01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.11.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-11-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971106015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897110601
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- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897110601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-11
- Tag1897-11-06
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Di« Morgen-Ausgabe erscheint um '/,7 Uhr. di« Abrnd-Ausgabe Wochentags um b Uhr. Nedarlion und Expedition: IohanneSgasse 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochea geöffnet vo« früh 8 bis Abend« 7 Uhr. Filialen: klto Klemms Lori IM. (Alfred Hahn), Universitätsstrobe 3 (Paulinum), LauiS Lösche, Aatbarinenslr. 14, part. imd König-Platz 7. Bezugs-PreiS i» der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus- gavrstellrn ab geholt: vierteljährlich ^l4.bO, bei zweimaliger täglicher Zustellung inS Hau-^tbÄ. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich ^ll 6.—. Directe tägliche Kreuzbandiendung inS Ausland: monatlich 7.öO. Morgen-Ausgabe. ripMer TagMllü Anzeiger ÄmtsUalt des Äöttigkichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes nnd Molizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem RedactionSsrrich (-ge spalten) üO/H, vor drn Familiennachrichten (6gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis verzeichnis. Tabellarischer und Zissernsatz nach höherem Tarif. i-xtra »Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen.Ausgabe, ohne Poslbeförderung 60.—, mit Pvstbesürdrrung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Au-gabe: Vormittags 10 Uhr. Marge n-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 567. Sonnabend den 6. November 1897. 91. Jahrgang. Noch einmal die Äffaire Dreyfus. 0. Paris, 4. November. Die unglückselige Angelegenheit de- Gefangenen auf der Teufelsinsel wirbelt in Pari- wieder einmal soviel Staub auf und wirft so eigentbümliche Streiflichter auf manche französische Zustände, daß man sie schlechterdings nicht um gehen kann, und wenn man eS noch so gern möchte. Die Frage selbst nach der Schuld oder Unschuld des Artillerie- Hauptmanns ist seiner Zeit an dieser Stelle so eingebend er örtert worden, daß ich mich auf eine kurze Zusammenfassung des Allernotbwendigsten beschränken kann. Da der Prvceß in zwei Instanzen hinter verschlossenen Tbüren geführt worden ist, ist für jeden kaltblütigen unparteiischen Menschen rin end- giltigeS Urtbeil unmöglich. Allein es sind durch JndiS- crelion einige der dabei vorgebrachten Beweisstücke bekannt geworden, die so augenscheinlich den Stempel der Unwahr scheinlichkeit an sich tragen und die denn auch so glänzend widerlegt worden sind, daß Zweifel an der Vollgiliig- keit der übrigen, die noch vorhanden sein sollen und die man angeblich aus Gründen der StaatSwohlfabrt geheim halten muß, sich von selbst aufdrängen. Diese Zweifel sind denn auch von fast der gesammlen nichtfranzösiicken Presse und auch von einer Anzahl hochachtbarer Franzosen geltend gemacht worden. Unter Denen, die an Dreyfus' Unschuld glauben, befinden sich z. B. der au-gezeichnete Historiker Gabriel Monod, der Deputirte Joseph Reinach, DreysuS' Ver- theidiger Demange und der Commandant deS Untersuchungs gefängnisses, in dem Dreyfus gefangen saß. Und nun kommt der Vicepräsident des Senat-, Herr Schcurer Kestner, ein bisher allgemein angesehener, selbst von seinen politischen Gegnern geschätzter Mann, und erklärt, daß auch nach seiner Ueberzezigung Dreyfus unschuldig sei und daß er die Beweise dafür in den Händen zu hallen glaube. Man sollte meinen, daß Alles stutzig würde, daß auch die Zuversichtlichsten sich an die Stirne greifen würden: Wie, wenn doch ein Nechlsirrtbum vorläge? Oder daß sie wenigstens deshalb für eine Revision stimmen würden, damit auch der letzte Schimmer eine» Verdachtes schwände! DaS Gegentheil davon tritt «in. Wie ein Rudel hungriger Wölfe stürzen sich I.» karrte, lur kähre karole, Qo ^vur und wie die gesinnungstüchtigen Blätter alle beißen, auf den tapferen Senator, der den Muth seiner Meinung hat. Es giebt kaum mebr eine An gelegenheit DreysuS, sondern nur noch eine Angelegenheit Scheurer - Kestner. Gemeiner Lump oder schwacl sinniger Greis, so lautet die Alternative. Ja, es fehlt nicht viel, so stempelt man ibn selbst zum LandeSverräiber. Allerdings treten einige anständigere Blätter für die Revision tr« Pro testes ein, aber selbst unter ihnen ist Elömenceau ein weißer Rabe, der osten bekennt, daß daS Verhalten des Senalor. nicht verfehlt habe, einen gewissen Eindruck auf ihn zu machen. Und warum in aller Welt Lump, warum Verrätber? „Er bat die Armee in den Kolh gezogen, er bat die Officiere, die Dreyfus schuldig gesprochen Haven, zu entehren versucht." Da läge denn wohl die Frage nahe, ob es nickt weniger scklimm für eine Armee ist, wenn sieben ihrer Mitglieder einem unglückseligen RecktSirrtbum anbeimsallen, als wenn der Verrath bis in die Reihen ihres Generalstabes zu dringen vermag. Und warum sollte denn hier gerade kern Recktsirrthum möglich gewesen sein! Wir baden in der letzten Zeit kier kurz hinter einander nicht weniger als vier RechtSirrtbümrr erlebt; und da waren obendrein erfahrene Rickter im Spiele. Und nun noch dazu, wenn es sick, wie man annimmt, im Falle DrehfnS um eine unerhörte Jntrigue bandelte, wenn der wirkliche Schuldige durck geschickte Fälschungen den Verdacht auf den an und für sich ziemlich unbeliebten Artilleriehauptmann abzulenken gewußt hätte! Aber so kommen wir der Sache nicht auf den Grund. Eö handelt sich hier, und das ist das allgemein Interessante an der Sacke, in erster Linie um eine Frage des Antisemitismus und des EhauvinismuS. Eine Frage des Antisemitismus. Es war ja kein richtiger Franzose, eS war ja ein internationaler Jude, der den Berralb begangen batte. So war die Sache von jeher kein trübes Ereigniß, sondern ein Triumph für die Blätter vom Schlage der„vidrs karole gewesen. Da hatte man es ja greifbar vor Angen, waS die Inden im Staate für Unbeil anrickteten! Alles, waS zu Gunsten deö Angeklagten oder deS Verurtheilten gesprochen oder geschrieben wurde, ging auf die „Machinationen der internationalen Clique" zurück. Brrnard Lazare, der vorigen Winter die Broschüre zu Gunsten Dreyfus' verfaßt batte — ein feiler Jude, Reinach, Boule re Juif, „Judeutloß", genannt, wie Nocke forl höhnisch bemerkt — ein Jude. Das Judeugeld fließt in Strömen, schreibt noch heute die „Patrie". Nur Scheurer - Kestner konnte man dis jetzt unmöglich den I >drn an die Rockschöße bangen. Aber auch das bat nun Rochefort fertig gebracht. Der Senator soll ein Geschäfts freund der Familie in Mülhausen gewesen sein, und Ge schäftsfreund eines Juden ist so gut wie Jude. Ganz un schuldig an dieser Wendung der Sacke sind allerdings auch einige außerfranzösische jüdische Zeitungen nicht, die sich allzu sehr für DreysuS ins Zeug gelegt haben. Von der Möglichkeit eines RechtSirrtbumS, ja von der hohen Wahr scheinlichkeit eines solchen bis zu einem „infamen Justizmord" ist doch noch ein weiter Schritt. Wichtiger noch, besonders für uns Deutsche, ist daö Hineinspielen desDeutschenhasses in dieSackr. Der Fall DreysuS war bisher immer ein Ventil deS EbauviniSmuö I gewesen: daß Dreyfus sein Vaterland an Deutschland ver- rathen, daß er mit der deutschen Botschaft in Verbindung ge standen,wareine auszemackte Sache. Da kann man sich denn die Wuth der Herren ausdenken bei der Angst, diese Sacke köunte ihnen auS den Händen gleiten. Und so treibt denn der Deutschenhaß in diesen Tagen wieder einmal seine schönsten Blüthen. Aber überhaupt scheint er mir in charakteristischem Gegensatz zu einigen wenigen, anscheinend für das Gegen- iheil sprechenden Ausnahmen — in der letzten Zeit wieder im Steigen begriffen zu sein. Und leider haben die Franzosen ja auch jetzt nicht wenig Ursache, sich zu fühlen. Die nickt immer ganz zuverlässige Haltung Italiens und der schwere innere Eouflict in Oesterreich lasten sie den Dreibund schon in Trümmer sinken sehen. Und wieviel Master hat nun gar erst der Darmstädter Zwischenfall auf ihre Mühle gegossen! Schon sehen sie die deutsche Einheit in Stücke gehen. ES wäre höchste Zeit, daß wir ihnen wieder einmal recht imponirten. Das würde aber nicht durch internationale Höflichkeiten oder durch freundliches Entgegenkommen in politischen Angelegenheiten geschehen, sondern durch ein einmüthigeS Betonen dieser Einheit, durch eine kräftige Aeußerung des nationalen Bewußtseins oder durch ein einhelliges patriotisches Verhalten des Reichstags in einer wichtigen Krage, z. B. der Flotlenfrage. Aber bas ist und bleibt wohl ein schöner Traum. Zur sächsischen Eisenbuhnresorm. Nicht mit Unrecht wird über die Bevorzugung der Juristen in der Eisenbabnverwaltung geklagt und vorgeschlaaen, daß ähnlich wie in der Bergbaucarrisre auch in der Eisenbabncarrisre die höheren Beamten einen prak tischen CuriuS durchwachen sollen. Wie unsere Bergrätbe und Berg-Hauvtleute den Schlepper- uud Häuerdienst durch gemacht, Strecken gezimmert und Dampfmaschinen bedient baden, so müßten unsere böberen Eisendabnbeamten den Dienst als Weichensteller, Schrankenwärter, Schaffner und Zugführer, Telegraphist und Stationsbeamter durch eigene Thätigkeit erprobt haben. Diese Art brr Vorbildung würde den Vo -heil gewähren, daß der böbere Beamte ein eigenes Ur- theit über die verschiedenen Zweige der BetnebStechuik nnd über die an die körperlicke und geistige Kraft auch des untersten Beamten billiger Weise zu stellenden Anfor derungen gewinnt. Dadurch aber wirb eS ibm wesentlich erleichtert, wenn der complicirte Apparat nicht ordentlich functionirt, die kranke Stelle berauözufinden und so die Wiederkehr von Unfällen zu verhüten, wenn nicht gar ihnen vorzubeugen. Eine derartige Umgestaltung würben wir in der Tdat als eine wirkliche Reform unserer Eisenbahnver- waltung erachten. Eine derartige Vorbildung erscheint eigentlich so selbst verständlich, daß man sich wundern muß, sie nicht schon längst durchgefübrt zu sehen. Wird beim Militair nicht ebenfalls genaue Kenntniß deS SpccialdiensteS auch von den höchsten Ebargen verlangt? Könnte sonst ein General Musterungen und Kritiken auf dem Exercirplatz abballen? Verließe er sich auf Berichte über den Zustand und eie Ausbildung der Truppentbeile, wie bald würben sich Mängel in der nottz« wendig einheitlichen Ausbildung der Mannschaften und bei der BefeblSertbeilung durch die Vorgesetzten bemerkbar machen! Der General bat ebenso wie sein jüngster Lieutenant in der Front gestanden und als solcher alle Mühseligkeiten und Anforderungen Les Dienstes kennen gelernt; er ist als Eadett oder als Avantageur ebenso wie der Soldat nach dem Erercirreglemrnt ausgebildet worden, er weiß deshalb auch, was er von dem Einzrlnen und vom Ganzen verlangen kann und wie er die Leistungen zu beurtheilen hat. Bei der sächsischen Eifenbahnverwaltung ist eine derartige praktische Ausbildung der höheren Beamten auch nur an nähernd nickt vorhanden. Auf der Universität dürfte der sich seinen juristischen Studien widmende zukünftige Ver- waltungsbeamte den praktischen Eisenbabndiensl kaum anders, als gelegentlich einiger Fahrten im Personenwagen kennen lernen. Und später, nach seiner Einstellung als juristischer Hilfsarbeiter bei der General-Direclion wird ihm zwar Gelegenheit geboten, sich während eines kurzen Commandos von einem (!) Monat auf einer Station m den äußeren Dienst und während eine- zweiten Monats in den Dienst bei einer Betriebs-Oberinspection Einbl cke zu verschaffen, daS geschieht aber nur so im Vorübergehen, ebne tieferes Eindringen und ohne wirkliche Bethäiigung in diesem oder jenem Zweige. Natürlich bleiben auch nur ganz oberflächliche Eindrücke zurück. Eö ist ein bedeutender Unterschied, ob Jemand sich die Dienst einrichtungen im Bewußtsein seiner demnächstigen Stellung als Vorgesetzter „vorzeigen" läßt oder ob er den Dienst kennen lernt in Ausübung mit voller Verantwortlichkeit. Mit dieser würde er erst der Wichtigkeit der Arbeit, der Tragweite seines TbunS, der Schwierigkeit der schnellen und richtigen Handhabung der unzähligen Vorschriften sich be wußt werden. DaS ist allerdings in einem oder z-rei Monaten nicht zu erreichen, dazu würde schon längere Zeit gehören und — manche Unbequemlichkeit mit in den Kauf genommen werden müssen. Die eingehende Kenntniß deS Dienstes würde aber bei späteren Entscheidungen über Verbesserungen und Erleichterungen der VerkebrS- einrichtungen nur vortheilbaft ein"sirken, sie würde die jetzt leider nickt selten zu beobachtende Unter schätzung der Thätigkeit unterer Beamten wohl sicherlich ver hindern. Die gründlichere Vorbildung im praktischen Dienste würbe auch im Interesse der böberen Beamten selbst liegen. Sie würde ihnen die Arbeit erleichtern, würde schnellere I Urtheile ohne Studium der Acten ähnlicher Fälle ermöglichen, Unsere Unlerthane. Bon Gustav Micheli. - - - Nachdruck verboten. Zu allen Zeiten haben die Menschen ihr Gesicht für ein AuS- kunftsmittel gehalten, welches über deren Charakter, Geist und Gemüth Nachweis zu geben vermöchte und wirklich lehrt die Er fahrung, daß es Gesichter giebt, die im Stande sind, uns Ver trauen, Liebe oder Widerwillen einzuflckßeN. Aber der nie rastende Wissensdrang konnte nicht immer beim Gesichte verharren und so gelangte man zur Erkenntniß, daß auH andere menschliche Körper- theile treffliche Dolmetscher für den inneren Menschen sind und daß nicht nur etwas von der Nase-abzusehen ist oder gar im Auge „ihr Herz entdeckt" wird, lvobei Man vielleicht findet, daß sie es „hinter den Ohren hat", sondern, daß auch Manches durch die Veine zu erfahren ist. Und wer könnte dies bezweifeln! Selbst der harmloseste Veinkenner weiß, daß er seine „eigenen" Beine hat, die ihm nur allein eigenthiimlich und nicht mit fremden Beinen zu verwechseln sind. Wie scharf unterscheiden sich Säbelbeine von solchen, deren Kniee sich wie verliebt gegeneinander neigen, und nicht minder heben sich lattenhaft dünne Beine, auch LteutnantSbeine genannt, von thürpfostenartigen Untergestellen ab, wie sie bei Wirihen und Metzgern angetroffen werden. Bon der Gestalt der Beine und ihrem Verhalfen zum Rumpfe hängt der Gang ab, welcher aus den Neigungen, Gewohnheiten und Beschäftigungen der Vorfahren entstanden ist und sich somit als charakteristisches Merkmal für dir Familienähnlichkeit erweist. Man beachte nur die Beine von Vater und Sohn, besonders von hinten gesehen und man wird fast immer die drolligste Ueberrinstimmung im Gange finden. Als „stimmungsvoll" müssen die Beine unbedingt bezeichnet werden; denn mehr als in Nasen und Ohren zeigt sich in denselben die Gemiithsverfassung deS Menschen. Der Zufriedene, von an genehmen Dingen erfüllt, geht ruhig, behäbig-vergnügt sich um schauend, wogegen der Aergerliche oder Zornige in wechselndem Zeitmaße einherschießt, je nachdem er von heftigen Gedanken dazu angetriebrn wird und die- zum Nachtheile anderer Brinbcsitzer, die er anrennt und bei Seite schiebt wie der Kiel eines fahrenden Schiffes die friedlichen Wellrn. Der Sorgenschwere hebt kaum die Füße vom Boden, schlürfend, als wenn e« ihm gleichgiltig wäre, sein Ziel zu erreichen, wogegen der Windbeutel mit leerem Kopfe sich selbst bewundernd etnherschreitet. Stillen, katzenartig schleichenden Menschen mit hängenden Knieen und verstohlen schnell streifenden Blicken, die nur selten unserem Auge gerade begegnen, weicht man am besten auS; auch läßt sich dir- für jene wandelnden Fleischthürmr empfehlen, bei deren Elefantengangart die Beine gehoben werden, als wären statt der Waden Kanonen kugeln daran befestigt, und die- in einem Schritt, als ging es über rin frischqepflitgtes Ackerfeld. Meistens gehören diese Tnaks- söhne drn Cholerikern 8n, wie der gezierte Fußgänger den San guinikern, welcher, sorgfältig sich umschauend, die reinlichsten Plätzchen sucht, wenn er die Straße zu llberhüpfen hat; für ihn ist der Schein Alles, und ein kleiner Schmutzspritzer vermag ibn tief zu verstimmen. Im Gegensätze zu diesem Zwribeinigen ist der schnellschreitendr, thatkräftige Mensch; rr geht gerade auf drn Punkt los und unbekümmert um Schmutz und Menschen nimmt er den kürzesten Weg; er ist ein Mann von Selbst vrrtraurn, ein straffer Arbeiter, der viel bewältigen muß. Ui I wie trippelt ein Schneider! Welch verdächtiges Gangwerk! Kn I anderer Ritter als der von der Nadel trägt so unverkennbar da^ Merkmal seines Berufes zur Schau. Hat man denn je «inen Schneider auf seinem Wege pfeifen gehört wie ein Schusterjunge, oder in der Menge sich durchdrängen gesehen wie ein Gerichts Vollzieher? Ein Schneider ist nur ein Held auf seinemTische, dort ist er ein Revolutinair und nicht ganz ungefährlich in der Gesellschaft aber hat er eine merkwürdige Furcht, auf du Füße getreten zu werden, und ein geringes Vertrauen auf die Haltbarkeit seiner Beine. Es giebt auch eine Eitelkeit der Beine, und diese äußert sich wohl am stärksten im Ballet; dort feiern sie ihre höchsten Triumphe und vermögen durch Capriolen, Zittern, Beben und durch mancherlei Schlenker beim Zuschauer leidenschaftliche Be wunderung zu erregen und demnach verdient der Tanz als die Musik der Beine genannt zu werden. Zwar war Pius IX anderer Ansicht und offenbar kein besonderer Verehrer des Tanzrs, wie hätte er sonst noch fragen können, als in Rom eine Tänzerin mit Lorbeerkränzen überschüttet wurde: „ker l)io! giebt es denn auch Lorbeer für die Beine?" Auch die Beine haben ihr Schicksal, und zwar nicht allein auf der Bühne, sondern auch auf Pferden, auf Bällen und anderswo, und daß man sie wohl zu würdigen weiß, beweist schon der Umstand, daß sie zum Träger eines hohen Orden- geworden sind, welcher den Wahlspruch: „ttonui »oit qul mal pousc?, trägt. Eine andere Art von Beinritelkeit haben Fußgänger für große Entfernungen, welche aber nicht selten ein ebenso klägliches Ende nimmt, wie der Blutdurst des Sonntagsjägers. Ernster ist die Anforderung an die Bein« im Kriege, „denn," sagte der Feldzeugmeister Rosenzweig von Drunwehr, „die größte Kunst des Infanteristen ist Marschiren und Schießen, also wirken Sie dahin, daß man den Mannschaften die Bedeutung des Satzes beibringt: In den Beinen liegt der Sieg." In dem letzten deutsch-französischen Kriege haben die Beine zu den schnellen und meisterhaften Aufmärschen unserer Armeen nicht wenig zu den Niederlagen der Franzosen beigetragen, wenn auch nicht unerwähnt bleiben soll, daß die Franzosen nicht minder schnell auf den Brinen waren und sogar „dir Beine unter die Arme nahmen," wenn es galt, rückwärts zu siegen. Dir Würdigung der Beine ist so alt wie die Menschheit. Moses empfiehlt nur zu essen, was auf vier Beinen geht, und nicht was auf zwei Beinen hüpfet, und es ist nicht unmöglich, daß er hierbei Menschenfresser „im Auge" gehabt hat. Auch Ju piter beschäftigte sich einstens angrlegentlich mit dem schwächeren Vulkan, al- er diesen bei den Beinen nahm und ihn auS dem Himmel warf, und nach Goethe verstand es der Teufel, ein Bein zu stellen. Uhren und Beine gehen nie gleich, und viele große Menschenberühmtheiten hatten kurze Beine, wir Napoleon I., Mozart und Richard Wagner; aber dir Menschengräße ruht nicht allein auf so kleinen Untergestellen, auch hünenhafte Ge stalten hat die Vorsehung zu Trägern deS Ruhmes erwählt und ich führe hier nur Bismarck an, der nicht allein den Franzosen „Beine gemacht" und das Deutsche Reich „auf die Beine ge stellt" hat, sondern auch dafür sorgte, daß es flink und fest auf den Beinen bleiben wird. Ein Universnlwerk. Selten wohl Hot rin buchhändlerisch»- Unternehmen rinen so durchschlagenden und nachhaltigen Erfolg zu verzeichnen, sich einer o umtassenden Beliebtheit zu erfreuen gehabt wie das im Verlag von Otto Spanier in Leipzig erscheinende „Buch drr Er findungen, vtewerbe und Industrien", das nunmehr in neunter, durchaus neu gestalteter Auflage seinen Weg sowohl in alle diejenigen Kreise nimmt, die an den Vorgängen ans den Gebieten der gewerblichen und industriellen Arbeit, wie deS Weltverkehres und der Wellwirlhschast unmittelbar betbeiligt sind, al- auch in diejenigen, welche ein lebhafte» Interesse dafür besitzen. Wer einen Blick in den jüngst erschienenen vierten Band des .Bucks der Erfindungen" wirst, des Bandes, in welchem die Land- wirthschaft und die landwirtbschaftlicken Gewerbe und Industrien behandelt werden, der wird nicht allein die Gründ lichkeit bewundern müssen, womit die hier vorliegende umfangreiche Materie in allen Einzelheiten zu erschöpfendster Besprechung in wissenschaftlich populärer Form gelangte, der wird auch zugleich überall die Tbatsache bestätigt finden, daß bei der Bearbeitung der einzelnen Eapitel olle technischen Er-ungenichaften bi» in die jüngsten Tag» hinein Berücksichtigung gefunden haben. Damit macht da» „Buch der E sinbungcn" seinem Namen in der Tdat auiS neue Ehre. Tie Geichichte der Landwirthschaft ist in großen Zügen die Geschichte der Eultur der Völker und Le» Menschengeschlechtes. Bon diesem GesichtSpuncte ausgehend, giebt der Verfasser de» ersten Tdeils, Professor vr. Henry Sette gast, Direktor des landwirth- schastlicken Instituts in Jena, zunächst einen Uebrrblick über die Entwickelung der Landwirthschaft und ihrer Betriebsweisen. Wo ein Land groß und blühend ist, da finden wir auch »ine blühende Landwirihschost; und wo dies« in ausstrigender Entwickelung begriffen ist, da trägt auch das Land den gesunden Kern des Eultursortschrittes und der Größe in sich. Di« blühenden Staaten Griechenland und Rom kamen in Verfall, al bte Landwirthschaft darniederiank, als sie in Unehre kam und ihr Betrieb den Sklaven überlassen wurde. Tas neue Italien konnte zwar seine politische Wiedergeburt erleben, es wird aber seine neu gewonnene Stellung im Rathe der Völker nur behauvtcn, wenn e» ihm gelingt, seinen Ackerbau und seine Viehzucht zu heben. Rußland wird erst dann rin gefährlicher Koloß und eine drohend« Gesabr für Deutsch land und die Wesistaaten Europa» werden, wenn seine Krast im Innern durch Besserung seiner agrarischen Verhältnisse erstarkt, welche dir erste Grundlage für eine Hebung der gewerblichen und Hondelsverhältnisse abgeben müßte. Nach einer eingehenden Behandlung der Entwickelung der Landwirthschaft und ihrer Betriebsweisen kommt der Ber- fasser zu dem Ergebnis, daß der Niedergang der Landwirth. schäft in neuester Zeit nicht sowohl auf dem Gebiete der Technik als vielmehr aus dem der wirthschastlichen Mißerfolge und d«r schwindenden Rentabilität z» suchen ist; denn den großen Fort schritten, welche die technisch» Gestaltung de» Ackerbaues und der Viehzucht gemacht hat, steht dir abnehmende Ertragtsäbigkrit der Landwirlhichast gegenüber, die ihr aus der Eoncurrenz billig produ- circnder Länder diesseits und jenseits de» Oceans erwuchs. Wir werfen dann rinen Blick auf die ökonomischen Zwecke und Ziele und die wirthschastlichen Mittel, deren sich der Landwirth bedient und die rr in bestimmten Betrieb-weisen und Wirth- schaftsiystemen zur Geltung bringt, um hierauf dem Acker- und Pflanzenbau im Allgemeinen und im Besondere» näher zu treten. ES handelt sich hierbei um eingehende klare Schilderungen von der Entstehung und Zusammensetzung des Ackerbodens, der Urbar machung und ber Meliorationen, der mechan schen Bodenbearbeitung, der Düngung, dem Säen und Pflanzen, gefolgt von der Besprechung de- Getreidebaues, der Hülsensruchte, des Dreschen» und deS Aus« bewahren» deS Getreides, des FutterbaueS, ber Ruustfutterpflanzen, des Hacksruchtbaue-Z und der Hanbelsgewächse, wie Gespinnstpslanzen, Oelpslanzen, Gewürzpflanzen, Farbepflanzen und Genußpslauzen. Wie der feldmäßigc Gemüseanbau, >o gebürt auch der Obst bau zu den nutzbarsten N.benzweiaen der Landwirlhichast. Ueber beide liegen in dem Werke höchst fachgemäße Besprechungen vor. Mit dem Wiesen- und Weidenbau schließt dieser, die Landwirthschaft in ihren Bodencullurgebieten behandelnde Theil, um einem Eapitel über Thierzucht Platz zu gehen. Au- der letzteren entspringt die Verwerthung der Biehproduct», in erster Linie die Milchw-rlh- schast. Auf wenige Zweige der menschlichen Tbiitigkeit bat die gewerbliche Anwendung der großen wissenschaftlichen Errungenschaiten, die der Stolz unseres Jahrhunderts find, rinen so eingreifenden, ja geradezu umwälzenden Einfluß gewonnen wie auf den Molkerei- betrieb. Für die Ausbildung der Molkereitechnik waren zwei Umstände von durchgreifender Bedeutung, die Eifindung der Milch- ceutrisuge und die Begründung des Geiiossenschasic-wesenS. Neben der Milchwirthschasl spielt dir Fleischverwerthnng eine große Rolle. Auch ihr ist »ine eingehende instruktive Behandlung deS Materials gewidmet. Endlich kommt noch die jüngere Schwester der Landwirthschaft, dir Forstwirthschast, an die Reihe. Landwirthschaft und Forst- wirthschaft sind di« beiden Quellen der Rohproducuon, die das Volk mit den nothwendigsten Naturerzeugnissen versorgen und deren Gedeihen di« sicherste Grundlage für seine innere Kraft und das Erblühen der Macht des Staates abgeben; während aber die Land- wirthschaft in ihrer producirenden Thätigkeit einer weitgehenden, fast unbegrenzten Unterstützung von Seiten der Meiriche» rüstig ist, bleiben die Forsterzeugnisse in viel höherem Grade Erzeugnisse und sreie Geschenke der Natur. In dem zweiten, ebenso gewissenhaft bearbeiteten Theile des Werkes, das die landwirthschaftlichen Gewerbe und Industrien umsaßt, behandelt Ingenieur E. A rndt-Braunschweig die Getreide« Müllerei, während Fr. Oertel-M'inchen sich eingehend über Bäckereigewerb« und vrodfabrikation verbreitet. Di« Abschnitte über Zuckerfabrikation, Stärkesabri kation, Brennerei nnd Brauerei entstammender fachkundigen Feder des Professors für landwiristschastlichr Technologie in Breslau, vr. Felix Ahrens. Weitere Eapitel sind die über Wein-, Schaumwein- und Obstweinbereitung von H. W. Dahlen, Generalsecretair des deutschen Weinbau-Vereins in Wiesbaden, über Cacao und üdocolade von vr. Paul Zipperer in Darmstadt und über di« Tabaktndustrt« von vr. Heinrich Fraenkrl in Berlin. Man sieht, rin« Anzahl Fachmänner ersten Range» hat den ge waltigen Stofs bemeistert und in einem klaren System geordnet, so daß rasche Lrientirung und reiche Belehrung Hand in Hand zu gehen vermögen. Wissenschaftlich» Gründlickkeit fehlt ebenso wenig wie geistreich» und fesselnde Durchbildung dr» gegebenen Materials, dessen Bearbeitung schätzbare Beiträg« aus d«n behandelten Gebieten bringt. Al» »in Hauptfactor diese- Bande- darf der reiche Illustrations schmuck nicht unerwähnt bleiben; nicht weniger al« 620 Text abbildungen und 8 Beilagen zi«r«a da« typographisch vornehm aus gestattete, trefflich« Werk. —»>
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