Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.11.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-11-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971118010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897111801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897111801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-11
- Tag1897-11-18
- Monat1897-11
- Jahr1897
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Die Morgen-A«Sgab« erscheint um * */,7 Uhr, die Aboh-An-gab« Woche« tags um b Uh». Filiale«: Otto klemm's Sortim. (Alfred Hahn), UniversitätSstrahe 3 (Panlinum), Louis LSsche, katbariuenstr. 1t, -art. uud AöoigSplatz 7. Lr-aciio« «ad Expedition: Johannes,ässe 8. Vie Expedition ist Wochentag» uninterbrschea geöffnet von früh 8 bi- Abend» 7 Uhr. Bezug-Preis h» d« Hauptexpeditto» oder de« im Stabil de»irt «nd den Vororte« errübtetra «»§- aabrftellmab-tholt: viertel jährlich^ «.SO, bei »wetmaliger täglicher Zustellang in» tzaus^SbLL D«ch di« Post bezöge« ftir Ttntschland avd Oesterreich: vierteljährlich S.—. Dtrrctr täglich« «reuzbandsenduag in» Lu-laud: monatlich 7.S0. Morgen-Ausgabe. eiprigtr. TaMatt Anzeiger. Ämtskkati des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Natyes nnd Notizei-Ämtes der Lindt Leipzig. Anzeigen-Preis d!e Sgespattene Petitzeile SV Pfß- Reklamen unter demRedactionSstrich (4g*- spalten) üO^j, vor den Familiranachrichtrn (6 gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichn iß- Tabellarischer und Zisferasatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen.«»«gäbe, ohne Postbeförderung 60 —, mit Postbrförderung ^l 70.—. Anuahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet- an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von S. Polz in Leipzig. 588. Donnerstag den 18. November 1897. Sl. Jahrgang. Franz Ludwig Siegel. (Ein Leipziger Kind.)*) Wahlspruch: Ich hab' meine Welt mir selbst gebaut Und nicht auf fremden Tand geschaut, Und wenn die Welt in Trümmern fällt, Im Innern trag ich die eigne Welt. (Gedichtet im Jahre 1832 in Leipzig.) Als der Begründer und Hauptredacteur der Sächsischen Constitutionellen Zeitung in Dresden, Advocat Franz Ludwig Siegel, dieselbe im Jahre 1874 aufhören ließ, indem das nationale Programm des Blattes: ein einiges Deutschland mit preußischer Spitze, sich so glän zend erfüllt hatte, versprach er seinen Gesinnungsgenossen und Anhängern einen Rückblick auf seine politische Wirksamkeit unter dem Titel: „Fünfundzwanzig Jahre sächsischer Politik und Geschicht e", zu schreiben, ein Borhaben, welches schon bei seinem ersten Bekannt werden durch Zuschriften aus allen Theilen des Landes und weit darüber hinaus mit Freuden begrüßt wurde. Aber als Siegel sich eingehend mit der Sichtung und Zusammenstellung des aufgehäuften Materials zu beschäftigen begann, kam er zu der Ansicht, „daß doch noch Gras wachsen müsse, ehe diese Periode unserer politischen Entwickelung mit geschichtlicher Rücksichtslosigkeit und ohne nachtheilig anstatt nützlich zu wirken, geschrieben werden könne." Er stand also von dem Vorhaben ab. Dagegen suchte er Erinnerungsblätter zu sammen, die sich auf seine Jugend und seinen Bildungsgang be zogen und sagte: „Vielleicht interessirt es doch noch einmal, etwas von meinem geistigen und sittlichen Werden zu erfahren." Franz Ludwig Siegel, der Sohn des Leipziger Rathscopisten Johann Gottlob Siegel, wurde am 14. April 1812 in Leipzig geboren. Obgleich in bescheidenen Verhältnissen aufwachsend, zeigten sich Freimuth und Freisinnigkeit früh in ihm entwickelt, und eine nicht unbedeutende Begabung für Musik, Dichtkunst und Wissenschaft erwarben ihm bald hilfreiche und fördernde Gönner unter der großen Kaufmannschaft. Bedeutungsvoll verflocht sich in die Anfänge seines Daseins Vas Ende der furchtbaren Tragödie, welche Napoleon's Herrscher und Feldherrnialent und Deutschlands Zersplitterung über unser Vaterland heraufbeschworen hatten, deren düstere Nachklänge sich erst nach mehr als einem halben Jahrhundert durch die zum ersten Mal geeinte deutsche Kraft in längstersehnter Harmonie auflösen sollten. Die hohe Politik und die aufopferndste Thätigkeit für die höchsten Güter seiner Nation: Einheit und Freiheit! sollten einst den Hauptinhalt des Lebens desselben Mannes ausmachen, der als einjähriges Knäblein beim fern rollenden Kanonendonner der Leipziger Schlacht, tief verborgen in einem Keller seiner Vaterstadt, in den Armen der bangenden Mutter schlief. Friedlichere Zeiten folgten, als der corsische Prometheus an den Felsen im Ocean geschmiedet worden war, und wenn auch ein Alp auf der Brust der deutschen Stämme lag, indem dieFeder nicht hielt, was das Schwertgut gemacht hatte, so durchtönte *) Biographische Skizze von vr. Mehwaldt, ehemals Rcdacteur der „Breslauer Zeitung". doch vorzugsweise die Kunsihallen Leipzigs Musik und Ge sang, und seine Gewandhaus- undEuterpe-Concerte wetteiferten mit denjenigen mancher Großstadt. Liebe und Begeisterung für die Musik durchdrang alle Kreise, überall hörte man von den hohen musikalischen Genüssen erzählen, die Leipzig bot. Auch Siegel erinnerte sich dessen aus seiner Kinderzeit, und so war es nicht überraschend, daß er, der selbst viel musikalisches Talent besaß, eine sehr einfach construirte kleine Harfe als sein liebstes Spielzeug be trachtete. Während seine Kameraden „Soldat" oder „Pferd" spielten, saß er einsam auf einem Stein am Petersthor, suchte der Harfe Töne zu entlocken und sang kindliche Lieder zu den ziemlich tonlosen Griffen. Der vor längeren Jahren verstorbene säch sische Staatsminister von Falkenstein war einer von denjenigen, die sich des kleinen krausköpfigen Siegel mit der Harfe im Arme zu erinnern wußten. Ludwig, der Erstling aus der Ehe seiner Eltern, obgleich ein zartes schwächliches Kind, überdauerte dennoch seine vier jüngeren Geschwister, welche kurz nacheinander am Scharlachfieber starben. Den Vater, einen liebenswerthen, einfachen Mann, der aus einer sächsischen Bauernfamilie stammte, verlor er schon im siebenten Lebensjahre, und war nun ganz der Leitung seiner Mutter über lassen. Rathscopist Siegel starb an einer auszehrenden Krankheit, desto kräftiger war die Mutter, eine Leipziger Schuhmachers tochter, die ein Alter von 86 Jahren erreichte und den einzigen Sohn ihrer ersten Ehe sogar überlebte. Die Engbrüstigkeit des Vaters war auf Ludwig übergegangen und verursachte ihm schon in der Jugend mannigfache und nicht unbedenkliche Beschwerden. Seine erste Bildung empfing er in der Bürgerschule, wo er der Liebling seiner Lehrer war und bei den öffentlichen Prü fungen den übrigen Schülern als Muster aufgestellt wurde. Schon im 9. und 10. Lebensjahre versuchte er Verse zu machen, und citirt in der „Vorerinnerung" zu einer im Jahre 1835 mit zierlicher Schrift geschriebenen und elegant eingebundenen Sammlung seiner ersten Gedichte, „Immortellen" betitelt, ein Berschen aus einem Weihnachtsgedicht an seine Mutter, worin er diese über den Verlust des Vaters und ihrer übrigen Kinder mit Vertrauen auf Gott zu trösten sucht. Siegel erregte durch seine Begabung, sein tadelloses sittliches Betragen und seinen Fleiß solches Aufsehen in der Bürgerschule, daß sieb die „Harmonie gesellschaft" in Leipzig auf Befürwortung des damaligen Bürger schuldirectors Gedike des vielversprechenden vaterlosen Knaben annahm und das Schulgeld für ihn entrichtete. Schon mit 12 Jahren war er der Erste in der obersten Classe (9), was zur Folge hatte, daß jene wohlthätige Gesellschaft auf abermalige Befür wortung des Directors Gedike beschloß, auch ferner für seine Aus bildung Sorge zu tragen. 1824 bezog Siegel die Nicolaischule, denn darin waren alle seine Lehrer einig, „daß ein solcher Kopf studiren müsse." Er wurde unter Rector Nobbe in die fünfte Classe ausgenommen. Siegel machte schnelle Fortschritte, besonders sagte ihm das Studium der lateinischen Sprache zu, in welcher er es zu großer Vollkommenheit des Ausdruckes brachte. Minder eifrig war er in den griechischen Lectionen und erinnerte sich später zuweilen lächelnd des Mahnrufs des Lehrers, der ihn beim Uebersehen des Homer, wenn ungenügende Antworten unterge- lausen waren, angedonnert hatte: „Nun, Siegel, Sie machen wohl schon wieder Verse?" — Aehnlich war es Richard Wagner ergangen, der in der Secunda sein Mitschüler und gerade damals ein eifriger Leser des Goethe'schen „Faust" gewesen war. Von Richard Wagner erzählte Siegel auf wiederholtes Be fragen seiner Freunde, daß Niemand dem damaligen Nicolai- schüler den werdenden großen Musikus angemerkt habe, weit eher den künftigen Schriftsteller und Dichter, denn er habe stets ein deutsches Dichterwcrk unter der Schultafel verborgen gehabt und sei deswegen oft getadelt worden. Inzwischen tummelte auch Siegel seinen Pegasus wacker, doch waren es fast nur Gelegenheitsgedichte, die er verfaßte, und deren er nach seiner eigenen Angabe mehrere Hundert geschrieben hat. Tie ersten Versuche in selbstständigen Gedichten hatten eine religiöse Tendenz und waren auf ein festes Gottvertrauen ge richtet. Ein solcher Anker that dem verlassenen Knaben Noth, und er ergriff ihn mit der ganzen Kraft seines Gemüths. Siegel erzählt in den früher erwähnten Aufzeichnungen: „Eine Reise nach Frohburg und Altenburg im Jahre 1827 begeisterte mich für die Natur und ihre Schönheiten, mein Geist nahm schon hier die Richtung, in der er später fortschritt. Es entstand die Romanze „Bruno von Drachenfels", die sich auf die Schlösser Gnandstein, Wolftiz u. a. bei Frohburg bezieht, und welche wiederholt in Zeitschriften gedruckt worden ist. Im Jahre 1831 schrieb ich den Operntext „Die Hexenkraut", denn meine Hauptrichtung war damals die musikalisch-dichterische. Zugleich mit den Versen entstand auch immer die Melodie, so daß ich die Strophen fast beständig singend niederschrieb, oder am Clavier, Töne suchend, dichtete. Ich hatte keinen Clavierunterricht gehabt und überhaupt nur höchst mangelhafte Notenkenntniß. Dennoch spielte ich Alles, was ich hörte, und was mein musikalisches Ohr und mein Gemüth befriedigte, auf dem Clavier nach. Aber wie! Mit einem Fingersatz, der die Kenner zum Lachen zwang. Ebenso verfuhr ich mit meinen Compositionen. Es mußte übersetzt werden, d. h. aufs Clavier, was mir im Kopfe und im Herzen klang. Und es klang auch in Wirklichkeit ganz gut, wenngleich die Leute staunten, sobald sie meine Unbeholfenheit auf den Tasten gewahrten." Die Oper „Die Hexenbraut" wurde bald darauf vom Musik director Wunderlich in Bamberg componirt, doch weiß ich nicht, ob sie zur Aufführung gelangt ist. Dem Text darf nachgerühmt werden, daß er gedankenreich und außerordentlich gesanglich ist. Siegel, welcher in seinem späteren vielbewegten und arbeitsvollen Leben nur noch selten Zeit zum Musiciren fand, wußte gleichwohl seine Chöre und Arien aus der „Hexenbraut" bis in die letzten Lebensjahre auswendig, und spielte sie frisch und fließend, wenn auch mit dem wunderlichsten Fingersatz von der Welt, weil er nie Muße gefunden hatte, Clavierunterricht zu nehmen. Er schreibt: „Da ich keine Mittel besaß, um mir musikalische Genüsse zu verschaffen, nach denen ich mich doch so sehr sehnte, begann ich früh das kritische Talent in mir auszubilden. Ich hatte stets mein entschiedenes Urtheil über das Gehörte, und da meine Beur- theilungen den Nedactionen, denen ich sie anbot, brauchbar er schienen, erhielt ich Freibillcts, denn Honorar wurde damals für derartige Schriftstellern noch nicht bezahlt. Man mußte im «o Gegentheil nur froh sein, sich gedruckt zu sehen. Eine Reise nach Thüringen gab Veranlassung zu den „Thüringer Reiseskizzen", die in den Jahren 1831 und 1832 in dem von C. Herloßsohn re- digirten „Cometen" erschienen." Diese Skizzen sind sachlich und mit viel Frische geschrieben. Trübe Stimmungen, das Gefühl der Vereinsamung, Todes ahnungcn in Folge schwächlicher Gesundheit und einer bedenk lichen Hinneigung zu derselben Krankheit, welcher der Vater in jungen Jahren erlegen war, entlockten der Leyer des Jünglings eine Zeit lang nur schwermüthige Dichtungen. Da ist ein altes abgegriffenes Blättchen, worauf von seiner Hand geschrieben steht: „Am 31. December Abends vor 12 Uhr. Lebe wohl! und Willkommen! 1834. 1835." Darin heißt eS u. A.: „Lebe wohl, du altes Jahr, Lebe wohl, bald schlägt die Stunde! Mich umgeben Ahnungsschauer, Ohne Kuß von theurem Munde Ruf' ich's aus in düsi'rer Trauer: Lebe wohl, mein letztes Jahr!" — Doch bestätigten sich diese trübe Ahnungen nicht, wenn Siegel auch oft versicherte, daß sie ihn nie ganz verlassen und ihn in jedem Frühjahr mitten im Knospen und Blühen der Natur am schmerz lichsten ergriffen hätten. Im „Allergnädig st privilegirten Leipziger Tageblatt", wie der Titel damals lautete, fanden die meisten seiner schriftstellerischen Erstlinge Eingang. „Dort habe ich meine ersten literarischen Sporen verdient," pflegte er zu sagen, indem er die niedlichen Quartblättchen von Löschpapier ordnete, die er aus jener Zeit aufbewahrt hatte. Wenn ich hier etliche Proben mil theile, so geschieht es, weil dieselben immer Interesse erregt haben, wenn Siegel sie in Freundeskreisen vorlas, und weil schon dies frühe Auftreten in der Arena des Geistes auf den Mann in reifen Jahren charakteristisch hinweist, auf den Mann, der sich selbst nie untreu geworden ist. Nachdem Siegel in Nr. 178 des erwähnten Blattes vom Jahre 1831 in einer Schulnachricht als einer der beim jährlichen Schulfest der Nicolaischule zum Vortrag selbstverfaßter Dich tungen ausgewähltcn b e st e n Schüler rühmlich genannt worden ist, führt er sich im Jahre 1832 zunächst in poetischer Form in das Journal 'in. Das „Leipziger Tageblatt" hatte nämlich die bekannten drei Distichen des italienischen Dichters „Sannazaro" auf den „Ruhm und die Größe Venedig's" veröffentlicht, und, da eine Uebersetzung gewünscht worden war, diejenige von Martin Opitz (1638) abgedruckt, mit dem Bemerken, daß des braven Opitz Sprache uns heut zu Tage wohl etwas altväterisch klingen möchte, daß sie aber doch sehr gut zu nennen sei. „Der's besser machen wird, soll „Magnus Apollo" heißen", schließt die Rcdaction. Dieser verheißene „Magnus Apollo" mochte in mehrere junge Dichtergehirne blitzgleich eingeschlagen haben, sie strebten nach dem Kranz, den Rcdacteur I)r. Meißner in den Händen hielt. Unter den Bewerbern war auch Siegel, und seine Ueber setzung ist zutreffend und formgewandt. Sie lautet: Mitten im Meere sah einst Neptun Venedig gegründet Wie es den Meeren umher seine Gesetze verlieh. Feuilleton. Federweißer. Von Willy Weber. Nachdruck verboten. Merkwürdig, — welche Wandlung mit ihm vorgegangen Ivar. Daheim in seinem ostpreußischen Grenzstädtchen war er der „verschlossene Mensch", der Bücherwurm, der allzeit gestrenge Herr Professor. Und hier am Ufer der Mosel Es war ganz gescheit von mir, dachte er, daß ich die Herbst ferien zu einem Ausflug an die Ufer der Mosel benutzt habe, 's weht eine andere Luft hier, wie oben in preußisch Sibirien, 's ist ein ganz anderer Menschenschlag hier, ein lustiger, leicht lebiger, gar nicht zu vergleichen mit den phlegmatischen, be dächtigen Ostpreußen. Was war das doch für ein fröhliches Leben gewesen während der Tage der Weinlese! In den Wein bergen hatte es gewimmelt von fleißigen Menschen, das Städtchen war wie ausgestorben. Schüsse krachten, Mörser wurden abge feuert, bei Einbruch der Dunkelheit sprühten Raketen, zischten Feuerräder und glühten Buntfeuer. Der Jahrgang 1897 würde ein guter werden, hatte man ihm versichert, obgleich die Riesling traube nicht zur Reife gekommen war. Ueberhaupt diese Moselweine! Dieser „Bernkastler Doctor", von dem er eben den ersten Pokal geleert hatte, war wirklich eine Seelen- und Magenstärkung. Diese Blume, dieser zarte Geschmack, diese Wohlbckömmlichkeit! Er schenkte ein zweites Glas voll und hielt es prüfend gegen das Licht. Die Sonnen strahlen funkelten in der goldig grünen Flüssigkeit, er führte das Glas zum Munde und .... „Prost", kam es unwillkürlich über seine Lippen. „Prost", Herr Professor", antwortete vom Nebentisch eine Helle, klare Frauenstimme. Hastig setzte der Professor das Glas ab, der Schluck wäre ihm bald in der Kehle stecken geblieben. Er warf einen zürnenden Blick nach dem Nebentisch. Wie konnte man ihn denn in seinem Gedankenfluge stören! „Sie haben zu laut gedacht, Herr Professor", klang es wieder an sein Ohr. „Ich hätte sonst wirklich nicht gewagt . . ." Er rückte die Brille zurecht und sixirte die Sprecherin. Hm, — ein liebliches Kind, ein Moselblümchen. Haare blond, Augen blau, Nase und Kinn gewöhnlich, ohne besondere Kennzeichen . . . Dummheit, dachte da der Professor wieder, wie prosaisch hier inmitten all der Poesie, das klingt ja fast wie ein Steckbrief. „Der Herr Professor kennen mich nicht?" fragte sie von drüben wieder. „Nicht daß ich wüßte", gab der gedehnt zurück, — war doch sein Gedächtniß in Bezug auf das Wiedererkennen gleich Null. „Ich tonnte mir'» denken", lachte das „Moselblümchen", „und doch wohnen wir seit zwei Wochen vi,-L-vis . . . Adieu, Herr Professor!" Der blickte der Davoneilenden verblüfft nach. Was ihm doch in diesem Bernkastel schon alles passirt war! Bei der Ankunft hatte er den Koffer seines Nachbarn dem Gepäckträger übergeben, er war dann statt in das Hotel „Zur Sonne" in das „Zum Mond" gerathen, sein Mantel war bis Trier weiter gefahren, und gegen Abend hatte er den Hausdiener, das Stu benmädchen und zwei Kellner auf die Suche nach seiner Brille schicken müssen. Und merkwürdig! Zu Haus würde er sich über solche Sachen geärgert haben, — aber hier . . .? Er ver tiefte sich nochmals gründlich in seinen Pokal. Wer wohl die Dame gewesen sein mochte? „Gegenüber" wohnte er ihr, so lange er in dem Städtchen weilte. Pah, was hatte er sich um sein Gegenüber zu kümmern, wenn's sein mußte, würde er es im Hotel schon erfahren, mit wem er das Vergnügen gehabt hatte . . . „Drüben bei Klauß giebt's heut den ersten Federweißen", sagte ihm Mittags der Kellner, „'s soll was besonders Kräftiges sein, dieser 1897 er. So'ne Sorte, die's intus hat, ein Sauser erster Güte . . ." Der Professor warf einen prüfenden Blick auf das gegenüber liegende Haus. „Klauß, pract. Arzt", las er auf dem blanken Messingschild. „Eine unglaubliche Stadt", murmelte er, „hier schenken sogar die Aerzte Federweißen aus." Aber warum sollte das nicht möglich sein? Hier hatte ja Jeder seine Weingärten, also auch seinen Wein, und wahrscheinlich hatte der Arzt seinen Schank verpachtet. Gegen Abend schlenderte der Professor hinüber, um den Federweißen zu kosten. Er wunderte sich zuerst; das sah nicht aus wie in einem Wirthshaus. Dazu waren die Möbel zu kost bar, die Tapeten zu hell, die Gemälde zu echt. Aber da er die Stube schon gefüllt fand von einer winkenden, plaudernden und lachenden Gesellschaft, machte er sich's auch in einer Ecke ge- müthlich. Die Gäste schienen sich alle gut zu kennen, er hörte, daß sich die meisten duzten, den Wirth redete einer mit „Onkel" an. Nur daß man von seiner Anwesenheit so wenig Notz nahm, ärgerte ihn, er saß nun schon geraume Zeit da, ohne daß ihn Jemand nach seinen Wünschen gefragt hatte. Ein junges Mäd chen mit langen blonden Zöpfen kehrte ihm den Rücken und unterhielt sich lachend mit einem anderen Gast. Endlich riß ihm der Geduldsfaden. „Fräulein", rief er ärgerlich, „ich sitze schon eine Ewigkeit hier, es wird Zeit, daß Sie sich auch mal um mich kümmern, — Federweißen möcht ich!" Blitzschnell war die Blonde herumgefahren, so ein Grobian . . . Aber als sie den Professor sah, huschte ein fröhliches Lächeln über ihr frisches Gesicht, sie knixte artig und eilte in das Nebenzimmer, um das Bestellte zu holen. Der Professor hatte sie sofort wiedererkannt; es war fein „Moselblümchen" von gestern. Wie er sich doch geirrt hatte, gestern hatte er sie für eine veritabl« Dame gehalten und jetzt entpuppte sie sich als Kellnerin. Na, da brauchte er ja nicht jedes Wort auf die Goldwage zu legen. . . „Danke, Fräuleinchen", meinte er, als er seinen Federweißen erhalten hatte, „aber etwas mehr aufpassen müssen Sie schon, mir kommt's denn auch auf ein gutes Trinkgeld nicht an." Das Mädchen wurde über und über roth, sie schien eine an zügliche Bemerkung auf den Lippen zu haben, unterdrückte sie aber im letzten Augenblick und wandte sich an den Wirth. Diesem flüsterte sie was ins Ohr, er warf einen Blick auf den Professor, dann lachten Beide. Dieser hatte inzwischen den Federweißen gekostet; hm, — ein etwas sonderbarer Geschmack, nicht süß, nicht sauer, — er nahm noch einen kräftigen Zug, — ach, dies Zeug schmeckt eigentlich nach gar nichts. Das sollte ein „Sauser" sein? „Unsinn", brummte er, „gefärbtes Wasser, nichts weiter", — dann bestellte er einen neuen Schoppen Diesmal brachte ihn der Wirth selbst. „Wenn Ihre Kell nerin weniger mit den Gästen schäkerte und besser aufpaßte, könnte es nichts schaden", knurrte der Professor. „Sie würden außerdem bessere Geschäfte machen . . ." „Wie schmeckt Ihnen unser Federweißer?" unterbrach ihn der Wirth und lupfte mit komischer Grandezza das Käppchen, das sein weißes Haar bedeckte. „Ach", antwortete der Professor, „'ne schwache Nummer, so- was reißt kein Kind um." Dann that er wieder einen kräftigen Zug, dann noch einen. Er suchte nach seiner Cigarrentasche . . . natürlich im Mantel stecken lassen. Doch da stand ja eine ganze Kiste auf dem Tisch. Er langte zu alle Achtung, war das ein Kraut! So was gab's bei ihm ja nur an hohen Fest- und Feiertagen. Uebrigens war's ein bodenloser Leichtsinn, solch theure Cigarren ohne jede Controle den Gästen zur Ver fügung zu stellen. Sein Blick heftete sich auf eine Photographie, die drüben unter einem Oelgemälde hing. Das Gemälde, — das schien ihm ein echter Defregger zu sein, er kannte sich aus in diesem Genre. Und die Photographie, . . . nanu, das war doch sein „Mosel blümchen"! Ein reizendes Gesichtchen übrigens, — aber die Photographien von Kellnerinnen in dem Gastzimmer aus zuhängen, das fand er unpassend. Der Defregger aber schien plötzlich lebendig zu werden; die beiden Dirndl lachten ihn an, der zwischen ihnen sitzende Bua hob sein Glas mit rothem Tiroler Wein . . . „Prost", machte der Professor und kam dem Bua nach. Es schien ihm, als ob man drüben am Tisch die Köpfe zusammensteckte, man lachte, der Wirth schien eine heitere Ge schichte zum Besten zu geben. Der Professor nahm den alten Herrn nochmals unter seine Brille; auf der rechten Backe entdeckte er zwei „Schmisse". Na ja, ein verbummelter Student, der eS glücklich bis zum Weinküfer gebracht hatte. Aber dieser Feder weiße war wirklich nicht dazu angethan, den Ruhm des Wirthes zu verkünden, — „Zuckerwasscr, reines Zuckerwasser", murmelte der Professor und zündete eine frische Cigarre an aus der vor ihm stehenden „Upmann"-Kiste. Als er eben die ersten Rauch wölkchen vor sich hin blie», sah er sich die Wand gegenüber noch mals an. Nein, aber so waS: jetzt hing die Photographie oben, der Defregger unten! Im nächsten Augenblick schien es ihm, als ob zwei Photographien oben hingen und als ob der Bua ihm sein Glas ganz besonders herausfordernd entgegen halte. Die beiden Dirndln lachten höhnisch, — er hörte ganz deutlich ihr Gekicher. „Zu dumm", brummte er und stieg nochmals in seinen Federweißen, „wer weiß denn, ob dieser Defregger wirklich echt ist, vorhin hätte ich darauf gewettet, aber jetzt. . ." Er schob die Brille hoch und rückte sie wieder nieder. „Ich könnte ja mal nach den Initialen sehen, dann hätte ich's gleich heraus." Er stand schnell auf und nahm die Richtung nach den Bildern. „Oho", stammelte er, „das ist ja...", dabei setzte er ein Bein über das andere, — „'ne Art Zickzackkurs . . . Pardon, Ver zeihung!" ... er war eben mit einem der Herren zusammen gestoßen . . . „ich wollte nur den Defregger —", damit nahm er einen Stuhl, erklomm den mit großen Anstrengungen und wollte nun in der Ecke des Gemäldes nachsehen, — sapperlot, der Stuhl wankte nach rechts, der Professor beugte sich nach links . . . oho, da schwankte das Bild ihm entgegen . . ., der Bua wollte ihm das Glas an den Kopf werfen, ... er suchte nach der Lehne seines Stuhles, er fand sie nicht, griff hilflos in die Luft und — — kladderadatsch: Professor, Gemälde, Lampe, Tische, Stühle, Gläser, Federweißer — ein Chaos! * tfe Nächsten Mittag wurde Doctor Klauß an das „Krankenbett" des Professors gerufen. Es mußte da eine sehr eingehende Consultation statgefunden haben, der Kellner mußte Selters, Thee, Hühnersuppe, Lachsbrödchen, Roastbeef, Rothwein bringen. Einige Stunden später war der „Kranke" wieder gesund. Er unternahm seinen ersten Ausflug hinüber zum Doctor. Hier mußten sich die Confultationen wiederholt haben, — Mißver ständniß, Abbitten, nicht wieder thun, der Federweiße, ganz confus gewesen, hatte Wirthshaus vermuthet . . . Dann er folgte eine gründliche Aussprache, die „Kellnerin" wurde herein gerufen, die that schämig, verschüchtert . . . „Sie müssen schon entschuldigen, gnädiges Fräulein", bat der Professor, „aber wirklich, — wenn ich gewußt hätte, daß der Federweiße ein so tückischer Gesell sei . . ." Er ergriff ihre Hand und drückte, — was er plötzlich für Courage hatte! — einen Kuß darauf. Und das gnädige Fräulein entzog ihm ihre Hand nicht, das war wohl auch eine Wirkung des Federweißen? Dabei blieb sie stumm wie ein Fisch, eine Blutwelle war ihr ins Gesicht gestiegen. Da nahm er auch ihre andere Hand. Die hätte er eigentlich auch küssen müssen, er wollte sich niederbeuoen, als er noch einen Blick in die blauen Augen des holden Müschens tauchte. Er mußte in diesem etwas Ermuthigendes, etwas Glückseliges gesehen haben. Er löste ihre Hände, breitete die Arme aus, das „Moselblümchen" lehnte in hingebender Haltung an seiner Schulter. „Welch ein Glück", jubelte er auf, „ja, es ist was Herrliches um mein „Moselblümchen", das ich dem tückischen Gesellen ver danke, dem hinreißenden, überschäumenden „Federweißen".
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite