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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.10.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-10-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971015024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897101502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897101502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-10
- Tag1897-10-15
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Reklamen unter dem RedactionSstrich (4 g» fpalten) 50/4, vor den Familieniiachricht« <6gespalten) 40/4. Gröbere Schriften laut unserem Preis» verzeichnib. Tabellarischer und ZiffernsaP nach höherem Tarif. Extra-Vellagen (gefalzt), nur mit d« Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderuns ^tz 60.—, mit Postbeförderuag 70.—» ' Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Riorge n-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein» halb« Stunde früher. Anzeiger« find stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von S. Polz in Leipzig 91. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 15. Oktober. Man sollte meinen, daß Diejenigen, die eine Verstärkung unserer Flotte für nothwendig halten, keine Veranlassung hätten, die ohnehin schwierige Stellung der Regierung den zahlreichen Gegnern gegenüber noch durch ungerechte Vor würfe zu erschweren. Ta- thut das führende Organ deS Bundes der Landwirthe, die „Deutsche Tageszeitung", indem sie der Regierung vorwirft, sie thue nicht genug, um das Volk über die Nothwendiakeit der Bewilligung größerer Mittel für die Flotte aufzuklaren. Die- wäre doch der einzige Weg, den die Regierung nach der vorjährigen Ab lehnung der Forderungen noch gehen könnte. Wir wissen nicht, wie die „Dtsch. Tageszeitung" sich die Belehrung deS Volkes durch die Negierung denkt. Die Regierung kann den jenigen Tbeil der Presse, der ihr „weißes Papier" zur Ver fügung stellt, Artikel liefern, mit denen dieses Papier gefüllt wird, und sie kann solche Blätter, auf die sie zwar keinen Einfluß besitzt, die aber aus sachlichen Gründen der Ver stärkung unserer Marine geneigt sind, durch Ertheilung von Informationen unterstütze». Zn dieser Beziehung thut die Regierung, was sie thun kann; manchem Leser ist deS Guten bereits zu viel geworden. Am besten wird aber die Negierung für die Aufklärung deS Volkes dadurch wirken können, daß sie ihre Forderungen im Reichstage überzeugend begründet; denn in einer auf diese Begründung sich stützenden umfassenden Preßtbätigkeit zwischen der nächsten Reichstagssessiou und den Neuwahlen wird die Hauptaufgabe in Bezug auf die Aufklärung deS Volkes über die Notbwcndigkeit der Ver mehrung der Flotte liegen. Ob die Regierung der ihr im Reichstage erwachsenden Aufgabe gerecht werden wird, wird man billiger Weise der Zukunft überlassen müssen. Jeden falls ist eS verfrüht, ihr jetzt schon vorzuwerfen, daß sie nickt genug thue. Wenn die „Deutsche Tageszeitung" der angeblichen Unthätigkeit der Regierung das Motiv unter schiebt, daß eS ihr an Gründen, die überzeugend wirken könnten, gebreche, so hätten wir eine solche Unterstellung eher in der „Freisinnigen Ztg." vermuthet, als in einem sich national geberdenden Blatte. Unwillkürlich fühlt man sich zu der Frage veranlaßt, welche Absicht dem plötzlichen und unmoti- virlen Angriffe zu Grunde liege. Soll die Regierung in die Furcht versetzt werden, daß ihr die Hilfe der der „Deutschen Taaeszta." nahe stehenden Partei versagt werden könnte? Uno soll sie dadurch den agrarischen Forderungen dieser Partei gefügig gemacht werden? Ein solcher Versuch würde schon darum mißglücken müssen, weil die Regierung sich sagen muß, daß, wenn sie die Marineforderungen zum Gegenstand eines Handelsgeschäfts mit den agrarischen Gruppen des Reichstages machen wollte, andere gegenwärtig den Marine- Forderungen freundlich gegcnüberstehende Gruppen abge- stoßen werden würden. Oder soll der Angriff dazu dienen, an der höchsten Stelle den Eindruck hervorzurufen, daß die Männer der gegenwärtigen Regierung nicht genügenden Eifer entwickelten? Zu diesem Verdachte führt beinahe der in demselben Artikel der Regierung gemachte leise Vor wurf, daß sie nicht schon bei der Ablehnung der Marine sorderungen in diesem Frühjahr zurückgetrelen sei. Es mag sein, daß gewissen Kreisen der Wechsel in der höchsten Beamtenstelle des Reiches nicht so rasch eintrilt, als sie es gewünscht und gehofft hatten. Wir hoffen aber unsererseits, der Kaiser werde gerade darüber unterrichtet sein, daß die Aussichten der Marineforderungen in keiner Weise gebessert werden könnten, wenn ein Wechsel der Person des Reichs- kanrlerS einträte, und am allerwenigsten, wenn der Wechsel nach dem Herzen der „Deutschen TageSztg." auSfiele. Die Ankündigung, daß in der nächsten Session des preußischen Abgeordnetenhauses aus der Mitte der nationalliberalen Fraction als Antwort auf den päpst lichen CanisiuSerlaß ein Antrag auf Aufhebung der preußischen Gesandtschaft beim Vatikan in Aussicht stehe, hat begreiflickerweise den Beifall der „Köln. Ztg", die bei den nächsten Reichstagswahlen Nationalliberale und Centrum gemeinsam gegen die „ostelbischcn Junker" zu Felde ziehen sehen möchte, nicht gefunden. Aber gerade deshalb, weil die „Köln. Ztg." ein solches Zusammengehen befürwortet, hält die freiconservative „Post", obgleich sie im Allgemeinen das scharfe Aufeinanderplatzen confessioneller Gegensätze nicht für wünschenSwerth hält, die Ankündigung eines derartigen nationalliberalen Antrags für zweckmäßig, „da er in erwünschter Weise zur Klärung der Lage beiträgt. Aus dieser Auslassung läßt sich zwar noch nicht schließen, daß die Freiconservativen den Antrag unterstützen werden, wohl aber, daß sie seiner Durch- bcralhung nicht widerstreben werden. WaS die national liberale Fraction des preußischen Abgeordnetenhauses selbst betrifft, so scheint sie den Antrag zu einem solchen der Fraction machen zu wollen. Wenigstens erklärt heute die „N.-L.-C", die Ankündigung habe „ins Schwarze getroffen", und fährt dann fort: „Wäre es anders, so würde sich die Aufregung nicht erklären lassen, mit welcher in spaltenlangen Artikeln beispielsweise in der „Germania" alles Mögliche durcheinander geworfen wird: Citate aus protestantischen Schriftstellern, welche der Ansicht sind, daß Luther wirklich ein „Revolutionair" sei; Drohungen gegen den Präsidenten des Oberkirchenraths; alberne Ausfälle gegen den Ab geordneten v. Eynern, auf den man als den Urheber der an- gekündigten und mit so großem Unbehagen empfundenen An regung sieht; und schließlich nationalliberale Preßstimmen, auS denen man sinnentstellend herleitet, daß ein solcher Antrag nur demonstrativen Werth haben könnte. Wir wüßten nicht, welche Partei die nächste zu einem solchen An- trag wäre, wenn nicht die nationalliberale, sobald das Verhalten des KlerikalismnS dazu nöthigt. Außerdem hat Herr v. Eynern bereits im verflossenen Winter sich das Verdienst erworben, daraus hinzuweisen, daß die Gesandtschaft beim päpstlichen Stuhle doch nicht dazu da ist, um vor jedem von Nom au- heraus gehängten „Geßlerhul" die Referenz zu machen, sondern nur so lange berechtigt ist, alS die Curie auf ein verträgliches Berhältniß zum preußischen Staate hält. Was dem gegenüber die Citate aus „pro testantischen" Schriftstellern beweisen sollen, die nun namentlich von der „Germania" scheffelweise ausgeschüttet werden, ist schwer verständlich. Ob in Rom eine Gesandtschaft bleibt oder nicht, ist doch ebensowenig eine „historische Frage", wie die Stellungnahme zum CanisiuSerlaß überhaupt. Beides, insbesondere aber das Vorgehen des Papstes, das durch die Adressirung auch an die preußischen Bischöfe sich als ein direkter Verstoß gegen die religiöse Verträglichkeit in der preußischen Bevölkerung kennzeichnet, sind als aktuelle politische Fragen politisch und nicht aus Grund vergilbter Urkunden zu be- handeln. Und wenn der Vatikan und seine Vorkämpfer dabei schlecht fahren sollten, dann mögen sie sich bei der klerikalen Presse bedanken, die den Erlaß nicht nur zu ebner gehässigen Störung des kon fessionellen Friedens verwandte, sondern auch durch ihr täppisches Zu- greisen die Sache, die sie führen wollte, verfahren hat. Aus dieser Bedrängniß heraus nationalliberale Abgeordnete persönlich an- zugreifen, weil sie allezeit dem UliramontanismuS aus die Finger gesehen, gehört zu dem System, das mit dem gedachten Anträge getroffen würde; und darum würde man es außerhalb des klerikalen Horizonts dem Abg. v. Eynern, falls von ihm, wie wir glauben, die Anregung ausgegangen ist, als Verdienst anrechnen, daß er im geeigneten Augenblick darauf hingewiesen, wo der preußische Staat, wenn es nicht anders gehen sollte, auch einmal mit Repressalien einsetzen könnte." Auf Annahmr deS Antrag- durch die beiden Häuser de» Landtags und die Regierung rechnet hiernach auch da» nationalliberale Parteiorgan nicht; eS genügt aber vorläufig auch, wenn die Regierung genöthigt wird, in demselben Sinne wie Präsident O. Barkbausen, den sie doch unmöglich deSavouiren kann, sich auszulafsen und dadurch dem römischen Stuhle anzudeuten, WaS er zu provociren im Begriffe ist. Was an dem Erlaß der österreichischen Regierung, wegen dessen sie in die Gefahr gekommen ist, in Anklage zustand versetzt zu werden, so viel Aufsehen erregte und auch den Gegenstand der Anklage bildet, ist die in letzterer enthaltene Weisung an die Regierungs-Abgeordneten, durch ein voreiliges Einschreiten bei Versammlungen e» nicht zu hindern, daß ein Redner sich ausspreche, weil nur auf diese Art der Thatbestand eines Delikts zu Tage treten könne, demnächst aber die an dem Reichsgerichte geübte Kritik, welche in den Worten deS Erlasses enthalten ist: daS k. k. Reichsgericht habe in einem Erkenntniß der „allerdings nicht unbe denklichen" Anschauung Ausdruck gegeben, daß die von einem zu Recht bestehenden Vereine vorgenommenen Acte ihm nicht mehr als Ausschreitungen seines rechtlichen Wirkungs kreises zur Last gelegt und als Gründe zur Auflösung desselben geltend gemacht werden können, wenn diese Acte im Bei sein und ohne Inhibition des Regierungs-CommissarS vorgenommen werden. Diese Instruction im Zusammen halte mit dem reichsgerichtlichen Erkenntnisse konnte nicht anders aufgesaßt werden und wurde auch nicht anders auf gefaßt, als daß es der Zweck deS Erlasses sei, so viele Ver- sammlungSredner als möglich wegen strafrechtlich verfolgbarer Handlungen vor Gericht zu stellen, zu verhüten, daß etwa durch das vorzeitige Eingreifen der Regierungs- Commissare der Anlaß zur Verfolgung entschlüpfe und daß auf die reichsgerichtliche Entscheidung, die der Erlaß als „nicht unbedenklich" sligmatisirt, nur deshalb aufmerksam gemacht wurde, damit die Commissare, nachdem der gesuchte Thatbestand eines Delikts gefunden ist, nicht etwa die Gelegenheit zu einem politischen Proceß versäumen, indem sie es unterlassen, den Thatbestand sofort durch ihren Einspruch festzulegen. Der Erlaß ist bekanntlich durch einen Bertrauens- vruch Public geworden und der Ministerpräsident Graf Badeni bat daher leichtes Spiel, sich weißzuwaschen. Nach seinen Ausführungen hätte nämlich der Erlaß keineswegs die Ent scheidung des Reichsgerichts als nicht unbedenklich charakteristrt, sondern die Unterlassung der sofortigen Feststellung deS Deliktes als bedenklich bezeichnet, weil daS Reichsgericht ein mal in dem angegebenen Sinne entschieden habe. Wäre dies richtig, so bliebe freilich unerklärt, warum der Minister präsident den Anklageact in diesem wesentlichen Puncte nicht direct als unrichtig bezeichnet und dies nicht durch Vorlegung des amtlichen Wortlautes, um welche er angegangen wurde, bewiesen hat. So lange er dem Abgeordnetenhaus! den authentischen Text vorenthält, bleibt ter schwere Verdacht bestehen, baß die Negierung den un möglich zu billigenden Versuch gemacht hat, die politischen Behörden in einen Gegensatz zu der hohen richterlichen Instanz zu bringen, welche in zweifelhaften Fällen berufen ist, ihnen die Richtschnur zu geben. Im Uebrigen, sagt Graf Badeni, ist der Erlaß völlig falsch ausgelegt worden, denn die Weisung, die Versammlungsredner nicht voreilig zu unterbrechen, habe nicht den Zweck gehabt, die Armen „schuldig werden zu lassen", sondern ganz im Gegentheil, den Klagen über unnöthige Unterbrechungen der Redner durch die Regierungscommissare zu begegnen. Das ist indessen offenbar nur eine Ausrede, denn nicht nur daß der Erlaß sich selbst mit der Nothwendigkeit eines „energischeren" Vorgehens bei der Handhabung des Ueberwachungsrechtes rechtfertigt, beißt eS im Erlaß ausdrücklich: „weil nur auf diese Art der Thatbestand eines Delikts zu Tage treten kann". Also, ent weder ist der veröffentlichte Text oder der vom Grafen Badeni in« Feld geführte falsch. Klarheit kann, wie gesagt, nur die Bekanntgabe des authentischen Urtextes in seinem Wortlaut geben, und wie die Dinge liegen, ist die öffentliche Meinung in Oesterreich wohl berechtigt, dieselbe zu verlangen. Das Gesetz, welches in Ungarn die ConfessionS- losi gleit gestattet, lieferte nach einjährigem Bestände (bis Ende 1896) in Bezug auf das religiöse Leben des ungarischen Volkes eine Reihe interessanter Ergebnisse. Vor Allem zeigt eS sich, daß die Anzahl der Confessionslosen sich durchaus nicht auf Hunderltausende beläuft, wie man dies von antiliberaler Seite glauben macken wollte. Im Jahre 1896 meldeten insgesammt 3990 Individuen ihren Austritt aus einer Consession an. Prüft man diese Hauptsumme in ihren Details, so ist das Resultat dem liberalen Standpuncte noch auffallender günstig. Es findet sich, daß die CoiifessionSlosigkeit in den großen Städten viel weniger verbreitet ist, als auf dem flachen Lande. Auf die Stadt- municipien entfallen nur 446 Ausgetretene, hiervon auf die kernmagyarische Bauernstadt Hüdmezö Vüsärhely allein 227. In der Hauptstadt Pest, die von gewisser Seite als „Hauptherd der Jrrelegiosität" verschrieen wird, fanden sich nur 58 Individuen, welche keiner Confession an gehören wollen. Am stärksten zeigt sich die Bewegung in dem rein ungarischen Comitate BäcS-Bodrog, dessen einer Bezirk (Topolya) allein 583 Confessionslose zählt. Ueber- haupt recrutiren sich dieselben am zahlreichsten aus Gegenden mit fast ungemischt magyarischer Bevölkerung. Von den 3990 Confessionslosen entfallen 3000 auf die Secte der Nazarener, mehr als 500 auf die Baptisten. Diese Con- fessionsüberdrüssigen sind zumeist Leute, welche vor Jahren oder Jahrzehnten, infolge Reibereien mit ihrem Seelsorger, aus den betreffenden Confessionen austraten und — da der ConfessionSzwang bestand — den bequemsten und „wohlfeilsten" Glauben: zenen der Nazarener oder Baptisten annahmcn. Jetzt traten sie aus und erklärten sich als konfessionslos. Von allen Ausgetretenen gehörte einst fast die Hälfte (1590) der reformirten (Calviner-) Kirche an; römisch-katholisch waren 923, evangelisch 755, griechisch-orientalisch 713, griechisch-katholisch 27, Juden 28. Von den Unitariern trat kein einziger aus. Interessant ist auch, daß sich mehr Frauen für confeisionsloS erklärten als Männer (2181—1809) und daß als Grund ihres Austrittes nur 200—300 ihren Ent schluß anfübrten, keine Kirchensteuer mehr bezahlen zu wollen. Die Religionslosigkeit war früher nicht geringer, und sie ist jetzt nicht größer als vor Einführung der neuen Ordnung. Gestern Abend fand das von den Spitzen der Pariser Handelswelt zu Ehren de- Präsidenten Faure ans Anlaß seiner Rückkehr auS Rußland veranstaltete Festmahl statt. Bei demselben waren 750 Personen anwesend. Der Präsident des Handelsgericht», Goy, brachte einen Trinkspruch auf den Präsidenten aus, in dem er an die patriotische Freude erinnerte, welche die Hauptstadt bekundet habe, als der Präsident von seiner russischen Reise zurückgekommen sei. Präsident Faure erwiderte mit einer Ansprache, in der er seiner Freude AuS- Feuilleton. Götzendienst. 34j Roman in zwei Theilen von Wo Idem ar Urban. Nachdruck »erboten. „ Graf Victor?" schrie Don Gracias wild erregt. Herr Delorme zuckte die Achseln. „Vielleicht", sagte er, „wohlthätig genug haben Sie sich ja ihm gegenüber erwiesen, aber gewiß weiß ich eS nicht. Aber gehen wir einen Schritt weiter, Excellenz, und fragen wir uns, was ist aus einer solchen Stimmung heraus für Sie zu folgern?" „Nun?" „Excellenz, daß man einmal einen schlechten oder un passenden Scherz macht, das ist eine allgemein menschliche Eigenthümlichkeit und Niemand hätte deshalb das Recht, daran besondere Folgerungen zu knüpfen. Aber Sie sind hier, um eine heilige Mission, um ein Vermächtniß Ihres Vaters zu erfüllen, um eine begangene Ungerechtigkeit wieder gut zu machen. Dazu, Excellenz, macht man keine schlechten Witze." „Nun weiter. Man macht sie doch. Was folgt nach Ihrer Ansicht daraus?" „Daraus folgt nach meiner Ansicht, Excellenz", erwiderte Herr Delorme auf die barsche Frage mit mathematischer Bestimmtheit und Festigkeit, „daß man in den maßgebenden Kreisen an Ihre Anhänglichkeit, an Ihre Verehrung Ihres Vater-, an Ihr Familiengefllhl nicht glaubt. Man sieht in Ihnen nur den eitlen Mann, der sich an den Hof drängt, um emen Orden, einen Titel zu erjagen und deshalb nennt man Sie den Erlkönig, deswegen bewirft man Sie mit Spott und Hohn! Ja, wenn Sie ein Graf oder Baron wären, der fünfzig oder noch mehr Ahnen hat, ein erlauchtes Geschlecht, und kämen hierher, um einen Ihrer Ahnen zu rehabilitiren, dann glaubt man an Ihre Innerlichkeit, an die treibende Kraft Ihrer Blutgemeinschaft, an die heilige Unantastbar keit Ihrer Familienehre, aber wegen eines obscurtn Gold gräbers, der noch nicht einmal Gold gefunden hat, deshalb glaubt hier noch Niemand daran, deswegen sind Sie noch immer der — Erlkönig!" Herr Delorme hatte erregt, zornglühend gesprochen. Er fühlte die Schmach, die seinem Gebieter angethan worden war, — vielleicht allzu lebhaft — mit, als daß er sich in seinen Aeußerungen und seinen Vermuthungen hätte weise beschränken können, und auch dem Herrn de Melida schien diese Darstellung der Sache nur zu wahr scheinlich. Weshalb hätte er in Herrn Delorme Miß trauen haben sollen? Er kannte ihn von Kindesbeinen an. Die Sache mußte doch wohl so sein, wie Herr Delorme sagte. Don Gracias war in seinem Sessel zusammengesunken, keuchte stoßweise und müde, wie ein alter Mann und erst nach einer langen Pause erwiderte er: „Nun also! Erlkönig. Und was nun? Wozu er zählen Sie mir die ganze lange traurige Geschichte? WaS kann ich daran ändern? Weshalb mir das Herz so be trüben, wenn Sie nicht einen Zweck dabei haben?" „Excellenz, Sie werden nicht von mir denken, daß ich Ihnen einen so herben Schmerz zwecklos bereite", erwiderte Herr Delorme. „Nun, fahren Sie also fort. Lassen Sie mich nicht um jedes Wort bitten!" „Ich war in diesen Tagen auf der Reichsbank, um frisches Geld zu holen und es an seine verschiedenen Be stimmungsorte abzuführen. Die schönen blauen und grauen Scheine, an denen so viel Wünsche und Flüche hängen! Auf dem Rückwege hörte ich, welches Ungemach die Fa ¬ milie Hartwig getroffen und was besonders Ihrem Vetter Leopold begegnet war und ich tonnte mich nicht des Ge dankens enthalten, wie leicht dem armen Teufel mit dem hundertsten, mit dem tausendsten Theile von dem geholfen gewesen wäre, was ich im Begriffe war, auf Ihr Geheiß dem Nähverein der alten LüderS, dem Neffen des Herrn von Zossen und anderen Ihnen ganz unbekannten Leuten zu übersenden." „Wie?" fuhr Don Gracias auf, „er hat einen Raub anfall auf seinen Vater gemacht, ist ein unverbesserlicher Trunkenbold und ihm wollen Sie das Wort reden?" „Nicht ihm, aber seinem Schicksal und seiner Familie! Ihm thut nicht Geld, sondern Arbeit noth. Für solche Burschen haben wir in Tucuman und in den Salz steppen der Pampas wohl Gelegenheit, ihm beizubringen, waS eS mit der Existenz eine- Mannes und einer Familie auf sich hat. Dort kann er mit Hacke und Spaten im Sonnenbrand wett machen, was er hier versäumt, dort kann er auch anfangen, wo wir angefangen haben. Aber der Mann hat Familie, Sie kennen sie nur zum Theil. Fräu lein Hartwig, die Sie kennen, hat noch zwei kleine Ge schwister, die der Schule, der Erziehung bedürftig sind, eine kranke Frau, die Pflege braucht." „Nun, Sie brauchen mir nur Vorschläge zu machen, Herr Delorme, ich will für Alles sorgen." „Das ist's eben, Excellenz, was mich erstaunt hat. Bei Ihrer eigenen Familie warten Sie auf meine Vorschläge, bei Anderen geben Sie mit vollen Händen, was sie begehren, das ist's eben, worauf ich Sie aufmerksam machen möchte, das ist der Zweck meiner Erörterungen. Ich fürchte, Sie haben einen schlechten Tausch gemacht, sich von Ihren Ver wandten ab und Anderen zuzuwenden, die Sie zum Danke dafür den „Erlkönig" nennen. Leopold Hartwig säße nicht wegen Raubanfalles im Loch, zur Schmach und Schande seiner ganzen Familie, wenn Sie nicht der „Erlkönig" ge worden wären zum Gespött von Leuten, die Sie nichts an gehen und die Sie nicht verstehen, Kummer und Elend wäre Ihrer Familie erspart geblieben, wenn Sie nicht in den Gräbern Ihren Trost gesucht hätten, sondern im Leben." Es war finster im Zimmer geworden, so daß Herr Delorme die Gesichtszllge des Herrn de Melida nicht mehr unterscheiden konnte. War es sonst schon schwer, die innere Erregung Don Gracias' von seinen Mienen abzulesen, so war das jetzt ganz unmöglich, weil man sie eben nicht mehr unterscheiden konnte. Nur an den tiefen, stoßweisen Athem- zllgen seines Gebieters hörte er, daß seine Worte nicht ohne Erfolg gewesen waren. Ein Diener trat ein und brachte eine Lampe, die er auf den Tisch stellte. In der Erwartung, daß sich der Diener wieder entfernen würde, schwiegen die beiden Herren, aber der Diener blieb im Zimmer stehen und sagte schüchtern: „Excellenz —" „Was giebt's?" unterbrach ihn Herr de Melida unwirsch. „Herr Graf Victor zu Kreuz bittet um die Ehre einer Unterredung. „Jetzt?" „Euer Excellenz zu dienen, ja." Don Gracias stand auf, durch seine Bewegungen ging eine ungewöhnliche Hast und Erregung. „Es ist gut. Lassen Sie ihn eintreten." Der Diener ging. „Excellenz —", begann Herr Delorme wieder. Rasch schritt Don Gracias auf seinen Secretair zu, nahm ihn bei der Hand und sagte schnell: „Ich danke Ihnen, lieber Delorme. Sie haben sich wie der als Freund und treuer Berather erwiesen. Ihre Worte sind nicht vergebens gewesen. Jetzt aber lassen Sie mich allein mit diesem Gräschen. Ich möchte doch mit dem kleinen Herrn ein echt amerikanisches Wort reden." „Wie Sie befehlen, Excellenz", erwiderte Delorme und zog sich mit einer respectvollen Verbeugung zurück. „Und mit dem Gesuch bleibt's beim Alten, Herr Delorme!" rief ihm Don Gracias nach. Mit einer neuen Verbeugung ging Herr Delorme ab. Gleich darauf trat Graf Victor ein. Er war etwas bleich und erregt, seine Züge drückten aber gleichwohl eine gewisse Festigkeit und Entschlossenheit aus. „Excellenz, ich muß fürchten, zu einer etwas ungünstigen Stunde zu kommen", begann er. „Weshalb?" fragte Don Gracias ruhig. „Darf ich offen sein, Herr de Melida?" „Gewiß. Ich habe nichts Anderes von Ihnen erwartet." „Nun denn, Sie haben eben zwei Besucher empfangen, die mir nicht wenig Gutes und viel Schlimmes nachgesagt haben " „Das stimmt nur bei Einem. Bei dem Anderen wurde von Ihnen gar nicht gesprochen, Herr Graf. Und was die Mittheilungen des Herrn Hartwig anbelangen, auf die Sie wohl anspielen, so hoffe ich, Sie können dieselben entkräften." „Ich bin dazu hier, Excellenz. Herr Hartwig wird Ihnen bezüglich meiner Beziehungen zu Fräulein Eamilla de Courcellcs, die stets die harmlosesten gewesen, und von ihrem Tode, der ein Unglück war, eine lange Geschichte er zählt haben." O nein, eine ganz kurze. Er gab mir einen Brief, den Fräulein de Courcelles angeblich vor ihrem Tode geschrieben haben soll." „Ah, also doch. Und halten Sie den Brief für echt?"
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