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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.10.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-10-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971023022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897102302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897102302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-10
- Tag1897-10-23
- Monat1897-10
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Dieser Tage hat nun auch die Generalversammlung des konservativen Landesvereins für das Königreich Sachsen einstimmig folgende, heute bekannt gewordene Entschließung gefaßt: „Die eben beendigten Landtagswahlen haben die Noth- wendigkeit der Festhaltung am Cartell evident erwiesen. Es ist dringend zu wünschen, daß das Cartell auch bei den künftigen Wahlen, insbesondere auch bei Len bevorstehenden Reichs tagswahlen, in vollstem Maße erneut durchgeführt werde. In die bezüglichen Vorbereitungen für die Reichs tagswahlen ist mit thunlichster Beschleunigung einzntreten." Aus dieser Resolution erhellt bereits, daß die sächsischen Conservativen zu einer unbedingten Aneignung des von der Berliner Leitung des Bundes der Land- wirthe ausgestellten Programms sich nicht haben entschließen können. Aus den in der LandeSversammiung gehaltenen Reden geht aber hervor, daß von dem Bunde der Landwirthe für daö Königreich Sachsen ein solches Perlangen gar nicht befürchtet und daß vielmehr mit Sicherheit erwartet wurde, der sächsische Bund werde eine Stellung nehmen, die ein Zusammengehen mit den conservativen Nicktmitgliedern des Bundes und den Nationalliberalcn ermögliche. Und diese Erwartung hat denn auch nicht getrogen. Porgestern hat in Dresden unter dem Vorsitze des Rittergutsbesitzers Andrä-Braunsdorf und unter Betheiligung dcS BmikeS- Directors Or. Diedrich Hahn eine Delegirten-Versamnilung deS Bundes der Landwirthe für daS Königreich Sachsen stattgesunden, in der nach längerer Debatte einstimmig folgende Resolution angenommen wurde: „Die am 22. Letober 1897 in Dresden tagende Delegirten-Ver- sammlung des Bundes der Landwirthe für das Königreich Sachsen richtet an die auf dem wirthschaftlichen Boden des Bundes der Landwirthe stehenden Parteien und Parteigruppen zunächst des Königreichs Sachsen, dann aber auch Les ganzen deutschen Reichs die ergebene Aufforderung, bei den nächstjährigen Reichs- tagswahlen zu Gunsten einer nationalen Wirthschastspolitik im Sinne des Fürsten Bismarck die trennenden politischen Programmpuncte möglichst zurückzu st eilen und den Kampf um formalpolitische Fragen bis nach den nächsten Reichstagswahlen zu vertagen. Die Berechtigung dieser Auf forderung liegt darin, daß in der nächsten. Legislaturperiode Les Reichstags die wirthschaftlichen Fragen die wichtigsten für das deutsche Reich sein werden, und daß es deshalb versucht werden muß, die nächsten Reichstagswahlen unter der wirthschaftlichen Parole zu schlagen: Zusammenschluß der productiven Stände zur Vertretung ihrer Interessen unterWieder- Herstellung ausreichender Fürsorge für die Landwirth- schäft durch die Gesetzgebung." Ob die in dieser Resolution ausgesprochene Mahnung an d,c Gesinnungsgenossen im ganzen deutschen Reiche Gehör findet, muß dahingestellt bleiben. ES bleibt auch noch fraglich, waS in den einzelnen sächsischen Reichstagswahl kreisen Wähler und Candidaten unter „Wiederherstellung ausreichender Fürsorge für die Landwirthschaft durch die Gesetzgebung" verstehen werben. Aber durch die Mahnung der Resolution, trennende politische Programmpuncte mög lichst bis nach den Wahlen Hurückzustellen und einen „Zusammen schluß der productiven Stände" zu erstreben, ist eine breite Basis der Verständigung gegeben, auf die die nationalliberalen Wähler und Eandidalen gewiß ebenso gern treten werden, wie die conservativen und die Anhänger des alten Kammer fort sch ritt S. Es bleibt nunmehr dringend zu wünschen, daß die Vorbereitungen zur Erneuerung deS Eartells schleunigst getroffen und in demselben Geiste geführt werden, in dem die mitgetheilten Beschlüsse gefaßt wurden. Je schleuniger und mit je größerem Erfolge dies geschieht, nm so weniger wird zu besorgen sein, daß die anderen politischen Gruppen, die außer den Socialoemokrateu in Betracht kommen, Antisemiten unv Nationalsociale, von dem Cartell sich ausschließen und durch die Aufstellung von Sonder- candidaten den Umstürzlern Vorschub leisten. Die preußische Regierung scheint endlich zu dem Ent schlüsse gekommen zu sein, in den Provinzen, in denen das Polenthum mit dem Dcutschlbum in einem Kampfe liegt, der leider durch die undeulscke Haltung der radicalen und klerikalen deutschen Elemente den Polen wesentlich erleichtert wird, mit Strenge gegen diejenigen Beamten vorzugehen, die trotz der bekannten kaiserlichen Kundgebungen in direkter oder indirecter Weise eine Förderung des Polouismus sich zu Schulden kommen lassen. Die Herrn vr. v. Miguel nahe stehenden „Berl. Polit. Nackr." veröffentlichen nämlich heute einen Artikel, ter an die Mahnung des Fürsten Bis marck, das deutsche Volk möge sich das Nationalbewußtsein zum politischen Leitstern wählen, «»knüpft, die Uneinigkeit der im Neichslande wohnenden Alldeutschen beklagt und bann fortfäbrt: „Dasselbe Schauspiel wie im Westen wiederholt sich im Osten. So dringend das Fortichreiten des national völlig geschlossenen Polenthums die Deuischen zu sesteni Zujaminenslehen mahnt, kann mancher Deutsche sich nicht dazu entschließen, selbst wenn cs sich um die Verthcidigung deutscher Portionen gegen die in solchen Äämpscn stets ganz einigen Polen handelt, mit seinen Stauimesgenossen Schulter an Schulter zu stehen, sondern bringt seine Sonder- Nl.ini.ng zum Schien der ^enüchen Sache ,-ivd zum Siege des Polenthums zum Ausdruck. Daß solche nationale Schwäche ein bejonders starker Hebel für das Polenthum ist, wird ernstlich nicht bestritten werden können; fein Muth und seine Siegeshoffnung werden daourch in äußerst bedenklicher Weise gesteigert. In noch höherem Maße natürlich, wenn selbst Beamte, wie jüngst bei der Wahl in Dirschau ein Lehrer an einer höheren Lehranstalt, sich eines solchen Abfalls von der deutschen Sache schuldig machen und die Regierung demselben ruhig zuzusehen scheint. Gerade wegen dieser verderblichen Wirkung aus die polnische Propaganda erscheint cs aber als eine unabweisbare Pflicht der Negierung, dafür zu sorgen, daß Männer von so geringem deutschen National- gesüdl, wie jener Oberlehrer, nicht in Landestheilen amtiren, in denen es gilt, das Deutschthum vor Polonisations- bestrebungen zu schützen. Die Regierung wird sich nicht nur die in jene Landesthcile zu entsendenden Beamten auf die Stärke ihres nationalen Bewußtseins anzusehen, sondern auch dasür Sorge zu tragen haben, daß, wenn in dieser Hinsicht, wie mit jenem Oberlehrer, ein Mißgriff gemacht wird, er baldigst durch Ver setzung des Betreffenden in eine minder exponirte Stelle wieder gut gemacht wird." In den „Berl. Pol. Nachr." klingt das mebr nach einer Ankündigung, daß die preußische Regierung nunmehr ihrer „unabweisbaren Pflicht" genügen werde, als nach einer Mahnung. Auf alle Fälle aber wird die preußische Re gierung reckt weit unv recht hoch greifen müssen, wenn sie alle die Beamten treffen will, die mindestens im gleichen Maße wie der betreffende Oberlehrer an Schwäche des deutsch nationalen Bewußtseins leiden. Aber auch wenn die Reinigungs arbeit vor höheren Staatsbeamten nicht Halt macht, bleibt noch sehr viel zu thun übrig, wenn dem liebel die Axt an die Wurzel gelegt werden soll. Sie reicht bis zum Vatikan, wo die geistlichen Agitatoren gegen das Deutschthum eine Stütze finden, gegen die selbst Fürstbischof Kopp und Bischof Redner ohnmächtig sind. Es ist dieselbe Stütze, an die sich die welfischen Eapläne in Hannover und die sranzosen- freundlicken ultraniontanen Hetzer im Neichslande an- lebuen. Wir hoffen, daß das bald einmal im preußischen Abgcordnelcnhause zur Sprache gebracht und gründlich be handelt werde. Der in Vorbereitung befindliche national liberale Antrag auf Aufhebung der preußischen Ge sandtschaft beim Vatikan wird Gelegenheit dazu bieten. Wie es die Jesuiten treiben, wo sie ungehindert schalten und walten können, zeigt die empörende Ver gewaltigung der Evangelischen auf der Insel Madagaskar. Aber auch im heiligen Lande benehmen sie sich ebenso heraus fordernd und gewaktlbälig. In den „Katholischen Missionen" berichtet der Jesuit Rolland über seine Tbätigkeit in Galiläa. Bisher waren die Einwohner dieses LänvchenS ohne alle ärztliche Hilfe und ohne alle Heilmittel, bis ihnen pro testantische Aerztinnen umsonst Hilfe und Heilmittel krackten. Wie der Jesuit meint, haben sie dies aber nur gethan, damit die Leute „die Bibel lesen" sollten. Doch lassen wir ibn weiter erzählen: „Eben dieses niederträchtige Ver fahren, daß darin besteht, die Seelen zu vergiften (!) unter dem Vorwand, den Leib zu heilen" — führt der Jesuit aus — „wurde in dem Orte Bassa angewandt. Die Schüler Lulher's batten da bereits eine Schule und sie waren im Begriff, ein großes Gebäude neben der katholischen Kirche zu er werben, um es theils als Schule, theils als Tempel (Kirche) einzurichten. Sie hatten mehrere geheime Anhänger, die nur auf die Gelegenheit warteten, sich für den Protestan tismus zu erklären. Aber die Vorsehung hat ihre Plän vereitelt. Der eifrige katholische Bischof von Atka bat den Superior der Jesuiten um ein oder zwei Missionare, um einen Feldzug gegen die Ketzerei ins Werk zu setzen. Ich wurde dazu bestimmt und machte mich daran, den Prote stantismus zu entlarven, ich zeigte, wie er die Bibel fcischti!), um di« Dogmen von der Tradition der Ober- berrsckafl des heiligen Petrus (Papstes), der Größe der Maria rc. zu leugnen. Ick habe das Leben seines Stifters, Lutber, unv dessen schrecklichen Tod (!) erzählt u. s. w. Diese Argumente zogen und die Protestanten verloren Tag für Tag an Boten. Seine Erbabenheit (der Bischof) glaubte nunmehr die Stunde für einen entscheidenden Schlag gekommen. Er setzte sich mit der Localbehörde ins Einvernehmen und die protestantische Schule, das Boll werk dieser Secte, ist mit bewaffneter Hand geschlossen worden. Einige Tage später erschien der Bischof, der seine Herde vor Len Angriffen des protestantischen Wolfs gerettet halte, und sicherte die Gläubigen gegen die Verführungen der Protestanten, indem er erklärte, daß Jeder, der mit den Protestanten verkehre, obnc Weiteres dadurch dem Kirchen bann verfallen sei." — So also Hausen die Jesuiten schon in einem Lande, wo sie nach ihrem eigenen Gcständniß nur geduldet sind von der andersgläubigen Obrigkeit! Das katholische Missionsblatt aber findet dergleichen Dinge sogar „höchst erbaulich und schön!" Die politische Lage in Norwegen dürfte in der nächsten Zeit die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich lenken. Die Suorthingswahlen haben nämlich für die Linke einen so günstigen Verlauf genommen, baß die Möglichkeit, ja Wahr scheinlichkeit einer Zweidrittel-Majorität für die Linke vor liegt. Sicher sind ihr 74 Storthingsmandate, gewinnt sie noch zwei von den noch zu vergebenden 22 Mandaten, dann bat sie daS ersehnte Ziel erreicht: Verfassungsände rungen vornehmen zu können, wozu nämlich das Storthing mit einer Zweidrittel-Mehrheit die Macht hat. Was dies aber bei der Unionsfeindlichkeit der norwegischen Radicalen bedeutet, liegt auf der Hand. Ihr Hauptorgan in Christiania, „Verdens Gang", läßt über ihre Pläne, besonders in der Flaggenfrage, keinen Zweifel. Die „reine" norwegische Flagge als Hanvelsflagge wird dann eingeführt. Und die Kriegsflagge? Auch diese wollen die Radicalen nicht mehr; die „reine" Flagge soll auch Norwegens KrieHsflagze sein, die Zweidrittel - Majorität wird Len betreffenden Ver fassungs-Paragraph abändern. Doch auch damit noch nicht genug. In radicalen Kreisen wird die Forderung aufgestellt, daß Schweden völkerrechtlich kein Recht mehr habe, in seiner Flagge das Unionsabzeichen zu tragen, wenn Norwegen die Verfassungsbestnnmung aufgehoben bat. An gesichts solcher Forderungen dürfte sich das Verhältniß zwischen Schweden und Norwegen reckt unerquicklich gestalten, und der entschiedene, ja drohende Ton von „Verdens Gang" läßt vermuthen, daß diese neue Anregung als Mittel zum Bruch der Union dienen soll. Auf große Schwierigkeiten dürfte der zweite Hauptpunkt des ravicalen Zukunstsprogramnies, die Ernennung eines eigenen Ministers des Aeußern für Norwegen, stoßen. Was das innere Programm der Linken anbelangt, so steht hier das allgemeine Wahlrecht in erster Linie. Bezeichnend für die Lage in Norwegen ist, daß man von manchen Seiten vorsckläzt, die schwedisch-norwegische Union aufzuheben und den Prinzen Karl, den zweiten thron berechtigten Sohn des Königs Oskar, zum König des selbst ständigen Norwegen zu machen. Eine Stockholmer Zeitung hat Liesen Gedanken ernsthaft erörtert. Der Rückschlag auf die Hoffnungen, welche die russische» Polen auf den Besuch des Zaren in Warschau gesetzt hatten, macht sich empfindlich fühlbar. Nahezu zwei Monate sind seitdem verflossen, und jetzt sehen sich Diejenigen, welche günstige Wirkungen von dem Zarenbesuch in national politischer Hinsicht erwartet hatren, gründlich enttäuscht. DerNussificiruugsapparat arbeitet genau in der nämlichen Weise wie vorher weiter. Nur in religiöser Hinsicht scheint man den katholischen Polen kleine Zugeständnisse machen zu wollen. In vielen Lehranstalten dürfen die Schulgebete am Morgen wieder in polnischer Sprache gesprochen werden. Die katho lischen Schulen brauchen an den Galatagen nicht mehr an den orthodoxen Festgottcsdiensten theilzunehmen und außer dem ist in den Gouvernements Kowno, Grodno und Wilna mehreren katholischen Kirckengemeinden die Renovirung alter katholischer Kirchen oder der Neubau katlo ischer Kirchen ohne Weiteres bewilligt worben. Gerade in diesen Theilen des ehemaligen Polenreiches verweigerte in den letzten zwanzig Jahren die Regierung konsequent den Neubau katholischer Kirchxn oder die Erneuerung verfallener Gotteshäuser. Schließlich wird an einigen Gym nasien Warschaus der polnische Sprachunterricht wieder als obligatorischer Lehrgegenstand eingeführl werden. Das ist aber auch Alles und Viel ist es gewiß nicht. Die Polen hatten noch vor zwei und drei Monaten etwas ganz anderes erwartet und darum begrüßten sie auch den jungen Herrscher bei seinem Einzuge in die alte polnische Könizsresidenz mit über schwänglichem Jubel. Heute ist die Stimmung in Warschau eine sehr katzenjämmerliche. Der Warschauer „Wick", ein ziemlich einflußreiches und weitverbreitetes polnisches Tage blatt, tröstet seine Leser mit der „historischen Wahrheit", daß zwar die Staaten fallen, die Völker aber niemals aussterbcn. Feuilleton» Götzendienst. 4lj Roman in zwei Theilen von Waldemar Urban. Nachdruck verboten. Es war im September, ein heißer Tag. Don Gracias war eben im Begriff, sich zu einer kurzen Mittagsruhe niederzulegen, als Herr Delorme rasch und ungewöhnlich aufgeregt eintrat. Er hielt zwei große, mit Amtssiegeln versehene Schreiben und ein kleines Kästchen in der Hand. Don Gracias mochte sofort errathen, um was es sich han delte. Die Antwort auf sein Gesuch war eingegangen. Endlich war es entschieden, ob sein Vater als ein ehrlicher Mann gelten sollte oder nicht. Er verfärbte sich und seine Stimme klang trocken und zitternd, als er sagte: „Nun? Hat sich Fichtner endlich besonnen?" „Ja, Excellenz. Hier ist die Antwort aus dem Civil- cabinet seiner königlichen Hoheit." „Was sagt sie?" „Sie lautet folgendermaßen: In Erledigung Ihrer Immediateingabe wird Ihnen hierdurch zunächst die Mit theilung gemacht, daß sich infolge der sofort angestellten Recherchen ergeben hat, daß der seinerzeit angeblich ermor dete Mühlenbesitzer Johann Jakob Haßlinger laut einer Beilage der Land-Office Freeborn im Staate Minnesota erst im vorigen Herbst in seiner Farm im Gebiet von Free born verstorben rst." „Im vorigen Herbst!" unterbrach Herr de Melida leb haft den Vorleser. „Also kann doch von einem Mord keine Rede sein!" „Natürlich nicht. Der Mann ist seinerzeit der aufge laufenen Advocatenschulden wegen weggelaufen und hat sich aus dem Grunde wohl gehütet, wieder etwas von sich hören zu lassen." „Aber mein Vater —" „Hören Sie nur weiter, Excellenz. Das Schreiben lautet weiter: Damit fallen alle zur Entdeckung des ver meintlichen Mörders gethanen Schritte als bedeutungslos in sich zusammen und wird insbesondere auf Ihren Antrag der gegen den Schuhmachergesellen Adolf Hartwig ausge fertigte Steckbrief zurückgenommen und sowohl hierdurch, als auch durch öffentliche Kundmachung für null und nichtig erklärt." Herr de Melida schluchzte laut auf und fuhr sich mit der Hand über die Augen. Es war, als ob ein Alp von seiner Brust weggenommen würde. „Vater — Vater!" stammelte er nochmals. „Ferner ist dem unterzeichneten Hofmarschallamt der ebenso erfreuliche wie ehrenvolle allerhöchste Auftrag zutheil geworden, Euer Hochwohlgeboren beigehend in Anerkennung Ihrer hilfsbereiten Gesinnung und Ihrer Verdienste um das Land den Hausorden mit Eichenkranz zu überreichen. Ge nehmigen Sie u. s. w." Dabei ließ Herr Delorme ein kleines zierliches Emaillkreuz in blitzender Goldfassung mit grünem Eichenkranz umgeben in der Sonne funkeln. Aufmerksam staunte Don Gracias den merkwürdigen Schmuck an. Das war nun freilich doch etwas Anderes, als ein rother Distelkopf. Hm — was war das? fragte sich Don Gracias. Anerkennung! Anerkennung bei seinen Mit menschen zu finden — konnte es für einen Mann im Leben etwas Höheres, Besseres, Würdigeres geben? Lebte nicht sein Vater in ihm fort? War nicht auch er in dem Sohne geehrt? Ja, wenn man das so auffaßte, dann war ja Alles gut. Wenn man ihn aber als „Erlkönig" auffaßte, der sich in leerer Eitelkeit, in hohlem Streberdünkel in Kreise drängte, die nicht die seinen waren, wo er nur geduldet und auf die unterste Rangstufe placirt wurde, dann mußte das Kreuz allerdings ein schlechter Trost, ein schlechter Ersatz für die Leiden und den Tod eines unschuldig Verfolgten werden, dann war der Distelkopf als Merkmal der urbar gemachten Landstreckrn für Don Gracias bedeutsamer, würdiger als das Kreuz. Herr Delorme ließ das Kreuz vor ihm noch immer in der Sonne funkeln und sah ihn erwartungsvoll an endlich nahm es Don Gracias in die Hand und heftete es an seinen Rock. Er trug es, weil er lrbensweise, verständig genug war, den Schmuck so aufzufassen, wie er ihn seiner Innerlichkeit nach auffassen mußte. Wie Andere das auf fassen würden, dafür war er ja nicht verantwortlich. Es brauchte ihn also nicht zu kümmern. Seit diesem Tage betrieb Herr de Melida seine Abreise energischer. Er hatte keine Ursache mehr, in Europa noch länger zu verweilen, und in Tucuman war seine Anwesen heit immer nothwendiger. Schließlich war der Tag und die Stunde der Abreise festgesetzt, die Aacht Don Gracias' wurde nach Hamburg beordert, von wo die Rückreise ange treten werden sollte, die Hochzeit Felicias mit Adolf Hart wig auf den Tag vorher angesetzt, Alle waren in freudiger Aufregung — nur Don Salvatore wurde, je näher dieser Zeitpunct kam, immer ängstlicher, hastiger, seufzte herz brechend und saß mit einem wahren Feuereifer hinter seiner deutschen Grammatik. Sein Kummer war groß. Er konnte noch immer keine richtige deutsche Liebeserklärung machen. Er hatte sich das schon von seinem Lehrer auf setzen lassen und das Elaborat mit einer wahren Todesver achtung und im Schweiße seines Angesichts auswendig ge lernt; aber nie war die Situation eine solche gewesen, daß er sie hätte anbringen können. Endlich merkte er auch, daß solch auswendig gelernte Geschichten doch nicht das Rechte waren. So ging es nicht. Aber wie? Wie? Das war sein Kummer, der ihn Tag und Nacht seufzen ließ, daß es dröhnte. Der Herbst war in jenem Jahre außerordentlich heiß, die Luft trocken und mit feinen Staubtheilchen versetzt. In folgedessen erglänzte die saure Gurke, diese Perle, die Deutschland vor allen Ländern der Erde auszeichnet, in ihrem schönsten Glanz und besonders Don Salvatore war sehr verwundert darüber, daß die Deutschen auf die Erfindung des Pulvers und der Buchdruckerkunst stolz waren und den Erfinder der sauren Gurke undankbar vernachlässigten. Nach ihm war dieser der größte Wohlthäter seines Volkes und verdiente noch vor Guttenberg und Schwarz ein Denk mal. Salvatore war ein leidenschaftlicher Liebhaber von sauren Gurken und ganz besonders gern aß er sie, wenn sie seine Cousine Josefine mit ihren feinen Fingerchen geschält und in dünne Streifen der Länge nach zerschnitten hatte. „In Tucuman giebts keine sauren Gurken?" fragte ihn Josefine eines Tages, als er mit ihr im Schatten eines Birnbaumes in Heblingen saß und eben den angenehm säuerlichen und belebenden Saft einer sauren Gurke aufsog. „Nein", sagte er. „Nirgends giebt es saure Gurken. Nur in Deutschland." „Aber was wirst Du denn in Tucuman machen, wenn Du durstig bist, Salvatore?" Er seufzte kummervoll und sah sie zärtlich an. „Das wird ein großer Jammer!" sagte er endlich. Er wollte eigentlich etwas ganz Anderes sagen, aber er konnte es nicht ausdrücken und kniff seine Cousine als Ersatz dafür in den Arm. „Aber Salvatore!" entrüstete sich Josefine. Dann bot sie ihm noch ein Streifchen, das sie ohne Gabel zwischen den Fingern hielt. „Ich werde Dir ein Fäßchen voll eingelegte Gurken nach Tucuman schicken", tröstete sie ihn dann. Er schüttelte heftig mit dem Kopf, als wenn ihm dieser Vorschlag durchaus nicht gefallen wollte. „Nein, nein!" sagte er. „Ich werde pflanzen Gurken in Tucuman." Das war schon viel gesagt und er war auch entsprechend stolz darauf. Er war schon im Begriff, seine auswendig gelernte Geschichte herunterzuleiern, aber Josefine kam ihm wieder dazwischen, indem sie erröthend und absichtlich das Thema ändernd sagte: „So nimm doch das Streifchen. Ich kann die Hand doch nicht ewig so halten." Er nahm sie bei der Hand und biß ein Stück von der Gurke ab. „Du mußt mit nach Tucuman", sagte er hitzig. „O, o, was soll ich dort?" „Du mußt. Du mußt sein dort meine Frau." Sie wollte aufstehen und fortlaufen. Aber er hielt sie fest in der Hand und biß wieder und wieder in die Gurke und endlich in die Finger.
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