01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.12.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-12-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971202018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897120201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897120201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-12
- Tag1897-12-02
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Gröbere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-veilugrn (gefalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbeförderuug ^l SO.—, mit Posibesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abrnd-Au-gabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag« 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eiae halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Donnerstag den 2. December 1897. SI. Jahrgang. Die Militairftrafproceßordnung. K Eine Forderung, die der norddeutsche Reichstag vom preußischen Abgeorduetenhause und der deutsche Reichstag von jenem übernommen, sieht nun ihrer Erfüllung in der Hauptsache entgegen, oder ist ihr doch näher gerückt. Schon in den sechziger Jahren hat rin auf die Wahrung der Rechte deS militärischen CommandoS so eifersüchtiger Kriegs minister wie v. Roon gegenüber einem im preußischen Abgeordnetenhause gestellten Verlangen die Uebertragung der Grundsätze de« Strafverfahrens für die Civildevölkerung auf das Heer unter Wahrung deS militairischen Interesses für zulässig und wünschenSwerth erklärt. Im Jahre 1870 be- schlofsen die Nationalliberalen eine Resolution, die die Vorlegung eines MilitairstrafgesetzbucheS und einer Militairstrafproceß- ordnungforderte. ÄnBezug aufdaSmaterielleMililairstrafrecht wurde dem Wunsche — im nunmrhligen deutschen Reichstage — zwei Jahre später gewillfahrt, da- Strafverfahren der ver schiedenen Contingente ist trotz zahlreicher dringlicher Wieder holungen deS ReichstagSbegehrenS bis auf den heutigen Tag das alte geblieben. Es hat nicht oder doch nicht immer an gutem Willen gefehlt, den Militairstrafproceß zu ver bessern. So wurde im Frühjahr 1882 ein Entwurf von einer Immediatcommission fertig gestellt und im Herbst ein zweites Mal durchderathen. Allein über den Umfang deS militairischen Interesse«, da« unbestritten eine Abweichung von dem — bekanntlich übrigen- auch RechtSgelehrte, juristische Praktiker, sowie Laien in starker Meinungs verschiedenheit erhallenden — civilea Strafverfahren ver langte, war eine Einigung unter den Regierungeu nicht zu erzielen. Schoa Sachsen und Württemberg, deren Militairstrafproceßrecht auf den Grundlagen deS preußischen fußt, sollen sich mit dem Elaborat von 1882 nicht einverstanden erklärt haben. Jeden falls verhielt sich Bayern, das seit 186S rin den moderuen RechtSanschauungen entsprechende-, wenn auch technisch nicht sehr glücklich aufgebaute« Verfahren besaß, entschieden ab lehnend, und ebenso mag zahlreichen anderen Bundesländern, deren Angehörige in den preußischen Theil der deutschen Armee eingereibt sind, da» Gebotene nicht genügt haben. Nunmehr haben sich, wie es scheint, die großen und größer»« Einzelstaaten über ein gemeinsame- Gesetz zu einigen vermög, und diese Thatsache bietet für sich schon eine gewisse Gewähr dafür, daß, wie einerseits daS militairische, so andererseits da« Interesse der Rechtssicherheit — letzteres im Allgemeinen wenigstens — nicht zu kurz gekommen ist. Der nunmehr vor liegende 450 Paragraphen umfassende Entwurf ist dem Reich-taz als Ergebniß eines CompromisseS der Regierungen unter sich zugegangen. Wir hoffen, daß er al- das Ergebniß eines CompromisseS zwischen Regierungen und Reichstag aus diesem mit Gesetzeskraft herauskommen werde. Bei der Be- urtbeilung der Vorlage wird man sich vergegenwärtigen müssen, daß das Recht nicht um seiner selbst willen, sondern für die Allgemeinheit, den Staat, da ist, geschweige denn zu Ehren von rechtswissenschastlichen Lehrsätzen, die noch dazu auch in der Theorie und, wie schon hervorgehoben worden, gerade in der Lehre vom Straf- proceßrecht nicht unbestritten gelten. Man denke nur an den Kampf um die Berufung in Strafsachen. DaS Recht darf die Einrichtungen, für die e« erlass«» ist, nickt schädigen, und die für die Existenz deS Staate« uneutbrbrlicke Einrichtung eine« diSciplinirten Heere« bedarf wiederum ihren besonderen Existenzbedingungen angemessene Gesetze. Da« ist auch vom Reichstag immer anerkannt worden, ein Umstand, der den deutschen Radikalismus, seiner Eigenart gemäß, an dem Versuche nicht Verbindern wird, nunmehr, wo e« gilt, ost Gefordertes im Großen und Ganzen zu erlangen, sich mit hochtönenden Redensarten von unveräußerlichen, auch im Waffenrock unveräußerlichen Menschenrechten ein wirksames Agitationsmittel zu erhalten. Mit der Opposition, di« auS parteitaktischen Erwägungen bervorgrht, ist erfahrungsgemäß eine fruchtbringende Aus einandersetzung unmöglich. Der Entwurf läßt aber auch der sachlichen, die Bedürfnisse deS HeereS vollauf würdigenden Kritik Spielraum, eine Eigenschaft, die er freilich mit allen Reformvorschlägen, insbesondere auf dem Rechtsgebiete, gemeinsam hat. Diese Art Kritik wird nach eingehenderem Studium der Vorlage nicht auSbleiben. Zunächst kann eS sich nur darum bandeln, die allerwichtigsten Bestimmungen deS Gesetzentwurf« herauSzubeben und kurz anzudeuten, inwieweit sich der Entwurf einerseits dem grundsätzlich unhaltbaren, in Einzelnhritro aber praktisch nicht »«bewährten preußischen Proceß, andererseits dem principiell mustergiliigen, in wesent lichen Stücken jedoch selbst — auch nach demokratischer An sicht — reformbedürftigen bayerischen Verfahren anpaßt. Die wichtigste Forderung, hinter die, wenn nickt für die Juristen, so doch für die öffentliche Meinung alle« Andere zurücktrat, war die nach Mündlichkeit und Oeffentlichkeit de« Verfahrens, verbunden mit der Sicherung einer Vertheidigung, wie sie im Strafproceß für die Civildevölkerung gewährleistet ist. In diesem Cardinalpuncle wie im Anklagewesen kennt daS preußiscve Verfahren Vorschriften, für dir die Bezeichnung „veraltet" sich wie eine widerwärtige Schmeichelei anbört. Der preußische Proceß datirt zwar erst aus dem Jahre 1845, aber er erklärt im Wesentlichen für reckten-, wa« vor mehr als 200 Jahren auS den während deS dreißigjäbrigen Kriege- in Deutschland bekannt grwordeneu schwedischen Krieg-artikelu in die preußische Armee üb Niommen worden ist. 1*-'' so alt daS Verfahre» ist, so schlecht ist e« in den angeführten Punkten. Der einzige Rechtskundige, der mit der Beschuldigung eine« Armeeangehörigen befaßt wird, ist der Auditeur. Und der macht Alle-. Er leitet die Verhandlung, fungirt dabei als Staat-anwalt und auch al- Bcrtheibiger. Die Richter, durchaus MilitairS, erfahren von dem Falle nicht-, al« was ihnen der Auditeur nach seinen Acten vorliest; sie müsse» also durch de« einzigen Mannes Brille sehen. Gewiß nehmen e« die Auditeure gewissenhaft mit ihren vielfachen Pflichten, aber diese übersteigen in ihrer Gesammtheit da« Menschenmögliche. Dabei darf der Auditeur nicht unter allen Umständen seiner Recht-Überzeugung folgen, sondern er hat Weisungen seines Gerichtsberrn zu befolgen, auch wenn er sie als dem Gesetze zuwiderlaufend erachtet! (Der Gerichtsberr ist nach Lag« de« Falle- der Kaiser und König, der CorpS- der Division«- oder der RegimentS-Commandeur; ibm kommt die Anordnung der Strafverfolgung, die dann nicht wieder eingestellt werden darf, in der Regel auch die Bestätigung und die Milderung des Urtbeil« zu.) Reckl-kundige Ver- theidiger werden nur bei nichtmilitairischen Verbrechen und bei diesen nur dann zugelafsen, wenn sie mit mehr als drei Jahren FreibeitSverlust bedroht sind. Bei militairischen Ver brechen dürfen nur MilitairS al- Vertheidiger wirken und die- auch nur, wenn auf die Tbat Freiheitsstrafe von mehr al- zehn Jahren oder der Tod gesetzt ist. Unter allen Um ständen dürfen sich die Vertheidiger nur schriftlich äußern. Die Gerichtsverhandlung findet, wa« bei diesem Verfahren auch nicht viel zu sagen hat, hinter verschlossenen Thüren statt. Dir Urtheile müssen vor der unerläßlichen Bestätigung durch den Gericht-Herrn allerdings einer Prüfung durch Rechts kundige unterzogen werden. Diese- Cautel verliert aber da durch viel an Werth, daß der Angeklagte von dem Prü fenden nicht gehört wird. Dazu kommt die Ungleichwerlhig- keit der Stimmen der GerichtSmitglirder. Sind in der preußischen Armee die Oeffentlichkeit und die Mündlichkeit ganz au-geschlofsen, so bilden sie in der baye rischen die Regel. Sie besteht dort im Allgemeinen so wir im Strafverfahren für di« Civildevölkerung. Daß nur erwachsene männliche Personen und diese nur „in anständiger Kleidung" als Zuhörer bei den Gerichtsverhandlungen zu gelassen werden, ist eine nebensächliche Einschränkung. Den Unterschied zwischen Civil- und Militairarrichten verkennt aber auch da- bayerische Gesetz nicht. Wenn bei jenen die Oeffentlichkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sittlichkeit ausgeschlossen werben kann, so kommt bei diesen noch die Gefährdung „besonderer militairdienstlicherJnteressen" als AuSichließungSgrund hinzu. Nach den VollzugSvor- schristen erscheinen solche Interessen gefährdet, wenn durch die öffentliche Verhandlung „die militairische Standeswürde und daS Ansehen deS Standes" Schaden erleiden könnte. Die BundeSrathSvorlage geht weiter. Sie spricht nicht vou „besonderen", sondern von militairdienstlichen Interessen überhaupt und überläßt dem Kaiser die Bestimmung der Vor aussetzung, unter denen die Ausschließung der Oeffentlichkeit aus Gründen der DiSciplin zu erfolgen hat. Grundsätzlich steht der Entwurf in diesem Hauptpunkt also aus dem Boden deS bayerischen Verfahrens. Man wird aber freilich befürchten müssen, daß trotz der Bestimmung, die im einzelnen Falle den Ausschluß der Oeffentlichkeit in daS au-schließklche Ekrnessen der Gerichte stellt, praktisch der Durchführung geheimer Verhand lungen ein weiterer Spielraum gegeben wird, als bisher in Bayern. Hierin dürfte der stärkste Stein LeS Anstoßes ge funden werden. Es hat einer sorgfältigen Prüfung zu unter liegen, ob die Vorlage eS nicht ermöglicht, über die militairische Nothwendigkeil binauSzugeben. Daraus, daß sie hinter dem bayerischen Gesetz zurückbleibt, darf die- nicht ohne Weiteres geschlossen werden. Man wird abwarten müssen, was die bayerischen MilitairS — namentlich in der Commission — über ihre Erfahrungen mit der weitgehenden Oeffentlichkeit mitzutheilen haben. Unter allen Umständen ist der Unterschied zwischen dem kurz geschilderten jetzigen Zustande und demjenigen, den die Vorlage berbeifübren will, ein himmelweiter zu Gunsten der Militairangehörigen. Da- gilt auch von den Vorschriften de-Entwurfs über die Vertheidigung. Entsprechend dem bayerischen Verfahren, dürfen bei nichtmilitairischen Ver brechen und Vergehen nur rechtskundige Vertheidiger zu gelassen werten; bei militairischen Strafthaten haben Osficiere, Militairrichter oder Militairbeamte das Amt deS Vertheidigers wahrzunebmen. In Bezug auf die Freiheit der Wabl des Vertheidiger- weicht die deutsche Vorlage nur in einigen wesentlichen Puncten von dem bayerischen Gesetze ab. Da der Wirkungskreis der unteren Gerichte (Stand gerichte) sehr eingeengt wird, so scheidet die Vertheidigung bei denselben auS, wa- immerhin ein ernster Entschluß ist Sodann verlangt der Entwurf, daß Anwälte, die bei einem Militärgerichte als Vertheidiger austrcten wollen, ihre Zulassung bei den obersten Militairjustiz-Verwaltungs behörden (beim ReichSniilitairgericht durch den Präsidenten desselben) nachzusuchcn haben, und gestattet, daß das Gericht daS Ansuchen ablebnt. Diese Bestimmung wird „fürchter lichen Lärm" Hervorrufen. Sie ist aber der Aenderung der Verhältnisse, wie sie sich nach dem Erlasse der bayerischen Proceßorvnung vollzogen hat, durchaus angepaßt und ver dient deshalb volle Billigung. DaS bayerische Gesetz enthält übrigens auch eine gewisse Cautel in dieser Richtung: das Gericht kann bei militairischen Vergehungen die Zulassung eines bürgerlichen Anwalts versagen, während der Entwurf diese Zulassung generell auf bürgerliche Vergebungen beschränkt. Sehr erheblich verschieben vou der bayerischen soll nach der Vorlage die Organisation und die Besetzung der Gerichte sich gestalten. In Bayern besteht die GerichlSorganisalion für sich, sozusagen als eine Institution im Heere, im Entwürfe lehnt sie sich nach dem preußischen Muster an die Truppenverbände an. Bayern hat zwischen den Untcrgerichten und dem obersten Militairgerichtshofe als Revisionsinstanz zwei Militairbezirks- gerichte, in denen der Schwerpunkt deS Verfahrens liegt. Sie sind in der Mehrzahl der Fälle Geschworenengerichte, die aber die Zuziehung gemeiner Soldaten ausschließen. Aber im Gerichtsbof überwiegt bei militairischen Strafthaten das juristische Element, bei nichtmilitairischen setzt er sich nur ans Juristen zusammen. Den Vorsitz führt wohl ein General, der aber nur die Disciplin wahrnimmt und keine Stimme hat. Die eigentliche Leitung der Verhandlung liegt einem Juristen ob. Die Gericktsofficiere, die, wie gesagt, in be schränktem Maße zugezogen sind, werden im Voraus, nicht wie in Preußen von Fall zu Fall, und zwar ans ein Jahr ernannt. Letzteres geschieht auch bei den GerichtSofsicieren der Untergerichte, so daß in Bayern volle Ständizkeil der Gerichte herrscht. Tie Vorlage geht jedoch von der bayerischen Organisation ab, weil die Ständigkeit von Gerichten, wie die bayerischen Bezirksgerichte, im Kriege überhaupt nicht durchzuführen ist und weil das bayerische Verfahren selbst imFriedcn an Schnelligkeitzu wünschen übrig läßt. Sie schränkt die bayerische Ständigkeil etwas ein und zieht bei den Verhandlungen den Militairs ein Ueber- gewicht über die Juristen. Bei den unteren (Standgerichten) sungiren ausschließlich Osficiere. Diese Gerichte stellen sich als Schöffengerichte dar. Dadurch wird erreicht einmal, baß im Kriege kein schlechteres Verfahren beobachtet werden muß, als im Frieden, was im Interesse des Vertrauens zur Rechts pflege bei den kämpfenden Soldaten eine Nothwendigkeil ist. Sodann wird der Entwurf dem im Heere immer hochgehaltencn iLcrriHetsn. Zwei Prachtwerke. Unter den neuerdings erschienenen Werken des deutschen Buchhandels nehmen zwei von Leipziger Verlagsfirmen ins Leben gerufene Ausgaben auf dem Gebiete der Kunst- und belletristischen Literatur eine hohe Stellung ein. Es sind: „Pompeji vor der Zerstörung", Reconstructionen der Tempel und ihrer Umgebung, entworfen und ausgeführt von C. Weichardt, Architekt (Commissionsverlag von K. F. Koehler in Leipzig), und „Goethe 's Gedichte", ausgewählt von Karl Heinemann, mit Bildern und Zeichnungen von Frank Kirchbach (Leipzig, Berlag von Adolf Titze). Will man den Werth von Weichardt's Reconstructionen der Tempel Pompeji's mit wenigen Worten charakterisiren, so darf man von diesem herrlichen Werk ohne jede Urberschwenglichkeit sagen: es ist eine künstlerische That ersten Ranges. Denn man empfindet die Hingabe, welche den Autor bei der Lösung seiner sich selbst gestellten Ausgabe erfüllte, und man wird sich auch bei der Lectiire dieses Buches bewußt, daß er für diese Aufgabe prädestinirt ist, wie neben ihm vielleicht kaum rin Zweiter. In knapper Diction und dabei stets anschaulicher Darstellung äußert er seine Gründe für die von ihm verfochtene Meinung, begleitet er seine bildlichen Darstellungen. Nicht allein der architektonische Reconstructeur sucht aus den kleinen Ueber- restrn von Bauwerken einer weit zurückliegenden Tulturepoch«, einer jetzt tobten Stätte, neues Leben zu verleihen, auch der Schriftsteller giebt uns ein Bild von dem Charakter, den Lebens gewohnheiten und künstlerischen Anschauungen jene» Boltes, dessen Schaffenskraft einstmals jene bewundernswerthen Bauten entsprossen. Trotz des reichen Wissens, welches hier rin that- kräftiger Mann in jahrelangm eifrigen Studien zusammen getragen hat, spricht zu dem Leser nie ein trockener Gelehrter, sondern ein geistreicher Künstler, ein feinsinniger Beobachter, der sich in den Geist der Antike hineingelebt hat, wie es Wenige vermochten. Daher wendet sich der Autor mit seinen Aus führungen keineswegs nur an die Leute vom Fach, an die Archi tekten, sondern auch an die Lairn, an das ganze gebildete und kunstlieoende Publicum; denn er bleibt selbst da, wo er die künstlerische Schilderung aufgiebt und zur rein polemischen Ab handlung übergeht, auch für den Laien anschaulich und interessant. Deshalb kann der Referent die Meinung des Verfasser- — die ihn eine allzu große Bescheidenheit äußern ließ —: daß der Lair dir polemischen Abschnitte getrost Überschlagen kann, nicht thrilen, vielmehr empfiehlt Referent Jedem, der diesr» Buch zur Hand nimmt, keine Zeile unbeachtet zu lassen, da hierdurch erst der volle Werth von Weichardt's Forschung«» zu Lag« tritt. Aus der Einführung zu dem vorliegenden Werke ist zu er sehen, das dasselbe von Haus aus nicht begonnen war, um veröffentlicht zu werden und irgend eine Lücke auszufüllen, sondern die Reconstructionen entstanden, um dem eigenen Be- dürfniß des Verfassers nachzukommen, ein Product jahrelanger unfreiwilliger Muße im Süden. Angesichts der vorliegenden Blätter, die der Schreiber und Zeichner des schönen Werkes vor uns ausbreitet, möchte man fast versucht sein, dem Schicksal zu danken, das unfern Autor an der ausfllhrenden Thätigkeit des Architekten eine Zeit lang hinderte und ihn zu dieser wissen schaftlich-künstlerischen Arbeit nöthigte, die, wie er zum Schluß seiner Einführung schildert: erst langsam begonnen hat, in mühsam vergleichendem Studium drr Auffassungen bisheriger Forscher, im Kampf mit der eigenen, oft abweichenden Meinung, in Liebe für den Gegenstand. Und weiter äußert er: „Dann, als ich den Stoff beherrschte, begann ein schnelles Arbeiten, so daß neben den Berufsarbeiten im Zeitraum von 2 K Jahren sämmtliche Zeichnungen entstanden. Zum Schluß erging es mir, wie es Manchem beim Bewältigen einer größeren Arbeit geht, ich beherrschte nicht mehr den Gegenstand, sondern der Gegenstand beherrschte mich allein für sich. Das ist nicht gut, darum schloß ich meine Darstellungen und gebe hier nur die Tempel und ihre Umgebung heraus als ein in sich abgeschlossenes Buch. Die öffentlichen Gebäude und Privathäuser hoffe ich ein anderes Mal zu bringen. Darüber werden Jahre vergehen, denn der Stoff ist zwar nicht größer, als der hier behandelte, ober er ist mannigfaltiger, und verlangt zu seiner Bewältigung ein langes Studium, noch mehr die behagliche Beschaulichkeit, die sich weder beeinflussen noch treiben läßt." Neben dem Genuß, den uns das Buch bietet, haben wir auch die Freude, dasselbe noch weiterhin ergänzt zu sehen. Eine Freude, die Jeder thrilen wird, der sich mit dem Inhalte d«S vorliegenden Werkes beschäftigt hat, das uns einen so hohen Begriff von der Kunstliebe der kleinen antiken Provinzialstadt bietet. Von der kundigen Hand des Autors geführt, sehen wir vor unS wieder hohe Tempelhallen mit schimmernden Decken und bemaltem Balkenwerk sich licht gegen die tiefblaue südliche Luft abheben, wieder ragen an den Säulen des HofeS di« schönen Götterbilder aus Marmor und Bronze auf, auf'» Neu« sind in den Heiligthümern die Altäre errichtet, die Opferflammrn entzündet und die Pompejaner nahen, um den von ihnen ver ehrten Gottheiten Opfer darzubringen. Versunken in dem Anblick der herrlichen und ergreifenden Bilder antiken Leben», steigt gleichzeitig das zwingende Bewußtsein in unS auf: wenn die Kunst ein Gradmesser für den Culturzustand einer Nation bildet, wie hoch muß dann dieses Volk gestanden haben, von welchen Lebrnsanschauungen und welcher Lebensfreude mußte e» erfüllt sein, und welches Nationalgefühl muß es besessen haben, wenn es seine Anschauungen und Empfindungen in so würdevoll« Formen kleiden konnte! Mr wollen es unterlassen, hier eine Parallele mit ähnlichen Darbietungen der Jetztzeit zu ziehen — sie fielen wahrscheinlich nicht zum Vortheil der Letzteren aus — dafür wollen wir uns jedoch freuen, daß es uns mit Hilfe eines bedeutenden Künstlers vergönnt ist, wieder einen erhebenden und befreienden Blick in eine frühere Culturperiode thun zu können, der mit dazu an- gethan ist, uns auf's Neue darin zu bestärken, wie sich wahre Kunst zu äußern hat, und daß d i e Kunst nun und nimmermehr als die höchste gelten wird, die nicht die Neigung in sich schließt, der Schönheit ihren Tribut zu zollen. Wenn es nicht so wäre, wenn dieses Gesetz nicht ein dauerndes bliebe, das stets wieder seine volle Kraft entfaltet, sobald eine Kunstperiode zu voller Blüthe sich erschließt, dann wäre auch die alte Kunst außer Stande, nach Jahrtausenden noch ihre Macht auf das Menschenherz auszuüben. An der technischen Ausführung des Werkes, die als eine musterhafte anzusehen ist, sind betheiligt: C. Grumbach, Leipzig, als Drucker, während die Lichtdrucke von der Verlags anstalt F. Bruckmann, München, und die Zinkotypien und Autotypien von der photomechanischen Abtheilung der königl. Kunstakademie zu Leipzig unter vr. Aarland, ferner Meisenbach, Riffarth <L Co., Sinsel <L Co. und R. Los» hergestellt sind, während den vornehmen Einband die Firma BaumbachLCo., sämmtlich in Leipzig, geliefert hat. Ueber den Werth von „Goethe'sGedichten" sich heute noch verbreiten zu wollen, hieße „Eulen nach Athen tragen". Längst ist ihre hohe Bedeutung für die deutsche Literatur, ja, selbst für die gesammte Weltliteratur gekennzeichnet. In dieser in kostbares Gewand gekleideten Ausgabe kam es dem Heraus geber zunächst darauf an, die Goethe'schen Gedichte in chrono logischer Reihenfolge zu geben. Obgleich Goethe selbst sich gegen eine chronologische Anordnung seiner Werke ausgesprochen und einer unserer bedeutendsten Literarhistoriker jede Aenderung an der vom Dichter gegebenen Folge für einen Frevel erklärte, hat Heinemann es dennoch unternommen, hier eine andere Reihenfolge aufzustellen, um die innigen Beziehungen des Menschen zum Dichter, den Zusammenhang in seinem Schaffen in Leben und Dichtung klar vor Augen zu stellen. Deshalb ist in dieser Ausgabe, was Goethe künstlich getrennt hat, wieder verbunden, waS er künstlich verbunden, wieder getrennt worden. Die chronologisch geordnete Ausgabe seiner Gedichte soll die Entwickelung des Dichters und des Menschen am treuesten wider- spiegeln; sie soll eine poetische Biographie, vom Dichter selbst geschrieben, sein. Im strengsten Sinne hat auch hier freilich die Zeitfolge nicht immer innegehalten werden können. Die Thatsache, daß viele Gedichte nur unsicher, viele überhaupt nicht zeitlich bestimmt werden können, hat auch hier oft die Willkür zur Nothwrndigkeit gemacht. So haben ferner aus inneren und äußeren Gründen kleine Verschiebungen stattfinden müssen; so sind z. B. die Friederiken- und die Lililieder, sowie alle Gedichte, die an d i e s e l b e Person gerichtet sind, nicht getrennt worden. Die im Register beigefügten Jahreszahlen lassen das richtige Zeitverhältniß leicht erkennen. Die bekanntesten der von Goethe seiner Sammlung nicht eingereihten Friederikenlieder hat der Herausgeber dennoch geglaubt aufnehmen zu müssen, obwohl gegen die Autorschaft Goethe's bei einigen von ihnen schwere Bedenken geltend gemacht worden sind. Wie erklärlich, sind alle Goethe'schen Gedichte hier nicht ausgenommen. Bei der Auswahl ließ der Herausgeber auch den Künstler, sowie die Rücksicht auf die Leser, für welche diese Ausgabe bestimmt ist, ein gewichtiges Wort mitsprechen. In weiterer Folge kam es dem Herausgeber darauf an, eine Ausgabe zu schaffen für Diejenigen, die das Aeußere dem kostbaren Inhalte angepaßt sehen möchten, und dem Maler Gelegenheit zu geben, dem Dichter zu schönem Bunde die Hand zu reichen. Fordert doch der Dichter, der nie redet, sondern immer malt, dem es gelungen ist, die Grenzen der Dichtkunst und Malerei zu überbrücken, der den bildenden Künstler als die höchste Instanz für die Beurtheilung seiner Dichtungen bezeichnet hat, geradezu heraus zur Nachschaffung seiner Gestalten. Hat der Dichter die Darstellung des Innern aus der äußeren Gestalt errath.-n lassen, so versucht der Maler, die inneren, seelischen Vorgänge in dem Aeußeren der Gestalten wiederzugeben. Wie Goethe, ist auch Frank Kirchbach, der Maler, der den Inhalt der Poesien versinnbildlicht hat, ein Frankfurter Kind. Und um dem Geiste seines großen Landsmannes nach jeder Richtung hin gerecht zu werden, sucht auch er seine Darstellungen nicht allein in treffende Stimmungen, sondern auch in schön- Formen zu kleiden. Er zeigt sich als ebenso feinsinniger Inter pret der Goethe'schen Figuren, wie als intimer Beobachter deS Landschaftlichen, und läßt in den den Text zahlreich begleitenden Vignetten ein sicheres und überall ansprechendes Stilgefühl er kennen. Daneben weiß seine lebhafte Phantasie immer den Schilderungen des Dichters zu folgen und die mannigfaltigen Bilder dem Beschauer anschaulich und wirksam vorzuführen, sowie den bald freudigen, bald schmerzlichen Empfindungen, die aus den Worten des Dichters hervorklingen, einen charakteristischen und schönen Ausdruck zu verleihen, und so empfängt drr Leser den angenehmen Eindruck, ein wohlgelungenes Ganzes vor sich zu haben, das ihm reichen Genuß gewährt. Daß der Verleger keine Kosten gescheut hat, um dem Buch: das würdigste und vornehmste Aussehen zu geben, gereicht ihm zu ganz besonderem Lobe. An der vollendeten technischen Aus führung waren betheiligt bei drr Herstellung der Textbilder die Firmen Mrisenbach, Riffarth L Co. in Leipzig, bei der der Vollbilder Richard Paulusfen in Wien, den Buchdruck haben Fischer L Wittig und den Einband (noch einer Zeichnung von Professor F. Lu ihm er in Frank furt a. M.) Hübel L Denck, beide in Leipzig, au-geführt. Ernst KteSkln«.
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