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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.11.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-11-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971106025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897110602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897110602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-11
- Tag1897-11-06
- Monat1897-11
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Die Morgen-AuSgabe erscheint nm '/.? Uhr, die Abend-Autgabe Wochentage um 5 Uhr. Nedaction und LrveLitiou: L»ha«ue«,affe 8. Di« Expedition ist Wochentag« «nunterdroche» geüffnet von früh 8 bi» Abend« 7 Uhr. Filialen: Dtt« Meinm's Eortim. (Alfred Hah«), Universit-t-strah« S tPaulinum), Leut« LSsche, Rechel»»nstr. 14, pert. und »iinigsvl«« 7. BezugS-PreiS At der HanpteMedition oder den t« Gtedt« deeirk »nd den Vororten errichtet»» Los- «abrstevea abgeholt: viertel jährliche 4.öO. bei »wrimaltaer täglicher Zu stell» na in« Han« ö.LO. Durch die Post bezogen für Dentschtond und Lesterrrich: virrtestährlich . Dir««» tägliche Krruchandirndung la« Ausland: monatlich ^tl 7 SO. Abend-Ausgabe. WMM TagMatt Anzeiger. Ämtsbkatt des H'önigkichen Land- «nd Ämtsgenchles Leipzig, des Ratljes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen.Prei- die -gespaltene Petitzrile SE Psg. Reklame» unter demRedactionsslrich ssgm spalten) ÜO^z, vor den FamilieanachrichtH <6 gespalten) 40^. 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BolkSzta." die Mahnung, „unsere Mittel für unter Umständen erforderlich werdende unabweisbare Verstärkungen der Landarmee bereit zu halten und nicht auf zu weitgehende Flottenverstärkung zu ver wenden-. Denn: „Einerseits ist die Aussicht auf Einführung des kleinkalibri gen Gewehres, welches ja nicht rein platonisch, sondern behufs eventueller Einführung bereits von mehreren Truppentheilen erprobt wird, unbedingt vorhanden und andererseits vollzog sich soeben die Durchführung der Verstärkung der russischen Feldartillrrie um 66 Batterien und 3 Siejrrvebatterien, die damit um 38 Bat terien stärker als die deutsche wurde. Ferner entsteht neuerdings aus den Leistungen der Maschinengewehre, namentlich der Maxim- geschützt, d. h. Schnellfeuergeschütze mit Gewehrkoliber, die 600 Schuß in der Minute abzugebrn gestatten, die Perspective auf die eventuelle Einführung einer neuen, die Feuerwirkung der Infan terie und namentlich die der Eavallrrie zu verstärken bestimmte Waffe.... Zu den übrigen Erscheinungen, die aus die Concentrirt- haltung unserer Mittel für di« Landmacht verweisen, müssen wir ferner auch die geplante Verstärkung des englischen Land» Heeres rechnen; in den britischen Fach- und politischen «reisen besteht eine starke Strömung, welche die Landmacht Englands so stark machen will, daß sie zu einem Eingreifen auf dem Eontinent mit Streitkräften befähigt ist, die unter den heutigen Verhältnissen von Belang sind." Selbstverständlich bemächtigt sich die demokratische und die focialbemokratische Presse mit Eifer dieser Dar legung, obgleich sie für keinen Unbefangenen auch nur das geringste Argument gegen eine Verstärkung unserer Flotte enthält. WaS den drillen Punct — um mit diesem zu be ginnen — betrifft, so kann er füglich aus der Betrachtung ganz ausgeschieden werden, denn einmal handelt eS sich in Bezug auf die Vermehrung der englischen Landarmee vor läufig noch um fromme Wünsche, und zweitens könnte diese Vermehrung für Deutschland ganz gleichgiltig sein, denn wenn wirklich einmal der höchst unwahrscheinliche Fall ein treten sollte, daß die deutsche Landarmer der des isolirten England gegenüber zu treten hätte, so wäre sie dieser noch immer überlegen, selbst wenn die letztere um das Doppelte ver mehrt werden sollte. Was die Vermehrung der russischen Artillerie angebt, so ist es mebr als fraglich, ob Deutschland eine solche Maßregel zum Anlaß einer Vermehrung der deutsche» Artillerie nehme» wird. Man hat nicht allein zu prüfen, wie sich die deutsche Artillerie zur russischen, sondern auch, wie die Artillerie des Dreibundes sich zu der des Zwei- bundeS verhält. Wenn hier ein Minus auf Seilen des Dreibundes eintreten sollte, so wäre eS noch immer die Frage, warum denn gerade Deutschland, das in den letzten 10 Jahren für die Erweiterung seiner Armee mehr gethan bat, als rie beiden anderen Dreibundstaaten zusammen, verpflichtet sein sollte, das Minus auszugleichen. Und was endlich den ersten Punct anlangt, so spricht dieser erst recht nicht dagegen, daß man für die Marine endlich einmal größere Aufwenoungen macht. Die Neubewaffnung ter Armee, bald der Insanterie, bald der Artillerie oder der Cavallerie, hat in den letzten IV» Jahrzehnten eigentlich nie aufgehört. DaS mag bedauerlich sein, aber der Nothwendigkeit der Bewilligung haben sich selbst die linksliberalen Kreise nicht verschließen können. Gerade auS der Häufigkeit von Bewilligungen für Neubewaffnung der Landheere wird man schließen müssen, vaß die in naher Zeit — ob wirklich oder angeblich, sei nicht untersucht — bevorstehenden notbwendigen Be willigungen kein geeigneter Grund sind, die Forderungen für die Marine abzulehnen. Man müßte denn über- daupt darauf verzichten, die Marine in angemessener Weise zu verstärken. Irgend welche Forderungen wird man eben fast jede» Jahr für das Landbeer erwarten müssen. Es wäre aber eine Unbilligkeit und Kurzsichtigkeit sondergleichen, wenn man darunter regelmäßig die Marine leiden lassen wollte. Wenn dir Marineforderungen jetzt größer sind als eS Manchem wünschenswert!) erscheint, so beruht dies zum Theile darauf, daß infolge der HeereSvermebrung von 1883 der Marine eine Zeit lang „der Brodkorb zu hoch gehängt" wurde. Wollte man jetzt wieder wegen angeblicher Forderungen für das Landheer den Marineetat beschneiden, so würden die Marineforderungen in ein paar Jahren erst recht doch sein müssen. Und schließlich würde sich der Reichstag vor die Frage gestellt sehen, ob er entwecer ohne Rücksicht auf die Ausgaben für die Landarmee das Nötbige für die Marine bewilligen oder nicht ganz darauf verzichten will, daß Deutschland eine Marine besitzt. Denn wenn dir Marine jahraus, jahrein als Stiefkind behandelt werben soll, wird ihre Existenz überhaupt schließlich überflüssig. Auf die Gründe, aus denen die Organe des EentrumS neuerdings so eifrig nach neuen Argumenten gegen eine Ver stärkung unserer Flotte suchen, fällt ein eigenthümlicheS Licht durch die Mitthelluna der ultramontanen „Köln. Volksztg.", daß der Abg. vr. Lieber dieser Tage in der General versammlung des katholischen Bürgervereins in Aachen erklärt habe, sein Besuch beim Reichskanzler habe der Auf hebung des Jesuitengesetzes gegolten; die Aussichten nach dieser Richtung seien hoffnungslos, nicht einmal auf die Aufhebung deS Jnter- airungSparagraphen dürfe man sich Hoffnungen machen. Daß Herr vr. Lieber so kurze Zeit nach dem, den ganzen fanatischen Verketzerungsaeist der Jesuiten athmenden CanisiuS-Rundschreiben deS Papste« und unmittelbar nach den Proben, welche die ultramontanen Jesuilenfreunde in Baden von ihrem Eifer zur Stützung von Tbron und Altar geliefert haben, eS gewagt hat, beim Reichskanzler zu Gunsten der Jesuiten vorstellig zu werden, beweist die Verblendung dieses CentrumsführerS so schlagend, daß man sich nicht wundern kann, wenn er meint, durch einen Preßfeldzug gegen die Flottenpläne erzwingen zu können, WaS die „staats- erhaltende- Thaten jesuitischer Geister nicht zu erreichen vermochten. Aus der Antwort, die er vom Fürsten Hoben- lohe empfangen, geht jedoch mit erfreulicher Klarheit hervor, vaß der Reichskanzler sich vollkommen der Folgen be wußt ist, die eine Nachgiebigkeit gegen das Cenlrum ge rade jetzt im ganzen Protestantischen Deutschland haben müßte. Gerade jetzt ist übrigens auf die Flotten gegnerschaft der Eentrumspreffe sehr wenig Gewicht zu legen. Einen je übleren Dienst der Papst mit seinem CanisiuS - Rundschreiben der nach der Herrschaft lüsternen Centrums-Partci des deutschen Reichstages geleistet, und je gründlicher Herr Pfarrer Wacker und seine ultra montanen Schaaren in Baden dem „Nebenregenten" vr. Lieber in den Suppennapf gespuckt haben, um so mehr muß dieser danach trachten, den Eindruck jener Tbatsachen auf die ver bündeten Regierungen und die Conservativen zu verwischen. Je schärfer daS Centrum jetzt angefaßt wird, um so weniger braucht man sich vor seiner Oppositionslust zu fürchten. Bei unserer Besprechung deS Haitischen Zwischenfalle« baden wir die Möglichkeit zugegeben, daß die Vertretung deS Reiches in Haiti nicht immer den berechtigten Wünschen der dortigen Deutschen entsprochen hat. Für viel zu weitgehend und in seiner Allgemeinheit für durchaus ungerechtfertigt aber halten wir mit der „Nordd. Allgem. Ztg." die Behauptung eines Berliner Blattes, das Auswärtige Amt in Berlin habe in den letzten Jabren überhaupt den Schutz der Deutschen im AuSlande lässig betrieben. Zur Widerlegung de« un begründeten Vorwurfs stellt die „Nordd. Allgem. Ztg." folgende Fälle zusammen, die in der betreffenden Zeit durch die deutschen Vertreter im Auslande erfolgreich behandelt worden sind: Schon 1890 hat die Ermordung deS Vr. plrll. Reinsch in Kanea Anlaß zu Vorstellungen bei der Psorle gegeben, in Folge deren der Mörder des vr. Reinsch zum Tode, seine Helfers- Helfer zu je acht Jahren Kerker verurtbeilt wurden. Eine Ent schädigung konnte damals nicht gefordert werden, weil die linkischen Behörden keine Schuld tras und der Ermordete vor dem Betreten der Gegend, in der er den Tod sand, gewarnt worden war. Im Jahre 1892 erhielt der Reichsangehörige v. Herzberg, dessen Haus im Osten von London vom Pöbel zerstört und ge plündert worden war, aus Verwendung des Auswärtigen Amis von der englilchen Regierung eine Gelbrntschädigung. In demselben Jahre erwirkte der deutsche Gesandte in Bern den Hinterbliebenen des in Bonfol von einem Nachtwächter erschossenen Reichsangehörigen Wern irr die Zahlung einer Entschädigung durch die schweizerische Regierung. Aus dem Jahre 1894 sei der Fall Neumann er- wähnt, in dem eS unserem Vertreter in Marokko gelang, außer der Hinrichtung des Mörders von der marokkanischen Regierung dir Zahlung einer Entschädigung von 75 000 Frcs. zu er- halten. Ebenso sah sich die brasilianische Regierung durch das Vorgehen unseres Gesandten in Rio de Janeiro veranlaßt, zwei deutsche Matrosen, dir bei einer Verhaftung durch brasilianisch, Soldaten mit Säbelhieben verwundet worden waren, durch Zahlung einer Geldsumme zu entschädigen und gegen die schuldigen Soldaten ein krieg-gerichtliches Verjähren einzuleiten. Im Jahre l895 wurde nach Ermordung des Reichsangehörigen Rockstroh in Marokko in erster Linie die Bestrafung der Thäier durchgesetzt. Die daneben geforderte Entschädigung von zunächst 100 000 Fr. wurde wegen Ver schleppung der Sache auf 200 000 Fr. erhöht, die die marvikunische Regierung denn auch, nachdem ein Geschwader nach Marokko gesandt worden war, bezahlt hat. In demselben Jahre gelang es dem deutschen Gesandten in Brasilien, die Zahlung der gelammten von uns aus Anlaß der letzten Revolution im Staate Rio Grande do Sul anhängig gemachten Reklamation von der brasilianischen Regierung zu erlangen, während auf dem Eonti- nente noch durch Verwendung des Auswärtigen Amts für die Hinterbliebenen de» in Zürich von einem Polizeibeomten erschossenen Zimmermanns Beudseld von dem Eanton Zürich die Leistung einer Entschädigung von 8000 Frcs. erwirkt wurde. An das Eintreten des Auswärtigen Amts für die Ansprüche der deutschen Colonisten in Palästina, über das sich Freiherr v. Marschall in der Reichstagssitzung vom 14. Februar 1895 verbreitet hat, braucht nicht weiter erinnert zu werden. Auch das energische und umsichtige Vorgehen der deutschen Vertretung in Marokko aus Anlaß der im December vorigen Jahres erjolgten Ermordung des Reichsangehörigen Harbner ist noch in Aller Erinnerung. Dies dürfte genügen, um die Haltlosigkeit des gegen das Auswärtige Amt erhobenen Vorwurfs zu erweisen. Will man, daß der Respect vor dem deutschen Namen im Aus lande noch mebr wachse, wodurch vielleicht die Wiederholung ähnlicher Gewalttbaten wenn auch nicht verhindert, so doch vermindert würde, so bleibt nichts übrig als sich Denen an- zuschließen, die das Ansehen deS Reichs in fremden Zonen am besten durch eine Vermehrung unseres Flottenmalerials gewahrt sehen. Wenn die Deutschen Leftcrrcichs gehofft hatten, die erste Lesung des AuSgleicksprovisoriums ein zweites Mal Verbindern zu können, so waren sie im Jrrlbum. Es ist so gekommen, wie wir es vorausgesehen hatten, daß die Obstructionsschlacht von der Linken verloren würde, weil die Rechte einfach die Debatte nach 15 stündiger stürmischer Ver handlung und nach wiederholten Vergewaltigungen der Minorität die Sitzung einfach schloß. Es begreift sich, daß die Opposition durch die Brutalität der Majorilät aufs Aeußerste gereizt wurde und daß eS zu Scenen, Schimpfereien und Tätlichkeiten kam, die wobl noch in keinem Parlament vorgefallen sind, und die das Ansehen des Parlamentarismus, namentlich in Oesterreich, ganz gewiß nicht mehren. Nach der ersten Lesung folgt nun die Commnsionsberathung, dann die zweite und dritte Lesung. Natürlich wird von den Deutschen AtleS aufgebolen werben, um die Weiterberathung zu Verbindern, aber es dürfte nach dem Beispiel der ersten Dauersitzungen doch wieder nur zu Verschleppungen kommen. Mit völliger Jgnorirung der Geschäftsordnung läßt sich schließlich Alles durchführen und beschließen. Aber wir wiederholen unsere Voraussage, daß nach der Be endigung deS gegenwärtigen parlamentarischen Kampfes in Oesterreich der eigentliche Kampf erst beginnen wirb. Denn so viel ist klar, daß, wenn auch die dringlichsten Gesetze jetzt durch die Mehrheit der Rechten durchgedrückl werben, auf die Tauer in Oesterreich nicht so weiter regiert werben kann. Von eigentlichen Verhandlungen ist in Oesterreich schon lange nicht mehr die Rebe; im österreichischen Parlamente spielt sich nichts ab, ats Ueberrumpelungen und Lärmscenen. Die Sachlichkeit der Verhanblungen ist darüber völlig verloren ge gangen. Und wie es im Parlamente ist, so ist es auch in den kommunalen Körperschaften und schließlich auch im Volte. Parlamentarische Kämpfe wie die österreichischen führen dazu, daß einem Volke aller Sinn für Sachlichkeit verloren gehl und daß nur die Jnstincte des Hasses gegen die Gegner, der Sympathie für die Gesinnnngsgencssen entscheiden. Wenn dem Volksempfinden so die notbwendige Basis, der Sinn für die Gerechtigkeit verloren geht, so wird damit zugleich die Basis deS ganren Staates erschüttert. Und deshalb wirb die österreichische Regierung, wenn sie jetzt auch siegen mag, es sich überlegen müssen, ob sie die gegenwärtigen Zustände fortdauern lassen kann. Und wenn die Regierung cS sich nicht überlegt, so wird es der österreichische Kaiser thun müssen. Tenn ein Ministerium kann wohl sagen: uous le äeluge." Für eine Dynastie aber wäre diese Theorie velhängnißvoll. Während in Deutschland von Neuem Bestrebungen zu Gunsten der Einführung einer Wehr st euer in den Vordergrund treten, ist man in Frankreich damit beschäftigt, die dorl beliebende Wehrsteuer erheblich einzuschränken. Der Deputirtenkammer ist eine Novelle zu dem bestehenden Gesetz über die „taxe miUtaire^ zugegangen und zwar aus > Grund der Anträge einer außerparlamentarischen Commission, die zum Studium dieser Frage eingesetzt war. Gegenwärtig ! sind in Frankreich der Wehrsteuer unterworfen Alle, die unter Der Page. 9j Roman von A. Hryl. Nachdruck verbot«». Die Frau warf einen grimmigen Blick auf den Boden der Schüssel. Da schwammen in einer braunen Sauce ein paar Brocken herum, die von ihr sofort als Haut und Knochen erkannt wurden. „Vielfraß, Rabenvater, Vagabund", wüthete sie. Die Unbetheiligten begleiteten diese schmeichel haften Benennungen mit wieherndem Gelächter. Dorset er hob sich von seinem Sitze: „Wollt Ihr Ruhe geben, Ge sindel", donnerte er herüber. „Soll ich mit der Peitsche da zwischen fahren?" Er stand da wie ein Thierbändiger, der im Begriff ist, ein paar widerspenstige Raubthiere zu züchtigen. Die Drohung wirkte sofort. Der verwegene Mensch übte Ge walt über seine Umgebung, die drei Männer fügten sich widerstandslos seinem Willen. Das Weib brummte allerlei unverständliches Kauderwelsch vor sich hin und kroch in den Wagen. „Wo willst Du hin?" redete Philipp Dorsrt sein Weib an, welches die Uebrrreste seiner Mahlzeit in einen Korb packte. Erschreckt blickte dir Frau zu ihm auf, ihre Hand zitterte, als sie den Deckel des Korbes schloß. „Mein armer Junge hat heut« noch nickt gegessen." „Wo treiot sich der faule Balg herum?" herrschte er sie an. „Er hütet di« Pferd« auf drr Waldwirs«, wie Du ihm befohlen hast; gestatte, daß ich ihm die übrigen Gprisrn bringe", bat sie. „Alle» steckst Du dem lahmen Schlingel zu. Mein Bruder hat auch noch nicht gegessen. Warte, bi» er kommt", befahl «,. „Dein Bruder wird im Schlosse wohl bewirthet werden, indeß mein armer Knabe vor Hunger weint. Lasse mich zu ihm." „Du bleibst!" brüllte er, die Faust zum Schlage erhoben. „Dein Krüppel soll betteln, wie die Anderen auch." Sie wagte es nicht, dem Erzürnten vorzustellen, Janos könne die Pferde nicht allein auf der Weide lassen, um nach Almosen zu gehen, ihr bangte vor den Zornesausbrüchen ihres Mannes, sie fürchtete seine Hand und seinen Fuß für sich sowohl, als für den unglücklichen Knaben, dessen schwacher, verkrüppelter Körper schwere Mißhandlungen nicht mehr ertragen konnte. Sobald sich Dorset von dem Gehorsam seiner Frau überzeugt hatte, bekümmerte er sich nicht weiter um sie, sondern lehnte sich in den Sessel und schloß die Augen, dem verlockenden Beispiel seiner Unterge benen folgend, die durch lautes Schnarchen von ihrer Mit tagsruhe Kunde gaben. Das angsterfüllte Weib beobachtete den Gewaltigen, bis er fest schlief, dann schlich sie geräusch los zwischen den Wagen durch, bis zu dem Wagen, in dem sich das streitbare Weib des Clown aufhielt. „Loiska, ich bitte Dich, bringe Du meinem Janos etwas zu essen, der arme Knabe fällt sonst um vor Hunger." „Was gehen mich anderer Leute Kinder an", lehnte die Angeredete mürrisch ab. „Ich mag nicht, Zascha." „Thue es doch, liebe Loiska", fuhr diese fort zu bitten, ich schenke Dir das roihe Band, daS ich Dir gestern zeigte." Loiska schüttelte zwar den Kopf, kam aber aus der Thüre. „Ich brauche Dein rothes Band nicht." „Ich gebe Dir die Hälfte von dem Wein, den ich versteckt habe, LoiSka, ich gebe ihn Dir, sobald wir allein sind, bringe meinem Knaben daS Essen auf die Waldwiese", drängte Zascha. Loiska überlegte. Geistige Getränke übten eine große Anziehungskraft auf sie aus. „Wenn Du aber nicht Wort hältst", wandte sie miß trauisch ein. „Dann magst Du eS meinem Herrn verrathen, das ist oaS Schlimmste, was Du mir thun kannst." Diese Worte Zascha'» brstimmtrn die Andere. „So will ich denn Mitleid mit Dir haben, weil Du so sehr unter der Knute bist, thörichte Alte. Drin aufgeblasener Lümmel miistrt sich von Deiner Habe, Du und Dein Bube Ihr müßt Hung«r und Schläge aushalten. — Bei Euch mag das wohl gelingen, Zascha, wenn Dorsrt aber fortfährt uns schlecht zu behandeln, dann schlagen wir ihm eines Tages alle Knochen im Leibe entzwei und ziehen dann ab." Zascha er widerte keine Silbe, sie kauerte am Boden, barg das Gesicht in den Händen, überdachte ihr Elend und verharrte regungs los, während Loiska mit dem Korbe der Waldwiese zuschritt. Die Loiska war ein häßliches Weib. Auf ihrem ge dunsenen Gesicht hatten Laster und Leidenschaften tiefe Spuren eingegraben. Die schwulstigen Lippen, die breite, aufgestülpte Nase und die stechenden grauen Augen, die wie Dolchspitzen unter den verschwollenen Lidern hervorblitzten, machten sowohl im Einzelnen als auch im Ganzen betrachtet einen abstoßenden Eindruck. Das Thierische in der Physiog nomie dieses Weibes trat überwiegend hervor. Nach und nach waren ihr fast alle menschlichen Empfindungen fremd geworden. Für Güte, Mitleid, Barmherzigkeit fehlte ihr das Verständniß, nur ein Gefühl, welches alle weiblichen Geschöpfe auf Erden miteinander gemein haben, die Mutter- iebe, war in ihrem Herzen nicht erstorben und darum begriff ie das Leid einer anderen Mutter, die noch elender war als ie. Diese Beweggründe hielten sie auch ab, von dem unver- rauten Gute zu naschen. Unwillkürlich hob Loiska den Kopf höher und ging strammer als gewöhnlich einher. Es war ein schöner Spätsommertag, die Sonne stand hoch am wolkenlosen Himmel, ein lauer Wind säuselte durch die Wipfel der Bäume und wiegte die schlanken Blumenstengel am Pfade spielend hin und her. Droben in der Capelle schlug die Glocke die zweite Mittagsstunde. Loiska blickt« zu dtm alterthümlichen Bau empor, die längst entschwun denen Tage ihrer Kindheit lebten in der Erinnerung auf. So wie sie einst gebetet hatte, ebenso kniete da droben eine Gestalt vor dem Gitter und flehte mit zum Himmel geho benen Händen wahrscheinlich um Hilfe in drr Noth. Sie lachte höhnisch auf: «Sein Gewinsel wird ihm genau so wenig Hilfen, wie mir mein Beten vor Zeiten geholfen hat." Die Gestalt erhob sich, sie erkannte Emil Dorsel. „Seh' mir einer den Duckmäuser", brummte sie, — „man wird nie klug aus dem Jungen; er dünkt sich besser als wir, er paßt nicht zu uns, eines TageS wird «r davon laufen." Unter solchen Gedanken und Selbstgesprächen nährrte si« sich der Waldwiese. Die Töne einer Mundharmonika, be- aleitet von dem Lachen und Jauchzen einer luftigen Kinder schaar, klangen ihr entgegen. Dir sonst so «infam« Wiese war heute belebt. Im hohen Grase ruhten di« Pferde, nach dem sie sich gütlich gethan, ihr lahmer Wächter saß auf einem Baumstrunk, blies ein lustig Stücklein und um ihn schaarte sich die Dorfjugend, der sich die fünf Kinder der Frau Loiska zugesellt hatten. Es mußte ihnen auf ihrer Wanderschaft durchs Dorf wohl ergangen sein, sie sahen satt und vergnügt aus. Ein Gleiches war von Janos zu berichten, dem des Löwenwirths Bastel in seinem Kunstenthusiasmus den für die Näthin Heldenberg bestimmten Braten zugetragen hatte. Sein Beispiel ermunterte auch seine Kameraden zur Frei gebigkeit gegen die Vagabundenkinder, welchen dadurch nie gekannte lukullische Genüsse zu Theil wurden. Zum Dan! dafür lehrten diese ihre Gastgeber allerlei Kunststücke, welche Bastel vor allen Anderen vortrefflich nachahmte. Der hübsche gelenkige Knabe gefiel dem braunen Weibe, sie sah ihm eine Weile zu; als er innehielt, um auszuschnaufen, redete sie ihn an: „Potztausend! Wie geschickt ist das junge Herrchen. Versteht etwas von unserem Handwerk, sollte mit uns ziehen, ein berühmter Mann werden." Dies Lob von bewährter Seite eiferte Bastel von Neuem an, Proben seiner Gelenkigkeit abzugeben. Loiska hockte im Grase neben Janos nieder und stellte Vergleiche an zwischen ihren Kindern, die täglich mit Scheltworten, ja mit Schlägen zu dergleichen Körperverdrehungen gezwungen wurden, und dem hübschen Knaben, der mit Leichtigkeit ausfuhrte, was jenen längst eine verhaßte Arbeit war. „Wenn das Bürschchen in die rechten Hände käme, könnte was Großes auS ihm werden", sagte sie zu dem Lahmen, der gedankenvoll vor sich hinblickte und die Bemerkung zu überhören schien. „Ich möchte wissen, ob er seiner Mutter einzig Kind ist", fuhr sie fort. „Der strotzt von Gesundheit, könnte was aushalten. Meine armen Würmer sehen fahl und hohl äugig aus, sind in Lumpen gehüllt, müssen bis zum Tode mit Noth und Elend kämpfen. Weißt Du, ob das Bürsch- l«in noch Geschwister hat?" „Ich glaube wohl", antwortete Janos und sah die Frage stellerin mit seinen klugen, dunklen Augen forschend an. „Warum willst Du das wissen, Loiska?" „Kümmere Dich nicht darum", wies sie ihn ab. „Thue ihm nichts zu Leide", mahnte er eindringlich, „er ist ein guter Knabe." Sie stieß ein gellendes Lachen auS: „Du bist auch ein
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