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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.11.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-11-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971125026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897112502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897112502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-11
- Tag1897-11-25
- Monat1897-11
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Die Gegner jeder wirksamen Flottenverstärkung verdammen Alle», was über haupt gefordert werden könnte, und leider liefert ihnen ein Theil der Freunde einer solchen Verstärkung willkommenes Material durch Uebercifer. Das in Leipzig gegebene gute Beispiel uatioualliberalcr und conservativcr Männer, die sich wohlweislich darauf beschränkt haben, den Mangel an einer ausreichenden und stets bereiten Kreuzerflotte nachzuweisen und den Reichstag zu ersuchen, einer zur Abhilfe dieses Mangels an sie gelangenden Forde rung der Regierungen ihre Zustimmung nicht zu versagen, wird nur wenig befolgt, am wenigsten von den Osfieiösen, die besonders in ihrer Ausmalung der finanziellen Lage des Reiches so weit gehen, als ob diese Lage die Durch führung jedes Flottenplanes mit spielender Leichligkeil gestatte. Mit Recht wenden sich die „Hamb. Nackr." gegen diese Art von Stimmungmacherei, die den Gegnern nur Waffen liefere. Das Hamburger Blatt schreibt nämlich: „Der Ertrag der Zölle und Verbrauchssteuern fängt an, Haupt- sächlich infolge des Rückganges der Zuckerstcuer, hinter den Er wartungen zurückzubleiben. Die Zucker steuer, diese Achillesferse rmsercs Finanzsystems, wird in der nächsten Zukunft überhaupt noch viel Kopfzerbrechen verursachen. Angesichts der bekannten Maßregel der Vereinigten Staaten greift in den Interessenten« kreisen der Gedanke der vollständigen Abschaffung der Ausfuhr prämie uuter gleichzeitiger erheblicher Herabseyung der Verbrauch steuer immer mehr um sich. Wie diese Beweguugfenden wird, vermag heute noch Niemand zu sagen. Aber wenn schließlich die Existenz der Zuckerindustrie auf dem Spiele steht, so ist es allerdings nicht unwahrscheinlich, daß Las Reich Opfer zn bringen habe» wird, die sich in einer dauernden Verminderung der Einnahmen aus der Zuckersteuer darstellen werde». Eine weitere, in ihrem schließ lichen Betrage schwer zu schätzende, jedknsalls aber sich auf Millionen beziffernde Einnahmevcrininderung würde sich ergeben, wenn die seit längerer Zeit, namentlich aber von der Mehrheit des gegen wärtigen Reichstags, geforderten und, wie es heißt, von Herrn von PodbielSki wirklich in Aussicht genommenen „Poslreformen" ausgeführt würden. Nus der anderen Seite ist im Militair-Etat in Folge der höheren Getreidepreise und der Einführung der vom Reichstage verlangten Verbesserung der Abcndkost für die Mann schaften eine beträchtliche Ausgabesteigerung unvermeidlich. Auch der Reichszuschuß zur Jnvaliditäts- und Alters versicherung erfordert nicht unerheblich höhere Mittel. In Kurzem wird sich ja zeigen, ob der neue Reichsschatzsecretair trotz dieser minder freundlichen Züge von der Finanzlage Les Reiches für die Gegenwart wie für eine absehbare Zukunft doch ein so lachendes Bild zu entwerfen vermag, wie es in den mehr oder weniger osfieiösen Darstellungen neuerdings überall anzutrcffen war. Aber auch dann behält die Opposition eine Waffe, der sich eine gewisse Bedeutung nicht abstreiten läßt. Sie erklärt den Bau von Kriegsschiffen auf Grund von Anleihecrediten angesichts der überaus raschen Ab nutzung des Materials sür irrationell, ist vielmehr der Ansicht, Laß Neu- bauten wie Ersatzbauten aus den lausenden Einnahmen zu bestreiten seien. Man braucht das keineswegs in vollem Umfange zuzugeben und kann doch anerkennen, daß die anleihcweise Auf bringung gerade der Flottenbaukosten, falls nicht für eine entsprechende fortlaufende Amortisation der Reichsschuldcn gesorgt wird, den Grundsätzen einer gesunden Finonzwirlhschast nicht eutjprrchen wurde. Die Opposition wird also die Frage stellen, ob in Len laufenden Einnahmen die Mittel vorhanden seien, um die Durchführung des Marineplans direct zu bestreiten oder eine etwa dazu bestimmte Anleihe zu amortisiren. Kann sie diese Frage verneinen, so wird ihr das als ausreichender Grund gelten, den Marineplau zu verwerfen; denn ihr Princip ist ja: weder neue Steuern, noch neue Schulden und, soweit wenigstens das Centrum in Frage kommt, selbstverständlich auch keine weitere Erhöhung der Matricularbeiträge. Wen» dem gegenüber in der marincsreundlichen Presse alle Kraft daraus verwandt wird, dem Publicum plausibel zu machen, das; die finanzielle Durchführung des Marinevlanes recht wohl mit den vorhandenen Mitteln möglich sei, so will uns das als eine wenig glückliche Taktik erscheinen. Dialektiker vom Schlage des Herrn Eugen Richter werden Anhaltspuncte genug ausfindig machen, um den Massen das etwa von der Regierung gezeichnete günstige Bild als trügerisch erscheinen zu lassen." Daß das richtig ist, beweist die „Freisinn. Ztg.", welche die socialdemokratische und die ultramontane Presse mit Agitations material unterstützt, täglich. Wenn aber die „Hamb. Nackr." mit ihrer Warnung vor Schönfärberei eine Lobpreisung Der jenigen verknüpfen, die schon jetzt die Nothwendigkeit der Er öffnung neuer Steuerquellen an die Wand malen und eine erhöhte Belastung von Bier und Tabak für unerläß lich erklären, so arbeitet das Blatt gleichfalls der Opposition in die Hände. Denn cs kann gar keinem Zweifel unter liegen, daß „Dialektiker vom Schlage deS Herrn Richter" es verstehen werden, durch Hinweise auf das bedrohte „Pfeifchen des armen ManueS" und den bedrohten „Abend schoppen deS müden Bürgers" die Abneigung weiter Kreise gegen „uferlose Flottenpläne" zu steigern. Nicht gerade sehr glücklich ist auch der Hinweis der „Nordd. Allgcm. Ztg." darauf, daß daS englische Parlament, ohne zn besorgen, daß cS seinen Rechten und Freiheiten etwas vergebe, in der Naval Defence Act von 1889 die Summe von 430 Millionen Mark zu dem in fünf Jahren auözuführenden Bau von lO Linienschiffen, 9 großen Kreuzern, 33 kleinen Kreuzern und 18 Torpedobooten auf einmal zur Verfügung gestellt hat, ohne für sich eine weitere Mitwirkung zu beanspruchen, als die nachträgliche Vorlage der Abrechnungen und der Verträge mit den Privatfirmen. Trotz der Andeutung desselben Blattes, daß die Forderungen des deutschen MarincgesetzeS gar nicht so weil gehen sollen, wie die der englischen Naval Defence Act, wird die Opposition nicht verfehlen, mit der Aus streuung zu opcriren, es handle sich um die einfache Nach ahmung deS englischen Beispiels. Zm Munde eines NegierungLvertreter« Härte an den Nachweis, daß die deutschen Forderungen weit hinter denen der englischen Naval Defence Act Zurückbleiben, mit.' gutem Erfolge der Hinweis auf die Haltung des englischen Parlamentes sich knüpfen lassen. Bevor jener Nachweis erbracht ist, ist dieser Hinweis eine Ungeschicklichkeit, die um so leichter hätte ver mieden werden können, je näher der Zeitpunkt gerückt ist, in welchem dem deutschen Volte von berufener Seite die Vorschläge der verbündeten Regierungen und ihre Be gründung dargclegt werden. Eine hübschere Illustration als bei der Wahl im Reichs- tagswahlkreise Oldenburg-Plön hat die Redensart von dem Streit um des Kaisers Bart selten erhalten. Seit vielen Monaten tobt zwischen der Freisinnigen Volkspartei und der Freisinnigen Vereinigung ein wüthender Kampf, dcsse» nicht näher eingeweikte Zuschauer Len Eindruck bekommen mußten, hier fielen die Würfel über ein Völkerschicksal. Die Redensarten, die Herr Eugen Richter mit den Herren Rickert und vr. Barth austauschte, klangen so furchtbar gewichtig, daß der Fremde meinen mußte, eine andere Differenz als die zwischen den beiden freisinnigen Gruppen spielte überhaupt in Deutschland keine Rolle, sondern Alles hinge nur davon ab, ob sich die größere Hälfte der Nation für Herrn Richter oder für Barth entscheiden würde. Wir haben den Streit einmal einen Froschmäuslerkrieg genannt. Angesichts des Wahl ergebnisses in Oldenburg-Plön erscheint die Bezeichnung noch viel zu heroisch. Oldenburg-Plön ist typisch sür den Streit zwischen den beiden freisinnigen Flügeln, sie haben sich wegen dieser Nachwahl die schlimmsten Dinge gesagt und ihr selbst eine für den Freisinn symptomatische Bedeutung beigelegt. Was ist nun dort geworden? Es sind fünf Parteien auf den Plan getreten ; ein geinäßigt-conser- vativer Eandidat v. Tungeln, für den sich auch die National liberalen entschieden, die beiden Freisinnigen Schmidt und Hoeck, zum ersten Male ein Natwnalsccialer (Damaschke) und ein Socialdemokrat (Wcinheber). Die Freisinnigen kaben sich insofern die Treue gewahrt, als sie sich — an letzter Stelle zusammengefnnden haben. Die Volkspartei hat bis jetzt für Schmidt 1709 Stimmen aufgebracht, die Vereinigung für Hoeck 1469. Addirt,macht das weniger,als der Freisinn im Jahre 1893 mit 3889 Stimmen zusammengeklanbt hat. Die Uneinigkeit hat ihm gar nichts geschadet. Wären Richter und Barth zusammen gegangen, sie würden doch nicht in die Stichwahl gelangt sein. Von dem „Zuge nach links", im Sinne der beiden fortschritt lichen Richtungen, hat sich in Oldenburg-Plön keine Spur bemerkbar gemacht. Vielleicht wird man in dem für den ersten Anhieb recht respektablen Stimmengewinn der Nationalsocialen, die mit 2401 Stimmen nahe daran waren, in die Stichwahl zu gelangen, diesen Zug erblicken. Vorläufig läßt das Ergebnis; aber noch nicht genau erkennen, woher die Stimmen für die Nationalsocialcn kommen. Leute, die ehemals conservativ gewählt haben, sind ohne Zweifel dabei, ob sie oder die Abgängigen des Frei sinns und der Socialdemokratie die Mehrheit bilden, ist nicht zu übersehen. Der Rückgang der conservaliven Stimmen gegen 1890, wo der verstorbene Graf Holstein mit 9281 Stimmen im ersten Wahlgange gewählt wurde, beweist parteipolitisch nicht sehr viel. Dieser lang jährige Abgeordnete deS Kreises war eine überaus beliebte und auch von allen politischen Gegnern geschätzte Persönlich keit. Sein Nachfolger in der Candidatur hat übrigens einen Vorsprung, der stark genug ist, die ewig geschlagenen ost elbischen Conservaliven über den Unterschied zwischen con servativ nnd conservativ Nachdenken zu lassen. Zm österreichischen Abgcorönctcnhausc ist cs gestern zu Sccneu gekommen, wie sie in europäischen Parlamenten noch nicht erlebt worden sind und allenfalls ein Seitenstück in irgendeiner der kleinen südamerikanischen Revolverrepubliken finden dürften. Man hat nicht nur nach Ministerfauteuils als Wurswaffcn gegriffen, in dem allgemeinen Handgemenge zwischen der deutschen Opposition und den slawischen Regie rungsparteien Kat auch — und das ist wohl ein Novum in der Geschichte deö Parlamentarismus — das Messer eine Rolle gespielt! Der deutsch-nationale Pfersche war es, der daS Taschenmesser gezogen hat. Nach der einen Version soll er, arg i»S Gedränge gcrathcn, nur daS Messer gezeigt haben, ohne es zn öffnen, nach einer andern hat er, von dem Polen Potoczek zu Boten geworfen und gewürgt, also in der Nothwehr, nach dem Angreifer gestochen, und nach einer dritten Version hat er, nachdem er verschiedene Hiebe auf den Kopf und ins Gesicht bekommen, aufrecht stehend daS geöffnete Messer mit hochcrhobenem Arm geschwungen, bis eS ihm entrissen und in eine Ecke des Saales geworfen wurde. Man sieht: ein genaues Bild von dem Hergang dieses Höhepunktes der parlamentarischen Prügelei kann man sich nicht machen, zumal da, wie uns heute ein Telegramm auS Wien meldet, noch die folgende officiöse Darstellung des „Fremden'olatteS" hinzukomml: Als mehrere Abgeordnete der Rechten den Abgeordneten Wols von dem Platze vor der Präsidententribüne Hinwegdrängen wollten, kam es zu einem heftigen Zusammenstoß zwischen Wolf einerseits und den Abgeordneten Brzeznowsky und Pospischil anderer seits, doch wurde ein thätlicher Conflict durch die Ab« geordneten der Rechten verhindert. Abg. vr. Pfersche stürzte sich in daS Gewühl vor dem Präsidententisch, wurde aber zurückgedrängt und heftig gedrückt, wobei er sein Taschen- messer zog und einem Abgeordneten der Rechten zurief: „Zurück, oder ich steche Jeden nieder, ich werde Ihnen den Bauck ausschlitzcn." Pfersche erklärte später, er habe sein Messer ge zogen, weil er in dem Gedränge so stark gedrückt wurde, daß er sich persönlich bedroht fühlte. Die Behauptung, Pfersche sei derartig gedrückt worden, bezeichnet das „FremLenblatt" als unbegründet. Abg. Schuklje faßte den Abg. Pfersche am Handgelenk, so daß er sich nicht rühren tonnte, unterdessen entwanden andere Abgeordnete Pfersche das Messer. Schönerer gcrieth bei dieser Episode in arge Bedrängniß, Schönerer ergriff zweimal einen Minister-Fauteuil und schwang ihn gegen die Rechte. Mehrere Abgeordnete entrissen ihm jedoch den Sessel, dabei kam eS zu einem Zusammenstoß zwischen Hag en Hofer und Schönerer. Wie vielfach behauptet wird, hätte der Abgeordnete Wolf gegenüber einem Abgeordneten der katholischen Volkspartei erklärt: „Bei der nächsten Sitzung werden wir unsere Revolver mitbringen und Euch Gesindel erschießen." Die officiöse Feder, die hier schildert, hat offenbar das Bestreben, alle Schuld auf die Opposition, speeiell den Abgeordneten Pfersche zu schieben. Dagegen veröffent" licken die Blätter ein Communiquä der deutschen Fortschrittspartei, nach welchem in der gestern ab gehaltenen Sitzung derselben, wie uns telegraphisch mit- getheilt wird, folgende Resolution gefaßt wurde: Ter Club der deutschen Fortschrittspartei spricht sein tiefstes Bedauern darüber aus, daß in der letzten Sitzung des Abgeordneten hauses Mitglieder der Majoritätsporteien sich haben hin« reißen lassen, Angehörige der deutschen Opposition mit unmittel barer Gewaltanwendung, ja sogar mit direkten Thätlich- keiteu, von dem Platze vor dem Präsidium, wo zu erscheinen für alle Abgeordneten das gleiche Recht besteht, wegzudrängen. Diese Erscheinung ist um so trauriger, als der Grund hierzu in der ausdrücklichen Aufforderung des Präsidiums lag, das Präsidium von der Gegenwart mit Namen be zeichneter oppositioneller Abgeordneter zu befreien. Was daS Verhalten einiger Mitglieder des Clubs bei dieser Gelegenheit betrifft, so kann der Club in demselben nur berechtigte Noth-- wchr erblicken, was durch Vernehmung aller Thatzeugen unzweifel haft erhärtet werden wird. Geordnete parlamentarische Zustände können nach der Ueberzeugung des Clubs nur durch eine voll ständige Aenderung der unter dem gegenwärtigen Präsidium zur Regel gewordenen Handhabung derPräsidialgewalt und zur Rückkehr zn einer gewissenhaften, jede Vergewaltigung aus schließenden Beobachtung der Geschäftsordnung erfolgen. Nach dieser Darstellung und nach der „Wiener Abend post" ist die Aufforderung des Präsidenten an den Ordner, die Abgeordneten Wolf, Schönerer, Kittel und Steiner ihm vom Leibe zu halten, der Anlaß zu einem argen Gedränge Der Page. 24j Roman von A. Heyl. Nachdruck verboten. Sechzehntes Capitel. Lieschen Sturm saß neben den überfrorenen Fenster scheiben und nähte fleißig an ihrer Aussteuer. Die Base stand am Tisch und schnitt die Leinwand zu, deren gleiche, feine Fäden sie an längst vergangenen Wintertagen selbst gesponnen hatte. Draußen wirbelte der Schnee in dichten Flocken vom Himmel herunter und der Nordostwind trieb sein wildes Spiel mit ihnen. Nach dem Zusammenfalten der zugeschnittenen Stücke legte die Alte ihre Hornbrille hei Seite und blickte nach dem Fenster, wo die junge Braut so eifrig nähte. Was für traurigen Gedanken mochte sie wieder nachhängen. „Lieschen!" rief ihr die Base freundlich zu. Die Angerufene schreckte zusammen: „Was soll es?" fragte sie. „Ich habe eben so daran gedacht, was der Groll schon für ein Heidengeld an Brautpräsenten ausgcgeben hat", leitete die Base das Gespräch ein; „aber Du hast die Schmuckstücke noch nicht einmal angelegt!" Lieschen nickte. „Ja, er hat mir schon viel geschenkt; aber ich hebe die Sachen auf — bis — bis —" „Bis zur Hochzeit", ergänzte die Base. „Nun, bis dahin ist's nicht mehr fern. Sieh nur zu, Liese, daß Du gesünder wirst. Du bekommst es nicht leicht. So ein großes An wesen wie der Wasserhof muß richtig im Stande gehalten, die vielen Dienstboten müssen beaufsichtigt werden." Lieschen schien nicht ängstlich zu sein. „Das wird sich finden", meinte sie. „Ich thue meine Schuldigkeit und ar beite, so lange die Kräfte reichen." Die Base machte ein bedenkliches Gesicht: „Glaub's schon, Kind, aber Deine Kräfte reichen nicht mehr weit. Seit jenem unseligen Morgen, der uns die Kräuterlene ins Haus gebracht hat, geht's mit Dir rückwärts. Die Alte hat uns kein Glück gebracht, seitdem sie da ist, bist Du kränklich, und was Dir der Doctor auch giebt, es wird nicht besser." „Nein, es wird nicht kesser", gab Lieschen gleichmüthig zu. Um das Gespräch von ihrer Person abzulenken, fragte sie: „Wo ist denn die Lene? Warum kommt sie nicht herein?" „Sie sitzt in der Küche neben lem Herdfeuer, rührt ge schäftig in einer leeren Schüssel und murmel: all;7h.-.w un gereimtes Zeug." „Die arme, verrückte Person", bedauerte Lieschen. „Es ist schön vom Vater, daß er für die Lene so sorgt." Die Base wiegte gedankenvoll ihr graues Haupt: „Na, na, er wird schon wissen, warum er so große Barmherzigkeit übt. Er wird's schon wissen!" „Base", begann Lieschen nach kurzem Stillschweigen, „theile mir doch mit, was sich eigentlich zugetragen hat zwischen der Lene und meinem Vater, sie führt so sonder bare Reden, das Gesinde macht hin und wieder Bemerkun gen, die ich nicht verstehe, ich möchte der Sache auf den Grund kommen." Die Base überlegte eine Weile, dann trat sie dicht zu Lieschen heran und begann im Flüstertöne dem aufhorchen den Mädchen die Geschichte zu erzählen, welche ihrem Bruder früher von Doctor Franz mitgetheilt worden war. Aber sie kam nicht zu Ende; als sich im Hausplatz Schritte ver nehmbar machten, brach sie, scheu nach der THUre blickend, ab und versprach die Fortsetzung auf gelegenere Zeit und kehrte hastig zu ihrer Arbeit zurück. Lieschen faltete die Hände im Schooß und seufzte: „So hat es denn mein Vater auch an sich erfahren, wie einem das Herz blutet, wenn man sein Lebensglück dem unbeugsamen Willen Anderer opfern muß. Jetzt begreif ich's doch, wenn er ein so strenger Mann geworden ist. Dit «rme Lene soll's gut haben in der Mühle, ich will mich gleich einmal nach ihr umsehen." In der Küche bot sich Lieschen ein seltsamer Anblick dar. Der Page der Gräfin Rivero, in Sammt und Pelz gekleidet, stand in der Mitte des Raumes und Lene mit glückseligem Lächeln vor ihm. Sie streichelte seine Wangen, befühlte seine Kleider und gerieth Uber deren Kostbarkeit in Entzücken. Als Lieschen eintrat, rief sie ihr triumphirend zu: „Meine schöne Grete ist da, sieh sie Dir mal an! Gelt, so prachtvolle Kleider schafft Dir Dein Vater nicht? Hab ich's nicht neulich gesagt, meine Tochter kommt eines Tages aus fremdem Lande heim, sie ist nicht ins Wasser gesprungen. Du brauchst Dich nicht zu schämen", wandte sich Lene dann an den Pagen, „die Leute im Dorfe sind alle von Deiner Unschuld überzeugt, Grete. Niemand glaubt, daß Du die Scheune angezündet hast. Wenn man Dir aber Schlimmes von mir erzählen sollte, dann glaube es nicht! Ich bin nicht Schuld an dem Tode der Räthin; sie ist eigentlich gar nicht todt, sie ist nur scheintodt, ich kenne ein Mittel, das sie wieder lebendig macht. Ich muß jetzt schnell zusammenrllhren, hab immer viel zu thun. Ade, komm bald wieder!" Hierauf kehrte die Alte in die Ecke neben dem Herde zurück und be gann mit einem Löffel in einer leeren Schüssel zu rühren. — Emil war in die Küche getreten, um seine Blanche, welche durch die blos angelehnte Thür dorthin gesprungen war, wahrscheinlich einige gute Brocken erwartend, zu holen; da war die Kräuterlene auf den Pagen zugelaufen und hatte ihn als wiedergefundene Tochter in der geschilderten Weise begrüßt. Emil wollte in seiner Gutmütigkeit die Illusion der alten Frau nicht stören und hatte ihre Liebkosungen ge duldig über sich ergehen lassen, in der richtigen Annahme, es mit einer Geistesschwachen zu thun zu haben. Nun folgte der Page Lieschen ins Wohnzimmer und erklärte den Zweck seines Kommens dahin, daß er sie bat, dem Doctor Franz auszurichten, noch heute zu Fräulein Heldenberg ins Schloß zu kommen. Als darauf Lieschen nach Elotilden's Befin den fragte, sagte der Page mit bedenklichem Gesicht: „Sie reibt sich auf, wenn es so fortgeht. In der kurzen Zeit ist sie die Seeele des Hauses geworden, Allen unentbehrlich. Auch muß sie viel für Herrn Monhardt schreiben, für ihn handeln; er beräth mit ihr, was zu geschehen hat." Emil wandte sich zum Gehen, Lieschen folgte ihm: „Ich begleite den jungen Herrn über den Hof", sagte sie zur Base. „Der Pluto ist von der Kette los, dem Hündchen könnte etwas zu Leid geschehen." Emil hob Blanche auf den Arm und deckte sie mit seinem Pelzkragen zum Schuhe vor feindlichen Angriffen zu. Auf dem Hofe fragte Lieschen mit unsicherer Stimme: „Seben Sie meinen Bruder bisweilen? Kommt er — kommt er oft zur Gräfin Rivero?" Ter Befragte zögerte mit dr: Antwort: „Er war frühe.' häufig lingeladcn — doch ich — ich glaube — ich denke —" Lieschen faßte Emil's Hand: „O bitte, sagen Sie mir, was Sie denken. Es ist mir seither so mancherlei zu Ohren gekommen, was mich quält. Ich habe meinem Bruder große Opfer gebracht — wenn er ihrer nicht würdig wäre, könnte ich keinen Tag mehr froh werden." „Er ist es", rief Emil, sich selbst vergessend, aus: „Er ist jedes Opfers würdig; ich würde für ihn in den Tod gehen." „Sie, junger Mann? Hat er es Ihnen auch ange than —" Hier wurde das Gespräch durch Pluto's wüthen- des Gebell unterbrochen. Der Hofhund kam in mächtigen Sätzen auf die Beiden zu, sprang an Lieschen in die Höhe, machte dann Kehrt und rannte ungestüm nach dem Thore und kam wieder auf Lieschen zu. „Da draußen geht etwas vor —", bemerkte sie, indem sie den großen Hund am Hals band packte; dann zog sie den sich gewaltig Sträubenden bis zu seiner Hütte und legte ihn an die Kette. Als dann Beide zum Thor hinaustraten, bot sich ihnen das ergreifende Bild eines barmherzigen Samariters dar. Dicht an der Mauer lag eine menschliche Gestalt in Lumpen gehüllt, ver- muthlich vor Kälte und Erschöpfung hier zusammenge sunken. Das Angesicht war todtenbleich, die Züge schlaff und schmerzdurchfurcht, die Augen geschlossen, lieber den Erbarmungswürdigen beugte sich ein Mann, er stützte den Kopf des Ohnmächtigen und rieb ihm die Schläfe, um ihn wieder zum Bewußtsein zu bringen. Blanche, die der Page nur mühsam zu halten vermocht hatte, entschlüpfte ihm jetzt und eilte schnellen Laufes auf den Bewußtlosen zu. Durch Schweifwedeln und Helle Freudentöne gab das treue Thier- chen zu erkennen, daß es einen alten Bekannten wiederge- funden hatte. „Blanche!" hauchte der am Boden Liegende und machte den Versuch, sich zu erheben. Der Samariter war ihm dabei behilflich, doch ehe eS ihm gelang, sich aufzu richten, wurde in seiner Nähe ein lauter Schrei ausgestoßen. Der Page war neben dem Erschöpften niedergesunken: „Janos, mein armer Janos, Du hier, in diesem erbar mungswürdigen Zustand? Wo ist Zascha?" Janos wollte antworten, doch die Kraft versagte ihm; er vermochte nur den Namen „Emi" zu flüstern, und nach einer Pause, in der er nach Athen: gerungen, mit kaum vernehmbarere Stimme beizufügen: „Verlaß mich nicht!" Inzwischen hatte zwischen Lieschen und dem Samariter
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