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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.10.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-10-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971016015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897101601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897101601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-10
- Tag1897-10-16
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Viel ist eS freilich nicht, was man auS ihr erfährt; die Ver handlungen der BunVeSrathSauSschüsse sind geheim und über diese» Stadium ist die Angelegenheit, wie nun leider wiever bestätigt wird, immer noch nicht hinausgekommen; außerdem ist der Entwurf der Militair-Strafproceßordnung aus drücklich als „geheim" bezeichnet worden, waS ja an und für sich nicht zu verwundern ist. So konnte der Minister weder über „das bei den bisherigen Ver handlungen Erreichte" noch „über die in der Schwebe befindlichen Punkte", noch auch über den ursprünglichen Inhalt des. Entwurfs Aufschluß geben, sondern mußte sich darauf beschränken, einige Mitteilungen über die bisherige und die künftige Haltung der bayerischen Regierung zu machen. Und auch da war nicht viel Neues zu sagen. Daß die bayerische Regierung im Sinne des Landtagsabschiedes vom Jahre 1892 die in der bisherigen bayerischen Militair- GerichtSverfassung und Militair-Strafproceßordnnng enthal tenen Grundsätze, insbesondere die der Mündlichkeit und Oeffent- lichkeit deS Hauptverfahrens, sowie die wesenllicksten Züge ihrer bisherigen GerichtSorganisativn mit Nachdruck vertreten würde, galt immer als selbstverständlich, und baß sie das vermeintlich bedrohte Reservatrecht energisch zu verteidigen entschlossen sei, war nach den mancherlei Andeutungen der letzten Zeit auch nicht mehr zu bezweifeln. Immerhin ist es interessant, nunmehr authentisch bestätigt zu sehen, daß man in München die Errichtung eines gemeinschaftlichen Obersten MilitairgerichtShofe« — denn etwas Anderes kann der Minister nicht Wohl im Auge haben — als eine Verletzung deS bayerischen Reservatrechts ansiebt, sie bisher unter diesem Gesichtspunkt bekämpft hat, ihr auch fernerhin „mit Festigkeit" widerstreben wird und keinen Anlaß zu irgend einer „Be unruhigung" zu haben glaubt. Außer den eingefleischten bayerischen Particularisten theilen nun freilich die Ansicht der bayerischen Regierung, daß die Errichtung eines gemeinschaftlichen obersten MilitairgerichtS- hoseS die bayerischen Reservatrechte verletzen würde, nur sehr wenige beachtenswerthe Politiker. Selbst die „Münchener N. N." geben zu, daß verfassungsmäßig ein Reservatrecht Bayern», nach welchem es einen eigenen obersten Gerichtshof verlangen dürfte, nicht vorbanden sei. Und die „Hamb. Nachr.", daS Blatt, das bekanntlich mit dem berufensten Interpreten der NeichSverfassung in enger Fühlung steht, fuhrt im gleichen Sinne aus: „Zur Verhütung des Platzgreifens von irrigen Anschauungen in der öffentlichen Meinung ist darauf hinzuweisen, daß Bayern, rein juristisch betrachtet, sich der Einführung einer gemeinsamen Militairstrafproceßordnung für das ganze Reich, also auch in Bayern, auf Grund eines Reservatrechts nicht widersetzen kann. Ein solches Recht existirt nicht. Die Deduktion, daß die bayerische Militairgerichtsbarkeit als Bestandtheil der bayerischen Militairhoheit ohne Zustimmung des Königs von Bayern auf dem Wege der Reichs gesetzgebung nicht geändert werden könnte, übersieht, daß in den angezogenen Paragraphen des Versailler Vertrags gesagt ist: „Bayern behält z u n ä ch st seine Militairgesetzqebung ... bis zur verfassungsmäßigen Beschlußfassung über die der Bundesgesetzgebung anheimfallenden Materien." Dazu gekört aber nach Ziffer 14 des Art. 4 der NeichSverfassung da- gesammte Militairwesen des Reiches. Wenn also auf dem Wege der Reichsgesetzgebung, durch Bundesrath und Reichstag, die im Versailler Vertrage vorgesehene verfassungsmäßige Beschlußfassung erfolgt, so ist der bayerische Anspruch aus eigene Militairgerichts barkeit als erloschen zu betrachten. Die Bestimmung des Art. 78 Abs. 2 der R.-B. kommt hier nicht in Betracht, weil keine „Be rechtigung" Bayerns der Gcsammtheit gegenüber vorliegt, sondern nur eine einstweilige Vergünstigung, in Bezug ans welche die Be dingung ihres Erlöschens in dem betreffenden Paragraphen selbst stipulirt ist." Der Preuße v. Massow ist allerdings anderer Meinung; er führt in einem längeren Artikel der „Tägl. Rundsch." auS: „Eine schwierigere Frage ist es, ob es sich empfiehlt, militair- gerichtliche Entscheidungen zuzulassen, die in völliger Loslösung von der Commandogewalt erfolgen. Wie eS heißt, weigert sich Bayern bisher, einen gemeinsamen obersten Militairgerichtshof für das ganze Reich anzuerkennen; denn es würde dadurch in die merkwürdige Lage kommen, daß es Entscheidungen einer militairischen Behörde annehmen müßte, die nur im Namen des deutschen Kaisers ihre Functionen ausüben könnte, der Kaiser aber hat im Frieden gar keine Commando gewalt über das bayerische Heer. Tie bayerische Forderung eines eigenen obersten Militairgerichtshoss ist, so eigenthümlich sie manchen Freunden der Reichseinbeit erscheinen mag, formell be rechtigt, und deshalb sollte man sie aus Klugheitsrücksichten respectiren." Diese Ansicht wird aber unseres Wissens nur in den schon bezeichneten bayerischen Kreisen getheilt, während die überwiegende Mehrheit deS BundeSraths der Meinung ist, daß Bayern seine Forderung auf Beibehaltung eines eigenen obersten Militairgerichtshofes auf sein Reservatrecht nicht zu gründe» vermöge. Im politischen Leben sind aber nicht die formellen Rechtsfragen die Hauptsache, sondern das Wichtigste ist die Frage, ob man das formelle Recht in die praktische Wirk lichkeit umsetzen kann. DaS ist in diesem Falle unbedingt zu verneinen. Auch die „Hamb. Nachr." verwahren sich in dem oben erwähnten Artikel ganz entschieden dagegen, daß Bayern durch Mehrheitsbeschluß gezwungen werden sollte, seinen Widerstand aufzugcben. Heute erklärt daS Blatt nochmals: „Wie wir juristisch über die Existenz eines bayerischen Reservat rechtes in Sachen der Militairgesetzgebung denken, haben wir bereits zum Ausdruck gebracht, aber wir würden es politisch nicht für nützlich halten, wenn diese Rechtsausfassung in der öffentlichen Discussion zu sehr in den Vordergrund träte. Solange noch irgendwie Aussicht ist, daß man sich materiell verständigen kann, soll man überhaupt davon Abstand nehmen, die Rechtsfrage zu erheben, weil dadurch jeder Compromiß wesentlich erschwert wird. Wenn Bayern seinen obersten Militairgerichtshof als Zeichen seiner Militairhoheit zu erhalten strebt und zu diesem Behuse den Bestand eines Reservatrechts in Anspruch nimmt, so glauben wir, daß der Schaden, der daraus entstehen kann, nicht so groß ist als der, welcher sich aus einer Bestreitung dieses Rechtes oder auch nur durch die Majorisirung Bayerns im Bundesrathe für die Reichs interessen ergeben könnte." Das ist vollständig zutreffend. Man kann Wohl in einem Bundesstaate wie Deutschland bei Gesetzen, welche die Inte ressen, aber nicht die Frage deS Rechts des einzelnen Staates berühren, durch einen Mehrheitsbeschluß den Einspruch des einzelnen Staates zum Schweigen bringen, wie z. B. Fürst Bismarck nicht im mindesten Anstand nahm, daS Tabaksmonopol vor den Reichstag zu bringen, obwohl ein erheblicher Theil der Bundesregierungen im BundeSrath da gegen gestimmt batte. Etwas ganz Anderes ist es aber, wenn ein Bundesstaat behauptet, daß mit einem Gesetze in ein ihm zustehendes Recht eingegriffen würde. Dann wird man selbst einen kleinen Bundesstaat nicht gern majorisiren wollen, geschweige denn den zweitgrößten Staat in Deutschland. Es kommt hinzu, daß die bayerische Regierung, wenn sie sich auf ihren obersten Militairgerichtshof als auf eine ibr ver fassungsmäßig gewährleistete Einrichtung versteift, Wohl einen juristischen, nickt aber einen politischen Fehler machen würde. Gerade jetzt kann die bayerische Regierung nicht gut anders handeln, als sie gehandelt hat. Diejenigen, die darauf hin zuwirken suchen, daß man den Widerstand der bayerischen Regierung drecke, sollten sich lieber an Vie Kreise wenden, deren Haltung eine Quelle dieses Widerstandes gebildet hat. Die bayerische Regierung würbe kaum einen so entschiedenen Widerstand erheben, wie sie es thut, wenn nicht im Laufe der letzten Jahre die particularistische Strömung im Lande er heblich gewachsen wäre. Inwieweit die höchste Person tut Reiche zu diesem Astwachsen des ParticulariSmuS beigetragen haben mag, sei nicht erörtert; eS sei nur kurz daran erinnert, daß die Particularisten in Bayern, wie die neulichen Debatten über die Kaisermanöver gezeigt haben, noch immer mit dem wenig glücklichen Worte: „suprema lex regis vvluntas" krebsen. Hingegen muß mit allem Nachdruck darauf hinzewiesen wer den, daß die Veränderung im Verhalten der Reichsregierung dem ParticulariSmuS reiche Nahrung gegeben hat. Es sei zugegeben, daß die Männer deS alten Regimes in Bayern nicht sämmtlich gleichmäßig geliebt wurden, aber rcspectirt wurden sie dock alle. Tie umstrittenste Persönlichkeit dieser Zeit war Wohl Fürst BiSmarck, der bei dem lebhaften Temperamente den Bayern starke Empfindungen auslöste, bei den Einen leidenschaftliche Liebe, bei den Anderen nicht minder leidenschaftlichen Haß. Aber auch diesen Anderen imponirte er. Die Regierungen jedoch, die kamen, nachdem er den schlichten Abschied erhalten hatte, konnten den Bayern nicht mehr recht imponiren, renn mit dem straffen preußischen Regimente war eS nach Bismarcks Weg gang aus. Und der ParticulariSmuS konnte sich breit machen, weil sein mächtigster Gegner nickt mehr der leitende Mann im Reiche war. Auf diese Strömung aber muß die bayerische Regierung Rücksicht nehmen, da sie sich nicht in ausgesprochenen Gegensatz zu einer Mehrheit deS Volkes und der Volksvertretung stellen kann. Sollte der Widerstand Bayerns den Gegnern der Proceß- reform einen angenehmen Vorwand geben, die Vorlage über haupt nicht anS Tageslicht treten zu lassen, so würde man daS tief bedauern müssen. Der Krone Bayerns aber.die Schuld beizumessen, wäre ungerecht und unklug zugleich, denn die „Münch. Alla. Ztg." hat nicht Unrecht, wenn sie sagt, die Stimmung in Bayern sei wahrlich nicht so rosig, daß man Anlaß habe, sie zu verschlechtern, was geschehen würde, wenn man Bayern die Schuld an dem Scheitern der Proceßreform beimessen wollte. Deutsches Reich. * Leipzig, 15. October. Auf die vom Central-Vorstand der evangelischen Stiftung des Gustav-Adolf-Vereins an den König Oskar von Schweden zu dessen Regierungs jubiläum gerichtete Huldigungsadresse ist an den Central- Vorstand unterm 11. Octobcr folgenreS Antwortschreiben der königl. Schwedisch-Norwegischen Gesandtschaft in Berlin ergangen: „Dem Eentralvorstand des evangelischen Vereins der Gustav- Adols-Stistpng beehre ich mich' hierdurch ganz ergebens! mit- 'daß Se. wklheität der König, mein allergnädigsier Herr, mit besonderer Freude die von Ihnen durch das königl. Bice- Eonsutat in Leipzig eingereichte Huldigungsschrift empfangen haben, und bin ich beauftragt worden, Ihnen Allerhöchst ihre wärmste Danksagung für die darin ausgesprochenen schönen Glück- und Segenswünsche auszudrücken. Indem ich mich dieses angenehmen Auftrags hierdurch entledige, bitte ich den Eentral-Borstand gleich zeitig, den Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung entgegen nehmen zu wollen. Graf Strömfeld, königl. Geschäftsträger." Zwei Baseler Maler. Zur vöckltn - Holbein - Feier, 16. vctober. Bon Theodor Lamprecht. Nachdruck verboten. 2. Arnold Böcklin. Arnold Böcklin wurde in einem Kaufmannshause ge boren. Um ihn herrschte die geschäftige Nüchternheit des Handelslebens. Aber mit dieser Welt hatte er nichts zu schaffen. Seine Welt waren die griechischen und römischen Lichter, die er auf dem Gymnasium mit Entzücken las, ivaren die Stimmungen, die der „ruhig fließende" Rhein in ihm weckte, waren Meister Holbein's Werke im Baseler Mu seum und endlich jener süße Zauber, der dazumal den Geist bannte — die Romantik. Er wollte Maler werden. Der Vater widersetzte sich, aber Böcklin war ebenso energischen Geistes, als er kräftig von Körper war; er setzte seinen Willen durch und zog 1846 aus, um zu suchen — ja was? Er wußte es wohl selbst nicht klar, nur das Eine wußte und fühlte er bestimmt, daß in seiner Seele etwas ihm selbst noch nicht recht Verständliches schlummere, das er entdecken müsse. Düffeldorf war nicht der Ort für diese Entdeckung und sein Lehrer Schirmer, der bekannte biblische Landschafter, konnte ihm nichts Besseres rathen, als weiter zu wandern. So ging er der modernen Malerei nach, erst nach Brüssel, dann nach Paris. Hier wurde er gerade Zeuge der Fe bruar-Revolution von 1848 und es mag wohl sein, daß die Tragödien, die er hier rings um sich sah, den letzten Rest von spießbürgerlicher Enge der Lebensauffassung, den das väterliche Kaufmannshaus und Düffeldorfs verwässerte Romantik in ihm gelassen, hinwegfegten und sein Auge mit den dämonischen Tiefen des Lebens vertraut machten, mit jenen gewaltigsten wahrsten Aeußerungen der Seele, die ihr nur die großen Erlebnisse entlocken. Doch sich selbst hatte der junge Schweizer noch nicht gefunden. So kam er 1850 nach Rom und mit einem Male ent faltete sich da seine Natur und er jauchzte: gefunden! Ihm war die heitere freie Schönheit des Südens von Anbeginn an in die Seele gepflanzt. Wir Deutsche kennen ja diesen Drang nach dem Süden sehr wohl. Er hat von der Völker wanderung an Tausende unserer Nation über die Alpen geführt. Er hat in der Entwickelung unseres größten Dichters die entscheidende Wendung veranlaßt; er hat den Charakter von Künstlern, wie Anselm Feuerbach, von Ge lehrten, Ivie Victor Hehn, bedingt. Ob unsere Geschichte ihn gebildet hat? Oder jene tiefe Sehnsucht nach Unbe kanntem, ^Hohem, Freiem, die in der deutschen VolkSart einen so Mrken und schönen Zug bildet? Oder unsere Natur, dere« ernste Stimmungen uns nach einem Lande verlangen lassen, da Alles in LebenSfülle lacht und jubelt? Vielleicht wirkt all' dies zusammen, um uns mit einem unlöslichen Band an den schönen Süden zu ketten ... In Rom trat Böcklin in einen sehr angeregten Kreis ein, dem u. A. Anselm Feuerbach und Reinhold Begas, Paul Heyse und Victor Scheffel angehörten. Mit ihnen schwärmte er in seligen Kllnstlerfahrten umher, genoß die ewige Schön heit Italiens, und er verband sich dem Lande noch inniger, indem er 1853 eine Römerin heirathete. Aeußerlich aber gings ihm schlecht. Er mußte allerlei malen, um sein Leben fristen zu können, und ging endlich nach Basel zurück, wo er mehr Glück zu haben hoffte. Auch fand sich ein hanno verscher Kunstfreund, für dessen Villa er einen Auftrag er hielt; aber die Arbeiten wurden von dem Besteller als „zu bizarr" abgelehnt. Kurz, Böcklin befand sich, als er 1856 nach München übersiedelte, in recht traurigen Umständen; und seine Noth erstieg den Gipfel, als ihm seine Kinder am Typhus erkrankten. Da endlich trat die Wendung ein. Heyse machte ihm mit dem Grafen Schack bekannt und in ihm fand Böcklin einen verständnißvollen Bewunderer und thatkräftigen För derer seiner Kunst. Schack empfahl ihn dann auch nach Weimar, wo er 1858 als Lehrer an der neubegrllndeten Kunstschule eintrat. Freilich hielt ers nicht lange in der idyllischen Enge der thüringischen Residenz aus. Aber er fand doch hier zwei Jahre Ruhe, sich zu sammeln und eine Anzahl reifer Werke — das erste Schloß am Meere und den ersten Burgbrand u. a. — zu schaffen. Sie warben für ihn langsam eine kleine Gemeinde, deren erste Bildung gleich falls auf den bedeutsamen Münchener Aufenthalt zurllckgeht. Ihn zog es nach Italien zurück. Und doch war es wohl gut, daß er wieder einige Jahre in deutschen Landen geweilt hatte; er hatte sich da von neuem an jener höchst eigenthüm- lichen Blüthe des deutschen Geistes berauscht, die wir „Ro mantik" nennen. Nichts Anderes war diese Romantik im Grunde als eine „Belebung." Statt der klassischen Größe und Feierlichkeit suchte sie nach warmem Leben. Sie suchte das Lebendige, Trauliche, Menschliche in der Geschichte und sie suchte es in der Natur. Darum liebte sie die Elfen und Nixen, die Waldmännlein und die Kobolde — volksthllm- liche Personifikationen deS Naturlebens. In diesem Sinne aber war Böcklin ganz deutscher Romantiker, ja der größte aller Romantiker. Denn die Natur war ihm Alles. Von Jugend auf hatte er für sie die stärkste Empfänglichkeit. Seine Sinne für Natureindrücke waren so geschärft, daß er jeden Anblick, den er einmal genossen, fest in seinem Gedächtniß behielt. Er liebte in der Natur, aber auch sie selbst lebte ihm. Jeder j Eindruck war für ihn zugleich eine concrete Stimmung, und diese Stimmung verdichtete sich bei ihm sofort zu Gestalten. Er sah die Natur, wie sie das Volk sieht, wie sie unser Volk r seiner Mythologie gespiegelt hat: sprechend, jauchzend, sagend, kämpfend. „Ein großes Lebendiges ist die Natur." Indem sich diese kerndeutsche Auffassung mit der schön heitsreichen italischen Seele, die dem Künstler eigen war, unzertrennlich vermählte, entstand das wundersame einzig artige Kunstphänomen, das wir Arnold Böcklin nennen; und diese Vermählung erfolgte, als Böcklin 1861 wieder nach Italien zurückgekehrt war. Hatte er sich vorher instinctiv dem Süden hingegeben, so vollzog er jetzt bewußt die Läu terung und Prägung seines Wesens und Schaffens. Man versteht hiernach, daß er mit Bildern begann, in denen die Landschaft dominirte. Tiefe Schwermuth hängt über der einsamen Villa am Meere, der Sturm fährt über sie hin, die Wellen flüstern traurig an ihrem Fuß. Nur eine kleine Figur wiederholt diese Stimmung: die Frau, die im dunklen Gewände klagend am Strande steht. So klingen auch im „Anachoreten" die schaurige Verlassenheit der Felslandschaft und die Qualen im Herzen des sich gei ßelnden Mannes zusammen. Auf der „Hochzeitsreise" lacht das beglückte Paar in eine seelig-heitere Landschaft hinein. Doch noch immer sind es Mensch en, in denen sich die Stimmungen der Natur, gewissermaßen in einem zufälligen Zusammentreffen, spiegeln. Aber Böcklin's Phantasie geht weiter, geht der Natur auf ihren heimlichsten Wegen nach und sieht sie sich mit jenem Gestalten beleben, die seit hellenischen Urzeiten ihr echtesten Kinder waren. Die drollige Ungeschlachtheit der wilden Naturkräfte wird zum unbe hilflichen klumpatschigen Centauren, das traumhafte heilige Schweigen des mittäglichen Waldes zum Traumbilde der schönen Frau, die ganz still auf dem Märchen-Einhorn durch den Wald reitet, die jauchzende Kraft des Meeres zum Tritonen, der, moralfremd, nur das volle Leben und die volle Lebensfreude kennt, die heiter blühende Flur zur lieb lichen blumrnausstreuenden Jungfrau, die verschwiegen rieselnde Quelle zur Nymphe, die einsam die weißen Glieder in das Wasser senkt. Weil alle diese Gestalten aus der Natur und ihrem Leben selbst geboren sind, darum sind sie so ganz organisch: selbst die Griechen haben die menschlich- thierische Zwittergestalt des Centauren kaum so glaubhaft gebildet, wie Böcklin. Ja, diese Gestalten sind wahr — nicht in dem Sinne eines platten Realismus, wohl aber in dem höheren des seelischen Lebens. Du liegst am Waldrande. Heißer Mittag ist's und weit vor Dir liegt in flimmernder Sonne die Ebene. Es webt und gährt, Geheimes bildet sich, wundersam leise Laute durchzittern die stille Luft, und Dir ist, als müsse etwas Eigenes geschehen, dies unablässig krei sende Leben sich äußern. Und siehe — da trottet aus dem Walde ein plumper Centaur hervor. Du hörst ihn nicht, aber Du siehst ihn: wie er mißmuthig dem Dorfe zuhinkt, beim Meister Schmied hält und ärgerlich, das mißachtete Menschlein in Anspruch nehmen zu müssen, ihm den Huf hinreicht. — Und wieder: finstere Wolken fliegen am Himmel. Der Sturm heult, die Bäume ächzen, sie schwanken, wie dunkle Gestalten, Nebel ballen sich zusammen, flattern hierhin und dorthin und da — aus ihnen reitet er hervor auf mächtigem schwarzen Rosse, undeutlich und doch zum Greifen faßbar — „das ist er — der Tod" Seit dem Anfänge der 60er Jahre war Böcklin fertig. Wohl hatte sich seither die Leuchtkraft seiner Farbe noch ver tieft, wohl hatte sich sein Stoffgebiet erweitert: besonders hat er noch religiöse Darstellungen von einer ganz unmittel baren Gewalt der Empfindung und des Ausdrucks ge schaffen. Aber seine Individualität war fertig geprägt. Um so weniger waren seine Zeitgenossen mit ihm fertig. In dem Maße, als sein Werk in weitere Kreise drang, ent stand eine allgemeine Entrüstung über ihn, der es wagte, so ganz anders zu sein, als alle Anderen. Seine unbe kümmert lebenden Naturwesen wurden als unmoralisch ge ächtet. Seine Farbenpracht wurde als „Regenbogen farben" verspottet. Die Neunmalweisen fanden, daß er „die Form rücksichtslos verachte", ja, daß er, „bis zur Ver nichtung der Schönheit" gehe. Wir alle erinnern uns ja noch dieses gehässigen Kampfes, eines traurigen Beweises dafür, wie wenig die Gegenwart vorurtheilslos die Eigen art eines Künstlers zu würdigen versteht. Unbekümmert ließ Böcklin all' dies vorübergehen. Sein Leben, das nun zwischen seiner Heimath, München und Florenz sich abwech selnd bewegte, wurde zu einem immer breiteren, immer tieferen Strome des Schaffens. Von der lieblichen Un schuld des Kindes bis zu den ehrfurchtgebietenden Schauern des Todes, vom zarten Glücke erster Liebe bis zum ohn mächtigen Ringen der prometheischen Seele, vom über- müthigsten Humor bis zur herbsten Tragik ist kaum eine Seite und Stimmung menschlichen Lebens von ihm unbe handelt geblieben. Und allmählich erfolgte denn auch der Umschwung in den Gemüthern. Man erkannte, daß dieser „unmoderne" Künstler der gewaltige Ausdruck eines ganz und echt modernen Gefühls ist: jenes Naturempfindens, das in dieser Tiefe, dieser Leidenschaftlichkeit und Hingabe keine Zeit vor uns besessen hat. Man verstand, daß dieser „Schönheitsvernichter" stets Schönheit und nichts als Schönheit fühle und sehe, und daß, wenn wir sie nicht ver stehen, unsere Augen von dem schönheitsarmen Tagesleben getrübt sind. Man sah ein, daß Arnold Böcklin unsere un ruhige nebelvolle Zeit im Puncte der Schönheit vor der Nachwelt rechtfertigen, ihr von unserer heimlichen Andacht vor der ewigen Göttin erzählen werde. - Und so wurde der bestgeschmähte Künstler unserer Zeit der geliebteste und das große Werk, das sein Schaffen zuerst weiteren Kreisen ver mittelte, das Böcklin-Werk der Münchener Photographischen Union, wurde für Viele zu einer Art künstlerischer Haus bibel. Heute blickt er vom heiteren Fiesole auf das schöne Florenz und die lachende toskanische Ebene hinab. Muther hat sehr schön gesagt: er war ein Zeitgenosse der vorigen Generation, er ist unser Zeitgenosse und er wird noch der des 20. Jahrhunderts sein. Er gehört zu denen, die weit, weit vorauf eilen. In dem Maße, al» wir ihm nach und nahe kommen, bekunden wir unser eigenes künstlerisches Wachs- thum und unsere künstlerische Reife.
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