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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.11.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-11-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971104011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897110401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897110401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-11
- Tag1897-11-04
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Abgesehen von solchen Tenvenz-Expectorationen, hat aber gerade diese öffentliche Erörterung unmittelbar vor dem Zu sammentritte der von dem Reichsamte deS Innern einbe rufenen und kürzlich zu mehrtägiger Beratbung zusammen- getretenen Enquete-Commission zu einer Erledigung der Frage geführt, welche die Thätigkeit genannter Commission fast gegenstandslos erscheinen lägt. Es kann keineswegs befremden, wenn die praktischen Chemiker und deren Verbände, wie z. B. die deutsche Gesell schaft für angewandte Chemie, oder der Verein der chemischen Industriellen Deutschlands, dem Wunsche nach einer besseren Vorbildung, bezw. nach einem entsprechenden Fachbildungs ausweise, durch Petitionen für ein einheitliches, durch eine unabhängig von den Hochschulen amtirende Prüfungs- Commission abzunehmendes Staatsexamen zum Ausdruck brachten. Ebenso ist selbstverständlich, daß sich die Reichs regierung einem solchen, mit schwerwiegenden Gründen ver sehenen Gesuche gegenüber nicht passiv verhalten konnte. Es ist indessen ebenso außer Frage, daß, wenn von nicht weniger kompetenten oder intrressirten Kreisen, wenn aus der ge schlossenen Reihe der durch diese Frage in einschneidender Weise berührten ersten Unterrichtsanstalten des Landes, d. h. der Universitäten und der technischen Hochschulen, einerseits sür eine Verbesserung der bemängelten Zustände Garantie geboten, andererseits aber auch dargelhan wird, daß das projectirte Staatsexamen wissenschaftlich nicht befürwortet werden könne, an der ursprünglich optima Läs geplanten Einrichtung nicht festgeballen zu werden braucht. Das Verdienst tbatkräftigeb Initiative gebührt hier in erster Linie den anläßlich der Naturforscher-Versammlung in Braunschweig zu einem eigenen Verbände zusammenaetretenen Vorständen der chemischen UnterrichtS-Labora- torien an den Universitäten und technischen Hoch schulen. Wie bekannt, hat sich dieser Verband die Ausgab» gestellt, Uebelstände, weiche in den UnterrichtSverbältnessrn der Hoch schulen zu Tage treten, nach Kräften zu beseitigen «nd in Fühlung mit den Behörden und anderen Körperschaften," sowie durch gemeinsame Maßnahmen eine gründliche Ausbildung der Sludirendcn anzustreben. Ueber die praktische Durchführung dieser Beschlüsse ist viel Unrichtiges und Mißverstandenes in die Oeffentlichkeit ge kommen, namentlich ist unzutreffend, was über die „Prakti kanten-Büch er" mit ihrem dem freien Charakter unserer Hockschulen wenig entsprechenden Bescheinigungssystem berichtet wurde, indem der betreffende Antrag gar nicht zum Beschluß erhoben wurde. DaS Einzige, waS allgemeine Zustimmung sand, ist daS sogenannte „Verbands-Examen", welches, unabhängig von allen anderen Prüfungen, lediglich als Ausweis des Besitzers der vom Verbände geforderten Kenntnisse gilt. Diese- Examen erstreckt sich auf unorganische Chemie, auf die Elemente der organischen, auf qualitative, quantitative und Maß-Analyse, und eS ist damit auch eine praktische Prüfung in den letztgenannten Fächern verbunden. Das Examen in der Analyse wird von Demjenigen ab genommen, der den Studirenden persönlich unterrichtet hat — also meist vom Assistenten — aber in Beisein des Vorstandes. Dieses Examen hat somit rein propädeutischen Charakter und ist eine von den Verfügungen deS Staates unabhängige Privat-Einrichtnng. Ein solches Examen bestand unseres Wissens bis jetzt lediglich in München, und zwar im Labo ratorium von Professor von Baeyer und soll sich sehr gut bewährt haben. Für ein Staats-Examen konnte man sich in Braunschweiz nicht erwärmen; denn: 1. kann ein Staats-Examen, wie es verlangt wird, nur ein einheitliches sein, 2. kann ein Staats-Examen nur ein Schluß-Examen sein, und somit kann ein Staats-Examen sür Chemiker nur ein Schluß-Examen für Universitäten und technische Hochschulen zugleich sein. In dieser Logik liegt aber auch der sachliche Widerspruch, die auS der Verschiedenartigkeit der Aufgaben beider An stalten resultirende sachliche Unmöglichkeit. Wenn gleichwohl die Vertreter der technischen Hochschulen, welche den Verband der Laboratoriums-Vorstände in Braun schweig begründen halfen. sich entgegen der ablehnenden Stellungnahme der Universitälsvertreter und des Vereins zur Wahrung der Interessen der chemischen Industrie ausdrücklich vorbebielten, in Berlin event. doch für das Staats-Examen zu stimmen, da sie sich von ihm eine Hebung des Standes der Chemiker versprechen, so siebt diese Erklärung den ge wichtigen sachlichen Gegengrünven gegenüber eher aus wie ein verdeckter Rückzug oder wie eine Art von Connivenz. Diplomatisch geschickter zog sich auf jeden Fall der vor genannte Verein zur Wahrung der Interessen der chemischen Industrie, der ursprünglich ebenfalls für ein Staatsexamen gewesen war, aus der Affaire, indem er mit Bezug auf die Beschlüsse von Braunschweig und ohne auf die Wahl eines bestimmten Weges zur Erreichung des Zieles Werth zu legen, endlich „unter Hinweis auf die demnächst tagende Enquete-Commission" „zur Zeit von einer Stellung nahme zu der Frage der Einführung des chemischen Staats examens Abstand nahm". Es könnte mehr erheitern als überraschen, wenn die Enquete-Commission, deren Vorschläge bekanntlich vorläufig geheim gehalten werden sollen, mutatis mutauckis eine gleiche Resolution gefaßt hätte. Größte Bedeutung für die zukünftige Gestaltung de- ckemischen Studiums hat im Ferneren der unmittelbar vor der Braunschweiger BerbanvSgründung erfolgte Erlaß des preußischen CultuSministers, durch den die philo sophischen Fakultäten ermächtigt werden, für die Doctor- promotionen in naturwissenschaftlichen Fächern die von den Doktoranden auf technischen und landwirtbschafilichcn Hoch schulen zugebrachten Semester voll anzurechnen. Bisher bestand die Gepflogenheit, meistens nur zwei oder drei von den auf diesen Hochschulen zugebrachten Semestern auf das akademische Triennium anzureckncn. Das kann nur lebhaft begrüßt werden, denn einerseits entspricht der Erlaß mit Rücksicht auf die Hobe Bedeutung der technischen Hochschulen in der Wissenschaft der Gegen wart einem Gebote der Billigkeit, ferner befreit er die Uni versitäten von so und so vielen Schein-Studenten mit den erforderlichen „Promotions-Semestern", welch letztere fernerhin den Studenten selbst und den Hochschulen, an welche die letz teren eigentlich gehören, zu Gute kommen, und last uot least entzieht er dem vor einigen Jahren von Oesterreich impor- tirten Gedanken der Einführung eines „technischen Doctors" oder einer ähnlichen Graduirung durch die tech nischen Hochschulen für immer den Boden. Wem fernerhin das Verbands-, das Diplom-Examen rc. nicht genügt, der besitzt nunmehr sofort Ausweise genug, um ohne weitere Fon.ialitäten und ohne unnölbizen Zeitverlust an einer Uni versität sich die „höchsten akademischen Würden" rits er werben zn können. Auf außerprenßischen Hochschulen verfuhr man allerdings in praxi längst in diesem Sinne, ja man geht vielen Ortes leider sogar noch viel weiter und promovirtNicht-maturi! Das verdirbt aber den „Stand" mehr, als ein StaatS- Examen je gut zu machen im Stande sein wird. Man mache daher auch die Promotion, unter den fach- und sinn gemäßen Voraussetzungen, wieder zu einem Ausweis über wirklich wertbvolle, gediegene wissenschaftliche Leistungen; man lege dabei weniger Wertb auf die hohen Taxen als auf die wissenschaftlich hoch Taxirten, und auch der „chemische Doclor" wird aufhören, dem „Stande" unter Umständen gefährlich zu sein. Deutsches Reich. tt Berlin, 3. November. Die socialdemokratischen Organe stellen stets, wenn auf die Verschuldung der Arbeiter bei Betriebsunfällen hingewiesen wird, die Gegenfrage, ob man denn glaube, daß die Arbeiter selbst ihre Gesundheit zu schädigen geneigt seien. Die Gegenfrage ist vollständig unangebracht. Nickt darum bandelt es sich, daß die Arbeiter die Unfälle berbeiführen wollen, sondern daß sie durch Unachtsamkeit, Nichtbeachtung der Schutz vorrichtungen rc. dieselben tbatsächlich herbeiführen. Und nach dieser Richtung kann man auch von einem gewissen Uebermutbe der Arbeiter gegen die Betriebsgefahren, von völliger Außerachtlassung ter den letzteren gegenüber ge botenen Vorsicht sprechen. Es ist thatlächlich vorgekommen, daß ein jüngerer Arbeiter an einer im Gange befindlichen Trans- missionswclle seine turnerische Fertigkeit zeigen wollte. Er wurde herabgeschleudert und brach den Arm. Ein anderer, unter den Zuschauern befindlicher Arbeiter meinte darauf, der Heruntcrgefallene sei nur ungeschickt gewesen, machte den gleichen Versuch und wurde nock schwerer verletzt. Wenn solche und ähnliche in amtlichen Berichten nackzulesende Fälle vorkommen, so sollte die socialdemokratische Presse dock auf hören, die Verschuldung der Arbeiter an Unfällen gänzlich zu leugnen. Sie würde weit mehr im Interesse der Arbeiter schaft bandeln, wenn sie diese zur größeren Vorsicht gegenüber den Betriebsgefahren aufforderte. * Berlin, 3. November. Selbst der „Kreuzztg." ist die Stun::''sche Hetze gegen Herrn vr. v. Rottenburg zu bunt. Sir schreibt gegen die „Post": „Man wird von uns nicht sagen können, daß wir Freunde einer schrankenlosen Lehrfreiheit der Universitäten sind. Schon öfter haben wir betont, daß z. B. ein Professor der Rechtswissenschaften, der den zukünftigen Beamten Lehren vorträgt, die sich gegen die monarchischen und geschichtlicken Grundlagen des Staates richten, ebenso wenig in seinem Treiben ungestört bleiben dürfe, wie ein Professor der evangelischen Theologie, der den späteren Dienern der Kirche etwa die katholische Lehre vom Abendmahl als allein berechtigt binstellt oder die wichtigsten Lebren seiner Kirche bekämpft. Nun bat jüngst der Curator der Universität Bonn, der Wirkt. Gebeimrath vr. v. Rotten burg, in der „Social. Praxis" eine Reihe von Aufsätzen über „Die Coalitionsfreibeit" zu veröffentlichen angefangen. Man kann gewiß mit dieser oder jener seiner Ausführungen nickt einverstanden sein; aber riese Differenz in einer Frage, die nun roch einmal seit Jahren zur öffentlichen Discussion steht, darf doch unmöglich dazu führen, wie es in einigen Blättern geschehen ist, gegen den vr. v. Nvttenburg an die akademische Disciplinargewalt der Unterrichlsbebörde zu appelliren. Wenn Or. v. Rottenburg auch seiner politischen und kirch lichen Stellung nach sicherlich kein „KreuzzeitungSmann" ist, so erkennen wir doch rückbaltsloS seine wissenschaftliche Qualifikation und seine in langem Staatsdienst erworbene praktische Erfahrung an. Wir erinnern in ersterer Hinsicht nur an sein Werk über den „Begriff res Staates" (1878 bei Duncker L Humdlot erschien der erste Band; aus den zweiten warten wir leider noch immer). Unzweifelhaft können wir den principiellen Standpunkt, den vr. v. Nottcnburg in diesem Buch einnimmt, in keiner Weise theilen, seine historische Forschung ist aber eine so tiefgehende, daß sie auch beute noch alle Beachtung verdient. Ein solcher Mann, der ferner jahrelang in hervorragender Stelle dem Fürsten Bismarck nahegestanden, der dann als UnterstaatLsecretair des Reichs amts deS Innern an der Lösung der socialen Aufgabe maß gebend milgearbeitet hat, wird dock wohl noch das Recht baden, seine Ansichten über die CoalitionSfreiheit darzulegen. Hält man sie für falsch, so bekämpfe und widerlege man sie; aber in solchem Falle nach der Censur des Staates zu rufen, scheint uns wenig angebracht zu sein." * Berlin, 3. November. Wegen Beschimpfung eines arbeitslustigen Maurergesellen, der beim AuSbruch eines Streiks auf einem Neubau in ter Tbiergartenstraße die Arbeit zu den alten Bedingungen wieder ausgenommen hatte, war der Maurergeselle Gustav Bläsing am 27. September vom hiesigen Schöffengericht zu 2 Monaten Gefängniß verurtbeilt worden. Ter Staatsanwalt hatte 8 Monate Gefängniß in Antrag gebracht, weil nach seiner Meinung solche Fälle des Terrorismus der Socialdemokratie, die arbeits lustige Leute bindern wollen, für ihre Familien zu sorgen, aufs Schwerste zu ahnden sei. Der Angeklagte sollte den tz 153 der Gewerbe-Ordnung verletzt und außerdem den Maurer Szema- towSki beschimpft haben. Dieser war einem ArbeilSausstande, der auf einem Neubau ausgebrochen war, zunächst bcigetrelen, batte dann aber die Arbeit wieder ausgenommen und be hauptet, daß er am 2l. und 22. Juni auf dem Dege zur Arbeit am Bauplatze selbst, sowie auf seinem Heimwege in der Nähe des Brandenburger Thores von niedreren Arbeitern belästigt und beschimpft worden sei; namentlich habe ihn der Angeklagte mit Sckimpfivorten wie „Lump", „Schuft" rc. bedacht und ihm gedroht, „daß er schon spüren würde, was ihm die Wiederaufnahme der Arbeit einbringen würde". Bläsing bestritt, wie in der ersten Instanz, so auch bei der gestrigen Verhandlung vor der 6. Strafkammer diese Be schuldigung aufs Entschiedenste und behauptete, daß eine Per sonenverwechselung vorliegen müsse. Rechtsanwalt Di. Herz feld führte auch drei Zeugen vor, die bekunoeten, daß sie mit dem Angeklagten auf einem anderen Bau zusammen gearbeitet bätten und bezeugen könnten, daß er zu der fraglichen Zeit den Bau nicht verlassen babe. Der Verlheidigcr machte fick anbeisckig, noch mehrere Zeugen, darunter den Polier, unter dem der Angeklagte gearbeitet, in Vorschlag zu bringen, er beantragte auch weitere Beweise über das angebliche Vorkommniß am Brandenburger Tbor. Ter Gerichtshof bielt dies aber für überflüssig, da Szcmatowski bei seiner Beschuldigung unter seinem Eide auf ras Bestimmteste ver blieb und dieser positiven Aussage gegenüber negative Be kundungen nickt durchschlagen könnten. R.-A. b)v. Herz- feld wandte sich alSdann gegen daS Strafmaß, welches doch viel zu hoch sei, da doch eventuell nichts weiter vorliege, als daß ein Arbeiter einem anderen, der sich nach seiner Meinung gegen Berufsebre und StandeSinteressen vergangen, deswegen grobe Vorhaltungen gemacht habe. — Tie Strafkammer sah sich jedock nickt veranlaßt, eie Strafe zu ermäßigen und erkannte auf Verwerfung der Berufung. (Bert. N. N.) O Berlin, 3. November. (Telegramm.) Ter Kaiser körte beute Morgen von 9 Udr ab den Vortrag des Chefs des CivilcabinetS Wirkt. Geh. Ratbs Or. von Lucanus. Später gedachte er sich zur Huberrus-Iagd zu begeben. — Der Reichskanzler hat die Bundesregierungen von Neuem um eine Miltheilung darüber ersucht, welche Erfahrungen bieder bei der Durchführung der Bestimmungen des Bundes raths vom 4. März 1896, betreffend den Betrieb von Bäckereien und Condiloreien, gesammelt sind. Feirrlleton» Schlaf und Schlaflosigkeit. Von S.-R. l)r. L. Fürst (Berlin). Nachdruck verboten. Ein genügend langer, tiefer, ununterbrochener, nicht von un ruhigen Träumen beeinträchtigter Schlaf, in welchem thatsächlich jede Gehirnarbeit ruht, jeder Muskel entspannt ist, das Bewußt sein des eigenen Ich für einige Zeit erloschen scheint, gilt mit Recht als ein Glück, eine Wohlthat. Wenn das Gemüth noch so sehr von Sorgen niedergedrückt ist, wenn selbst auf der Seele das Bewußtsein lastet, daß das „Morgen" ein trauriges, ja ein Schreckliches sein wird — ein gütiger Gott sendet den Schlummer, der den Schleier des Vergessens für einige Zeit über das arme Menschenkind breitet, auch wenn es bisher „die kummervollen Nächte weinend auf seinem Bette saß." Egmont, der die letzte Nacht in den Kerkermauern verbringt, wohl wissend, daß der kommende Morgen den „Abschied vom Leben" bedeutet, fühlt, daß „die Natur sanft und dringend ihren letzten Zoll fordert", daß „seine Sinne mit unbezwinglicher Gewißheit eingeschläfert" werden, und er begrüßt den nahenden Schlummer mit den unver gleichlich schönen, rührenden Worten: „Süßer Schlaf! Du kommst wie rin reines Glück, ungebeten, unerfleht am willigsten. Du lösest die Knoten der strengen Gedanken, verwischest alle Bilder der Freude und des Schmerzes; ungehindert fließt der Kreis innerer Harmonien und, eingehüllt in gefälligen Wahn sinn, versinken wir und hören auf zu sein." Herrlicher, treffender, als eS hier durch Goethe geschah, ist noch niemals der Schlaf geschildert worden, und schwerlich wird jemals wieder ein Genius erstehen, der diese Schilderung über träfe. Nur zögernd darf man nach solchen Worten, in denen Naturbeobachtung und Poesie zu einem ideal-vollkommenen Ausdrucke verschmolzen, eS wagen, sich noch ausführlicher über den Schlaf auszusprechen. Der Helle Tag, an welchem Tausende von Sinneseindrücken auf unS rinstürmen, ebenso viele Vorstellungen und Empfin dungen im Central-Organ unseres Seelenlebens erweckend, geht zur Neige. Mit dem Eintritt der Dämmerung lassen die Tau sende von Wahrnehmungen nach, welche bis dahin vom Auge, vom Gehör, von der Hautoberfläche aus unsere Ganglien er regten und den Anstoß zu psychischer Thätigkeit gaben. Immer spärlicher, immer schwächer werden ganz besonders diejenigen Reize, die unser Sehorgan treffen. Immer lauschiger und stiller wird eS um uns. Das hastige Schaffen, das emsige Arbeiten, das Sinnen und Denken, das Sorgen und Mühen macht einer zunehmenden Ruhe Platz. Der Mensch fühlt sich „abgespannt". Allerdings hat er noch kein Schlafbedürfniß, aber doch das Ge fühl, daß ihm ein passiver, receptiver Zustand jetzt angenehmer ist, als eine aktive, productive Thätigkeit. Eine leichte Unter haltung, eine angenehme Geselligkeit, ja schon eine Beschäftigung, die ihm zugleich Genuß gewährt, wie die Musik, andererseits das halb mechanische Spiel und dergl. giebt seinem erholungsbedürf tigen Gehirn noch eine Zeit lang Gelegenheit, zu sunctioniren. Allmählich aber macht sich auch bei diesem die stärkere Er müdung geltend, begünstigt durch die Stille der Nacht mit ihrem feierlich ernsten, träumerisch-süßen, lautlosen Charakter. Schlaftrunken sucht der Mensch sein Lager auf. Hier, befreit von beengender Bekleidung, umgeben von einer ziemlich gleichmäßig temperirten Luftschicht, die alle Hautreize abschwächt, entschlummert der Gesunde schnell. Das Dunkel des Zimmers begünstigt sein Einschlafen, ebenso wie das leise, mono tone Ticken seiner Uhr, das regelmäßige Brausen der Brandung am Meeresstrande oder das Rauschen des Laubes der vor dem Fenster stehenden Bäume. In derjenigen Lage, die ihm durch Gewohnheit lieb geworden ist, schläft er am sichersten ein. Sehr bald ist der Schlaf fest geworden. Die leichten, aber ver schwommenen Vorstellungen, welche ihn noch beim Uebergang aus dem Wachen in den Schlaf umschwebten, verdunkeln sich mehr und mehr. Das Bewußtsein erlischt vollständig. Die Nerven- Elemente der grauen Hirnrinde, dies Instrument unseres Denkens, unseres Empfindens, aller Impulse — es schweigt, wie die Harfe, Uber die kein Finger mehr gleitet. Nach 5—6 Stunden ist bereits, wie experimentell festgestellt worden ist, die Tiefe des Schlafes geringer; mit 7—8 Stunden wird er immer oberflächlicher, und jetzt beginnt auch die Zeit, in der daS Traumleben sich obspielt. Bewegte nicht der Schlafende soeben seine Lippen? Sprach er nicht einige ganz deutliche Wort»? Ein Lächeln flog über sein Gesicht; es erfolgte eine Bewegung seines Armes, seiner Hand. Mimik und Phantasie sind in der Thal nicht ganz unterdrückt. Der Schläfer sieht, während er weiter schlummert, phantastische Erscheinungen, erlebt wunderbare, absonderliche Dinge, die oft an weit zurückliegende Eindrücke, oder, wie man dies an träumen den Thieren beobachtet hat, an ihre Gewohnheit anknüpfen. In märchenhaftem Fluge überspringt er Raum und Zeit; er unter hält sich; Rede und Widerrede glaubt er zu vernehmen. Launisch, wirr, bald neckisch, bald ängstlich, traurig oder furchterregend ist die Reihe seiner Träume. Er selbst weiß nichts davon. Un willkürlich erwachen diese Vorstellungen und Erinnerungsbilder, sich eigenartig und viel schneller, als man gewöhnlich denkt, ver kettend. Die complicirtesten, langwierigsten Ereignisse spielen sich im Traume während einiger Minuten ab. Es ist ein Geistes leben ganz für sich. Da mit einem Male — husch — verfliegt der Traum wie leichter Nebel, aufgelöst in Nichts. Der Mensch ist dem Er wachen nahe, aber noch schläft er so fest, so tief, daß man zum Erwecken schon kräftige Reize anwenden muß: lautes An rufen, Helles Licht, derbes Berühren. Bei Anderen wird der Schlaf gegen Morgen so leise, daß das Geringste sie erweckt. Endlich blitzt der erste Sonnenstrahl durch die Vorhänge, oder eine Glocke ertönt, oder das Gehirn hat seinem Schlafbedürfnisse ge nügt, kurz — der Mensch erwacht und zwar in der Regel ohne längeres Uebergangsstadium, ziemlich plötzlich. Damit ist er allerdings noch nicht völlig munter und insbesondere noch nicht durchaus klar. Zumal über die Dauer des Schlafes täuscht er sich leicht, wie Versuche ergeben haben, wenn man Menschen in vollkommener Finsterniß während der Nacht oder gegen Morgen aufweckte. Manche haben jedoch in ihrem Muskel gefühl, an der Empfindung zu kurzer oder genügend langer Ruhe und Erholung, einen Anhaltspunkt für richtige Abschätzung. Für die Meisten sind die Eindrücke, die sie beim Erwachen um geben und die das Anbrechen des Tages mit sich bringt, rin ge nügender Fingerzeig für die Beurtheilung der Schlafdauer. Wenn Jemand erklärt, noch nicht „auSgeschlafen" zu haben, noch müde zu sein, so ist die-, sobald keine schlechte Ge wohnheit daran Schuld ist, eben rin Zeichen, daß für ihn die re lativ nöthige Dauer des Schlafe» noch nicht erreicht ist. Ist dies aber der Fall, so genügen einige Momente des Sammelns, des OrientirenS, und der Mensch ist so wach, sein Gehirn ist so frisch und funktionsfähig, daß ihm keine Thätigkeit unwillkommen oder zu schwer erscheint. Wie dem Einen wohl „das Glück im Schlafe kommt", wenn er ein rechtes Sonntagskind ist, so den. Anderen ein guter Einfall, ein am Abend vorher vergeblich ge suchter Gedanke, nachdem er „die Sache beschlafen hat", und dem Dritten ist sein Jähzorn, den er glücklicherweise auch über Nacht unterdrückt hat, in Empfindungen der Nachsicht, der Gerechtigkeit und Versöhnlichkeit umgewandelt. Was in später Nachtarbeit die abgematteten Nerven-Elemente nicht bewältigen konnten, lösen sie jetzt spielend. Dies das Bild desnormalenSchlafes, einer Lebens function, deren Physiologie wir jetzt ziemlich genau kennen. Wie schon angedeutet, istdiegraueNervensubstanzder Großhirn-Rinde der Sitz der Seelenfunctionen, des Bc wuhtseins, unserer höchsten geistigen Leistungen. Unser Wollen und Empfinden, unser Sinnen und Denken, die ganze Arbeit unserer Intelligenz spielt sich hier, wo die Leitungen der Sinnes reize zusammenlaufen, ab. Hier ordnen diese sich, hier werden sie gesammelt; hier erwecken sie in den Ganglienzellen Vor stellungen; von hier aus werden Erregungen durch Ausläufer der Ganglien auf dem Wege der Nervenfasern zu den Muskeln gc leitet und in Bewegungen umgesetzt. Daß die bewußte Empfin dung und Bewegung sich hier auslöst, hat der Thierversuch gelehrt. DasdergrauenSubstanzberaubte, zum Theil ent- hirnte Thier frißt nicht mehr aus eigenem Verlangen, geht nur noch auf Antrieb, stößt sich leicht, fällt öfters. Man hat den Ein druck, daß seine bewußte Intelligenz geschwunden, der mechanische Impuls und Reflex an ihre Stelle getreten ist. Einen ähnlichen Eindruck macht der schlaftrunkene Mensch. Auch bei ihm beginnt die Thätigkeit der Großhirn rinde sich zu suspendiren, ihre Spannkraft zu verlieren. Die Zeit, in welcher sie periodisch ihre Functionen unterbricht — in der Regel die Nacht — naht. Die mangelnden Sinnesreize er halten sich nicht künstlich wach; das Gehirn wird nicht mehr durch geistige Thätigkeit blutreicher. Nicht nur in den Muskeln, auch in den Ganglienzellen haben sich Ermiidungssioffe ange- häuft, ein Ergebniß mechanischer Arbeit oder molekularer Bewe gungen der Nrrvenelemente, die tagsüber unausgesetzt vor fick gegangen waren. — Der Mensch schläft. Während der vor übergehenden Ausschaltung de« Gehirn» strömt »in Theil de»
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