Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.10.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-10-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971008027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897100802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897100802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-10
- Tag1897-10-08
- Monat1897-10
- Jahr1897
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Die Morgen-NuSgabe erscheint um '/,7 Uhr die Nbeud-AuSgabe Wochentags um b Uhr. Ne-action und ErveLitio«: IohanneSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen «eöffuet von früh 8 bi- Abend» 7 Uhr. Filialen: Dtt» Klemm'» Lortim. (Alfred Hah«), UuiversitätSstraße 3 (Paulinum), L-ut» Lösche. Katharineuftr. 14, patt, und Köuigspla» 7. VezugS-PreiS I» der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk uud den Vororten errichteten AuS- oabestellen ab geholt: vierteljährlich^ 4.50, vei zweimaliger täglicher Zustellung in- Hau« -.50. Durch die Post bezogen für Deutschlaud und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direcre tägliche Kreuzbandiendung tu» Ausland: monatlich 7.50. Mend-Ausgabe. KipMer.TllgMM Anzeiger. Ämtsvlatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes nnd Nottzei-Nmtes der Ltadt Leipzig. 2^: ^cigett-PretO die 6 gespalten» Petitzeile SO Pf^ Nrclamea m»ter d«n RedactionSstrich (4 g— spalten) bO>«z. vor de« Familieunachrichte» (6 gespalten) 40^. Gröbere Schriften laut unserem Preis verzeichnis!. Tabellarischer und Zisfernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur. mit de» Morgen-Ausgabe, ohne Postbrsörderunz >ll 60.—, mit Postbeförderung 70.—. —»o—c»«— ^nnahmeschlust för Änzeigen: Abead-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Atorgrn-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eia« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expeditta» zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig 51t. Freitag den 8. October 1897. S1. Jahrgang, Politische Tagesschau. * Leipzig, 8. October. Nachdem der gegen die F l o t t e n v e r st ä r k u n g ar beitenden oppositionellen Presse der Versuch, mit der unbe gründeten Meldung von einer angeblich bevorstcbcnden Verdreifachung der Braustcuer Verwirrung und Erregung zu erzeugen, in Folge des bald darauf ergangenen Dementis mißlungen war, mußte irgend ein neuer Schlag nach der selben Richtung geführt werden, schon weil sich nichts so gut gegen erhöhte Ausgaben für die Flotte verwenden läßt, als daS Drohgespenst neuer Steuern. Es hätte uu Interesse der oppositionellen Presse gelegen, wenn sich die Regierung seit der durch den Reichstag im Jahre 1802 erfolgten Ablehnung der Brausteuervorlage mit Plänen wegen Erhöbung dieser Steuer befaßt hätte, und so fand sich denn auch bald in der „Köln. Volkszeitung" der Freund eines Brauereidirectors ein, der aus dessen Munde gehört haben wollte, eS sei im Sommer 1895 im preußischen Finanzministerium eine staffelförmige Brausteuer ausgearbeitet worden. Der Brauereidirector selbst hätte erzählt, daß er im Finanzministerium als „Sachverständiger" gehört worden sei. Um die ganze Erzählung noch glaub würdiger zu machen, wurde der Brauereivirector als „Nationalliberaler" charaklerisiirt und hinzugefügt, der Gewährsmann der „Köln. BolkS-Zcitung" hätte noch von anderer Seite erfahren, daß im Sommer 1897 die Brau steuer nochmals ausgearbeitet worden wäre, um einen Gesammtmehrertrag von 55, Millionen Mark herbcizufnbrcn. Wer danach noch daran zweifeln könnte, daß die Regierung nach den Neuwahlen mit einer neuen Braustcuervorlage bervortreten würde, der müßte wohl ein politisches Kind sein. Diesen neuen Ausstreuungen treten heute die „Gerl. Polit. Nachr." mit der folgenden, vom Telegraphen bereits auS- züglich mitgetheilten Erklärung entgegen: „An den ganzen Erzählungen der „Kölnischen Bo.lks- zeitung" ist kein wahres Wort. Es ist einfach erfunden, Laß im preussischen Finanzlninisterium iin Jahre 1895 ein Gesetz- cntwurf über die Einführung einer stasfelförmigeu Brausteuer aus- gearbeitet und Laß dieser Entwurf noch einmal im Sommer 1897 umgcarbeitet worden sei. Nun würde aber die Presse L la „Köln. Volkszeitung" und „Freisinnige Zeitung" sofort sagen, daß es dann in einem anderen Jahre der Fall gewesen oder daß eine andere Besteuerungsart ins Auge gefaßt worden sei. Deshalb betonen wir auf Grund von authentischen Informationen, daß überhaupt seit dem Jahre 1892 keinerlei Vor bereitungen für eine Reform oder Erhöhung der Brausteuer im preußischen Finanzministerium statt gesunden haben, daß auch keinerlei Erörterungen über eine etwaige Wiedervorlegung des früheren Gesetzentwurfs gepflogen worden sind. Ebenso wenig sind natürlich Sachverständige über eine stasselförmige Erhöhung der Brausteuer ver nommen worden. Daß die oppositionelle Presse nunmehr von ihrer auf Verwirrung und Erregung abzielcnden Thütigkeit ablassen werde, glauben wir nicht. Uebermorgen erscheint vielleicht in der „Kölnischen Volkszeitung" ein „konservativer" Mälzereidirector, der als „Sachverständiger" von irgend einer anderen behördlichen Stelle über eine neue Steuererhöhung vernommen ist. Aus dem vor angeführten Beispiele aber geht hervor, was von allen solchen Mit- »Heilungen der oppositionellen Presse zu halten ist." Daß diese Erklärung auf Veranlassung des FinanzministcrS Or. Miguel erfolgt ist, bezweifelt sicherlich wcdcr die „Köln. Golksztg.", noch Herr Eugen Richter, der alle für seine Zwecke'tauglichen Meldungen des ultramontanen Blattes mit der Miene tiefster Gläubigkeit in seinen Kreisen zu verbreiten pflegt. Aber er und sein Prophet werten die Zuverlässigkeit der' Erklärung anzwcifcln, weil sie in den ,,Berl. Pvlit. Nachr." erscheint, die nur hin und wieder zu osstcivsen Kundgebungen benutzt werden. Dns konnte^ auch Herr vr. v. Miquel wissen, dem ja doch der „Reichs- anzciger" offen steht. Benutzt er statt dieses Organs ein halbofficiöseS, so darf er sich nicht wundern, wenn die oppositionelle Presse von ihrer auf Verwirrung und Er regung abziclenden Thäligkeit nicht abläßt. Denn es gehört und wird immer zu den Gepflogenheiten dieser Presse ge hören, jede unzulängliche oder an falscher Stelle abgegebene Aenßernng eines Ministers für ihre Zwecke auszubeuten. Daß die Meldung der „Mil.-Polit. Corr.", dem Reichs tage werde auS der Initiative der verbündeten Regierungen heraus ein Vorschlag, der daö Verbot des Verkehrs der politischen Vereint unter einander anfhcbc, sogleich beim Beginn der Tagung unterbreitet werden, einer zuverlässigen Quelle entstamme, wird nicht nur die Oppo sition bezweifeln. Nachdem die preußische Negierung bei ter Vertheidignng ihrer unglückseligen Vereinsgesetznovelle erklärt hat, sie halte die einfache Aufhebung jenes Verbotes für bedenklich, ist kaum anzunchmen, daß sie jetzt uu Bundes- ratbe für die einfache Aufhebung eintrelen werde. Sollte sie aberwirklich zuderAnsicht sich bekehrt haben,welcherdieRegicrung des FürstenthumS Rcuß j. L. bereits praktische Folge gegeben hat, der Ansicht nämlich, daß die einfache Aufhebung des Ver botes eine den Gegnern der Socialdemokratie zu Gute kommende und daher der Umsturzpartei nachtheilige Maßregel sei, so würde cS eines auf die Aushebung dieses Verbotes zielenden Vorschlages der verbündeten Regierungen gar nicht bedürfen. Denn dem BundeSrathe liegt ein diese Aufhebung auösprcchendcr ReichstagSbeschluß vor. Diesem brauchte der BundeSrath einfach ; uz »stimm en. Die Meldung der „Mil.-Polit. Corr." ist also jedenfalls wenigstens incorrcct. Daß der socialdemokratische Parteitag den Antrag auf die Aufhebung der Maifeier ablehnen würde, war nach den Auslassungen der socialdemokratischen Presse vorauS- zusehen. Er ist aber auf dem Parteitage noch kläglicher ge scheitert, als man annehnien konnte, denn außer dem An tragsteller erklärte sich kein einziger „Genosse" unbedingt für den Antrag, der schließlich zurückgezogen wurde und nur dadurch der Ablehnung durch eine erdrückende Mehrheit entging. Die Kläglichkeit ist aber nicht auf der Seite des Antragstellers zu suchen, sondern bei der großen Mehrheit der in Hamburg versammelten Genossen, die eine so notorische Lüge, wie es die Fiction der ArbeitSruhe am l. Mai ist, fortsetzen will. Der Antragsteller Stolten halte mit Reckt bemerkt, daß die sogenannte Maifeier eine Halb heit sei und immer bleiben werde. Denn entweder müsse man den Feiertag erzwingen können, oder man müsse ihn fallen lassen. Er wies ganz mit Recht darauf hin, daß man von den Arbeitern nicht erwarten könne, daß sie um einer bloßen Demonstration willen ihre Stellung aufs Spiel setzten; er machte den vom socialdemokratischen Stand punkt aus ganz vernünftigen Vorschlag, statt der doch nur auf dem Papiere stehenden Arbeitsruhe am l. Mai eine allgemeine Geldsammlung zu veranstalten und dadurch dem „Bourgeois" zu imponiren. Stolten sand aber, wie bereits erwähnt, "Niemand, der unbedingt ans seine Seite trat. Es wird also auch in Zukunft dabei bleiben, daß die Social demokratie sich am l. Mai blamirt und arme Arbeiter, die sich vcrlcckcn lassen, entgegen dem Willen der Arbeitgeber den Tag zu feiern, um ihre Stellung kommen. Denn daS Bürgcrthum kann und darf sich eine derartige Heraus forderung ebenso wenig gefallen lassen, wie die Social demokratie sic sich gefallen lassen würde, und sieht sich leider genöthigt, den Verführten zu bestrafen, da es der Verführer nicht habhaft werden kann. Unter dem Titel .,Tüa I'renvlr ^rni)^ bespricht die neueste Nummer der englischen Fachschrift ,.Xrmz- unck >'avv Oarotto" die Formirung der vierten Bataillone der fran zösischen Regimenter an der Ostgrenze und kommt zu der Ueberzeugung, daß im Interesse der Wehrkraft Frank reichs dies besser an weniger exponirten Grenzen, z. B. an der s/.nischcn Grenze oder im Norden, geschehe. Neu- fvrm^iionen aus diesen vierten Bataillonen seien weniger werth als länger bestehende Regimenter und sollten deshalb nicht gegen den ersten Anprall des Feinde» verwendet werden. Ebenso warnt daö genannte Blatt die französische Armee vor noch größerer Reducirunz der Dienstzeit in der Front aus ökonomischen Rücksichten zu Gunsten einer größeren Truppenzahl. Wenn man auch vielleicht in Deutschland, trotz des Widerspruches erfahrener Generäle, mit zwei Jahren Dienstzeit auskommen könne, so sei der französische Volkscharakter doch ein anderer als der deutsche, und französische Lebhaftigkeit verlange mehr Zeit und an dauernde Gewöhnung zur Sicherung einer festen Disciplin. DaS englische Fachdlatt führt dann aus, daß England nicht ohne Mitgefühl für Frankreich sei und daß es durchaus nicht in Englands Interesse liege, eine weitere Ver minderung der Kampffähigkeit Frankreichs zu sehen. England und Frankreich hätten keinen Grund, um mit Eifersucht oder Furcht sich gegenseitig in der Entwickelung der Seemacht des ersteren und der Landmacht des anderen Staates zu überwachen. Mit Bedauern sähe Eng land, daß die abnehmende Bevölkerung von 40 Millionen in Frankreich aufängt, nicht mehr fähig zu sein, eS mit den zunehmenden 50 Mill. Deutschlands aufzunehmen. Man kann diesen Auslassungen nicht abstreiten, daß sie englisch-patriotiscbe Auf fassung in sehr offenherziger Weise wiedergeben. Seit den Zeiten der jungfräulichen Königin hat es für England kein besseres Ziel und keinen größeren Erfolg der StaalSklugbeitt gegeben, als wenn die Volker des ContinenteS sich tüchtig in den Haaren lagen, sich gegenseitig schwächten und keine Zeit und Freiheit hatten, englisches Thun und Treiben in der Welt zu beobachten. Dann ging ihre ProduclionSsähigkeit und ihr Handel herunter, England wurde oft Lieferant für Freund und Feind, sein Handel wuchs, und beim Friedens schluß der erschöpften Gegner war England meist der Hauptgewinner an Geld und Gut und oft sogar an Land. Ein zu Lande schwächer werbendes Frankreich, d. h. ein solches, daS nicht mehr die eigenen und dadurch auch die deutschen nationalen Kräfte nur für den nachbarlichen Kampf bereit erhält und dadurch beide bindet, kann England nichts nützen. Scheint Frankreich einmal etwas nachzulassen in seinem starren Blick auf die Vogesen und sich mehr der Colonisation zu widmen, so erscheinen alsbald, wie jetzt, englische Mahnungen. Zum Beispiel, als Frankreich 1891 seine Herrschaft auf Madagaskar befestigte, äußerte der „Standard" alsbald, daß England den Wunsch Frankreichs, seine Flagge auch in fernen Weltgegenden zu entfalten, als natürlich und legitim ansehen müsse, fügte aber hinzu: „Ob diese Erwerbungen auch für Frankreich nützlicb sind, ob sie Frankreich gegen seine wirklichen Feinde stärker machen, ist Frankreichs Sache zu benrtheilcn." Wie schon telegraphisch avisirt, briagt die „Post" über die verfahrenen Verhältnisse auf Kreta einen anscheinend inspirirten Artikel, in dem eö u. A. heißt: Tie Lage aus Kreta hat sich neuerdings in bedrohlicher Weise verschlimmert, und die Großmächte sehen sich ernstlich vor die Frage gestellt, wie sie der immer rücksichtsloser betriebenen Bergewalti- gung der mohamedanischen Minderheit durch die Auf ständischen Einhalt thun wollen. Daß sie dazu verpflichtet sind, nachdem sie durch feierliche Versprechungen die Einrichtung einer autonomen Verwaltung unter türkischer Oberhoheit übernommen haben, liegt auf der Hand. Durch die bisherigen Maß nahmen ist aber lediglich die Entwickelung eines Zustandes befördert worden, der nm kein Haar besser ist, als die frühere „türkische Mißwirthschast". Es läßt sich nicht länger ver- tnschen, daß die aus der Insel gelandeten europäischen Truppen nicht im Stande sind, die mnselmanlschc Bevölkerung gegen bru tale Räubereien und Mordthaten der sich christlich nennenden Kreter zu schützen. Mit solchen Mitteln hoffen die Aufständischen das eigentliche Ziel der unter griechischer Hilfe begonnenen Gewaltthätig- keiten auch jetzt noch ohne Griechenland zu erreichen, nämlich die vollständige Vertreibung der Mohamedaner aus Kreta. Diese Bestrebungen werden durch die bisherige schwächliche Haltung des europäischen Concerts gegenüber den Insurgenten geradezu begünstigt, uud die Pforte ist in ihrem guten Recht, wenn sie die leider actenmäßig feststehenden Greuel, die gegen ihrc Unterthanen in einem der Obhut Europas auvertrauten Gebietstheil des ottomanischen Reiches fortgesetzt verübt werden, zum Gegenstand diplomatischer Beschwerden macht. Für ehrliche Staats männer ergiebt sich hier ein peinliches Dilemma. Entweder muß man das unter dem Namur -er Autonomie verheißene bessere Regime mit möglichster Bejchlennignng aus der Phantasie iu die Wirklichkeit überführen, oder man biete nicht länger seine Mithilfe dazu, Las, die Türkei au der weiteren Ausübung ihrer doch als legitim zu betrachtenden Herrschaft ans Kreta durch Mächte gehindert wird, die nichts Besseres an die Stelle zu setzen wißen. Wie die Sachen stehen, dürfen die Großmächte kaum er warten, ihren Willen, der doch auf die Wahrnehmung der Interesse» der türkischen Bewohner Kretas gerichtet ist, ohne Anwendung von Gewalt durchsetzen zu können. Daß ihnen das Leben ihrer Landeskinder kür militairische Operationen gegen halbwildes Gesindel zu schade ist, wird ihnen Niemand verargen. Aber sie haben andere Streitkräfte zur Verfügung — die tapferen Truppen Edhem Paschas, die schon einmal das ohnmächtig drohende europäische Concert von dem Fluch der Lächerlichkeit errettet haben. In Lieser Ausführung ist die verzweifelte Lage aus Kreta und die Impotenz der europäischen Intervention drastisch, aber richtig geschildert, nur heißt es, den Bock zum Gärtner setzen, wenn man jetzt der Türkei die Pacisicirung in die Hand giebt, nachdem man die Autonomie der Insel fcierlichst proclamirt und sich für sie verbürgt hat. Haben die Türken erst einmal daS Heft auf Kreta in der Hand und dominiren sie militairisch, dann darf man sicher sein, daß der Sultan in die Einführung der Selbstverwaltung der Insel nicht mehr willigt, gegen die er sich jetzt schon sträubt. Man könnte ihn dann auch schwerlich darum verdenken. Die Niederwerfung der Auf- Feirilletsn. Götzendienst. 28j Roman in zwei Theilen von Waldemar Urban. Nachdruck verboten. Die Welt aber dachte anders darüber. Die Welt war gemein und hätte auch ihn für gemein ckngesehcn, wenn er daran gedacht. Und vor Allem — auch Felicia selbst dachte anders. Sie wollte nun einmal einen Grafen. „So versunken, earc> masstro?" hörte er plötzlich eine Stimme hinter sich, die ihn aus seinen traurigen Träumereien aufschreckte, „und wieder nichts gearbeitet? Ei, Ei! So tief sitzt es also noch?" Es war Fräulein Manon Courcelles, die Netteste der drei Schwestern, die ihm in letzter Zeit auf dem Cap öfter Gesellschaft geleistet und ver sucht hatte, ihn zu erheitern. „Ah, Fräulein Manon!" sagte er müde. „Ja, leider nur Manon. Ich weiß wohl, daß es Ihnen lieber wäre, wenn es eine Andere wäre, aber ich bin es nun einmal selbst." „Was wollen Sie damit sagen, Fräulein Manon?" „Ach, mein Gott, was werde ich wohl damit sagen wollen. Daß Sie verliebt sind, wie weiland Ritter Peri- gord, dem man sein Lieb erschlug." „Ick verstehe Sie wirklich nicht ganz, Fräulein Manon." „Du lieber Himmel, wozu wollen Sie noch mit mir Versteckeins spielen? Habe ich es nicht selbst gesehen, wie Sie naw dem Kirchhof gegangen sind und Blumen auf Camillas Grab gebracht haben?" „Ja, 'aber —" „Sie'trauern um meine Schwester mehr, wie ein Mann um seine Frau. Ist das recht? Camilla ist todt. Das sollten Sie doch endlich begreifen." „Camilla? Ja, mein Gott, das weiß ich wohl, aber —" „Nun,»dann also! Ueber Todte tröstet man sich, aber man darf i/ber ihnen nicht die Lebenden vergessen, und wenn Sie CamillLnoch so sehr geliebt hätten." Jetzt verband der Maler. Fräulein Manon war in dem Jrrthufll» befangen, seine Niedergeschlagenheit rühre daher, weil er Camilla geliebt und verloren habe. Wie sie darauf verfallen, konnte er freilich nicht wissen. Er war allerdings mehreremale an schönen Tagen auf den Friedhof hinausgegangen und hatte dabei einige Blumen auf dem Grabe des jungen, schönen und so plötzlich dahingestorbenen Mädchens zurückgelassen. Herr Hartwig hatte keine Ursache, den Jrrthum zu berichtigen und so ließ er sie dabei. „Uebrigens", fuhr Fräulein Manon fort, für die der Maler wohl selbst eine begehrenswerthe Partie gewesen wäre, auch wenn Camilla lebend geblieben wäre, „würde Ihre Liebe zu ihr unerwidert geblieben sein." „Wieso?" „Ei, weil sie über Kopf und Kragen in den jungen Grafen zu Kreuz verschossen war." Der Maler sprang hastig und erregt auf. „In den Grafen Victor zu Kreuz?" fragte er lebhaft. „Natürlich. Eigentlich war ja das auch ihr Tod. Zu fälligerweise bin ich darüber ganz genau unterrichtet, und — jetzt kann man wohl darüber reden. Die Sache ist ja vorbei." „Sie sprechen in Räthseln, Fräulein Manon. Worüber sind Sie denn unterrichtet?" „Ueber das Verhältniß Camillas zum Grafen Victor. Ich weiß, daß sie sozusagen versprochen war." „Graf Victor war ihr Verlobter?" „Gewiß. Nur der Umstand, daß dem Grafen in Felicia de Melida eine bessere Partie geboten wurde, verhinderte die Ehe und das war auch der Tod der armen Camilla. Sie fühlte sich betrogen." „Vom Grafen Victor?" fragte der Maler nochmals hastig und aufgeregt. „Mein Gott, ja doch. Was stieren Sie mich dabei so an, als ob ich das Haupt der Medusa wäre?" „Und Sie wissen das genau?" „Ich kann es Ihnen sogar Schwarz auf Weiß zeigen." „So thun Sie es doch. Wenn Graf Victor sie wirklich geliebt und sie feig verlassen hak, nun mein Gott, das wäre ja fürchterlich, denn dann ist seine Liebe zu Fräulein de Melida nichts als eine Spekulation, eine schmutziae Be rechnung." Fräulein Manon zuckte die Schultern und zog aus einem Portefeuille, welches sie in der Tasche trug, ein zusammen gefaltetes Blatt Papier, das an den Ecken verbrannt und verkohlt war, als ob es im Feuer gelegen und durch Zufall oder durch einen raschen Griff wieder herausbefördert worden, ehe es vollständig von der Flamme consumirt war. „Mein Gott, wie Sie das nennen, Herr Hartwig, ist ja an sich gleichgiltig. Es ist einfach der Lauf der Welt. Die Leute von heutzutage wissen sehr wohl, daß sie nicht von der Liebe leben können, sondern von Essen und Trinken, und das kostet Geld. Das ist der letzte Brief Camillas an den Grafen Victor. Lesen Sie ihn und es wird Ihnen klar werden, wie Camilla und Graf Victor zu einander standen. Er ist etwas verbrannt. Mama warf ihn mit anderen Papieren kurz vor ihrer Abreise in den Kamin. Ich kam gerade noch zeitig genug, um das interessante Schriftstück vom sicheren Untergang zu retten." „Wie kam denn Ihre Mutter dazu?" fragte der Maler erstaunt und nahm den Brief, um ihn mit großer Vorsicht zu entfalten. „Wer weiß. Ich glaube, der Brief hat den Behörden vorgelegt werden müssen, um den Grafen Victor von dem Verdacht zu reinigen, daß er Camilla getödtet habe. Wir wissen ja, daß sie sich in dem Zimmer des Grafen Victor erstochen hat." „Mein Gott, das ist ja " „Von dort mag er meiner Mutter ausgehändigt worden sein." Der Maler las den Brief des unglücklichen Mädchens mit einer Erregung und mit einer Aufmerksamkeit, als wenn es sich um ein neues Evangelium gehandelt hätte. Einzelne Worte und Sätze des Briefes, wie die Stelle: „Deine neuen Götter haben Dich meineidig, wortbrüchig, haben Dich feig gemacht ", und dann: „— ich bin von Dir getäuscht, betrogen und belogen —" u. s. w., sprach er unwillkürlich laut vor sich hin, als ob sie ihm besonders wichtig, besonders beweiskräftig gewesen waren. Endlich brach er in den Ruf aus: „Das ist eine Büberei!" „Mein Gott, was Sie sich aufregen um eine Sache, die doch sehr natürlich zugegangen ist. Das nützt jetzt nun Alles nichts mehr." „Das werden wir sehen. Den Brief behalte ich." „Wozu? Was wollen Sie damit machen?" „Ich werde doch still. Ich behalte ihn und da ¬ mit gut." „Ja meinethalben thun Sie damit, was Sie nicht lassen können, nur verstehe ich nicht, was Ihnen davon so wichtig erscheinen kann. Sie werden doch nicht etwa Dummheiten gegenüber dem Grafen Victor machen wollen?" „Dummheiten? O nein, gewiß nicht." „Es hätte wirklich keinen Sinn, sich über Sachen zu er eifern, die nun doch einmal nicht mehr zu ändern sind." „Gewiß nicht", wiederholte der Maler gedankenlos und fing an, seine Staffelei zusammenzupacken. „Wollen Sie schon heim? Es ist noch zeitig." „Ja. Es schadet nichts. Ich thue ja heute doch nichts mehr." „Nun, dann auf Wiedersehen morgen, Herr Hartwig!" „Auf Hm, Fräulein Manon, ich weiß doch nicht, ob wir uns morgen Wiedersehen. Jedenfalls nicht hier." „Na, warum denn nicht? Wollen Sie pausiren?" „Ich — ich werde wohl verreisen müssen." „Verreisen? Wohin denn?" „Nach Deutschland." „Was? Ohne das Bild fertig gemalt zu haben?" „O ich kann es wohl in Heblingen fertig malen. Ich habe Skizzen und Aufnahmen dazu genug." Fräulein Manon sah ihm eine Weile stumm zu, wie er das Bild verpackte, die Staffeln zusammenlegte und schnürte. Es kam ihr vor, als wenn sie eine Dummheit gemacht hätte. „Sie sollten mir den Brief Camilla's doch wieder zurück geben, Herr Hartwig", sagte sie endlich weiter. „Nicht um eine Welt!" antwortete dieser mit einer ge wissen Energie. „Weshalb denn nicht? Was wollen Sie denn damit machen?" „Nichts. Sie brauchen ihn doch auch nicht, Fräulein Manon." „O doch. Für mich ist er rin Andenken an meine arme Schwester." „Nun sehen Sie. Das ist er für mich auch." «Aber es ist doch meine Schwester, meine Familie. Und dann mir ist, als ob mir der Brief noch einmal recht
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite