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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.11.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-11-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971119014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897111901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897111901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-11
- Tag1897-11-19
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Reklamen unter dem Redacüonsstrich (4ge» spalten) vor den I-amiliennachrichten (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Pceis- verzeichniß. Tabellarischer und Ztsfernfatz nach höherein Tarif. <-rtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung ,/t 60.—, mit Postbesörderung ./t 70.—. —— Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stund« früher. Anreisen siad stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Sl. Jahrgang. Wahlrechtsänderungen. 6. Parka, 16. November. „WaS die Mehrzahl der Deputirten anlangt, so haben sie aus den Winkeln ihrer Provinz entweder den halsstarrigen Stumpfsinn des Krautjunkers oder die Mittelmäßigkeit des Ministerialbcamten niedrigster Ordnung mitgebracht; eine Unzahl gemeiner Gewohnheiten, die Umgangsformen des Bezirksbauptorte», die Dummheiten der Kleinstadt, die Schwerfälligkeit des Bauern, das fette Lächeln des Handlungs reisenden, die Plattheit und den Dünkel des kleinen Beamten, die Geriebenheit des KneipwirtheS, die ganze Ruppigkeit der Parvenüs des niederen Bürgerstandes." Dieses liebliche Bild hat vor Kurzem in der „Revue te Paris" ein Mann entworfen, der selbst früher Ab geordneter war, seine Leute also kennen muß. Traurig, aber wahr! müssen die Einsichtsvollen zugestehen. In der That ist der Stand der Abgeordneten so herunter gekommen, daß es in den Augen mancher Leute geradezu ein Makel ist, Erwählter des Bolkes zu sein. Und so sinnen die, denen das Wohl ihres Landes wirklich am Herzen liegt, schon seit Langem darüber nach, wie dem Uebelstande abzuhelfen ist. Die Sache ist auch wirklich nicht so einfach. Tie Güte der Erwählten hängt doch natürlich von der Güte der Wähler ab. Jede Einschränkung des Wahlrechtes aber würde in -Frankreich sofort zur Revolution führen, ist also ausgeschlossen. Biele versprechen sich von der Verminderung der Zahl der Abgeordneten Großes. Sie meinen wohl, daß beim Durchsieben die schlechten Elemente hängen bleiben würden, oder aber wenigstens, daß dreihundert Abgeordnete nur halb so viel Lärm macken und halb so viel Unsinn reden würden wie sechshundert. Wer weiß, ob sie sich nickt täuschen! Ueberdies hätte ein derartiger Antrag nicht die mindeste Aus sicht, angenommen zu werden. Denn wenn es auch wobt ab und zu vorkommt, daß ein Abgeordneter der Sache über drüssig wird, weitaus die größte Anzahl klammert sich an das Mandat, daS außer leidlicher Bezahlung den schönen Aufenthalt in der Hauptstadt, freie Benutzung der Eisen bahnen und noch so manche Annehmlichkeit mit sich bringt und überdies der lieben Eitelkeit so schmeichelt. In den letzten Tagen sind nun auch aus der Kammer selbst Vorschläge zur Aenderung des Wahlmotus hervor gegangen. Allein hier sind die Beweggründe ganz anderer Art. Bekanntlich stehen die Neuwahlen nahe bevor. Daß vorher das Ministerium nicht mehr gestürzt werden kann, gilt als ausgemacht. Die Oppositionellen haben deshalb kein Interesse mebr an den Verhandlungen, sondern harren sehn süchtig des TageS, wo sie sich an der Wahlagitation belheiligen rönnen. Nun fürchten sie aber, daß die Regierung bei den Wahlen eine noch stärkere Majorität bekommen wird als sie jetzt schon hat, und so strengen sie sich an, ihr für die Cam pagne wenigstens nock einige Hindernisse in den Weg zu legen. Natürlich müßten sie dann, wenn sie mit Hilfe der neuen Bestimmungen ans Ruder kämen, riese schleunigst wieder abzuschaffen suchen. Aber das macht nichts. Die beiden obersten Maximen jeder Opposition in Frankreich sind nun einmal die: Tbue alles das, was Dir selbst recht unangenehm wäre, wenn Du die Macht in den Händen hättest, und: Stimme gegen alles das, was Dir höchst erwünscht wäre, wenn Du selbst am Ruder säßest. Der wichtigste Antrag ging von dem Radikalen Goblet aus und betraf die Wiedereinführung des 8crutin clrz lists, der Listenwahl; das bedeutet, daß, wahrend jetzt jedes Arron dissement seinen Abgeordneten für sich wählt, in Zukunft für das ganze Departement Candidatenlisten ausgestellt werden sollen. Angeblich soll dadurch die Kirckthurmspolitik ver hütet werden. In Wirklichkeit ist der Lcrutin cle liste ein für die Opposition sehr günstiger Wahlmodus; er gewährt allen Schiebereien, Schachergeschäften und unmoralischen Wahlbündnissen freien Spielraum. Natürlich. Nehmen wir an, eS aiebt in jedem Bezirke eines Departements kleine monarchistische Minderheiten, so werden diese sich schwer be wegen lassen, für einen Radikalen oder Socialisten zu stimmen. Ganz anders, wenn die radical-socialistische Oppost- tion allen diesen Monarchisten zusammen einen von den sechs oder acht Plätzen ihre Liste einräumt. Unter diesen Um ständen war es zu verwundern, daß nur ein Theil der Oppo sition sich für den Antrag Goblet erwärmte. Allerdings wurde eine Commission zu seiner Prüfung eingesetzt, aber in diese Commission der Antragsteller selbst nicht einmal hineingewäblt. Andere Anträge gehen dabin, strenge Maßregeln gegen die officiellen Candidaturen zu treffen. Dagegen wäre einzuwenden, daß eS ja gar keine officiellen Can didaturen mebr giebt. Unter dem „infamen Kaiserreich" freilich gab es welche. DaS hindert aber nicht, daß die jetzigen officiösen Candidaturen ebenso schlimm sind wie die damaligen officiellen. Denn wenn ihnen auch nicht mebr das alleinige Recht zusteht, ihre Aufrufe an den öffentlichen Gebäuden anzuschlagen, so wird der ganze Beamtenapparat, vom Präfecten bis zum Straßenreiniger doch genau noch so zu ihren Gunsten in Bewegung gesetzt wie damals, und die Zahl der Beamten hat sich seitdem nicht vermindert, sondern ganz erheblich vermehrt. Wehe dem Wahlkreise, der eine Zweigeisenbahn, eine neue Straße oder dergleichen haben möchte und nicht den Candidaten der Regierung wählt! Die Regierung, deren Bestand ja von dem Ausfälle der Wahlen abbängt, wäre auch tböricht, wenn sie nicht alle Hebel für sich in Bewegung setzte. Auch von der Majorität sind übrigens Abänderungs vorschläge ausgegangen. Besondere Beachtung verdient unter ihnen der Antrag Martinon, weil er vom „Journal des Dsbats" und anderen einflußreichen Blättern warm befürwortet und, wie man sagt, auch von der Regierung unterstützt wird. Bis jetzt wählen die Arrondissements bis zu 100 000 Einwohnern einen Deputirten, die von 100 000 bis 200 000 zwei u. s. w. Herr Martinen findet daS ungerecht. Es kommt nicht auf die Zahl der Einwohner, unter die ja auch die Fremden mitgerecknet werden, an, so meint er, sondern auf die Zahl der Wähler. Man sollte denken, daß diese kleine Ungerechtigkeit gar nicht in Betracht kommen könnte gegenüber der viel größeren, daß 100 000 Einwohner einen Deputirten, 100 001 aber zwei wäblen. Allein die Haupt sache ist das Resultat. Man hat nämlich ausgerechnet, daß, wenn man 27 000 Wähler statt 100 000 Einwohner als Basis nähme, die Städte 17 Abgeordnete verlieren, das platte Land deren 19 gewinnen würde, oder mit anderen Worten, daß, da die Städte oppositionell, daS Land aber natürlich für den „Gemüsemann" Meline stimmen würde, die Regierung ein Plus von 36 Stimmen erzielen würde. O weiser Gesetzgeber, weiser Martinen! Allein — esgiebtschleckteMenschen. Einsolcher bat gestern berausgefunden, daß der Antrag weniger auf das Wobl der Regierung als aus — Herrn Martinen zuge schnitten ist. Dieser ist nämlich einer der beiden Vertreter des Arrondissements von Aubuffon, das 1894 nock über 100 000 Einwohner zählte, jetzt aber unter diese Ziffer ge sunken ist. Einer der beiden Herren müßte also dem Parlamente Valet sagen und das würde, da sein College ebenso reich wie angesehen ist, eben Herr Martinon fein. Dagegen bat das Arrondissement 27 000 und noch einige Dutzend Wähler. Wer weiß, ob diese Entdeckung dem vor trefflichen Anträge nicht empfindlich schaden wird. Es kommen manchmal merkwürdige Sachen zum Vorschein, wenn man den Dingen auf den Grund geht. Deutsches Reich. * Leipzig, 18. November. Im neuesten Heft seines „Jahr buchs für Gesetzgebung, Verwaltung und Vollswirthschaft" be spricht Professor vr. G. Sch moller die Biographie „Kaiser Wilhelm I." von Erich Marcks. Wir lesen in der Recension u. A. Folgendes: „Sein (Marcks') Augen merk ist auf ein Doppeltes gerichtet: er will die Wechsel wirkung zwischen den großen sichtbaren Vorgängen des na tionalen Lebens und der Entwickelung der Persönlichkeit schildern und er versucht Jahr für Jahr, Jahrzehnt für Jahrzehnt durch eine äußerst geschickte und glückliche Verwerthung des Ma terials gleichsam das Seelenleben des edlen Fürsten zu analysiren und zu fixiren. Letzteres ist die eigentlichste Aufgabe des Bio graphen. Hier liegt der Hauptwerth und die Bedeutung des Buches. Ich möchte sagen, man ist Seite für Seite bei der Lectüre erstaunt, wie viel der Autor aus dem uns Anderen ja auch be kannten Material zu machen gewußt hat. Das Portrait, das er malt, nimmt sich neben den vielen anderen, die wir haben, etwa aus wie ein Lenbach neben denen der übrigen Maler. Man dürfte dabei kaum sagen, Marcks verfolge die entgegengesetzte Tendenz gegenüber der jetzt vielfach hervorgetretenen Richtung, den Kaiser zu einem politisch-militairischen Heroen und Ueber- menschen zu stempeln. Gewiß ist er ganz frei von der Verherr lichung Wilhelms durch die Bismarckverkleinerer. Er ist viel leicht eher geneigt, Bismarck als den Kaiser zu überschätzen. Aber ich möchte doch fast jedes Wort, was er über diesen sagt, unter schreiben, und ich gebe ihm ganz Recht, daß diese Art, überall zu zeigen, was der Kaiser gewollt, wie er gezaudert, wie er sich selbst überwunden hat, keineswegs seiner Größe, noch weniger seinem edlen Charakter irgend welchen Eintrag thut. Marcks zeigt ihn überall als den Werdenden, als den bis in sein höchstes Greisen alter sich Umbildenden, der doch immer er selbst blieb, und durch das Schwergewicht seines gerechten, vorsichtigen und doch muth- vollen, festen Charakters zuletzt Alles entschied... Der Faden, an dem sich Alles aufreiht, ist der Gedanke, daß in dem Prinzen Wilhelm sich, gleichsam verkörpert, alle Tendenzen, alle Stärke und alle Einseitigkeit des preußischen Militairstaates zusammen finden, daß dieser Prinz dann als Thronerbe, Regent, König und Kaiser in sich selbst die ungeheure weltgeschichtliche Wandlung vom absoluten in den konstitutionellen Staat, vom Preußenthum zum Deutschthum, von der Romantik durch den Liberalismus hindurch zur Realpolitik, vom manchesterlichen Freihandel zum Schutzzoll und zur Socialpolitik vollziehen mußte und Dank seines eigenthümlichen Wesens vollziehen konnte. Er erscheint so bei Marcks als der Mikrokosmos seines Volkes, als das Wahrzeichen seiner Größe. Allerdings aber, fügt Marcks bei, wäre er der Riesenaufgabe unterlegen, wenn er nicht den Feuergeist und die Riesenkraft Bismarcks gefunden, sich ihr von 1862 an anvertraut hätte. Das Verhältnis der Beiden zu einander ist psychologisch in dieser Ausführlichkeit und Offenheit wohl noch nirgends bisher so geschildert worden. Ich lasse dahingestellt, ob Marcks hier schon das letzte Wort gesprochen hat. Es werden künftig noch viele andere Auffassungen zu Tage treten. Der Alte im Sachsen wald wird ja selbst der Welt erzählen, wie sein Derhältniß zum Kaiser war. Im Ganzen glaube ich aber, wird die Auffassung von Marcks sich behaupten, wenn sie auch im Einzelnen mannig fach modificirt werden wird. Jedenfalls hat seine Darstellung den großen Vorzug, daß man aus seiner Schilderung der beiden Charaktere heraus dm nothwendigen Gegensatz und die steten Reibungen versteht. Ich möchte sagen, die beiden großen Männer gewinnen nur, wenn man sieht, wie schwer es ihnen immer wieder wurde, Hand in Hand zu gehen. Man sieht, wie nöthig Jeder den Andern hatte, wie heilsam ihre gegenseitige Einwirkung auf einander dem Vaterlande war. Es wird für alle Zeiten eines der schönsten Schauspiele und eines der interessantesten historischen Probleme bleiben, wie die Beiden gemeinsam Deutschland wieder aufgerichtet haben. Der Eine meisterte den Andern durch seine Willensstärke und seine scharfe Weltkenntnih, dieser ihn aber ebenso sehr durch seine königliche Güte und Gerechtigkeit, durch seine Umbildungsfähigkeit und seine Treue gegen sich selbst und seinen Staat." x. Berlin, 18. November. Der wirthsckaftliche Aus schuß zur Vorbercilung handelspolitischer Maßnahmen wird, kaum daß er zusammeagetrcten ist, von der »Freisinnigen Zeitung" auf das Heftigste angegriffen. DaS Blatt be hauptet, daß der Ausschuß einseitig die Interessen des Schutz zolles wahrnehmen werde. Gegen eine derartige Einseitig keit spricht doch aber, daß in dem Ausschuss« der Großhandel ebenso stark vertrete» ist, wie die Industrie und die Landwirthschaft! Den Geh. Commerzienrätben Frentzel und Herz in Berlin wird wohl Nicmaud nach sagen können, daß sie die Interessen der Agrarier wahr nehmen. Nach der Liste der Mitglieder des Ausschuss«» muß man vielmehr annehmen, daß die Regierung kein anderes Interesse gehabt hat, als dasjenige, wirtlich sachverständige Männer auS dem praktischen Leben zu gewinnen. Daß die land- wirthschastlicken Interessen nicht einseitig in den Vordergrund ge stellt werden sollen, ergiebt sich auch daraus, daß die laudwirth- schaslUchen Fragen in nur einer von den 6 Fachcommissionen zur Untersuchung gelangen sollen, während 3 Commissionen der Industrie Vorbehalten sind. Die »Freisinnige Zeitung" beklagt sich nun freilich varüber, daß dvc Interessen der Con- sumenten durch die Zusammensetzung des Ausschusses nicht genügend berücksichtigt würden, während doch das Cou- sumenieninteresse in Wahrheit das Interrffe der Gesammtbeil repräsentier. Dieser Satz ist in einem Lande wie Deutsch land, wo der größte Tbeil der Bevölkerung prorucirt, grulid- salsch. Schließlich sollte sich die „Freisinnige Zeitung" auch dabei beruhigen, daß dieser Ausschuß nickt dazu da ist, Gesetze zu geben, sondern nur dazu, die Regierung zu be- rathen. Es kommt also nickt daraus an, mit wre vielen Stimmen jede Richtung im Ausschüsse vertreten ist, sondern darauf, daß sie überhaupt vertreten ist, und daß sie zu Worte kommen kann. Nun hat ja selbst die „Freisinnige Zeitung" herausgefunden, daß in dem Ausschüsse 3 bis 4 Mitglieder Freihändler sind. Selbst wenn es thatsächlick nicht mehr sein sollten, so werden doch diese Männer ebenso gut ihren Mund aufthun können, wie Graf Kanitz, Graf Schwerin und Herr von Plötz. Es liegt vor der Hand durchaus kein Grund vor, dem Ausschüsse mit Mißtrauen zu begegnen: Die Re gierung hätte freilich thun können, was sie wollte, sie hätte doch nicht den Beifall des Herrn Richter gesunden, höchstens dann, wenn sie nur die Abgeordneten der sreisimngcri Volks partei in den Ausschuß berufen hätte. * Vertin, 18. November. In der „Freisinnigen Zeitung" wird zur Bekämpfung einer Verstärkung der Flotte die Behauptung aufgestellt, daß an dem in dem Indienst- haltungsplane von 1892 93 nachgewiesenen Gesamml- bedarf von 841 Seeofsicieren nock immer 11« fehlten, obwohl die für die Vermehrung des OfficicrcorpS in Aus sicht genommene fünfjährige Periode inzwischen abgelaufen sei, und daß wegen Mangel« an Officrersaspiranten auch die damals als erforderlich erachtete Zahl von Osficieren nicht beschafft werden könne. Tie „Bcrl. Pol. 1)2." entgegnen hierauf: „Ter Bedarf von 841 Seeofsicieren bezieht sich zu nächst nicht, wie aus jener Darstellung geschloffen werden könnte, auf den Friedcnsbedarf, sondern auf den Bedarf für den Fall eines Krieges. Der Friedcnsbedarf wurde damals ans 742 Officiere beziffert. Diese Zahl ist aber bereits über schritten; statt der dazu erforderlichen 1L7 neuen Stellen sind 17L auf den Etat gebracht. Auch ist es nickt richtig, daß 1892,93 die Ausfüllung der Lücken des Bedarf« an Seeofsicieren auf den Kriegsfall für einen fünfjährigen Zeitraum in Aussicht genommen worden sei. Vielmehr ist ausdrücklich angegeben worden, daß erst mir Beginn des EtatSjahres 1902,03 ter Bedarf ungefähr werde gedeckt Um die Erde. Rrisebriese von Paul Lindenberg. Nachdruck virbstrn. V. Nach Ober-Egypten. — Schlimme Fahrt. — Auf dem Nil. — Abend st immun g. — Liebens würdige Reisegefährten. — In Luxor. — TempelruinenundKönigsgräber. — Deutscher Bierabend. I. Auf dem Nil, an Bord der „Cleopatra", 31. Oct ober. „Die bange Nacht ist nun herum" — und, Gott sei Dank, wir schwimmen wieder auf dem Wasser, auf den Fluthen des heiligen Nil, der aber, wenn man mit Heiligkeit gleichzeitig Reinheit verbindet, augenblicklich nicht seinen Ruf rechtfertigen kann, denn gelb und schmudelig sind seine Fluthen, die in breitem Bette dahinströmen, und einer besonderen Erinnerung an den kategorischen Imperativ bedurfte es, um in das Nilbad zu steigen, welches ich mir, kaum daß wir den zierlichen Cook- schen Dampfer „Cleopatra" betraten, sogleich hatte bereiten lassen. Aber es war doch wenigstens ein nasses und kühles Element und wirkte erquickend nach der „bangen" Nacht, jenen zwölf Stunden, die wir von Kairo bis Nag-Hamadi, dem vorläufigen Endpunkte der oberegyptischen Eisenbahn, in letzterer zugebracht. Staub und Staub und wieder Staub, von der Wüste herein geweht durch sämmtliche Fugen, Ritzen, Löcher; die Fenster und hölzernen Roll-Jalousien geschloffen, in dem engen Raum, den wir Zwei glücklicher Weise allein theilten, eine Backofen- Temperatur, die Einen fast ersticken machte, und nun noch dazu in Decken eingehllllt wie eine Mumie, damit einem nicht der zermürbende, feine, kein Hinderniß kennende Sand sämmtliche Poren ausfüllte! Aber wie in jeder Wüste, auch hier eine Oase: zwei uns von unserem umsichtigen Herbergsvater August in Kairo mitgegebene Flaschen Wein, deren Gegluckst oben in den Gepäcknetzen uns gelegentlich aus unserem Sahara-Dasein auf rüttelte und dem verzagenden inneren Menschen einen kleinen Hoffnungsstrahl zukommen ließ, daß seine völlige Ausmergelung und Mumifizirung noch nicht endgiltig beschlossen sei! „Luft, Clavigo, Luft, Luft!" Und der bange Ruf fand Er füllung! Von Staub keine Spur mehr, trotz der 26 Grad Rvau- mur nicht jene drückende Hitze der Nacht, ein frischer Wind um fächelt uns, und der machtvolle Strom umplätschert den Bug unseres flott und sicher gehenden kleinen Dampfers mit wohl- thuendem Rauschen, nach Luxor hin ist das Steuer gerichtet, nach der Stätte des hundertthorigen Theben. Eine köstliche Fahrt, den Nil hinauf. Im bequemen Faullen zer sitzt man auf dem Verdeck, oder, wie der Verfasser dieses, an der zum Schreibtische umfrisirten Waschtoilette seiner Cabine, deren Thür und Fenster geöffnet sind und den Blick auf die bunt farbig, mannigfaltigen Landschaftsbilder ermöglichen, an denen wir ganz nahe, kaum vierzig Meter vom linken Ufer entfernt, vorübergleiten. Welch' reizvoll-fesselnde Scenerieen, welch fremdartig-selt same Gemälde, von denen man jedes und jede in seiner vollen Eigenart und seinem stimmungsvollen Reiz festhalten möchte, so neu und anziehend und tiefgehend ist die Wirkung. Hier weite Haine der Dattelpalmen, die so kokett hoch oben auf den schlanken Stämmen ihre zierlichen Häupter tragen, dann dichte Gebüsche der gleich über dem Erdboden ihre breitgezackten Blätter ausbrei- tenden Fächerpalmen, und ,je weiter wir kommen, desto zahlreicher die DOm-Palmen, sich gabelförmig von ihren Stämmen abzwei- aend. Unter den Palmen aber, zu denen sich noch die schatten spendenden, weitkronigen Sykomoren gesellen, jene einst die Tem pel der alten Egypter umgebenden geheilgten Bäume, kleine Fellachendörfer mit erbärmlichen, au» grauem Nilschlamm zu sammengepappten Hütten, dann wieder von den hellgelben Berg zügen des arabischen Gebirge» nahe begrenzte grüne Wiesen mit Düffel- und Schafheerden und einzelnen verstreuten Palmen wäldchen, und nun dicht bis zum Ufer reichende Mais- und Zucker rohr-Felder mit drei bis vier Meter hohen Stauden, denn der Nährvater Nil tritt ja langsam gegenwärtig von seinem Ueber- schwemmungsgebiet zurück und hinterläßt als unschätzbare Erb schaft seine lebenspendende Feuchtigkeit, aus der es überall herauf sproßt und wächst und gedeiht in erstaunlicher Fruchtbarkeit. Redlich hilft ihr aber der Mensch nach und sorgt für die kommende trockene Zeit. Ueberall an den Ufern sind Schöpfbrun nen aufgestellt, und in an Schwebebalken hängenden Eimern wird von den Fellachen, den egyptischen Bauern, das Wasser aus dem Flusse in ein zu ihren Häuptern befindliches kleines Bassin ge schwungen, von dem es in gleicher Weise von anderen Fellachen in ein zweites, oft in ein drittes und viertes Bassin befördert wird, von welchem aus man es in kleinen Kanälen auf die von schmalen Rinnen durchfurchten Felder leitet. Eine mühselige Arbeit für- wahr; nur mit einem Schurz bekleidet stehen die braunen Ge sellen in der Sonnengluth da und automatenhaft schwingen die sehnigen Arme die schwere Last empor, Stunde um Stunde, Tag um Tag, Woche um Woche, mit kleinen Ruhepausen nur, denn Vater Nil ist diesmal nicht allzu freigebig mit seinen Fluthen gewesen, und es gilt unermüdlich thätig sein, will man den höher gelegenen Boden durchtränken mit dem kostbaren Naß. An den Uferrändern können wir bemerken, wie daS Wasser bereits zurücktritt, schon tauchen auch mitten im Flusse einzelne Sandbänke auf, lange Ketten von Reihern stehen an ihren Rän dern, der Fischlein harrend, und dort jenes schmale Inselchen schimmert vollkommen weiß herüber — von Hunderten von Peli kanen ist es besetzt, die philosophisch dahocken und nur gelegentlich mit dem breiten Schnabel auf den Jnsektenfang am eigenen Körper gehen. Auf dem Strom herrscht reges Leben, kleinere und größere Barken kommen den Nil herauf und herunter, die mächtigen Segel sind von der frischen Brise geschwellt, hin und wieder helfen fleißige Ruderer noch nach; dieser Kahn scheint die Insassen und Insassinnen eines ganzes Dorfes zu bergen, so dicht zusammen gepreßt sind Männlein und Weiblein, meist in schwarzen und weißen faltenreich«n Gewandungen, jener ist mit Zuckerrohr be laden, ein anderer mit Waaren aller Art, ein vierter mit Schilf und Gras und ein fünfter mit gepreßten Datteln, auf denen die Fährleute ihren Sitz aufgeschlagen haben. Schrill ertönt nun wieder unsere Dampfpseife, und hinüber steuerte unsere „Cleopatra" zu einer jener kleinen Stationen, die wir gelegentlich berühren. Vielfach waren es früher weitbrrübmtc und volkreiche Orte, Tausende und Hunderttausend« pilgerten jährlich einst hierher, um den Göttern zu opfern und den Fürsten zu huldigen, hochragende Tempel und prächtige Paläste erhoben sich auf weitem Gebiet, und gewaltige Krirgszüge wurden von hier aus unternommen — heute aber sind e» elende Nester, eins dem andern gleichend, durch das stumpfe Grau ihrer Gebäude — wenn man den Ausdruck überhaupt gebrauchen darf — nur die herrliche Frische der Palmen und deren Schönheit noch mehr hervortreten lassend. An den Dampfer-Anlegestellen ist stets viel Volt ver sammelt mit einer Fülle malerischer Gestalten; vom lichten Braun bis zum tiefsten Schwarz sind alle Hautfarben vorhanden, Män ner, Frauen und Kinder in buntem Gewnrr, die ersteren ver mummt bis auf die Augen mit der vergoldeten Gebetsrolle auf der Stirn, die letzteren oft in paradiesischen Costüm. Manche steigen ein und vermehren noch das volkreiche Durcheinander im unteren Deck, Andere erwarten Bekannte oder bringen Postsachen an Bord, denn unser Dampfer führt den rothen Wimpel mit den Buchstaben „Postes" darauf, wieder Andere drängen fick lär mend und gestikulirend auf die schmale Brücke und bekommen gelegentlich von den in grauem Drillich uniformirten Polizisten, unter denen sich viele Neger befinden, mit Rohrstöcken und Kantschuen die schallendsten Prügel (was aber wenig hilft), die Mehrzahl hockt in inniger Vereinigung mit den Kameclen und Eseln an den Böschungen und schaut dem Ganzen mit Pelikan artiger Ruhe zu. Ganz herrlich die Abendstimmung! Auf dem Strom ist's leer geworden, denn wegen der schnell hereinbrechendcn Dunkel heit und der mancherlei dann nicht zu erkennenden Untiefen sind die Barken vor Anker gegangen, nur einige Fischer schwimmen nahe dem Strande in den trüben Fluthen gegen den Strom dahin und ziehen ihre Netze hinter sich her; in singenden Klagetönen schallen von einem wackeligen Thurme einer kleinen Moschee die Gebete des Muezzims herüber und von oben herab dringt eines vereinsamten Falken scharfer Schrei. Don rosigem Gelb beleuchtet sind die sich in einiger Entfernung der Ufer erstreckenden Felszüge, die aber, je tiefer die Sonne dort hinter den Palmenwaldungen versinkt, ein violettere Färbung annehmen, während der westliche Himmel von schnell sich auSbreitendcm zarten Gold überzogen wird, das mit seinen duftigen Wölkckcn ack, nur so rasch wieder verschwindet. Und zu dem tiefen Frieden und der Einsamkeit weithin paßt daS Rauschen de» Stromes, passen die Erinnerun gen einer vergangenen großen Zeit, von der uns dort die Gebirge
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