Fuhre Bretter dazu". „Was?" fuhr ihr Vater grob dazwischen und hob auf merksam werdend den Kopf. Lieschen wurde verlegen und roth bis hinter die Ohren. Jnstinctiv fühlte sie heraus, daß sie vielleicht nicht ganz klug gehandelt habe, vor ihrem Vater so frei davon zu sprechen. Schon der Großvater hatte sich ja gescheut, hieherzukommen und persönlich die Aenderung seiner Lage kundzugeben — allein des Vaters wegen. Und wenn dieser nun erfuhr, daß in Heblingen Geld vom Onkel Adolf angekommen, wahrhaftig, er würde im Stande sein, den alten Mann so lange zu beschwatzen und zu bedrohen, bis er es ihm geben oder doch einen Theil davon opfern würde — dem Götzen opfern würde, dem ihr Vater schon so Vieles, ach fast Alles hingeopfert hatte — dem unseligen Trünke. „Gekauft?" fragte nun der Vater wieder, der an ihrer Verlegenheit wohl merkte, das Etwas dahintersteckt. „Ge kauft? Du willst wohl sagen geborgt! Wem hat er denn schon wieder Etwas aufgeschwindeli?" „Ich weiß es nicht, Vater", antwortete das junge Mädchen ausweichend. „Weiß es nicht — weiß es nicht", äffte der Vater ihr nach, „Du willst blos nicht mit der Sprache heraus. Irgend Jemandem wird er wieder die fürchterlichsten Dinge vor gelogen haben, um sich Credit zu verschaffen, und auf wem bleibt schließlich der ganze Schwindel wieder sitzen? Auf mir, aus soinem Sohne. Ich soll dann wieder Alles in Ordnung bringen. Ich danke schön. Ich habe von dieser ganzen Wirthschaft genug. Ich will wissen, wie sich der Kram verhält! Also heraus damit — wo hat er die Bretter und die Hobel her? Wo hat er geborgt?" „Papa" — schrie Lieschen in der tödtlichsten Verlegen heit auf; denn sie wußte wohl, was sie zu erwarten hatte, wenn sie dem Vater nicht willfahrte. Die niedrigsten Schimpfworte — Schläge in solchen Fällen waren ihr nichts Neues. Es war empörend, wie roh und tyrannisch Hartwig im trunkenen Zustande seine Familie behandelte. „Laß das Gewinsel", schrie er die Tochter an und schlug dröhnend mit der Faust auf den Tisch, „ich will wissen, was wieder dahinter steckt. Ich will nicht jedes- und jedesmal für die Dummheiten Anderer aufkommen. Wie also steht's?" Davon war ja natürlich keine Rede, daß der arbeitslose, heruntergekommene und liederliche Sohn für seinen Vater hätte aufkommen müssen; aber dieser stützte sich auf eine solche Befürchtung, an die er selber gar nicht glaubte, damit er um so sicherer erführe, um was es sich eigentlich handle. „Der Großvater hat keine Schulden gemacht. Du brauchst Dich gar nicht zu ereifern. Er hat Alles im Voraus bezahlt." „Bezahlt? Unsinn! Woher sollte er das Geld dazu haben?" »— — Onkel Adolf hat es geschickt", antwortete Lieschen endlich zagend und zögernd. „Onkel Adolf? Das wäre gerade so Einer, der Geld schickt! Das mag ja nicht einmal der Teufel glauben. Woher hat er also das Geld? Er wird dumme Streiche gemacht haben und ich " „Ach, thu' doch nicht so, als ob Dir das so viel Sorgen mache", unterbrach ihn endlich seine Frau, „Du hast Dich doch Dein Lebtag nicht um Deinen Vater gekümmert oder doch höchstens nur, wenn Du etwas von ihm haben wolltest". „Halt's Maul!" schrie sie der Mann an. „Kümmern sich Deine Verwandten etwa um Dich, wenn's uns schlecht geht?» „Wer ist denn sonst daran Schuld, wenn nicht Du?" erwiderte weinerlich die halbblinde Frau. Der junge Hartwig nahm das Messer, das er gerade in der Hand hatte, fester und war eben im Begriffe, in seiner gewöhnlichen Rohheit über die armen Frauen herzufallen. Lieschen sah eine jener Scenen kommen, die der Schrecken ihrer Kindheit waren und deren Erinnerung sie noch im Traume peinigte. ) „Vater! Mutter!" schrie sie laut auf in ihrer Herzens- H angst. Bei Kartoffeln und Quark! Selbst dieses ärmliche Essen konnten sie nicht ohne Thränen des Kummers und der Sorge genießen! Sei es nun, daß der Aufschrei, der tiefe Herzenston seiner Tochter den Mann besänftigte oder sei es, daß er einer momentanen schlauen Ueberlegung Raum gab und meinte, in Ruhe und Güte auf dem schmutzigen Pfade weiterzukommen, den ihm seine verschlagene Art, sich Geld zu verschaffen, vorschrieb — genug, Hartwig legte das Messer auf den Tisch zurück und aß dann ruhig weiter. „Wer ist denn weiter Schuld wie sie?" fragte er nach einer Pause unschuldig und harmlos mit einem Seitenblick zu seiner Frau hinüber. „Weshalb muß sie ihr Maul in jeden Kram hängen?" Frau Hartwig seufzte tief auf und sagte lange Zeit nichts. „Mit Dir kann eben Niemand reden", antwortete sie endlich. Damit schien der Zwischenfall vorläufig beendet zu sein und der Rest der Mahlzeit verlief schweigend. Fragen wollte Hartwig offenbar seine Tochter nicht mehr, denn er hatte, wie es schien, seinen Plan schon fertig. Kaum hatte er seine Mahlzeit beendet, als er aufstand, die Mütze üb«
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