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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.11.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-11-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971109024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897110902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897110902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-11
- Tag1897-11-09
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Brötzere Schriften laut unserem Preis» verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit dm Morgen«Ausgabe, ohne Postbesördern«^ 60.—, mrt Postbesörderung 70.—^ Aonahmeschluß für Anzeigen: Ab eud«Ausgabe: vormittag- 10 Uhr. Morgen »Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. v«i deu Filialen und Annahmestelle« j« eiao halb« Stund« früher. Anzeigen sind stets an di« Expedition zu richten. Druck und Verlag vou T. Polz in Leipzig, 573. Dienstag den 9. November 1897. Politische Tagesschau. * Leipzig, 0. November. Die „Kreuzzeitung" klagt über die Schwierig keiten, die der konservativen Partei durch die Frage der Socialreform bereitet werden. Die Socialreform, so führt das Blatt, indem es besonders auf die Anfeindungen der Cbristlich-Socialen hinweist, aus, entzweie Gesinnungs verwandte, verwandle die Gegner in Todfeinde und entzünde einen Hader, dessen Ende heute noch Niemand sehe. DaS ist richtig und bei der Tiefe der principiellen Gegen sätze, die in conservativen Kreisen bei der Beurtbeilung dieser Frage zu Tage treten, werden auch die Klagen der „Kreuzzeitung" über die Schwierigkeiten nickt hinweg- belfen. Um so mehr aber hätte dieses Blatt und hätten alle Conservativen Veranlassung, andere Schwierigkeiten zu be seitigen, die sich jetzt noch unschwer beseitigen lassen, später aber die Ursache ernstlicher Differenzen werden könnten und müßten. Wir meinen die Schwierigkeiten, die sich die conservative ReichStagSfraction selbst bereitet hat, indem sie in das Margariuegoskl; die Bestimmung über die Trennung der Verkaufsräume für Butter und Margarine hineinbrachtc. Immer klarer stellt es sich heraus, daß diese Bestimmung eine verfehlte ist und zum Rückgang der Butterverkaufs stellen, d. h. also zu einer Schädigung eines namhaften Theiles der Butterproducenten, führen muß. Selbst in extrem-agrarischen Kreisen beginnt man dies einzuschen, und aus dieser Einsicht erwächst die Sorge, daß in Kreisen sowohl der kleinen Butttcrhändler, wie der Bulterproducenten bedenkliche Zweifel an der Einsicht und dem guten Willen der Väter jener Bestimmung sich einnisten. Von dieser Sorge könnte man sich sehr leicht befreien. Die Einrichtung gesonderter Verkaufsräume ist bis zum 1. April kommende» Jahres zu bewerkstellige«; dann erst tritt diese Bestimmung in Kraft, während die übrigen Bestimmungen über die Ausstattung der Margarine, die Margarineverpackung und die Beimischung von Sesamöl sckvon jetzt gelten. ES ist daher der conservativen ReichStagSfraction dringend anzurathen, gleick in den ersten Wochen nach dem Zusammen tritte des Reichstages den Antrag einzubringeu, die verfehlte Bestimmung baldigst wieder aufzubeben, bevor sie in den betreffenden kaufmännischen und landwirthschaftlichcn Kreisen eine noch tiefere Verstimmung hervorgerufen hat. Daß die Mehrheit deü Reichstags einem solchen Anträge zuslimmen würde, ist zweifellos, und auch die verbündeten Regierungen würden ihre Zustimmung nicht versagen, da sie iu die Trennung der Verkaufsräume nur gewilligt haben, weil die Conserva tiven ihr Votum für das ganze Gesetz von der Aufnahme der Bestimmung abhängig machten. Nun liegt eü ja auf der Hand, daß es einer Fraction, die so eifrig für eine Be stimmung eingetreten ist, Ucberwinduug kostet, schon vor dem Inkrafttreten dieser Bestimmung ihre Aufhebung zu fordern, denn in dieser Forderung liegt das Zugeständnis eines schweren Irrthums. Jedenfalls aber ist ein solckes Zu geständniß nicht nur ehrlicher, sondern auch vortheilhaftcr, als daS Beharren im Jrrthum, deu man als solchen erkannt hat. Mit dem Zugeständnisse beseitigt man ein Agitations mittel, das die Gegner weidlich ausbeuten würden, und beweist die Absicht, nach bestem Wissen zu handeln, während das Beharren im Jrrthum zum Verdachte unheilbarer Ver blendung noch den Verdacht der Böswilligkeit hinzufügt. Im Interesse der Nationalliberalen liegt die baldige Aufhebung der Bestimmung über die Trennung der Verkaufs-1 räume nicht. Die von ihr betroffenen kaufmännischen und I landwirtbschaftlicken Kreise, die bisher bei den Reichs- f tagswablen für conservative Candidatcn gestimmt haben, werden sich, sofern die Bestimmung aufrecht erhalten bleibt, nicht zu Anhängern des Freisinns verärgern lasten; sie werden für nationalliberale Candidatcn stimmen. Der ben Conservativen von nationallibcraler Seite ertheilte Rath ist also ein durchaus selbstloser; um so ernstlicher sollte er er wogen und um so rascher befolgt werden. Die Absicht der preußischen Regierung, von Neuem lOO Millionen zu Zwecken der AnficSclun» in den Lst- provinzcn zu verlangen, hat den polenfreundlichen Führer der deutschen Volkspartei, Herrn Eugen Richter, in eine so maßlose Erbitterung versetzt, daß er nicht nur über die „Widersinnigkeit" des Projektes zetert, sondern sich sogar zu der komiscken Behauptung versteigt, die Forderung sei deshalb „verfassungswidrig", weil die Einnahmen und Aus gaben des Staates alljährlich auf den Etat gebracht werden müßten und hier dem Landtage eine Bewilligung auf Jahre hinaus angesonnen werde. Nach dieser Inter pretation der Verfassung dürfte der preußische Landtag auch nicht in den Ankauf oder die Herstellung einer Bahn durch den Staat willigen, nie eine Creditvorlage zum Zwecke der Errichtung einer Anlage annehmen, deren Erträgnisse erst in späteren Iabren in den Etat eingestellt werden können. So ziemlich jedes Jahr bringt neben dem Etat ein solches Creditgesetz. In der letzten Session sind deren sogar zwei verabschiedet worden, die sogenannte Secundairbabnvorlage und daS Creditgesetz, betreffend den Neubau der Charitö und die Verlegung des Botanischen GartenS in Berlin. Beide Credite sind für Ausgaben bestimmt, welche sich genau wie die Verwendungen aus dem Ansiedelungsfonds auf eine Reihe von Iabren erstrecken. Die durch diese Gesetze flüssig gemachten Mittel kommen so wenig im Etat zur Erscheinung, wie die auf Grund früherer An leihegesetze geleisteten Ausgaben. Dem Artikel 101 der Verfassung wird dadurch genügt, daß die durch Ver zinsung und Tilgung der bezüglichen Anleihen entstehenden Ausgaben alljährlich auf den Etat gebracht werden. Herr Richter kann sich also mit seiner Berufung auf die Verfassung nur eine Blamage zuziehen, die umso tiefer sein wird, mit je größerer Genugtbuung alle nationalgesinnten Kreise die Absicht der preußischen Negierung begrüßen. In allen diesen Kreisen wird man der „Nat.-Lib. Corr." zustimmen, die an diese Absicht folgende Betrachtung knüpft: „Allerorts wird der nationale Gedanke zurückgesetzt; derParti» culariSmns ringt sich nach oben, die Wogen der Interessen kämpfe brande»; eine gewaltige einigende Idee, die angesichts der höchst unsicheren Verhältnisse die großen Kräfte des deutschen Volkes zu kraftvoller Bethätigung im Innern zusammen zwingt, will sich nicht zeigen; die Erkenntnis), daß das deutsche Reich sich selbst der beste Freund sein muß, wenn es, in die Mitte Europas eingekeilt, seine Existenz und seine Freiheit bewahren will, und daß es alle seine Kräfte zusammennehmen muß, geht unter in kurzsichtigen innern Frictionen. Daß ein solcher Zustand das Element ist, in welchen Krastnaturen eines ! zerstörenden politischen Egoismus wie die Les Abgeordneten Richter mit wahrem Vergnügen plätschern, daß unter solchen Bedingungen ! sich am bequemsten Einer gegen den Andern verhetzen und im allgemeinen Wirrwarr sich dann dem eigenen Machtbedürfniß ein höheres Piedestal bauen läßt, wer wollte dies bestreiten? Wer wollte weiter bestreiten, Laß von seinen Standpunkt aus der Führer der Freisinnigen Volkspartei auch durchaus folgerichtig bandelt? Mit dieser ganzen Herrlichkeit aber ist cS zu Ende, sobald wieder die nationalen Gefahren, die das ganze Reich bedrohen, und die ganze unerhörte Dreistigkeit, mit der so viele feindliche Kräfte an seinen Fundamenten wühlen, dem deutschen Volke zum Bewußtsein kommen. Und darum heißen wir mit freudiger Zustimmung die Aufgabe willkommen, die mit der Ver stärkung Les Ansiedelungsfonds dem preußischen Staate gestellt wird. Tenn diese Frage ist nicht zu lösen, ohne daß mit ursprünglicher Kraft dem Teutschthum das Bewußtsein sich wieder ausdrängt, daß eine engherzige Jnteressenpolitik, die Politik des beschränkten Parteiegoismus, seine Zukunft ruinirt, und daß, wo jetzt die Fluthen des Jnteressenegoismns von der Gewalt der Thatsachen anseinandergetrieben werden, nun die Kräfte sich wieder zu loyaler gemeinsamer Arbeit einigen können, denen der Aus- und Ausbau des Reiches allein zu danken war. Es befriedigt uns noch nicht, zu wissen, daß der Fonds bewilligt wird, da die Zahl seiner Gegner im Abgeordmtenhause, Eentrum, Polen, Dänen und Freisinnige Volkspartei, nur 128 beträgt. Wir wünschen mehr: daß bis in die Freisinnige Bereinigung hinein sich zunächst in den Ostmarken die Erkenntniß durchringe, daß es hier nur einen Feind giebt, das Polenthum, und daß diesem Feind gegenüber die dortige deutsche Minorität wissen muß, wie schädlich hier daS alte deutsche Stammesübcl der unseligen Sonderbündelei ist. Erfüllt sich diese Hoffnung, dann ist uns auch um die weitere Zukunst des Reiches nicht bange, trotz der traurigen Resignation gewisser Kreise vom Temperamente des Herrn Mittelstädt. Tenn was im Osten möglich war, läßt sich dann auch westwärts der Elbe zu Stande bringen und nicht nur in Preußen, sondern auch in den anderen Bundesstaaten, weil die Abwehr der polnischen Agitation auch die Existenzfrage des Reiches ist." In Ungar» wünscht man dringend die Annahme dcS AuSgleichsprov'isoriums durck den österreichischen ReichS- rath und deurtheilt die gegenwärtigen Vorgänge in Oesterreich von diesem obersten Gesichtspunkt auS. Das ist vollkommen begreiflich. Damit ist aber, wie die Münchener „Allg. Ztg." zutreffend ausfübrt, den Ungarn keine Veranlassung gegeben, von ihrer ursprünglichen Stellungnahme zu Gunsten der Deutschen Oesterreichs, die gegen die Slawisirung, gegen absolutistische Regierungsmarnnen und gegen die Durch führung der Länderautonomie in der cisleitbanischen ReichS- bälfte kämpfen, abzugeben. Verweigern ja doch auch die Dcutfch- Oesterrcicker daS Ausgleichsprovisorium durchaus nickt aus Feindschaft gegen Ungarn oder aus Abneigung gegen den Fort bestand der Monarchie nach den bisherigen Grundsätzen, sondern nur aus Nolhwebr, indem sich ihnen zur Zeit kein ander weitiges erfolgversprechendes Mittel bietet, die österreichische Regierung zur Zurücknahme einer ihr wichtigstes Lebensinteresse, ihre nationale Vollberecktigunz untergrabenden Willkür maßnahme zu zwingen. Für die Ungarn kommt es, wie die officiöseu und andere ungarische Blätter schon wiederholt betont haben, nur darauf an, baß überhaupt daS Ausgleichs provisorium in Oesterreich auf verfassungsmäßigem Weg er ledigt wird; daher ihre Aufgebrachtheit gegen den Grafen Baden!, als dieser für den Fall der Ablehnung der Pro visoriumSvorlage im österreichischen Reichsrath mit der Noth Verordnung drohte, und daher die vor der'ungarischen Regie rung abgegebene und vom ungarischen Parlament gut geheißene Erklärung, daß in solchem Falle Ungarn sick veranlaßt sehen würde, bezüglich der Fortführung der gemein samen Institutionen selbstständig vorzugeheu. Man sieht jedes» in einer solchen Eventualität nur einen fatalen Nothbehelf, und deshalb die Mahnungen ungarischer Blätter an die Deutsch-Oesterreicker zur Nachgiebigkeit, welche indeß keines wegs ein Sympatbisiren mit den Bestrebungen des CabinetS Baveni und der Majorität im österreichischen Abgeordneten Hause zur Unterdrückung des Deutschthums in Oesterreich be dingen. Ausfallend ist dabei nur eins, daß man sich nämlich in Ungarn nicht daran zu stoßen scheint, daß das Ausgleich- Provisorium in Oesterreich, wenn cs zu Stande kommt, keinesfalls als „auf völlig verfassungsmäßigem Wege zu Stande gekommen" gelten kann, insofern dasselbe in geschäftS- ordnungs- und verfassungswidrig bewerkstelligten Sitzungen berathen und eventuell votirt werden wird. Will Ungarn über diesen Punct hinwegsehen, so ist das seine Sache: cvnsequent würde man ein solches Verhalten indeß nicht finden können. In die Affnire TrctffuS ist immer noch kein Licht ge kommen. Die Action Scheurer-Kestner'S, die anscheinend mit sicherster Aussicht auf Erfolg begonnen wurde, macht Miene im Sande zu verlaufen, nachdem der Ministerpräsident überein stimmend mit dem Kriegsminister erklärt hat, daß eine Wiederaufnahme des Verfahrens nicht angängig sei, da Scheurer - Kestner weder eine neue Thalsachc noch ein neues Dokument beigebracht habe. Scheurer- Kestner'S Argumente bestanden, dem „Matin" zufolge, dariu, daß auch nach der Verurtheilung des Dreyfus der Verrat'» sortgedauert habe, und darin, daß im Kriegsministerinm eine zweite Handschrift entdeckt worden sei, die durch die Aebnlich keit mit der Handschrift dcS DreyfuS die Graphologen zur Verwechslung veranlaßt hätte und die von einem jetzt flüchtigen kleinenBeamtendesMinisteriumSherruhre.NachdenAeußerungeu derMinistermußma« aberdaran zweifeln, daß dem freiwillige» Anwalt Dreyfus' dieser Nachweis gelungen ist. In einzelne» französischen Blättern wird zwar zugegeben, daß auch nach der Verbannung deS angeblichen Verräthers compromittirendc Schriftstücke mit der Handschrift DrchfuS' aufgefange» worden seien, aber hinzuzefiigt, eS sei deren Fälschung erwiesen. Jedenfalls ist cs auffällig, daß Scheuren-Kestner jetzt seine Documente nicht, wie allseitig verlangt wird, öffentlich bekannt giebt. Ein eigenthüm lichcS Zusammentreffen liegt in dem bis jetzt noch rätbselhaften Selbstmord einer mit Dreyfus verwandten Pariser Familie. Ob dieselbe mit der LandeSverraths-Affaire nur insoweit im Zusammenhang steht, als behauptet wird, Dreyfus' Vetter habe die Schändung des Namens der Familie nickt ertragen können, läßt sich vorläufig nickt sagen. — lieber die TrenfuS-Affaire sei übrigens Folgendes in Erinnerung ge bracht: Der französische Generalstabshauptmann DreyfuS wurde im Herbst 1894 zu lebenslänglicher Deportation verurtheilt von einem Kriegsgericht, daS bei verschlossenen Tbüren tagte. An geblich beruhte das Urtheil auf einem Schriftstück von der Hand des Hauptmanns, das die französische Geheimpolizei in der deutschen Botschaft gefunden und gestohlen haben wollte. Daran ist, wie ter Botschafter und das ganze Botschafts personal erklärte, kein wahres Wort. Man hat es s. Zt. vielfach bedauert, daß unsere Diplomatie nicht schneidiger I gegen die Verleumdungen in Paris vorgegangen ist, und es Ferrillrton. Der Page. 11j Roman von A. Heyl. Nachdruck verboten. „Und ich bin die Polizei von Wiesenbach", stellte sich der Büttel vor. „Der Bürgermeister schickt mich, um nach zusehen, ob die Pässe in Ordnung sind, auch soll ich Euch ankündigen, daß Ihr hier nicht übernachten dürft, Ihr müßt heute noch weiter." „Unsere Pässe sind in bester Ordnung", versicherte Philipp, der sein Unbehagen unter der Maske der Unver frorenheit zu verbergen suchte. „Wir treffen soeben die letzten Vorbereitungen zur Abreise." „Und dabei scheint es Prügel gesetzt zu haben", mischte sich der Reitknecht ins Gespräch. „Wir hörten schon von Ferne einen Heidenlärm und vernahmen deutlich Hilferufe." Loista erschrak heftig. Wenn sie jetzt nicht zu lügen verstand, dann ging es ihr an den Kragen. Sie sah, wie Emil im Begriff war, mit dem immer noch bewußtlosen Knaben den Wagen zu verlaßen, jedenfalls in der Absicht, als Ankläger gegen sie aufzutreten. Dies zu verhüten, drängte sie sich vor, erzwang sich Gehör und begann mit der unschuldigsten Miene von der Welt, den Ankömmlingen ein Gewebe von Lügen vorzutragen, das selbst die Mit glieder der Gauklerbande in Verwunderung setzte. „Wir wären schon lange fortgefahren, wenn mein Mann, der zum Baden ging, nicht einen kleinen Knaben vom Ertrinken gerettet hätte. Ohne meinen Mann war das Kind verloren. Er brachte den Halbtodten nackt und triefend hierher. Die Kleider hat er in seiner Verwirrung am Ufer liegen lassen, dort müssen sie noch zu finden sein. Gewiß, wir haben uns alle Mühe gegeben, das Kind wieder zum Leben zu bringen, haben es gerieben und ge bürstet, und als es zu sich kam und über Schmerzen klagte, flößte ich ihm ein paar Schlaftropfen ein, wickelte es in eine wollene Decke und legte es auf unser Bett. Wir haben wirklich eine Belohnung verdient für alle die Plage, die wir uns mit dem Buben machten." „Das ist ja eine sehr edle That, fast zu edel, um geglaubt zu werden", entgegnete der Jnspector mit unver kennbarem Spotte. „Warum habt Ihr nicht ins Dorf geschickt, um die Anzeige zu machen?" „O Herr, das ist uns nicht eingefallen, wir waren so erschreckt", gab Loiska mit der Miene gekränkter Unschuld an. „Wir hatten die Kleider des Knaben nicht, wissen nicht, wem er angehört, und fürchteten, man könnte denken, wir hätten die Habseligkeiten gestohlen, oder " „Schon gut, schon gut", unterbrach sie Tockmann. „Deine Geschichte klingt rührend für Jeden, der daran glauben will. Ich bin nicht hier, um die Wahrheit Deiner Aussage zu untersuchen, sondern um mit dem Director wegen des Pagen zu unterhandeln." „Ein wenig Geduld, Herr Jnspector", wandte der Polizeidiener ein , „zuerst muß ich die Pässe revidiren, dann können Sie meinetwegen unterhandeln, so lange Sie wollen." Die verlangten Pässe waren zwar vorhanden, aber in einer Sprache abgefaßt, die der Sicherheitsbeamte von Wiesenbach nicht entziffern konnte, die einbrechende Dunkel heit vermehrte diese Schwierigkeit noch. Der ehrliche Mann, in diesem Augenblick von seiner Würde tief durch drungen, wollte sich keine Blöße geben, er setzte die Brille auf, unterzog die Papiere auf beiden Seiten einer genauen Besichtigung, fand aber nichts heraus, als daß die Namen mit Tintenklexen verunziert waren. Philipp stand be obachtend dabei und lächelte Uber die wichtige Miene des Büttels. Die Clowns fanden für gut, sich in den Hinter grund zurückzuziehen. Loiska, von dem Gedanken ge peinigt, es liege in Emils Belieben, sie ins Zuchthaus zu bringen, schlich sich in di« Nähe ihres Wagens, um einen Versöhnungsversuch zu »vagen. „Du hast uns in Deiner Gewalt", winselte sie. „Er barm Dich meiner armen Kinder, raube ihnen die Mutter nicht, stürze uns nicht ins Verderben. Seit einem halben Jahre ziehst Du mit uns herum, wir haben Dir bis heut nichts zu Leid gethan. Die Drohungen von vorhin waren nicht so bös gemeint. Wir wollten Dir nur bange machen." Loiska wartete vergeblich auf Antwort, Emil warf ihr einen vernichtenden Blick zu, wandte dann den Kopf und nahm keine Notiz mehr von ihr. Die Todesangst, welche er soeben durchgemacht, war noch nicht vollständig überwunden, er zitterte am ganzen Körper und mußte sich Gewalt anthun, um nicht zu unterliegen. Der Reitknecht, der sich auf die Suche gemacht hatte, entdeckte den Pagen und rief erfreut den Anderen zu: „Da ist der Gesuchte. Er sitzt hier im Wagen, sieht geisterhaft aus, hält ein Kind auf dem Schooße und traut sich nicht vorzutreten. Die Gauner müssen ihm böse mitgespielt haben." Tockmann rief den Pagen zu sich heran. Mühsam erhob sich dieser, ersuchte den Reitknecht, auf den kranken Knaben Acht zu haben und leistete dann dem Rufe Folge. »Ist es Ihr Wille, junger Mann, in den Dienst des Fräulein Melanie von Monhardt zu treten?" fragte der Jnspector. „Ich bin bereit, Ihnen zu folgen, mein Herr", lautete die unverzügliche Antwort. „Sobald ich meine Habseligkeiten zusammengepackt und mein Hündchen gesucht habe, können wir gehen." Tockmann war einverstanden, Emil zog sich für kurze Zeit in seinen Wagen zurück und Tockmann wandte sich unterdessen an den Reitknecht. „Lassen Sie mich doch einmal den Jungen sehen, den Sie da in den Armen halten, als wollten Sie ihn zur Taufe tragen. Ei, ei, das ist ja schon ein langer Lümmel! Den sollte ich doch kennen. Ist denn das nicht des Löwenwirths Bastel? Wahrhaftig — er ist es. Die Geschichte fängt an, interessant zu werden. Wir müssen den Kleinen auf unseren Jagdwagen laden und im Vorüberfahren seinem Vater ab liefern. Die Eltern werden sich ängstigen." Der Reitknecht meinte: „Wir sind zur rechten Zeit hier eingetroffen, das verdammte Vagabundengesindel hatte nichts Gutes vor, darauf möchte ich einen Eid ablegen. Machen wir, daß wir weiter kommen." Der Jnspector schloß nun das Geschäft endgiltig ab. Philipp Dorset steckte schmunzelnd hundert Mark in die Tasche, verabschiedete sich kurz von seinem Stiefbruder und traf dann ungesäumt Anordnungen zur sofortigen Abreise. Emil übergab dem Reitknecht seine Reisetasche und folgte dem Herrn, sein Hündchen im Arme tragend, nach der Landstraße, wo der Jagdwaden ihrer harrte. Bastel, in die wollene Decke des Pagen gehüllt, wurde sanft auf den Rück sitz gelegt. Die Herren nahmen ihre Plätze ein, Emil kam zuletzt an die Reihe. Während er wartend dastand, tauchte eine braune Gestalt an seiner Seite auf, Zascha war ihm gefolgt, um Lebewohl zu sagen. „Es möge Dir Wohler gehen", wünsche sie, immer ängstlich umblickend. „Du wirst sicherlich gute Tage haben in dem Schlosse, in das man Dich führt. Denke an uns, wenn Du im Ueberfluß lebst. Wir ziehen nach Sonnenaufgang. Du kennst die Namen der Städte, die wir durchwandern, sende uns Botschaft und Geld. Thue es meinem armen Janos zu Liebe, der sein Leben für Dich lassen würde. Er weiß, daß" — Emil legte der Frau hastig die Hand auf den Mund, um sie am Weiterreden zu verhindern. „Kein Wort mehr davon, Zascha! Ich sende Dir Geld und Botschaft postlagernd Wien. Janos soll es auf der Hauptpost abholen. Grüße ihn, Du warst gütig gegen mich, ich danke Dir, Zascha. Leb wohl!" Danach schwang sich Emil behende auf den Wagensitz, die Pferde zogen an und alsbald stand das arme Weib allein auf der Stelle, traurig vor sich hinstarrend, denn sie hatte an dem Scheiden den ihren Schutz und ihre Stütze verloren. Sie wartete, bis ihr lahmer Knabe kam, den sie um keinen Preis zurück lassen wollte. „Warum bist Du hier, Mutter?" fragte er mit unverhohlener Angst. Sic strich ihm das wirre Haar aus der Stirne, legte ihren Arm zärtlich um seine Schu ter, während sie ihm mit- theilte, Emil sei soeben von die er Stelle aus nach dem Schlosse gefahren, sie habe hier Abschied von ihm genommen. Janos schreckte jäh zusammen: „Emil ist fort, für immer fort?" fragte er mit bebenden Lippen. „So ist es", bestätigte sie. „Ich soll Dich grüßen. Gräme Dich nicht, er geht seinem Glück entgegen. Er will uns Beide nicht vergessen, will uns schreiben, will Geld schicken, sage aber davon Niemand ein Wort." Janos hörte nicht mehr, waS seine Mutter sprach. Von Verzweiflung gepackt, warf er sich zu Boden. „Fort, fort, für immer fort", ries er und brach in herzzerreißendes Schluchzen aus. Sechstes Capitel. Im Schlafzimmer des Herrn von Monhardt brannte die Nachtlampe, sein Kammerdiener, ein hagerer, schon bejahrter Mann mit pfiffigem Gesichtsausdruck lehnte behag lich im Sammetfauteuil, streckte die Füße auf ein kostbares Tigerfell, drückte das müde Haupt in die weichen Polster der Rücklehne und sah zum Zeitvertreib dem Perpendikel
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