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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.10.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-10-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971012020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897101202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897101202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-10
- Tag1897-10-12
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Der Parteitag hat die Entscheidung zwar mit großer Mehr heit getroffen und wir wollen kein Gewicht darauf legen, daß die meisten nicht-preußischen Delegirten dafür gestimmt haben, während die Minderheit überwiegend dem zunächst be- theiligten Bundesstaate angehörte. Immerhin mag daö Beispiel der Parteigenossen in den Mittelstaaten am meisten dazu beigetragen haben, daß die durch die lex Necke erzeugte Stimmung sich zu einem Beschlüße verdichtete. Ohne jene Vereinsgesetz-Action wäre es ohne Zweifel beim Alten geblieben. Wenn also, was als Zweck der Neuerung angegeben wird, durch socialdemokratische Stimmen dem Fortschritt wirklich etwas „geholfen" werden sollte, so weiß dieser, bei wem er sich zu bedanken hat. Liebknecht freilich verweilte mit liebevoller Ausführlichkeit bei der Begründung der Diagnose, daß der Fort schritt ein „Leichnam" sei. Das war auch die Ansicht der Mehr heit, diese aber wollte den Leichnam „galvanisiren". Es handelt sich übrigens nicht allein um den Freisinn, sondern auch und vielleicht in höherem Grade um das Cen trum, mit dem sich die Socialdemokratie innerlich berührt, während ihr Bündniß mit dem Freisinn nur aus der Verblendung oder dem Egoismus einiger „linksliberaler" Führer zu erklären ist. Vom Eentrum war jedoch in Hamburg weniger die Rede. Daß Herr v. d. Recke und die „KreuzzeitungS"-Lcute eine Verstärkung der ultramontanen Partei im Abgeordnetenhause nicht ungern sehen würden, darf angenommen werden; erfolgte sie aber, so würde die Socialdemokratie der Partei einen Gefallen erwiesen haben, zu deren Vernichtung sie mit einer alten Praxis gebrochen hat; gerade den Conservativen können nämlich die Socialdemokraten, wenn sie Wahlmänner der dritten Wählerclasse zu den Abgeordnetenwahlen stellen, nur geringen oder gar keinen Abbruch thun. Im Ganzen wird sich nichts ändern. Verschiedene Blätter, die derselben Meinung sind, fasten als einzige mögliche Wirkung des socialdemokratischcn Beschlusses eine lebhaftere Bcthciligung des bürgerlichen Ele mentes an den Landtagswahlen ins Auge. Das wäre ein erfreulicher Erfolg, da er sich, wenn auch nicht in der Zu sammensetzung des preußischen Parlaments, so doch wohl in dem Verhalten derselben zu dem Cardinalpuncte der inneren Politik spiegeln würde. Nach der Verfassung können gewisse Dinge, vie ganz Deutschland interessiren, mit unanfecht barem Rechte nur im preußischen Landtage zur Sprache gebracht werden. Der Charakter des Abgeordnetenhauses bürgt überdies dafür, daß hier die patriotische Besorgniß den Grundton angeben wird, während im Reichstage bei der Erörterung der Regierungsverhältnisse das Interesse der Demagogen überwiegt. Letztere Erscheinung wird sich in Zukunft noch stärker bemerkbar machen als bisher. Auf dem Parteitage der „deutschen" Volkspartei in Bayern ist aus drücklich verlangt worden, daß im Reichstage die Person des Kaisers in die Debatte gezogen werde, in Hamburg hat ein Redner den Abgeordneten Singer getadelt, weil dieser in der ReichStagSdebatte vom l8. Mai d. I. nicht scharf genug gewesen, und ein anderer Delegirter hat dort seine Herzensmeinung in die Worte gekleidet, eS muffe dem Kaiser im Reichstage „der Text gelesen" werden. Nun wird ja die bisherige Uebung, welche eine Nennung des Monarchen im Reichstage nicht zuläßt, aufrecht erhalten bleiben. Aber die Umgehung deS vom Präsidenten gehand habten Verbotes ist leicht und fördert oft Schlimmeres zu Tage als der directe Angriff. Es giebt nur ein Mittel, der parlamentarischen Untergrabung der Autorität den Boden zu entziehen, das ist die Entziehung des Stoffes, der sich zur Bildung allgemein verstandener Spitzen gegen das NcickSoberhaupt eignet. Die Regierenden könnten vom Hamburger Parteitage der Socialdemokratie prositiren. AuS fast allen Verhandlungen, namentlich aber auS den Reden der Führer Bebel und Liebknecht ging hervor, daß die Unzufriedenheit mit dem „Zickzack-Curö" und mit den die Behauptung von dem Vorhandensein autokratischer Gelüste stützenden Vorgängen der stärkste, ja der einzige Hoffnungs anker der hentigen ossiciellen Socialdemokratie und daß die Parteileitung entschlossen ist, dieses Feld mit allen Kräften zu beackern. Wir haben schon eine darauf hindcutende Aeußerung Liebknecht'S hervorgehoben. Und Bebel sagte: „Allmählich ist cs im deutschen Reiche dahin gekommen, daß selbst unseren Gegnern vor der Zukunft bange zu werden anfängt; bei unseren inneren politischen Zuständen hat sich ein solches Maß von Unzufriedenheit, Unsicherheit und Hoff nungslosigkeit nicht bei uns, sondern bei Len Gegnern an gesammelt, daß die Ueberzeugung allgemein herrscht: so kann es nicht weitergehen." Wenn dieser Ausspruch heute vielleicht ncch übertrieben ist, so wird er es doch gewiß bald nicht mehr sein, wenn einerseits die verantwortlichen Rathgeber der Krone, andererseits die Wortführer der monarchischen Parteien sich nicht ermannen. Wie die „Rbein.-Westf. Polit. Nachr." hören, wird für die nächste Session des preußischen Landtags von nationalliberaler Seite ein Antrag auf Anfhcbnng der preußische» tzlesauvtschaft beim päpstlichen Ttnhle vor bereitet. Als Veranlassung zu diesem Vorgehen werden die Beschimpfungen bezeichnet, die der Papst in seinem Rundschreiben anläßlich der Canisiusfeier gegen die Re formatoren und ihr Werk geschleudert bat. Weiter heißt cs in der Mitthcilnng, die augenscheinlich von den Vorbcreitern des Antrags ansgeht: „Es ist nicht auzunchnien, daß die preußische StaatSregie- ru»g anders als zu st im in end zu dem Antrag sich stellen kann, um damit der schwer verletzten Wurde des Staates eine Genug- thuung zu geben. Auch die Geschichte dieser Gesandtschaft wird sie dazu drängen. Zu Anfang des Cultnrkampfes am 14. Mai 1872 erklärte Fürst Bismarck die Gesandtschaft für noth- wendig, „um die Curie über die Intentionen unserer Regierung zu unterrichten und Trübungen fernzuhalten". Am 9. Juni 1873 erklärte derselbe: „der Posten sei noch nicht besetzt, weil ein Vertreter des deutschen Reiches keine Sprache hören könne, die amtlich nicht entgegenzunehmen sei." Am 5. December 1874 erklärte der Reichskanzler: „der Posten werde definitiv in Wegfall bleiben, so lange das Oberhaupt der katholischen Kirche Ansprüche erhebe, mit deren Durchführung jedes geordnete Staatswesen unvereinbar sei und welche die Unterthanen zur Auflehnung gegen die Gesetze ermuthige." Dann kam das Zurückweichen des preußischen Staates und mit ihm im Jahre 1882 der Antrag im Abgeordnctenhause auf Errichtung einer preußischen Gesandtschaft beim heiligen Stuhl. Bismarck motivirte diesen Vorschlag damit, daß durch die Erneuerung der directen Beziehungen zwischen der preußischen Staatsregierung und der Curie erwartet werden könne, daß viele Mißverständnisse leichter aufzuklären seien und daß damit diese Einrichtung zum Frieden dienen werde. Es war allein die nationalliberale Fraction des Abgeordnetenhauses, welche gegen diese Bewilligung und Neu einrichtung stimmte. Sie wurde aber bewilligt und seitdem hat Preußen für einen Kostenaufwand von über 100000 Mark die Freude, durch seinen Vertreter eine Sprache anzuhören, welche sein Vertreter des deutschen Reiches nicht anhören und nicht entgegen nehmen konnte. — Am 14. Februar 1896 brachte der Ab geordnete von Eynern die unhaltbaren Tinge zur Sprache und stellte bei Berathung des Etats des auswärtigen Amtes an die Staatsregierung die Anfrage, ob denn die Voraussetzung bei Errichtung dieser Gesandtschaft, zum Frieden zu dienen, in Erfüllung gegangen sei'? Müsse das auswärtige Amt das verneinen, so müßten wir die Forderung stellen, die Gesandt schaft und die schweren Lasten derselben aufgehoben zu sehen. Geantwortet hat damals vom Ministertische Niemand. Für die nächste Session dürfte eine Antwort schon erfolgen, wenn nicht die vorherige Aufhebung der Gesandtschaft die Wiederholung der Anfrage überhaupt unnöthig machen sollte. Wir bemerken, daß die andern Staaten mit vorwiegend evangelischer Bevölkerung, England, Bereinigte Staaten von Nordamerika, Holland und die Schweiz keine Gesandtschaft beim heiligen Stuhle haben und damit vermeiden, der Beschimpfung ihrer Staatsbürger den Glanz einer Vertretung zu geben." Wird ein solcher Antrag wirklich gestellt, so würden wir ihn als die rechte Antwort auf das päpstliche Rundschreiben begrüßen. Daß aber der Antrag eine Mehrheit finden werde, erscheint uns sehr fraglich. Das Centruin zu beleidigen, erscheint einem großen Theile der Conservativen viel bedenklicher, als sich vom Papste beleidigen zu lassen, und Herr Richter und die Seinizen haben sich zu sehr in die Rolle von Schleppenträgern deS CentrumS gewöhnt, als daß sie durch ein päpstliches Rund schreiben aus dieser Rolle sich herausdrängen ließen. Fände sich aber auch eine Mehrheit für den Antrag, so würde doch die preußische Negierung ihm schwerlich ihre Zustimmung geben. Sie ist viel zu sehr darauf bedacht, das Centrum zu „versöhnen", als daß man von ihr einen Schritt erwarten dürste, wie ihn Herr v. Eynern schon im Februar vorigen Jahres angeregt hat. Aber schon um zu erfahre», wie sie über das päpstliche Rundschreiben und ihre Pflicht demselben gegenüber denkt, ist es Wünschenswerth, daß der Antrag zur Verhandlung gelangt. Wie wir bereits im heutigen Morgenblatte berichteten, werden von der Regierung der Bereinigten Staaten außer ordentliche Creditforderungen für die Bedürfnisse der Marine vorbereitet. Daö Gesammterforderniß wird sich auf 42 Millionen Dollars (etwa 175 Millionen Mark) belaufen. Davon sollen 12 Millionen Dollars allein für Dock baut en Verwendung finden. Die Thatsache, daß das amerikanische Kriegsschiff „Indiana" behufs Ausbesserung in ein kanadisches Dock gebracht werden mußte, hat ihres Eindrucks auf die zuständigen Fachkreise, sowie auf die öffentliche Meinung des Landes nicht verfehlt, sondern den Entschluß zur Reife gebracht, dem Mangel an brauch baren Dockanlagen baldigst thunlich abzuhelfen. Bereits im Monat August wurde von Rezierungswegen eine ans zwei Marineosficieren und zwei Marineingenieuren bestehende Commission zur Prüfung deS Bedürfnisses an Trockendocks für die Zwecke der Kriegsflotte niedergesetzt. Diese Com mission hat vor Kurzem ihren Bericht eingereicht und darin die Anlage von nicht weniger als 12 Trockendocks für nothwendig erklärt. Mit dem Bau von fünf dieser Docks müsse ohne Verzug vorgegangen werden. Es gilt für sicher, daß das amerikanische Marineamt diesem Plane seinMZustimmung ertheilen und mit der erwähnten CreditforderWz — 1 Million für jeder- Dock — an den im December sich versammelnden Conares; herantreten wird, da die Möglichkeit, infolge des neuen Cu"rscc der auswärtigen Politik ans vie Mitwirkung der Marine reflec- tiren zu wüsten, von den amerikanischen Parteiführern nicht abgc- stritten werden kann. Die fünf zuvörderst in Angriff zu nehmenden Trockendocks würben in Boston, New Aork, Norfolk, New- OrleanS und Mare-Jsland (Californien) erbaut werd«. Was sagen die Gegner der deutschen Marineforderungen im Reichstag zu diesem energischen Schritt der amerikanischen Regierung nach vorn, hinter dem nicht „rezis voluvtas- st-ht? Von den drei deutsche» Schulschiffe» „Charlotte", „Stein" und „Gneisenau", die z. Zt. auf der Ausreise nach Westindien begriffen sind, hat die Fregatte „Gneisenau" als erste den Atlantischen Ocean durchquert und ist am 8. d. M, von St. Vincent kommend, in Rio Sc Janeiro eingclaufeu. Die Ankunst deS Schiffes in dem brasilianischen Hafen ist insofern besonders bemerkenswerth, als in den südamerika nischen Gewässern der Oslküste seit dem Mai 1894, also gegen 3'/2 Jahre, kein deutsches Fahrzeug mehr die Flagge gezeigt bat, weil während der letzten Jahre auS Mangel au Kreuzern kein Fahrzeug unserer Flotte mehr in die amerika nischen Stationen entsandt werden konnte. Der Comman- dant der „Gneisenau" Capitain z. S. Hofmeier wird der große» deutschen Colonie von Rio noch in bester Er innerung sein von dem brasilianischen Bürgerkriege 1893/94 her, währenddessen Hofweier als Commandaul des Kreuzers lll. Classe „Arcona" dort weilte und wesentlich mit dazu beitrug, daß der deutsche Handel mit Brasilien aufrecht erhalten werden konnte. Wie man sich erinnert, weilten im Winter 1883/94 die Kreuzer „Arcona", „Alexandrine" und „Marie" monatelang im" Hafen von Rio de Janeiro. Leider konnte die „Gneisenau" in ihrer Eigenschaft als Schulschiff keine Segelordre erhalten, die Flagge auf ihrer Reise auch in den südlicheren Haupthäfen Südamerikas zu zeigen; vielmehr wird das Schiff am 2. November Rio wieder verlaßen, um über Bahia nach den westindischen Inseln zu kreuzen. „Stein" und „Charlotte" werden überhaupt das Festland Südamerikas südlich vom Aequator auf ihren WinterauSlandSreisen nicht anlaufen. So wird der Aufenthalt eines unserer Schiffe in einem süd amerikanischen Hafen leider wieder nur von sehr kurzer Dauer sein, da an eine ständige Stationirung eines Schiffes auf den amerikanischen Stationen vor der Hand nicht zu denken ist. Im Intereste unseres Handels ist daö zu bedauern. Bei der Bedeutsamkeit der Rede deS franzöfischcn Ministerpräsidenten Meline lohnt eS nochmals aus seine Erklärungen über das Verhältniß des CabinetS zur Frage des KlerikalismuS, die republikanische Zusammenfassung und Beziehungen zu den Conservativen zurückzukommen. Meline zeigte zunächst, daß vie Radicalen immer die Zu samnienfassuilg im Munde führen, wenn sie am Ruder sind, von ihr jedoch nichts wißen wollen, wenn die Gemäßigten die Geschäfte leiten und von den Radicalen nichts ver langen, als sich von den Socialisten zu trennen. Tie Radi- FaniHaton. Götzendienst. 31j Roman in zwei Theilen von Woldemar Urban. Nachdruck verboten. Da es mittlerweile Abend geworden und man deshalb die Laterne angezündet hatte, so sah man, wie auf der einen Seite drei Billardkugeln an die Scheibe gemalt waren. Auf der anderen war — nicht sehr geschmackvoll — ein tanzendes Schwein gemalt und darunter stand die verheißungsvolle Inschrift: „Zur fidelen Sau." ' Das nicht sehr große und niedrige Local war dunstig, voller Tabaksrauch, so daß man nicht einmal ordentlich sehen konnte, aber die Leute schienen sich darin sehr wohl zu befinden oder glaubten es wenigstens momentan, wenn sie auch am anderen Morgen anderer Ueberzeugung wurden. Sie sangen und schrien, spielten Karten oder Billard, schlugen auf die Tische oder zankten sich, so daß es einen wahren Höllenspectakel gab. „He, Leopold!" schrie Einer der Gäste dem Eintretenden launig zu, „komm her, mein Sohn. Wir brauchen einen Vierten." „Ha ha", meinte ein Anderer vorsichtig. Die Anderen lachten. /"Hartwig trat heran und bestellte sich ein Glas Bier. ' Ahnungslos brachte das Kellnermädchen das Verlangte, woslte aber vorsichtshalber das Geld gleich haben. V^Jch bezahle morgen", antwortete Hartwig. sofort nahm das Mädchen das Bier wieder fort und sagt^ „Das sind faule Fische. Ich muß heute bezahlen. Der Wirt-v borgt mir auch nichts. Wenn Sie kein Geld haben, so bestellen Sie nichts." D»s schien den so Gemaßregelten furchtbar aufzu bringen. Er schimpfte in der unfläthigsten, nicht widerzu gebendem Weise auf das Mädchen, das, auch nicht gerade auf das Maul gefallen, ihm auf seine beleidigenden Redensarten auch nichts schuldig blieb. Die Schimpfworte fielen au beiden Semen hageldicht. Es entstand ein Tumult, Einige lachten zu der häßlichen Scene, Andere wieder fanden sich im Spiele gestört und schimpften. „Werft den Kerl 'naus", rief plötzlich Jemand. „Wenn er kein Geld hat, soll er auch nicht hier 'rumkrakehlen." „Ruhe!" schrie der Wirth. „Ihr Lumpenpack", erwiderte Hartwig wie sinnlos vor Wuth, „habe ich Euch nicht Allen noch am vorigen Donners tag die Kehlen ausgespült mit dem Bier, das ich bezahlt habe? Und heute wollt Ihr mich 'nauswerfen?" „Naus! Naus!" schrie man von allen Seiten. Der Tumult wurde immer ärger. Kein Mensch verstand mehr den anderen; plötzlich fühlte sich Hartwig an Armen und Beinen von strammen Fäusten gepackt und ehe er sich's recht versah, lag er schon draußen auf der Treppe. „Der ist besorgt!" hörte er noch Jemand spöttisch sagen. Hartwig war beim Fallen mit dem Knie auf eine der Steinstufen, die an der Straße hinaufführten, aufgeschlagen und hatte sich dadurch eine leichtblutende und wohl auch sehr schmerzhafte Wunde zugezogen, aber in seiner verbißenen Wuth, in seinem ohnmächtigen Grimm über diese schmach volle Behandlung fühlte er davon nichts. Er nahm seine Mütze, die ihm bei der Operation vom Kopfe gefallen war, wieder auf und preßte wüthend und knirschend die Zähne aufeinander. Da einige Pastanten um ihn herum stehen geblieben und auch aufgelegt schienen, höhnische und spöttische Bemerkungen zu machen, so stand er rasch auf und ging so gleichgiltig wie möglich thuend, davon. Erst als er weit genug vom Schauplatze seiner Schmach und Schande entfernt war, murmelte er wüthend zwischen den Zähnen: „So! also so geht die Welt! Wer kein Geld hat, wird 'nausgeworfen. Na, wartet nur, Ihr Schwefelbande. Ich will Euch schon noch zeigen, wo Barthel Most holt." Indessen schien es doch, als ob er sich über die ihm an- gethane Gewalt getröstet hätte. Solche Scenen, wie er sie erlebt, waren ihm nichts Neues, er hatte sich sogar bei früheren Excessen selbst daran betheiligt, neu war daran nur, daß er jetzt zum erstenmal der Hinausgeworfene war. Sein empörtes Gerechtigkeitsgefühl beruhigte sich also bald wieder und seine Gedanken concentrirten sich vielmehr um die Thatsache, daß er kein Geld habe und daß er welches haben müsse, weil sonst „die Sache nichts sei." In dem Suchen nach einer neuen Geldquelle fiel ihm sein Vater ein. Sein Vater hatte Geld, viel Geld, viel mehr als der alte Mann brauchen konnte. Aber er sagte sich auch gleichzeitig, daß da gutwillig nichts auszurichten sei. Sein Vater hatte wohl erfahren, daß er das Geld, was er das letztemal von ihm bekommen, nicht zur Miethe verwandt, sondern ver übelt und vertrunken hatte. Wenn er also wieder eine An leihe machen wollte, so konnte das nur eine... Zwangs anleihe sein. Der Ausdruck gefiel ihm. Er lachte stumpfsinnig vor sich hin und — halb instinctiv, halb überlegt stolperte er durch die immer öder und einsamer werdenden Gassen hinaus aus der Stadt nach Heblingen zu. Es mochte etwa gegen zehn Uhr sein. Der Himmel hatte sich mit Wolken umzogen. Es regnete sogar ab und zu ein wenig. Aber das Wetter war warm; nur finster war es, daß man die Hand nicht vor den Augen sehen konnte. Als Hartwig nach Heblingen kam, lag das sdorf schon still und dunkel da. Die Leute waren bereits schlafen gegangen und die Häuser sahen aus wie große Schatten. Gleichwohl wurde sein Gang, je näher er dem Hause kam, wo sein Vater wohnte, immer langsamer, zögernder und vorsichtiger. Oft stand er lauschend still, dann drückte er sich an der entgegen gesetzten Häuserreihe schleichend weiter, blieb nach einigen Schritten wieder stehen und horchte: „'s ist noch zu früh. Sie schlafen noch nicht fest genug", murmelte er. Dann hörte er plötzlich den Nachtwächter tuten. Er kannte ihn aus seinen Jugendjahren sehr wohl, den alten Hansen. Er war ein alter friedlicher Mann, der den Spitz buben, wenn es je einmal welche in Heblingen gab, eher aus dem Wege ging, als sie zu fassen. Aus diesem Grunde tutete er auch sehr fleißig und anhaltend, damit solche, die etwa auf dunklen Pfaden waren, immer wußten, wo er war und wann er kam, damit sie sich beizeiten aus dem Staube machen konnten. Hartwig sprang über einen an der Seite der Straße befindlichen Graben und legte sich in ein Korn feld. Das Korn war noch nicht reif, aber doch so, daß sich ein Mann, wenn er lag, vollständig darin verbergen konnte, auch bei Tage, um wie viel leichter bei Nacht. Hier lag er fast zwei Stunden. Er hörte auf dem Schloß von Heblingen Zehn und Elf schlagen. Es ging also auf Mitternacht. Hartwig aber schlief nicht, dachte auch nicht sonderlich darüber nach, was er vorhatte und was ihm dabei Alles zustoßen konnte und was es für Conse quenzen haben würde. Er dachte blos daran, daß sein Vater Hundert-Markscheine im Tischkasten liegen hatte, daß die Tischplatte davon leicht abzuheben war und daß er einen oder zwei dieser Scheine haben würde, wenn er schlau und vorsichtig war. Er war natürlich in einer gewissen Auf regung. Wenn er dabei erwischt wurde, wenn sein Vater erwachte und ihn erkannte, wenn er mit ihm handgemein wurde, wenn die Leute, die noch im Hause wohnten, dazu kamen, all' diese verschiedenen Wenn's schwebten ihm wie dunkle, aufregende Gespenster durch sein Hirn, aber alles Das war unklar und verworren. Klar war nur der Ge danke in ihm, daß er Geld haben müsse um jeden Preis. Endlich stand er wieder auf, kroch aus dem Korn hervor und sprang auf die Straße zurück. Am Tuten des alten Hansen hörte er, daß derselbe am ganz anderen Ende des langgestreckten Dorfes war. Er war ihn jetzt für etwa eine halbe Stunde los. In dieser Zeit mußte es also geschehen. Vorsichtig schleichend, mit angehaltenem Athem und klopfenden Herzens näherte er sich dem Hause seines Vaters. Er kannte die Oertlichkeit natürlich genau, wußte jeden Tritt auch in der Dunkelheit. Er sprang über einen Garten zaun, der sich westlich vom Hause hinzog. Er wollte nickt von der Straße her einbrechen. Das schien ihm zu gefährlich. Durch den Garten gelangte er, wieder ein kleines Stacket überkletternd, in den Hof und somit an die Hinterfront des Wohnhauses. Von hier aus tonnte er direct durch das Fenster in die Wohnstube seines Vaters gelangen. Er zog sein Taschenmesser und bröckelte damit leise und vorsichtig den Kitt vom Scheibenrand, um dann die Scheibe ausheben zu können. Es dauerte eine ziemliche Weile, weil er jedes Geräusch dabei vermeiden wollte und öfter bei seiner Arbeit unterbrach, um still zu lauschen, ob er nicht schon entdeckt wäre. Nein! Noch nicht. Leise, leise bröckelte er weiter, zog die kleinen Blechstiftchen, die die Scheibe hielten, lang sam eines nach dem andern heraus — endlich prodirte er, ob die Scheibe nachgäbe, indem er die Messerspitze zwischen den Scheibenrand und den Rahmen brachte. Die Scheibe gab nach! Er athmete hoch auf. Noch aber mußte er sehr vorsichtig sein, damit die Scheibe nicht sprang und klirrte. Endlich hatte er sie heraus und faßte nun durch die ent standene Oeffnung, um das Fenster von innen aufzuwirbeln.
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