02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.12.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-12-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971202020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897120202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897120202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-12
- Tag1897-12-02
- Monat1897-12
- Jahr1897
-
-
-
8884
-
8885
-
8886
-
8887
-
8888
-
8889
-
8890
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezrrgS-PreiS M tz« Vmwtrxveditio« oder den 1« Stadt, diatrk »ud den Vororten errichteten AnS- aaoestellea adgeholt: vterteljührlich^il bO, ki «wetmaliger täglicher Zustellung in« Hau« ^l Ü.L0. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich ^l S.-—. Dtrecrr tägliche Arruzbandirnduug k»8 Ausland: monaUtch ^l 7 .LV. Die Morgea-AoSgabe erscheint um '/,? Uhr. di» Lbeud-Au-gabe Wochentag« um b Uhr. Redaktion und Expedition: Johanne-,affe 8. DieSxvedition ist Wochentag« ununterbroche» geSssuet vou früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Filialen: ktt« Memm'S Sortim. (Alfred Hahn), UniversitütSstraße 3 lPaulinum), Laut« Lösche. Kachariaeustr. 14, pari, und KöaigSpk^h 7. Abend-Ausgabe. MiMer TilgMatt Anzeiger. Amtsblatt -es Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Nathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. AnzeigenPret- die «gespaltene Petit-eile itt Pfg. Reklamen unter dem Redactioo«strich (4ga> spalten) bv/^, vor den Familieanachrichte» (K gespalten) 40/^. Gröbere Schriften laut unserem Preis« »erzeichaiß. Tabellarischer und Ziffernsay «ach höhere«« Tarif. bxtr« ^Beilagen sgesalzt), nur mit da Morgen-Au«gabe, ohne Postbesörd«ra»t SV.—, mit Pvstbesörderung ^tl 70.—. Iinnahmeschlud für Anzeigen: Sb end-Ausgabe: Vormittag« 10 Uhr. -borgen»Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Sei den Filialen und Annahmestellen je rin» halbe Stunde früher. Anzeigen find stet« an die Expedition za richten. Druck and Verlag von L. Polz in Leipzig 815. 91. Jahrgang. Donnerstag den 2. December 1897. Oesterreich in Gefahr. —p Immer bedenklicher, ja geradezu bedrohlich gestalten sich die Verhältnisse in Oesterreich und fordern unsere volle Aufmerksamkeit, da sie sich leicht in einer Weise ent wickeln können, die die Stellung des habsburgischen Reiches im Dreibund nicht unberührt läßt. Hatten die Deutschen gezeigt, daß sie mit ihren heiligsten Volksrechten nicht spielen lassen und jederzeit den Willen und die Kraft besitzen, sie selbst gegen eine auf die Mehrheit deS Parlaments sich stützende Regierung erfolgreich zu vertheidigen, ohne dabei die Grenzen parlamentarischer Obstruktion zu überschreiten, so sind jetzt eben die Tschechen dabei, der Welt von Neuem den Beweis zu liefern, daß der kulturelle Fortschritt, dessen sie sich rühmen, sie noch nicht einmal über den anarchistischen Stand punkt der Knüppel- und Nevolverpolitik erhoben hat, daß die ultima ratio für sie der Vandalismus in seinen krassesten Formen ist, wenn die parlamentarischen Mittel dem Zweck nationaler Vergewaltigung zu versagen beginnen. Die Vorgänge in Prag, über die wir schon seil Dienstag zu berichten gcnötbigt waren, werfen ein unheimliches Licht in die Tiefe der tschechischen Volksseele, in der die bestialischen Instinkte derart dominiren, daß man versucht ist, diesen Ver tretern deS Slawentbums das Prädicat Ltüor no-.irix«-»' ein fach abzusprechen. Uebcr die weiteren Unruhen in Prag und Pilsen, welche dieses Urthcil als nur zu berechtigt erscheinen lasten, liegen uns folgende sich gegenseitig ergänzenden Meldungen vor: * Prag, 1.December, Abends. (Von einem Privatcorreipondenten.) Der tschechische Pöbel ist ansgestachelt und wird durch auf reizende Meldungen der tschechischen Extrablätter in seiner Wuth bis aufs Aeußerste getrieben. Man hat zu diesem Behuse das Märchen erfunden, deutsche Studenten Hütten geplant, das tschechische Nationaltheater zu überfallen, sie seien aber von tschechischen Studenten daran verhindert worden. Ter tschechische Pöbel begeht fortgesetzt Gewaltthateu an deutschen Personen und deutschem Eigenthum. lstanze Gassen werden geplündert. Es sind 12Bataillone Infanterie und eine Escadron Husaren ausgerückt; daS Militair steht bereit, Detachements werden entsendet, wenn von irgend woher Gewaltthateu gemeldet werden. Der Verkehr auf den Straßen hat ausgehört; alle Geschäftsläden sind gesperrt, von den Geschäften werden die mit deutschen Aufschriften ver- scheuen Tafeln hrruntergerissen. Für die Nacht werden große Ausschreitungen in der Joses-Stadt befürchtet, in welcher viele Juden wohnen. Die Redaktionen der deutschen Blätter sind biockirt und find Gegenstand von Angriffen. * Wien, 1. December. Tie „Neue Freie Presse" meldet aus Prag vom 1. ds.: Ter tschechische Pöbel plünderte im Laufe deS heutigen Nachmittags eine große Anzahl deutscher und nament lich jüdischer Geschäfte in der Altstadt und der Neustadt, sowie in den Vorstädten Weinberge und Zizkow und dem Vororte Werjcho- witz. Unter den Rufen: „Auf gegen die Deutschen und gegen dieJ-uden!" drang die Menge in die Geschäfte ein, zerstörte die Ein richtung, schleppte die Maaren auf die Straße und ver- nichtete sie. Die am meisten betroffenen Geschäftsleiter sind binnen wenigen Minuten an den Bettelstab gebracht worden. Unter den geplünderten Läden befindet sich auch ein Juwelier- Laden auf dem AltstäLter Ring. Ferner wurden geplündert: das gräflich Kinsky'sche Palais, in welchem sich das Altstädter deutsche Staatsgymnasium befindet und das dem Rathhause gegenüber gelegene Cass»Restaurant »Zum Prinzen". In letzterem zerstörte der Pöbel das Mobiliar, warf die Trümmer auf die Straße und steckte sie in Brand. AIS die Altstädter Feuerwehr erschien, um das Feuer zu löschen, suchte die Menge sie daran zu hindern. Um 4 Uhr Nachmittags wurde rin Sturm auf die deutsche Volksschule in Zizkow unter nommen und die Schule demolirt. Die Sicherheitswacke, welche mit dem Säbel gegen die Menge vorging, wurde mit Revolverschüssen empfangen. Darauf zog auch die Wache die Revolver und schoß in den Hansen hinein. Die Menge floh entsetzt auseinander. Ein Mann blieb, am Oberarme schwer verwundet, liegen. Seit 8 Uhr Abends geht das Militair patrouillenweise vor, während es vorher compagnieweise ein geschritten war. Beim „Bruedel" wurde die Militairmann» schäft mit Steinen beworfen. Der Oberst, welcher hier commandirte, gab Befehl, die Gewehre zu laden, und es wäre auch sicher geschossen worden, wenn nickt der an wesende Polizei-Oberinspector den Oberst gebeten hätte, zum letzten Male Geduld zu üben und nicht schießen zu lassen. Um '/,8 Uhr langten von dem General Molnar, welcher die auSgerückten Truppen befehligte, strikte Befehle an die unteren Commandanten ein, von nun an in jedem Falle, wo es das Dienst reglement vorschreibt, von der Feuerwaffe Gebrauch zu machen. Um 8 Uhr Abends wurde die Schließung der öffentlichen Lokalitäten angeordnet und vom Militair durch, geführt. In den Abendstunden ging das Gerücht, daß die deutsche Volksschule in Werschowitz, die schon kürz- lich von den Tschechen theilweise demolirt war, in Brand ge steckt worden sei. Die Richtigkeit des Gerüchts konnte bisher nicht constatirt werden. In der Jungmannsgossr wurden Nachts 11 Uhr zwei geschloffene Läden erbrochen und geplündert. Eine Mititair-Patrouille jagte die Plünderer auseinander. Eine Bude bei der Rennbahn Les RadfahrerverrinS „Wanderer" in Weinberge wurde von den Excedenten mit Petroleum bestrichen und augezündet. Auch in Lieben bei Prag fanden große Excesse statt. In einem Gasthaus wurden 21 Excedenten, die mit Stöcken und Schlagringen bewaffnet waren, von Gendarmen festgenommen. Bei Plünderung eines Brannt wein aus sch ankes wurden mehrere Fässer Branntwein auf dir Straße geschleppt und der Inhalt von den Excedenten ausgetrunken. Mehr als zwanzig Personen lagen total betrunken auf der Straße. In einer Wohnung in Zizkow wurden die Einrichtungsstücke, in einem Branntweinlocale in Wein berge der Branntwein von den Excedenten an gezündet. Heute Nacht trafen zwei Bataillone aus Josephstadt ein. Zahlreiche Fremde, die heute eintrafen und in Prag übernachten wollten, reisten sofort ab. Tas amerikanische Consulat hatte heute die Flagge gehißt. Es verlautet, daß in Prag seit einigen Monaten ein geheimer, wohl organisirter Verein von mehreren Hundert Mitgliedern besteht zur Bekämpfung des Deutschthums und des Judenthums. Bon diesem Vereine, der auch in der Provinz zahlreiche Ortsgruppen zählen soll, sollen die Excesse arrangirt sein, von diesem Vereine sollen die Situationsplüne ausgegeben worden sein, nach denen die Excedenten heute operirten. Das würde es erklären, daß die Menge in allen Stadttheilen sofort wußte, in welchen Häusern Deutsche wohnen. — Gegen 11 llhr Nachts wurde die Stadt ruhiger. Ein großer Theil der Truppen wurde zurückgezogen, jedoch an bedrohten Puncten eine Nachtwache organisirt. * Prag, 1. December. Abends 6 Uhr mußte das Militair einschreiten. In mehreren Straßen wurden die Läden vom Pöbel geplündert und in vielen Gebäuden die Fenster ein geschlagen. Schließlich drang die Menge in die deutschen medicinischen Institute ein, zertrümmerte sämmtliche Apparate und schleuderte gegen das Militair, das zum Schutze der Gebäude heranrückte, Steine und Glasscherben. Heute Vormittag war der Pöbel in den deutschen Studenten- Verein eingedrungen, wobei ein Student derart mißhandelt wurde, daß er nach der Rettungsstation gebracht werden mußte. Tie Menge wollte die Station stürmen; der Abgeordnete For- beruhigte sie indessen und veranlaßte. Laß der mißhandelte Student unbehelligt nach dem Krankenhause übergesührt werden konnte. Nach 9 Uhr Abends kam es in dem Vororte Zizkow zu einem Zusammenstöße zwischen der Volksmenge, welche die dortige Pa- tronenfabrik angreifen wollte, und dem Militair. Das Militair gab Feuer, zwei Personen wurden getödtet. * Wien, 2. December. (Telegramm.) Wie die „Neue Freie Presse" aus Prag von gestern meldet, wurden bei dem Zusammen, stoße zwischen dem Militair und der tschechischen Volksmenge drei Personen getödtet und 38 schwer verwundet. * Pilsen, 1. December. Infolge der gestrigen Ansamm- lungen des Pöbels wurden heute Gebäude der Deutschen bewacht. Eine etwa 3000 Personen zählende Menge versammelte sich vor dem Rathhause, sang nationale Lieder und zog dann nach der deutschen Turnhalle, wo sie die Fenster einschlug. Nachdem die Menge mit blanker Waffe auseinander getrieben war wobei eine Person verwundet wurde, zog sie nach dem Rathhause zurück und schlug, da sie die Freilassung der Verhafteten nicht er- reichte, die Fenster des Rathhauses und vieler anderer gebäude ein. Das Bezeichnendste dieser Meldungen ist nicht etwa dies, daß die von politischen Hintermännern losgelassene Canaille Wohnungen und Läden plündert, um sich zu bereichern, und Scknapsbuvikcn mit Beschlag belegt, um sich bi« zur Be sinnungslosigkeit zu betrinken, sondern der weit betrübender« und bedenklichere Umstand, daß die deutschen Bildungs stätten, die Stätten deutscher Cultur und deutscher Wissen schaft es sind, gegen welche sich die Wutb des außer sich ge- ratbenen Pöbels, zu dem auch die tschechische Studentenschaft gehört, in erster Linie richtet. Die Demolirung der wissenschaftlichen Apparate in den deutschen meti- cinischen Instituten charakterifirt schreiend, aber treffend den Standpunkt tschechischer Bildung im Angesicht deS zwanzigsten Jahrhunderts. Und um eines solch rückständigen Volkes willen sollen die Deutschen Böhmens und Mährens, das kulturelle Ferment dieser Länder, nicht bloS aus ihre selbst errungene Vormachtsstellung verzichten, sondern selbst die Dämme einreißen, welche die deutsche Cultur vor der leberfluthung mit slawischer Unkultur schützen! Wer !ann es unseren deutschen StammeSgenossen verdenken, wenn sie sich hiergegen bis aufs Aeußerste wehren! Bedauerlich ist eS, daß auch die Alttschechen, die hin und wieder noch einen staatsmännischen Zug und wenigsten- eine Spur von Gerechtigkeit den Deutschen gegenüber erkennen I ießen, sich vollständig in die jungtschechische Fluth haben reißen lassen. „Wir verlangen", heißt cs in einem soeben veröffentlichten, von Ur. Ri eger unterzeichneten Manifest, „daß in Prag unser nationales und patriotisches Gefühl durch eine übermüthize Minorität nickt gereizt und beleidigt werde, sondern daß die gefährlichen Provokationen verhindert werden. Von unseren Rechten werden wir unter keinen Umständen abstehen und jeden Angriff auf dieselben abschlagen." Als ob nicht umgekehrt die Deutschen es wären, deren Rechte bedroht sind, und als ob eS eine Provokation wäre,wenn dieDeutschen ihrer Freude über denFall ihres Todfeindes Badeni offenen Ausdruck geben! Aber freilich, wenn die Herren Tschechen bereits an der tagtäg lichen Tracht der Deutschen Anstoß nehmen, dann braucht man sich nicht zu Wundern, wenn schon die bloße Anwesenheit eines Deutschen in Böhmen auf die Tschechen wie ein rotheS Tuch wirkt. In der Wiener Hofburg hat man in unbegreiflicher Verkennung der geistigen, moralischen und staatlichen Stellung des Deutschthums den Tschechen die Hand gereicht gegen die Deutschen und für den scheidenden Grafen Badeni, den verunglückten Handlangerder slawischen Majo rität, Worte der höchften Anerkennung und deS wärmsten Dankes gefunden. Daß nur die Reue nicht hintennach kommt! Der oberste bisher mit eiserner Consequenz gewahrte Stand punkt der kaiserlichen Politik ist und muß sein der, jedem Ver suche auf staatliche De cen tra lisa tion innerhalb der Marken der habsburgischen Monarchie mit aller Kraft und mit allen Mitteln entgegenzutreten. Nun ist aber der ausgesprochene Zweck der tschechischen Politik und ihrer klerikalen Helfershelfer der, an die Stelle deS CeutralismuS den Föderalismus zu setzen, speciell ein tschechisches, von Wien in seiner gesammten Verwaltung unabhängiges Königreich zu schaffen. Kann ein österreichischer Kaiser das Schicksal seiner Krone in solch« Hände legen? Oder sind diese tschechischen Aspirationen nur deutsche Hirngespinnste? In dem schon erwähnten alt tschechischen Manifest wird hervorgehoben, die Ereignisse hätten dargethan, daß das Centralparlament sich nicht leiten lasse, und somit sei die Erweiterung der Autonomie der Landtage bei gleichzeitiger Erweiterung deS Wahl recht eS in dieselben eine nnabwendbareNothwendigkeit geworben. Das ist die erste Etappe aus dem Wege der De- centralisation! Aber nicht um Böhmen allein handelt eS sich. Nock Schlimmeres droht von Ungarn, wo einflußreiche Parteien seit Langem schon nur das eine Losungswort kennen: Aufhebung desDualismuS, unabhängig von Oesterreich, da- wir politisch und wirthsckaftlich weit überflügelt haben! Wie auS Wien gemeldet wird, fürchtet man in den Delegationen eine StaatSkrislS dadurch, daß in Ungarn daS Verlangen nach Personalunion mit elementarer Gewalt zum Durchbruch kommen und den widerstrebenden Baron Banffy wegschwemmen könnte. Käme es so weit, dann wäre das vollständige Zer- , flattern des österreichischen VölkerconglomeratS mit allen seinen ' unabsehbaren Consequenzen nur noch eine Frage der Zeit. Der Page. 30) Roman von A. Heyl. Nachdruck verboikN. „Das trifft sich ja herrlich, Herzchen", flüsterte der zärt liche Liebhaber, „ich habe Dir hier ein Theaterbillet mitge bracht, man giebt heute eine neue Posse, ich werde Dich ab holen." „Du wirst mich nicht begleiten?" fragte sie etwas ent täuscht. „Wie gerne, wenn es mir möglich wäre, wichtige Ge schäfte halten mich ab — aber ich werde Dich nach Hause führen; erwarte mich am Ausgang!" Jeanette schlich auf den Fußspitzen in das Boudoir der Gräfin. Sie lag mit dem Gesicht nach der Wand, die rechte Hand vor die Augen gepreßt. „Gnädige Gräfin!" Diese kaum hörbare Anrede brachte die Dame außer Fassung; sie schnellte empor und stieß einen wilden Schrei aus. „Was — Sie sind es? Warum kommen Sie herein? Ich habe Ihnen befohlen, mich ruhen zu lasten —" „Ich wollte nur fragen, ob ich heute Abend ins Theater gehen darf — da —" „Gehen Sie zum —", schrie die heftig Erzürnte. „Unter stehen Sie sich nicht mehr, hier einzutreten, ehe ich Sie rufe. Gehen Sie! — Nein — halt — reichen Sie mir zuerst das Fläschchen mit dem Kirschlorbeer — dort steht es — links — neben dem Spiegel." Nachdem die Zofe oas Zimmer verlassen hatte, hielt Melanie das Gläschen mit den betäubenden Tropfen ans Licht, sie gingen auf die Neige, kaum genug, um die ver zehrende Unruhe erfolgreich zu bekämpfen. Mit einem Schluck war die Phiole geleert, die Nuhebedllrftige begab sich in das angrenzende Schlafzimmer und streckte sich auf ihrem Lager aus. Hier wollte sie schlafen und vergessen, aber die ersehnte Ruhe sollte ihr nicht zu Theil werden; es quälten sie Traumgesichte, die ihr das Blut erstarren machten. Sie war des Mordes angeklagt, der Stab wurde über sie gebrochen, sie mußte das Schaffst besteigen. Lock mann und der Page begleiteten sie hohnlachend auf dem letzten Gang. Sie betheuerte ihre Unschuld, man glaubte ihr nicht. Sie sollte das Haupt auf den Block legen, sie wehrte sich mit der Kraft der Verzweiflung. Sie wollte Gott anrufen — Gott, an den sie nicht geglaubt, den sie ge lästert, den sie frevelnd versucht hatte. Im Traume wollte sie beten, doch wie sie sich auch mühte, sie brachte kein Wort über ihre Lippen. O, Entsetzen! Eine Stimme klang in ihrem Ohre: „Mörderin, Du bist gerichtet". Mit einem gellenden Angstschrei erwachte sie. An ihrem Lager stand ein bärtiger Mann mit wildblickenden Augen. Seine Hand hatte ihre Schulter gepackt, sie fühlte seine Nägel an ihrem Fleische, wie die Krallen eines Raubthieres. ,Laß mich los", schrie sie angstvoll auf. „Hilfe! Hilfe!" Ein heiseres Lachen antwortete ihr: „Es ist Niemand in der Nähe, schreie so viel Du willst." „Tockmann!" Es lag Verzweiflung und Todespein in diesem Ausruf. Mit der Gewalt des Entsetzens riß sie sich los und schnellte empor, aber alsbald hatte er sie wieder ge packt. Seine Finger legten sich wie eiserne Schrauben um ihren Hals, jjeden Laut erstickend. „Jetzt rechnen wir ab", keuchte er, sein Opfer zu Boden drückend, „auf diese Stunde habe ich lange gewartet." Sie sah den Mordstahl gezückt; noch einmal trieb sie die Todesangst zu verzweifeltem Rin gen. Wie eine Tobsüchtige wand sie sich unter den Mörder händen, mit den Zähnen, mit den Nägeln sich wehrend, bis sie, ins Herz getroffen, unter Tockmann's eiserner Faust zusammenbrach. — Ein Blick teuflischer Bosheit fiel auf die Ermordete, ein Blick, in dem der befriedigte Haß, die gesättigte Rachgier zum Ausdruck kam, dann verließ der Mörder die blutgetränkte Stätte und gelangte unbemerkt durch den Corridor, die Treppe hinab, bis in die Thorhalle. Hier hatte man be reits die Gasflamme angezllndet, das Hausthor aber noch nicht geschloffen. Während sich Tockmann beeilte, über die Schwelle zu gelangen, wurde er von einem Eintretenden un sanft gestreift. Der Herr entschuldigte sich: „Pardon, Monsieur!" „O bitte, mein Herr." Diese Worte wurden fast gleichzeitig gesprochen. Der Klang der Stimmen veranlaßte die Beiden, eine Sekunde stehen zu bleiben, um sich scharf zu fixiren. Tockmann er- kannte sein Gegenüber sofort, während der Andere länger brauchte, um sich über die bärtige Physiognomie mit den abgemagerten Zügen und den grausam funkelnden Augen klar zu werden. Bis der Gedanke in dem Ankommenden aufblitzte, der Fremde könne möglicher Weise Tockmann sein, war jener längst verschwunden. Aufs Peinlichste be rührt stieg der Herr langsamen Schrittes die Treppe hinauf, offenbar mit sich im Zweifel, ob er Vorwärtsschreiten oder wieder umkehren solle. Ein hinzukommender Lakai fragte nach seinem Begehr. Der Befragte faßte sich rasch. Den Nacken stolzer hebend, gab er dem Diener Bescheid: „Melden Sie der Frau Gräfin, Sennor Bolivar wünsche sie in wich tigen Angelegenheiten zu sprechen." „Krau Gräfin fühlen sich unwohl und empfangen keine Besuche", lautete die Antwort. „Dann muß ich den Herrn Grafen sprechen. Die Mit theilungen, welche ich zu machen habe, dulden keinen Auf schub", beharrte Bolivar. „Der Herr Graf sind ausgefahren, es kann eine Stunde vergehen bis zu seiner Rückkehr." Bolivar ließ sich nicht irre machen: „Schon Recht, mein Bester, ich werde hier warten, bis der Herr Graf zu- rückkomntt." Bolivar stellte sich, während er auf den Grafen wartete, an eines der Fenster, daS in den Schloßhof zeigte und sah sich um. In dem von GaScandelabern erleuchteten Hofe war wenig Interessantes zu entdecken. Die angrenzenden Gebäude lagen noch im Schatten der Dämmerung, nur von einem der Fenster aus schimmerte Licht; dieses Fenster war geöffnet. Bolivar konnte daS Zimmer überblicken. Zu seinem nicht geringen Erstaunen sah er denselben Herrn, der ibm soeben unter dem Thor des Palastes begegnet war, und in dem er Tockmann erkannt hatte, in dem Raum hastig hin und her schreiten, sah ihn Kleider und Wäsche in einen Hand koffer packen, diesen verschließen und dann daS Licht löschen. Mit einem Gefühle der Erleichterung schloß der Zuschauer auS diesen Vorbereitungen, der Herr stehe im Begriff abzu reisen. Bald darauf fuhr die Equipage deS Grafen in den Hof ein. Mit finsterer Miene kam Rivero die Treppe herauf, dem vorauSeilenden Bedienten Befehle ertheilend; er wäre achtlos an Bolivar vorübergegangen, doch dieser trat ihm in Len Weg. „Bitte um Entschuldigung, Herr Graf —" Der Angeredete maß den Zudringlichen mit hoch- mütbigen Blicken: „Was wollen Sie?" fragte er gering schätzig. „.Hat die Gräfin vergessen. Sie für Ihren Reit unterricht zu bezahlen?" Der Kunstreiter ließ sich nicht verblüffen. Mit der ihm eigenen Keckheit versetzte er: „Einer solchen Kleinigkeit wegen würde ich Sie nicht belästigen — ich komme, um wichtige Dinge mit Ihnen zu verhandeln —" „Sie — mit mir? — Das scheint mir kaum möglich", unterbrach ihn der Graf in wegwerfendem Tone. Der Andere erhob die Stimme: „Ich besitze Briefe, die Ihre Frau schwer compromittiren." Rivero biß sich auf die Lippen. „Kommen Sie herein", sagte er, in das nächste Zimmer vorausschreitend. Nach dem Bolivar ringetreten und die Thllre hinter sich geschlossen hatte, warf der Graf zuerst einen Blick in die anstoßenden Gemächer; nachdem er sich überzeugt batte, daß Niemand in der Nähe war, leitete er das Gespräch mit gedämpfter Stimme ein: „Was sind das für Schriftstücke? Zeigen Sic sie mir; wenn ich sie als echt erkenne, werden wir unS über den Preis einigen." Bolivar verneigte sich mit dem Ausdruck der Zufrieden heit, entnahm seiner Brieftasche ein Schreiben und hielt es dem Grafen ans Licht, um Adresse und Poststempel genau zu zeigen. „Diesen Brief erhielt ich in Wien." Rivero drückte sein Glas fester ins Auge, besah die Schriftzüge und bemerkte kalt: „Eine mir völlig unbekannte Schrift." Der Kunstreiter lächelte boshaft: „Die Außenseite ist unschuldiger, als der Inhalt." Bei diesen Worten zog er das Schreiben auS dem Umschläge hervor und forderte den Grafen auf zu lesen. Dieser griff nach dem Papier, doch blitzschnell wurde eS ihm entzogen. „Das Schriftstück gebe ich nicht auS der Hand", erklärte der Kunstreiter. „Es ist ein werthvolleS Beweisstück." „Behalten Sie Ihr werthvolles Papier und entfernen Sie sich", herrschte ihn der Graf an, gebieterisch nach der Thüre deutend. „Die Sache läuft auf Erpressung hinaus." Mit einem kurzen höhnischen Lachen wandte sich Bolivar zum Gehen: „Mir kann e sienerlei sein, wenn Ihre Frau ins Zuchthaus kommt. Ich kann dem Gericht die Aufforde rung zum Morde schwarz auf weiß überliefern." „Bleiben Sir", rief der Graf entsetzt, den frechen Ge»
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Keine Volltexte in der Vorschau-Ansicht.
- Einzelseitenansicht
- Ansicht nach links drehen Ansicht nach rechts drehen Drehung zurücksetzen
- Ansicht vergrößern Ansicht verkleinern Vollansicht