02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.11.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-11-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971115025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897111502
- OAI-Identifier
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- Sammlungen
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- Seiten doppelt vorhanden
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- Ausgabe
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
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Sierlamen unter dem Redaction-strich (4g» spalten) 50-4, vor den Famlliennachrichtei iS gespalten) 40-4- Größere Lchriften laut unserem Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Ztffernjas nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), »ur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderuaz 60.—, mit Postdrsörderung 70.—. Iinnuhmeschlnk für Änzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag« 10 Uhr. Aiorge n-Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Hei den Filialen nnd Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen find stet« an dl« Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig Jahrgang. Montag den 15. November 1897. Politische Tagesschau. * Leipzig, 15. November. Obgleich uns noch zwei volle Wochen von dem Wieder zusammentritte des Reichstages trennen, zerbrechen sich zahl reiche Blätter, besonders antisemitische, deren Interesse namentlich für die conservative Partei in letzter Zeit recht charakteristischen Ausdruck gefunden hat. schon jetzt den Kopf darUber, wie sich die conservative und die national liberale Fraktion zur Präsidentenwahl stellen werden. Einige dieser Blätter glauben sogar als Tbatsache melden zu können, beide Fraktionen würden die ihnen zukommenden Sitze im Präsidium beanspruchen. DaS veranlaßt die „Nationalliberale Korrespondenz" zu folgender Austastung: „Ueber die Absichten der konservativen Partei sind wir nicht unterrichtet. Nationalliberalerseits hat bisher noch kein Anlaß Vorgelegen, sich mit dieser Frage, deren Entscheidung der Reichstags- sraction zusteht, zu beschästigen. An der letzten Präsidialwahl, die am 4. December 1896 stattsand, hat sich die nationalliberale Fraktion aus wohlerwogenen Gründen nicht betheiligt. Die konservative Fraktion hat freilich für den Centrumsabgeordncten Frhrn.v.Buol-Beren berg gestimmt, so daß derselbe mit 229 Stimmen zum Präsidenten wieder gewählt wurde. Dagegen enthielt auch sie sich bei drr Wahl des volksparteilichen Abg. Schmidt-Bingen zum 1. und des Centrum-abgeordnetcn Spahn zum 2. Viceprüsidemen, so daß ersterer mit 169, letzterer mit 170 Stimmen gewählt wurde; 30 Stimmen weniger, als zur absoluten Majorität gehören. Die national liberale Fraktion hatte für angemessen gehalten, ihre Betheiligung zum Wenigsten davon abhängig zu machen, Laß der Zu stand vor dem 23. März 1895 wieder hergestellt würde. Die „Kreuz- Ztg.", welche besonders warm für das Zusammenwirken zwischen Conjer« vativcn und Ecntrum eintrat und die Theorie verfocht, die konser vativen Parteien seien die geeigneten Mittler zwischen Centrum und Nationalliberalen, hatte aber auf einen dabei ausgestreckten Fühler Len Bescheid erhalten, daß das Centrum unter keinen Umstünden auf den Präsidialsitz verzichten wollte. Ob in der verflossenen, zwei Winter umfassenden Session sich die par lamentarischen Zustände so entwickelt, um es als einen Vorzug erscheinen zu lassen, nun für die letzte Session die Firma zu zeichnen, wo fast gar keine Sicherheit dafür besteht, bessere Zustände herbcisührcn zu können, darüber bestehen wohl nirgends Zweifel. Tie nationalliberale Partei hat sich bisher in der Lage befunden, ohne eine besondere Verantwortung übernehmen zu müssen, lediglich ans der Achtung für das vornehmste Recht des Volkes heraus, die Erledigung der parlamentarischen Geschäfte nach Möglichkeit zu fördern, und sich bemüht, den nationalen Gedanken zur Geltung zu bringen, so weit es unter den obwaltenden Umständen thunlich war. Daraus ergiebt sich, daß die Fraktion sich auch diesmal uneigen nützig ausschließlich in Rücksicht daraus bestimmen lassen wird, was i:ach der Sachlage dem öffentlichen Wohle förderlich ist und der Selbstachtung entspricht. Der Rathschläge von antisemitischer und anderer „wohlwollender" Seite in dieser Hinsicht bedarf sie nicht." Wenn im Vorstehenden die Ablehnung des von Gegnern der nationalliberalen Partei in die Well gesetzten Vorschlages nicht völlig entschieden klingt, so erklärt sich das aus dem Ebarakter der „Nat.-lib. Eorr." im Zusammenhänge mit dem von ihr hervorgebobenen Umstande, daß die Fraktion sich mit der Sache nicht beschäftigt hat. Eine Meldung der„Mnnch.N.N", daß die Nationalliberalen zum Wiedereintritt in daS Präsidium entschlossen wären, batte auch ohne die officiöse Auslassung als Erfindung angesehen werden müssen. DaS nationallibcrale Mitglied des Präsidiums, der Abgeordnete Ur. Bürklin, ist am 23. März 1895 auSgesckieden wegen der Berwe igerung d es Glückwunsches zum achtzigsten Geburtstage des Fürsten Bismarck und aus keinem anderen Grunde. Diese Schmachthat des Reichstags konnte natürlich im Te- cember 1896 nicht rückgängig gemacht werden. Die Bemer kung über die Bedingungen der Wiederherstellung des Zu standes vor jenem 23. März ist unverständlich. Was am Enke 1896 im Hinblick auf die Beweggründe deS Austrittes nicht geschehen sollte, kann beute noch viel weniger geschehen. Tenn wenn sich die Nationalliberalen jetzt bereit finden würden, in dieser Legislaturperiode, der das Schandmal vom 23. März 1895 bis an ihr Ende anbaften wird, sich wieder neben einen Centrumsmann im Präsidium zu setzen, so würde einem Mißtrauen in die nativnalliberale Festigkeit gegenüber dem UltramontaniSmuS, das Lie centrumsfreundliche Haltung eines der Parteipresse zugerechneten westdeutschen Blattes nicht zu erwecken vermocht bat, eine Unterlage gegeben sein. Die „Franks. Ztg.", die meint, die nationalliberale Fraktion balte es wieder für ehrenvoll, im Präsidium dieses Reichstags zu sitzen, wird sich eines Zrrthums überführt sehen. Die geplante Errichtung einer russische«» (Gesandtschaft in Karlsruhe versetzt einige Blätter in lebhafte Unruhe. So schreiben die „Berl. N. Nachr.": „So beruhigend für Europa die Constaliruug der „guten Be ziehungen zwischen den Höfen von Petersburg und Karlsruhe" auch sein mag, so würden wir es doch lieber gesehen haben, wenn diese vor trefflichen Beziehungen nicht in dcrErrichtung einer russischen Ge sandt s ch ast in Karlsruhe zum Ausdruck gelangten. Wir betrachten die Herstellung möglichst enger Beziehungen zwischen dem deutschen Reiche und Rußland als ein im Interesse beider mächtiger Staaten von ihnen zu erstrebendes politisches Ziel und als die Hauptaufgabe der deutschen Diplomatie, die Errichtung russischer Gesandtschaften aber an den kleinen deutschen Höfen liegt schwerlich aus diesem Wege. Was sollen diese fremden Beobachtungsposten auf deutscher Erde! Diplomatisch zu verhandeln ist zwischen Petersburg und Karlsruhe, von höfischen Dingen abgesehen, nicht das Geringste. Die fremden Gesandtschaften an den deutschen Höfen sind nur eine Erinnerung an jene Zeit, in der Deutschland „der Schauplatz der Kämpfe fremder Mächte war, für die es das Blut seiner Kinder, die Schlachtfelder und die Kampfpreise hergab". Daß jetzt 26 Jahre nach der Aus richtung des deutschen Reiches die fremden Gesandtschaften in den kleinen Residenzen zunehmen, anstatt abzunehmen, ist ein schwer wiegendes Symptom und wir bedauern, daß der viel leicht verhängnißvolle Präcedenzsall gerade von Karls ruhe, von der Regierung des Großherzogs Friedrich gegeben worden ist. Heute die Russen, morgen die Franzosen, über morgen die Engländer — nnd die Zeit wird bald wieder da sein, wo das Ausland mit seinen diplomatischen Jntriguen an den mit ausländischen Elementen ohnehin viel zu stark durch lebten deutschen Höfen versuchen wird, ans der geduldigen deutschen Haut Riemen zu schneiden. Für die sinkende Richtung unseres nationalen Ansehens ist die russische Gesandtschaft in Karlsruhe zehnmal bedeutsamer als das klerikale pceußen- fresserische Kammergeschwätz in München. Deutschland bewegt sich aus einer schiefen Ebene» es ist die höchst« Zeit, daß es sich aus sich selbst besinnt." Und die „Boss. Ztg." für die iu diesem Falle Fürst Bismarck wieder einmal Autorität ist, beruft sich auf Aus sprüche, die er bei verschiedenen Gelegenheiten gegen die Bei behaltung von Gesandtschaften fremder Mächte an den Höfen der Einzelstaaten getban hat. Die „Bosstsche Zeitung" ver gißt aber, daß Fürst BiSmarck gegen die Beibehaltung solcher Gesandtschaften an Höfen, die in verwandtschaft lichen Beziehungen zu den betreffenden Höfen sieben, nichts cinzuwenden gehabt hat. Immerhin ist den „B. N. N." insofern beizupslichten, als die Zunahme der fremden Ge sandtschaften in den kleinen Residenzen nicht wünschenSwerlh ist. DaS Blatt erinnert sich jedenfalls der Thalsache, daß kurz vor dem Ausbruche des deutsch-französischen Krieges festgestelll wurde, in deu Häudcn des französischen Gesandten au einem thüringischen Hofe seien die Fäden eines ausgebreiteten BeobachtungSsyslemS der deutschen Presse zusanimcugelausen. Heutzutage wird sich allerdings weder in Karlsruhe, noch in einer ankeren Residenz etwas beobachten und auSspioniren lassen, was sich in Berlin nicht beobachten und ausspioniren ließe. Aber andererseits lassen sich auch zahlreiche Beobachter, die ohnehin durch ihre Exterritorialität vor einem Einblick in ihre Thäligkeit wesentlich geschützt sind, weniger leicht beobachten, als ein einzelner. Zur Beobachtung deS künftigen russischen Gesandten in Karlsruhe wird ja ein Anlaß nickt vorliegen, aber jedenfalls erwächst durch die Zunahme der fremden Gesandtschaften an den kleinen Hosen den letzteren eine Bcrantworlung, die in kritischen Lagen nicht leicht zu nehmen ist. So viel bis jetzt bekannt, sind die beiden deutschen Missionare tn Aentschu, daS in West-Sckantung am Großen Canal liegt, ermordet worden. Zn der Landschaft A-ntschu ist, wie schon angedeutet wurde, der religiöse Fanatis mus größer als anderwärts, weil dort, einige Kilometer nordöstlich der Stadt, das Grab des ConfuciuS, eine der heiligsten nnd besuchtesten Wallfahrtsstätten Chinas, liegt. Die ÄiissionStbätigkeit war in dieser Landschaft bis vor Kurzem untersagt, seit das Bestreben der Missionare offenbar wurde, „das Kreuz am Grabe deS ConfuciuS aufzupflanzen", wie sie sich gern rühmten, und seit sie im Jahre 1887 den Versuch gemacht hatten, sich dort durch Kauf einiger Häuser festzu setzen. Seitdem ist es den unermüdlichen Bemühungen des Bischofs Anzer, der in Zining seinen Sitz hat, gelungen, die Freigabe der Missionirung zu erwirken, aber die fanatischen Mandarine von Aentschu haben jeden Anlaß benutzt, um die Menge gegen die Sendboten der fremden Lehre aufzu reizen. Äls nun eine größere Anzahl Missionare des Steyler Mutterhauses am Allerheiligenlage in Hentschu zusammen kamen, scheint eine neue Pöbelerhebung den bcklagenS- werthen blutigen Ausgang genommen zu haben. In erster Linie sind auch hier wie stets die Beamten zur Rechen schaft zu ziehen, und es wird darauf zu halten sein, daß sie, die zweifellos die Hauptschuldigen sind, nicht wieder wie gewöhnlich den Kopf aus der Schlinge ziehen und ein paar armselige Kulis als Sühnopfer anbieten. ES ist daher freudig zu begrüßen, daß die ReichSregicrung s.ch nicht darauf be schränkt hat, von der chinesischen Regierung auf dem lauge wierigen und an Ausflüchten reichen diplomatischen Weg- Rechenschaft zu fordern, sondern zugleich unsere Kreuzer division angewiesen hat, sofortige Geuugtlniung durch- zusetzen und einen Hafen an der Küste Sckautungs anzu laufen. Der Hasen, der sich zu einem Vorgehen unserer Flotte in erster Linie eignet, ist die geräumige, in der letzten Zeil viel genannte Bucht von Kiantschau. Dort finden die Schiffe gute und sickere Unterkunft. Es wird nun wobt kaum beabsichtigt sein, unsere Blaujacken den beschwer lichen, in der Luftlinie etwa 325 km langen Weg von Kiantschau nach ;))entschu über Land marschiren zu lassen, nur die Schuldigen beim Schopfe zu fassen, man wird viel mehr der deutschen Forderung auf andere Weise, vermutblick dadurch Nachdruck zu verschaffen suchen, daß man auf irgend ein Psandobject, vielleicht aus Kiantschau selbst, so lange die Hand legt, bis endlich einmal ein vorbildliches Beispiel aufgestellt ist, das die Chinesen in Zukunft davon absckrectt, Europäer und insonderheit deutsche Staatßnnterlhanen wie die Hunde todkzuscklagen. Wir sind in China in der glücklichen, leider seltenen Lage, Kriegsschiffe zur Stelle zu haben, und es wird auf die Mandarinen deS Reiches der Mitte eine heilsame Nachwirkung üben, wenn sie bei der Gelegenheit einmal erfahren, daß deutsche Kriegsschiffe keine politischen Schaustücke sind, nach denen man gar, wie es in Wutschang vorgekommen sein soll, ungestraft mit Steinen werfen darf. Eine ernste Nbrechitung mit Haiti stellt sich als eine immer dringendere Noihwendigkeit heraus. Alle Berichte, die von dort einlrcffen, stimmen darin überein, daß die Deutschcn sich in einer außerordentlich prekären Lage befinden, daß sie sich so gut wie Alles von den hockmüthigen Niggern bieten lassen müssen, absolut kein Recht erlangen können und selbst ihres Lebens nicht mehr sicher sind. So erhalt der „Fall LüderS" eine drastische Beleuchtung in einem der „Post" aus Port au Prince, 22. Oktober, zugegangenen Schreiben, dem wir Folgendes entnehmen: Herr Lüders, Sohn eines der ersten Hamburger Häuser hier am Platze machte lediglich sein Hausrecht gegen einige unverschämte Pottzisieu geltend, die in seinen Stall gedrungen waren, um seinen Kutscher zu verhaften. Ich möchte hier gleich einstigen, nm ja ein richtiges Bild zu geben, Laß die Polizisten das infamste Lumpenpack sind, stehlen uni) betteln und absolut nicht als irgend eine anständige Erecutivgewalt zu betrachten sind. Ferner ist das einzige Recht, das uns Weißen hier eingeränmt ist, nnsor HauLrecht, d. h. kein Haitianer darf ohne betonteren Befehl deS Staatsanwalts das Hans eines Weißen betreten. Anstatt, daß mau auf die Beschwerde des Herrn Lüders hin die Polizisten bestrafte, steckte man Luders einfach ohne Unheil ins Gejängniß und strengte erst danach eine Anklage gegen ihn an auf Revolte und Mißhandlung von Beamten, welche sich in Ausübung ihrer Amtspflicht befanden. Ta wurden Richter bestocken, Meineide gefchworen, wie bei uns nicht in zehn Jahren, und das Ende vom Liede war, daß Lüders zu einem Jahr Gefüngniß und 500 Dollar Strafe ver- urtheilt wurde. Alle Schrille nuferes hiesigen deutschen Geschäfts trägers, des Grasen Schwerin, blieben erfolglos. Ja, man lachte und hielt sich öffentlich über seine Ohnmacht auf; es war eine wahre Schande! Da bat Graf Schwerin Ende der vergangenen Woche telegraphisch Las Auswärtig« Amt um Instructionen. Diese traf am Sonntag (17. Oktober) ein und ließ uuu die Wogen der Begeisterung für unsere deutsche Sache hier draußen hoch gehen. Tie Antwort des Auswärtigen Amtes lautete nämlich: „Sofortige Freilassung, vollständiger Schaden- erjag und Bestrafung der Richter und Polizisten." Graf Schwerin Ihat die nöthigen Schritte; aber sowohl der Präsi dent, wie Las Ministerium verweigerten, dem Ultimatum Deutsch lands nachzngcben. Die Folge davon war natürlich der Abbruch der diplomatischen Beziehungen, und die deutsche Colon ie hier, die an siebzig Köpfe stark ist, wurde unter amerikanischen ^srirHeton. Der Page. 16j Roman von A. Heyl. Nachdruck verboten. Die Befragte zuckte mit der Schulter: „Ja, nein. Ich weiß nicht. Er war in seiner Jugend in jedes saubere Gesicht vernarrt, hat Dutzende von Liebschaften mit schönen Frauen und Mädchen angeknüpft und wieder gelöst, wie es nicht selten unsere Cavaliere zu thun pflegen. Nun er auf der Grenze eines gewissen Alters steht, macht er sich zum Gemahl einer herzlosen Lebedame. Man wird ihn übersehen, sich nur im Nothfalle seiner erinnern, und er wird das Vergnügen haben, die Anbeter seiner schönen Frau zu bewirthen. Vorläufig ist er noch sehr stolz auf ihre Triumphe, das Uebrige kommt im zweiten Theile." »2a, schön ist sic, sehr schön, und ich nehme es keinem Herrn übel, wenn er sich den Kopf verrücken läßt", sagte Frau Klimper. Frau von Eichstetten unterdrückte ein Gähnen, warf einen Blick in den Spiegel und gab den alten Spruch zum Besten: „Schönheit ist ein sehr vergängliches Gut." Nach einer kurzen Pause begab sie sich an das Fenster und blickte angelegentlich auf die Straße. Frau Klimper verstand diesen Wink und machte sich sofort auf den Weg. Sie ging, so schnell sie ihre kleinen Füße trugen, durch die Straßen, aus einem Laden in den anderen, um die Aufträge, welche sie übernommen hatte, bestens zu besorgen, zahlte die nicht ganz unbedeutenden Beträge aus ihrer Tasche, ungewiß, ob und wann sie die selben zurückerhalten würde. DaS erhebende Bewußtsein, ihre Beziehungen in hohen Kreisen dadurch zu befestigen, und wohl auch zu fördern, ließ sie diese Opfer an Zeit und Geld leicbt verschmerzen. Vielleicht, so schmeichelte sie sich, würde die Präsidentin in Gegenwart der jungen Gräfin von ihr sprechen, und eS war nicht ausgeschlossen, daß diese den Wunsch hegte, ihre Bekanntschaft zu machen, wäre es auch nur, um ihren Rath und ihre Beihilfe bei eben solchen Commissionen zu erhalten, wie sie die Prä sidentin schon längst sich zu Nutz machte. Wenn ihr das gelang, wonach ihr Herz sich sehnte, wenn sie sich Zutritt im gräflichen Palais verschaffte, wie hoch überragte sie dann ihre Jugendfreundinnen, die hausbackene Expeditorin, die geizige Inspektorin und die eingebildete Hofräthin, welche sie schon oft mit plumpem Spott verletzt hatten — weil sie selbst im Dunkel bleiben mußten, während sie zum Lichte emporflatterte. Müde und abgehetzt kam die kleine Frau gegen zwei Uhr endlich zu Hause an. Die Präsidentin hatte die Sachen dankend in Empfang ge nommen, ohne der Ueberbringerin einen Löffel Suppe oder auch nur einen Stuhl anzubieicn; an schönen Worten hatte sie es nicht fehlen lasten. Von Hunger und Müdigkeit geplagt, langte Aurora in ihrer Wohnung an. In der Küche stand das Eßgeschirr, welches die Aufwärterin vor zwei Stunden da hingestellt hatte. Die Speisen waren kalt geworden, sie wärmte sie rasch und verschlang sie gierig. Nur halb gesättigt begab sie sich nach ihrem Zimmer. Wie staunte sie, vor der Thüre einen verschloßenen Korb zu finden. Da die Hausflur an dieser Stelle düster war, drehte sie hastig den Schlüssel im Schlöffe, öffnete die Thüre weit und schleppte den Korb in ihr Helles Gemach, um die Adresse lesen zu können. Der Korb kam von Lieschen Sturm aus der Capellenmühle; er war mit feinem Obst angefüllt und obenauf lag ein zierliches Schreiben von der Geberin. Sie wünschte, die Frau Base möchte sich das Obst recht gut schmecken lassen, und bat in rührenden Worten um freundliche Aufnahme und sorgsame Ver pflegung für ihren lieben Bruder, der vor nicht langer Zeit eine schwere Krankheit durchqemacht habe, und den sie darum mit bangem Herzen scheiden sehe. Sie hoffe, die Frau Base würde sie sofort benachrichtigen, wenn dem Bruder etwas Ilebles zustoßen sollte, sie sei überzeugt, er habe in kein besseres Haus kommen können, als in das Ker Frau Vase, und sie freue sich, in einigen Wochen, bei Gelegenheit der Weihnachtseinkäufe, sie und den Bruder gesund und vergnügt wiederzusehen. Mit den üblichen Grüßen und Versicherungen schloß der Brief, welcher die Stimmung der Leserin, die durch Müdigkeit und schlechtes Essen gelitten hatte, wieder um ein Bedeutendes hob. Sie hatte diesen einfachen Leuten gegenüber ein Gefühl ihrer hoben Wichtigkeit, und um unverzüglich ihren Pflichten nachzukommen, klopfte sie leise an der Thüre des blauen Zimmers an. Sie wartete vergebens auf ein freundliches „Herein!" und als auch ein lauteres Klopfen keinen Erfolg hatte, drückte sie auf die Klinge und ließ durch die geöffnete Thürspalte die neugierigen Blicke durch's Zimmer schweifen. Da lehnte ihr neuer Miethsmann in schmucker Uniform am Fenster, hielt Umschau in der Nachbarschaft, und schien von dem, was er entdeckte, vollständig in Anspruch ge nommen. Er sah da nur Hof, Garten und Rückgebäude des gräflich Rivero'schen Palastes. Außer der Diener schaft, vor allen Stallknecht, Kutscher und Lakaien, verkehrte selten Jemand im Hof- und Rllckgebäude. Die Herrschaft erschien nur auf Augenblicke, um zur Ausfahrt den Wagen zu besteigen. Das geschah aber um diese Stunde nie; Frau Klimper wußte genauen Bescheid. Was konnte dir Aufmerksamkeit des Herrn Reservelieutenants so sehr fesseln, daß er das Eintreten und Näherkommen seiner Hausfrau nicht bemerkte? Diese schlich auf den Fußspitzen an das zweite Fenster, lüftete die Gardinen und recognos- cirte. Der junge Mann war ihrer Obhut anvertraut, sie mußte sich überzeugen, ob ihm keine Gefahr drohe. Ihre Besorgnisse zerstreuten sich bei dem Anblick harmlosen Vergnügens, das ihren neuen Miether ebenso ergötzen mußte, wie es sie selbst belustigte. Der Page der Gräfin ließ ein niedliches Hündchen tanzen, apportiren und verschiedene Kunststücke machen. Das kluge Thierchen befolgte jede Weisung musterhaft und wurde zum Schluß mit Zucker belohnt. Der junge Sturm gab durch ein lautes Bravo seinen Beifall kund; der Page, welcher sich bisher wenig umgesehen und von den im Hofe versammelten Zuschauern keine Notiz ge nommen hatte, blickte empor und entdeckte den neuange kommenen Nachbar. Das Blut schoß dem Knaben jäh ins Gesicht; in unwillkürlichem Gefühle des Erschreckens fuhr er mit der Hand über Stirne und Augen, dann sah er noch einmal freundlich lächelnd zu dem jungen Officier hinauf und verneigte sich. Ein vertrauliches Nicken und Zuwinken mit der Hand war der Gegengruß, den Hans Sturm dem hübschen Knaben entbot. Gerne hätte er noch einen Willkommruf als Zeichen des unerwarteten, freudigen Begegnens beigefügt, doch Emil rief das Hündchen zu sich und kehrte mit dem Liebling, ohne umzusehen, in den Palast zurück. Frau Secretairin hielt es nun für geeignet, ihre Gegenwart anzumelden, sic that dies durch ein lautes Räuspern und mußte erstaunen, welch drastische Wirkung dieses unschuldige und so gebräuchliche Hilfsmittel kjervor- brachte. Der junge Sturm fuhr jäh herum und starrte die Eingetretene unfreundlich an, besann sich aber sofort, daß er seiner Hauswirthin gegenüberstehe. Nach den üblichen Redensarten, Begrüßungen und Er kundigungen brachte Frau Klimper das Gespräch recht ge flissentlich auf die interessante Aussicht, die der junge Herr da genieße; sie erzählte Wundcrgeschichten von der Gräfin Rivera und erwähnte des bevorstehenden Festes mit der Be merkung: „Ich wäre jedenfalls auch eingeladen worden, wenn es sich nicht auf die Verwandtschaft beschränken würde. Meine liebe Freundin, die Präsidentin von Eichstätten, hat dies so unendlich bedauert, sie Härte am liebsten abgesagt, aber mein Zureden und die Rücksichten auf die junge Gräfin haben die Gute doch schließlich bestimmt, anzunehmen. Aber, wie gesagt, sie konnte sich nicht darUber trösten, ohne mich gehen zu müssen." „Sie verkehren mit der Gräfin?" fragte Hans, sein Erstaunen nicht verbergend. Die Sicherheit der kleinen Dame nahm ab: „Ich — verkehre — ich — ja — das heißt, ich werde verkehren", stotterte sie, ein wenig außer Fassung gebracht. „Kennen Sie die Gräfin Rivero, Herr Vetter?" Hans nickte bejahend: „Selbstverständlich, Frau Base, wir sind ja Nachbarskinder. Di: Mühle und das Schloß liegen nur einen Büchsenschuß von einander entfernt und auf dem Lande begegnet man sich oft." Der einfache junge Mann stieg durch diesen Umstand hoch im Ansehen bei Aurora Klimper: „O, Sie Glück licher", rief sie, in die Hände klatschend. „Sie werden Besuch machen —" „Das werde ich bleiben lassen, Frau Base", entschied der junge Mann, „Melanie ist eine verhrirathete Frau, sie hat nach mir nichts zu fragen und ich nach ihr nicht; ihr Mann soll rin dünkelhafter, alter Geck sein, der jedenfalls alle nicht adeligen Elemente seiner Frau fernzuhalten sucht. Darum wundere ich mich so sehr, daß Sie, Frau Base, mit ihr verkehren werden." „Meine Freundin wird mich einführen, Herr Vetter."
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