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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.10.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-10-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971013021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897101302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897101302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-10
- Tag1897-10-13
- Monat1897-10
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Gröber» Schriften laut unserem Preis« Nerzeichuib. Tabellarischer und Ziffernjatz »ach höherem Tarif. Ertra-Veilagen (gefalzt), nur mit der Morgen«Ausgabe, ohne Poslbesörderuut 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß fnr Anzeigen: Abrud-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Aiorgen»Ausgabe: Nachmittag- 4Uhr. Sei den Filialen und Annahmestellen je eia« halbe Stunde früher. Anreisen sind stets au di« Expedition zu richten. — Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig 523. Mittwoch den 13. October 1897. Sl. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 13. October. Als kürzlich die „Freisinn. Ztg." behauptete, der Reichskanzler Fürst Hohenlohe habe bereits dreimal sei» Entlass ungsgesuck eingereicht, und die „Post" dagegen versicherte, Fürst Hohenlohe habe einen solchen Schritt noch niemals gelhan, sprach der „Hann. Corr." seine Ansicht dahin aus, daß es ziemlich gleichgiltig sei, ob Fürst Hohen lohe dem Monarchen ein schriftliches Entlassungsgesuch über mittelt oder ihm mündlich eröffnet habe, er wünsche sobald als möglich von der Last seines Amte- befreit zu werden. Jedenfalls sei er dieses Amtes müde und das sei begreiflich genug, denn: „Unvergessen ist das Wort, daS einst Fürst Bismarck über den jetzigen Kaiser gesprochen hat, er werde sein eigener Kanzler sein. Wer könnte leugnen, daß dieses Dictum längst zur Wahrheit geworden ist?... Auch dieStellung desBicekanzlers ist, im Grunde genommen, längst besetzt, nur Latz die Vicekanzlerschast eine Art Dreitheilung erfahren hat. Das Civilcabinet, das Militair- cabinet und das Marinecabinet theilen sich in die Functionen Les Vicekanzlers. Die vielen Reisen Les Monarchen, die häufige Trennung von den in Berlin zurnckbleibenLcn Ministern, brachten eS unwillkürlich mit sich, daß die Stellungen der drei Chefs dieser Cabinette an Einfluß und Bedeutung wuchsen. Begreiflicherweise kostet es unter diesen Umständen für einen selbstständigen Charakter eine nicht geringe Selbstüberwindung, die Stellung des nominell obersten RathgeberS der Krone anzunehmen." Gegen diese Ausführungen wenden sich heute die „Berk. Polit. Nachr." in einem Artikel, der auf das schärfste der artige „Verhetzung" und „directe Stimmungsmackerei gegen die Person des Kaisers" verurtheilt. Gleichzeitig aber ver öffentlicht der „Reichsanzeiger" das Folgende: „Berlin, 12. Octobcr. Seine Majestät der Kaiser und König empfingen gestern in Hubertus stock den commandirenden Admiral, Admiral von Knorr, den Staatssecretair des Reichs-Marineamts, Contre- Admiral Tirpitz, sowie den Chef des Civilcabinets, Wirk- lichen Geheimen Rath vr. von Lucanus, und den Chef des Marinecabinets, Contre-Admiral Freiherrn von Senden« Bibran, zum Vortrag. Heute nahmen Seine Majestät die Vor träge des Kriegsminislers, Generallieutenants von Goßler, des Chefs des Militaircabinets, Generals der Infanterie von Hahnke, und des Chefs des Civilcabinets, Wirklichen Geheimen Raths vr. von Lucanus entgegen." Die Vermuthuug liegt also mindestens sehr nahe, daß am 10. und 11. d. M. in Hubertusstock die Marine forderungen und die Militairstrafproceßordnung Gegenstand der Borträge und kaiserlicher Entschließungen ge worden sind, obgleich der Reichskanzler und sein Stell vertreter zu den Berathungen nicht zugezogen waren. Wenn die oben citirle Auslassung des „Hann. Cour." nicht älteren Datums wäre, so würde man sich nicht wundern lönnen, wenn sie heule erschiene, und zwar um so weniger, je häufiger sich Vorgänge wiederholt haben, die der Annahme dcs hannoverschen Blattes Vorschub leisten müßten. Die „Post", die gleichfalls gegen den „Hann. Cour." polemisirt, sicht sich denn auch zu dem Eingesländuiß gezwungen, Laß mancherlei „äußerliche Momente" wohl geeignet feien, Un ruhe und Unzufriedenheit zu errege», und knüpft an dieses Eingeständniß folgende Bemerkung: „Kaiser Wildem I. wäre sicher niemals der Miß deutung einer Cabinetsregierung ausgesetzt gewesen. Seine ganze äußere Art zu sein und zu handeln bot keinen Puncl. an welchen mit einer solchen Unterstellung angekuüpst werde» konnte. Angesichts der planmäßigen Verwendung von Aeußerlichkeiten zu Zwecke» der Opposition und selbst der Verhetzung, wie sie u. A. auch in Len bayerischen Verhandlungen über die Kaisermanöver hervorgetreten sind, leuchtet es ein, daß es politisch von großer Bedeutung ist, den Gegnern die Möglichkeit thunbchst zu entziehen, sich solche Agitationswaffen zu verschaffen. Welche Aufgabe daraus den verantwortlichen Rüthen der Krone er wächst, ist nicht minder klar." Aehnliches haben wir gestern bereits auögcführt. Jeden falls wird sich nun bald zeigen muffen, ob die unter der Mitwirkung der Chefs des C'vil-, des Militair- nnv des Manne-Cabinels in Hubertusstock gefaßten oder wenigsten vorbereiteten Beschlüsse dem Fürsten Hohenlohe die Weiler führung seines Amtes gestatten. Der seit dem Rücktritte des Präsidenten vr. Bödiker mit dessen Stellvertretung betraute bisherige Director im ReickSversickerungsamt, Geh. Ober-Reg.-Rath Gaebel, ist nunmehr definitiv auf den wichtigen Posten eines Präsidenten ScS Rcichsvcrsichcrnngsnmts berufen worden. Durch diese Ernennung werken die Vorgänge und Vermuthungen, welche seinerzeit den Rücktritt vr. Bödiker's begleiteten, wieder in vie Erinnerung zurückgerufen. Den nächsten Anlaß zu dem Rücktritte des hochverdienten Mannes gaben, wie man sich erinnert, persönliche Mißbelligkeitcn mit dem Staatssecretair des Reichsamtö des Innern, vr. von Börtlicher. Die auch sachlich unangenehm empfundene Unterordnung des Reichsversicherungsamts unter das ReickSamt des Innern wurde unter solchen Umständen zu einem kaum mehr er träglichen Verhältniß, und als Präsident vr. Bödiker sich dann vom Bundesrall'Sliscke deS Reichstages ausgeschlossen sah, während die Novellen zu den Versicherungsgesetzen zur Beralhnng standen und seine Anwesenheit aus der Mitte des Hauses dringend verlangt wurde, da mußte ihm die Fort führung des Amtes, in dem er so segensreich gewirkt hatte, zur inneren Unmöglichkeit werden. Ein eigenthümlicher Zufall wollte es dann bekanntlich, daß Herrn v. Boetticher'S Ministertage gezählt waren, noch ehe vr. Bödiker end- giltig aus seinem Amte ausschied, und daß die beiden Gegner ziemlich gleichzeitig vom politischen Schauplatze zurücktralen. Es wurde damals die Frage aufgeworfen, ob sich angesichts dieser Lage der Dinge dem ReicksversickerungS- amte sein bisheriger Präsident nicht erhalten ließe; der Gedanke erwies sich jedock, auch abgesehen von den privaten Ver pflichtungen, die vr. Bödiker inzwischen eingegangen halte, als unausführbar; man erfuhr, daß doch auch wichtige sachliche Beweggründe im Spiele gewesen waren und daß vr. Bödiker Forderungen gestellt hatte, die auch den ihm persönlich sehr gewogenen Mitgliedern der Regierung unerfüllbar erschienen. Hierher gehörte vor Allem das Verlangen nach Erhebung des Reichsoersicherungsamts zum selbstständigen Reichs amt unter Beibehaltung der Unabsctzbarkeit, die seinem Chef als oberstem Richter in Versicherungsstreitsachen zukvmmt. Tie Vereinigung dieser richterlichen Prärogative mit dem Charakter eines höchsten politischen Beamten scheint nach unseren staatsrechtlichen Begriffen kaum ausführbar, und so mußte man sich, als der Rücktritt vr. Bödiker's Thalsache wurde, auf den Wunsch beschränken, daß die Re gierung in der Wahl seines Nachfolgers eine recht glückliche Hand babcn möchte. Man hätte nun durchaus keinen Grund zu der Annabme gehabt, daß unter diesem Gesichtspunkte die Ernennung des DircctorS Gaebel zum Präsidenten des Neichs- versichernngsamteS nicht wünschenSwerlh erschiene, wenn nicht vor einigen Wochen das bekannte vertrauliche Rund schreiben durch die Blätter gegangen wäre, in dem Gaebel, einem Wunsche des Staatösccretairs Grafen Posadowsky ent sprechend, den Vorsitzenden der Versicherungsanstalten als Lesestoff für die Sanatorien u. s. w. die Publikationen dcs Christlichen ZeilschriflenvereinS deS Pastors Hülle empfiehlt. Im Hinblick auf- den jedenfalls höchst einseitigen Charakter der politischen Veröffentlichungen dieses Vereins wurde da und dort die Befürchtung ausgesprochen, daß Gaebel es nicht verstehen werde, daS Vertrauen, das sich Präsident vr. Bö diker namentlich bei der Arbeiterschaft erworben Halle und das eine der wensentlicksten Voraussetzungen für die er sprießliche Wirksamkeit dcs Amtes war und ist, sich und dem Amte zu erhalten. Vorläufig darf man aber Wohl an nehmen, daß Herr Gaebel gerade die Wirkung jener Em pfehlung sich zur Lehre dienen lassen und durck sie sich an getrieben fühlen werde, sein wichtiges Amt im Geiste seines Vorgängers zu führen. Nur dann wird es seinen bisherigen hohen Werth für das sociale Leben der Nation bewahren. Eine bcmerkenSmertbe Zusammenkunft wird vom 21. bis zum 23. d. M. in Antwerpen stattsinden. Die Bürger meister und Vorsitzenden der Handelskammern des Rhein landes, Westfalens, Mit tel- und Süddeutschlands sind als Gäste der größten belgischen Hafen- und Handelsstadt geladen worden, um die vortrefflichen Hafeneinrichtungen kennen zu lernen und den Bau deS Rhein-Scheldecanals in Fluß zu bringen. Wie der „Voss. Ztg." auS Brüssel ge schrieben wird, werden die deutschen Gäste einen ebenso herz lichen wie glänzenden Empfang in Antwerpen finden und auch von dem belgischenKönige im Brüsselei Königsschlosse empfangen werden. Inmitten der festlichen Vorbereitungen der Ant werpener Gemeindebehörden und Handelskreise erhebt sich das vlämische Hauptorgan der katholischen Demokraten, der „Klokke Roeland", und ist so kühn, zu behaupten, daß die große Masse der Antwerpener Bevölkerung diesem deutschen Besuche, der allerdings „praktische und sehr werthvolle Folgen" für Antwerpen baden könne, nur mit Mißtrauen ec tgegcnsehe, nicht nur weil ein Ausländer, der Vertreter des Norddeutschen Lloyd, De Bary, den Besuch eingeleiiet habe, sondern auch weil dieser Besuch „ein weiterer Schritt zur materiellen und moralischen Einverleibung Ant werpens in Deutschland sei" und diese Einver leibung die politische erheblich erleichtern werde. Schon beute — schreibt das Blatt — sei thatjächlich Antwerpen Deutschland tributpflichtig, die großen Handlungs- und Rhcderhäujer, die Aussuhrhändler, Schiffsmakler und Vermittler seien in ibrer großen Mehrheit Deutsche, die meisten Industrien seien in deutschen Händen, jo daß die Deutschen in Antwerpen zu Hause seien, ihre eigenen Vereine, Schulen, Kirchen, Lieferanten haben und eine Stadt in der Stadt bilden. Da die 20 000 Deutschen Antwerpens nur bet Landsleuten kaufen, fo erleidet der Antwerpener Kleinhandel große Verluste. Dazu erringen die Deutschen alle Ehreustellen; sie sind in den Gemeinderach eingedrungen, sind Vorsitzende m der Handelskammer und geben in den alten Antwerpener Gesellschaften den Ton an. Und man mnß nur hören, mit welcher Zuversicht alle diese Leute bei amtlichen Gelegenheilen von unserer Schelde, von unserm schönen Hasen, von unserer Stadt sprechen. Sie glauben wirklich, daß das schon eingetroffen ist. Alle klarjehendeu Antwerpener kennen diese Lage, aber sie haben weder Patriotismus noch Mannhaftigkeit, gegen die planmäßige und unversöhnliche Usurpation ihres nat>o- nalen Lebens durch das deutsche Element zurückzuwirken. Tie Tausende Angestellten, die von den deutschen Freiwilligen verdrängt worden, alle ruinirtcn Kleinhändler, die in ihrem Brodverdienste bedrohten Makler, Vermitller wollen gegen das deutiche Element vorgehen, haben aber keine Macht. Und darum wird das Volk Antwerpens sich nicht vor den Wagen dec deutschen Bürgermeister Vorspannen. Dieses Auftreten ves katholisch-demokratischen Blattes ist sehr bezeichnend; es weiß, daß die deutschen Gäste bei „dem Volke Antwerpens" eine vortreffliche Aufnahme finden werden, aber es will durch Aufbauschung und schiefe Darlegung der Sachlage die breiten Schichten und unzufriedenen Elemente Antwerpens in daS katholisch-demokratische Lager hinüberlvcken und seinen in der Handelsmetropole schwachen Einfluß stärken. Das ist das wahre Ziel dieses unberechtigten gehässigen Auf tretens, das aber den deutschen Gästen Antwerpens nicht- schaden wird. Das Ministerium hat für die deutschen Gäste einen Sonberzuz für die Fahrt nach Brüssel und einen neuen Postdampfer für einen Ausflug auf der Schelde zur Verfügung gestellt. In Nom und anderen italienischen Städten, so in Turin und Savona, ist eS am Montag zu Demonstra tionen gegen die höhere Einschätzung der Steuerpflichtigen zur Einkommensteuer, die, wie gemeldet, in Rom zu blutigen Excessen auSarteten, gekommen. Die Erregung gegen die FiscuSbeamten bestand schon seit längerer Zeit, weil diese nach einer Periode angenehmen Schlendrians auf Anordnung ces Finanzministers, um ein bedeutenderes Steuercrträgmß zu erzielen, bei den Veranlagungen mit größerer Strenge vorgingen. Die Maßnahme richtete sich ursprünglich na mentlich gegen die großen Advocate» und sonstigen reichen Leute, namentlich Speculanten, die bisher nicht genügend zur Steuer herangezogen wurden oder nahezu völlig steuerfrei waren. Doch wurden iu Folge der Ungeschicklichkeit und des allzu rigorosen Vorgehens der Sleuerbeamten durch die höhere Einschätzung auch viele kleine Kausleutc hart getroffen, und so kam es denn, daß schon vor einigen Wochen zahlreiche Kaufhäuser und gewerbliche Firmen drohten, ins Ausland auszuwandern, und daß Bittschriften mit Tausenden von Unterschriften in Umlauf gesetzt wurden, um gegen daS Vorgehen deS FiScuS Beschwerde zu führen. Diese Beschwerden hatten keinenlei Erfolg, und so schritt man zu dem in romanischen Ländern beliebten Mittel der Straßendemonstrativn, die aber in Folge socialisttfcher und anarchistischer Einmengung in einer Weise ausartetc, die nicht in der Absicht der Veranstalter lag. Immerhin mag die Regierung aus dem bedenklichen Vvrkommniß die Mahnung entnehmen, daß es höchste Zeit ist, mit dem crassesten Uebelständea der inneren Verwaltung aufzu räumen. Hier herrscht eine geradezu orientalische Willkür der Beamtenschaft, die, gepaart mit Unredlichkeit, sich nament lich auf dem Gebiete der Steuererhebung allmählich zu einer Calamität schlimmster Art ausgewachsen hat. Wenn nicht, wenigsteus annähernd, bei der Vertheilung der Staatölasten mit gleichem Maße geniessen wird, d. h. mit anderen Worten, wenn es nicht zur Einführung einer gerechten fort schreitenden Einkommensteuer mit Selbsteinschätzung wie in Deutschland kommt, so werden die Steuercrawalle in Italien kein Ende nehmen. Die weitere unerläßliche Bedingung freilich ist die, daß nicht Unsummen in die Taschen der Be amten verschwinden, statt dem Fiscus zugeführt zu werden. Dem „Correo" sind mit der letzten Post Briefe aus Manila zugegangen, die besagen, daß der Aufstand aus den Philippinen in latenter Form fortbauere, und daß man Götzendienst. 32j Roman in zwei Theilen von Wo Id ein ar Urban. Nachdruck verboten. „Selbstverständlich; aber es ist doch weniger selbst verständlich, ob Sie überhaupt die Eigenschaft besitzen, mir für angethane Beleidigungen Genugthuung gewähren zu können und wenn ich auch " Der Maler wurde ungeduldig. Er war nicht hierher gekommen, um fügliche Ehrbegriffe mit dem Grafen Victor zu besprechen. „Herr Graf", unterbrach er ihn nun seinerseits mit starker Stimme und entschiedener Betonung, „diese Unter suchungen können Sie wohl auch für sich allein führen. Ob Sie mich für satisfactionsfähig halten wollen oder nicht, ist lediglich Ihre Sache. Ich aber habe hier Wichtigeres zu thun. Ich bin hier, um Sie aufzufordern, Ihre Be ziehungen zu Fräulein Felicia de Melida zu lösen." „Das ist nur eine neue Beleidigung —" „Sagen Sie ja oder nein, so sind wir fertig." „Was befugt Sie denn, mir solche tolle Zumuthungen zu sirAen?" 1 „Das ist meine Sache, Herr Graf. Ich wünsche zu wissen, ob Sie meiner Aufforderung nachkommen wollen oder Vicht." Gvaf Victor sah ihn zornig von oben bis unten an. Er hätte Niemals geglaubt, daß ein Mann wie Hartwig, ein armer »Teufel von Maler, der arbeitet, damit er essen kann, den ReVpect, den er ihm schuldete, so weit vergeßen konnte, um eimr solche Sprache zu führen. Eigentlich hätte er auf diese BPorte hin die Reitpeitsche nehmen oder ihm vom Diener d.'ie THUre zeigen laßen sollen. DaS wäre die richtige Antwort gewesen. Aber sei es, daß Gras Victor ein inneres Bedürfnis hatte, dem seelischen Zustand deS Malers, der sich offenb ir in einer großen Aufregung befand, Rechnung zu tragen, c 'der sei es, weil er es für praktisch hielt, zu er fahren, ob H. nrtwig den Brief Camillas wirklich besitze und bei sich trage »'Md was er thun wurde, wenn Graf Victor seine Frage beantworten würde — und diese Antwort konnte nur in einem kurzen entschiedenen Nein bestehen — kurz, Graf Victor gefiel sich darin, den Auftritt ironisch auf- zufaffen. Er lächelte, als ob er von der Scene höchlichst be lustigt wäre, und setzte sich in einem Anfall von gefälliger Duldsamkeit in einen Seßel, indem er ruhig und gemüthlich sagte: „Gut! Nehmen wir mal — des Spaßes wegen — an, Sie hätten rin Jntereße an Fräulein Felicia oder an ihrem Wohlergehen. Glauben Sie wirklich, Herr Hartwig, daß Sie das fördern können in der Weise, wie Sie das be lieben? Glauben Sie wirklich, ich, als Edelmann, könnte auf eine solche Frage und auf eine in dieser Weise gestellte Frage eine Antwort geben? Ah, das kann ja der stärkste Mann nicht glauben." „Sie verweigern die Antwort, Herr Graf?" „Natürlich, ich muß sie verweigern und muß sie so lange verweigern, als sie in dieser schroffen, ungerechtfertigten Art, wie Sie belieben, gefordert wird und Sie mir nicht sagen, was Sie eigentlich zu einer solchen Frage berechtigt? Was geht Sie die ganze Geschichte an?" Das war ja an sich nicht ganz unrichtig. Selbst Hartwig mußte sich sagen, daß er zu schroff, zu hitzig gewesen war, wenngleich er durch das ablehnende und vornehme Wesen des Grafen Victor dazu provocirt worden war. Wenn er etwas erreichen wollte, wenn er Felicia wirklich einen Dienst leisten und nicht blos bramarbasiren und randaliren wollte, so mußte er geschickter zu Werke gehen. Hartwig war viel zu innerlich, viel zu aufrichtig gegen sich und Andere, als daß er das nicht hätte einsehen sollen. „Ich habe Ihnen doch schon brieflich mitgetheilt, Herr Graf", erwiderte er nach einer kleinen Pause, „daß ich den letzten Brief Camillas an Sie, den Sie in der Stunde ihres Todes, und sozusagen mit ihrem Blut, jedenfalls in der letzten Noth ihrer Seele und deshalb wahrhaftig und treu geschrieben, gelesen habe " „Ich weiß von keinem solchen Brief", unterbrach ihn Graf Victor kurz. „Sie wißen von keinem solchen Briefe, Herr Graf?" fragte der Maler aufs Höchste überrascht. „Nein, laßen Sie ihn sehen, wenn Sie, wie Sie vor geben, ihn besitzen. Zeigen Sie ihn, damit ich sehe, was daran ist." „Nun, ich will Ihnen sagen, Herr Graf, was daran ist. Es geht aus dem Briefe, den Sie gelesen haben müssen, hervor, daß Sie mit Camilla gespielt, sie verrathen, verlaßen in ihrer höchsten Noth, sie in den Tod getrieben haben, um um " „Es ist schon gut. Ich weiß, was Sie sagen wollen und es ist gar nicht nothwendig, Herr Hartwig, daß Sie Beleidigung auf Beleidigung häufen. Wir werden das später ausmachen. Vorläufig handelt es sich um den Brief. Wenn ich von der Existenz eines solchen Briefes nichts weiß, daß Sie das Opfer einer Fälschung, einer Mystifikation geworden sind, die vielleicht Fräulein Manon — Gott weiß, aus welcher Ursache und zu welchem Zwecke — vorgenommen hat, was werden Sie dann sagen. Werden Sie mir dann den Brief immer noch nicht zeigen?" Der Maler sah ihn mißtrauisch an, aber Graf Victor beachtete ihn gar nicht. Er saß in seinem Seßel, spielte mit den Anhängseln seinerUhrkette und schien ganz uninteressirt. Nach einer kleinen Pause richtete er den Kopf plötzlich in die Höhe und fragte scharf: „Wie?" »Ich sagte nichts, Herr Graf." „Ah so. Aber Sie sollten doch eigentlich etwas sagen. Ich warte darauf, daß Sie mich über diesen Punct auf klären. Ich habe ja noch mehr Briefe von Camilla. Es wird leicht sein, sich durch Vergleichung der Handschriften zu überzeugen, ob der Brief, den Sie zu besitzen vorgeben, oder doch wenigstens gelesen haben wollen, echt oder falsch ist. Ich kenne Ihre Beziehungen zu Fräulein Manon nicht, auch die zu Fräulein Camilla nicht, aber es ist wohl ein Fall denkbar, in dem Fräulein Manon zur Herstellung eines solchen Falsificates veranlaßt gewesen sein könnte. Meinen Sie nicht?" „Ich weiß es nicht." „Nun also. Der Fall ist möglich, wie Sie eben selbst einräumen. Haben Sie den Brief nicht hier?" „O doch!" „So!" machte Graf Victor rasch, „also zeigen Sie ihn, wenn Sie wollen, und ich zeige Ihnen die meinen. Sie werden sich dann selbst eine Ansicht von den Vorgängen machen können, während Sie jetzt noch, wie ich auch, im Dunkeln tappen." Der Maler überlegte. Was konnte für eine Gefahr dabei sein, wenn er den Brief hervorzog? Durfte er dem Grafen Victor eine Ueberraschung, eine Infamie zu ¬ trauen? Der Brief war an ihn gerichtet. Er hatte ein Recht darauf. Wenn er durch irgendeine rasche Bewegung, durch einen Handstreich in seinen Besitz überging, so konnte keine Macht der Erde ihn wieder zwingen, ihn her auszugeben. „Es könnte noch davon die Rede sein", fuhr Graf Victor leichthin fort, „was Sie eigentlich für ein Mandat, für eine Autorisation haben, sich dergestalt in die Angelegenheiten Fräulein Felicia's zu mischen, aber ich will darauf gar nicht eingehen, wenn Sie mir die Hand bieten, der Jntrigue auf die Spur zu kommen, dadurch, daß Sie mir durch Vorweis ermöglichen, den Brief auf seine Echtheit hin zu prüfen." „Ich muß es Ihnen überlassen, Herr Graf", versetzte Herr Hartwig nach einer nachdenklichen Pause, „sich über die Art meiner Autorisation, in dieser Sache zu handeln, Ihre Ideen zu machen. Ich kann mich nicht entschließen, Ihnen den Brief zu überlaßen oder auch nur zu zeigen und ziehe vor, ihn durch Herrn de Melida eventuell selbst auf seine Echtheit hin prüfen zu lassen." „Herr de Melida hat mit der Sache gar nichts zu thun." „Das wird sich finden. Es handelt sich um seine Tochter. Ich komme vielmehr auf meine erste Frage zurück, ob Sie gewillt sind, Ihre Beziehungen zu Fräulein Felicia aufzugeben oder nicht." „Und wenn ich mich weigere, Ihnen eine Antwort da rauf zu geben?" Herr Hartwig nahm seinen Hut und wandte sich zum Gehen. „So habe ich hier nichts mehr zu thun." Graf Victor duckte sich in seinem Seßel etwas nieder und schoß einen giftigen Blick hinter dem Fortgehenden, der ihm jetzt den Rücken zugekrhrt hatte, her. Es war ihm, als ob er sich auf ihn werfen, ihn mit Gewalt zwingen solle, den Brief, der doch sein Eigenthum war. herauizug'eben und wenn es auch auf einen derben Griff ankommen solle. Aber das Unsichere dieses Unternehmen- schien ihn abzuhalten. „Noch eins, Herr Hartwig", rief er dann. Der Maler wandte sich um und fragte ruhig: - „Was noch, Herr Graf?"
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