Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.11.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-11-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971124024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897112402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897112402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-11
- Tag1897-11-24
- Monat1897-11
- Jahr1897
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezugS-PrelS M -» «tz«r »« 1» Ottbt« bstztek «d b« Hör«»» «rtchtet« «o»- ««steklra vierlrljichrttch^>4^0, kt M^ralia« ti-Ucher »»stell»»» H» HaLs ^i ÜLO. Dsra dt« Post be-oae» für D«ckschl«uld uvd Lxsterrrich: vierteuabrlich -.-. Dir««« ta-liche -reuzbiwbskuduog AB Na»l«ld: morratUch 7-üY. DK Morgen-Ausgabe erscheint «« '/,7 Uhr. dtt Ubend-AuDgob« Wochentag» um b Uhr, Filiale«: Dtt» Ole«»'» Lerlt«. (AlfreV Hast»), «»tversitütrstrahe 8 lPa»lt»mn), L-nt» Lösche, Oecherinenstr. 14, »art. und O»»ig»pl«ch 7. Ne-actis« ««- Erve-Ma«: Aohanne-gasse 8. DirEx-rditioll ist Wocheatag» ,mmt«ö«che» «Sfftiel vvu früh S bt» »end» 7 Uhr. Abend-Ausgabe. WpMcr TaMM Anzeiger. Ämlsölatl des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Anthes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigeu-PreiS . -i» S-espaUe« Petcheüe U N«cl»««» unter do» Redactu»a»st«ch G»» spalten) bO/^, vor h«a Aamüteaaacheicht» Ggespalt«») 40 < >. Extra-vcilage« (gefalzt), «ar «it h« Morgen-Ausgabe, oha« Postdesörderaeu L.-. mrt Postbesürderung 7V.-. AunahMschl«- fir Anzeizea: Abead-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Lei den Filiale» und Aauahmestelle» je ein« halbe Stund« froher. Arteigen stad stet» a» die Gxpeöttie» zu richte». Druck und Verlag von <k. Polz 1» Leipzig 8V0. Mittlvoch den 24. November 1897. 91. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 24. November. Auf dem am Sonntag abgehaltenen Parteitage der freisinnigenBolkSpartei für die Herzogthümer Coburg und Meiningen hat der Abgeordnete Richter als officielle Wahlparole aller „constitutionellen" Parteien den ,Jampf wider den Absolutismus" ausgegeben. Er hat damit der Parole des letzten SommerS „Kampf gegen die Marine forderungen" eine andere und, wie nicht verkannt werden darf, geschickter gewählte Form gegeben, denn es ist ihm dadurch ermöglicht, erstens die Kampflinie zu erweitern, und zweitens der Bekämpfung der Regierung einen etwas idealeren Anstrich zu geben. Herr Richter scheint eingesehen zu haben, daß mit einer Parole, die lediglich auf die Gclvsackinteressen speculirt, die deutsche Bevölkerung doch nicht so leicht einzu fangen ist. Ihm kommt darum das Auftauchen des Gedankens an ein „Marineseptennat" gelegen, um neben der Sorge LeS Wählers vor Angriffen auf seinen Geldbeutel auch noch die Furcht vor absolutistischen Regungen und Neigungen zu erwecken. Es braucht nicht erst gesagt zu werden, daß damit der Kampf eine starke persönliche Spitze gegen den Kaiser erhält. Gerade darum ist die Wahlparole aus zwei Gründen gefährlich; einmal nämlich, weil der monarchische Gedanke darunter leidet, wenn die Persönlichkeit des Kaisers in den Wahlkampf gezerrt wird, und zweitens weil die Ricbter'sche Spekulation auf gewisse Mißstimmungen im Bolke vielleicht nicht ganz unrichtig ist. Wenn Herr Richter und seine An hänger den Plan des „Marineseptennats" nicht auf einen Wunsch der verbündeten Regierungen, sondern auf angebliche absolutistische Neigungen des Reichsoberhauptes zurückzusühren suchen, so werden sie nicht verfehlen, dafür mancherlei Thatsachen anzuführen, die ihrerzeit verstimmend gewirkt haben und an scheinend dieRichtigkeitderfortschrittlichen Auffassung bekräftigen. Sie werden gewisse Aussprüche des Kaisers, wie: „Lio volo, sic jubeo", „Lupremu lex roxi? voiuutas" über die „Hand langer" u. s. w. bis zu der Cvdlenzer Rede zusammenstellen, um dem Volke die Meinung beizubringen, daß der Kaiser das Marineseptennat nicht nur wünsche, um auf eine Reihe von Jahren hinaus eine planmäßige Verstärkung der Flotte sicher zu stellen, sondern auch um seine Macht zu crweirern und die des Parlaments herabzudrückea. Im Anschlüsse daran werden sie natürlich weiter behaupten, daß dies nur ein Anfang sei und daß das EtatSrecht der Volksvertretung systematisch verkürzt werden solle, um dadurch den Absolunsmus in Deutschland, wenn auch nicht der Form, so doch dem Wesen nach zur Einführung zu bringen. Zweifellos liegt in solchen Aus führungen allermindestens eine grobe Uebertreibnng, aber es kommt bei allgemeinen Wahlen nicht so sehr darauf an, daß eine Behauptung richtig sei, als vielmehr darauf, ob sie Denen, die gewonnen werden sollen, plausibel gemacht werden kann. Es hieße deshalb, den Kopf in den Sand stecken, wenn man sich verhehlen wollte, daß die Wahlparole der Fortschrittspartei „Wider denAbsolitismus"sehr viel geschickter gewählt ist, als die ursprüngliche Wahlparole „gegen die Marineforderungen". Es unterliegt auch keinem Zweifel, daß das Cent rum die Parole mit Begeisterung aufnehmen wird. Denn es ist klar, daß eS noch mehr als zeve andere Partei ein Interesse daran hat, gerade gegen das Marineseptennat Front zu machen. Denn durch ein solches würde ja den Klerikalen die Gelegen heit genommen werden, in jedem Jahre daS Gewicht ihrer Stimmen in die Waagschale zu werfen und so ihre Macht der Regierung fühlbar zu machen. Mit der neuen Wahlparole hat also die Fortschrittspartei eine sichere Brücke zu einem festen Bündniß mit dem Cenlrum und den Polen gefunden. Es erzieht sich hieraus, daß es ein taktischer Fehler der Reichsregierung sein würbe, vor den jetzigen Reichstag mit der Forderung eines Marineseptennats zu treten und in dem gar nicht zweifelhaften Falle der Ab lehnung daS Marineseptennat zur Wahlparole bei den Neu wahlen zu machen. Durch eine solche Wahlparole würde man der von Herrn Richter ausgegebenen nur eine größere Zugkraft sichern. Aufgabe der Ncichsregierung ist es vielmehr, den Fortschrittlern Alles zu entziehen, was die Wirkung ihres Schlagwortes erhöhen könnte. Die „Nordd. Allgeni. Ztg." versichert zwar heute am Schlüsse eines Artikels über den angeblich nölhigen „Kampf gegen den Absolutismus": „Damit ein für allemal jede Spur solcher radikalen Verdächti gungen getilgt und damit jedem ehrlich Denkenden auch der leiseste Zweifel benommen werde, sei mit allem Nachdruck betont, daß alle der Regierung untergeschobenen absolutistischen Hintergedanken lediglich Trnggebilde des Radikalismus und alle maß gebenden Faktoren im preußischen Staate und imReiche nach wie vor einig Larin sind, die Rechte der Volksvertretung und die Verfassung hochzuhalten." Aber mit einer solchen Versicherung in der „Nordd. Allg. Ztg." ist nichts gethan. Auch wenn, wie die „Nat.-Lib. Corr." hört, von „maßgebendster Stelle" Gelegenheitgenomnien wird, „auch im Reichstage vorder breitesten Ocffentlichkeit dieser Irreführung des Volkes jegliche Unterlage zu entziehen, falls sie sich dort vorwagen sollte", so wird damit nur wenig erreicht werden, wenn nicht Alle, die einen Einfluß auf die Volksstimmung haben, Alles vermeiden, was diese Stimmung zu Gunsten der „Kämpfer gegen den Absolutismus" beein flussen könnte. Zu einer mehrwöchigen Tagung ist gestern die preußische Gencralsynodc zusammengetrelen, die oberste Vertretung der evangelischen Kirche in Len neun älteren preußischen Pro vinzen. Schon ehe die Berathungen begannen, ward ihr in Organen der hochkirchlichcn Rechten nahegelegt, auf allen Ge bieten, wo ihr durch bezügliche Vorlagen und Anträge Anlaß gegeben sei, die Autonomie der evangelischen Kirche zu stärken und den bei der Einführung der neuen Agende bereits ver suchten Zwang auf die Worte des Bekenntnisses zu erneuern. In diesem Sinne soll bei der Neuregelung der Pfarrergehälter und bei der Ausbildung des geistlichen Nachwuchses gewirkt, in diesem Sinne soll erneut ein Ansturm gegen die Frei heit der theologischen Wissenschaft und die Unabhängigkeit der Fakultäten unternommen werden. Da in der Generalsynode, Dank dem eigenartigen Wahlsystem, die positive Mehrheit herrscht und die „Miltelparteien" auf die Eindrucksfähigkeil ihrer Gründe angewiesen sind, so steht in der Thal zu be fürchten, daß ein übereiltes Drängen von positiver Seite die großen Ausgaben verwischt, die in dem gegenwärtigen Augen blicke die Generalsynode in erster Linie zu erfüllen hat. In erster Linie soll gegen die päpstliche Canisius-Encyclica Stellung genommen werden, zumal da gleichzeitig der politisch- organisirte Tbeil deS Katholicismus dem Protestantismus die Entscheidungsschlacht auf dem märkischen Sande bereits ge schlagen haben will. Wir fragen aber, was nützt ein ein- müthigcS Bekenntniß gegen andersgläubige Intoleranz, wenn ohne Noth hinterdrein ein trostloser Machtkampf von der Rechten her inscenirt und die klerikale Schadenfreude ein geladen wird. Las Bild innerer Zerrissenheit deS Prote stantismus höhnisch zu glossiren. wo volle Eintracht ein geradezu vitales Erforderniß ist? Außerdem ist auch der Erfolg nicht einmal sicher. Wohl ist in der Generastynode die versöhnende Richtung in der evangelischen Kirche in eine schwache Minorität gedrängt; zum Worte kommt sic dafür um so kräftiger im Landtage, wo die hochkirchliche Rechte in der Minorität sich befindet. Und hier muß eine scharfe Antwort erfolgen, wenn es der Unabhängigkeit der Fakul täten gelten soll und wenn bei der Regelung der Pfarrerbesoldung,! die nur durch staatliche Zuschüsse möglich ist und^bci der die Volksvertretung mitzuredcn hat, kirchliche Machlzwecke angestrebt werden. Eine deutliche Warnung vor diesem Wege ist der Hinweis in der bochconservativeu Presse aus den Beschluß des Abgeordnetenhauses über die Pfarrer gehälter, der zur Herbeiführung einer größeren kirchlichen Autonomie angeblich die Wege bahnt. Dieser Beschluß kam zustande nur mit Hilfe des römischen Klerikalismus, gegen reu die Generalsynode in feierlichem Bekenntniß Stellung nehmen soll. Zu dieser selben Zeitgenossenschaft soll er sich stückten, weil die bisherige „Freiheit im Glauben" nicht mehr erträglich sei! Wir können nicht annehmen, daß dieser Widersinn leichtherzig werde ignorirt werden. Das Expose des Grafen Golnchowski hat nicht blos wegen seiner Ausblicke auf den Concurrenzkampf der euro päischen Mächte mit Amerika und Oslasien auf wirth- schaftlichem Gebiete, sondern auch wegen seiner „Ent hüllungen" über ein russisch-österreichisches Ein vernehmen Aufsehen gemacht, lieber die erstere Seite der Ministerrede haben wir uns schon ausgesprochen. Was die andere betrifft, so enthielten die Mitthcilungeu Golu- chowSki'S absolut nichts Neues. Man weiß, daß während der kritischsten Phase desgriechisch-türkischen Conflictes Kaiser Franz Joseph dem Zaren in Petersburg einen Gegenbesuch abstattete und daß damals bereits in den beiderseitigen Toasten und in den sich daran knüpfenden Zeitungsartikeln urdi et orsti kundgctban wurde, daß Rußland und Oesterreich-Ungarn sich gegenseitig verpflichtet hätten, den Status guo aus der Balkanbalbinsel aufrecht zu erhalten, sich in die inneren Verhältnisse der dortigen Staatengebilde nicht einzumischcn, aber auch keine fremde Einmischung zu dulden. Daß dieses Abkommen besteht, ist jetzt durch GoluckowSki bestätigt worben, weiter nichts. Damals begrüßte man die russisch österreichische Annäherung von dem Standpunkte aus, daß Rußland nun nicht mehr, wie bisher, einzig und allein auf Frankreich angewiesen sei und daß die russisch französische Alliance infolge dessen an Bedeutung ver loren habe. Heute suchen einige Blätter, voran die „Hamb. Nackr.", die Sache so zu wenden, als ob die günstigen Chancen, welche wir bis zum Jahre 1890 durch den deut sch- russischen Neciprocitätsvertrag gehabt, jetzt in die Hände Oesterreichs übergegangen seien und daß dies nur möglich geworden sei durch die Nichterneuerung jenes Ueber- eiukommens durch den Grafen Caprivi. Letzteres ist aller Wahrscheinlichkeit nach falsch. Die österreichisch-russische Entente ist eine Abmachung aä üoe, die sich lediglich auf die orien talische Frage bezieht; wenigstens liegt kein erkennbarer Anhalt dafür vor, daß weitergreifende Vereinbarungen — nach welcher Seile sollten sie sich auch richten?— getroffen worden seien. Eine solche Abmachung konnte aber sehr wohl neben dem deutsch russischen Rückversicherungsvertrag einhergehen; die Auf hebung des letzteren brauchte jener nicht erst den Weg frei zu machen. Auf der anderen Seite muß zugegeben werden, daß die Annäherung der beiden in der Orienlfrage meist be- theiligten FestlanbSmächte eine Erhöhung des österreichischen Prestiges bedeutet. Geht man aber so weit, zu behaupten, Oesterreich bedürfe von jetzt ab nicht mehr so unbedingt wie früher der Anlehnung an die übrige» Dreibuudstaaten, Deutschland und Italien, da es ja von Rußland nichts mehr zu befürchten habe, die russisch-österreichische Annäherung bedeute also eine neuerliche Schwächung deS Drei bundes, so schießt man weit über daS Ziel hinaus. Schon seit Jahren hat die russische Politik ihren Schwerpunkt von Konstantinopel nach Ostasien verlegt, um den drohenden Concurrenzkampf mit Japan und England aufnebmen zu können. Um in der Vorbereitung hierzu nicht gestört zu werden, hat es auf weitere Avancen via Konstantinopel vorläufig verzichtet und seine Hauptsorge geht dahin, zu ver hüten, daß die Verhältnisse auf dem Balkan es nothigen, nach dieser Seite eher Front zu machen, als bis es in Osl asien fertig ist. Die „Uneigennützigkeit" Rußlands in seiner orientalischen Politik besteht also schon geraume Zeit, und nickt erst seit heule und gestern weiß sich Oesterreich von der Bcsorguiß befreit, daß Rußland es für die nächste Zeit auf dem Balkan übervortbeilen oder zum Kriege nölhigen könnte. Oesterreich-Ungarn hätte also schon lange als „unsicherer Cantonist" im Dreibund angesehen werden können. Als solcher hat es sich aber bislang nicht erwiesen, ja gegen eine solche Rolle stets leb haft protestirt. Aus gutem Grunde. Man weiß in Wien so gut wie in Petersburg, daß Rußland orientalische Aspirationen nur aufgeschoben, nicht für alle Zeit aufzegebeu sind und daß früher oder später Oesterreich und Rußland auf den Balkan wieder in schärfste Concurrenz treten werden. Dann aber hat Oesterreich wieder nur die eine feste Stütze: den Dreibund. An ibm unter allen Umständen festzuhalten, muß daher auch heule noch das Hauptbcslreben der Politik Oesterreich - Ungarns sein, und man könnte es nur als eine unbegreifliche Thorheir bezeichnen, wenn Oesterreich durch eine über das augenblickliche und locale Rcdürsniß hinauSgehende Entente mit Rußland das Mißtrauen der beiden anderen Dreibund mächte erwecken wollte.Scin Zusammengehen milRußland richtet sich lediglich gegen den Friedensstörer England. Darüber haben die Petersburger Kaisertoaste keinen Zweifel ge lassen. Eine solche Spitze der neuen Entente kann Deutschland aber nur erwünscht sein. Fürchtet man endlich, daß die Leiter der inneren Politik Oesterreichs jetzt, da sie Deutschland angeblich nicht mehr unbedingt brauchen, eine immer feindseligere Haltung gegen die Deutschen in Oesterreich einnebmen werden, so erübrigt fick diese Besorgniß eben damit, daß Oesterreich-Ungarn des Dreibundes nicht für immer cntrathen kann. Ohnehin ist er in Ungarn populärer denn je, und damit hat man auch in Wien zu rechnen. Wie schon gemeldet, ist General Weyler in Barcelona angetömmen. Die erste cfsiciöse Mittheilung wußte zu be richten, daß die zu seinen Ehren veranstaltete Kundgebung unter geringer Theilnahme verlaufen sei. Dem scheint doch nickt so gewesen zu sein. Man berichtet uns nämlich weiter: " Barcelona, 23. November. Als sich nach dem Eintreffen des Generals Weyler vor dem Hause, wo er abgestiegen ist, eine große Menschenmenge anjammelte und Hochrufe auf den General ausbrachte, erschien Weyler aus dem Balcon und ries: „Es lebe Spanien; hoch die Arbeiter!" Tie Menge applaudirte lebhaft. Im Laufe des Tages empfing Weyler viele B esuch e. * Barcelona, 23. November, lieber die Aeußerungen, die General Weyler gestern an seine Anhänger richtete, wird gemeldet: Er erklärte, daß seine Freunde seine Riickberusung auS Cuba bedauerten. Sodann tadelte er die den Aufständischen günstig gesinnten Madrider Blätter; die Soldaten sähen aus dieselben Farrrllston» Der Page. 23j Roman von A. Heyl. Nachdruck verboten. Hans Sturm erbleichte und griff mechanisch nach dem Zeitungsblatt. Er ahnte nichts Gutes. Er las mit unsicherer Stimme: „Unsere vornehme Gesellschaft, welche sich bekanntlich bei Annäherung hochangesehener Per sönlichkeiten aus anderen Cirkeln entschieden ablehnend verhält, hat es doch nicht unter ihrer Würde gehalten, init einer Familie in intimsten Verkehr zu treten, deren Vergangenheit das Licht zu scheuen hat. Es ist allgemein bekannt, daß die Reichthümer, welche es diesen Leuten möglich machen, unter dem Adel des Landes eine Rolle zu spielen, in dem schwarzen Erdtkeil mit Menschenhandel erworben wurden. Was aber nicht bekannt zu sein scheint, ist der Umstand, daß der gewissenlose Seelenverkäufer seine eigenen Landsleute als Handelsartikel verwerthete, sobald dies ohne Aufsehen geschehen konnte, und der Preis für die Waare des Wagnisses werth schien. So wurden Jugend und Schönheit einem aus hiesiger Gegend stammenden Mädchen, das im Hause des Seelenverkäufers bedienstet war, zum Verderben. Die flehentlichen Bstten, die Ver zweiflung der Unglücklichen rührten das Scheusal nicht, sie wurde um hohen Preis an einen Araberhäuptling ver kauft, und soll auf dem Transport Selbstmord begangen haben. Dieser Abschaum der Menschheit zählt nun zu den Ersten des Landes, seine würdige Tochter, die Gemahlin eines Aristokraten, glänzt in der Gesellschaft, und die Männerwelt streitet sich um ihre Gunst. Sind das nicht picante Verhältnisse? Darf man noch behaupten, daß die vornehme Gesellschaft exclusiv ist? Kann fortgesetzt werden." Als Hans Sturm das Zeitungsblatt unsanft auf den Tisch legte, stellte die Secretairin die Frage: „Wer kann damit gemeint sein?" Mit einem Anfluge von Schaden freude erwartete sie die Antwort. „Woher soll ich das wissen?" antwortete er in trockenem Tone. „In solchen Fällen ist es nicht rathsam, Namen zu nennen, und ich rathe der Frau Base, in ihren Aeußerungen vorsichtig zu sein. Da, nehmen Sie Ihr Klatschblatt wieder mit." Die kleine Frau war gekommen, um gute Lehren zu ertheilen und mußte nun selbst solche in Empfang nehmen. Sie verstand den Wink, nahm ihre Zeitung und verschwand. Die Sicherheit, welche Hans zur Schau getragen, harmonirte nicht mit seinem Seelenzustande. Der feind selige Angriff auf die Monhardt's beunruhigte ihn um Melanie's willen. Er redete sich ein, es sei unedel, ein ge liebtes Weib am Tage der Gefahr zu verlaßen. Er wollte nicht feig zurücktreten, wenn sie vielleicht seines Beistandes, jedenfalls seiner Theilnahme bedurfte. Wenn sie ihn ge täuscht hatte, wenn sie seiner Liebe unwürdig war, so durfte er jetzt nicht mit ihr rechten der Augenblick wäre schlecht gewählt. Jetzt erst fiel ihm der Brief ein. Ihre Briefe waren im Gegensätze zu den seinigen vorsichtig abgefaßt. Er hatte nicht ein geschriebenes Wort in Händen, was Melanie compromittiren konnte. Er löste das Couvert: Sie lud ihn ein, sie Nachmittags zu Bolivar in die Reit stunde zu begleiten, sie versprach sich viel Vergnügen von seiner Gesellschaft. — Er lächelte bitter. Diese Einladung mußte abgelehnt werden. Er wollte ihr Freund, aber nicht ihr Sclave, nicht ihr Spielball sein. Um sich als Freund zu erweisen, unterdrückte er die Bitterkeit über er fahrene Kränkungen, und beschloß, ihr seinen Beistand bei der drohenden Gefahr anzubieten. Es war noch früh, viel zu früh, um einer Dame Besuch zu machen, doch danach fragte Hans Sturm jetzt nicht. Raschen Schrittes stieg er die beiden teppichbelegten Treppen im Palais Rivero hinan und traf mit dem Grafen, der im Begriff stand, auszugehen, im Corridor zusammen. Der Graf zog die Stirn kraus, als er des jungen Mannes ansichtig wurde; er erwiderte knapp dessen achtungsvollen Gruß. „Entschuldigen Sie mein frühes Kommen, Herr Graf", begann Hans verlegen. „Kommen Sie zu mir?" fragte Rivero, den jungen Mann hochmüthig fixirend. „Ich wollte — Frau Gräfin hatte die Freundlichkeit, mich aufzufordern —" stotterte der Befragte. „Die Gräfin empfängt um diese Zeit keine Besuche, mein Herr", fiel ihm der Graf ins Wort und machte eine nicht mihzuverstehende Handbewegung nach der Treppe. Hans that sich Gewalt an. Seine Augen blitzten zornig auf, doch seine Stimme klang kalt höflich, als er erwiderte: „Dann will ich meine Absage und meine Karte bei der Dienerschaft hinterlassen." „Nach Ihrem Belieben", antwortete der Weitergehende, ohne die Verbeugung des Anderen zu beachten. Hans trat ins Vorzimmer, wo der Page gerade be schäftigt war, die Blumen zu begießen. „Guten Morgen, Emil", redete er den Tieferröthen- den an. „Ich wollte Dich bitten, mein Junge, der Frau Gräfin zu sagen, daß ich ihrer Aufforderung, sie in die Reitstunde zu begleiten, nicht nachkommen kann." Es glitt wie ein Sonnenstrahl über die Züge des Pagen. „Ganz wohl, ganz wohl, ich werde cs der Frau Gräfin ausrichten, sobald sie aufgestanden ist." „Du scheinst Dich über meine Weigerung zu freuen, Emil", bemerkte er. Emil nickte: „Ja, um Ihretwillen." Hans blickte verwundert auf: „Um meinetwillen? Du hörst wohl Manches über mich, Emil —" „Verrathen darf ich nichts", baute der Knabe vor, „nur rathen darf ich, Herr." Halb im Ernst, halb im Scherz ging Hans auf die Rede des Knaben ein: „Gut", sagte er, „so rathe mir einmal etwas Gescheidtes." Der Knabe blickte bittend zu ihm empor: „Verlassen Sie diesen Palast und betreten Sie ihn nie wieder." Hans sah den Pagen durchdringend an: „Hat sie Dir diese Rede einstudirt?" „Nein, Herr! Bei Gott, ich spreche, wie ich denke. Ich würde heute noch des Dienstes entlassen, wenn sie eine Ahnung davon hätte." „Ha, ha! Du bist selbst in sie vernarrt, mein lieber Page." „Ich, Herr? O, wenn ich reden dürfte! Wer sie kennt, kann sie nicht lieben." Hans Sturm stand wie vor einem Räthsel. Nach einer Pause sagte er: „Unbegreiflich." „Deiner Herrin droht Gefahr, Emil." „Das ahnte ich längst, Herr Sturm." „Willst Du mir versprechen, es mich sofort wissen zu lassen, wenn sie eines aufopfernden Freundes bedarf? —" fragte der Bethörte. Der Page suchte auszuweichen. „Wollen Sie so lange fernbleiben, Herr, bis ich Sie zu Hilfe rufe? —" Hub der Page mit unsicherer Stimme an. „Wenn ich das gewünschte Versprechen von Dir er halte, dann gebe ich mein Wort, so lange fernzublriben, bis Du mich rufen wirst." Er hielt dem Knaben die Hand hin und dieser schlug ein. Die kleine, weiße Hand, welche einen Moment in des jungen Mannes biederer Rechten ruhte, war kalt und feucht; er schüttelte sie herzlich, sie wurde ihm hastig wieder entzogen. Aus den Gemächern der Gräfin tönte die Klingel. „Ich muß Sie verlassen, Herr, Frau Gräfin ruft mich." Mit diesen Worten verschwand der Page eiligst hinter der Portiere, durch welche man zum Schlafzimmer der Gräfin gelangte. Der Zurückgebliebene stand einen Augenblick unschlüssig, ob er sofort gehen oder erst noch ein paar Worte auf die Karte schreiben solle, die er zurllckließ. Da vernahm er im angrenzenden Zimmer Schritte, Stimmen wurden laut. Er hielt an und lauschte unwillkürlich. Die Stimme der Gräfin war von beißender Schärfe, während sie die Frage aufwarf: „Der einfältige Müllerssohn will mir wohl trotzen?" „So ist das nicht zu verstehen, Herrin", wandte der Page ein. „Er will keine demüthigende Rolle spielen." „Er will sich zurückziehen, ehe ich ihm den Laufpaß gebe", fuhr die Dame höhnisch fort. „Aber, gnädige Herrin, er fühlt sich gekränkt." „Meinetwegen", stieß Melanie zornig aus. „Er ist der Frau Gräfin so treu ergeben." „Wenn er das wirklich ist, dann soll er ausharren, bis man ihn fortschickt." Sie stampfte mit dem Fuß. „Ich kann es nicht ertragen, daß sich Siner freiwillig von mir abwrndet. — Du wirst Alle» aufbieten, um ihn zurückzurufen; ich will doch sehen, ob ich nicht mit ihm fertig werde."
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite