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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.10.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-10-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971022021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897102202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897102202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-10
- Tag1897-10-22
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562 402 470 638 «r d«- 1« äs» » ct>« »etieo Sourd IS.— >87^— >30,— SIS5 21,70 IHl>. 16'1« 081, SS4 63-». 21»« VS-I4 28,. 5>>. S-!. »o. — SS'- 84'1, 2't. Di« Morgen-AuSgabe erscheint um '/,? Uhr, die Abeud-AuSgabe Wochentags um ö Uhr, Ne-aclion VN- Erveditiou: Johanne-saffe 8. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen Eröffnet von ftüh 8 bi» Abend» ? Uhr. Filialen: Ntt» lklemm's Sortim. (Alfred Hahn), UoivrrsitätSstraße 3 lPaulinum), LoutS Lösche, k«1harineustr. 14, pari, uud NöuigSpla» 7. VezugS'PreiS EN drr Hauptexpedition oder den tm Stadt» bezirk uud den Vororten errichteten Au»- aavestellen abgeholt: vierteljährlich^44.50, «i twrimaliger täglicher Zustellung in» Hau» ö^O. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich ^l S.—. Dirrcre tägliche Kreuzbandjenduog du» Ausland: monatlich 7.öO. 54V. Abend-Ansgabe. rMM TaMalt Anzeiger. Amlsökatt -es Aönigkichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Nathes nnd Notizei-Amtes -er Stadt Leipzig. Anzeigen Prel- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg, Nrclame» unter dem RedactionSstrich (4 g«» spalten) 50-H, vor den Familieunachricht« (6gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis» verzeichniß. Tabellarischer und Zisfernsatz aach höherem Tarif. Extra-Beilage« (gefalzt), nur mit de» Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderunz? 60.—, mlt Postbeförderung 70.—^ Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Aiorgen-AuSgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eia» Halde Stunde früher. Anzeigen find stets an die Srpehitts» zu richte«. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig Freitag den 22. Octobcr 1897. 81. Jahrgang. 08,75 SS 40 03,40 00,30 83 — 57,50 77.60 85,00 87,25 12,50 sHo 88.25 87.75 4», 02.60 30,30 61.10 28,30 >16,05 —vl !IS,15 Vater . 1526. 54,75 51,60 03,75 00,50 24.50 108,— ,34,75 77,— 42,25 !75,5O !60,75 .17.70 31,80 81.50 !41,50 86.50 57,30 >02.50 >11,25 >15,50 >53.75 68.50 42,25 06,30 >41,50 56,40 86.75 78,70 86 80 26 50 83.50 65.75 8240 83,40 85,— 01,— 08,— 77.75 Sri«: vrtek 8675 5850 3525 >3400 2725 3475 4200 3020 4800 8650 >1700 >0100 8650 6375 3250 720 1500 1000 1603 3075 2360 2000 0300 3875 8700 8000 3875 280 2850 283 6150 1520 3S50 825 2650 SSO 2225 2800 3150 ixea- «>»«a :ok«r oatU vor» »rivn ovvr V0L Politische Tagesschau. * Leipzig, 22. October. Der Deutsche LandwirthschastSrath hat sich kürzlich an den Reichskanzler mit einer Eingabe gewandt, in der unter Hinweis auf die ungünstige Lage des Welt marktes für die deutsche Zuckerindustrie die Herabsetzung der Verbrauchsabgabe für Zucker von 20 auf 15 ./kl für den Doppelcentner gewünscht wird. Die Erhöhung des inländischen Verbrauchs, die man sich von dieser Maßregel verspricht, soll einen Theil der vom Export abgedrängtcn Mengen deutschen Zuckers absorbiren. Dieser Vorschlag bewegt sich noch auf dem Boden des bestehenden Zuckersteuer- gesetzeS. Viel weiter geht das Organ des Bundes der Landlvirthe. Es verlangt nicht mehr und nicht weniger als die sofortige Abschaffung der ganzen Verbrauchs steuer auf Zucker. Nicht ein größerer Theil, diegesammte deutsche Production soll im Inlandc Absatz finden, und die immer leichtherzige „Deutsche TageSztg." ist überzeugt, daß die Auf hebung der Abgabe den Verbrauch „in wenig Zähren" auf die Höhe des Verbrauchs anderer, den Zucker nicht ver steuernder Länder heben würde. Sie denkt dabei zunächst an England, wo der Zuckerverbrauch 32 Kilo pro Kopf und Jahr auSmacht. Das Blatt ist also von einer Steigerung des deutschen Jahresconsums pro Kopf um mehr als das Zweiundeinhalbfache binnen „wenigen Zähren" überzeugt. Denn z. Z. entfallen circa 12 Kilo auf den Kopf. An dieser rosigen Ueberzeugung ist daS Interessanteste die Preisgabe der Theorie von der Verelendung der landwirthschaftlichen Bevölke rung, die sonst die Darlegungen der Leitung deS Bundes der Landwirthe beherrscht. Wenn man eine so rasche Vermehrung des Verbrauchs einer nicht zu den unentbehr lichsten Lebensmitteln zählenden Waare in so kolossalem Umfange vorhersieht, dann muß man doch der landwirth- schastlichen Bevölkerung, die nicht viel weniger als die Hälfte der Gcsammtbevölkerung ausmacht, ihren Antheil an dem Mehrcon- sujn zugewieseu haben, und der Gedanke an die Möglichkeit eines Verbrauchs von ungefähr 114 Pfund Zucker pro Familie (statt jetzt 54 Pfund) — auch bei der Abschaffung der Be triebssteuer bleibt da noch eine Vermehrung der Ausgabe um mehr als ein Drittel — ist schlechterdings unvereinbar mit der Vorhcrsagung von dem sicheren Ruin der Land- wirthschaft, falls dieser nicht vom Staate durch ein „großes" Mittel geholfen würde. Wir haben diesen Pessimismus stets für einen erheuchelten gehalten, aber an eine Vermehrung des deutschen ZuckcrverbrauchS, die diesen dem englischen auch nur beträchtlich nähern würde, vermögen wir in Absehbarer Zeit nicht zu glauben. Es spielen da neben der Kaufkraft noch andere Factorcn eine Nolle. So u. A. die Lebenshaltung der Massen im Allgemeinen, die Ernährungsweise, die Unterschiede der Mengen und der Gattungen geistiger Getränke, die in einem Lande vorzugsweise genossen werden. Dabei steht es aber allerdings außer Zweifel, daß eine be trächtliche Verwohlfeilung des Zuckers auch in Deutschland die Nachfrage nach diesem Artikel erheblich vermehren würde. Nach der im vorigen Jahre erfolgten Erhöhung der Ver brauchssteuer wird diese — von der Wirkung der neuen Be triebssteuer, die im Ganzen 2 Millionen Mark erbringen soll, sehen wir ab — ungefähr 2 -L 15 pro Kopf betragen. Der Wegfall einer solchen Steuer kann nicht ohne Einfluß auf den Consum bleiben. Es ist der „D. TageSztg." auch beizustimmen, wenn sie annimmt, der Weltmarktpreis würde sich „auch vorher schon" bessern, wenn Deutschland auch nur zunächst mit einem Theile seines Exportes fern bleiben könnte. „Vorher" ganz gewiß, nachher aber doch nur dann, wenn — schlimmsten Falles — die bestehende Eontingentirung der deutschen Production in der Höhe von 17 Millionen Doppelceiitncrn keine Ausdehnung erfährt. Davon aber spricht das Blatt des Herrn v. Ploetz nicht, wie es denn überhaupt gänzlich ignorirt, daß die Verbrauchsabgabe organisch mit dem geltenden Zuckersteuergesetze verbunden ist, aus dem sie nicht beranSgenommen werden kann, ohne daß daS Ganze zerfallen müßte. Dies Gesetz begünstigt die kleineren und mittleren Betriebe gegenüber der großen „Mittelstandspolitik", Herr v. Ploetz! — und gewährt eine Ausfuhrprämie von 2,50 Aber um die Kosten für diese Prämien ungefähr aufzubrinzen, ist im vorigen Jahre die Erhöhung der BetricbSabgabe um 2 erfolgt. Soll nun mit der Verbrauchssteuer auch die Prämie fallen oder sollen die Steuerzahler die Prämie aus ihrer Tascke bezahlen? Dock dabei handelt es sich nur um etwa 12 Millionen Mark, in den Augen der Eavalier-Politiker im Vorstande deS Bundes der Landwirthe natürlich eine Lumperei. Aber wie steht es mit den Wirkungen deS Pro jekts auf die Neichsfinanzen im Allgemeinen? Mit olympischer Erhabenheit geht daö BundeSorgan an dieser Frage vorbei. Das Reich zieht im Jahre auS der Zuckerabgabe weit über 80 Millionen Mark. Entbehren kann eS diese Summe nicht, bleiben also nur neue Steuern eine Nothwendigkcit, die es echt „freisinnig" erscheinen läßt, wenn die „Boss. Ztg." ihre Genugthuung über das Verlangen der „D. T." zu erkennen gicbt. Bestehende Steuern auS Gründen der Gerechtigkeit oder der VolkSwirthschaft durch neue zu ersetzen, ist an sich nichts Ungeheuerliches. Aber jene Rücksicht läßt die Salzsteuer als die ersatzbedürfligste erscheinen, und was das Volkswirthschaftliche anbclangt, so wäre Herr v. Ploetz der Letzte, der Bier und Tabak als die Objecte gelten lassen würde, die den durch die Beseitigung der Zucker- jleucr entstehenden Ausfall zu decken hätten. Denkt etwa der „Vorstand deS Bundes der Landwirtbe" an den gänzlichen Verzicht auf „Kähne" und die Abschaffung eines Armee corps? Die Herren macken es sich wirklich leicht in ihrem LandwirthschaftS-BeglückungSgeschäfte. Neber die socialdcnlokratischcu Parteiversammlungen, die in den sechs Berliner Wahlkreisen abgebalten worden sind, nm den Genossen Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Beschlüssen des Hamburger Parteitags und insbesondere zu dem Beschlüsse über die Bethciliguug au den preußischen Landtagswahlen zu geben, liegen nun auch Berichte social demokratischer Blätter vor. Es liegt auf der Hand, daß der socialdemokratischen Parteileitung besonders viel an dem günstigen Verlaufe gerade dieser Berathungen gelegen sein mußte. Zunächst, weil zuvor aus Berlin eine starke Opposition gegen jede Betheilignng an den Landtagswahlen sich geltend gemacht hatte, sodann, weil soeben wieder die Parteileitung von Hamburg nach Berlin verlegt worden war. Unter diesen Umständen und bei der in den letzten Jahren immer stärker gewordenen Decentralisation der Partei mußte es sehr darauf ankommen, gerade in dem auch finanziell leistungsfähigsten Bezirke günstig abzuschneiden. Und so batten sich denn auch überall die Hauplsührer, die auf dem Partei tage lebhaft die Wahlbetheiligung befürwortet hatten, ein gefunden, um im Nothfall in die Bresche zn springen; selbst der Abg. Singer, der in Hamburg gegen die Resolution Bebel gestimmt, war wenigstens insofern mit Erfolg thätig, als er die Mißstimmung über die bekannten Aeußerungen des Abg. Schippel, der die Kanonenforderungcn vertreten hatte, zu bannen wußte. Und trotzdem nur in einem Wahlkreise ein größerer Erfolg! Im zweiten und im vierten Wahlkreise kam es direct zu einer Niederlage; im zweiten Wahlkreise war er um so empfindlicher, als hier der Abg. Bebel, der Vater der neuen Resolution, selbst für diese lebhaft eingetreten war und dazu versucht hatte, dem zweiten Wahlkreise die Betbeiligung an den Landtagswahlen zur Pflicht zu machen. Die Ver sammlung desavouirte ihn trotz aller seiner Bemühungen. Im ersten Wahlkreise wurde bei der Auffassung beharrt, daß es verkehrt sei, sich an den Wahlen zu betheiligen; man erklärte aber, daß man sich den Parteibeschlüssen „fügen" wolle. Im zweiten Wahlkreise, wo der Abgeordnete Zubeil eifrig versicherte, der Bebel'schen Resolution, die ursprünglich Eoinpromisse zuließ, seien die „Zähne aus gebrochen", und wo Bebel erwiderte, eS seien ihr „falsche eingesetzt", war das Ergebniß, wie schon oben angeveutet, daß die Versammlung sich mit dem Verhalten ihrer beiden Delegirten einverstanden erklärte. Die Abstimmungsliste deS Hamburger Parteitages ergicbt, daß diese beiden Delegirten dort gegen die neue Bebel'sche Resolution und für die Aufrechterhaltung der alten Bebel'schen Resolution gestimmt hatten, welche eine Betheiligung verbietet. Der dritte Wahl kreis erklärte sich „voll und ganz mit den Beschlüssen deS Parteitages einverstanden" und „versprach, ihnen zur Durch führung zu verhelfen"; dabei wurde aber eine Gruppe überstimmt, welche den Hamburger Beschluß verworfen wissen wollte. Im vierten Wahlkreise, wo zum Un behagen des Abg. Singer die demnächstize Spaltung der Partei prophezeit wurde, erklärte man sich ebenfalls mit den Delegirten einverstanden, die in Hamburg gegen die Bebel'sche Resolution gestimmt. Im fünften Wahlkreise wurde der Beschluß von den Versammelten bedauert; als „wobl- diSciplinirte Genossen fügen sie sich aber der Majorität und werden energisch für die Beschlüsse des Parteitages eintreten". Im sechsten Wahlkreise kam eS überhaupt zu keinem Beschlüsse, obwohl Genosse Schippel „allgemeinen Beifall" sand; die Delegirten dieses Wahlkreises hatten in Hamburg ebenfalls gegen die Betheiligung gestimmt. Das ist daS Ehoas, das der Hamburger Parteitag in der „Hochburg der Social demokratie" angerichtet hat. Wenn über den Antrag auf Versetzung des österreichischen Ministeriums in Anklagezustand wegen des Badeni schen Geheimerlasses zur einfachen Tagesordnung über gegangen wukVc, statt daß wenigstens ein das Ministerium scharf tadelnder Antrag angenommen wurde, so mag sich die Regierung bei der katholischen Volkspartei bedanken, die die Sache des DeutschthumS schmählich im Stiche ließ. Die Mehr heit für die Regierung beträgt nur 20 Stimmen; hätte die katholische VolkSpartei mit den übrigen Deutfchen gegen den Antrag auf einfachen Uebergang zur Tagesordnung gestimmt, so Ware dem Ministerpräsidenten zum Mindesten ein Tadelsvotum nicht erspart geblieben und seine Stellung wäre dann doch erschüttert worden. Mit diesem Siege aber wird die Negierung ebenso wenig erreichen, wie mit dem der Regierung sehr weit entgegenkommenden Befchlusse der Rechten, ihre Forderungen zu vertagen, bis daS Ausgleichsprovisorium durchgedrückt sei. Durch diesen Beschluß wird sich die Linke nicht hindern lassen, mit allen möglichen Mitteln das Zustandekommen des Provisoriums zu verhindern. Die Parole für die Linke ist von der „Neuen Freien Presse" bereits mit den Worten ausgegeben worden: „Die Linke kämpft nicht gegen den Ausgleich, sondern sie bekämpft nur die Regierung." Es wird also kein Zweifel daran gelassen, daß die Hoffnung auf den Sturz Badeni'S trotz des augen blicklichen Sieges der Regierung nicht aufgegeben und daß die Obstruction in schärfster Weise fortgesetzt werden wird. Ihr Führer Jro hat sein Mandat niedergelegt, aber in dem Abgeordneten Tuerk ist ein nicht minder schlagfertiger Parla mentarier an seine Stelle getreten. Seine gestrige Rede war sehr eindrucksvoll, namentlich seine Abrechnung mit den Deutsch-Klerikalen. „Diese", sagte er u. A., „haben für dasLinsen- gericht deS Ebenhoch'schen Schulantrags daS deutsche Volk ver- rathen und verkauft. Heute brauchen die Tschechen noch ihre Stimmen, aber wenn sie den Tschechen auf das Piedestal hinaufgeholfen haben, dann werden diese ihnen wahrscheinlich einen Fußtritt versetzen." Wiederholt spielte Tuerk auf den Eindruck an, den die Unterdrückung der Deutschen Oesterreichs in Reichs deutsch land machen müsse. „Das deutsche Volk", führte er auS, „fängt an, sich sehr lebhaft mit unserem Schicksal zu beschäftigen, und fragt: Was soll denn auS Deutschland werden, wenn die Deutschen Oesterreichs vollständig durch daSSlawenthumerdrückr werden; was wird mit dem Bündniß und mit der deutschen Sicherheit? Reicht Böhmen nicht bis an die Thore von Dresden und an daS Fichtelgebirge? Hat Böhmen nicht eine beherrschende strategische Stellung? Kann daS deutsche Ncicb eS sich gefallen lassen, daß ein tschechischer Nationalstaat fast mitten im deutschen Reiche etablirt werde?" In seinen heftweise erscheinenden Enthüllungen über die belgische Genossenschaft Vooruit sagt Pol Dewitte, der frühere Genosse und jetzige Gegner deS Volkstribunen Anseele, über die kostspielige Maifeier, wie sie die Socialistenhäupter zu veranstalten pflegten: „Gewisse Vorsteher von Fachvereini gungen murrten im Geheimen, weil ihre Casse zu solchen Ausgaben, die sie für unnütz hielten, herbalten mußte, so daß, wenn der Vereinigung etwas Ungewöhnliches zustieß, sic sich jedesmal zum Betteln genöthigt sah, um ihre Mitglieder unterstützen zu können; indeß wagte Niemand, sich laut zu beklagen. Von den Arbeitern des Vooruit waren viele davon überzeugt, daß diese Verschwendung mit ihrem Schweiß bezahlt werben mußte." Wie die Genossen schaft für Lohnerhöhungen sorgte, zeigt folgende Stelle aus der Schrift Dewitte's: „Ein Hosenmacher äußerte: „„Als ich vor neun Jahren für den Vooruit zu arbeiten begann, wurde für die gewöhnlichste Hose 1,75 Franken Lohn bezahlt. Damals bestand das Geschäft nur aus einer kleinen Stube, und wir waren noch zu wenig Genossen, da eS noch nicht viele Kunden gab. Die Partei besaß noch nicht die Macht von heute. Inzwischen haben wir Fortschritte gemacht und sind größer und größer geworden, bis wir eines der schönsten Geschäfte der Stadt besitzen. Aber je mehr wir fortschritten, je größer die Gesellschaft wurde, um so mehr sank der Lohn. Zunächst wurde der Preis für die Hose auf 1,50, dann auf 1,25 Franken herabgesetzt, und vorige Woche habe ich 12 Hosen zu 0,75 Franken das Stück angefertigt. WaS bringen uns nun alle diese schönen Läden ein?"" Aus diesen Beschwerden geht hervor, daß der Vooruit sich durch nichts von den sonstigen kapitalistischen Unternehmungen unterscheidet und mit denselben Schwierigkeiten zu kämpfen hat, wie diese. Und es kann auch nicht anders sein. „Wozu nützen uns denn diese Ein richtungen?" fragte mich eines Tages ein Mitglied der Genossenschaft. Als ich den Mann erstaunt ansah, fuhr er fort: „Die Kunden bekommen doch ihre Waaren nicht billiger als anderwärts, und die Schneider verdienen nicht mehr als sonstwo." „Wenn Sie daS nicht wissen," erwiderte ich pfiffig, „dann lesen Sie nicht den Vooruit; sonst wäre Ihnen bekannt, daß diese Einrichtungen die Bewunderung der ganzen civilisirten Welt erregen und den Ruhm der Leiter des Unternehmens bis in den fernsten Winkel des Weltalls ver künden. Eure Elasse fühlt sich dadurch gekräftigt und wird fähig, die Well zu erobern, während ihr Arbeiter des Vooruit freie Leute seid." „Ich verstehe", sagte lächelnd der Fragesteller. Die anglo - italienischen Beziehungen scheinen fick gegenwärtig in einem Entwickelungsstadium zu befinden, das mit der Bezeichnung als „kritisch" nicht ganz unzutreffend definirt sein dürfte. England hat sich für die Zwecke seiner afrikanischen Politik, soweit daS Litorale des Rothen Meeres dabei in Betracht kommt, Italiens als Platzhalters und Lückenbüßers bedient, ohne sich irgendwie selber zu ex- poniren. Italien hat bei dieser Rollenvertheilung recht bittere Erfahrungen machen müssen, die nicht wenig dazu beitrugen, dem italienischen Volke den Geschmack an dem „abessinischen Abenteuer" und an der Colonialpolitik in Erythräa gründlich zu verleiden. Es kommt hinzu, daß die bekannten franzosenfreundlichen Neigungen des Ministe riums Rudini das Verhältniß zwischen Rom und London in entsprechendem Grade modisiciren, jenachdem die Spannung Feirilleton. Götzendienst. 40 j Roman in zwei Theilen von Wold em ar Urban. Nachdruck verboten. „Gute Nacht, Mutter." Und doch zitterte seine Stimme. Er küßte sie auf die Stirne und seine Lippen waren feucht und warm, sein Kuß innig, zärtlich, ein echter Sohneskuß. Er hatte sie lieb. Sie fühlte das wohl und glaubte an ihn. Und als er sie in ihrem Schlafzimmer allein gelassen und wieder durch den dunklen Corridor nach seinem Zimmer zurllckgehen wollte, stürzte er mit einem halbunterdrückten Schrei ohnmächtig auf dem Teppich zusammen. Aber es war nur eine momentane Schwäche, die ihn an wandelte. Nur wenige Secunden später richtete er sich wieder auf, zuckend, hastend, wie in ängstlicher Flucht tastete er sich in dem dunklen Gang weiter und erreichte endlich sein Zimmer, wo er sofort in einem Stuhl zusammensank und die Hände laut stöhnend vor die Augen hielt. „Verloren!" murmelte er für sich hin, „Alles verloren! Sie wird natürlich Alles erzählen, wie der Schlüssel in meine Hände kam, man wird sie zwingen, sie muß, sie wird es thun, um sich selbst rein zu waschen — Ah —" Dann sprang er wieder auf und lauschte mit ange haltenem Athem hinaus in die Nacht. Kam man schon, um ihn zu verhaften? Um ihn ins Gefängniß — ins Zuchthaus zu werfen? Ins Zuchthaus! Graf Victor zu Kreuz im Zuchthaus! Nein, diesmal wars noch der Wind, der durch die Baumkronen fuhr. Aber man wird kommen! In einer Viertelstunde oder einer halben, oder morgen früh, was lag daran, ob eine Stunde früher oder später? Und das also Wgr das Ende? Ein neues Opfer des Götzen ¬ dienstes? dieser verdammten Lügengeister des Lebens, die ihn langsam, Schritt für Schritt und Stück für Stück hinabgezogen hatten in den Pfuhl moralischer und seelischer Verkommenheit, fühlte er es jetzt, was er sich immer ver hehlt? Sah er die fallen, die ihm der gleißnerische Teufel der Eitelkeit, der inneren Hohlheit gestellt? Merkte er es jetzt, zu welcher furchtbaren tragischen Wucht und Gewalt diese unscheinbaren inneren Defecte des Gemüths und des Herzens heranwachsen konnten? Sah er jetzt das Sand korn, das, zur Lawine anwachsend, ihn nun zerschmettere und verschüttete? Es giebt im Leben nur einen Lehrmeister, und das ist die Erfahrung. Wenn Graf Victor von diesem nichts lernte, so war Alles verloren. So lernte er über haupt nichts. Er knirschte vor ohnmächtiger Wuth mit den Zähnen und schlug sich wie ein Wahnsinniger mit der ge ballten Faust vor die Stirn. Ein Zoll tiefer und er war Sieger. So war er dem Untergang geweiht, unwider ruflich, unrettbar. Wie ein bleicher Schatten wuchs es aus dem Grabe der armen Camilla hervor und langte nach ihm, zog ihn hinab in das Nichts, in das traumlose öde Reich der Verwesung. Er hatte va dangus gespielt, gerade wie damals in Monte Carlo, wo er in einer tollen Nacht die letzten hunderttausend Francs verspielt und verloren hatte, wieder verloren. Die Kugel ging zu hoch, wie sie auch da mals in die falsche Nummer einlief. Er rannte wie irrsinnig im Zimmer hin und her, als wollte er sich den Kopf cm der Wand zerschmettern. Was sollte er thun? Sollte er fliehen? Plötzlich blieb er stehen. Ja, das war ein Gedanke! Flithen, fort von hier, die Welt war ja weit und groß. Konnte er nicht wo anders sein Glück noch finden? Ja, das war noch ein Mittel, aber es war auch das einzige. Rasch hastete er in den Schubladen und Kästen herum und raffte Alles, was er an Geld und Werthgegenständen er wischen konnte, zusammen. Zitternd, in wilder Wuth packte er ein. Es war, als wenn ein neuer Trieb über ihn gekommen wäre. Fort, fort, weit fort — so tönte es wie ein neuer Sirenengesang in seinen Ohren. Was verlorene Ehre und innerliche Hohlheit und Verderbtheit! Fort mit Schaden. Was nicht zu ändern war, das war eben nicht zu ändern. Sollte er etwa ins Zuchthaus wandern? Wes halb? Weil die Kugel einen Zoll zu hoch gegangen war? Unsinn. Nur fort, fort! Es schlug drei Uhr. Wenn er den Frühzug in *** noch erreichte, konnte er schon um sieben Uhr in Hamburg sein. Und dann aufs Schiff. Dann sollten sie ihn nur suchen! Plötzlich blieb er wieder stehen. „Mutter!" seufzte er müde und matt, und Thränen stahlen sich aus feinen Augen. Fort, fort, nur fort, tönte es wieder ihn ihm. Der Götzendienst kennt keine Mutterliebe und keine Kindesliebe, keine Treue und keine Ehre, kein Recht und keine Tugend. Seine Diener sind das gehetzte Wild des Teufels. Mit flie gender Hast setzte er sich an den Schreibtisch und kritzelte einige Zeilen auf das Papier, das er dann zusammenbrach und siegelte. Mit der Adresse seiner Mutter versehen, ließ er es auf dem Tische liegen. Dann faßte er den Handkoffer, in dem er Alles, was er erreichen konnte, zusammengepackt hatte und stieg durch das Fenster in den Park hinab. Lauschend blieb er hier wieder stehen. Kamen sie schon, um ihn zu holen? Gleichviel, nur vorwärts. Er hatte einen Vorsprung von mindestens fünf Stunden. In dieser Zeit konnte er schon auf dem Schiffe sein So floh der letzte Graf zu Kreuz vom Schlosse seiner Ahnen. * * * Es war noch früh am Morgen, als die Equipage des Don Gracias auf dem Schloßhofe von Heblingen einfuhr. Die Diener sprangen herzu und öffneten den Schlag. „Ist die Frau Gräfin zu sprechen?" fragte Herr de Melida. „Ich werde sofort nachsehen. Euer Excellenz." „Sagen Sie ihr, ich käme in wichtiger Sache und müsse sie unbedingt sprechen." Der Diener lief davon und Don Gracias stieg aus, um in das Schloß einzutreten. Er sah angegriffen und er regt aus. Um den Kopf trug er eine Binde von schwarzem Stoff. Kaum hatte er in dem Empfangssalon zu ebener Erde Platz genommen, als der Diener ganz schreckensbleich zurllckkehrte. „Um Himmelswillen, Excellenz, kommen Sie rasch, kommen Sie, die Gräfin —" „Was ist mit der Frau Gräfin?" fragte Don Gracias bestürzt. „Sie stirbt! Rasch, rasch! Hierhin! Sie ist im Zimmer ihres Sohnes!" Don Gracias folgte dem voraneilenden Diener so rasch er konnte. Als er in das Zimmer des Grafen Victor ein trat, sah er, wie die alte Dame auf dem Boden lag, den Kopf todtenbleich in einen Sessel gelegt, die Augen geschlossen und leise röchelnd. In der Hand hielt sie den letzten Brief ihres Sohnes, bei dessen Lectüre sie offenbar von einer Schwäche überfallen worden war. „Frau Gräfin! Frau Gräfin!" rief Don Gracias sie an. Gleichzeitig beugte er sich herab, um sie aufzuheben. Aber sie war zu schwer. „Helfen Sie Ihre Herrin auf das Sopha legen", rief er dann dem Diener zu. „Wo ist Graf Victor?" »Ich — ich weiß es nicht", antwortete der Diener. Sie legten Gräfin Margarethe auf das Sopha. Da bei wachte sie aus ihrer Ohnmacht auf. „Holen Sie den Arzt!" herrschte Don Gracias den Die ner an, der sofort abging.
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