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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.11.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-11-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971116026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897111602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897111602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-11
- Tag1897-11-16
- Monat1897-11
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Die Morgm-Av-gabe erscheint nm V,? Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Nedaclion und Lrve-itio»: Johanne»,affe 8. Di« Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filialen: lk)tt« Klemm'» Lorttm. (Alfred Hatz»^ Uuiveriitätsslrabe 3 lPauiinum), L-ui» Lösche, ketharineustr. 14, pari, und lköuigspl^tz 7. Dezugs-PreiS O de» Hanptexpedition ober den i» Gtadt» bezirk nud den Vororten errichteten Aus- aabestellen abgeholt: vierteljährlich ^l4.S0, bei zweimaligrr täglicher Zustellung tn» Lau» 5.50. Durch die Post bezog«» für Deutschland und Oesterreich: vierte>iädrlich K.—. Direcie tägliche Kreuzbaadieodu», in» Ausland: monatlich 7.50. 586. Abend-Ausgabe. WWM Tageblatt Anzeiger. AnzeigenPrel- > di« 6 gespaltene Petitzeile W Pfg- Rrclamen unter dem Redactionsstrich (4ga» spalten) 50/g, vor den Familiennachricht« (6gespalten) 40 Größere Lchristen laut unserem Preis» verzrichniß. Dabellarischer und Ziffernjas nach höherem Tarif. Extra-veila,en (gesalzt), nur mit de» Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderua^ ^l 60.—, mit Postbrsörderung 70.—. Innahmeschluk für Anzeigen: Abeud-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. R7 orgrn - Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Gei den Filialen und Annahmestellen je eia» halb« Stunde früher. Druck und Verlag von <k. Polz in Leipzig Ia-Mnz. DienStag den 16. November 1897. Anzeigen find stets an di« Expedition zu richten. Amtsblatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes «nd Nokizei-Ämtes der Stadt Leipzig. ca. 40000 »l Dividende an die I in den der Armeeverwaltung unterstehenden Cantmen nickt I umgekehrt zum Schaden der mittleren Existenzen „auf aller höchsten Wunsch" geregelt werde. Politische Tagesschau. * Leipzig, 16. November. Berlin bat gestern ein „Ereigniß" gehabt. In den Abendstunden drängten sick Tausende und Abertausende, um Zeugen der Eröffnung des kolossalen Neubaues eines Untverfal- waarenhauscS zu sein, das — vom Buch bis zum Scheuer lappen — mit Allem handelt. Das Geschäft besteht schon eine Reibe von Jahren, aber die Verlegung in rin neu er- ricktetes Gebäude hat hingereicht, der durch zahllose Interessen getheilten Millionenstadt seit Wochen als Gesprächsstoff zu dienen. Es ist das nicht zu verwundern, denn die aus gewendete Bausumme, die Zahl der Abtheilungcn, der Ver käufer und sonstiger Angestellten geht inS Schwindelnde, im klebrigen ist sogar, wenn man den Kunstkritikern Glauben schenken darf, vielfach die Acsthetik nicht zu kurz gekommen. Dem Riesengeschäfte sind die schon vordem langen Arme noch länger gewachsen, und vielleicht wird manche bescheidene Händler-Existenz von ibnen erdrückt werden. Indessen daS Publicum glaubt sich durch solche Bazare begünstigt und ein Recht, ihrer Ausbreitung gesetzliche Hindernisse zu bereiten, läßt sich beinahe ebensowenig dartbun, als bisher taugliche Mittel angegeben worden sind, mit denen dieses Ziel zu erreichen wäre. Vielleicht entspricht die Ausdehnung des Großwaarenbäuserwesens einer Entwicke lung/die sich nicht aushalten läßt. Gewiß aber ist eS, daß dieser Proceß ein für viele werlhvolle Glieder der Gesellschaft imd deshalb für diese selbst ein sehr schmerzlicher ist. Die Staatsverwaltung hat deshalb keinen Grund, ihm Vor schub zu leisten und ihre in Gesetzgebung und Verwaltung gezeigten Bemühungen, die Zusammenfassung des Kleinhandels in wenigen Händen durch vernünftige, nickt gewaltsame Maßnahmen zu erschweren, hat auch den Beifall von Politikern und Parteien gesunden, die grundsätzlich auf dem Boden der Gewerbefreiheit sieben. Aber es hat sich auch mehrfach gezeigt, daß gewisse Vcrwaltungszweige mit der Hand begierig nehmen, was die Hand des Staates dem kaufmännischen Mittelstand gegeben hat. Während man, mit vollem Recht, den Geschäftsbetrieb der Consumvereine, in so weit er deren Wesen entgegen war, gesetzlich einschränkte sind von oben her die Alles umspannenden Waarenhäuser der Officiere und Beamten eifrig begünstigt worden Die Nationalliberalen haben es erreicht, daß diese Verkauf; anstalten von Berufsständen wenigstens gesetzlich denselbe Beschränkungen unterworfen sind, wie die Eonsumvereine ob mit thatfächlickem Erfolg, bleibe dahingestellt. Jetzt scheint von oben her — eine bestimmte Behörde läßt sich noch nicht namhaft machen — eine neue großkapitalistische Schädigung des Mittelstandes geplant zu sein, die, wenn sie erfolgen sollte, schneidender Hohn auf das wäre, was man von der Regierung in neuerer Zeil gehört und in der Begründung von Gesetzentwürfen gelesen hat. Der „Frankfurter Zlg." wird nämlich aus Karlsruhe geschrieben: „Von Berlin aus wird an die Militaircantinen ein Circular versendet. Las die Pächter aussordert, ihren vollen Be- darf an Cigarren von einer Berliner Firma zn beziehen, die unter der Leitung eines Generals stehe. Des Weiteren wird miigciheilt, es sei „Allerhöchster Wunsch", daß lammt- lichr Caulincn ihren Bedarf an Cigarren und so weiter von diesem Etablissement beziehen, um in der Marine und Armee einen möglichst einheitlichen Preis rinfübren zu können. Ferner wird mitgctheilt, daß die Firma ca. 7 Millionen Mark umzusetzen gedenkt, wobei nach Jabrrsschluß Cantinen wieder vertheilt werden könnten." Die „Franks. Ztg." fragt: Von wem gebt dieses Circular aus? Das zu wissen, bat die -Öffentlichkeit allerdings ein Recht. Vor Allem wegen der Berufung auf einen „Aller höchsten Wunsch", also auf den Kaiser. Weiter aber auch wegen der Unklarheit der sonstigen Angaben. Ein General a. D. „leitet" das Geschäft. In welcher Eigenschaft? Als Ebef, als privater Angestellter, oder als Commandirter? Und wenn als privater Angestellter, ist es nicht das WaarenbauS für Armee und Marine, das dahinter steckt? Ueber letzteren Punct wird man noch nickt einmal beruhigt sein können, wenn der Name deS leitenden Generals bekannt gegeben ist. Als vor einigen Jahren im Reichstage und in der Presse getadelt worden war, daß daS WaarenbauS für Armee und Marine eine Reibe Aufträge für die Colonien erhalten batte, tauchte plötzlich die Firma von Tippelskirck als Special firma für überseeische Bedarfsartikel auf. Der Inhaber dieser Firma hatte keine eigenen Mittel, sie war und ist nichts weiter als eine Filiale deS WaarenhauseS. Sollte diesem nun auch die Lieferung von Cigarren „u. s. w." für die Cantinen ausschließlich übertragen werden? Der enorme Umsatz von 7 Millionen Mark, den der General a. D. zu macken „gedenkt", läßt fast mit Sicherheit darauf schließen. Auch das Versprechen einer „Dividende" weist aus die Praxis des WaarenhauseS hin. Was zur Entschuldigung der Absicht, so und so viele kleinere Cigarrenfabrikanten zu „legen", angeführt wird, klingt geradezu lächerlich. Wer Hal ein Interesse an einem „möglichst einheitlichen" Preis von Cigarren in den Cantinen? Die Armeeverwaltung als solche gewiß nickt. Wenn eS noch hieße, es solle „möglichst" preiSwerthe Waare geliefert werden! Aber auch diese Absicht würde das Concenkriren eines großen TheileS des Cigarreuhandels in einer Hand nicht recht ¬ fertigen. Die „Cigarre der Recruten" verdient den Schutz der Heeresverwaltung nicht. Im Gegentheil. Wenn diese etwas im Puncte des Nikotingenusses ter Mannschaften thun will und kann, so soll sie sich ans die Popularisirung des Rauchtabak es verlegen, dessen Verdrängung aus dem ländlichen Consum durch die theureren und gewöhnlich schlechteren Cigarren die kleinbäuerlichen Verhältnisse gar nickt unerheblich im ungünstigen Sinne brinflußt hat. Nach einer sachkundigen Betrach tung der „Allg. Ztg." gebührt dem Ueberhandnehmen des Cigarrenrauchens sogar ein Antheil an dem kürzlich zur Erörterung gelangten Rückgänge der Militair- tauglickkeit eines TheileS der bayerischen Landbevölkerung. Ties nebenbei. Wir glauben, der Reichstag hat die Pflicht, sich um daS Geschäft, das sich nach dem oben erwähnten Circular schon gebildet zu haben scheint, ernstlich zu kümmern. Gewiß, in der Cantine bat nur das Commando etwas zu sagen, und wenn es dort daS leibliche Wohlbehagen der Mannschaften allem Anderen voransetzt, so handelt cs nur pflichtgemäß. Aber der „einheitliche" Preis der Cigarren hat mit dieser Aufgabe nichts zu thun. Auf der ander» Seite darf die Armeeverwaltung nickt dazu beitragen, daß die Armee ein Instrument zur Förderung deS wirthschaftliche» Äufsaugungssystems werde. Wenn den Proviantämtern zum Besten der Reichsfinanzen und der Truppenverpflegnng aus getragen werden konnte, die einzelnen landwirthschafilicken ! Producenten beim Einkauf zu berücksichtigen, so ist cs nicht zu I viel, wenn man fordert, baß der Bezug eines Luxusartikels Ter Lippe'sche Thronfolgcstreit will noch immer nicht zur Ruhe kommen. Bekanntlich ist dem Lippe'scken Landtage ein Thronfolgegesetz vorgelegt worden, daS die Erbfolge auf gesetzlichem Wege ordnen und den Nachkommen des Regenten Graf zu Lippe-Bicsterseld die Thronfolge sichern soll. Der Versuch, diesen selbst von der Thronfolge auS- zuschließen, weil sein Großvater unebenbürtig mit Modeste von Unruh verheirathet gewesen, ist ja an dem Schieds sprüche gescheitert, den am 22 Juni d. I. daS ack Koo eingesetzte Schiedsgericht unter dem Vorsitze König Albert's gefällt bat; nun ist aber der Regent mit Gräfin Karoiine v. WartenS- leben vermäblt, die von mütterlicher Seite der bürgerlichen Familie Halbach aus Amerika entstammt, und hieraus leitet Fürst Georg zu Schaumburg-Lippe das Recht und die Pflicht zu einem in der „Deutsch. Iurist.-Zta." veröffentlichten Proteste gegen jenen Gesetzentwurf ab. Er construirt fol gende Thesen: Die Ehe mit Mobeste v. Unruh sei 1803 ab geschlossen worden nnd damals sei eine Ebe zwischen altreichsgräflichen Familien und solchen vom niederen Adel keine Mißheirath gewesen. Seit Inkrafttreten der deutschen Bunbesacte habe sich aber hinsichtlich der „Ebenburt" ein neues Recht für die souveränen Häuser berausgebildet und danach sei die Ebe des jetzigen Regenten nicht „ebenbürtig" und seine Söhne nicht tbron- folgeberechligt. Seit 18k5 haben sich aber nicht nur „Eben- burtsrechte" herausgebilvet, sondern auch noch mancke anderen, die wirklich „Reckte" sind und von denen die Ausführungen über Ebenburl und Alles, was dazu gehört, sich sehr romantisch abbeben. Inzwischen ist einBerfa ssungs leben in den Einzel staaten erwachsen und die Kleinstaatenmisöre ist durch einen starken Bundesstaat mit einer einbeitlichen Verfassung ersetzt. Danach ist für die Regelung von Thronfolzefragen die staat liche Gesetzgebung da; sie ist vollständig competent und wenn die verfassungsmäßigen gesetzgebenden Factoren einig sind, dann ist ein Recht geschaffen, das, wie noch besonders der Reichsverfassung zu entnehmen ist, von Niemand an getastet werden kann. Der Lippe'scke Landtag, der gestern in die Berathung des Thronfvlgegesetzes eingetreten ist und dieses einer Commission überwiesen bat, wird sich denn auch wenig oder gar nicht nm den Protest des Fürsten Georg kümmern. Unsere Kreuzerdivision hat, wie wir bereits im Morgcnblatt mittbeilten, Truppen bei Kiautschau ge landet, um für die Ermordung von zwei deutschen Missionaren Genugtbuung zu fordern: eine Nachricht, die wir lebhaft begrüßen. Kiautschau liegt 175 km südlich der Nordspitze von Schautung und 190 km südwestlich von der Slldostspitze der Halbinsel an einer den Winter über eisfreien, der weiten Bai von Tokio ähnelnden Bucht, die etwa 26 km breit und 37 km lang ist; im Osten ist sie von hohen Bergen umrahmt. Der Eingang der Bucht ist Lurch vorspringende Landzungen abgeschlossen und geschützt, in dem großen Becken liegen mehrere Inseln, die größte unter ihnen heißt Ainlau. Kiautschau war viele Iahrbunderte hindurch einer der be deutendsten Handelsplätze Chinas und blieb es, selbst als die Hebung der Küste den Verkehr erschwerte, bis im Jahre 1860 Tschifu an der Nordküste Schantungs Vertragshafen wurde. Seitdem gerietb Kiautschau etwas in Vergessenheit, zumal da die älteren Reisenden, auch Richtbofen, den Hafen nicht berührten; erst nach dem chinesisch-japanischen Kriege zog er wieder die Aufmerksamkeit auf sich und ist seitdem vielfach von europäischen Kriegsschiffen besucht nnd er forscht worden. Die genauesten Kenntnisse der Oertlichkeit dürsten die Russen besitzen, deren Flotte dort im vorigen Winter überwinterte; jedoch haben sich die Behauptungen, China habe Kiautschau in einem geheimen Vertrage an Rußland abgetreten, als falsch erwiesen. Auch die Chinesen sind, nachdem sie mit ihren KriegSbäfen in Port Arthur und Weihaiwei so üble Erfahrungen gemacht hatten, neuerdings wieder auf Kiautschau aufmerksam geworden, und um die Mitte dieses Jahres hieß es, der Generalgouverneur von Tchili gedenke an diesen den südlichen Eingang zum Golf von Petschili beherrschenden, strategisch zweifellos sehr wichtigen Orte einen starken FloitenstützungSpunct zu schaffen. Hat die chinesische Regierung derartige Absichten, so wird die Landung deutscher Marinetruppen in Kiautschau sie um so eiupsindlicker treffen, nnd nm so mehr wird sie sich hoffentlich beeilen, für die Er mordung vertragsmäßig geschützter Reichsangeböriger und für die Zerstörung deutschen EigenthumS ausreichende Genug tbuung zu leisten. Wenn nicht, dann wäre Kiautschau ein vorzügliches Pfandobject, das für unsere Marine in den ostasiatischen Gewässern einen ausgezeichneten Stützpunkt ab geben würde. Eines solchen bedürfen wir dort, namentlich im kommerziellen Interesse, schon längst. Anspruch aus ein Stück chinesischer Küste haben wir ohnehin, da unsere Rech nung aus dem chino-japanischen Kriege noch immer nicht be glichen, vielleicht noch nicht einmal präsentirt ist. WaS die «tärke der deutschen Streitkräfte anbelangt, so zählen die Schiffe „Kaiser", „Prinzeß Wilhelm", „Arcona" und „Cormoran" zusammen 1437 Mann Besatzung, deren Landungscorps hinreichend stark genug ist, um einer fünfmal stärkeren chinesischen Garnison mit Leichtigkeit die Spitze zu bieten. Die „Arcona" soll, wie verlautet, ihre Reparatur bereits beendet baden und dem Geschwader gefolgt sein. „Irene" mit 365 Mann Besatzung befindet sich zur Zeit noch in Hongkong und kann erst in einiger Zeit beim Ge schwader einlreffen, dessen Artillerie überdies jeder chinesischen weit überlegen ist. Deutschland hat die Theilnng des Preußen und Belgien gehörigen neutralen (Grenzgebietes Morcsnet aber mals und dringlich in Brüssel angeregt. Schon seit 1816 haben beide Regierungen wiederholt darüber berathcn, aber ohne jeden Erfolg. Diesmal macht das deutsche Auswärtige Amt, um alle politischen Erörterungen von dieser Frage fern- zuhalten, gellend, daß der beträchtlich anwachsende Schmuggel handel die endgillige Gcbietstheilung unabweisbar macht. Das ist ein geschickter, aber des Erfolgs nicht von vorn herein sicherer Versuch, den die belgischen Kammern, die ihr entscheidendes Wort mitzusprechen haben, und die belgischen Blätter dürften die Frage vor Allem in poli tischer Hinsicht erörtern. Schon heute erklärt die „Gazette", daß der deutsche Antrag die belgische Regierung in „eine heikle Lage" versetze. Schon die Ernennung des belgischen Königs zum deutsche» Admiral, die Errichtung eines deutschen Lagers in Malmedy, der Besuch der Deutschen in Antwerpen habe in Frankreich den Verdacht erweckt, Feuilleton. Der Page. 17j Roman von A. Heyl. Nachdruck verbaten. Die schlimmen Worte, welche sie gesprochen, wollten ihm lange nicht zur Ruhe kommen lassen. Er forschte, sann und grübelte, ohne die geringste Spur zu finden, welche zur Lösung des Räthsels führen konnte. Wen er auch fragte, Niemand wollte ihm Rede stehen; es hieß, die Alte sei eine boshafte, halb verrückte Person, deren verwirrtes Geschwätz man nicht beachten dürfe. Bald darauf kam auch Lieschen eines Abends aus dem Dorfe nach Hause und er zählte in weinerlichem Tone, die Kräuterlene, der sie nie das geringste Leid zugefügt, habe sie geschimpft, und als sie furchtsam davongelaufen sei, ihr noch nachgerufen:,, Du ge hörst auch zu der verdammten Brut. Im Zuchthaus mußt Du sterben." — Hans stand es noch lebhaft vor der Seele, wie sein Bater jäh aufgesprungen war, die Hände vor das Gesicht geschlagen und hastig das Zimmer verlassen hatte. Jahre waren seitdem vergangen, aber die Vorgänge gaben dem jungen Manne immer noch zu denken, denn die Alte wagte das Unerhörte; sie unterstand sich, die feste, die über allen Zweifel erhabene Unbescholtenheit seines Vaters anzu tasten, ohne daß sich dieser dagegen auflehnte. War es möglich, daß der verschlossene, unbeugsame Charakter je an deren Regungen in seiner Seele Raum gegeben, als den strengen Geboten der Pflicht und den kühlen Weisungen der Vernunft? War das möglich? Dann konnte der Sohn auch Verständniß für sein Denken und Fühlen voraussetzen, dann waren sich Beide menschlich näher gerückt. So sann und grübelte der junge Mann, ohne zu einem faßbaren Resultate zu gelangen. Er überhörte das Klopfen an der Thür und fuhr empor, wie ein aus langem Traum Aufgeweckter, als der Einlaßbegehrende da außen seine Ge genwart so laut und deutlich anzeigte, daß es lautete, als ob er die Thllre mit Hammerschlägen bearbeitete und kaum das etwas barsche „Herein!" abwartete, um seine lange, eckige Gestalt ins Zimmer zu schieben. „Doctor Franz", rief der junge Sturm freudig über rascht und streckte dem Ankömmling beide Hände zum Gruß entgegen: „Eine solche Freude erwartete ich heute nicht." Der Doctor faßte seinen Liebling Hans Sturm an den Schultern, schüttelte ihn derb, klopfte ihm den Rücken, die Wangen und musterte ihn dann vom Scheitel bis zur Sohle. „Ah, ah, mein Hänslein ist ein schmucker Officier, kann sich sehen lassen", bemerkte er mit wohlgefälligem Schmunzeln. „Schlank, patent, ein Prachtkerl, Sapperlot. Die Gesichtsfarbe ist nicht mehr frisch, ein wenig ange kränkelt von Stubenluft, sieht interessant aus, ist aber nicht gesund. Der Herr Reservelieutenant hockt zu viel hinter den Büchern, sollte mehr auf den Gassen flaniren, mit dem Säbel rasseln, den angenehmen Schwerenötherspielen, wie es jungen Leuten zukommt, das wäre mir lieber." „Ihnen vielleicht, Doctor, aber mir nicht", entgegnete Hans, während er den Arzt zum Sopha führte und neben seinem Gaste Platz nahm. „Sehen Sie, der Wissenstrieb ist mir angeboren, die Heilkunde zu ergründen ist mein Streben, der leidenden Menschheit nach Kräften zu helfen mein Ziel, ich fühle, daß eine dämonische Macht in mir mich andere Wege führt, als die, welche mir vorgezeichnet sind. Wenn ich kein Arzt werden kann, dann werde ich ein Cur- pfuscher." „Ho, ho", machte Doctor Franz, über die zum Durch bruch kommende Energie des jungen Mannes erstaunt. „Da gegen protestire ich als Arzt. Curpfuscher! Warum nicht gar? Ho, ho, Hänslein, ein College von der Kräuterlene! — Ehe sich der alte Müller den Spott anthun läßt, wird er doch die Geschichte in Güte schlichten und den Herrn Sohn studiren lassen." Hans legte die Hand auf des Doctors Schulter: „Ach guter, alter Freund, wie froh bin ich, Sie hier allein und ungestört sprechen zu können, bevor die Stunde kommt, in der sich mein Schicksal entscheiden soll. — Ich kann nicht wieder in die alten Verhältnisse zurückkehren — es giebt ein Unglück, wenn man mich dazu zwingen will — ich —" „Na — na, nur ruhig, nur bedachtsam, junger Brause kopf! Warum bin ich denn gekommen? Weil ich mir Ihren Seelenzustand so ähnlich vorstellte, wie er ist und Sie vor unüberlegten Streichen behüten will." Hans fühlte, daß ihm die Augen feucht wurden, er kämpfte seine Rührung nieder, ehe er ausrief: „Sie sind ein edler Mensch, Doctor, ich bin Ihnen zeitlebens zu Dank verpflichtet." Der Doctor schüttelte so energisch den Kopf, als ob er das ihm gespendete Lob wieder abschütteln wolle: „Ah bah! Larifari! Das thue ich, weil es mir Spaß macht, weil ich Sie gern habe. Wenn ich Sie nicht leiden könnte, thäte ich's nicht. Wo ist denn da der Edelmuth? Des Müllers Despotismus ärgert mich, ich bin ein Feind aller Tvrannei. Die Unterdrücker der menschlichen Freiheit haben stets an mir einen Widersacher. Das sind die Beweg gründe meines Handelns, der Edelmuth hat nichts damit zu schaffen." Hans lachte: „Schon recht, Doctor, ich kenne Sie ja, Sie werden es mir aber gewiß nicht abschlagen, wenn ich Sie einlade, auf die Beweggründe Ihres Handelns ein Glas mit mir zu leeren. Sie müssen müde und hungrig sein — ich werde für Frühstück sorgen." „Machen Sie sich keine Mühe, junger Freund", wehrte der Doctor ab. „Ich muhte eine Reisetasche voll Proviant für Sie mitnehmen, da gab es keine Gnade, die Base stibitzte dem alten Herrn eine Flasche Rüdesheimer aus dem Keller. Lieschen stopfte Schinken, Weißbrot» und Würste ein, daß ich daran zu schleppen hatte. Na — wo hab ich denn die Leckerbissen alle hingebracht — na — wo denn? — Richtig, vor der Thüre werden sie noch liegen, wenn sie Niemand ge nommen hat. Da legte ich sie einstweilen ab, während ich auf Ihr Herein wartete." Hans ging, um die Tasche zu holen, kam aber mit ent täuschter Miene zurück: „Draußen liegt keine Reisetasche. Haben Sie sie nicht doch mit ins Zimmer genommen?" Der Doctor fuhr jählings in die Höhe „Wäre nicht übel, wenn mir Einer die Tasche gestohlen hätte, es sind ein paar hundert Mark für die Sparcasse darin, außerdem noch Wäsche und Kleider. Wenn ich binnen fünf Minuten mein Eigenthum nicht zurück habe, dann mache ich Anzeige auf der Polizei." Hans gab dem Doctor ein Zeichen, sich ruhig zu ver halten, ging leisen Schrittes auf das Zimmer seiner Haus frau zu, öffnete, ohne anzuklopfen, rasch die Thür und er tappte die holde Aurora, mit der Reisetasche auf den Knieen, verschiedene Schlüssel probirend, von denen keiner in das Schloß passen wollte. Der Eifer, mit dem sie operirte, machte sie unempfindlich gegen Alles, was um sie her vorging. Hans Sturm stand direct vor ihr, ehe sie von seiner Gegen wart eine Ahnung hatte. Beim Anblick ihres jungen Miethers erbleichte sie, verbarg mit erstaunlicher Geschwin digkeit die Schlüssel in ihre Tasche und fragte so harmlos, als sie es trotz sichtbarer Verlegenheit zu Stande brachte: „Wünschen Sie etwas, mein lieber Herr Lieutenant?" „Nur die Reisetasche, welche Sie da in der Hand haben", bemerkte Hans, seinen Unwillen nicht verbergend. „Die Reisetafche?" stotterte sie, „sie lag vor meiner Thür, ich konnte nicht wissen, daß dieselbe Ihnen gehört." „Die Tafche lag vor meiner Thür", berichtigte Hans. „Darüber wollen wir nicht streiten", versetzte sie spitzig. „Jedenfalls war sie nicht an ihrem Platze, ich fand sie, und da ich befürchtete, sie könne gestohlen werden, habe ich sie an mich genommen." „Zu gütig", bemerkte Hans mit ironischem Lächeln. „Mein Gast darf sich bei Ihnen bedanken." „Sie haben einen Gast?" rief die Neugierige. „Also gehört die Tasche nicht Ihnen? Ich konnte das denken, denn Ihre Reisetasche ist blau und diese hier ist braun." „Sie kennen wohl alle Reisetaschen im Hause, Frau Base?" fragte Hans. „So ziemlich", gab sie zu. „Wer, wie ich, für das Wohl seiner Miether besorgt ist und reges Interesse an Allem nimmt, was diese betrifft, der weiß auch in Kleinigkeiten Bescheid, ich —" sie vollendete ihre Vertheidigungsrede nicht, sondern starrte nach der langen, eckigen Gestalt, die sich unter ihrer Thllre aufgepflanzt hatte. „Ist — ist das Ihr Besuch?" fragte sie im Flüsterton. „Das ist der Doctor Franz von Wiesenbach —" „Doctor Franz von Wiesenbach", wiederholte sie sinnend, „wie ist mir denn — wir kennen uns", sie ging auf den Doctor zu, der sie halb erstaunt, halb belustigt betrachtete. „Daß ich nicht wüßte —", wandte er ein. Er wollte sich zurllckziehen, aber es war zu spät. Sie hatte sich seiner beiden Hände bemächtigt, preßte dieselben an ihr stürmisch pochendes Herz und rief begeistert: „Freund meiner zarten Jugend, mein Verehrer, mein lieber Mazurka - Tänzer, haben Sie denn Ihre Aurora Sturm vergessen?" „Alle Wetter", rief der Doctor laut lachend, „Sie sind Aurora Sturm, die stürmische Aurora, mein alter Stuben«
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