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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.10.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-10-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971018019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897101801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897101801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-10
- Tag1897-10-18
- Monat1897-10
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Er folgte seinem Sterne, Ging furchtlos seine Bahn Und sah schon aus der Ferne DeS Volkes Kanaan. Er sah am deutschen Strome Da- Bild der Freiheit stehn, Von Straßburgs altem Dome Tie deutsche Flagge Wehn. Um unsres Hochwalds Tannen Hing noch die Wolke tief, Als er Alldeutschlaubs Mannen Zu ihrem Rütli rief. Sein Denkmal soll uns mahnen An große Zeit zurück: Nur auf der Eintracht Bahnen Erobern wir das Glück! Er ließ sich seinen Glauben An Deutschland- Herrlichkeit Durch keinen Kleinmuth rauben In sturmbewegter Zeit. Wer von unS will verzagen, Schau' auf sein Bildniß hin, DaS lehrt: Ein fröhlich Wagen Bringt köstlichen Gewinn! Wie hat er sich gehalten DaS Herz so frisch und jung! Schaut ihn nur an, den Alten, Und fühlt Begeisterung! Sie schwand auS unsrem Leben; Seit sie dahingerafft, Entbehrt all' unser Streben Die Weihe höh'rer Kraft! Nach großen Zielen schauen Ist ernster Männer Pflicht, Wenn wir vereint nicht bauen, Baun wir mit Segen nicht. Das Reden und Befehden Erstickt die beste Saat, Sein Bild begeist're Jeden, Neu zu lebend'ger That. Nun laßt die Hülle fallen! Nun möge liebgeweiht Zu seinem Bilde wallen Die deutsche Dankbarkeit! In Freuden und in Schmerzen Nur auf zu ihm geschaut, Der selbst in deutsche Herzen Ein Denkmal sich gebaut! Hermann Pilz. ZUM 18. October. /?. Würdiger, glänzender als beute hat Leipzig den Jahres tag der Völkerschlacht kaum jemals zuvor begangen. Fällt beute doch die Hülle von jenem Denkmal, das Leipzigs Bürgerthum dem Baumeister des Deutschen Reiches errichtete. E« ist das zweite Bismarck-Standbild in unserer Stadt, ein Denkmal ganz besonderer Art; denn eS stellt nickt nur äußerlich den Reichskanzler außer Diensten dar, den Schloß herrn von Friedricksruh im bürgerlichen Kleide, mit Schlapp hut und Stock, es feiert den Fürsten Bismarck, wie er nach seiner Entlassung lebte und webte. Entlassung! Ein inhaltschweres Wort in den Tiefen wie auf de» Höhen deS Lebens, inhaltschw.r für den langer wie für den Minister, inhaltschwer für Nation und Herrscker, wenn der entlassene Staatsmann zu den Großen seines Volkes gehört. DaS 19. Jahrhundert bat in Preußen- Deutschland zwei solcher wahrhaft großen Minister vorzeitig aus dem Amte scheiden gesehen: am Anfang den Freiherrn vom Stein, am Ende den Fürsten BiSmarck. Ver schiedenartig an Genie, gleichartig an Verantwortlichkeits gefühl und charaktervollem Selbstbewußtsein auch gegenüber der Krone, sind beide durch daS Königthum der Hohenzollern äußerlich zu Fall gekommen, lieber daS Verbältniß Stein's zu Friedrich Wilhelm III. hat die Geschichte Licht verbreitet; von den Gründen, die zur Entlassung Bismarck's führten, weiß uian so viel, um sagen zu können, daß sie im Kern dieselben waren, wie die, welche den Sturz des Frei herrn vom Stein am 4. Januar des Jahres 1807 bewirkten- Fürst Bismarck mußte daS Neichskanzlerpalais räumen, weil, kurz gesagt, der Kaiser sein eigener Kanzler sein wollte. Grundsätzlich trat — Einzelheiten, wie die Intrigue des welfischen Papistenhäuptlings Windt horst übergehen wir — diese Absicht in dem Verlangen zu Tage, Fürst BiSmarck solle in die Aufhebung oder Abänderung der Cabinetsordre Friedrich Wilhelm'« IV. vom 8. September 1852 einwilligen, die bestimmt: „Ich finde es nvihig, daß dem Ministerpräsidenten mehr als bisher eine allgemeine Uebersicht über die verschiedenen Zweige der inneren Verwaltung und dadurch die Möglichkeit gewährt werde, die nothwendige Einheit darin, seiner Stellung gemäß, aufrecht zu erhalten und Mir über alle wichtigen Verwaltungs» maßregeln auf Mein Erfordern Auskunft zu geben. Zu dem Ende bestimme Ich Folgendes: 1) Ueber alle Verwaltungsmaßregeln von Wichtigkeit hat sich der betreffende DepartementSchef mit dem Ministerpräsidenten vorher schriftlich oder mündlich zu ver ständigen... 2) Bedürfen diese Verwaltungsmaßregeln Meiner Genehmigung, so ist der erforderliche Bericht vorher dem Minister präsidenten mitzutheilen, welcher denselben mit seinen etwaigen Bemerkungen Mir vorzulegen hat. 3) Findet sich ein Ver waltungschef bewogen. Mir in Angelegenheit seines Ressorts un- mittelbar Vortrag zu halten, so hat er den Minister präsidenten davon zeitig vorher in Kenntniß zu setzen, damit derselbe, wenn er es für nöthig findet, solchen Vorträgen beiwohnen kann." Als oberster verantwortlicher Staatsdiener hat Fürst Bismarck seine Zustimmung zur Aufhebung dieser CabinetS- ordre mit der Begründung verweigert: Wenn der KLniI die ^eki'c'pisse deS preußischen Ministerpräsidenten beschränken wolle, so müsse Se. Majestät selbst den Ministerpräsidenten machen, dessen Befugnisse Se. Majestät ja jetzt sckon tat sächlich ausübe. Wer vermöchte sich heute des Eindrucks zu erwehren, daß Kaiser Wilhelm II. wirklich sein eigener Kanzler sei? Die frühere Einheitlichkeit in der Regierung ist aber trotzdem nicht vorhanden. Und mehr als daS. Dem verantwortlichen Staatsininisteriuin, dessen Bedeutung, Ein fluß und Initiative durchden Mangeleinesthatsächlich führenden Präsidenten gelähmt erscheint, sind unverantwortliche Rathgeber mehr und mehr zur Seite getreten. Die zahl reichen und lange währenden Reisen des Monarchen, die so entstandene Trennung von den naturgemäß in Berlin zurück bleibenden Ministern brachten es, wie der „Hann. Cour." jüngst zutreffend bemerkte, unwillkürlich mit sich, daß die Stellungen der Chefs des Civilcabinets, des Militaircabinets und des MarinecabinetS an Einfluß und Gewicht wuchsen. Das mußte in um so höheren Grade der Fall sein, je un umgänglicher einerseits bei der Menge, Mannigfaltigkeit und Schwierigkeit der politischen Aufgaben es selbst für den begabtesten Herrscher ist, Berather heranzuziehen, und je duldsamer andererseits die verantwortlichen Minister sich zeigten, wenn ohne ihr Vorwissen eingegriffen wurde. Das Wort „Cabinetsregierung" hat in Deutschland einen bösen Klang; denn es ist untrennbar verbunden mit der Erinnerung an den Zusammenbruch des größten deutschen Staates im Jahre 1806. Der Freiherr vom Stein Hal sich lange vergebens bemüht, Friedrich Wilhelm III. zum Verzicht auf die Cabinetsregierung, zur Entfernung der CabinetSräthe, vor Allem Beyme's, zu bewegen. Er erklärte, daß er die Berufung zum leitenden Minister nur dann annehmen könne, wenn der König den CabinetS- rath preisgebe und den direkten Verkehr mit den Ministern herstelle. In einem Schreiben an General Nüchel begründete Stein sein Verharren auf diesem Standpunkte damit, daß Alles darauf ankomme, „das Volk an den König und den König an das Volk durch Vertrauen fest zu knüpfen."*) Friedrich Wilhelm stimmte zwar der Errichtung eines Mini steriums im Sinne Stein's zu und wollte sich an die ihm gemachten Vorschläge halten, willigte aber nicht in die Ent lassung Beyme's. Er sah in letzterer eine Demüthigung,der er sich nicht aussetzen dürfe. Auch die Berufung Hardenberg'S, auf der Stein bestand, lehnte er ab, weil ein Nebeneinanderwirken Beyme's und Hardenberg'S unmöglich war. Dagegen ließ er sich durch Beyme bestimmen, den schwächlichen General von Zastrow neben Nüchel und Stein zum Minister zu ernennen. Darauf hin meldete der Freiherr vom Stein dem Könige durch Nüchel, daß er zwar unter den gegenwärtigen kritischen Verhältnissen nicht aus den Geschäften treten, „sondern dem König in Glück und Unglück herzlich gern nach allen Kräfte» nützlich sein wolle", daß er es jedoch ablehnen müsse, zu der Täuschung beizutragen, als ob ein wirkliches Ministerium bestehe. Der König ignorirte die Weigerung Stein's, richtete Anordnungen an ihn, die von der Existenz des Ministeriums Stein—Rüchel—-Zastrow ausgingen, und brach in der schroffsten Weise mit ihm, als Stein Gegenvorstellungen machte: er hielt Stein als „widerspenstigem, trotzigem und i «ehorsamem Staatsdiener" ein Sündenregister vor und schloß daS merk würdige Schriftstück mit der Erklärung, „daß, wenn Sie nicht Ihr respectwidriges und unanständige- Benehmen zu ändern willens sind, der Staat keine große Rechnung auf Ihre ferneren Dienste machen kann". Stein erbat und er hielt jetzt seine Entlassung. Es war der 4. Januar des Jahres 1807, unmittelbar vor der Abreise des Königs von Königsberg nach Memel, dem letzten Zufluchtsorte auf preußischem Boden; und der Freiherr vom Stein genoß das größte Vertrauen aller Bürger, von ihm allein erwartete man die Rettung des vernichteten Staates. Was Friedrich Wilhelm III. damals dem längst erprobten Staatsmanne verweigerte, hat er ein halbes Jahr später, als Preußen vollends am Boden lag, im Drange der Noth**) zugestanden. Zum zweiten Male berief er den Freiherrn vom Stein, den er nach seinen eigenen Worten nie geliebt hat, und immer aufs Neue beugte er sich vor der Einsicht seines Ministers. Der Sieg der Stein'schen Reformideen erinnert mutatis mutanckis an den Sieg der BiSmarck'schen Politik *) Von Zwiedineck-Südenhorst, Deutsche Geschichte von der Auf lösung des alten bis zur Gründung des neuen Reiches I, 59. **) F. Neubauer, Freiherr vom Stein, S. 69. nach den Irrfahrten des „neuen Curses". So oft, nachdem Graf von Caprivi in da- Dunkel zurückgetreten, Deutschlands auswärtige und innere Politik die freudige Unterstützung und Anerkennung aller wahren Vaterlands freunde fand, bewegte sie sich in den Bahnen des alten CurseS. Die Rückkehr zum alten Curse aber, soweit sie erfolgte, ist mit in erster Linie daS Werk des Fürsten BiSmarck. Zwar hat er nicht, wie der Freiherr vom Stein, die Leitung der Geschäfte wieder übernommen; doch auch als Privatmann ersehnt er nicht, mit R. v. Gottschall zu reden, thatenlose Ruh': „Auf hoher Warte, mit dem Adlerblicke Bewacht er Deutschlands wechselnde Geschicke." Der treue Eckart seines Volkes, hat er warnend, mahnend, lehrend vor aller Welt da« Wort ergriffen, !die Gewissen aufgerüttelt, die Geister wachaerufen, auf daß ein Jeder seinen Mann stehe im unablässig wogenden Kampfe für die nationale Wohlfahrt und Macht. So hat er schon Manches sich wieder zum Besseren wenden gesehen. Und auch darin wies er seinem Volke den Weg, wie die Quelle der all gemeinen Unsicherheit und Verworrenheit unserer heutigen Zustände zu verstopfen sei. Indem er sich weigerte, in die Aufhebung der Cabinetsordre vom 8. September 1852 ein zuwilligen, legte er Zeugniß dafür ab, daß der oberste ver antwortliche Staatsmann auch der thatsächlich leitende sein müsse. Was Fürst BiSmarck nach seiner Entlassung für unser Volk gethan hat, konnte nirgends schneller erkannt, nirgends dankbarer anerkannt werden, als eS durch Leipzigs Bürger- thum geschehen ist. Darum wird das Standbild, dessen Hülle heute fällt, unS von Anfang an vertraut sein. Lebt doch der Schloßherr von Friedrichsruh gerade als solcher längst in unseren Herzen. Zu der Freude aber, ibn so, in Erz verkörpert, unter unS zu wissen, gesellt sich die beglückende Hoffnung, daß der Altreichskanzler selbst noch lange sich deS Lichts erfreuen werde. Denn aufrecht, wie nur irgend Einer, steht der eisgraue Baumeister deS Reiches, auf recht unter der Bürde deS Alters, aufrecht unter der Gebirgs last seine- Ruhms. „So halt' er Wacht an großer Zeiten Wende, Und sein Jahrhundert geh' vor ihm zu Ende." Suchhch im Erzgebirge. In ausführlichster Weise ist die Geschichte der Stadt Annaberg nach alten Urkunden aufgefrischt worden, als es galt, im vergangenen Jahre das 400jährige Bestehen der Frnilleton. Alte Gekannte. Humoreske vom Freiherrn von Schlicht. Nachdruck verboten. Nach langen, langen Jahren kehrte ich zurück in die Stadt, in der ich geboren war und in der ich die Schule besucht hatte, bis man mich eines schönen, oder richtiger gesagt, eines traurigen Tage- mit dem oonoilium udouncki in der Tasche nach Haus schickte. Ueber den väterlichen Empfang damals zu Haus will ich rück sichtsvoll schweigen — nur daS muß ich sagen, daß ich herzlich froh war, als ich endlich nach einigen Wochen zur Stadt heraus war. Außer meiner guten Mutter weinten mir nur die Lieferan ten der Rohrstöcke Thränen nach — die hatten in der letzten Zeit ein gutes Geschäft gemacht. Als ich nun kürzlich erfuhr, daß ich nach meiner Vaterstadt versetzt worden sei, machte ich e- wie der berühmte Mimiker Herr mann: ich weinte mit dem einenAuge und lachte mit dem anderen. Zur Traurigkeit und zur Freude lag Veranlassung genug vor: in mriner Vaterstadt wohnen weniger Menschen als in einem große X Etagenhau» in Chicago, von Vergnügungen kennt man bei un» aM Sonntag nur „Große Tanzmusik b-i freiem Entree"; Theate:, Musik, Kunst und Wissenschaft sind hier unbekannte Delikatessen. Aber dafür bietet das stille Stück Erde auch wieder manche» Schöne: Mrliche Luft, Wald und Feld, Wasser und Jagd. Darüber f?eute ich mich, und auch noch auf etwas Andere»: im Grunde meme» Herzen» ziehe ich da» Leben in der Kleinstadt dem der Großstadt vor, die Menschen treten sich näher, gewinnen mehr Fühlung mit einander, nehmen mehr Interesse an dem Wohlergehen des Einzelnen. Und ich kam ja nicht als Fremder dahin: waren meine Eltern inzwischen auch gestorben, so lebte ihr Name doch noch fort und das Andenken an manches Gute, das sie dem Städtchen und seinen Bewohnern erwiesen hatten. Auch meiner würde man sich noch erinnern. Durch manchen tollen Jugendstreich glaubte ich mir ein, wenn auch nicht gerade ehrendes Gedächtniß gesichert zu haben. Ich täuschte mich nicht. Mit Weib und Kind war ich endlich in der Heimath angelangt, und bis ich eine Wohnung gefunden in dem einzigen, dafür aber sehr schönen Hotel abgestiegen. Absicht lich hatte ich meinen Namen nicht sofort in das Fremdenbuch ein getragen. „Erst frühstücken", befahl ich, „wer kann denn mit leerem Magen schreiben!" Der Kellner trug auf, was es an Delikatessen gab, und während ich Hunger und Durst stillte, umkreiste der Hotelier mich, wie ein Löwe seinen Dresseur, die Gelegenheit erspähend, wo er sich auf mich stürzen könnte. Endlich blieb er vor mir stehen: „Nun thun Sie mir die einzige Liebe und sagen Sie e» mir, sonst vergehe ich vor Neugierde: sind Sie e« oder sind Sie es nicht?" „Ich bin ich," gab ich zur Antwort, „wer sollte ich wohl sein, wenn ich nicht ich wäre?" Er nannte nun meinen Namen, und al» ich zustimmend ge nickt hatte, zeigte er eine so herzliche und offene Freude, daß ich ihn gerührt auf ein Gla» Rothwein einlud, dem dann noch ver- I schiedene Flaschen folgten. In den nächsten Lagen ging e» an da» Einrichtrn der bald ge- I fundenen Wohnung. Um Handwerker war ich nicht verlegen, ich nahm dieselben, die in meinem Elternhaus gearbeitet hatten — lauter gute, alte Bekannte. Mit dem Sohn des Tapezierers war ich einmal beinahe zusammen ertrunken, mit dem Sohn des Glasers hatte ich nach Möglichkeit Fensterscheiben eingeworfen, um seinem Vater Verdienst, meinem Freunde aber ein höheres Taschengeld, von dem auch ich profitirte, zuzuwenden, und mit dem Sohn des Tischlers hatte ich einmal zusammen Feuer in der Werkstatt angelegt, als wir von gräßlichem Tabaks-Genuß krank wurden und, die Cigarren fortwerfend, ins Freie gestürzt waren. Aber auch sonst fehlte es nicht an alten Bekannten: da kam zuerst die Fischfrau, die mich noch kannte aus der Zeit, da ich so, so klein war, kaum geboren, und ich mußte ihr schwören, nie bei jemand Anderem Fische zu kaufen, als nur bei ihr, und um mich davon zu überzeugen, wie schön sie waren, mußte ich ihr gleich ein paar Pfund Dorsch abnehmen; — dann kam mein früheres Kindermcidchen, Mutter von sechzehn Kindern — zwölf waren ihr Eigenthum und vier hatte sie angenommen, denn Kinder sind doch zu wa» Süßes, da kann man doch gar nicht genug von kriegen; — seit vielen Jahren war sie nun Wittwe und hatte einen Handel mit Besen und Matten. „Nein, wie ich mich gefreut habe, als ich hörte, der gnädige Herr wäre wieder hier — da hab' ich gleich zu meinen Kindern gesagt: Kinder, hab' ich gesagt, das ist ein guter Herr, der wird mir ordentlich wa» abkaufen, denn ich hab' ihn doch schließlich groß gezogen — nein, und wa» er für ein süße» Kind war —" Ünd da» süße Kind kaufte seinem früheren Kindermädchen große und kleine Besen, Bürsten und Gläserreiniger dutzendweise ab — für jede» Zimmer und für jeden Treppenabsatz einen be sonderen Besen, für jede» Glas einen besonderen Reiniger. Dann kam — nein, wer kann sie alle aufzählen, die noch kamen, um mich zu begrüßen, mich wiederzusehen nach so langer Abwesenheit. Und merkwürdiger Weise war es allen schlecht er gangen in der langen, langen Zeit und sie hatte anscheinend alle nur auf mich gewartet, um ihre Finanzen zu verbessern. Allen, allen mußte ich etwas abkaufen — mein Haus füllte sich mit den unglaublichsten und unnützesten Sachen der Welt, aus meinem Portemonnaie gähnte mir eine wahrhaft grausige Leere entgegen. Endlich war die Zahl dieser alten Bekannten erschöpft, und' ich freute mich, nun mit denjenigen Bekannten zusammenzutreffen, die mir gesellschaftlich nahe oder gleich standen. Aber auch da» hatte seine Schattenseiten! Ich stellte eine Liste derjenigen Personen auf, bei denen wir Besuch machen mußten — ich strich und strich, als wenn ich ein Maler wäre, aber es blieben doch noch immer über hundert Personen übrig. „Hundert Besuche!" klagte meine Frau, „so viel Visitenkarte« habe ich ja gar nicht." „Brauchst Du auch nicht", tröstete ich sie, „wir werden überall angenommen werden." Wir fuhren von Hausthllr zu Hausthür. „Nein, wie liebenswürdig, daß Sie sich Ihrer alten Bekannten noch so erinnern — nein, das ist wirklich zu freundlich — ach, Sie wollen schon wieder fort? — nein, bei so alten Bekannten nimmt man das mit der Form nicht so genau — ein kleines halbes Stündchen werden Sie doch wohl für uns übrig haben — wissen Sie, wir kennen uns ja schon so lange — ja, gnädige Frau, als Ihr Herr Gemahl noch so klein war, kannten wir ihn schon — er hat immer mit unserem Otto gespielt — wissen Sie wohl noch, Sie aßen immer so gerne Fruchtbonbons — Sie waren ein rich tiges Kind, Sie weinten immer nur, damit Sie Bonbon» bekämen — wie, Sie wollen wirklich schon fort? — aber nicht wahr. Sie bringen uns Ihre Gemahlin recht, recht bald wieder einmal her — Sir kommen doch einmal so ganz gemüthlich zum Thee — so ganz en Mit comitö — nur lauter alt« Bekannte." .... Ich stöhnte „Hallelujah, gelobt sei Gott in der Höh'", wen«
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