Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.11.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-11-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971110014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897111001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897111001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-11
- Tag1897-11-10
- Monat1897-11
- Jahr1897
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Die Morgen-Ausgabe erscheint Um '/,7 Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Nedartion und Erpe-ition: JohanneSgaffe 8. Di« Expedition ist Wochentag- unuaterbrochea geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr, Filialen: ktls Klcmm'S Tortim. (Alfred Hahn)« NniversitütSstraße 3 (Paulinum), LoutS Lösche, Katharinenstr. 14, Part, und König-Platz 7. BezugsPrei- i» der Hauptrxpeditivu oder den im Stadt« bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen ab geholt: vierteljährlich vei zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau- ^lüLO. Durch die Post bezogen sür Deutschland und Oesterreich: vierteliähr'.tch 6.—. Directe tägliche Kreuzbandiendung in- Au-land: monatlich 7.50. Morgen-Ausgabe. MMr TaMaü Anzeiger. Amlsvkatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Nathes und Nolizei-Ärntes der Ltadt Leipzig. Anzeigeu-Preis d'.e 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Rrclamen unter dem ReLactionsstricb l4ge- spaltrn) üO^Z, vor den Famitieuimchrichteu (6 gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem PreiS- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Vrtra-veilagkU (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung .^l 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Innahmeschluk für Anzeigkn: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 574. Mittwoch den 10. November 1897. SI. Jahrgang. ZUM Siege -er Linken in Norwegen. Der über Erwarten große Wahlsieg der norwegischen Nadicalen hat alle Freunde der Union in Schweden tief be kümmert, da der AuSzang die Gefahr von Verwickelungen innerhalb der Union vergrößert bat. Ein unmittelbarer Conslict scheint allerdings nicht zu befürchten zu sein. ES liegt weder im Plan, noch im Interesse der derzeitigen Linken, den chronischen UnionSzwist im gegenwärtigen Augen blick zu einem acuten zu verschärfen. Freilich will man eS dahin bringen, aber doch erst dann, wenn sich die Linke mit Hilfe des allgemeinen Wahlrechtes vom Bauernstand unabhängig gemacht hat. Darum wird man jedenfalls zu Anfang alle Kräfte auf die Durch führung des allgemeinen Wahlrechtes concentriren. In Er wartung dessen wird man sich damit begnügen, jeden etwaigen Versuch einer Lösung der Unionsfrage zu Hintertreiben — eine die Linke befriedigende Lösung ist ja zur Zeit undenkbar — und unterdessen wird diese Frage den Dienst einer offenen Wunde leisten, wozu sie ja, wie sich bisher gezeigt hat, her vorragend geeignet ist. Bleibt also die Gestaltung der Zukunft noch auf lange hinaus dunkel, so giebt man fick doch an leitender Stelle iu Schweden für die Gegenwart keinen allzu großen Befürch tungen bin. Von diesem Standpunkte aus schreibt daS „Stockholmer Tageblatt" in einem längeren Artikel u. A.: Bei Lichte besehen, ist ja die gesetzgeberische Macht, welche sich daS Stortbing anmaßen und mißbrauchen kann, nicht größer und stärker, als das Bewilligungsrecht, welches das selbe unbestrittenermaßcn besitzt und ausiibt. Aber wie ging eS denn, als das Stortbing vor einigen Jahren dieses unstreitige Budgetrecht zur Abschaffung oder einseitigen Umbildung unioneller Einrichtungen anznwenden gedachte? Man lief ganz einfach Gefahr, daß die Dinge, welche man „in die eigne Hand zu nehmen" versprochen hatte, Norwegen gänzlich auS den Händen glitten. Das Stortbing fand da, daß man mit der bisherigen Richtung in eine Sackgasse gerathen war, und kehrte um. Für unseren Tböil wagen wir die Ver- mutbnng anSzusprcchen, daß die Bahn, welche da- norwegische Stortbing mit einseitiger Gesetzgebung bezüglich unioneller Einrichtungen einzuschlagen im Begriff steht, genau derselben Art ist. Dazu, daß Gesetze eine Wirkung haben, gekört eben mehr, als sie zu beschließen und bekannt zu geben; sie müssen auch auSgeführt werken; selbst die Gesetze der mächtigen nor wegischen Linken müssen sich in unserer unvollkommenen Welt dieser Beschränkung unterwerfen. Aber in allen Len Stücken, in welchen norwegische Gesetzgebung daS UnionSverhältniß, die unionellrn Einrichtungen, das Unionszeichen und der gleichen berührt, hängt die Ausführung derselben mehr oder minder von Organen ab, welche der norwegischen Staats macht nicht unterstehen. So kann allerdings ein norwegisches Gesetz die Beseitigung deS UnionSzeichenS auS den Flaggen der norwegischen Handelsflotte verordnen; aber damit kann nicht verwehrt werden, daß alle schwedischen Handelsfahrzeuge dieses äußere Kennzeichen der staatsrechtlichen Vereinigung der beiden Reiche weiter führen, und diese sind zahlreich genug, um diese Verbindung für die ganze Welt in einer Weise merkbar zu machen, welche sür Norwegen unbehaglicher als die frühere wäre. Es ist auch kaum anzunebmen, daß die schwedische Gesetzgebung sich von irgend einer norwegischen Meinung zur Beseitigung des Unionszeichens zwingen läßt. Weiter kann daS norwegische Storlhing ein Gesetz über be sondere norwegische Diplomatie geben — es wird auf dem Papier stehen, während die gemeinsame diplomatische Vertretung bestehen bleibt und der schwedische Reichstag, aller Voraussicht nach, die Kosten derselben gern bewilligen wird. ES ist auch kaum anzunebmen, daß die schwedischen gesetzgebenden Factoren sich zur Abschaffung derselben werden zwingen lassen oder daß etwa der König von Schweden, auch wenn er dies wollte, im Stande wäre, dieses Hinderniß der Ausführung des norwegischen Gesetzes aus dem Wege zu räumen. Auf dieselbe Weise kommt auf jedem Punct des UnionS- Verhältnisses die norwegische Gesetzgebung in Collision mit bestehenden Einrichtungen und bestehendem Recht, über welche das Storthing keine Gewalt bat und die nicht einmal der Unionskönig nach Belieben verändern kann. Die Folge ist, daß eine derartige norwegische Gesetzgebung lediglich eine im Staatsrecht vollkommen neue Kategorie von „wirkungslosen Gesetzen" schaffen wird, welche sich völlig mit den „wir kungslosen Budgets" deS norwegischen Storthings von 1893 und 1894 decken. Derartige Gesetze sind weiter nichts als Meinungsäußerungen oder Postulate und ihre politische Kraft wird dadurch, daß sie unter Reservation des Königs zu Stande gekommen sind, kaum erhöht; noch weniger dürfte eS zu ihrer moralischen Stärkung beitragen, daß sie zum Theil den Stenipel deS formalen Bruches deS Grundgesetzes an der Stirn tragen. Es erscheint daher nicht unwahrscheinlich, daß sich die norwegische Linke in einiger Zeit genau in dieselbe Lage ver setzt finde» wird, wie 1895. Niil Gesetzen dazustehen, auf welche unerhörte politische Kraftäußerungen verschwendet worben sind und die dann doch keine Wirkung haben, das dürfte daS Selbstgefühl der Wähler kaum mehr be friedigen, als, wie im Jahre 1895, zu constatiren, wie eine übereilte Budgetverweigerung kraftlos war. Wahrscheinlich wird es dann, wie im Jahre 1895, norwegische Parteiführer aus den Reihen der Linken geben, welche Schweden und den König mit einem „Kriege" bedrohen; aber es ist, wenigstens jetzt, nicht so leicht einzuseben, WaS sie uns Böses zufüzen können. Die norwegische Wählerschaft dürfte keine besonders große Lust oder iNacht haben, eine Exccution gegen den Bundesbruder ins Werk zu setzen, um seine Achtung vor den Gesetzen des Storthings zu erzwingen. Liegen die Sachen so, dann dürfte Wohl kein besonderer Grund vorhanden sein, hier in Schweden an der Aufrecht erhaltung des Friedens und der Union zu verzweifeln. Man kann die sorgenvolle Stimmung aller gesetzlichen und unions freundlichen norwegischen Mitbürger recht wohl verstehen, denn sie stehen am Anbruch einer Zeit schwerer Prüfungen; aber waS wir Mühe haben zu begreifen, das sind die jämmerlichen Jeremiaden so vieler schwedischen Zeitungen. WaS hat es für Noth bei uns, die wir hier in schönster Ruhe sitzen und blos darauf zu achten brauchen, daß wir nicht durch übertriebene Bangigkeit ober durch übertriebene Hitzigkeit unserer Vorlheile verlustig gehen? Daß die Stimmung in Norwegen unter dem Ein druck eines großen und verantwortungsreichen Parteisieges bald bestürzt, bald übermüthig ist, das kann doch für unS kein Grund sein, den Muth und die Besinnung zu verlieren, oder gar — womit einige Zeitungen schon begonnen haben — die Alternative „Krieg oder Auflösung" zu verbandeln. Unsere Losung ist auch weiterhin „die unauflösliche Vereinigung der beiden Reiche auf dem Boden des Gesetzes" und es ist Zeit genug, an Ungesetzlichkeiten zu denken, wenn man sich solche gegen uns zu Schulden kommen läßt. Deutsches Reich. 0. U. Berlin, 9. November. Die gestrigen Stadt verordnetenwahlen haben gezeigt, daß das Anwachsen der socialdemokratischen Summen bei Weitem nickt so groß ist, als man vorher befürchtet batte. Allerdings haben sich diese Stimmen in allen Bezirken, in denen zu wählen war, mit Ausnahme eines einzigen, vermehrt, aber die Einwohnerzahl Berlins hat sich in den letzten 6 Jahren ebenfalls bedeutend vermehrt und gerate in den Bezirken, in denen gestern gewählt wurde, ist ein ziemlich bedeutendes Anwachsen der Arbeiterbevölkerung zu beobachten gewesen. Und mit diesem Anwachsen scheint daS der socialdemokratischen Stim men nicht gleichen Schritt gehalten zu haben. Bekanntlich kalte gestern die dritte Abtbeilung in 11 Bezirken zu wählen, die bisher durch 7 Liberale, 6 Cocialdemolraie i und 1 Antisemiten, den Fabrikanten Pretzel, vertreten waren. Gewählt sind, wie bereits gemeldet, 5 Liberale und 4 Socialdemokraten, in 5 Bezirken haben Stichwahlen stattzufinden, 4 zwischen Liberalen und Socialdemokraten unk eine zwischen einem Liberalen und dem Antisemiten Preuel. Definitiv verloren haben die Socialdemokraten bis jetzt den 10. Bezirk, der vor dem Halleschen Tbore liegt, an die Liberalen. Dieser Verlust ist besonders charakteristisch; hier waren 1891 (bei der letzten Wahl» 542 liberale, 499 antisemitische und 829 socialkemokratiscke Stimmen abgegeben worden; in der Stichwahl Halle der Svcialdemokrat mit 1063 gegen 998 liberale Stimmen ge siegt. Diesmal waren die Antisemiten ausgefallen, Eonffr- vative und Liberale hatten sich auf den Gemäßigt liberalen Drenske vereinigt, der mit 1093 Stimmen gegen 867 socialdemokratiscke siegte. Die socialtemo- kratischen Stimmen haben sich also nur um knapp 4o vermehrt. Im 8. Bezirke ^Potsdamer Viertel) lagen die Verhältnisse ähnlich; der Bezirk war durch einen Liberalen vertreten, der 1891 in der Stichwahl mit 1495 gegen 1193 bürger-parteiliche Stimmen gesiegt batte; in ter Hauptwahl hatten die Liberalen 1070, die BLrgcrparteiler 859, die Svcialdemokraten 848 Stimmen erkalten; diesmal war auch hier ter Bürgerparteiler ausgefallen, Liberale und Conser- vative gingen zusammen und die Liberalen siegten mit 1757 Stimmen gegen 802 socialdemokratische; die Social demokraten haben also 46 Stimmen verloren. Singer hat freilich im 12. Bezirke über 1000 Stimmen gewonnen, der Socialdemokrat Bruns im 26. Wahlbezirk ebenfalls und sein Genosse Heine im 40. Bezirk sogar 1500; dafür aber bat Heine's Hauptgezencandidat, der Liberale Gericke, 1600 Stimmen mehr erhalten als im Jabre 1891, und überhaupt haben die Liberalen überall, mit Ausnahme deS 38. Bezirks, an Stimmen gewonnen, in einigen Bezirken ganz beträchtlich. Alles in Allem haben die gestrigen Wahlen gezeigt, daß eS den bürgerlichen Parteien, sofern sie zu- sammenstehen, nickt allznschwer fällt, sich deS socialdemo- kratischen Ansturms zu erwehren. * Berlin, 9. Ncvember. Wie im Vorjahre so Kat be kanntlich auch dieses Mal Erzbischof vr. v. Stab lew Ski in Posen in seinem Hirtenbrief die Fricdcnssckalmei zur Bei legung deS Nationalitätenkampfes ertönen lassen. Bisher Hal aber die polnische Geistlichkeit dieser Mahnung wenig Folge geleistet. Genaue Kenner der Verhältnisse bestätigen überein stimmend, daß niemals die polnische Geistlichkeit so leiden schaftlich alles Deutsche bekämpft hat wie jetzt. Bischof FerrrHeton. Äus Luther's Haushaltung. Von Paal Pasig. Nachdruck krrbotrn. Unser großer Reformator, dessen wir an seinem heutigen Ge burtstage wiederum in aufrichtigster Bewunderung und Dank barkeit gedenken, war nicht nur, um mit der Schrift zu reden, ein getreuer Haushalter über Gottes Geheimnisse, die er gewissen haft hütete und nach dem Maße der ihm verliehenen reichen Gaben verwaltete, sondern auch, wie da- nicht anders zu erwarten, da heim innerhalb der eigenen vier Pfähle ein genauer, ordnungs liebender und jeder Verschwendungssucht abholder Hausvater, streng darauf bedacht, in Einnahme und Ausgabe das erforderliche Gleichgewicht herzustellen, und auch zugleich der geliebten An gehörigen Zukunft nach Kräften einigermaßen gegen die Wechsel fälle des Schicksals sicher zu stellen. Man kann nicht sagen, daß Luther's Wohnhaus in Wittenberg, das er am 9. März 1508 als Augustinermönch Augustinues bezog und das später, als er in Katharina von Bora die treue Lebensgefährtin gefunden hatte, Zeuge eines wahrhaft vorbildlichen Familienlebens ward, vor nehm ausgestattet gewesen war. Wenn wir heute die ehrwürdige Lutherschule betreten, so finden wir wohl allenthalben bürgerliche Behaglichkeit und Einfachheit; aber angesichts des am Fenster stehenden hölzernen Doppelstuhls, der von denkbar rohester Schnitzarbeit ist, will es uns kaum zu Sinne, daß der große Mann in dieser fast armseligen Häuslichkeit die an Rang und Bildung auserlesensten Zeitgenossen bewillkommnet und bewirthet hat. Manches Bürgerhaus Wittenbergs, von Nürnberg, Augsburg u. a. Städten ganz zu schweigen, mag mehr Eleganz und Luxus aufzuweisen gehabt haben, als das Heim des geistesgewaltigen Wittenberger „Doctors der Heilgen Schrift!" Nicht minder ein fach war Luther's Tafel bestellt, und es ist nichts als die neuer dings wieder in so gehässiger Weise sich ans Tageslicht wagende ultramontane Geschichtsfälschung, wenn von jener Seite behauptet wird, Luther habe sich der Völlerei und Unmäßigkeit ergeben. Wahr ist allerdings, daß der Reformator es liebte, fröhliche Gäste um sich zu versammeln, zumal bei Tische, und die „Tisch gespräche", die hier geführt wurden und die uns von Ohrenzcugen gewissenhaft aufbewahrt sind, athmen nicht nur Geist und Witz, sondern gesunden deutschen Sinn und unverfälschtes, kindliches Gemiith und wiegen gerade in ihrer Offenheit und Wahrhaftig keit Hunderte von Bänden ultramontaner Geschichtswcisheit auf. Auch das ist zuzugrben, daß Luther, namentlich mit zunehmenden Jahren, gern ein Schöpplein „Eimbeckisch" oder „Torgisch" Bier, daS ihm theilS von churfllrst sicher Huld, theils von Behörden oder Privatpersonen aus Dankbarkeit und zur Stärkung seiner an gegriffenen Gesundheit gespendet wurde, trank. Aber ist denn daS gar so etwas Entsetzliches, ihr Herren? Lieber greift in Euern eigenen Busen undschlagtEuch andieBrust, soweit Ihr nicht gerade zu jenen wunderlichen Heiligen gehört, die da „öffentlich Wasser predigen" und „heimlich Wein" trinken! Vielleicht gar schwingt Ihr Euch zum Vrrständniß von unsere- Luther's prächtigem Singeständniß aus und gewährt ihm dann aroß- müthig Pardon, wenn er spricht: „Ihr jungen Gesellen, unserem Kurfürsten und mir alten Manne müßt Ihr ein reiches Trünklein zu gut halten; wir müssen unser Polster und Kiffen im Känndlein suchen." Ein treffendes und, wie wir hoffen, unwiderlegliches Zeugnitz gegen jene ultramontane Geschichtslüge bieten uns Me la ncht hon's Worte, der mit anderen Zeitgenossen sich nicht genug darüber wundern kann, daß Luther trotz zunehmender Cor- pulenz so außerordentlich wenig leibliche Bedürfnisse hatte. Er schreibt: "Er (Luther) war von Natur von wenigem Essen und Trinken, daß ich mich sein oft verwundert habe, dieweil er doch nicht schwach noch klein von Leibe war. Ich habe gesehen, daß er zu Zeiten in vier ganzen Tagen, wenn er schon gesund war, nichts gegessen und getrunken hat. So habe ich auch sonst oft gesehen, daß er täglich nur mit wenig Brod und einem Hering begnügt gewesen, und daS zu Zeiten viele Tage lang." Luther's jährliches Einkommen betrug zuerst 200, später 300 Gulden, eine für die damaligen Verhältnisse übrigens nicht gerade unbedeutende Summe, die allerdings, als die Familie wuchs — Luther hatte sechs Kinder, drei Söhne und drei Töchter, von denen die drei Söhne und eine Tochter, Margaretha, ihn überlebten — kaum für den Haushalt ausgereicht hätte, wenn nicht manche außeretatmäßige Spende seitens wohlwollender und bemittelter Kreise hinzugetreten wäre. Namentlich war es, abgesehen, wie erwähnt, vom Kurfürsten, der Stadtrath von Witten berg selbst, der keine sich ihm darbietende Gelegenheit vorüber gehen ließ, dem großen Mitbürger seine Dankbarkeit und Huld auch in äußeren Zuwendungen zu bezeugen. Die im Rathsarchive der Lutherstadt aufbewahrten Kämmercirechnungen gewähren einen höchst interessanten Einblick in diese Art officiöser Fürsorge. Es sei uns gestattet, einige der wichtigsten dieser merkwürdigen Dokumente in der Ursprache folgen zu lassen. Als der Gottesstreiter nach Worms zog, wo er vor Kaiser und Reich sein glaubensmuthiges Bekenntniß ablegte, unterstützte die Stadt ihren unerschrockenen Mitbürger mit einer erheblichen Summe. In der betr. Rechnung aus dem Jahre 1521 heißt es: „3 Schock 30 Groschen Doctor Martino voreretth als er gegenn Worms uffen Reichstag getzogen, Dinnstags in Osternn." Auch die Fuhre stellte die Stadt. Bürgermeister Lukas Kranach, eigentlich Müller geheißen und aus Kranach im Bambergischen gebürtig, der berühmte Maler und Freund Luther's und der Re formation, wandte sich im Auftrage der Stadt an seinen Nachbar, den Goldschmied Christian Döring, wegen Stellung der Fuhre. Die Kämmereirechnung besagt hierüber: „6 Schock Chriftianus Goldschmidt für die Fhure ghein Worms sieben Wochen von drein Pferden je ein Tag 2j gr. und so rin nuwer Wagen yme (ihm) zubrochen, seindt yme zwen alle Schock gegeben." Nach seiner Rückkehr von der Wartburg (1522) schenkte die Stadt Luther die Mittel zu einer neuen Mönchskutte. Hierüber lesen wir: „2 Schock 37 Groschen 6 Pfennige Doctori Martino vor ehrt, da er auS dem gefenknts kham, an 8 elen dreh virtell zu einer kappen, die ele für 18 groschen bei Hans Mooden genohmen und MatheS Globig." Freilich bedurfte er dieser neuen Tracht nicht allzulange mehr. Die Reformation fand auch unter den Ordens brüdern bald zahlreiche Anhänger; viele verließen das Kloster, und außer Luther blieb nur noch der Prior Konrad Held, welche Beide dasselbe dem Kurfürsten übergaben. Nun legte Luther die Augustinerkappe ab, um auch äußerlich jede Gemeinschaft mit der Möncherei und der alten Kirche zu beseitigen, und erschien am 9. Oktober 1524 in seinem schwarzen Predigerrock, wie er heute noch in der evangelischen Kirche gebräuchlich ist und wozu ihm der Kurfürst daS Tuch geschenkt hatte, in der Kirche. Um das Jahr 1525 fällt bekanntlich Luther's Vermählung mit Katharina von Bora. Ein alter Geschichtsschreiber berichtet hierüber: „Käthe von Bora ist zu dem Stadtschreiber Herrn M. PH. Reichenbachen, so in der Bürgermeistergassen gewöhnet, auch Licen- tiatusund Bürgermeister worden, kommen, und da sie sich still und wohl verhalten, welches Lutherum bewogen, daß er unversehens den 13. Juni 1525 mit Di-. Pommern, Lucas Cranachen, sonst auch Lucas Mahlern genannt, damals Ratsverwandten, später Bürgermeistern, und seinen Juristen Apel in des Stadtschreibers Haus verfüget und bei demselben um Jungfer Käthe geworben, die nicht gewußt anfänglich, ob es Ernst gewesen, und da sie solches vermerket, darein gewilligt. Schon am folgenden Tage, am 14. Juni, fand die Trauung statt, wobei Bugenhagen (vr. Pommer, weil aus Wollin gebürtig, gewöhnlich genannt) die Rede hielt — wir sehen, unser Luther war kein Freund eines langen Brautstandes, der, wie auch unser verehrter Herr Professor Vr. Lut Hardt in seiner Vorlesung über Ethik treffend be merkt, „nervös" macht. Das eigentliche Hochzeitsfest, „die Wirt schaft", wie man sagte, wurde in Luther's Heim am 27. Juni gefeiert. Beide freudige Ereignisse, Verlöbniß und Hochzeit, boten dem Rathe willkommenen Anlaß, dem jungen Paare äußere Auf merksamkeiten zu erweisen. In den Rechnungen vom Jahre 152.5 finden sich hierüber folgende Angaben: „7 gr. vor 6 können Frankenwein, das qaurt zu 14 Pfennige, Doctori Martino uff sein Gelöbniß (Verlobung) verehret Mittwochs nach Trinitatis." Auf das cigntliche Hochzeitsfest beziehen sich folgende Posten: „2 Schock 16 gr. 6 pf. vor ein faß einbeckisch bier Doctori Martino uff seine wirthschaft geschenkt Dienstag nach Johannis Baptistae" (Johannes der Täufer). Ferner: „7 Schock 20 gr. Doctori Martino von wegen des Raths und gemeyner Stadt, do er seyn eheliche Beylage und Wirthschaft gehalten, geschenkt, ist von dem Godishusgelde (Gotteshausgelde d. h. Kirchen-Vermögen) ent legen" (entlehnt). Don sonstigen Geschenken, die Luther vom Stadtrathe ge wissermaßen als Ehrensold empfing und die dieser in rechter Würdigung der edlen Gesinnung, die sich hierin aussprach, dank baren Herzens entgegennahm, seien noch folgende namhaft gemacht: 1522. „25 gr. vor I viertel bier Doctori Mortino vorehret, Thomas tziegler bezahlt enck.ckio." „13 gr. 8 Pf. Doctori Martino vorehret an 2 kann Neynfall (Schaffhauser Wein?), 4 kann Fran kenwein — und 2 kann Costberger." „22 gr. 8 Pf. von Getrencke Wein und bier Doctor Martinus Vater vorehert in pfingstenn." Wir bemerken, daß gerade das Jahr 1522 reich ist an solchen Beweisen behördlicher Gunst. Der Reformator war eben von der Wartburg zurllckgekchrt, um in Wittenberg gegen die Schwarmgeister (Karlstadt) zu predigen, welche die Gemüther verwirrten und das so verheißungsvoll begonnene Werk der Reformation, indem sie dasselbe auf die Bahn gewaltsamen Umsturzes lenkten, zu gefährden drohten. Groß war natürlich die Freude der Stadt über die entschlossene Rückkehr des muthigen Gottesstreiters, über dessen plötzliches Verschwinden bereits bange Ahnungen die Herzen der Wohlgesinnten zu erfüllen begannen, und der nun, indem er acht Tage lang in gewaltigen Predigten gegen das gottlose Treiben jener „Bilderstürmer" zeugte, bewies, daß der Geist des Herrn in ihm noch lebendig war. Die Schwarmgeister mußten weichen, und die Reformation hatte gesiegt, der große Mann war der treuen Stadt zum zweiten Male geschenkt worden! AuS dem Jahre 1523 finden wir folgende Rechnung: „30 gr. von einem halben Lachs Doctori Martine vorehret, das er die fast (Fastenzeit) jeglichen umb fünf uer nach Mittags geprediget, Sonntags oculi." 1524. „21 gr. 8 Pf. vor 5 elen parchend Doctori Martino vorehret, 1 gr. 6 Pf. vor 1 lot seyden, Andreas Eberhard! bezahlet, Sonnabend Elisabeth. — 18 gr. Cuntzkrugk (Luther's Schneider) vor 1 Rock, hoffen und Wammes Doctori Martino zu machen, vock. ckie. — 3 Schock 20 gr. vor 10 elen schwach puritanisch Tuch hat der Rat Doctori Martino Luther zum rock geschenkt, und Hieronymo Krappen (Schneidermeister und Schwager Melanchthon's, zugleich Bürgermeister) bezahlt." 1525. „2 Schock 16 gr. 2 Pf. vor Weyn hat Doctori Martinus Luther das gantz jahr über im Stadtkeller holen lassen und der Rat hat für yhn betzalt. „42 gr. der Dictus Schultzin (Wirtin im „schwarzen Bär") geben, hat Doctor Martinus Luther vortzehret, do er uff erforderung des Rats und gemeyner Stadt, wedderumb gen Wittenberg! kommen, so er auß der Insel! Pathmos (Wartburg) kommen, ist dicß Jahr erst betzahlt worden." Luther speiste also nach seiner Rückkehr von der Wartburg als Junggeselle im Gasthofe „zum schwarzen Bär". Und so könnten wir noch weiter fortfahren in der Aus zählung ähnlicher Kämmereirechnungen. Nur eine sei noch erwähnt, aus der hervorgeht, daß der Rath auch der jungen Frau wohl gewogen war. Sie besagt: „1 Schock 8 gr. 8 Pf. vor eyn Schwedisch (d. i. ein Kopfputz) Frau Katharinen, Luther's ehelichem Weib zum nuwen Jahre geschenkt." Im Jahre 1526 schenkte Johann der Beständige Luther die gesammten, inzwischen verwaisten Klostergebäude, und der Rath lieferte zur Renooirung derselben zwei Tonnen Kalk. Luther bemerkt in seiner Hausrechnung hierüber: „Der Rat hat mir etliche mal stein und kalt gelihn. Als ich nu off: umb rechnung gebeten und zu bezahlen erbotten, haben sie es ymer sagen lassen, Es dursfe keiner rechnung, bis das der Bürgermeister Herr Krappe und der Stad Schreiber Urban mir mündlich angezeigt, es sollte alles schlecht (richtig, in Ordnung) sein." Für seine Gattin hatte Luther das Gut Zlllsdorf (Zöllsdorf) bei Borna gekauft, um sic nach seinem Tode wolu versorgt zu wissen. Er selbst verweilte öfter dort, um von den Sorgen der Berufsarbeit auszuruhen, und sand auch stets daselbst die ihm so nöthige Erholung. Scherzweise nennt er sein Weib zuweilen „die ZUlsdörferin". Jetzt schmückt ein schlichtes Denkmal jene Stätte in der „wüsten Mark Zöllsdorf". Nach Luther's Tode blieben die Erben noch eine Zeit lang im Besitze ihres Hauses in Wittenberg, bis sie es i. I. 1564 für 3700 Gulden an die Universität verkauften. Als dieselbe i. I. 1815 nach Halle verlegt worden war, begann man allmählich, die ehemalige Wohnstätte des großen Reformators, ehe dieselbe dem Verfalle unrettbar entgegenging, seinem ewigen Gedächtnis; zu weihen, und heute ist das Lutherhaus in Wittenberg nach sorgfältigen RenovirungSarbeitcn vielleicht diejenige Stätte, die als Mittelpunkt des gesegneten Waltens unseres Luther daheim und als großartige Sammlung aller auf die Reformation bezüglichen Denkmäler und Urkunden einzig in ihrer Art dastehl Jeder aber, der die Schwelle dieses Heiligthums überschreitet, möge vor Allem dessen eingedenk sein, daß er hier das ent hüllte Geheimniß der ehrfurchtgebietenden Größe Luther's findet: nur deshalb konnte der Reformator so Gewaltiges vollbringen, weil er, der große Mann, auch im Geringsten treu war!
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite