Suche löschen...
Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.10.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-10-31
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189710310
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18971031
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18971031
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- Seiten doppelt vorhanden
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-10
- Tag1897-10-31
- Monat1897-10
- Jahr1897
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.10.1897
- Autor
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
U»Lkor,«v>«u»gab« «scheint «n '/,? Uhr. M ««chMnrgnh» Wocheutag» «M t yhr.' Ur-irtioir »ud Lrpr-M-«r ÄBtzavneSiaff« S. Dt»D^-edMo» ist Wochentag» ununtrrbrochea vm» früh 8 bt» Abend» 7 «h^ LMM Tageblatt Anzeiger. Amtsblatt des königlichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes nnd Notizei-Amtes der Ltadt Leipzig. Filialen: lktt» Klemm'» Gartim. (Alfred Hahn), UniversitLtsstraße 3 (Paulinum), K»ttzarl»u>llr. Is^pa^ KüMgd-latz 7. BezregS-PreiS Kl dm HanptrxpeLitiou oh« d« im Stadt« betzirt and den Vororten «richteten Aos« aadeprllea abgeholt: vierteljährlich uTschlltz »ei Poetmalig« täglich« Zustellung in» Han» Ü.ÜO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vi«tel,äbrlich ^tl a.—. Direct» tägliche Krruzbandienvuug K» Auslaud: monatlich ?.bv. Druck und Verlag vou E. Polz in Leipzig. Iinnahmeschluß für Anzeige»: Ab end »Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgra-AuSgabe: Nachmittag» »Uhr. Bei deu Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an di» Expedition zu richten. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 80 Psg. Rrclameu unter dem RedacttonSstrich (»ge spalten) bOA, vor den Famtlirunachrichten (6 gespalten) 40/^. Krößrre Schriften laut »»seren« PreiS- verzeichnib. Tabellarisch« und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilageu (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung ^l SO.—, mit Postbeförderung A ?0.—. 556. Sonntag den 31. October 1897. 91. Jahrgang. Aus -er Woche. Die evangelische Christenheit begeht heute die Feier der Erinnerung an den Tag, da Martin Luther vor an» dreihundertundachtzig Jahren den ersten Schritt zu seiner großen BefreiunaSthat gethan. Das böse Gewissen Rom», daS die LoSschLluug der christlichen Lehre aus dem sie fälschenden und mit Erstickung bedrohenden Papst- kirchenthume ru einer weltgeschichtlichen Nolhwendigkeit ge- macht, hat sich in jüngster Zeit wieder auf römische Art ver- rathen, und in die Lob- und DankeSgesänge des diesjährigen Reformationsfeste» mischen sich die Stimmen der Em pörung über Schmähungen LutherS und der GlaubenS- reiniguug, mit denen Papst Leo seiner Kirche ein Opfer dargebracht. Die Entrüstung der Protestanten über die Unwahrhaftigkeiten der CanisiuS - Encyklica gilt freilich mehr dem plötzlichen Bruche deS religiösen Friedens, deni Rück fall in die Sprache deS SyllabuS, als den Unwahrhaftigkeiten selbst. Wenn der UltramontaniSmus Luther und die Refor mation nennt, muß er ihr Wesen entstellen, denn dieses Wesen spiegelt den Abfall deS römischen Kirchenthums von den zur Befreiung der Welt gebrachten christlichen Heilslehren in seiner ganzen Tiefe wieder. Die Zeit vermag diese Scheu vor der geschichtlichen Wahrheit nicht zu mindern, denn wa» vor vierhundert Jahren von Luther aufgedeckt wurde, ist geblieben: daS Papstthum mißbraucht das Gottesbedürfniß seiner Anhänger zu weltlichen Zwecken, heute wie je. Nein, weniger als je ist -es einem Träger der Tiara möglich, Luther und sein Werk nicht zu schmähen. Ist Leo XIII. doch der erste Nachfolger des Papstes, der eine entchristlichtere römische Kirche geschaffen, als sie Luther mit dem zehnten Leo gesehen, jenes Pius, der gebrechliche Menschen als un fehlbare Erklärer der Lehre Gottes und Christi über Gott und Christus gesetzt hat. Leo XIII. ist die „Fahne des Auf ruhrs" wider den heiligen Geist in die Hand gegeben, sie den Völkern voranzutragen, er muß den erweckten und durch seine Lehre fortwirkendea Bannerträger einen Empörer schelten oder die Fahne sinken lassen; die Wahrheit würbe seinen Arm kraftlos machen. Rom hat Gut und Macht, eS bewirkt Ver träge in der Absicht, den Erdball in Flamme» zu setzen, rönilsche Katholiken im Kampfe mit römischen Katholiken für die päpstliche Weltherrschaft sich verbluten zu sehen, aber Rom fehlt die wahre Freudigkeit^ und göttliche Zuversicht der im Lichte Wandelnden und Schaffenden. Immer und immer werden die geistig ringenden Katholiken an die Fesseln erinnert, die der UltramontaniSmus um Geister und Gewissen geschlagen. Haben wir doch erst kürzlich einen Gelehrten zum Schweigen bringen sehen, obwohl er von einer geistlichen Verirrung, die ihren Ursprung in dem aufgedeckten Betrug eines Bösewichts hatte, ausgegangen war, um für daS Recht der vou Gott dem Menschen verliehene Denkkraft innerhalb der römischen Kirche ein bescheidenes Plätzchen zu erbitten. Uns hat die Reformation dieses Recht und mit ihm die Herrschaft Gottes über die Gewissen an Stelle der Herrschaft der Priester wieder erobert. Vertheidigen wir cs mit aller Kraft und lasten wir uns durch das heutige Fest in dem Entschlüsse bestärken, dem weltlich erstarkenden Feinde keinen Fuß breit Boden im Reiche evangelischen Glaubens nnd Fühlens gewinnen zu lassen! Der Darmstädter Zwischenfall mußte beendigt werden und ist beendigt worden. Anscheinend ist auch der Großherzog von Baben „befriedigt". Die Nation ist e- nicht. Niemand zwar hat dem Vorgänge eine politische Bedeutung beigemessen,aber alS ein das deutsche Nationalgefühl berührendes Ereigniß ist er mit richtigem Instinkt überall aufgesaßt worden. ES ist ja wohl sicher, daß der Zar nicht kränken wollte, die Absicht der Verletzung der deutschen Gastfreund schaft schiebt man ihm nicht unter. Aber eine objektive BrüSkirunz des Großherzogs lag vor; dieser Welt- und hos- kunbige Monarch hätte gewiß eine solche nicht erblickt, wenn sie nicht dagewesen Ware. Bei der Beurlheilung dieses ThatbestaudeS fallen aber die Jugend und die ihr ent sprechende geringe Zahl der Verdienste de- Zaren einer seits und daS Alter, sowie die erworbene hohe Ver ehrung, die Großherzog Friedrich genießt, nicht leicht in» Gewicht. Die Vermittler konnten diese Gesichtspunkte nicht geltend machen, daS versteht sich, aber für di« übrige Welt sind sie gegeben, dir „Köln. Ztg." natürlich ausgenommen. Diese ist auch befriedigt, obwohl sie ihre Bezichtigung deS großherzoglichen Paares von Hessen als des intellektuellen Urhebers deS Zwischenfalles ausgeben mußte und daS Bestehen „freundschaftlicher Beziehungen" zwischen den Höfen von Karlsruhe und Darmstadt fcststellt. An hohe Stellen in Darmstadt knüpft sich eine sehr unlieb same Erinnerung auS dem Sommer deS IabreS 1870; eö besteht dort gewiß kein Bedürfnis ihr Nachfolgerinnen zu geben. Dieser Erinnerung und wobl nichts Anderen« ist es zuzuschreiben, wenn zwei große deutsche Preßorgane „eng lische Damen" an dem Darmstädter Vorgang betheiligt sahen. Wenn der Reichstag wirklich, wie berichtet wird, erst auf den 7. December einberufen werden sollte, so blieben — cS fällt auch ein katholischer Feiertag in die Zeit, höchstens acht SitzungStage vor dem Beginn der Weihnachts-„Fericn" zur Verfügung. Um dieses parlamentarische Vorgericht zu ge nießen, würden sich wohl nur sehr wenige Abgeordnete nach Berlin aufmachen und daS schöne Lied von ver „Frequenz" erklänge gleich im Anfang, wenn nicht die über raschende Meldung, daß die Hindernisse, die der Einbringung deS Entwurfs der Militarstrafprozeß ordnung im Reichstage bisher entgegengestanden haben, plötzlich beseitigt seien, zu der Erwartung berechtigte, von dem „siegreichen" Fürsten Hohenlohe schon bald Genaueres über den Inhalt des Entwurfes zu hören. ES gab Leute, die auS dem Pro jekte der Reise deS Kaisers nach Liebenberg auf daS Verschwinden deS Refvrmentwurfs und auf die Entlassung deS Fürsten Hohenlohe im Ernste schlossen, denn auf jener Besitzung des Grasen Philipp Eulenburg habe sich auch das Schicksal des Grasen Caprivi erfüllt. ES ist erfreulich, daß dieser Schluß als Trugschluß sich herauSgestellt hat, aber seine Entstehung hat doch etwas Bezeichnendes. In dem plötzlichen Entschlüsse deS Kaisers, den Beschlüssen der BundesrathSauSschüsse über die Vorlage zuzustiminen, dadurch ihre Annahme im Plenum zu sichern und dem Fürsten Hohenlohe die Erfüllung seines Versprechens zu ermöglichen, bat jedenfalls der AuSsall der badischen Wahlen nicht unwesentlich beizetraaen. Er spricht eine deutliche Sprache: In Karlsruhe hatte die Demokratie schon >m Vornherein aus zwei Cankidaten zu Gunsten der Sociaidemvkratie verzichten müssen, in Mann heim, wo ste gekämpft bat, ist ihr nur eine lächerlich gering fügige Anzahl von Wahlmännern im Vergleich zu den Socialdemokraten zugefallen; der Verlust eines socialdemo kratischen Mandats an den Freisinn endlich ist in der Thal das Gegentheil eines Verlustes, denn der nicht Wieder gewählte heißt Stegmüller. Die Socialdemokratie, diesmal prahlt der „Vorwärts" nicht, ist in der That die Siegerin in diesem Kampf. Das sagt an sich genug. Vielleicht aber hat der Kaiser außerdem zwei Thatsächen beachtet, die dem socialdemokratischen Erfolg noch eine besonderei Bedeutung verleihen. Am Wahltag hat der „Vorwärts" rund heraus gesagt, die badische Wahlcoalitivn richte sich außerjgegen die Nationalliberale» gegen den Großherzog und das Centrum hat der Socialdemokratie in diesem Sinne seine wirksame Unterstützung geliehen. Zweitens: in einer Münchener Zuschrift an den „Vorwärts" hieß eS, unter den jetzigen Verhältnissen sei eS Pflicht eines jeden VolksmanncS und Publicistcn, den ParticujariSmuS nach Kräften zu fördern. Das socialdemokratische Centralorgan machte dagegen einige Einwendungen, die aber natürlich nicht von der Sorge um Kaiser nnd Reich, sondern von der Befürchtung dictirt waren, daS Anschwellen der particularistischen Bewegung könnte der socialdeiuokratischen Parteiregierung in Berlin Unbequemlich keiten verursachen. Daß die deutscheVolkspartei, ohne Hoffnung auf Ge winn und lediglich aus Parteihaß, in den Ost marke» die Einigkeit der Deutschen stören würde, hatten ihre Führer an gekündigt und eS war vorauszusehen, daß nach ihrem Willen geschehen werde. Der Affront, der dem Deutschthum dadurch zugefügt ist, daß als erster volkspartcilicher Canvidat in der Provinz Posen Herr Jäckel ausgestellt wurde, hätte mar« aber nicht zu erwarten brauchen. Jäckel hat im preußischen Ab- aeordnetenhause, unter Nichtbeachtung der vou polnischen Agitatoren und Zeitungen Tag für Tag über ihre polnisch nationalen, mit dem Bestände Deutschland» unvereinbaren Pläne gemachten Geständnisse, die Polen als unschuldige Opfer deutscher Verfolgungssucht hingestellt. Er hat eS möglich gemacht, daß der Probst IazdzewSki, der überführt ist, deutschen Kindern den ConsiriiiationSunterricht in der Muttersprache vorzu enthalten, ihn, den „deutschen" Jäckel, als Zeugen für die gerechte und friedliche Gesinnung der Polen aufübren konnte. Durch die Ausstellung dieses Mannes hat die Leitung der Volkspartei, weit entfernt, in dem Kainpfe zwischen Deutschen und Polen neutral zu bleiben, die Sache der Polen zu der ihrigen gemacht und andere Parteien, insbesondere die nationalliberale, vor die Frage gestellt, ob sie sich nicht mitschuldig an dem Verrath am Deutschthum machen, wenn sie, sei es wo immer, auf ein Zusammengehen mit dieser Partei sich rinlassen. Der Abg. v. Eynern hat die volkSverrätherische Rede Zäckel's schon unmittelbar, nach dem sie gehalten war, als eine unübersteigliche Scheidewand zwischen Volkspartei und Nationalliberalen bezeichnet. Nun die Volkspartei sich mit Herrn Jäckel vollkommen identisicirt bat, gilt es, die Consequenzen zu ziehen, unbekümmert darum, ob die grundsätzliche Ablehnung von Wahlbünd nissen mit der Partei Richter dem „Iunkerthum" zu Gute kommen mag. ES würde sich an der ganzen Partei rächen, wenn diese Frage der nationalen Ehre wieder oppor tunistisch überwuchert werden sollte. Bi metallisteng unst ist wandelbar. Vor wenigen Wochen noch war ihnen Balfour Allah und besaß Lord Salisbury die Anwartschaft, sein Prophet zu werden. Und jetzt schreibt Herr Otto Arendt im „Deutschen Wochenblatt": Die beiden englischen Staatsmänner hätten sich in Sachen der Eröffnung der indischen Münzstätten mit „Schmach be deckt", gegen sie müsse sich die „Empörung aller anständigen Menschen richten". Die amerikanischen Silberkönige — an ständige Menschen alle, alle! — werden es auch an Empörung nicht kehlen lassen. Wenn schon ein so klarer Kopf und zielbewußter Herr wie Mephisto einem — eS stellt sich das im zweiten Theile des . Faust" heraus — nicht unbegabten Schüler die Vorstellung oon einem im Kopfe — des Schülers uvtudcmo — herumzehei en Mühlrade erweckt batte, wie muß cs erst in den Häuptern der Berliner Studenten ausgcschen haben, nachdem die Antrittsrede des Herrn Professors Reinholdt in sie eingezogen war. Doch der Vergleich mit der Scene im „Faust" hinkt. Er, der Lehrer, „ist allhier erst kurze Zeit" und vielleicht lernt er sagen, was er denkt und will und nicht meint und nicht erstrebt. Für den Anfang darf man sich damit begnügen, daß auS dem Meere der geistreichen ApertzuS wenigstens die Absage an die Stumm'sche Methode als greifbares Gut an den Strand geschwemmt worden ist. Deutsche- Reich. Leipzig, 30. Oktober. lieber unfern Artikel „Deutsche Tageszeitung, Mittelstandspolitik und kapita listische Betriebe" schimpft die „Deutsche Tageszeitung" in der ihr geläufigen ehrabschneiderischen Manier und beweist damit nur, wie sehr sie sich getroffen fühlt und im Unrecht ist. In ihrerNoth glaubt sie unsere Ausführungen durch einen Hinweis auf den Gcneralsecretair der nationalliberalen Partei in Sachsen, Herrn Breithaupt, als muthmaßlichen Ver fasser unseres Artikels ablrnken zu können, der vor Jahre«« gegenüber den« Leiter der „Deutschen Tageszeitung", Herrn !>«-. Oertel, auf einer Versammlung in Meiningen mit einem gleichen Angriff eine Niederlage erlitten hätte. Wir sind in der Lage, auf Gruno erhaltenen Materials dem schlechten Gedächtnisse des Herrn I>r. Oertel etwas nachzuhclsen. Die gleiche Angelegen heit, die wir festzustellei« für nöthig hielten, ist allerdings in einer am Sonntag den 10. Februar 1896 in Meiningen abgehaltenen Versammlung deS Bundes der Lanvwirthe, in der Herr I)r. Oertel über die Noth des Mittelstandes rc. sprach, durch Herrn Gcneralsecretair Breithaupl erörtert worden. In seiner Antwort bemerkte Herr vr. Oertel u.A.: Im Uebrigen bekenne ich offen, daß ich kein Freund dieser Beilagen bin und wiederholt versucht habe, dieselben zu beseitigen. DaS ist mir aber nicht gelungen, «veil — hier muß ich einmal aus der Schule plaudern — die finanziellen Verhältnisse der „Deutschen Tagesztg." z. Z. nicht derartige sind, als daß sie ohne Weiteres auf solche Einnahmen verzichten könnte. Wir glauben, daß Herr Gcneralsecretair Breitbaupt von diesem Eingeständnisse deS Herrn vr. Oertel s. Z. durchaus befriedigt gewesen ist. Heute versichert die „Deutsche Tagesztg." desselben Herrn vr. Oertel, daß „der Anzeigcntbeil einer Zeitung unparteiisch sein müsse", daß man „den Weg iu die Oeffenilichkeit Niemandem wehren solle!" Im Uebrigen wild das Blatt natürlich fortfahren, in Sachen der Waarenhäussr „die Gewissen zu schärfen". Leipzig, 30. October. Ein prächtiges Beispiel social demokratischer Consequenz liefert die heutige „Leipz. Volksztg." An der Spitze ihrer ersten Beilage wettert sie gegen die Lotterie, diese „Giftpflanze", die bei uns eine ganz besonders liebevolle Pflege genieße; auf der zweite» Seite derselben Beilage aber verwandelt sich die „Gift pflanze" in eine „anmuthia lächelnde, lockende Glücksgöttin", und der sittlich entrüstete Leser erhält durch folgende Notiz Gelegenheit, sich zu beruhigen: „Eine unwiderstehliche Schöne bleibt sie doch, diese stets aufs Neue aninuthig lächelnde, lockende Glücksgöttin Fortuna. Und «ver möchte gar ihren verführerischen Künsten widerstehen, wenn sie Las Füllhorn ihrer Gaben wie just in der Ausstellung so nah vor unseren Augen ausjchültet, Laß das Glück für uns »vahrhastig mit Händen zu greifen ist. Ich glaube, selbst der mathematischste Zweifler, der sich genau den Grad der Wahrscheinlichkeit für sein Gewinnen ausgerechnet, wird angesichts der 20710 Gegenstände der Ausstellnngslolterie, die insgesamint einen Werth von öOOOOO./L repräjentiren, sich Lock, versucht suhlen, seinen Geldbeutel um lO Silbergroschen zu er- leichtern. Denn, wenn .... ganz unmöglich rväre es ja doch nicht — wenn vielleicht getade er vom Schickchl dazu ausersehcn wäre, das große Diamantcollier im Werthe von 20000 zu gewinnen? Oder eine der kostbaren Zimmereinrichtungen oder einen der präch tigen Flügel, oder auch nur ein Fahrrad, wie er eS sich schon lange wünscht? Und mancher andere, manche Hausfrau wäre vielleicht schon zu frieden, wenn sie für ihre 1 ./L eine der schönen Nähmaschinen, einen Satz Kochtöpfe, ein wenig von dem blendend weißen Leinen zeug für ihren Haushalt eroberte. Je nun, morgen von 11 Uhr ab wird sich daS Thor der Aus- stellung für einen Zehner noch einmal öffnen und Allen Gelegenheit geben, in der früheren Ausstellungshalle der Stadt Leipzig die reichen Schätze zu bewundern, von denen Jeder ja selbst den größten, schönsten gewinnen kann — vorausgesetzt eben nur, daß ihm die liebliche verführerische Göttin günstig gesinnt ist." Wenn die Leser der „Leipz. VolkSztq." jetzt nicht mit Ab scheu vor der „Giftpflanze" bis an dcn Hals erfüllt «verden, bann gelingt der „Leipz. VolkSztg." nichts mehr! * Berlin, 30. Oclober. Von einen, alten Officier wird der „Voss. Ztg." geschrieben: Man braucht gar nicht so sehr lveit zurückzudenken, da wird man sich der Zeil erinnern, wo der Anblick eines Fähnrichs in „Extra" eine Seltenheit war, denn alle die Vorgesetzten eines solche» jungen Mannes waren der übereinstimmenden Ansicht, dec Fähnrich sehe in „Comrniß" au« besten aus. Jetzt ist das anders: Der Fähnrich nicht allein, auch schon Diejenige», die es erst werden wollen, sind außerdienstlich nur noch in der „Exkralluft", wie der technische Ausdruck dafür lautet, sichlba», verfügen über einen mit allein Aufwande wohlgefüllten Kleide» schrank und — haben dafür bei ihren Lieferant-» e!>« Conto, wie es in alten Zeiten kaum einen S»abüojficicr bedrückte! denn sie stehen auch noch mit de-» ausgesuchlesten Civil- anzügcn angekreibet. Der Sta-iv erfordert dies, wird be hauptet, und der Vater wird schon nut dem Schneider fertig lverden. Für Einjährig-Freiwillige i» Extrasacbc.i fehlte in früheren Zeiten ^ebe Bestellung; ein Rock, eine Hose, ein Mantel von dem Stoffe der Mannschaslsbekleicuiig reichte für taö Jahr auS, und höchstens für große Parade» lieh die Compagnie eine bessere Garnitur, die für den vorüber gehenden Zweck mit der Freiwilligenschnur all den Schulter klappen versehen wurde. Auch hier ist aus Kosten deS elter- Luther in -er Herberge zu Jena auf seinem Ritt von -er Wartburg. Nachdruck »«rioten. Als Luther von der Wartburg gen Wittenberg ritt, traf er in der Herberge zu Jena mit zwei jungen Theologen zusammen. Einer derselben war Johannes Keßler, welcher im Frühjahr 1522 mit einem Genossen nach Wittenberg zog, um dort unter den Re formatoren weiter zu lernen. Johannes Keßler war im Jahre 1502 von armen Bürgersleuten zu St. Gallen geboren, besuchte die dortige Klosterschule, studirte Theologie in Basel und ging dann nach Wittenberg. Im Winter 1523 kehrte er in seine Vater stadt zurück und da die neue Lehre noch keine Stätte hatte und er sehr arm war, entschloß auch er sich, ein Handwerk zu erlernen. Er wurde Sattler. Bald sammelte sich eine kleine Gemeinde um ihn, er lehrte, predigte, arbeitete in seiner Werkstatt, wurde endlich Lehrer, Geistlicher, Bibliothekar und Schulrath. Das Zusammen treffen und die Unterhaltung mit Luther ist uns erhalten in Jo hanne» Keßler'» Sabbata, Ehronik der Jahre 1523—1539, herauSgegeben von E. Göhinger. Seine Erzählung beginnt: Da wir die heilige Schrift zu studiren gen Wittenberg reisten, sind wir nach Jena im Land Thüringen weiß Gott! in einem wüsten Gewitter gekommen und nach vielem Umfragen in der Stadt um eine Herberge, wo wir über Nacht blieben, haben wir keine erhaschen noch erfragen können, überall ward uns Herberge abgeschlagen; eS war Fastnacht, wo man nicht viel Sorge für die Pilger und Fremdlinge trägt. Da haben wir uns au» der Stadt wieder herausgewandt, um weitrr zu gehen, ob wir ein Dorf er reichten, wo man uns doch beherbergen wolle. Indem begegnete un» unter dem Thore ein ehrbar« Mann, sprach un» freundlich an und fragte, wo wir noch so spät hinwollten, da wir in der nächsten Nähe weder Haus noch Hof, wo man uns behielte, vor finsterer Nacht erreichen würden. Zudem sei es ein Weg leicht zu fehlen und sich zu verirren, deshalb wolle er uns rathen allhier zu bleiben. Wir antworteten: „Lieber Vater, wir sind bei allen Wirths- häusern gewesen, an die man uns hin und her gewiesen hat, allent halben hat man un» abgewiesen und Herberge versagt, müssen also au» Noth fürbaß ziehen." Da sprach n, ob wir auch im WirthShauS zum schwarzen Bär gefragt hätten. Da sprachen wir: „Es ist un» nie vorgekommen, Lieber, sagt, wo finden wir dies?" Da zeigte er's uns an ein wenig vor der Stadt. Und als wir den schwarzen Bären sahen, siehe, wie uns vorher alle Wirth« Herbergt abgeschlagen hatten, so kam hier der Wirth unter die Thür, empfing uns und erbot sich selbst gutwillig uns zu beher bergen und führte uns in die Stube. Dort fanden wir einen Mann allein am Tische sitzen und vor ihm lag ein Büchel. Er grüßte uns freundlich, hieß uns näher kommen und zu sich an den Tisch setzen. Denn unsere Schuh waren — hier mit Verlaub zu schreiben — so voll Koth und Schmutz, daß wir aus Scham über die Kothflecken nicht fröhlich in die Stube eintreten konnten und drückten uns heimlich bei der Thür auf ein Bänkli nieder. Da bot er uns zu trinken, was wir ihm nicht abschlagen konnten. Al» wir so seine Freundlichkeit und Herzlichkeit vernahmen, setzten «vir un» zu ihm, wie er ge heißen, an seinen Tisch, ließen ein Maaß Wein auftragen, damit wir der Ehre wegen auch ihm zu trinken böten. Wir vermeinten aber nicht» andere«, al» er wäre ein Reiter, der nach Landesge- wohnheit dasaß, mit einem rothen Lederkäppel in Hosen und Wamin», ohne Rüstung, ein Schwert an der Seite, die rechte Hand auf des Schwerte» Knopf, mit der anderen da» Heft um fassend. Seine Augen waren schwarz und tief, blitzend und funkelnd wie ein Stern, so daß ste nicht wohl mochten angesehen werden. Bald fing er an zu fragen, von wannen wir gebürtig seien. Doch gab er sich selbst Antwort: „Ihr seid Schweizer. Woher seid Ihr aus dem Schweizerland?" Wir antworteten: „Von St. Gallen." — Da sprach er: „Wollt Ihr von hier, wie ich höre, nach Wittenberg, so findet Ihr dort gute Landsleute, nämlich Doctor Hieronymus Schürf und seinen Bruder Doctor Augustin." Wir sagten: „Wir haben Briefe an sie." Da fragten wir ihn wieder: „Mein Herr, wißt Ihr un» nicht zu bescheiden, ob Mar tin»» Luther jetzt zu Wittenberg oder an welchem Orte er sonst sei?" Antwortete er: „Ich habe gewisse Kundschaft, daß der Luther jetzt gerade nicht zu Wittenberg ist, er wird aber bald dahin kommen. Philippus Melanchthon aber ist dort, er lehrt die griechische Sprache, so auch Andere die hebräische lehren. In Treue will ich Euch rathen beide zu studiren, denn sie find vorher nothwendig, um die heilige Schrift zu verstehen." Sprachen wir: „Gott sei gelobt! Denn so Gott unser Leben fristet, wollen wir nicht ablassen, bis wir den Mann sehen und hören, denn seinet wegen haben wir diese Fahrt unternommen, da wir vernahmen, daß er das Priefterthum samt der Messe al» einen ungegründeten Gottesdienst umstoßen will. Dieweil wir von Jugend auf von unfern Eltern dazu gezogen und bestimmt find, Priester zu werden, wollen wir gern hören, was er unS für einen Unterricht geben wird und mit welchem Fug er solchen Vorsatz zu Weg bringen will." Nach solchen Worten fragte er: „Wo habt Ihr bis jetzt studirt?" — Antwort: „Zu Basel." — Da sagte er: „Wie steht es zu Basel? ist ErasmuS Roterodamu» noch daselbst? was thut er?" „Mein Herr", sprachen wir, „wir wissen nicht anders, als daß e» wohl steht; so ist auch EraSmu» da, was er aber treib«, ist jedermann unbekannt und verborgen, da er sich gar still und heimlich verhält." Diese Reden kamen un» gar fremd an dem Reiter vor, daß er von den beiden Schürf, von Philippa und Erasmo, desglrichc» von der Erforderniß beider der griechischen und hebräischen Zunge zu reden wußte. Zudem sprach er dazwischen etliche lateinifinc Worte, so daß uns bedünken wollte, er sei eine andere Person aE ein gemeiner Reiter. „Lieber", fragte er unS, „was hält man im Schweizerland von dem Luther?" „Mein Herr, es sind, wie allenthalben, mancherlei Meinungen. Manche können ihn nicht genugsam erheben und Gott danken, daß er seine Wahrheit durch ihn geoffenbart und die Jrrthllmer zu er kennen gegeben hat, manche aber verdammen ihn als einen unleid lichen Ketzer und vor Andern die Geistlichen." Da sprach er: „Ich denke mirs wohl, es sind die Pfaffen." Unter solchem Gespräch ward es uns gar heimlich, so daß mein Gesell das Büchel, das vor ihm lag, aufhob und sperrte es auf. Es war ein hebräischer Psalter. Da legte er es schnell wieder hin, und der Reiter nahm es zu sich. Daraus kam uns noch mehr Zweifel, «ver er sei. Und mein Gesell sprach: „Ich wollte einen Finger von der Hand hergeben, daß ich diese Sprache verstünde." Antwortet er: „Ihr werdet sie wohl begreifen, wenn Ihr ander- Fleiß anwendet; auch ich begehre sie weiter zu erlernen und übe mich täglich darin." Unterdeß ging der Tag ganz hinunter und es wurde sehr dunkel, und der Wirth kam an den Tisch. Als er unser hock' Verlangen und Begierde nach dem M. Luther vernommen, sprach er: „Liebe Gesellen, wäret Ihr vor zwei Tagen hier gewesen, so wäre e» Euch gelungen; denn hier an dem Tisch hat er gesessen und" — er zeigte mit dem Finger — „an der Stelle." Da verdroß un» sehr und zürnten, daß wir uns versäumt hatten, ließen den Zorn an dem kothigen und schlechten Weg auS, der uns verhindert hatte. Doch sprachen wir: „Nun freuet uns doch, daß wir in dem Hau» und an dem Tisch sitzen, wo er saß " Darüber mußte der Wirth lachen und ging hinaus. Nach einer kleinen Weile ruft mich der Wirth vor di« Stuben-
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite