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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.11.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-11-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971127028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897112702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897112702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-11
- Tag1897-11-27
- Monat1897-11
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Di» Viorges-Lurgab« erscheint ru» llhr, di» klbeLd-AntgLb« Wochentag« nm b Uhr. >»»»» Le-action «u- LneLMo«: A»haime««affe 8. Mi» Expedition ist Wochentag« »auuterbroch». Geöffnet von früh S bi« Abend« ? Uhr. Filiale«: «tt» «e»m » «artt». lNlfreb v«h«>, UntversitStSstrah« 3 iPanliumn), Laut« Lösche. Knthartnenstr. ich -art. «d «ö»ig«vlrtz 7. VezugS'Prei» M t« tzanptexprdition oder den <m Stadt, beetrk und den Bororte» errickteteu Ans- oabestellen abgeholt: vierteljährlich^ 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellnsg in« Lau« ^l 5.50. Durch dir Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direcre tägliche Krrnzbaodieadun- t»» Ausland: monatlich 7.S0. «W. Mend-Ausgave eipMtr TüMak Sonnabend den 27. November 1897. Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. AnzeigenPrei- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pf-, Neelamen unter dem NedactionSstrich («g* spalten) 50^z, vor den Familirnnachrichtr» (ggespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- »rrzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit de» Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderuux' ^l 60.—, m«t Postbeförderong ^l 70.—. Fnnahmeschluß für Änzeize«: Ab end-Ausgabe: Bormittag« 10 Uhr. -Sorge»-Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bei de» Filiale» und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Unreigen stad stet« an die Expetzttio» zu richte». Druck und Berlag von E. Volz in Leipzig Sl. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 27. November. Daß Leo XIII. mit seinem CanisiuS-Run dschreiben dem Centrum de« deutschen Reichstags und seinen jesuitischen Günstlingen keinen Dienst erwiesen hat, muß nachgerade auch denjenigen ultramontanen Blättern ein leuchten, die sonst jede päpstliche Kundgebung ehrfurchtsvoll bewundern. Auch daß der üble Eindruck, den dieses Rund schreiben auf daS gesammte protestantische Deutschland nicht nur, sondern auch auf alle deutschen Negierungen hat machen müssen, durch keinerlei Bemäntelung sich ver wischen läßt, muß diesen Blättern allmählich klar ge worden sein. So bemühen sie sich denn, den Papst wenigstens von dem Verdachte zu reinigen, daß er ein stiller Theilhaber deS „Zweibundes" und ein Gegner des Drei bundes sei. Mit besonderem Eifer geschieht dies in der Bonner „Deutsch. ReichSztg", die in einem jedenfalls in- spirirten Artikel mit der Ueberschrift „Leo XIII. und der Dreibund" nachzuweisen sucht, der Papst sehe die russisch französische Lialson nur deshalb nicht ungern, weil sie in religiöser Beziehung auf Frankreich und Rußland günstig wirke. Zn diesem Artikel heißt cs wörtlich: „Bekannt ist, daß der junge Zar be! seinem Besuche in Paris darauf bestand, die Notre-Dainr-Kirche zu besuchen, und daß er zum Aerger der Radikale» den Cardinal und Erzbischof Richard auSzeichnete. Felix Faure hinwiederum hat in Petersburg feinen ersten Besuch, sicherlich nicht dem eigenen Triebe folgend, der katholischen Kirche abgestattct — ein Umstand, der in den Berichten nach Frankreich hin vorsätzlich und systematisch todtgeschwiezen wurde. Mit Anspielung auf diese- ausfallende Borgehen begrüßte ?. Cuny im französischen Hospitale zu St. Petersburg den Präsidenten folgendermaßen: „Sie haben gezeigt, daß man Gott überall und in Allem die erste Stelle einräumrn muß" — ein Compliment, das Felix Faure in feiner Heimath kaum je zu hören bekommen hat. Er mußte sich ferner mit russischen MuttergotteSbildern b.'säwnkrr lassen, was ihm, der zu Hause ängstlich jedes klerikale Stäubchen von seinem Präsidentenfracke wegbläst, eigenthiimlich genug ankommen mochte. Er stand bei seinem Petersburger Besuche eben im Banne der gebieterische» Nothwendigkrit, die religiöse Seite nicht zu ignoriren, sondern sich in Rußland als Vertreter einer gläubigen Nation tiyzuführen. Diese russische Religiosität, diese Stellung der Religion im russischen Staatsleben, die uns in mancher Hinsicht an das Mittelalter gemahnen will, sticht seltsam ab gegen die Frivolität niid den nackten Atheismus, die in dem Babel an der Seine Len Ton angeben. Und fühlten sich die Franzosen nicht so eng verbrüdert mit den Moskowitern und wären sie von der Allianz nicht völlig berauscht, sie würden sicher die ersten sein, welche über den „bigotten russischen Bären" ihre Witze rissen. Aber mag man die russische Fröm- rnigkeit als blöden Aberglauben des verdummten und verdumpften Volkes hinstellen, welche» die Negierung klug benutzt, oder mag man mit mehr Recht aus LieJammergestalt der orthodoxen Kirche hinweijen — sie ist auf jeden Fall besser als der nackte Athets- rnus, der als der Uebel größtes gellen muß. Und es ist durchaus nicht ausgeschlossen, daß sich Papst Leo von der Verbindung der beiden Völker, von dieser Berknüpsang und Wechselwirkung der Verhältnisse und Umstände große Bortheile für die religiöse Ent- ivickelung beider Länder verspricht. Das kann dem Papste Niemand verübeln; ist er doch darauf angewiesen, aus den jeweiligen politischen Eonstellationen für die Sache der Religion Bortheil zu ziehen; und wer wollie behaupten, daß Leo XIII. dieses nicht meisterlich ver steht? Er denkt und handelt eben, um dies noch einmal hervor zuheben, als der gemeinsame Vater aller Nationen, wie könnte er sich aber als solcher den Völkern LeS Dreibundes parteiisch, feindlich gegenüberstellen? .. Es ist aljo völlig ausgeschlossen, Pen Papst als den geheimen „Macher" Per ft-nko-russifchen Allianz hinzustellen, wie einige französische Heißsporne, welche die politischen Interessen Frankreichs und die Sache des Katholicismus i» wider wärtiger Weise zu verquicken pflegen, der Welt glauben machen wollen." Selbst die „Kreuzztg." findet, daß aus dieser Darlegung sich eher eine freundlichere Haltung deS Papstes zum Zwei bunde als zum Dreibünde schließen lasse und daß die „D. Reichsztg." zu viel beweisen wolle, wenn sie aus den dargclegten Gründen den Schluß ableite, es sei völlig un möglich, den Papst a!ö den geheimen Macher Les Zwei bundes zu betrachten. Wir gehen weiter und halten es für eine grobe Dreistigkeit, angesichts des schon erwähnten C a n i s i u S - R u n d s ch r e i b e n s den Mitgliedern des Dreibundes und besonders Deutschland einreden zu wolle», der Papst sei lediglich aus religiösen Gründen dem Zweibunde nicht ungünstiger gesinnt, als dem Dreibunde. Wer so zärtliche Rücksicht auf die „Jammer gestalt" der orthodoxe» KircheRußlands nimmt, die doch immerhin besser sei als der nackte Atheismus, aber den deutschen Protestantismus, der doch jedenfalls dem nackten Atheismus auch noch vorzuzichen ist, in so gröb licher Weise nicht nur verunglimpfen läßt, sondern selbst verunglimpft, dem liegen sicherlich nicht nur die religiösen Verhältnisse Rußlands mehr am Herzen, als die Deutschlands. In Wahrheit beweist die „Deutsche Reichszeitung" nur, was sie bestreitet. Und sollten die deutschen Regierungen etwa noch im Zweifel darüber sein, welchem der beiden Völkcrbündnisse der Vatican als stiller Theilhaber angchört, so werden sie darüber klar werden, wenn sie die Stellung der französischen und der deutschen parlamentarischen Vorkämpfer deS Papst- thumes zu den wichtigsten nationalen Fragen, z. B. zur Flottenfrage, vergleichen. Bei uns wie jenseits der Vogesen blicken diese Vorkämpfer bei Allem, was sie thun, nach Rom. Während aber in Frankreich die klerikalen Kreise bereitwillig jedes Opfer für die Verstärkung der Wehrkraft zu See bringen, stehen bei uns der „Mußpreuße" I)r. Lieber mit seinen Anhängern und die gesammte ultra montane Presse auf der Seite der Opposition. WaS diese Herren und diese Blätter auch sagen mögen: ihre Thaten, die sich nach dem Wunsche deS Papstes richten, beweisen, für wen das Herz Leo's XIII. schlägt. Daß der Widerspruch zwischen Wort und That nicht allein beim Centrum, sondern auch beim Freisinn zu Tage tritt, hat die Haltung der Freisinnigen Volkspartei des preußischen Abgeordnetenhauses einerseits und der Berliner Stadtverordnetenversammlung andererseits zur Frage der Lehrerbesoldnngen wiedereinmal recht deutlich gezeigt. Er tritt aber bei dieser Gelegenheit auch bei der Social demokratie in recht charakteristischer Weise zu Tage. Zu den Blättern, welche den Beschluß der freisinnigen Berliner Stadt verordneten betreffs der Lehrergehälter (vergl. unter Q Berlin) am schärfsten tadeln, gehört nämlich der „Vorwärts", der gar nicht ahnt, daß er mit seiner abfälligen Kritik den eigenen Parteigenossen den Spiegel verhält. Er sagt mit Recht, daß die Freisinnige» im Reichstage, wo sie nur eine kleine Minderheit darstellen, die Regierung gehörig andonnern würden, wenn sie ihren Beamten zu niedrige Gehälter ge währen wollte, daß sie aber da, wo sie die Herren sind, selbst den Beamten gegenüber knausern. Macht es denn aber die Socialdemokratie anders ? Weitert sie nicht auch da, wo sie in der Minderheit ist, dagegen, daß die Angestellten und Ar beiter zu geringe Löhne erhjelteu, und ist sie nicht selbst in von ihr geleiteten Anstalten sehr zurückhaltend in Bezug ausLohne uud Gehälter? Deshalb ist es ganz recht, wenn der Vorwärts die Freisinnigen deS rothen HauseS „Manchcsterleute mit zweierlei Rechnung" nennt, aber ebenso könnte man die socialvemokra- tisckc Partei „Gerechtigkeitsidealisten mit zweierlei Rechnung" nennen. Ebenso ist richtig, wenn sie cs verdammt, daß der Stadtverordnete Virchow die öffentliche Kritik verwirft, sobald sic sich gegen die Säulenhciligcn des Freisinns richtet. Aber ebenso bekannt ist eS von den Socialdemokraten, daß sie diejenigen Widerspänstigen, die in ihrem Lager eine eigene Meinung ver treten, mit allen Mitteln niederzuknütteln suchen. War eS nicht ein socialdemokratischer Führer, der öffentlich erklärt hat, wer rebellire, fliege binauS? Auö dem Verhalten der Social demokraten und der bürgerlichen Radicalen geht also hervor, daß beide radikale Parteien die bürgerliche Freiheit und bas wirtschaftliche Wohlergehen deS Einzelnen nur so lange wünschen, als sie selbst eine Minderheit darstcllen, die auS der Gewährung von einer möglichst schrankenlosen Freiheit und vom wirthschaftlichen Wohlergehen selber Vortheil zieht. Sobald sie aber Diejenigen sind, die Anderen Freiheit und materielle Wohlfahrt gewähren sollen, werden sie, wie der „Vorwärts" in seinem Artikel die Freisinnigen des rothen Hauses nennt, „Agrarier". Noch etwas ist in dem Artikel dcö „Vorwärts" enthalten, was wohl zu einer neu gierigen Frage verleitet. Das Blatt macht höhnisch darauf aufmerksam, daß die Anhänger dcö Herrn Eugen Richter im Reichstage nicht nur eine winzige Minderheit darstellen, sondern daß auch von dieser Minderheit nickt ein einziges Mit glied gewählt worden wäre, wenn eS nicht in der Stichwahl als „kleineres Uebel" erschienen wäre. Der „Vorwärts" sagt weiter, daß die Fortschrittler sich anschickten, ärgere Cultur- seinde zu werden, als die „ostelbischen Junker". Diese Er klärung des socialdemokratifchen Blattes regt zu der Frage an, ob die Socialdcmokraten nicht die Consequenz aus dieser Auffassung ziehen wollen, künftig die Fortschrittler nicht mehr als „kleinere« Uebel" gegenüber allen Parteien anzusehen. Denn bis jetzt haben sie noch immer in Stichwahlen die Fortschiittlrr gegenüber jeder Partei unterstützt. Die Antwort auf diese Frage ist leicht ge geben. Wir sind fest überzeugt, daß an demselben Tage, au dem der „Vorwärts" den entrüsteten Artikel über daS Verhalten der Freisinnigen deS rothen Hauses brachte, die Socialdemokraten im dritten Berliner Stadtbezirke, wo ein Fortschrittler gegen einen Bürgerparteiler zur Stichwahl stand, dem ersteren zum Sieze verholfcn haben. Und bei den NeichstagSwablcn werden sie erst recht wieder die Anhänger des Herrn Richter überall unterstützen. Also auch hierbei zeigt sich, daß bei den radicalen Parteien Theorie und Praxis nicht miteinander in Einklang zu bringen sind. Noch immer steht daS österreichische Parlament im Zeichen deS Terrorismus der Mehrheit und ihre« Präsidiums. Die „N. Fr. Pr." hatte gehofft, eS werde bei dem in einem Augenblicke leidenschaftlicher Erregung gefaßten Strangulirungö- beschlusse nickt bleiben. Er besteht fort und ist bereits mit himmelschreiender Brutalität wiederholt zur Anwendung ge kommen: SickerheitSmannschaften in großer Anzahl halten den Sitzungssaal besetzt und befördern, wobei eS jedcSmal zu den üb lichen Tumulten mit Scklägen und Fußtritten kommt, die allzulaut obstruirenden Abgeordneten hinaus, wenn sie, vom Präsidenten für mehrere Sitzungen ausgeschlossen, sich nickt gutwillig ent fernen. Im hoben Hause der österreichischen Volksvertretung herrscht augenblicklick der Büttel, und der packt unsanft an, kein Wunder, wenn einige Schönerianer und Socialisten sich wie wilde Bestie» behandelt glaubten und thatsächlich, als sie sich draußen befanden, in ihrem äußeren Habitu« nich: mehr viel Aehnlichkeil mit einem modernen Culturmenscheu zeigten. Heute ist die Hauptfrage die: wie wird die Ob struction dem Staatsstreich der Regierungsmehrheit gegen über sich resolviren? Einen Zweifel an der aoso luten Ungesetzlichkeit deS denkwürdigen Beschlusses vom 25. November kann es nicht geben; selbst der Präsiden: Abrahamowicz, der ihn herbeiführte, hat zugegeben, daß er „nicht ganz gesetzlich", sondern nur als Act der Notwehr ge boten war. ES ist gegen die österreichische Verfassung, den Präsidenten zu bevollmächtigen, einzelne Abgeordnete von der Ausübung ihres Mandats, wozu sie ver fassungsmäßig nicht blos berechtigt, sondern verpflichtet sind, auszuschließen, gegen die nach dem Staatsgrundgesetz immunen Volksvertreter die bewaffnete Macht zu requiriren und ihnen die Diäten zu entziehen. Und man bc denke die Conseguenzeu! So ohne Debatte wie am Donners tag die Abänderung der Geschäftsordnung, kann morgen das AnsgleichSprovisorium, kann in Zu kunft der ganze Ausgleich, das Budget, kann jede beliebige Aenderung des Slaatsgrundgesetzes be schlossen werden. DaS sagt heute die „N. Fr. Pr."; wir haben schon vor Wochen darauf aufmerksam gemacht. Wird nun, wenn solches geschieht, die deutsche Minder heit cö über sich gewinnen, im Sitzungssaale zugegenzu- seiu? Thatsächlich scheinen die Deutschen, wie wir befürch teten, sich nicht einigen zu können. Zu einem gemeinsamen Abstinenzbeschlusse ist eS wenigstens bis jetzt nicht gekommen. Die Opposition war gestern wieder im Abgeordnetenhaus- erschienen, aber nur die Schönererianer und die Socia listen scheinen sich an der Fortsetzung deS Spcctakcli- betheiligt zu haben, während daS Gros der Linken einem Club-Beschluß gemäß ruhig blieb. Jedenfalls kann eS bei dieser Desorganisation der obstruirenden Parteien nickt bleiben, denn sie käme der schmachvollsten Capitulation vor der Mehrheit gleich. Mittlerweile hat sich die Erregung des Parlaments auch auf das Land übertragen. In Wie» uud Graz ist es zn erheblichen Demonstrationen gekommen, worüber nnS gemeldet wird: * Wien, 26. November. Im Lause des Nachmittags und des Abends sanden große Ansammlnnge» zwisckM der Universität und dem Parlamente statt, hervorgerufen durch von Studenten in der inneren Stadt und vor dem Parlamente geplante Demon strationen. Die Sicherheitswachc verhinderte die Demonstrationen, indem sie wiederholt Ansammlungen der Studenten zerstreute und über 40 Verhaftungen vornahm. Ei» kleiner Zug von Stu denten begab sich in das RrdactionSlocal der „Ostdeutschen Rund schau" und brachte dort Heilrufe aus, sang die „Wacht am Rhein", zerstreute sich jedoch beim Herannahen der Wache. Um 8'/, Uhr fanden noch Ansammlungen statt, zumeist von Neugierigen und Arbeitern. Es ist Vorsorge getroffen, größere Ausschreitungen hintanzuhalten. Grobe Widersetzlichkeiten sind nicht vorge kommen. (Wiederholt.) * Wien» 26. November. Zu den durch St »deuten verur sachten Ansammlungen wird noch gemeldet, daß die Sicherheit-- wache, obgleich sie in einzelnen Fällen mit Stöcken angegriffen wurde, dennoch keinen Gebrauch von der Waffe machte. Ein Polizei-Obercommissar wurde durch einen Hufschlag erheblich ver letzt, ein Wachmann stürzte vom Pferde und mußte in eia Spital geschafft werden, «in Student soll durch einen Hnfschlag verletzt FerriHetsn. Der Page. 2Sj Roman von A. Heyl. Nachdruck rrrbotru. „Machen Sie sich keine Sorgen um mich, Fräulein Clotilde", beruhigte der Page. „Ich fürchte das böse Weib nicht; ich bin stärker als sie, an mir wird sie ihren Meister finden." Das Gespräch wurde durch die Ankunft des Reitknechtes unterbrochen, der todtmüde und durchkältet in übelster Stimmung aus der Stadt zurückkehrte. Er erzählte, daß er vergeblich zum Reservelieutenant und von diesem zum Doctor gelaufen sei, um den Auftrag der Gräfin aus zurichten. Der Doctor sei über Land gefahren und Herr Sturm sei vor ein paar Tagen ausgezogen, die Hausleute wüßten nicht wohin. Mit dem Briefe der Gräfin habe er nichts anzufangen gewußt, da habe er gedacht, sich Ordre vom Herrn Grafen zu holen, der sei der Mann und werde ihm schon das Rechte befehlen. Der Graf sei noch nicht zu Bett gewesen; der Brief der Gräfin habe ihm offenbar Spaß gemacht, er habe den Mund so sonderbar verzogen. Mit einer freundlichen Belobigung für sein Thun sei er dann entlassen worden. Der Graf werde, wie er sagte, das Weitere selbst besorgen. In diesem Momente ertönte die Klingel aus dem Gemache der Gräfin. Clotilde eilte zu ihr, nach einiger Zeit kam sie zurück, um den Pagen zur Gräfin zu rufen: „Seien Sie tapfer! Ich bin in der Nähe, wenn Ihnen Schlimmes zustoßen sollte, rufen Sie um Hilfe „Ich fürchte mich nicht, und werde nur rufen, wenn es mir ans Leben geht." — Damit wandte er sich zum Gehen. Als der Page nach leisem Klopfen in das Ankleide zimmer der Gräfin trat, prägte sich etwas von dem ver wegenen Trotze, der ihm bei gefährlichen Lagen während seines Nomadenlebens stets aus der Klemme geholfen, in seinen Zügen aus. Die Gräfin stand, die Hände auf dem Rücken, in der Mitte des Gemaches. Emil wünschte „Guten Morgen" und bat um Entschuldigung für sein Ausbleiben. Sie ließ ihn nicht ausreden: „Und damit glaubst Du bei mir durchzukommen, nichtsnutziger Bettel bube?" fuhr sie ihn an. „Du bist des Vertrauens nicht werth, das ich Dir großmüthig schenkte. Du bist ein hinter listiger Bursche, der mich verrathen und verkauft hat. — Aber wir werden abrechnen", zischte sie. Der Page hob stolz den Nacken und heftete seine blitzenden Augen furchtlos auf ihr unheilverkündendes Gesicht: „Als nichtsnutziger Bettelbube bin ich nicht zu Ihnen gekommen", versetzte er trotzig. „Sie haben meine Dienste beansprucht und mich dafür bezahlt. Sie wußten wohl, ich würde nicht bleiben, sobald man mich hart be handeln wollte." „Du hast mich an Hans Sturm verrathen, elender Vagabund, Du hast ihm meine Bemerkungen mitgetheilt, ihn gegen mich aufgestachelt und schließlich veranlaßt, meine Nähe zu fliehen. Dadurch hast Du eine heillose Confusion heraufbeschworen —" „Ich? ich?" rief der Page dazwischen. „Ja, Du!" schrie ihn die Gräfin an. „Du trägst Schuld an der ganzen Verwirrung durch Dein Geklatscht. Du wirst ihn mir heute noch zur Stelle schaffen." „Das thue ich nicht", weigerte er sich. „Ich will nicht die Hand dazu bieten, diesen Mann ins Verderben zu stürzen." „Ah, daS Bllrschlein fängt an zu moralifiren", höhnte Melanie. „Ich will Dir Deine überspannten Faxen ver treiben, Du hergelaufener Vagabund. Einen Denkzettel will ich Dir geben, hier, komm her!" Sie schwang eine Reitpeitsche, die sie bis dahin verborgen gehalten, und drang auf den Wehrlosen ein. Doch dieser, auf einen Angriff gefaßt, packte mit nerviger Faust das Handgelenk derselben, drehte es mit einem Rucke, so daß Melanie vor Schmerz wimmerte und die Peitsche fallen ließ. Emil stellte den Fuß darauf, nachdem er die Rasende zurückgeschleudert hatte. „Elender", knirschte sie, „Du hast mir das Handgelenk verdreht, ich werde Dich der Polizei überliefern." „Desto besser, Gräfin Rivero, dann kann ich gleich Anzeige erstatten von einem Briefe, der an einen gewissen Philipp Dorset nach Wien geschrieben wurde." Melanie wurde todtenbleich. „Was schwatzest Du da von einem Briefe?" fragte sie, in fieberhafter Spannung die Antwort erwartend. Wenn der Page um ihr Geheimniß wußte, sollte er nicht lebend entkommen. „Fragen Sie den Mefserkünstler Bolivar, er kann Ihnen Auskunft ertheilen. Bolivar und Philipp Dorset sind eine Person — mein Stiefbruder." Melanie war eine Minute lang wie gelähmt. Sie hatte den Pagen schlagen wollen, nun war sie die Ge schlagene. Während sie unter der Wucht des Gehörten innerlich zusammenknickte, suchte sie nach außen ihre Fassung wieder zu erringen. Sie verlegte sich auf Klagen und Vorwürfe: „Wie viel Gutes habe ich Dir gethan, nun willst Du mich verderben." „Wenn Sie mich in Frieden ziehe« lassen, werde ich Sie nicht verrathen", lenkte Emil ein. „Ich werde schweigen, doch ich stelle dafür noch eine Bedingung —" „Und die wäre?" fiel Melanie ein. Der Page blickte zu Boden, seine Wangen färbten sich mit dunkler Gluth und seine Sicherheit schien ihn ver lassen zu wollen: „Geben Sie Ihre schlimmen Absichten auf — gegen —" „Gegen wen?" forschte die Gräfin, als der Page stockte. „Gegen den MUllerssohn Sturm", kam es zögernd von den bebenden Lippen des Pagen. «Ha, ha! Bist Du verrückt? Was geht Dich der Müllerssohn an? — Aber, nicht wahr, Du bist in seine Schwester verliebt, und sie hat Dir die alberne Bitte ein gegeben? Gestehe —" „Ich habe nichts zu gestehen", trotzte der Page. „Wir können später noch über diesen Punct sprechen", fuhr Melanie fort. Zuerst möchte ich noch einmal auf Deine Mittheilung zurückkommen. Also Bolivar ist Dein Bruder?" „Mein Stiefbruder, Frau Gräfin." „Ich muß ihn heute noch sprechen. Du wirst nach der Stadt reiten und ihm einen Brief von mir überbringen." Emil zog sich einige Schritte zurück. An der Thür stehend, verneigte sich vor der Dame und sprach: „Nach Dem, was zwischen uns vorgefallen ist, wird es Frau Gräfin kaum anders erwarten, als daß ich bitten muß, von diesem Auftrag abzusehen und mir die sofortige Ent lassung aus dem Dienst zu gewähren." Melanit preßte die Lippen zusammen und fixirte den Pagen mit haßerfüllten Blicken. Nach einer Minute un heimlichen Schweigens schien sie zu einem Entschlüsse ge kommen zu sein. „Du kannst gehen", versetzte sie, „in dieser Stunde noch. Ich werde Dir Deinen rückständigen Lohn auszahlen, bringe mir meine Börse." „Wo ist sie?" fragte Emil. „Ja — das — das weiß ich selbst nicht recht. Suche einmal, vielleicht steckt sie in der Tasche meines Kleides." „Und Las Kleid, Frau Gräfin?" „Das Kleid? — Nun, das wird Jeanette g-ssiern Abend in der kleinen Garderobe daneben aufgehängt haben. Bringe mir nur meine Börse, ich zahle Dich aus, dann kannst Du gehen." Die kleine Garderobe war ein viereckiger, dunkler Na'.',;:, zu dem man aus dem Schlafzimmer der Gräfin Lurch einen schmalen Gang gelangte. Der Page besann sich, ob :r dem Befehle Folge leisten sollte; der Wunsch, auf der Stelle frei zu werden, überwog die Bedenken, welche ihn zurückhielten. „Ich brauche ein Licht", sagte er und nahm den Nachtleuchter vom Toilettentisch. Sie sah es unwillig mit an, mußte es aber geschehen lassen. Nachdem der Page das Licht angezündet, begab er sich nach dem Gange, der zu dem erwähnten Wandbehälter führte. Dieser Gang erhielt spärliche Helle durch eine hoch angebrachte Glasscheibe von runder Form, er war so schmal, daß nicht zwei Personen neben einander gehen konnten, darum fiel es dem Pagen auf, als er schleichende Schritte hörte; er sah sich um und bemerkte die Gräfin, die ihm gefolgt war; ihre Augen funkelten wie die eines Raubthieres. Emil war zu Tode erschreckt, ermannte sich aber und behauptete seine Fassung. „Traut mir die Herrin nicht?" fragte er, sich an die Mauer drückend, um ihr den Vortritt zu lassen. „Fürchtet sie, ich könnte ihre Börse plündern? Bitte vorzugehen." „Mir ist eingefallen, daß verschiedene Kleider in dem Behälter hängen, ich will Dir das richtige zeigen." Ihre Stimme hatte einen heiseren Klang. Sie drängte den Pagen vorwärts, bis an die halbgeöffnete Thür des Wand behälters. Emil zögerte, einzutreten, es bemächtigte sich seiner eine grenzenlose Angst, er machte den Versuch, an
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