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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.11.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-11-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971102017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897110201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897110201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-11
- Tag1897-11-02
- Monat1897-11
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Größere Schriften laut unserem Preis- vrrzeichniß. Tabellarischer und Zissernsatz nach höherem Tarif. (vvtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung .4l 60.—, mit Postbeförderung ^ll 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 55S. Dienstag den 2. November 1897. 81. Jahrgang: Verftimrnungs-poMik. Die Niederlage der nationalliberalen Partei bei den Wablen in Baden gegenüber einer ultramontan-demokratischen und socialdemokratischen Verbindung wird in allen reichS- treuen Kreisen Deutschlands schmerzlich empfunden werden. E- ist auf» Tiefste zu beklagen, daß, wie in einem Artikel der Abendausgabe de- .Leipz. Tagebl." vom 29. October richtig bemerkt wird, in einem durch seine ReichSlreue ausgezeichneten Lande wie Baden, wo auch alle inneren Verhältnisse, Lolks- wirthschaft und Finanzen, in bestem Stande sind, wo der vom Throne ausgehende hohe und freie Geist auch durch die Handlungen der Regierung sich bethätigt, daß da bis zur nächsten Wahlperiode in der Volksvertretung eine Mehrheit herrschen soll, welche einer solchen Regierung keine Stütze, sondern nur ein Hemmniß sein kann. Beinahe noch betrübender und besorgnißerregender aber als diese Tbatsache ist diejenige, welche in jenem Artikel als die muthmaßliche Ursache dieses bedauerlichen Vorkommnisses angeführt wird. Nicht die Uebermacht der Gegner, auch nickt eine bloße Flauheit der nationalliberalen Wähler (der- aleicken ja wohl vorkommt) habe, so wird behauptet, den Mißerfolg der Nationalliberalcn verschuldet, vielmehr hätten viele nationalliderale Wähler absichtlich, auS einer tief gehenden Verstimmung, sich der Wahl enthalten. Diese Ver stimmung habe ihren Grund „nickt im Lande", sie sei nicht gegen die Politik der eigenen Regierung gerichtet, sondern gegen die „Reichspolitik". Es sei diese Wahlenthaltung ein stillschweigender negativer Protest „gegen die Berliner Regierungsverbältnisie". Diese Tbatsache (wenn es wirklich eine solche ist*) würde zu sehr ernsten, weil über den Rahmen der badischen Wahlen hinauSgehenden Betrachtungen auffordern. .Daß eine weitverbreitete Verstimmung über den Stand unserer öffentlichen Verhältnisse herrscht, ist ja nicht zu leugnen. Den Klagen der Presse über diese Verhältnisse hat die „Kreuzzeituug" entgegen gehalten, sie seien nicht genug sam „substantiirt", d. h. auf bestimmte Vorgänge begründet. Dem wird von anderer Seite entgegen gehalten, eine solche *) Daß wenigstens in Karlsruhe ein erheblicher Procentsatz der nationalliberalen Wähler sich der Wahl enthalten hat, geht aus folgenden Sätzen einer Zuschrift hervor, die der „Nat.-Lib. Corr." aus Baden zugegangcu ist: „Ganz besonders zu bedauern ist die Auslieferung der Residenzstadl Karlsruhe an die Socialdemokraten, ein Werk des Centrums, das in letzter Stunde offln Farbe bekannte und Las Eintreten für die Socialdemokratie pro- clamirte. Trotzdem hätte der badischen Resi.enz die Schmach, eine Domaine der Socialdemokratie zu werden, erspart werden können, wenn von den 3000 Wählern, die der Urne fern geblieben sind, wenigstens ein kleiner Theil vom Wahlrecht Gebrauch gemacht hätte, denn der Vorsprung, welchen die Opposition vor den National liberalen hat, ist sehr geringfügig." Und Laß wenigstens einen Theil dieser 3000 Wähler nicht Flauheit, sondern die Absicht, gegen die Neichspolitik zu demonstriren, von den Urnen ferngehalten habe, muß aus zahlreichen Auslassungen der badischen nationalliberalen Presse wahrend der Wahlbeweguag geschlossen werden. Um so mehr Beachtung und Beherzigung ver dienen die vorstehenden Ausführungen des Nestors der national liberalen Partei. D. Red. d. „Leipz. Tagebl." Substantiirung verbiete daS Strafgesetz. Wenn dem so wäre, so würde doch eine noch so freimülhige Aussprache begründeter Beschwerden im NeickStage unter dem Schutze der Nicht- verantwortlickkeit der Abgeordneten, gerichtet an den verant wortlichen Vertreter der Reickspolitik, den Reichskanzler, keinen Bedenken begegnen. Insofern ist allerdings die Mahnung, welche der Artikel an die nationalliberale NeickstagSfraction richtet, woklberechtigt. UebrigenS giebt eS auch Beschwerden gegen die Reichspolitik und die mit ihr eng versckwisterte preußische, welche sich recht wohl «sub- stantiiren" lassen, ohne daß man dem Strafgesetz verfällt, z. B. die lange Verzögerung der Militairstrasproceßordnung, ebenso die der längst in Aussicht gestellten Reichsfinanzreform, die Behandlung der Polenfrage, die preußiscke Eiscnbabn- politik mit Bezug auf die vielen Unfälle und dergl. mehr. Es ist besser, wenn dergleichen Beschwerden von reichsfreund licher, als wenn sie von reichSseindlicher Seite kommen. Allerdings sind bei der herrschenden Verstimmung wohl auch sog. unwägbare Ursachen im Spiele, wo eine solche „Sub stantiirung" schwieriger ist. Wie dem aber auch sein mag, daS Mittel, welches an geblich — hoffentlich nur angeblich — die badischen Wähler angewendet haben sollen, um ihre Unzufriedenheit mit der ReichSpolitit zu bekunden (oder, wie es in dem erwähnten Artikel heißt, „um anfzurütteln"), scheint mir keineswegs das reckte zu sein. Denken wir uns dasselbe auf die Reichstagswahlen und überall in Deutschland angewendet, so möchte leicht ein großer Tbeil deS sonst reicbStreuen Bürgerthums durch seine Wahlenthaltung den Ultramontanen, Demokraten oder Socialdemokraten einen fast mühelosen Wahlsieg in die Hande spielen. DaS gäbe dann einen Reichstag, der noch weniger erfreulich wäre, als der jetzige. Mögen doch die, welche mit der gegenwärtigen Reichspolitik unzufrieden, dabei aber grundsätzlich und auf richtig reickStreu sind, statt schmollend bei Seite zu stehen, oder gar eine gewisse Schadenfreude über reichsfeindliche Wablen zu empfinden, lieber sich zusammenthun, gemeinsam berathen, worin ibre Unzufriedenheit ihren Grund habe, und in irgend einer zulässigen und Erfolg versprechenden Form ihre Wünsche, Klagen, Beschwerden an den Mann bringen. Solche Formen lassen sich im konstitutionellen Staate immer sinken. Neben der Aussprache in der Presse und in öffentlichen Ver sammlungen giebt es den Weg der Petition oder Beschwerde an den Reichstag. Nach unserer sächsischen Verfassung (tz 36) ist es außerdem Jedem unbenommen, seine Wünsche und Be schwerden bei dem Regenten unmittelbar anzubringen. In ernster Zeit ist von diesem Rechte Gebrauch gemacht worden, und schließlich nicht ohne Erfolg. Tie Reichsversassunz ent hält zwar eine ähnliche Bestimmung nicht, weil sie überhaupt keine sog. „Grund- oder Volksrechte" enthält, aber es steht wohl außer allem Zweifel, daß Kaiser Wilhelm II. solchen Beschwerden und Wünschen, welche von einer Anzahl als reichstreu bekannter Staatsbürger an ibn gebracht würden, sein Ohr nicht verschließen, vielmehr die ihnen zu kommende Beachtung schenken würde. WaS immer in dieser Hinsicht geschehen kann und mag, ist jedenfalls besser, als ein bloßes NicktStbun, die Dinge gehen Lassen, höchstens raisonniren, und durch solche Passivität die Sache der Gegner deS Reichs und der bestehenden Gesell schaftsordnung fördern. Karl Biedermann. Nochmals das Toaoabkommen. * DaS französisch-deutsche Togoabkommen findet jetzt, uackdem in der „Nationalzeitung" der bisher ungedruckte und auch seinem ganzen Inhalte nach noch nicht bekannte Brief des I)r. Döring über die Gruner'scke Erwerbung auf der Ostküste deS Niger erschienen ist, eine andere, wesentlich ungünstigere Beurtbeilung als zuerst, wo es unmöglich war, die Ver träge deö vr. Gruner in Gandu nach ihrem vollen Werth zu messen, weil in der deutschen Denkschrift zum Togoabkommen kein Sterbenswörtchen davon erwähnt wurde. Und in der Tbat, wenn I)r. Gruner Vie Verträge mit dem Sultan von Gandu geschloffen bat — und daran ist nach vr. Döring's Bericht nickt zu zweifeln —, so mußte uns auf alle Fälle ein Weg zum Niger gewahrt bleiben, damit wir überhaupt einen Weg batten, um in das von uns erworbene Land östlich des Niger zu Lande zu kommen. Jetzt ist unS dieser Weg abgeschnuten und selbst wenn England unS dort in Gandu Coucessionen macken wollte, so würde uns doch eine solche afrikanische Enklave nichts nützen. Gandu dehnt sich mit den ihm tributpflichtigen Staaten weit den Niger abwärts aus; sogar die Staaten Jlorin und Nupe sind ihm tributpflichtig. Mauri Saberma und Dendina werden als ihm unterthan betrachtet. Vei Vivien de St. Martin heißt es: „Gandu erstreckt sich in sehr unregelmäßiger Gestalt zu beiden Usern des Flusses Quarra oder Niger annähernd vom 7. Grade bis zum 14. oder l5. Grad nördlicher Breite und vom 3. Grad bis zum 5. oder 6. Längengrad westlicher Länge. Der Zu sammenfluß des Benue und des Quarra bildet seine Süd linie; nach dieser Seite hin dehnt es sich sogar bis nach Adamongou an dem Niger aus. Nach Norden zu schließt eS Konrfai ein, an der Grenze der Jmöchagh oder TonLreg Aouslimid, im Osten ist das Sultanat von dem Königreich Sokoto begrenzt." Auch unsere deutschen Reisenden Barth, Rohlss und Staudinger geben die Grenzen dementsprechend an. Nachdem wir den Bericht des vr. Döring kennen, sind unS auch die geheimnißvollen Andeutungen, in denen sich die „Times" vorige Woche erging, verständlich. Das Londoner Blatt war schon lange von se .er Negierung über die deutschen Ansprüche aufgeklärt v.nd zugleich instruirt worden, diesen Ansprüchen jede Bedeutung abzusprcchen, ja es konnte nack dem Bekanntwerden des Togoabkvmmens schadenfroh darauf Hinweisen, daß wegen des Nigerabkommens sich nur Frankreich und England gegenüberständen. Wenn thatsächlich, wie die „Nationalzeitung" ausführt, unser Vertrag mit Gandu England notficirt worden ist, so ist die Haltung der „Times" und ihrer Inspiratoren für uns sehr beschämend, um so beschämender, als man von offlcieller deutscher Seite bisher noch kein Wort zur Entgegnung auf die britischen An sprüche und ihre mehr als unverfrorene Besprechung in der englischen Presse gehabt hat. Nack dem Ganduvertrag sind wir berechtigt, an den Niger-Ufern unter Benutzung der durch die Niger-SchiffsabrtSacte gewährleisteten Rechte die ver träglich von Gandu erworbenen Zugeständnisse der Schutz- berrschast tbatsächlich auözuüben. Gegenüber den vermeint lichen Rechten, an denen England trotz der Ncutralisirung im Vertrag von l888 dort festhäll, ist es angebracht, darauf hinzu weisen, daß schon 1886 der deutschen Gesandtschaft gegenüber, wie der deutsche Reisende Slaudinger erklärt, von dem Sultan von Sokoto auf das Energischste verneint wurde, irgend welche Landabtretungs- oder Monopolrechte der englischen Gesellschaft verliehen zu haben. Auch der Sultan von Gandu verneinte dieses und in Nupe beziehungsweise Bida nahm die Frage gelegentlich einer von dem Sultan erfolgten Einberufung der in dem Lande angesiedelten Händler, der auch der Agent der damaligen „National African Company", jetzigen „Royal Niger Company", beiwohnte, einen sehr ernsthaften Charakter an, indem der Gandu tributpflichtige Sultan dieses Gebietes öffentlich erklärte, daß den Engländern kein Zoll des Landes gehöre ,nur ihm die Herrschaft zukäme und er allein Abgaben einziehen könne. Nur schwer gelang es dem Gcsell- sckastSvertreter, durch große Geschenke sein gefährdetes Leben zu retten. Bereits 1886 hatte, wie schon erwähnt, der Sultan von Sokoto erklärt, nicht einen Zoll von dem Boden der unter seiner Hoheit stehenden Gebiete an die englische Gesellschaft verkauft, noch derselben das geringste Monopol recht gewährt zu haben. Er sagte zu Staudinger: „Meine Märkle sind frei für alle Völker. Ich heiße Euer Volk zu Handel und Wandel hoch willkommen. An jedem Platze meines Reiches muß Euch die Anlage von Factoreien gestattet und Grund und Boden zum Bauen von Häusern zuertbcilt werden", und das wurde in einem Briefe an den deutschen Kaiser bestätigt. Darnach möge ermessen werden, was die stets mit großen Worten verkündeten „Verträge" und die damit erworbenen „Besitzrechte" der Royal Niger Company be deuten. Ist diese Gesellschaft doch in der allerletzten Zeit noch auf Kriegszüge gegangen, um zu erobern, was sie ver traglich nie zu erwerben vermocht batte. Wenn in dem Togoabkvmmen das Gewicht aus die wirthschastlichen Interessen gelegt worden ist, so ist cs nichts weniger als selbstverständlich, daß nunmehr auch Deutschland seinen Anspruch auf die großen wirthschastlichen Gebiete von Gandu (mit der kleinen Ortschaft gleichen Namens, die uns zusiel, ist dieser linksnigerische Besitz nicht zu verwechseln) mit Nachdruck verfolgt, und wenn unS nun einmal der directe Weg dazu fehlt, die Nigeracte ordentlich ausnutzt. lieber den wirthschastlichen Werth der neuen Erwerbungen und insbesondere des Mono-Dreiecks und Sansanne-ManguS hat sich der beste Kenner des Togozebiets, G. A. Krause, in »er „Kreuzzeilung" recht skeptisch ausgesprochen. Er schreibt: „Die Hauptfrage ist nun, wird und kann Deutschland Nutzen ziehen aus dein Mono-Dreieck? Diese Frage muß verneint werden. ... Es ist eine ganz irrige Ansicht, es würden nun deutsche Kaufleute in Togo sich am Mono ansiedeln und den Handel von hier nach der Togoküste hinziehen .... Einen wirth schastlichen Portheil wird daher Deutschland ans dem neu er worbenen Gebiet am Mono nicht ziehen, weil ihm die dazu gehörige Küste fehlt. . . . Unverständlich muß es bleiben, daß das Bestreben, das Togogebiet wirthschastlich anszubeuten, mit der Erwerbung von Sansanne Mangu eingeleitet wird, denn Liese Erwerbung wird dauernd Geldopser kosten, ohne Laß sie im Stande wäre, jemals etwas einznbringen." Man sieht, es ist Zeit, daß die Negierung einmal ganz reinen Wein über ihre Absichten und ihre Gründe, die sie bei dem Abkommen geleitet haben, einschcnkt. Deutsches Reich. L2 Berlin, 1. November. DaS Denunciationswesen in der Stumm'schen Presse greift immer mehr um sich. Der Curalor der Universität Bonn, vr. v. Nottenburg, F-nillston. DWerftimmen aus -em Volke, lgachtnick »ertöten. HI. (Schluß.) Wir hatten in unsrem letzten Artikel*) gesehen, wie hock der fränkische VolkSvichter Stubenrnuch den Stand deS Landbebauers stellt. Indessen darf man nicht glauben, daß der Bauer Stubenrauck so ganz und gar auf gehe in seinem lankwirtlsckaftlicken Beruf. Dazu müßte er kein Dichter und von Natur nicht mit Gaben aus gezeichnet fein, die ihn zu etwas Besserem geboren erscheinen lassen. DaS fühlt er auch auf Schritt und Tritt, aber er fühlt zugleich die unüberwindliche Schranken, die seinen beflügelten Fuß, die Bleigewickte, die den Aufschwung seines Geistes hemmen. Dies und wohl auch die nimmer ruhende Erinnerung an daS verscherzte erste Glück, die erste Seligkeit seines der Liebe erschlossenen Herzen- in Verbindung mit dem Ernst deS Schicksals, der srühe al- treuer Begleiter sich zu ihm gesellt, haben seine Seele mit einer gewissen Sckwermuth erfüllt, die in zahl reichen seiner Gedickte, und zwar in den poetisch werthvollsten, zu ergreifendem Ausdruck gelangt. Auch daS ist ein Zug, der fick bei vielen seiner Brüder und Schwestern in Apoll, soweit sie auS kleinen, beengten gesellschaftlichen Verhältnissen hervorgegangen, wiederfindel. Charakteristisch für die Seelen stimmung Stubenrauch S ist sein ergreifendes „Herbstgefühl", da- mit den Strophen beginnt: Es kann für rin gequältes Menschenleben So traurig nicht- und wehmuthzeugend geben AIS einen feuchten Herbsttag, regnerisch und kalt, Da Leine Sorgen all' zu wachsen icheinen, Da Dir zu Muth, man müsse um Dich weinen, So weit der fruchte, graue Nebel wallt. Zu Schicksals Spirlball bin auch ick erkoren, Da» macht, — ich wurde »inst zur Welt geboren An einem feuchten Herbsttag, regnerisch und kalt. Gebeugt muß ich durch diese» Leben schreltrn, Da ich für höchste Güter möchte streiten, Smporgrrrckt die männliche Gestalt! — verfehlt mein Leben ist Dieser Accord klingt immer wieder Lei dem Dichter an, aber er ist doch eine zu gesunde und zu energische Natur, *) S. Nummer LL2, wo übrigens al- GebortStag de» Dichter richtig der LI. September z« lesen ist. ein zu klarer, zielbewußter Geist, als daß er sich unter kriegen ließe: Wird mir auch manche Lust, — nach schleicht die Ouall — So wechseln wenig Freud' und viele Pein; — Doch wird deS Alltags Treiben mir zu schaal, Ruf ich wohl aus: Heut will ich glücklich sein! — Und eS gelingt ihm auch, denn unter seinen Liedern finden sich genug, die von einem kernigen Humor zeugen, neckische, burschikose, feuchtfröhliche — er müßte nicht mitten im Wein land geboren sein! So ist unS nicht um ihn bange, zumal sein treues Weib und seine „Rangen", seine gesundbeil- ltrotzenden Kinder, schon dafür sorgen, ihm die düstern Grillen zu verscheuchen. So steht Stubenrauch in seinen Liedern vor uns als eine svmpathische, liebenSwerthe Erscheinung, als ein deutscher Mann von echtem Schrot und Korn. Was er als Dichter wägt, ist schon au» den wenigen Proben zu ersehen, die wir in die Beschreibung seines äußeren und inneren Lebens- gangeS eingeflochten haben. Ter schönsten Perlen freilich konnten wir, da eS uns vor Allem auf eine psychologische Exkursion in den dortus ckeliciurum seiner Lieber ankam, nicht gedenken. Eins aber möchten wir doch noch nachtragen: „Nach Jahren": Ein alter Birnbaum im Wiesenqrund, Eine moosige Steinbank darunter; Vergißmeinnicht blühen ringsum bunt Und die Vöglein singen gar munter. — Zehn Jahre flohn, seitdem ich dort Die Liebste im Arme gehalten; — Wie mahnt es mich, wiederzujehen den Ort Und den lieben Birnbaum, den Alten! Hier war es — doch ach! — dürr ragt der Baum, Vom Moos überwuchert die Steine Ter verwitterten Bank — o Jugendtraum! — Vergißmeinnicht blühen am Raine. Und daS andere stimmungsvolle, gemüthsianige „Ein Regentag". Herbstrrgen rinnt, Herbsiregen rauscht Vom granen Himmel hernieder, Dor meinem Fenster rin Vöglein lauscht Traurig mit nassem Gefieder. Dachtraufe plätschert mein Herz im Traum Geschwätzig und sonder Pause, Wehmüthig ächzet der Eichenbaum, Der traute, an meinem Haufe. Bon seinem Gipfel sinkt Blatt für Blatt Geschäftig leise, leise; — — Und ich bin müd' und leben-satt, Al- wär' ich worden zum Greif». Dem Herzen voll Qual und Sorgenleid, DaS Hoffnungen nicht mehr wiegen, Ist der Herbst, der Herbst gar trübe Zeit Wenn Blüthen und Blätter fliegen. — Bei diesen Proben mag es sein Bewenden haben, sie zeigen, daß man es in Stubenrauch mit einem echten Dichter, mit einem von Gottes Gnaden zu tbun bat. Selbstverständ lich ist der Bereich, den er mit seinem poetischen Können beherrscht, kein großer, aber daS ist auch nicht das Erfordernis für wahre dichterische Größe. Aufs Engste mit der ihn um gebenden Natur verwachsen, zeigt er stets ein gesundes, natür liches, echt menschliches Empfinden, ist er frei von jeder Künstelei und Manier, von der Absicht zu gefallen und von überlegter Effekthascherei. Er giebt sich ganz, wie er ist, und scineLieder lösen sich obne äußeres Dazutbun von ihm loS,wie die reife Frucht vom Stamme. Dafür spricht auch der Wohllaut und melodische Fluß ter Sprache, die trotz mancher begreiflichen Härten im VerSmaß allen seinen Gedichten eigen sind. Dabei beherrscht er Sprache und Form der Poesie in vielfach be- wundernöwertber Weise. Ihm stehen die sanften Accorde deS Liebesliedes wie die ernsten tragischen der Ballade zu Gebote. Er findet sich mit graciöser Gewandtheit im Schlingreim deS Sonetts zurecht und ahmt aufs Glücklichste die Horazische und Goctbe'sche Epistel nach. Ihm gelingt in gleicher Weise daS Volkslied wie die gedankenreiche Ode, da« kecke Wanderlied wie der ernste getragene HymnuS. In allen Sätteln ist der Dichter gereckt und auf jedem macht er eine gute Figur. Keine Strophe ist ganz unbedeutend, keine einzige platt. AuS Allein, was er singt und sagt, spricht entweder klares geistvolles Denken oder tiefes, reines Empfinden, keusche Phantasie und Begeisterung für alles Hobe, Edle und Schöne, und nicht zuletzt ein warmes religiöses Gemütb. WaS Stubenrauck Schönes schafft, schafft er — daS Zeichen eines echten Dichters — mit ge ringen Mitteln, Alles ist Stimmung, jeder Satz, ja jedes Wort, Alle« plastische Anschauung. Wir sind nickt die Ersten, die diese Vorzüge der Stuben- rauch'schen Muse anerkennen — ist ibm dock schon ein nam hafter Preis des Schillervereins Augsburg zu Tbeil ge worden, bat ibm doch sein Landesberr, Herzog Alfred von Sacksen-Coburg-Gotba, die Herzog-Alfred-Medaille am grün- undweißen Bande verliehen — ihm, dem schlichten Bauern dichter. Frühzeitig wurde der bekannte Marschendichter Hermann Allmers, der al- Sprößling eines alten Stadrnger HäuptlingSgeschlechtS ja auch den durch Jahrhunderte ver erbten Grundbesitz seiner Familie selbst bebaut, auf Stnbenrauch aufmerksam und ließ ihm mancherlei Förderung angedeihrn. Der friesische und der fränkische Dichter, zwei congenialeNaturen, wur den bald mit einander vertraut, sie traten in freundschaftlichen Briefwechsel, und wiederholt bat AllmerS auf seinen Fahrten nach Italien in dem schlichten Hetlinger Banernbause vor gesprochen. Stubenrauch, der eine schwärmerische Verebrung für ihn hegt, bat ibm seine Gedichtsammlung „Pflug und Laute" gewidmet. Das Widmungs-Sonett ist so schön empfunden und so anmuthsvoll zum Kranz gewunden, daß eS hier noch Platz finden mag: Dem Schicksal Dank, das Dich mir bat gegeben. Mein edler, greiser Allmers, fern im Norden, Mein Marschenfänger an der Weser Borden, Dem Gott geschenkt ein reiches Dichterleben! — Nimm diese Lieder aus dem Land der Reben, Dem schönen Franken; — bist Tu doch geworden Ein Schützer ihnen, da der Spötter Orden Nur Hohn gehabt für all' mein heißes Streben. Welch schöner Zufall, daß hinaus sie fliegen Just da wir nun nach manchem Jahre wieder Gar frohbeglückt uns in den Armen liegen. Mit Deinem tbeuren Namen eng verbunden, Wie sollten nicht in weihevollen Stunden In manches Herz sich schmeicheln meine Lieder! — Außer „Pflug und Laute" erschienen von dem Dichter noch „Muskete und Feder", Lieder aus dem Friedens tornister", 1880. „Herzoglieder". Ein Aspbodillkranz in Dichtungen auf den Katafalk des -j- Herzogs Ernst II. von Sacksen-Coburg und Gotba, 1893, und „Coburg!" Lied mit Musik von Oscar Sippel. Wehmutbsvoll schließt Stubenrauch seine Licdersammlunz „Pflug und Laute": Ob treu ich darf dem Pflug, der Laute bleiben, Ob dies die einz'gcn Lieder, Euch gedichtet? — O müßt' ich eSl — So schön die Blüthen treiben, Oft naht ein einz'ger Frost, der sie vernichtet. Wird man des Pfluge- Sänger dann beklagen, Ihn scharren ein mit höhnender Geberde? — Nur rin verirrte- Lied vielleicht wird sagen Einst, daß auch ich gewandelt auf der Erde Nun, auch daS wäre ein beneidenöwertbeS LooS, denn manchen deutschen Dichter hat ein Lied unsterblich gemacht. Aber wir erhoffen von Stubenrauch noch manchen Sang, der den Dichter überdauern soll. Noch ist das Mark gesund und fest die schwielige Hand. So lange sie den Pflug regiert, wird er singen, singen müssen, und was er singt, es ist immer „wa« recht-". —p
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