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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.10.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-10-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971023011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897102301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897102301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-10
- Tag1897-10-23
- Monat1897-10
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Neclamen unter dem Redactionsstrich (4ge- spallen) 50^, vor den Familienuachrichteii (6gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zissernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung ./L 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 541. Sonnabend den 23. October 1897. 91. Jahrgang. Die Action der Klerikalen in Italien. Nachdruck »erboten. Es ist bereits gelegentlich des Erlasses des Minister präsidenten Nudini gegen die klerikalen Vereine darauf bingewiescn worden, daß damit ein schwerer Kampf für die italienische Negierung beginnt. Die Richtigkeit dieser Auf fassung wird durch Angaben der „Germania" über die Organisation der italienischen klerikalen Vereine be stätigt. Da man annebmen darf, daß die „Germania" über die Verbältuisse ihrer italienischen Gesinnungsgenossen wobl unterrichtet ist, so sei zunächst entsprechend den Angaben des deutschen klerikalen Blattes Einiges über die italienischen katholischen Vereine angeführt, um dann daraus die Nutz anwendung zu ziehen. Die Organisation der katholischen Vereinigungen in Italien ist noch nicht in allen Einzelheiten vollendet, aber es ist zweifellos, daß unter den gegenwärtigen Verhältnissen eine Beschleunigung der Organisation bis inS Einzelne statt finden wird. Es besteht zunächst ein permanentes Comitv zur Vorbereitunng der Katholikentage. Daneben bestehen regionale Comitös, die sich an die alte historische Gliederung Italiens anschließen. Diesen Verbindungen unterstehen wieder solche, die an jedem Bischofsitze ihre» Mittelpunkt haben, diesen endlich wieder Vereinigungen der einzelnen Pfarr bezirke. Diese katholischen Vereine entwickeln eine be deutende und vielseitige Tbätigkeit. Sie suchen durch Veranstaltung kirchlicher Feste die Bevölkerung heran- znziehen. Sie suchen ferner durch gemeinnützige Ein richtungen, wie Bauernvereine, kaufmännische Vereine u. dergl., bestimmte Stände zu sich hinüberznzieben. Die kaufmännischen Angestellten sollen noch besonders dadurch gewonnen werden, daß eine eifrige Agitation für die Her stellung der Sonntagsruhe, die in Italien noch nicht gesetzlich geregelt ist, entfaltet wird. Beabsichtigt wird die Einrichtung einer weitverzweigten katholischen Presse, die Gründung von Privatschulen, die Ueberwackuug der Gemeindeschulen und insbesondere der liberalen Lehrer. Durch die Bethei ligung an den Gemeindewahlen soll die Herrschaft in den comniunalen Angelegenheiten gewonnen werden. Schließ lich wird eine streng durchgeführte Eentralisation der Vereine geplant. Gelingt eS den Klerikalen in Italien, solcherweise eine umfassende Organisation zu schaffen, so werden sie einen Staat im Staate bilden, einen Staat, der jederzeit bereit ist, den bestehenden politischen Staat aufzulösen. An dem Eifer der Klerikalen kann kaum gezweifelt werden, nachdem der Papst erklärt hat, er verstehe nicht, wie ein katholischer Priester vor den Altar treten könne, wenn er nicht das Bewußtsein habe, sich eifrig an der klerikalen Action zu belheiligen. Die zahlreiche Geistlichkeit in Italien bildet ein sicheres Rückgrat für die Organisation der katholischen Vereine, denn damit ist dem Heere ein starkes OfficiercorpS gegeben, ein OfficiercorpS, das innerhalb seines Kreises an die strengste Subordination gewöhnt ist und das deshalb auch Andere zur Subordination zu erziehen versteht. Ist die Organisation der katholischen Vereine vollendet, so kann die italienische Regierung plötzlich die unangenehmsten Erfahrungen auch in parlamentarischer Hinsicht machen. Wohl ist vom Papst den Katholiken eine Betheiligung an den italienischen De pntirtenwablen untersagt, aber nichts bindert den Papst, jeden Augenblick das Verbot znrückzunebmcn. Mit Hilfe der Vereine kann dann eine völlige Ueber- rnmpelung der Regierung statlsinden, denn wenn der Papst auch nur vier Wochen vor den Wahlen das Verbot aushebt, so ist noch Zeit genug zu einer wirksamen Wahl agitation, da die Anhänger der Klerikalen ebenso bedingungs los ter ausgegebenen Parole zu folgen gewöhnt sind, wie die der Socialdemokratie. An Eandidaten hat die klerikale Partei in keinem Lande Mangel, denn die Eigenschaft des Priesters ersetzt den Gläubigen manchen Mangel, der den Eandidaten sonst anbaflen mag. Gerade die Mittheilungen über die Organisation der klerikalen Vereine zeigt, daß die italienische Regierung recht daran gcthan hat, ihren Vorstoß gegen den Klerikalismus an diesem Puncte zu beginnen. Die Frage ist freilich, ob eS ihr gelingen wird, der Vollendung der Organisation Einhalt zu tbun. Man wird den Klerikalen aller Länder nicht absprechen können, daß sie über ein hohes Maß poli tischer Klugheit, wenn man will, Verschlagenheit, verfügen. So lange nun die italienischen Klerikalen klug genug sind, äußerlich wenigstens nichts zu thun, was de» bestehenden Gesetzen zuwiderläuft, kann die Regierung ihnen kaum etwas anhaben. Sie extra keZem zu stellen, geht bei ihrer gegenwärtigen Stellung in Italien nicht mehr an. Vor 40 Jahren konnte Cavour wohl sagen: 0>muä je sorai au dout cke wes ressourees, je terai penckre un pretrs (Wenn ich am Ende aller Hilfsmittel angelangt sein werde, werde ich einen Geistlichen aufhängen lassen); er meinte damit, daß der Haß gegen das Priesterrcgiment im Volke so lebhaft sei, daß die Verfolgung der Klerikalen immer noch ein Mittel wäre, die etwa sinkende Popularität wieder zu gewinnen Davon aber ist jetzt keine Rede mehr. Die Klerikalen haben es verstanden, sich in den Jahrzehnten, in denen man wohl noch eine frische Erinnerung an ihre Mißwirthschaft haben konnte, ruhig zu verhalten und erst dann wieder mehr hervorzutreten, als eine neue Generation heranwuchs, die von den Leiden der Väter unter der klerikalen Herrschaft nichts mehr wußte, die aber manche Mißstände des weltlichen Regiments bitter empfand. Und hier ist der Punct, wo die italienische Regierung besser gegen die klerikale Gefahr ankämpfen kann, als mit Culturkampfgesetzen. Die Klerikalen sind so klug, die bestehenden socialen Mißstände dazu zu benutzen, um sociale Organisationen zu Gunsten der Bauern und Gewerbetreibenden ins Leben zu rufen und so sich als Retter des kleinen Mannes aufzuspielen. Hier muß ihnen die Negierung, bezw. es müssen ihnen die der Regierung nahestehenden Parteien den Boden abgraben. Eine gute sociale Politik der Negierung ist die sicherste Schutzwehr gegen das Ueberwuchern des Klerikalismus. Nur wenn man eine solche Politik in den Vordergrund rückt, kann man außerdem noch auf gesetzgeberischem Wege der staats» verrätherischen klerikalen Agitation enlgegentreten. LandwirtlMaftliche Interessen und Lund der Landwirthe. 12 In einer Rede über zollpolitische Verhältnisse hat der Generalsecretair des Centralverbandes der deutschen Industriellen Abgeordneter Bueck bemerkt, die heimische Zuckerindustrie würde den größten Schaden von einem Zollkriege mit Amerika haben. Dem gegenüber stellt das Organ deü Vorstandes des Bundes der Landwirthe die Sacke so dar, als ob der Verein der deutschen Zuckerindustrie diesen Krieg wünsche. ES glaubt Herrn Bueck mit dem Hinweise auf die von dieser Be- rufsvereinigunz an den Reichskanzler gerichtete Bitte widerlegen zu können, gegen die Verletzung des amerikanischen Zolltarifs zu Üngunsten des deutschen Zuckers mit allem Nachdruck Einspruch erheben und die deutsche Zuckerinduslrie vor weiteren Verletzungen schützen zu wollen. Dieses Ersuchen ist aber doch etwas ganz Anderes als ein Ruf nach dem Zollkrieg. Es beweist, daß die deutschen Zucker industriellen zur Zeit noch ein Interesse an dem amerika nischen Absatzmärkte haben, der mit Ausbruch deö Zollkriegs sich ihnen zu allererst gänzlich verschließen würde. Die Hoff nung der „Deutsch. Tagesztg.", daß die Regierung die Bitte deS Vereins der Zuckerindustrie erfüllen werde, kommt übrigens sehr verspätet zum Ausdruck. Die Bitte ist erfüllt, die Negierung bat in Washington gegen die Benachtbeiligung des deutschen Zuckers protcstirt, und eine weitere Verletzung zu Ungunsten des deutschen Erzeugnisses, gegen die der Schutz angerufen wird, ist nickt erfolgt. Es ist allerdings zutreffend, daß die Vereinigten Staaten in einem Vertragsbrüche be harren, und die „Deutsche Tagesztg." mag in Gottes Namen sogar Recht behalten, wenn sie Herrn Bueck bemerkt, Deutschland brauche den Zollkrieg nicht erst zu „er öffnen" , da die Amerikaner durch einen Aufschlag auf deutschen Zucker den Zollfrieden bereits thatsächlich gebrochen hätten. Dies indessen ist ein Streit um Worte. Es kommt darauf an, ob man den Kriegszustand will, der z. Z. auch nicht einmal hinsichtlich der Zuckerausfuhr auS Deutschland herrscht, oder nicht. Wir halten nach wie vor an der Ansicht fest, daß diese Frage unter dem Gesichtspunkte der gegen einander abgewogenen deutschen Interessen und unter keinem andern zu betrachten sei. Noch scheint sie nicht beant wortet, auch nach den einen Zollkrieg Widerrathenden Auslassungen des Abgeordneten Bueck nicht. Aber dieser Mann hat doch im Namen der größten und wichtigsten, dabei durchaus schutzzöllnerisch gerichteten deutschen Industriellen vereinigung gesprochen. Und mehr noch als seine Worte fällt das Schweigen der Vertreter großer Industriezweige ins Gewicht, die an der Ausfuhr nach Nordamerika sehr stark betheiligt sind. Diejenigen Berufenen, die sich für den Zollkrieg erklärt haben, sind, genau betrachtet, verhältnißmäßig recht gering an Zahl im Vergleich zu denjenigen, die diese äußerste Maßnahme entweder bekämpft oder durch ihr Stillschweigen bekundet haben, daß sie nicht zu ibr zu rathen wagen. Die Berliner Direction des Bundes der Landwirthe und die „Deutsche Tagesztg." besitzen selbstverständlich noch weniger ein Recht, im Namen der Industrie im Allgemeinen und der Zuckerindustrie ins besondere zu reden, als sie befugt sind, sich als die Wort führer der deutschen Lanvwirthschafl aufznspielen. Daß sie sich das letztere Recht angemaßt, beweist nichts für ihr Recht, während ihre Art, die „Interessen" der Landwirthe zu ver treten, dartbut, daß ihnen außer dem Amt auch der Verstand dazu fehlt. Es sei nur an ihren wie aus der Pistole geschossenen Vorschlag, die Einfuhr von Brodgetreide zu verbieten, erinnert. Neuerdings liefert die „Deutsche Tagesztg." den Beweis der Nichtbefäbigung zum Anwalt der Landwirthschaft, indem sie Herrn Bueck, der gegen einen Zollkrieg u. A. eingewandt hatte, das von Deutschland ausgeschlossene amerikanische Ge treide würde die Brodsrucht anderer Länder auf unsere Märkte drängen, in aller Seelenruhe bemerkt, die übrigen Länder, die für die Getreideausfuhr nach Deutschland noch in Frage kämen, hätten so wenig geerntet, daß sie an eine Ausfuhr gar nicht denken könnten. Das ist eine Albernheit; denn wenn diese Länder keinen Ueberschuß an selbstgebauter Brodsrucht haben, Amerika ihnen aber über den Bedarf Ge treide liefern kann, so werden sie eben amerikanisches Getreide verzehren und heimisches ausführen. Aber die Bemerkung deS Bundesorgans ist zugleich eine höchst frivole. Wer glaubt, daß von keinem andern Lande als Amerika der nun einmal vorhandene Bedarf Deutschlands an fremdem Getreide gedeckt werven könne, und dennoch die amerikanische Frucht ausgespcrrt wissen will, der fordert Hungerpreise für die Gesammtheit der deutschen Nicht- landwirlhe und für die zahllosen Angehörigen deS landwirth- sckastlichen Gewerbes, die Getreide oder Brod kaufen müssen. In solcher brutalen Nichtachtung fremder LebenSinter- essen bei der Bundeöleitung liegt die größte Gefahr für die berechtigten Forderungen der Landwirthe. Sie reizt zu einer Coalition aller Interessen gegen die agrarischen, der die Landwirthschaft nicht gewachsen wäre und gegen die sie am allerwenigsten der Bund der Landwirthe schützen könnte. Die Herren Hahn und v. Ploetz können ja conservative und nationalliberale Wahlkreise Socialdemokraten und Freisinnigen in die Hände spielen und werden es wohl auch thun, Reichs- tagssitze erwerben können sie schwerlich. Die Landwirthschaft wird aber kaum eine Besserung verspüren, wenn Abgeordnete, die z. B. das Börsengesetz mitbeschlossen haben, durch An hänger der Herren Singer und Richter ersetzt worden sind. Deutsches Reich. L Berlin, 22. October. Aus den „Historisch-Politischen Blättern für das katholische Deutschland", die von dem früheren klerikalen Abgeordneten, dem Archivar in Lands hut a. I. Herrn Jörg herausgegeben werden, finden wir folgende treffende Kennzeichnung west-slawischer Agi tation: „Nach Sprachenrecht ruft man und Nationalitätsmacherei meint mau. Man lese die täglichen Euuntiationen der Blätter, z. B. folgende Annonce: „Im sogenannten geschlossenen Sprachgebiete ist ein zum Geschäftsbetriebe passendes Haus zu kaufen. Wir machen vol nijche Geschäftsleute darauf aufuicrkiam, weil in jenem Orte, in welchem sich das Haus befindet, viele polnische na!ivualbc>vusz:e und gut situirte Arbeiter wohnen." Diese Vereine, von den Deutsche» sogenannte „Polonisirungsvereine" genannt, gehen darauf aus, polnische Einzelpersonen in deutschen Gegenden zu sammeln, sodann wirthschaftlichen Zuzug nachzusenden und, wenn die Verhüluisse günstig sind, als „Minorität" auszulreteu. Existirt hier eine Sprachen frage? Gewiß insolange nicht, als alle diese Einwanderer in rein deutschen Gegenden die deutsche Verkehrssprache verstehen und un ausweichlicher Weise ja auch gebrauchen.... Für die deutschen Gebiete haben die polnische» Blätter den Ausdruck „poloni- sirtes" Gebiet, ohne irgendwie die deutsche Besiedelungsart oder den geschichtlichen Einfluß aus die Ausbreitung des Deutschthums in den Ost mark en zu unterscheiden oder ohne hier wieder an deutsche Sprachinseln zu denken, die jetzt polnisch geworden sind. Dem polnischen Volke wird die Vorstellung beigebracht, als ob das historische Recht auf die deutschen Ostniarken nur bei den Polen stehe und daher die Revindication der „gerinanisirten" Ge biete eine patriotische Aufgabe sei. Dem deutschjprcchendcn Pole» wird es als Richtschnur mitgegeben, sich beim Gebrauch der Sprache nicht vom Bedürfnisse leiten zu lassen, sondern nur von seiner Nationalität ..." Soweit die „Görrcsblätter",j das wissenschaftlich-politische Organ des reichsdeulschen Klerikalismus. Vor uns liegt eine lange Reihe polnischer Correspondenzen: Da wird aus Stettin die Gründung eines polnischen „Industricvercinö" gemeldet, der sich an die übrigen polnischen Industrie vereine um Bücher und „gegenseitige Belehrung" wendet. In Oberhausen feiert der St. Barbara-Verein sein Fahneufcst; mit neun polnischen Fahnen ziebt man nach der Kucke, wo der Pfarrer, den man zum besseren Verständnis der Lands leute zum „Propst" macht, die Fahne weiht. An die „Landsleute" um Oberbausen geht der Appell, sich anzu schließen, um der Nachkommenschaft die „Schätze des Glaubens und der Muttersprache" zu erhalten. Aehn- liche Berichte liegen aus Westfalen vor, aus dem König reich Sachsen, aus Hamburg und so weiter. Zuerst ist Einer hingekommen, hat sich deutsch unter Deutschen bewegt; der Eine zog den Andern nach, bis es auSrcicktc, um eine nationale Genossenschaft zu bilden, dann eine die nationale Absicht deckende religiöse und schließlich eine national-erwerbswirthschaftliche, welche auch materiell dem Deulschthum sich geschlossen gezenüberstellt. Unter diesen Umständen müßte man den oben angeführten Artikel des klerikalen Organs als Morgenroth eines neu aufstehenden, kräftigen NationalempfindenS im Centrum begrüßen. Aber cs geht nicht. Denn man würde uns diese Anerkennung mit dem Vorwurf einer ganz bösartigen Entstellung lohnen. Und das wäre auch nicht unberechtigt. Denn das oben an geführte Citat ist in der Thal „entstellt", insofern nämlich, als allerorts statt Polen und Polonisirung „Tschechen" und „Tschechisirung" und statt deutscher Ostmarken „Böhmen" zu lesen ist. Das Uebrige stimmt allerdings wörtlich. * Berlin, 22. October. Zur Gewehrfrage wird den „B. N. N." geschrieben: „Dieser Tage ging eine für osficiös gehaltene Mittheilung des „Hamb. Corresp." durch die Blätter, wonach die Militairverwaltung die Einführung eines neuen Insanteriege Wehres ungeordnet habe, derart, daß die Necruten schon damit ausgebildet werden würden. Die ganze Fassung dieser Aufsehen erregenden Meldung mußte zu der Ansicht führen, daß die Armee ein ganz neues Gewehr erkalten und das alte daher verworfen werden solle. Die Nachricht ist inzwischen dementirt und auf den richtigen Sachverhalt zurückgcführl worden. Dieser besteht darin, daß jetzt alle Insantcrie-Truppcn neue Gewehre des alten Modells 88, die schon längst vorrälhig in den Depots lagern, erhalten. Die sämmtlichen alten, nunmehr seit verschiedenen Jahren im Gebrauch befindlichen Gewehre werden eingezogen und in den Gewebrfabriken, soweit er forderlich, reparirt. Angesichts der neuerlichen Meldungen zur Gewehrfrage erscheint eS angebracht, den gegenwärtigen Stand der staatlichen wie der privaten Gewehr industrie einer Betrachtung zn unterziehen. Daraus wird man ersehen, wie wenig glaubwürdig und wie gänzlich unbegründet eine Mittheilung wie die des „Hamburger Feuilleton. Am die Erde. Reisebriefe von Paul Lindenberg. NaLrriick «erboten. II. Sonntags st immun g. — Neptun ist gnädig. Tageslauf. — Der harmlose und der furchtsame Passagier. — Wir haben den Eiswurm an Bord! — Seemannslatrin. — An der Ligurischen Küste. An Bord der „Bayern", 17. October. Sonntag heute! Statt der Glocken tönender Schall rauscht uns das Meer sein geheimnißvoll-raunendes Lied zu und erfreut uns durch sein im tiefsten Blau erstrahlendes, mit zierlich ge kräuselten weißen Schaumspitzen besetztes Feiertagsgewand, über welches die Sonne ihr goldig fluthendes Licht ergießt. Stolz zieht unser von lustig sich tummelnden Delphinen umspieltes weißes Schiff seine Bahn, Genua entgegen, das wir noch heute Abend erreichen sollen, um einen Tag vor Anker liegen zu bleiben. Links tauchen aus dem farbigen Schooße des Mittelländischen Meeres die lieblichen Küstenstriche des südlichen Frankreich auf und neben Möven umflattern uns die schlanken Seeschwalben, sich immer dichter sammelnd um das Mitteldeck, wo eben unsere Musikkapelle ihr Frühconcert mit den feierlichen Weisen eines Chorals eröffnet. Langausgestreckt liegen in ihren bequemen Rohrsesseln unsere Engländerinnen da, und bei der einen und anderen von ihnen dürfte an Stelle des üblichen Romans heute rinAndachtSLuch getreten sein, was schon das kleinereFormat und der bessere Einband verrathrn; selten nur, daß die Augen hinüber schweifen über die Reeling auf da» herrliche, zur weihevollen An dacht stimmende Bild um uns herum mit den immer köstlicher sich entfaltenden Landschaftsscenen zur linken Seite. Old-England hat von unserem Dampfer in umfangreicher Weise Besitz ergriffen, denn die Bewohner und Bewohnerinnen des machtreichen Eilandes bevorzugen auf ihren längeren Rejsen vor ihren eigenen Schiffen diejenigen des „Norddeutschen Llpyd" wegen der auf denselben herrschenden Sauberkeit, der trefflichen Küche, der aufmerksamen Bedienung, der ganzen behaglich-vor nehmen Einrichtung. Und mit ihnen lernen auch wir diese Vor züge von Tag zu Tag mehr würdigen und sehen schon mit einigem Bangen dem Augenblicke entgegen, in welchem uns unser Reise plan zwingt, unser prächtiges schwimmendes Heim zu verlassen, in und auf dem wir uns sicherer und wohler fühlen als auf dem Lande. Allerdings hat es auch der alte Neptun bisher mit uns recht gnädig gemeint. Die nächtliche, meist gefürchtete Fahrt durch den Canal vor einer Woche verlief sehr ruhig und im klaren, herbstlichen Sonnenschein begrüßten uns die Schlösser, Villen und Parks der Insel Wight, nahe der wir außerhalb des Hafens von Southampton am letzten Montag-Vormittag Anker warfen. Bald legte ein kleiner Dampfer mit Gepäck und Fracht, unter letzterer eine Anzahl „gehaltvoller" Kistchen, die Silberbarren im Werth von 600 000 Mark für China bargen, längsseits, und ein zweiter folgte mit den Passagieren, die sich in buntem Wirrwarr über das Schiff ergossen, mit Ausnahme eines würdigen, älteren Chinesen, der in diplomatischen Diensten steht und den Grad eines Mandarins zweiter Classe bekleidet, und einer stets vergnügten, rundlichen, chinesischen Kinderfrau — plles Unterthanen und Unterthaninnen ihrer ehemals — eS ist schon lange her! — gracieusen Majestät. Es sind durchweg liebenswürdige, weitge reiste Menschen, die nach Indien, China, Japan zurückkehren, nachdem sie für einige Monate Erholung und Zerstreuung in ihrem alten Daterlande gesucht und nach ihrem ganzen Wesen auch gefunden, mehrere Damen mit ihren roth- und blondlockigen Lieblingen allein, deren Männer wohl im fernen Osten durch die Geschäfte zurückgehalten wurden. Das „geschäftige" England sollten wir denn auch hier schon kennen lernen, denn unseren Dampfer umkreuzte fortwährend ein Segler, auf dessen Leinc- wandflächen mit riesigen schwarzen Buchstaben bestimmte Pillen angekllndigt waren — auch eine Art Reclame! Bei der Abfahrt von Southampton zeigte doch gegen Abend der Canal seine Mucken und auch der Atlantic empfing uns mit einer nicht ganz aufgeklärten Stimmung, aus der Sturm oder Ruhe hervorgehen konnte — es war so ein Gefühl: ,^s uv sais pas czuoi", das sich dann auch mancher Passagiere bemächtigte und sie zu einiger Zurückgezogenheit in ihre Cabinen bestimmte. Und in der Nacht polterte und spectakelte es denn wirklich los, aber am nächsten Tage war wieder Frieden auf dem Ocean, der uns kurz vor der Enge von Gibraltar noch mit einem stürmischen Gruß in das Mittelländische Meer entließ, welches uns dafür vorgestern früh mit desto holderem und anmuthigerem Lächeln empfing und wieder seinen einschmeichelnd-eigenartigen Zauber auf uns ausübte und noch ausübt, bei funkelndem Sonnen- und bei mildem Mondenschein, zu jeder Stunde des Tages, der uns früh so lange ausgedehnt und Abends so schnell verflossen er scheint. Weiß der Himmel, wo die Zeit bleibt! Wir schwimmen nun schon seit dem vergangenen Sonntag, also volle sieben Tage, und noch nichts von Langeweile oder gar einem Gefühl des Zu viel. Im Umsehen sind die sechzehn Stunden, die ungefähr unser täglicher Kreislauf zählt, verschwunden, und man möchte gerade in diesen letzten Tagen und dem heutigen besonders der flüchtigen Zeit zurufen: Verweile doch, du bist zu schön! Abge sehen von dem ckolcv tar niente-Gefühl, in welchem man bei ruhiger See schnell eine Meisterschaft gewinnt, giebt es genug des Interessanten und Abwechslungsvollen, das immer wieder die Aufmerksamkeit erregt und bet dem Fehlen von actuellerem Ge sprächsstoff zu langen Betrachtungen und Unterhaltungen Ver anlassung bietet, selbst die gemeinsamen Spiele beeinflussend. Das Anziehendste ist aber doch der Mitmensch, der Iiamo sapiens, zumal, wenn er auf das letztere Eigenschaftswort nicht so recht Anspruch erheben darf! In einer derartigen kleinen, geselligen Gemeinschaft an Bord schließt man sich ja häufig nach wenigen Stunden des Zusammenseins enger zusammen wie auf dem Lande nach Tagen und Monden und die Eigenthümlichkeiten eines Einzelnen fallen einem hier denn auch viel schneller und schärfer auf. Wehe Jenem, der in irgend einer Weise sich durch sein Be nehmen, durch eine Frage, eine Antwort eine Blöße giebt und seine, ich möchte sagen, „Nicht-Gerissenheit" zeigt — er ist, wenn er sich nicht völlig zurückhält, was derlei Naturen aber sehr selten thun, sofort die Zielscheibe des Witzes und Spottes der Anderen, Vie sich sogleich zusammenthun, um sich durch den Unglücklichen die Zeit zu vertreiben. Wir haben das Glück, zwei solcher Käuze unter unS zu haben, der Eine ist unser harmloser, der Andere unser furchtsamer Passa gier. Beiden kann man die ungeheuerlichsten Bären aufbinden, sie glauben Alles, sie sind Neulinge im Reisen und sehen sich, ohne es zu wissen, einem ganzen Kreise von Verschworenen gegenüber, zu dem gelegentlich auch Capitän, Offiziere, Matrosen und Schiffsjungen gehören. „Sind Sie nicht heute früh auch auf geweckt worden durch den Lärm auf Deck?" wird der Harmlose beim ersten Frühstück gefragt. „Nein, was war denn los, was ist denn geschehen?" erkundigte er sich wißbegierig. „O, eine Heerde fliegender Fische hatte sich auf dem Vorderdeck niedergelassen, sie machten mit ihren Flügeln einen Höllenlärm — als sie sich ausgeruht, flogen sie weiter, einen faßte noch der Schiffsjunge, aber er bekam einen Biß in die Hand und mußte ihn leider los lassen." Unser Harmloser sucht sobald wie möglich den Schiffs jungen auf, um sich von ihm die Sache genau erzählen zu lassen, und der, der seinen Mann schon kennt, lügt ihn denn auch weidlich
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